Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat eine erstaunliche Debatte. Es ist nicht häufig, daß wir hier im Parlament, in den Fachausschüssen und auch im politischen Vorfeld - auf Podiumsdiskussionen - so einhellig und geschlossen eine Position vertreten. In Fragen des Stromeinspeisungsgesetzes werden wir uns gegen die Attacken der VDEW wenden und diese zurückweisen.
Ob auch die Bundesregierung das so eindeutig sieht und die Kampagne der Stromwirtschaft ablehnt, ist allerdings zweifelhaft. Herr Kolb, ich hake noch einmal nach. Das im Wirtschaftsausschuß vorgelegte Papier des F.D.P.-gelenkten Bundeswirtschaftsministeriums deutet in dem Passus, „daß die Kürzungen nur bis zur Klageerhebung vorgenommen werden" eher darauf hin, daß der Rechtsbruch insoweit akzeptiert wird. Sie haben die Gelegenheit, das noch einmal klarzustellen.
Die EVUs und die VDEW haben es lange Zeit versäumt, Verfassungsbeschwerde innerhalb der Frist des Art. 93 des Grundgesetzes zu erheben. Nun wird durch die Zahlungsverweigerung je eines Stadtwerkes, eines Regionalversorgers und eines Verbundunternehmens in dieser Kampagne versucht, über den Klageweg bei einem ordentlichen Gericht eine Verfassungsgerichtsentscheidung zu erzwingen.
Ich halte die gezielte Provokation der Ausreizung und Überreizung des Rechtsstaates durch Zahlungsverweigerung - nach dem Motto: Jeder kann dann doch klagen, um sein Recht zu erhalten! - politisch und rechtsstaatlich für bodenlos unanständig.
Der kalkulierte Rechtsbruch im Wege der Selbstjustiz eines derartigen Unternehmens hat Signalwirkung auf die Rechtskultur insgesamt.
Wie hat die VDEW denn auf die Boykottmaßnahmen der Stromkunden bei den Antiatomstromkampagnen reagiert? Wie kann sie glaubwürdig die Ausreizung des Rechtsstaats bei Sitzstreiks und anderen Demonstrationsformen kommentieren, wenn sie mit der Arroganz des Monopols - so hat es der Kollege Carstensen gesagt - ihre Wirtschaftsmacht in Rechtsmacht umzusetzen sucht?
Wenn Strommonopole eine derartig massive Kampagne gegen ein von diesem Hohen Hause einstimmig verabschiedetes Gesetz vorbereiten, sollten sie das Sprichwort beherzigen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen. Was wäre denn, wenn im Rechtsstaat durch den Bürger oder den Gesetzgeber, also auch durch uns, die rechtlichen Freundlichkeiten für die Stromwirtschaft auf den Prüfstand kämen, etwa die problemlose Weitergabe der Vollkosten an die Kunden, die wegen der Gebietsmonopole nicht dem Wettbewerb unterliegen? Sie erhalten problemlos die Kosten, die sie den Einspeisern verweigern. Oder die steuerfreien Rückstellungen in Milliardenhöhe, die der Entsorgung der KKW dienen sollen. Oder die Nichtversicherung der KKWs, während etwa die Wasserkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg hohe Versicherungspolicen zu tragen haben. Das sind Monopolvorsprünge.
Die Vorstellung, daß der gesetzliche Abnahmezwang für Strom aus erneuerbaren Energiequellen aus kartellrechtlicher Sicht als Gegengewicht zum Leitungsmonopol gerechtfertigt ist, war doch einer der Gründe für die Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes. Um es kürzer zu sagen: Monopolist sein verpflichtet. Das sollten die Stromunternehmen an dieser Stelle beherzigen.
Meine Damen und Herren, ich will allerdings nicht verhehlen, daß es einen Konstruktionsmangel des Gesetzes gibt - den haben Sie schon angesprochen -,
Dietmar Schütz
der die Stromverteiler an der Küste und auch im Gebirge über Gebühr belastet. Es gibt eine klar erkennbare regionale Schieflage der Kostenbelastung.
Das für mich zuständige Unternehmen, die EWE, macht für 1994 eine regionale Mehrbelastung von 16,8 Millionen DM geltend und prognostiziert für 1995 33 Millionen DM Mehrkosten. Die Schleswag liegt mit ihren Angaben noch darüber. Ob diese Zahlen allerdings einer belastbaren Analyse voll standhalten, will ich hier nicht untersuchen. Die regionale Ungleichgewichtigkeit ist aber wie immer eine Tatsache und erfordert einen bundesweiten Ausgleich.
Ursprünglich hatte meine Fraktion die Vorstellung, dies durch einen bundesweiten Ausgleichsfonds zu schaffen, der im Stromeinspeisungsgesetz zu fixieren ist. Angesichts des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Kohlepfennig verfolge ich diesen Weg nicht weiter. Ein solcher Fonds wäre heute angreifbarer als das Stromeinspeisungsgesetz selbst, das nicht angreifbar ist.
Selbstverständlich ist aber ein Ausgleich im Wege einer freiwilligen Verbändevereinbarung zwischen allen EVUs möglich. Ich halte diesen Weg für den jetzt sinnvollsten. Deshalb bin ich mehr als verwundert, daß er noch nicht beschritten worden ist. Wenn die Solidarität der VDEW mit den in der Tat ungleich belasteten Stromverteilern an der Küste und im Gebirge glaubwürdig sein soll, kann dieses Burden-sharing sofort nachgeholt werden. Das sollte sofort erfolgen.
Das von Herrn Grave für die VDEW vorgestellte Konzept zur Unterstützung der regenerativen Energien sieht leider nur eine Kostenbelastung der öffentlichen Hand vor. Die Stromunternehmen wollen lediglich die in der sogenannten Verbändevereinbahrung fixierten vermiedenen Kosten zahlen. Diese Art des Burden-sharing meine ich nicht. Die Stromindustrie ist in der Lage, einen eigenen finanziellen Anteil an der Erzeugung regenerativer Energien durch Dritte zu leisten. Das fordern wir von ihr. Dies zu tun ist besser und glaubwürdiger als alle provozierten Klagen, die nicht notwendigerweise beim Verfassungsgericht enden sollten.
Wir müssen jetzt zusammenstehen und nach der lateinischen Sentenz „principiis obsta" den Anfängen dieser Attacken wehren. Ich bin mit Herrn Ramsauer der Meinung, daß wir diesen kleinen Energiekonsens durch die Ausschußberatungen retten sowie gebündelt und einig der Atomwirtschaft Paroli bieten sollten. Das wird die Aufgabe der nächsten Wochen sein.
Ich danke Ihnen.