Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, daß wir uns fast eine ganze Legislaturperiode, nämlich die vorige, mit diesem Drama befaßt und manchmal vor vollem, manchmal vor leerem Hause darüber debattiert haben. Ich will das, was die Kollegen eben gesagt haben, aufgreifen, da wir in weiten Punkten übereinstimmen.
Zur Frage Einladung nach Europa, Herr Lippelt. Ich finde das gut, und ich finde die Überlegung, einen Sondermechanismus wirksam werden zu lassen, richtig. Was mich bei der Einladung nach Europa beschäftigt, ist ein sehr grundsätzlicher Gedanke. Da sehe ich zur Zeit nicht, daß wir alle einladen können.
Europa hat nach 1945 jede Form von rassistischer Vertreibung, von Apartheid-Philosophie, von Konstruktionen von Bantustans im Grundsatz gemeinsam verurteilt. Man kann in dieser modernen Welt nicht zusammenleben, wenn man sagt: Die Menschen der anderen Religionen, die im selben Haus oder in derselben Straße leben, müssen verschwinden, sei es durch Vertreibung oder durch Ermordung.
Freimut Duve
Da wir eine solche Bantustans-Philosophie in Wort und in Tat, in Mord und in Tod haben, müssen wir die Einladung nach Europa qualifizieren. Solange jemand vertreibt und sich bisher noch nicht klar erklärt hat, wie die Zukunft etwa der Muslime im Sandschak aussehen wird, wie die Zukunft der ungarischen Minderheit in der Vojvodina aussehen wird - ich spreche jetzt nur von Serbien -, wie auch die Zukunft der serbischen Minderheit in Kroatien aussehen kann, über die Badinter-Kommission hinaus, also wie man die Ängste des Künftig-vertrieben-Werdens reduzieren kann, so lange müssen wir die Einladung nach Europa mit diesen Elementen qualifizieren, auch um unserer selbst willen, auch um Europa willen.
Zweite Bemerkung. Herr Dr. Lippelt, ich möchte das ganz deutlich sagen, weil wir in diesem Punkt auseinander sind. Das Motiv für die Anerkennung Sloweniens und vor allem Kroatiens lag nicht in dem, was Sie gekennzeichnet haben: den Norden nach Europa sozusagen abschnüren und das andere sich selbst überlassen. Es gab vielmehr ein einziges Motiv - ich kann das für meine Fraktion sagen, und ich möchte das auch für Herrn Genscher sagen; denn das geistert überall herum -: Hat Europa nach der Zerstörung von Vukovar, nach dem Beginn des Zerschießens von Dubrovnik ein ziviles Mittel, den Kroatienkrieg, bei dem schon Tausende umgekommen und Zehntausende vertrieben waren, zu einem friedlichen Ende zu führen?
Das einzige zivile Mittel, das wir uns damals überlegten, war die Internationalisierung des Konflikts durch Anerkennung. Es war vielleicht das erste Mal, daß man in diese Richtung überlegt hat.
Ich kann ein solches politisches Interesse, wie Sie es angedeutet haben, an dem Auflösen Jugoslawiens und an dem Ende des Versuchs, die vielen Völker des Balkans zu einem Staat zusammenzubringen, in der deutschen Politik, wenn ich mich an unsere Diskussionen erinnere, nicht erkennen. Ich sehe einmal von wenigen Ausnahmen ab. Ausnahmen sind vielleicht Journalisten und auch einzelne Politiker, die meinten, das sei ein richtiger Weg, den Kroatien aus religiösen oder anderen Gründen gegangen ist.
Ich bitte sehr darum, daß vom Deutschen Bundestag nicht das unterstützt wird, was in den serbischen Medien fast jeden Tag gesagt wird, nämlich Genscher sei ein Kriegsverbrecher, und was so weit geht, daß gefordert wird - z. B. von Johan Galtung -, Genscher gehöre in Den Haag vor Gericht gestellt. Das ist Wahnsinn. Sie haben das eben so überhaupt nicht gemeint, Herr Dr. Lippelt. Das will ich nicht sagen. Das ist ein anderes Motiv als das, was Sie vorhin genannt haben.