Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fälle Metallgesellschaft, Schneider und Balsam/Procedo - das ist heute bereits von anderen gesagt worden - haben aus unterschiedlichen Blickwinkeln einige Aspekte der strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft beleuchtet: Aufsichtsräte, die nicht in der Lage oder willens sind, die Geschäftsleitungen zu kontrollieren, Vorstände, die monatelang hasardieren, gewaltige Schäden anhäufen, Arbeitsplätze im eigenen Unternehmen und bei zahlreichen Geschäftspartnern vernichten und sie in den Untergang hineinreißen und dann persönlich, schlimmstenfalls unter Zurücklassung eines Scherbenhaufens, in den wohldotierten Ruhestand gehen.
Man denkt an Tucholsky, der daran erinnerte, daß früher die Häuptlinge gefressen wurden, wenn sie eine Schlacht verloren hatten, während sie heute sagen - wenn sie es denn sagen -: „Ich übernehme die Verantwortung" und in den Ruhestand gehen.
Die Drucksache 13/367 gibt ein eindrucksvolles Bild - und die verfügbaren Untersuchungen zur Kapital- und Personalverflechtung bestätigen dieses Bild - von den entstandenen oligarchischen Verhältnissen: Die Spitzen der deutschen Banken und der deutschen Industrie haben die Tür hinter sich geschlossen. Sie haben sich nicht nur der Kontrolle durch die privaten Aktionäre entzogen. Durch die Kapital- und Personalverflechtung von Unternehmen, die theoretisch im gleichen Markt konkurrieren, schränken sie auch den Wettbewerb ein. Sie predigen öffentlich das Wasser der Kontrolle durch den Markt und trinken heimlich den Wein der ausgeschalteten Kontrolle durch die Oligarchie der über Kreuz und im Ring verflochtenen Unternehmen.
Von welchem Wettbewerb kann denn die Rede sein, wenn auf den Hauptversammlungen der großen Kaufhauskonzerne die drei größten deutschen Banken jeweils zwischen 56 und 90 % der vertretenen Stimmrechte repräsentieren? Das gleiche gilt für die drei großen Chemiekonzerne.
Die Spitze der deutschen Banken- und der Industriewelt hat auch insofern die Tür hinter sich geschlossen, als sie sich auch persönlich nicht mehr dem kalten Wind des Wettbewerbs am sogenannten Arbeitsmarkt aussetzt, sondern sich durch Kooptation aus den eigenen Reihen ergänzt.
Im Ergebnis ist zumindest in der großen Industrie ein Unternehmertyp dominierend geworden, der weniger unternimmt und mehr verwaltet und dem wir nicht zuletzt die strukturellen Schwächen der bundesrepublikanischen Wirtschaft, ihren schon seit zwei Jahrzehnten anhaltenden Positionsverlust bei Zukunftstechnologien zu verdanken haben.
Angesichts der erheblichen Machtzusammenballung - ich verwende auch nach den Ausführungen von Herrn Lambsdorff das Wort „Macht"; ich halte das für wahr: Ökonomische Macht ist ebenso wie politische Macht eine Macht -, die die hier in Rede stehenden Unternehmen und Kreditinstitute repräsentieren, stellt sich natürlich die Frage, ob eine solche unkontrollierte Macht noch systemkonform ist.
Der vorliegende Gesetzentwurf will nun durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen die Rechte der Privataktionäre verbessern, die Transparenz der Verflechtungsbeziehungen erhöhen, die Möglichkeiten von Interessenkonflikten der in den Aufsichtsräten von offiziell konkurrierenden Unternehmen vertretenen Kreditinstitute mindern, den Mißbrauch der Rechtsform des Idealvereins für wirtschaftliche Zwecke beseitigen, die Einflußkumulation bei einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern bzw. den von ihnen vertretenen Banken einschränken, den Wettbewerb erhöhen und schließlich auch noch strukturelle Innovationshindernisse beseitigen.
Das Anliegen dieses Entwurfs, die Refugien unkontrollierter Machtzusammenballung wenigstens etwas besser auszuleuchten und die oligarchische Machtausübung aufzubrechen, verdient zweifellos Unterstützung. Manches scheint mir allerdings ein wenig blauäugig, anderes inkonsequent. Die Innovationshemmnisse, die sich aus der langjährigen Auslese in Richtung auf einen bestimmten Managertyp ergeben, können nicht durch ein Dekret, daß die Banken oder die Manager mutiger zu sein haben, beseitigt werden.
Das Versagen des Aufsichtsrates im Falle Metallgesellschaft legt den Gedanken nahe, der in Art. 2
Dr. Uwe-Jens Heuer
ausgeführt wird, nämlich die Zahl der Aufsichtsratsmandate, die eine Person wahrnehmen darf, weiter zu begrenzen.
Diese sicher mögliche und wünschenswerte Maßnahme könnte aber in meinen Augen deutlich an Wirksamkeit gewinnen, wenn die Haftung der Aufsichtsräte und ihrer Mitglieder deutlich verschärft würde.
Dagegen wird nun eingewandt, daß die Milliardenschäden, wie sie etwa bei der Metallgesellschaft entstanden sind, nicht durch das Vermögen einer Handvoll von Aufsichtsratsmitgliedern kompensiert werden könnten. Das ist natürlich richtig. Für die geschädigten Aktionäre und Gläubiger - von den entlassenen Arbeitnehmern ganz zu schweigen - wäre eine stärkere persönliche Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte wenig tröstlich. Aber sie zwänge die Aufsichtsräte zu dem, was der eigentliche Sinn ihrer Bestellung ist: zu genauem Hinsehen.
Eine solche verschärfte Haftung, die tatsächliche Abhängigkeit des eigenen Vermögens von der peniblen Ausübung des Mandats, könnte unter Umständen wirksamer zu einer Begrenzung der Zahl der wahrgenommenen Aufsichtsratsmandate zwingen als die formelle Begrenzung durch den jetzigen Vorschlag.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein persönliches Wort aus meiner eigenen Erfahrung sagen: Ich mußte 1959 die Humboldt-Universität Berlin verlassen und wurde von der SED zur Erziehung in die Praxis an das staatliche Vertragsgericht geschickt. Ich habe dort sehr interessante Erfahrungen gemacht; ich möchte nur eine nennen.
Die Vertragsgerichte entschieden bekanntlich über Streitigkeiten zwischen volkseigenen und Privatbetrieben sowie den sogenannten halbstaatlichen Betrieben. Auffällig war nach meiner Erfahrung, daß durch Geldzahlungen eigentlich nur die halbstaatlichen Betriebe betroffen waren, weil dort der private Komplementär tatsächlich persönlich bezahlen mußte, während die volkseigenen Betriebe nicht ernsthaft betroffen waren, wenn sie 50 000 oder 80 000 Mark Schadensersatz oder Vertragsstrafe zahlten. Bei den halbstaatlichen Betrieben wirkte die Strafe direkt auf das persönliche Vermögen, und das war sehr wirksam. Aus diesem Grunde waren die halbstaatlichen Betriebe übrigens gar nicht so schlecht. Ihre Beseitigung im Jahre 1972 halte ich für eine der Unsinnigkeiten der damaligen Wirtschaftspolitik.
Das hier Geforderte setzt allerdings auf der anderen Seite voraus, daß den Aufsichtsräten die Informationen zur Verfügung stehen, die sie wirklich in die Lage versetzen, die Vorstände zu kontrollieren. Gegenwärtig sind die Kontrolleure doch wohl fast ausschließlich von den Informationen abhängig, die ihnen die Kontrollierten zur Verfügung stellen.
Die vorgeschlagene Begrenzung auf fünf Mandate pro Person würde übrigens die Zahl der von Vertretern eines Unternehmens in anderen Unternehmen wahrgenommenen Aufsichtsratsmandate nicht verringern oder begrenzen.
Nicht länger hinzunehmen ist die Wettbewerbsverschränkung, die sich einfach dadurch ergibt, daß die großen Kreditinstitute bei Unternehmen, die sich theoretisch im Wettbewerb zueinander befinden, die Mehrheit der Stimmrechte in den Hauptversammlungen repräsentieren und in den Aufsichtsräten vertreten sind. Hier bietet sich eine kartellrechtliche Untersagung von Aufsichtsratsmandaten in konkurrierenden Unternehmen an, wie sie in Art. 5 des vorliegenden Entwurfs angestrebt wird.
Dabei sollte allerdings nach meiner Auffassung die Lösung konsequenterweise nicht primär auf Personen, sondern auf die Unternehmen bezogen sein. So wie es Rechtsanwälten selbstverständlich verboten ist, gegnerische Parteien gleichzeitig zu vertreten, weil Interessenkollisionen unvermeidlich sind, sollte es auch untersagt sein, daß Unternehmen und Personen gleichzeitig in den Organen konkurrierender Unternehmen vertreten sind.
Insofern erscheint mir die in Art. 5 Nr. 3 vorgeschlagene personenbezogene Lösung inkonsequent. Herr Lambsdorff hat gesagt, daß die Großbanken durch diese Lösung bevorzugt werden, weil sie mit unterschiedlichen Personen arbeiten können. Deswegen, meine ich, wäre es sinnvoll, das nicht nur hinsichtlich der Personen, sondern auch hinsichtlich der Unternehmen zu regeln.
Das in Art. 2 Nr. 8 angesteuerte Ziel, den Privataktionären die Chance einer von den Banken unabhängigen Vertretung zu eröffnen, wird von mir unterstützt. Wir stellen empirisch fest - das ist hier von vielen gesagt worden -, daß die Beteiligung der Privataktionäre an den Hauptversammlungen kontinuierlich zurückgeht. Ein wesentlicher Grund dafür besteht zweifellos darin, daß die Kosten der Teilnahme an den Hauptversammlungen für Kleinaktionäre prohibitiv sind.
Das Depotstimmrecht der Banken ist seit langem umstritten. Seine Befürworter sind fast ausschließlich die Banken selbst. Bei der relativ dünnen Eigenkapitaldecke vieler deutscher Unternehmen bringt gerade das Depotstimmrecht einen überproportionalen Einfluß für die Banken mit sich. Der Konflikt zwischen Eigeninteressen, Interessen des Unternehmens, seiner Verwaltung und Interessen der Aktionäre könnte durch das Angebot des Art. 2 Nr. 8 aufgelöst werden. Ob dies die Demokratie in den Aktiengesellschaften im Sinne eines Abbaus der Apathie der Privataktionäre und ihres zunehmenden wirklichen Einflusses auf die Entscheidungen der Hauptversammlungen beleben wird, muß allerdings die Zukunft zeigen.
Sosehr ich das Gesamtanliegen des vorliegenden Entwurfs unterstütze, bin ich hinsichtlich der zu erwartenden Wirkungen doch skeptisch. Diese Skepsis speist sich sowohl aus den bereits genannten In-
Dr. Uwe -Jens Heuer
konsequenzen als auch aus Untersuchungen, die z. B. Albach/Kless über die Auswirkungen der Aktienrechtsreform von 1965 und der Einführung der Mitbestimmung 1976 auf die personellen Verflechtungen zwischen großen Unternehmen und den drei Großbanken angestellt haben.
Nach diesen Untersuchungen ist zwar der Anteil der Aufsichtsratsmandate, die von Bankenvertretern gehalten wurden, zwischen 1964 und 1978 um 40 % zurückgegangen, der Anteil ihrer Kontrollmöglichkeiten aber nur um 5 %, weil sie durch entsprechende Gegenmaßnahmen die Auswirkungen der Gesetzgebung auf ihre Kontrollmacht zu mindern wußten.
Ich befürchte, daß die Auswirkung des vorliegenden Gesetzentwurfs, wenn er denn je in Kraft treten sollte, in ähnlicher Größenordung zu sehen sein wird. Trotzdem meinen wir, daß es sinnvoll ist, in dieser Richtung zu arbeiten. Möglicherweise bewegt sich auch die Koalition etwas, was ich ihr dringend wünsche.
Danke schön.