Rede von
Reinhard
Schultz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei einer ersten Rede ist es natürlich schon erhebend, insbesondere für einen sozialdemokratischen Alt-68er und Alt-Juso, ein so breites antimonopolistisches Bündnis in Sachen Energiewirtschaft noch einmal leibhaftig erleben zu können.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Kolb, hätte mir dieses Vergnügen zwar fast etwas verwässert, aber das ist eben in erheblichem Umfang durch Herrn Klinkert wiedergutgemacht worden.
Ich hätte es nicht schlecht gefunden, wenn für die heutige Diskussion der eigentlich ja schon für Anfang des Jahres angekündigte Erfahrungsbericht über das Stromeinspeisungsgesetz oder die Antwort auf die Kleine Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegen hätten, weil man dann auf etwas gesicherterer Grundlage hätte reden debattieren können. Herr Kolb hat ja offensichtlich schon viele Momente seines eigentlich noch vorzulegenden Berichts in Zahlen gefaßt und heute eingeführt, Daten, die wir auch hätten gut gebrauchen können.
Tatsache ist, daß die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke drei Unternehmen aufgefordert hat, drei Erzeuger von Wind- oder Wasserstrom stellvertretend für die gesamte deutsche Energiepolitik in Geiselhaft zu nehmen, um dadurch eine Welle der Resignation, was weitere Investitionen angeht, und
Reinhard Schultz
der Verunsicherung hinsichtlich der weiteren Finanzierung in der Kreditwirtschaft loszutreten und ein Erpressungspotential im Hinblick auf weitere Energiekonsensgespräche und auf das, was sonst noch ansteht, aufzubauen.
Damit hat sich die Elektrizitätswirtschaft keinen Gefallen getan; denn wer solche tiefen Gräben aufreißt, muß sie letztlich selbst zuschütten, will man zu einer vernünftigen Zukunft der Energie kommen.
Betrachten wir die Zahlen: 1993 gab es einen Zuschußbedarf von etwa 150 Millionen DM, bis 1996 wird er auf 500 Millionen DM ansteigen, und das ausschließlich im Wasser- und Windbereich. Hier entwickelt sich etwas dynamisch, was wir politisch begrüßen, was jedoch ein Bilanzbuchhalter in einem regionalen Versorgungsunternehmen zweifellos mit Argusaugen beobachtet.
Nehmen wir einen mittleren Zuwachspfad, den das Wirtschaftsministerium in seinen internen Überlegungen selbst aufgezeigt hat: Schließt man Wind, Wasser, Photovoltaik und alle möglichen biologischen Abfälle, die einer energetischen Nutzung zuzuführen sind, ein, dann kommen wir um das Jahr 2010 umgerechnet auf einen Zuschußbedarf für Einspeisevergütungen allein für Wind und Wasser von 1,5 Milliarden DM. Nimmt man die Photovoltaik ohne kostendeckende Vergütung, also auf dem Niveau, auf dem sie jetzt ist, hinzu, dann landen wir insgesamt bei 4 bis 5 Milliarden DM.
Man muß darüber reden, ob das nur über den Strompreis zu regeln ist oder ob dort nicht die nationale Energiepolitik insgesamt gefordert wäre, indem man z. B. im Rahmen einer Energiesteuer etwas abfedert, um den Time-lag zu schließen. Ich denke, bei diesen Größenordnungen müssen wir uns darüber Gedanken machen.
Die - durchaus anerkennenswerten - umweltpolitischen Ziele des Staatssekretärs aus dem Umweltministerium, nämlich in einem wirklich ordentlichen Tempo 25 % des Kohlendioxids auf der Basis von 1990 zu sparen, setzen voraus, daß das Szenario eintritt, das ich soeben geschildert habe, nämlich, daß der Zuwachs regenerativer Energiequellen - das geht weit über den Faktor 2 oder 4 hinaus - neben allen Anstrengungen beim Energiesparen auch tatsächlich erreicht wird. Ansonsten werden wir im Jahre 2005 oder 2010 dastehen und sagen: Wir haben es zwar versucht, aber nicht geschafft. Für die Wirtschaft ist es das schlechteste Zeugnis, das man ausstellen kann, wenn man sagt: Er hat sich redlich bemüht.
Deswegen appelliere ich dringend an die Energiewirtschaft, zunächst einmal die kurzfristigen Disparitäten in der Preisgestaltung durch einen freiwilligen Ausgleichsfonds auszugleichen und dadurch den politischen Spielraum zu schaffen, darüber nachzudenken, wie wir Investitionskosten, insbesondere im Photovoltaikbereich, abfedern und zu großen Stückzahlen kommen, die dann dazu beitragen werden, daß die spezifischen Kosten kleiner werden, als sie heute sind; Stichwort: 100 000-Dächer-Programm.
Ich bitte auch darum, wirklich ohne jeden falschen Vorbehalt ernsthaft über eine allgemeine Energiesteuer zu reden, weil ohne diese, denke ich, der ökologische Umbau der Energiewirtschaft mit mehr Wind, Wasser und Sonne nicht möglich ist.
Als Alt-Juso sage ich deshalb: In diesem Sinne gewinnt das Lied „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" eine praktische Bedeutung für die gesamte Politik.