Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu Beginn meines Beitrages ein paar Worte zu dieser Debatte sagen, die geprägt ist von einer grundsätzlichen breiten Übereinstimmung. Allerdings gibt es auch eine breite Übereinstimmung in der Hinsicht, daß wir im Hinblick auf die eigentliche Lösung des Problems in der Substanz keine Rezepte anzubieten haben. Das ist das, was uns alle so bedrückt. Wenn wir diese Anträge heute behandeln, dann sicherlich nicht - so verstehe ich die Anträge auch nicht -, weil wir uns damit gewissermaßen ein besseres Gewissen im Hinblick auf einen Konflikt, auf einen Krieg verschaffen wollten, bei dem wir eigentlich alle ein schlechtes Gewissen haben und haben müssen.
Die zweite Anmerkung: Einladung nach Europa - was ist das eigentlich für ein bitteres Wort? Wenn wir das Gefühl haben, wir müßten gegenüber einem Land, das mitten in Europa liegt, eine Einladung aussprechen, zu uns zu kommen, so zeigt das doch, wie weit wir in diesem Land Bosnien-Herzegowina und überhaupt im früheren Jugoslawien von dem großartigen politischen, historischen und kulturellen Fortschritt, der im größten Teil Europas in den letzten 50 Jahren erreicht worden ist und den wir in den letzten Wochen auch gefeiert und gewürdigt haben, entfernt sind. Es zeigt natürlich auch, welches die konstitutiven Elemente dieses europäischen Friedenswerkes in der Europäischen Union sind. In diesem Zusammenhang ist z. B. auch die Notwendigkeit zu nennen, bilaterale Konflikte unter neu hinzukommenden Mitgliedern im Vorfeld eines Beitritts auszuschließen. Der große Fortschritt des Stabilitätspaktes, den wir vor wenigen Wochen in Paris unterzeichnet haben, besteht darin, daß Länder wie z. B. Ungarn und die Slowakei in der Lage waren, bilaterale Konflikte, die sehr gefährlich hätten werden können, auszuräumen, bevor sie in die Europäische Union bzw. in die Phase der Konkretisierung des Beitritts zur Europäischen Union hätten hineingetragen werden können.
All diese Dinge, die sich im Stabilitätspakt für Europa finden, werden wir einfordern müssen, wenn es darum geht, die langfristige Perspektive für die Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens zu konkretisieren. Wir werden das nicht außer acht lassen können. Wir werden diese Probleme vorher lösen müssen und gleichwohl die große europäische Perspektive auch den Ländern anbieten müssen, die bisher nicht haben teilnehmen können.
Die Bundesregierung begrüßt die heutige Debatte. Wir haben einen breiten Konsens über die wichtigsten Ziele gefunden. Um die praktische Umsetzung der deutschen Bosnienpolitik gibt es Gott sei Dank keinen Streit. Das haben die positiven Reaktionen auf den Besuch von Präsident Izetbegovic in Deutschland und auch die Reaktionen auf den Besuch von Außenminister Klaus Kinkel in Sarajevo am 1. Februar gezeigt. Es bleibt natürlich dabei: Die Bundesregierung konzentriert ihre politischen Bemühungen darauf, das Aufflammen eines größeren Balkankrieges zu verhindern. Jeder Ansatz zur Kooperation und Versöhnung wird von uns nachdrücklich und ohne Vorbehalt unterstützt. Seit Beginn des Krieges im früheren Jugoslawien ist humanitäre Hilfe für die Menschen eine wesentliche Konstante unserer Politik.
Die Überschrift des Antrages „Einladung nach Europa" zeigt ja, wie groß das Vertrauen der Antragsteller in die Möglichkeiten der EU ist, die Konflikte quasi im Rahmen europäischer Innenpolitik zu lösen oder eine Lösung in diesem Rahmen zumindest anzugehen. Bisweilen allerdings frage ich mich, ob wir es uns nicht ein bißchen zu einfach machen. Deshalb sollten wir es, wenn wir in den Ausschüssen konkret beraten und an den Details feilen, vermeiden, uns zu sehr ins Emotionale tragen zu lassen, obwohl sich das Thema zur Emotionalisierung natürlich gut eignet. Ich habe einige Vorbemerkungen dazu gemacht.
Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob es nicht ein Zeichen unserer Bequemlichkeit ist, wenn wir andere großzügig in unsere Wohlstandszone einladen, selbst aber möglicherweise nicht bereit sind, uns vor Ort zu engagieren. Es gibt nur einen Bereich, in dem Deutschland in Bosnien-Herzegowina nicht engagiert ist: Zu den Blauhelmen dort zählen keine deutschen Soldaten. Die Gründe sind uns wohlbekannt. Aber dennoch möchte ich nicht ausschließen, daß wir uns in diesem Hause eines Tages mit großem Ernst fragen müssen, ob das von den Antragstellern geforderte stärkere politische Engagement nicht auch bedeutet, konkrete Solidarität mit den UNO-Blauhelmtruppen, wenigstens in der kritischen Situation ihres Herauslösens aus dem Krisengebiet, zeigen zu müssen.
Ich füge hinzu: Wenn wir uns dazu entschließen sollen, werden wir uns dann auch die Frage gefallen lassen müssen, ob es nicht doch merkwürdig ist, daß wir zu diesem Engagement bereit sind, wenn es
Dr. Werner Hoyer
darum geht, die Soldaten anderer Länder dort wieder herauszuholen, nicht aber, wenn es darum geht, z. B. humanitäre Hilfslieferungen zu sichern und damit den Menschen das Überleben zu ermöglichen. Wir sollten angesichts dieser Dimension der von den Antragstellern erhobenen Forderung nach einem stärkeren politischen Engagement Deutschlands die Augen nicht verschließen.
Ich habe den Eindruck, grundsätzlich liegen die drei vor uns liegenden Anträge auf der Linie, die auch die Bundesregierung vertritt. Für den Fall, daß sie den Vorwurf enthalten, unser politisches Engagement würde hinter den objektiven Möglichkeiten zurückbleiben, möchte ich die Antragsteller bitten, die Sachverhalte noch einmal sorgfältig zu prüfen.
Wir haben, nicht zuletzt auf Grund unserer Initiative, in der letzten Woche in Frankfurt die Sitzung der Kontaktgruppe auf der Ebene der Politischen Direktoren durchgeführt und uns gemeinsam auf den Paketvorschlag verständigt, der es Milosevic ermöglichen sollte, eine Regelung zu akzeptieren, die es wiederum der bosnischen Regierung ermöglichen könnte, den Waffenstillstand zu verlängern. Wir bemühen uns um den Aufbau der bosniakisch-kroatischen Föderation. Ich habe die Petersberger Vereinbarung zu nennen, die Außenminister Kinkel am 10. März gemeinsam mit Föderationspräsident Zubak und Vizepräsident Ganic der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Es ist erfreulicherweise an die großartige Leistung erinnert worden, die Hans Koschnick in Mostar erbringt. Wir wünschen Herrn Kollegen Schwarz-Schilling für seine Bemühungen ebenfalls Glück und Erfolg.
Der bisher so erfolgreich durchgeführte deutsche Konvoi nach Bosnien rollt weiter. Allein für den Zeitraum von Januar 1994 bis Juni 1995 hat die Bundesregierung dafür fast 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Bringen wir jetzt bitte nicht die Haushaltsprobleme, die wir dadurch haben, daß die Verabschiedung des Haushalts immer weiter hinausgezögert wird, mit dieser Frage in Verbindung! Wir wollen doch, daß dieses Erfolgswerk fortgesetzt werden kann.
Deutsche NichtRegierungsorganisationen können weiter mit unserer Unterstützung rechnen. Das Verbindungsbüro für die deutsche humanitäre Hilfe in Zagreb hat sich als sehr gute Koordinationsstelle erwiesen.
Ich könnte diese Liste lange fortsetzen. Wir können in den Ausschußberatungen auch darüber sprechen. Vielleicht wäre es gut, wenn wir für die deutsche Öffentlichkeit einmal aufarbeiten würden, was auf diesem Gebiet tatsächlich geschieht, denn Deutschland kann sich in dieser Beziehung im internationalen Kontext wirklich sehen lassen.
Die Menschen in Bosnien-Herzegowina leiden nicht nur unter dem Krieg und unter einer Hungerblockade, sie leiden auch unter einer Informationsblockade. Wie sollen sie einer Einladung nach Europa folgen, wenn die Kommunikationswege zur Übermittlung dieser Botschaft verschlossen sind? Deshalb wollen wir unsere humanitäre Hilfe kurzfristig und gezielt ergänzend auch auf den Bereich der Kultur- und Informationspolitik für Bosnien erstrekken. Ich würde mich freuen, wenn die Bundesregierung bei diesen Bemühungen mit derselben breiten Unterstützung in diesem Haus wie - bis auf wenige Ausnahmen - hinsichtlich unserer gesamten Bosnienpolitik rechnen könnte.
Herzlichen Dank.