Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestern hatte ich Gelegenheit, mit einer Gruppe von Politikern und Journalisten aus Bosnien-Herzegowina zu sprechen, die sich für eine Woche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Das Wichtigste - so habe ich ein weiteres Mal feststellen können - ist, ihnen zuzuhören.
Sie sprachen nicht direkt vom Krieg. Krieg ist nicht überall und nicht überall gleich spürbar. Aber seine Folgen sind da, und sie verschlimmern sich täglich. Wie ein roter Faden zog sich die Furcht um die Zukunft ihres Landes, um die Zukunft der Kinder durch diese Gespräche.
Die Menschen fürchten um ihr Land. Sie fürchten, von Europa und dem Rest der Welt abgekoppelt und vergessen zu werden. Insofern, Herr Kollege Lippelt, sind wir uns sicherlich über den Auftrag, den wir haben, einig, nämlich diesem entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, daß deutlich wird: Europa sieht dort eine Aufgabe und eine Verpflichtung zu politischem Handeln, zu wirtschaftlicher und natürlich zu humanitärer Hilfe.
Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal eine Selbstverständlichkeit aussprechen, weil sie uns doch immer wieder ins Gedächtnis ruft, daß dieser Konflikt eben nicht leicht lösbar ist, obwohl wir alle verzweifelt nach Lösungen suchen. Diese Selbstverständlichkeit ist, daß Frieden in einer multikulturellen Gesellschaft nur dann möglich ist, wenn der Wille zur Toleranz auf allen Seiten vorhanden ist. Das ist nicht der Fall.
Aus dieser Erkenntnis heraus glaube ich jedoch, daß die beiden eingesetzten Streitschlichter - ich möchte dem Kollegen Schwarz-Schilling ausdrücklich dafür danken, daß er diese schwierige, harte Aufgabe angenommen hat -
vor Ort eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben.
Meine Damen und Herren, sicherlich sind wir uns in der Analyse einig. Was uns allerdings von den Antragstellern unterscheidet, ist die Suche nach dem Weg, wie diesem Land in seiner verzweifelten Situation geholfen werden kann, und die Bewertung desselben. Die Anträge der GRÜNEN spiegeln aber auch ein wenig ihre eigene Ratlosigkeit wider, wie denn mehr getan werden könnte, als die Bundesregierung mit der Unterstützung des Parlamentes heute schon tut.
Zu den Vorschlägen der Kontaktgruppe gibt es keine Alternative. Solange sie noch eine Chance haben, von serbischer Seite akzeptiert zu werden, muß weiter beharrlich Druck ausgeübt werden in der Hoffnung, einen Durchbruch zu erreichen.
Ich freue mich, daß Sie die Leistung des EU-Verwalters für Mostar, Hans Koschnick, ein weiteres Mal würdigen. Ich freue mich auch über Ihre Würdigung der deutschen Unterstützung des Krankenhauses in Sarajevo, weil dies eine Initiative von Bundesaußenminister Klaus Kinkel ist, die nicht nur wegen ihrer Symbolwirkung mit Recht - auch in der Region - besonders hervorgehoben wird. Was die übrigen Forderungen anbelangt, so trennen uns die Einsicht in die Begrenztheit der Mittel und die notwendigen Prioritäten. Auch der Antrag zur Sicherstellung der humanitären Hilfe ist in wesentlichen Passagen eine Bestätigung der Politik der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes.
Was den Antrag betreffend Einladung nach Europa angeht, so ist mit den Verfassern, wie ich finde, vielleicht ihr Idealismus ein wenig durchgegangen. Den Beitritt zur Europäischen Union als Konfliktlösungsstrategie hinzustellen hieße, den Weg vom Ziel her zu gehen. Ich vermisse: Sie geben keinen Hinweis, warum die Konfliktparteien, deren eine zumindest heute noch an Sieg glaubt, darauf eingehen soll-
Irmgard Schwaetzer
ten. Der Versuch, einen behandlungsresistenten Konflikt, der getragen ist von archaischem Haß und kaltem Politkalkül, durch Aussicht auf baldigen EU-Beitritt zu lösen, ist auch mit den Überzeugungen der Europäischen Union nicht in Übereinstimmung zu bringen. Darin stimme ich dem Kollegen Duve ausdrücklich zu. Patentlösungen gibt es sicherlich nicht.
Ich möchte den Grundgedanken in Gesprächen mit Politikern aller Konfliktparteien - zu diesen gehört auch Herr Tudjman -, die Perspektive eines größeren Europa als langfristigen Anreiz zu benutzen, unterstützen. Damit sind wir einverstanden.
Wenn, meine Damen und Herren, zur Kriegsmüdigkeit vielleicht doch noch ein Quentchen Einsicht hinzukommt, welchem sich selbst ein Milosevic nicht mehr verschließt, können wir bei einer der nächsten Bosniendebatten vielleicht eine positivere Entwicklung erörtern.
Ich danke Ihnen.