Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fast genau einem Jahr, am 27. Mai 1994, haben wir hier im Deutschen Bundestag über die Macht der Banken debattiert. Damals wie heute war der Anlaß die erste Lesung eines Gesetzentwurfs der SPD-Bundestagsfraktion zur Beschränkung der Macht der Banken und zur Verbesserung von Transparenz und Wettbewerb in der deutschen Wirtschaft.
Sie werden sich erinnern, daß die Redner der Bundesregierung in der damaligen Debatte schlichtweg jeglichen Handlungsbedarf abgestritten haben.
Seit dem 16. Oktober des letzten Jahres beobachten wir nun eine erstaunliche Neuorientierung, die zeigt, daß sich diese Regierungskoalition trotz ihrer allgemeinen Erstarrung doch noch zu bewegen vermag, zumindest dann, wenn sie massiv unter Druck gesetzt wird.
„Tatsache ist doch, daß die Banken Macht in einem Ausmaß haben, das ich unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit und des Wettbewerbs für fragwürdig halte. "
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, hier können Sie ruhig mitklatschen: Die Worte stammen schließlich von Ihrem Wirtschaftsminister Günter Rexrodt, und so häufig sagt er so vernünftige Sätze wie diesen ja nicht.
Bislang haben sich die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien jedoch außer zu vollmundigen Worten noch zu keinerlei konkreten Vorschlägen, Maßnahmen oder Initiativen durchringen können - ganz im Sinne der Strategie des Grafen Lambsdorff beim Thema Bankenmacht: Viel reden, nichts tun.
Hans Martin Bury
Zur Zeit bewegt sich die Bundesregierung nur noch im Kreis, genauer gesagt: im Arbeitskreis. Denn zur Prüfung dessen, was eventuell genauer geprüft werden soll, hat sie erst einmal ein paar Kommissionen ins Leben gerufen.
Vor gut einer Woche hat eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Finanz- und der Rechtspolitiker der Regierungskoalition unter der Leitung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Günter Rexrodt die Arbeit aufgenommen. Konkrete Ergebnisse hatte das Treffen nicht, aber immerhin wurde einmal mehr erklärt, was man alles für prüfenswert erachtet.
Meine Damen und Herren, ich habe vollstes Verständnis dafür, daß Sie Zeit brauchen. Schließlich müssen Sie Ihre Entwürfe nicht nur innerhalb der Regierungskoalition abstimmen, sondern Sie müssen auch noch mit den Führungsgremien großer deutscher Banken abstimmen, was Sie überhaupt prüfen dürfen.
Das kostet Zeit, zumal die Frankfurter Banker noch ganz andere Sorgen haben. Da taucht doch nun der untergetauchte Bankrotteur Schneider zunächst per Tonband und dann persönlich wieder auf und beschuldigt die Deutsche Bank, für den Ruin seiner Immobilienfirma verantwortlich zu sein. Dabei hatte sich die Bank bislang überzeugend als Opfer eines gerissenen Immobilienhais präsentiert: Mit raffiniert fingierten Gutachten habe Schneider jahrelang die gutgläubigen Banker hinters Licht geführt und immer neue Kredite in Millionen-, schließlich sogar in Milliardenhöhe erschlichen. Vertrauen ist halt der Anfang von allem, manchmal auch von Pleiten.
Auch wenn die Tonbandverteidigung des Herrn Dr. Schneider alles andere als überzeugend war und er die Rolle des armen, von der mächtigen Deutschen Bank übers Ohr gehauenen Privatkunden nicht sonderlich glaubhaft spielt, so darf man doch gespannt sein, wie sich die Deutsche Bank mit den Vorwürfen auseinandersetzen wird.
Allgemein scheint es mir nicht ratsam, weiterhin mit dieser eigentümlichen Mischung aus Beleidigtsein und Arroganz auf Kritik zu reagieren.
Zu der mit großem Aufwand angekündigten Kommunikationsoffensive der privaten Banken gehört doch mehr als bunte Bilder von edlen Bankern und dankbaren Kunden, nämlich auch die Bereitschaft zu Transparenz und Offenheit.
- Das sind sie noch lange nicht.
Auf die Verbesserung von Transparenz und die Beschränkung von wettbewerbsfeindlichen Machtkonzentrationen in der deutschen Wirtschaft zielt der von der SPD-Fraktion vorgelegte Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes. In den letzten Jahren wurde unermüdlich über den Standort
Deutschland und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft debattiert - eine Debatte, die sich hauptsächlich auf Faktorkosten, Steuern und Infrastruktur konzentrierte.
Dabei leidet die deutsche Wirtschaft heute nicht primär unter angeblich zu hohen Löhnen oder Lohnnebenkosten, sondern sie leidet unter einer wettbewerbs- und innovationsfeindlichen Verflechtung und Verkrustung.
Die Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft, die sich in der Innovationskrise manifestieren, werden durch den Strukturkonservatismus einer geschlossenen Gesellschaft angestellter Manager geschaffen und gefördert. Durch ein dichtes Netz von wechselseitigem Anteilsbesitz haben sich die Unternehmensverwaltungen der führenden deutschen Wirtschaftsunternehmen vor Wettbewerb, Kontrolle und Haftung wirkungsvoll abgeschottet.
Ein Herrenklub nur mittelfristig orientierter Manager kontrolliert die Kerngesellschaften des deutschen Finanzsektors und die meisten börsennotierten Großunternehmen.
Potentielle Wettbewerber, die nicht zum Club gehören, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, müssen sich mit systematischen Wettbewerbsbeschränkungen auseinandersetzen. Im Frühjahrsgutachten 1994 der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute kritisieren die Wirtschaftsweisen wörtlich „vom Staat geschaffene oder geduldete Monopole und Kartelle in Teilen der Finanzwirtschaft". Nach Auffassung der Institute liegen hier „dringend zu lösende Aufgaben für die Wettbewerbspolitik. "
Ein Beispiel aus der Praxis: Die Allianz ist an der Münchener Rückversicherung AG mit 25 %) beteiligt. Die Münchener Rück ist umgekehrt an der Allianz ebenfalls mit 25 % beteiligt. In das gegenseitige Einflußgeflecht wird beispielsweise die Dresdner Bank eingewoben, die zu rund 40 % direkt oder indirekt von der Allianz und von der Münchener Rückversicherung kontrolliert wird und selbst jeweils 10 % an diesen Gesellschaften hält. Daneben ist die Allianz direkt mit 10 % an der Deutschen Bank beteiligt, während die Deutsche Bank 10 % an der Allianz und 10 % an der Münchener Rückversicherung hält. Gleichzeitig besitzt die Allianz 25 % an der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank, die wiederum an der Allianz und an der Münchener Rückversicherung beteiligt ist usw.
In den wechselseitig verflochtenen Unternehmen findet ein Wettbewerb um Führungspositionen kaum noch statt. Die Unternehmensverwaltungen haben sich vor Kontrolle durch die Eigentümer und Haftung für Fehler fast vollständig abgeschottet. Aktionäre
Hans Martin Bury
gelten als lästig und müssen in den Hauptversammlungen ertragen werden. Zur Entlastung braucht man sie nicht. Die Verwaltungen entlasten sich jeweils gegenseitig.
Im Mittelpunkt dieses Netzwerks befinden sich die deutschen Großbanken, bei denen es durch die Kombination ihrer Funktionen als Kreditgeber, Anteilseigner, Aufsichtsratsmitglieder und schließlich als Stimmrechtsvertreter der Aktionäre durch das sogenannte Depotstimmrecht zu einer erheblichen Einflußkumulation kommt.
Die Hauptversammlungen fast aller großen Publikumsgesellschaften in Deutschland werden heute von den Großbanken dominiert. So bestimmten im Jahr 1992 die Banken auf Grund ihrer eigenen Beteiligungen, der Stimmen von bankabhängigen Tochtergesellschaften wie Investmentunternehmen und der von ihnen durch das Depotstimmrecht vertretenen Aktionäre in den Hauptversammlungen der 24 größten deutschen Publikumsgesellschaften mit durchschnittlich 84,09 % die Geschicke der Unternehmen.
Noch deutlicher wird die Verselbständigung der Unternehmensverwaltungen, wenn man sich die Hauptversammlungen der fünf größten deutschen Aktienbanken - Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank, Bayerische Vereinsbank und Bayerische Hypo-Bank - betrachtet. Bei den Hauptversammlungen dieser fünf Banken im Jahr 1992 verfügten diese jeweils gemeinsam über die Mehrheit der vertretenen Stimmen. Die Stimmrechtsanteile bewegten sich zwischen 55 % in der Hauptversammlung der Deutschen Bank und 64 % in der Hauptversammlung der Dresdner Bank.
Das „old boys' network" funktioniert wie geschmiert.
- Schauen Sie sich die Untersuchungen der Universität Osnabrück an, Herr Hinsken. Wir können gerne über die Zahlen diskutieren. Diese Abschottung ist jedenfalls innovationsfeindlich und schadet dem Standort Deutschland. Wo Wettbewerb um Führungspositionen, Kontrolle und Haftung für Fehler praktisch ausgeschlossen sind, werden Kreativität und Innovationen nicht gefördert.
Selbstblockade!)
In der von der SPD-Fraktion beantragten Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Bundestages am 8. Dezember 1993 zur Macht von Banken und Versicherungen bestätigte im übrigen der Präsident des Bundeskartellamtes wörtlich, daß der starke Einfluß der Banken auf die deutsche Wirtschaft „tendenziell innovationsfeindlich" sei.
Eine im letzten Herbst vorgelegte empirische Studie der Universität Mannheim - Herr Hinsken, Sie bekommen noch eine Menge Zahlen -
hat zudem bestätigt, daß Wirtschaftsunternehmen, die in erheblichem Maße von Kreditinstituten dominiert werden, weniger erfolgreich sind als bankenunabhängige Unternehmen - so das Ergebnis der Studie von Professor Perlitz. Sie wachsen langsamer, verdienen weniger und haben höhere Finanzierungskosten als bankenunabhängige Unternehmen.
Die Studie hat für viel Aufsehen gesorgt. Vertreter des Bundesverbandes Deutscher Banken reagieren allergisch und ungewohnt emotional, wenn sie auf die Perlitz-Studie angesprochen werden; sonderbar nur, daß den hochdotierten Research-Abteilungen der Banken und ihrer Verbände noch keine sachliche Widerlegung der Perlitzschen Ergebnisse eingefallen ist, so daß sich die Banker, ebenso wie manche Politiker, bislang auf Polemik beschränken müssen.
Kein Wunder, daß ausländische Beobachter und potentielle Investoren spöttisch von der „Deutschland AG " sprechen und lieber in einen anderen, transparenteren Finanzmarkt investieren. In kaum einer anderen Marktwirtschaft herrscht eine derartige wechselseitige Verflechtung wie bei uns. Nirgends sonst herrscht eine solche Intransparenz. Kaum sonst würden Manager einer Aktiengesellschaft auch nach Fehlleistungen oder regelrechtem Mißmanagement in den Hauptversammlungen mit einem Ergebnis von fast 100 % entlastet werden.
Wie sagte schon Hermann Josef Abs von der Deutschen Bank treffend: Es ist schwieriger, ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied haften zu lassen, als eine Sau am eingeseiften Schwanz festzuhalten.
In Deutschland kann ein Manager auch nach einer Aneinanderreihung verschiedener Pleiten und Pannen mit einem beeindruckenden Entlastungsergebnis rechnen - gut für die Betroffenen, schlecht für den Finanzmarkt Deutschland und die deutsche Wirtschaft.
Es ist kein Wunder, daß der Finanzplatz Deutschland im Vergleich zur wirtschaftlichen Stärke unseres Landes unterentwickelt ist. Setzt man den Marktwert des an der Börse gehandelten Kapitals in Relation zum Bruttosozialprodukt, so ergibt sich für Deutschland eine Kennzahl von 0,24, d. h., die Börsenkapitalisierung beträgt 24 % des Bruttosozialprodukts. Damit liegt Deutschland nach Einschätzung von Fachleuten außerhalb des Bereichs, in dem sich die Länder des zivilisierten Teils der Welt bewegen. Für Großbritannien, die Schweiz, Japan oder die USA ergeben sich Werte, die mindestens dreimal, teilweise sogar fast fünfmal so hoch sind.
Natürlich haben Banken Macht. Wer das leugnet, sagt nicht die Wahrheit.
Hans Martin Bury
So Alfred Herrhausen bereits 1979. Heute reagieren die Banker sensibel, wenn es um den Begriff Bankenmacht geht. Die Banken und ihre Interessenverbände sprechen lieber von Verantwortung. Das Wort Macht klinge zu sehr nach Mißbrauch, so Hilmar Kopper in seiner Festrede zum 125jährigen Jubiläum der Deutschen Bank. Die Banker sind empfindlich geworden bei einem Thema, das sie vor kurzem noch als eine Art Ungeheuer von Loch Ness verspotteten, das immer wieder einmal auftauche und ebenso schnell wieder verschwinde.
Wenn eine Bank aber zugleich Anteilseigner und Kreditgeber einer Aktiengesellschaft ist, diese Bank auf Grund ihres eigenen Anteils und der von ihr durch das Vollmachtsstimmrecht vertretenen Stimmen in der Hauptversammlung dieser AG eine dominierende Rolle spielt und dann ein Vorstandsmitglied dieser Bank auch noch im Aufsichtsrat der AG sitzt, vielleicht sogar als Aufsichtsratsvorsitzender - Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und tatsächlichen Begebenheiten wären nicht ganz zufällig, sondern durchaus beabsichtigt -, dann ist der Einfluß dieser Bank auf die Aktiengesellschaft so groß, daß wir hier von Macht sprechen.
Vertreter der Banken und ihrer Verbände verweisen dann gebetsmühlenhaft darauf, daß eine konkreter Mißbrauch nicht nachgewiesen werden könne. Der Versuch, die Frage von Einfluß und Macht der Banken in eine Diskussion um einen möglichen Mißbrauch umzuwandeln, führt allerdings in die Irre. Hier geht es um die Frage der Legitimität, der ordnungspolitischen und gesellschaftspolitischen Zielsetzung.
Otto Schlecht, lange Jahre Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und heute Vorsitzender der nicht übermäßig SPD-nahen Ludwig-Erhard-Stiftung, betonte am 6. April 1995 in einem Kommentar in der „Wirtschaftswoche", daß im Gesellschaftsrecht das Wettbewerbsprinzip gefördert werden müsse, einerseits durch verstärkte Kontrolle der Vorstände von Kapitalgesellschaften durch die Anteilseigner, andererseits durch Begrenzung des übermäßigen und wechselseitigen Einflusses weniger. Schlecht weiter:
Bei unvoreingenommenem Urteil ist einerseits evident, daß Großbanken in unserer Wirtschaftsordnung wichtige Funktionen erfüllen und vor allem bei Unternehmenssanierungen eine entscheidende Rolle spielen. Andererseits gehört der industrielle Anteilsbesitz im Zusammenhang mit der universalen Geschäftskumulation auf den ordnungspolitischen Prüfstand.
Aus Sicht der Unternehmensverwaltungen und der Großbanken hat es natürlich noch keinen Mißbrauch der dominierenden Position der Banken auf die deutsche Wirtschaft gegeben. Aber fragen Sie doch einmal die Aktionäre von Daimler-Benz, denen durch das Abstimmungsverhalten der Banken in der Hauptversammlung im Dezember 1993 bei der Entscheidung über die Sonderausschüttung der EK-56-
Rücklagen ein Betrag von rund 300 DM pro Aktie vorenthalten wurde.
Oder fragen Sie die Aktionäre der Metallgesellschaft und deren als Folge des Beinahe-Zusammenbruchs entlassene Arbeitnehmer, wie sie die Versäumnisse der Aufsichtsorgane empfinden. Die Banken versuchen sich gerade im Fall Metallgesellschaft gerne als noble Retter in Szene zu setzen. Im nachhinein wurde viel getan, um den angeschlagenen Konzern zu retten. Dafür gebührt all denen, die dazu beigetragen haben, auch den großen deutschen Banken, Dank. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß zuvor Fehler gemacht wurden. Immerhin hat der amerikanische Nobelpreisträger und Chicagoer Wirtschaftsprofessor Merton Miller in einem vielbeachteten Gutachten die Auffassung vertreten, daß das Desaster der Metallgesellschaft erst durch eine „Panikreaktion" des Aufsichtsrats der Metallgesellschaft verursacht worden sei.
Erst dadurch seien Buchverluste in echte Verluste umgewandelt worden.
Oder fragen sie mittelständische Unternehmen. Sie sollten nicht immer nur mit den angestellten Funktionären des Bundesverbandes der Deutschen Industrie reden, der sich selber als befreundeter Verband des Bankenverbandes bezeichnet. Fragen Sie einmal mittelständische Unternehmer, was diese von der Macht der Banken halten.
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft hat unsere Gesetzesinitiative ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere:
Der Mittelstand begrüßt insbesondere die SPD-Forderung nach einer Beschränkung des Beteiligungsbesitzes der Banken an branchenfremden Unternehmen.
So heißt es wörtlich in einer Pressemitteilung des Verbandes vom 27. Januar dieses Jahres. - Der BVMW-Hauptgeschäftsführer Dieter Härthe schreibt weiter:
Für die Volkswirtschaft insgesamt, aber gerade auch für die Wettbewerbssituation kleiner und mittlerer Unternehmen wirkt sich die enge Verquickung von Großbanken und Konzernen eindeutig negativ aus.
Andere Mittelstandsvereinigungen sehen das genauso. Der Europaverband der Selbständigen argumentiert in die gleiche Richtung.
Selbst Herr Bregger, Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, teilt unsere Positionen.
Er fordert u. a. eine „weitgehende Abschaffung" des Depotstimmrechts, eine Beschränkung des Einflusses der Banken auf die Unternehmen, die Reduzierung der Aufsichtsratsposten pro Person und eine Verschärfung von deren Haftung.
Hans Martin Bury
Herr Hinsken, liebe Kolleginnen und Kollegen, diejenigen unter Ihnen, die der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU angehören oder nahestehen, müssen nicht warten, bis ihre Parteispitze von den Frankfurter Bankern endlich gesagt bekommt, was sie eventuell verändern darf. Wenn Sie Maßnahmen zur Beschränkung der Bankenmacht in der deutschen Wirtschaft und damit auch eine Stärkung der Finanzierungsmöglichkeiten des Mittelstands wollen, dann stimmen Sie einfach unserem Gesetzentwurf zu.
Meine Damen und Herren, mit dem Transparenz- und Wettbewerbsgesetz, über das wir hier in erster Lesung beraten, will die SPD die Einflußkumulation bei den Banken und - was nicht nur Herr Lambsdorff immer gerne übersieht - auch bei den eng mit den Banken verbundenen Versicherungsunternehmen wirksam beschränken,
Transparenz, Kontrolle und Haftung entscheidend verbessern und damit die wettbewerbs- und innovationsfeindliche Verflechtung der deutschen Wirtschaft verringern.
Die Beteiligungsmöglichkeiten der Banken und Versicherungen an branchenfremden Unternehmen werden auf maximal 5 % beschränkt. Ausnahmen gelten ausdrücklich für Beteiligungen zum Zwecke von Sanierung und Wagnisfinanzierung; denn natürlich brauchen Unternehmen in Sanierungsfällen auch die Unterstützung von Kreditinstituten. Darüber gibt es keinen Dissens.
Dank der jüngsten Veröffentlichung des Bundesverbandes deutscher Banken, der Studie „Erhebungen zu Anteilsbesitz und Aufsichtsratsmandaten", die vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist, wissen wir nun allerdings aus berufenem Munde, daß Sanierungsfälle bei neu eingegangenen Bankenbeteiligungen seltene Ausnahmen darstellen.
Unter den vom Bundesverband deutscher Banken untersuchten 73 Fällen, in denen Kreditinstitute zwischen 1989 und 1994 eine Beteiligung von mehr als 10 % an einem branchenfremden Unternehmen eingegangen sind, war nach Aussage des Bankenverbandes gerade mal ein einziger Sanierungserwerb. Unter den zwischen 1993 und 1994 vermeldeten 17 Käufen von Unternehmensanteilen zwischen 5 % und 10 % waren immerhin zwei Fälle von Sanierungserwerb.
Wer hier also davon spricht, daß die Beschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten negative Auswirkungen auf die Bereitschaft der Banken zu Sanierungserwerb hätte, der hat ein rührendes Bild von der helfenden Hand der Banken, das allerdings von deren eigenen Zahlen leider nicht bestätigt wird.
Nach meiner Auffassung bestätigt diese Studie unsere Einschätzung, daß Banken gerade deshalb so zurückhaltend bei der Bereitstellung von Sanierungs- und Wagniskapital sind, weil sie ihr Geld lieber bei einigen Großunternehmen parken.
Herr Lambsdorff wird nachher sicher wieder auf die Beteiligungspolitik der Westdeutschen Landesbank verweisen, obwohl die F.D.P. jetzt auch in Nordrhein-Westfalen gar nicht mehr gefragt ist. Ihnen wird nicht entgangen sein, daß Herr Neuber die Begrenzung des Beteiligungsbesitzes von Banken und Versicherungen nicht gerade begeistert zur Kenntnis genommen hat.
Unser Gesetzentwurf, Herr Lambsdorff, ist im Gegensatz zu Ihren üblichen Vorschlägen nicht nur auf bestimmte Gruppierungen gemünzt, sondern gilt für alle.
Im übrigen hat Herr Neuber unsere Vorschläge zur Verbesserung von Transparenz und Haftung u. a. in einem Interview mit dem „Manager-Magazin" ausdrücklich begrüßt. Ich zitiere:
Ich bin entschieden für mehr Offenheit. Beteiligungen und Aufsichtsratsmandate sind keine Geheimnisse ... Insoweit kann ich mich mit dem von der SPD vorgelegten Gesetzentwurf für mehr Transparenz und Wettbewerb in der Wirtschaft durchaus anfreunden.
In demselben Interview sagte er, daß die Macht der Banken nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Zitat:
Dann müßte beispielsweise auch die Macht der Versicherungen auf den Prüfstand.
Wir kommen dem nach.
Nun wird in der Diskussion, auch von Gerhard Schröder, immer wieder auf industriepolitische Aspekte verwiesen. Wir sind hier gesprächsbereit. Wenn die anderen Teile des Pakets umgesetzt werden, gibt es an dieser Stelle möglicherweise eher Spielraum.
Die Beteiligung von Banken und Versicherungen an Kapitalanlagegesellschaften wollen wir wegen der erheblichen immanenten Interessenkonflikte jedoch generell untersagen. Die Fonds der in Deutschland überwiegend bankeigenen Investmentgesellschaften beteiligen sich - das belegt erstmals eine an der Universität Osnabrück erarbeitete empirische Untersuchung - besonders dort, wo es den Interessen der Mutterbank dient. Gilt es eine Aktienemission der Mutterbank zu forcieren oder eine in Not geratene Unternehmensbeteiligung der Mutterbank zu stützen, ist die bankeigene Investmentgesellschaft zur Stelle. Daß dabei die Interessen der Kapitalanle-
Hans Martin Bury
ger schon einmal zu kurz kommen - die naiv davon ausgehen, daß die Fonds dort investieren, wo es sich am meisten lohnt, und nicht dort, wo es den Interessen der Mutterbank zugute kommt -, liegt auf der Hand.
Es ist interessant, daß die Deutsche DirektanlageBank, eine hundertprozentige Tochter der Bayerischen Hypo-Bank, in ihrem Werbeprospekt herausstreicht, daß die Direktanlage-Bank „einzig und allein Kundeninteressen verfolgt", weil die Direktanlage-Bank „keine eigenen Wertpapierbestände" unterhält. Herzliche Grüße an Herrn Martini!
Außerdem müssen wechselseitige Verflechtungen abgebaut werden; die Stimmrechte aus solchen Beteiligungen dürfen nicht mehr ausgeübt werden.
Zudem wollen wir die Aktionärsrechte entscheidend stärken. Hierzu gehören vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz und eine Verschärfung der Haftung von Organmitgliedern. Ein Bezugsrechtsausschluß ist nur noch höchstens einmal innerhalb von fünf Jahren zulässig. Die Gefahr einer Übervorteilung von Aktionären bei der Obernahme einer börsennotierten Gesellschaft durch ein anderes Unternehmen wird durch die Verpflichtung zu einem öffentlichen Übernahmeangebot an alle Aktionäre reduziert. Wenn ein Bieter 25 % oder mehr der stimmberechtigten Aktien einer börsennotierten Gesellschaft erwerben will, ist er verpflichtet, allen Aktionären ein Kaufangebot für ihre Aktien zu unterbreiten.
Das bisherige Vollmachtstimmrecht für Kreditinstitute wird durch die Einführung einer neuen, professionellen und unabhängigen Aktionärsvertretung ersetzt. Wirtschaftsprüfer und besonders qualifizierte andere Personen sollen in Zukunft in den Hauptversammlungen die Interessen der Aktionäre vertreten. Damit werden der immanente Interessenkonflikt der bisherigen Praxis einer Stimmrechtsvertretung durch Kreditinstitute und die daraus resultierende Einflußkumulation beseitigt, ohne daß die Gefahr sinkender Hauptversammlungspräsenzen besteht. In Zukunft kann damit jeder Aktionär frei darüber entscheiden, wem er die Vertretung seiner Interessen in der Hauptversammlung anvertraut.
Mit dieser vollkommen neuen Regelung haben wir die Ergebnisse der Anhörung des Wirtschaftsausschusses und der Gespräche auch mit Bankenvertretern aufgenommen. Die Vertreter der Banken hatten ja immer wieder betont, die Banken „kleben nicht am Vollmachtstimmrecht". Es müsse jedoch eine vernünftige Alternative zu der bisherigen Regelung geben.
Gut, diese vernünftige Alternative liegt jetzt vor.
Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre hat die im SPD-Gesetzentwurf vorgesehenen Schritte zur Stärkung der Aktionärsdemokratie ausdrücklich begrüßt.
In Frankfurter Bankzentralen und im Bonner Justizministerium wird nun offenbar darüber nachgedacht, ob man die Stimmrechtsausübung innerhalb der Bank auf ganz besondere - „von Weisungen unabhängige" - Mitarbeiter, sogenannte Stimmrechtsmandatare, übertragen soll. Herr Funke nickt.
Das ist keine überzeugende Vorstellung. Sie ist bestenfalls zur Beruhigung der kritischen Öffentlichkeit gedacht. Stellen Sie sich vor, wie unabhängig ein solcher Stimmrechtsmandatar in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft über die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden entscheiden würde, wenn dieser zufällig auch Vorsitzender seines Kreditinstituts und damit der eigene Chef ist. An den bestehenden Interessenkonflikten würde sich durch eine solche Regelung nichts ändern. Das ist reine Kosmetik, Augenwischerei.
Wir wollen die Zahl der Aufsichtsratsmandate auf maximal fünf pro Person begrenzen, wobei das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden doppelt zählt. Die Ausübung von Aufsichtsratsmandaten in untereinander konkurrierenden Unternehmen wird untersagt.
Die Haftung von Wirtschaftsprüfern soll verschärft und ihre Unabhängigkeit von dem zu prüfenden Unternehmen verbessert werden. Die dauerhafte Tätigkeit von Wirtschaftsprüfern bei ein und demselben Unternehmen wird auf maximal fünf Jahre begrenzt.
Schließlich soll die Rechtsform des wirtschaftlichen Vereins abgeschafft werden. Der Status eines wirtschaftlichen Vereins diente bislang in der Praxis oftmals zur Tarnung für profitable Wirtschaftsunternehmen oder sogar totalitäre Sekten, die sich so den allgemeinen Transparenz- und Bilanzierungspflichten zu entziehen vermochten. Für einen derartigen Sonderstatus besteht keine Rechtfertigung. Wer in der Praxis als Wirtschaftsunternehmen agiert, hat sich in Zukunft auch den dafür geltenden Vorschriften zu unterwerfen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf eines Transparenz- und Wettbewerbsgesetzes beseitigt Mißstände des aktuellen Wirtschaftsrechts. Der Finanzmarkt Deutschland wird internationalem Standard angeglichen, und damit werden die Voraussetzungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Das Netz wechselseitiger Verflechtungen wird abgebaut, der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch gestärkt und nicht geschwächt. Von einer Schwächung reden nur diejenigen, die an der Bewahrung des Status quo ein erhebliches Interesse haben,
die Mitglieder des Herrenclubs, der die Deutschland
AG verwaltet. Wir wollen dieses Kartell abbauen.
Wettbewerbshemmnisse, mit denen sich vor allem
Hans Martin Bury
kleine und mittlere Unternehmen tagtäglich in Deutschland auseinandersetzen, werden abgebaut. Die Voraussetzungen für die Risikokapitalversorgung werden verbessert.
Wenn die Wirtschaftsordnung unseres Landes tatsächlich der optimalen Bedürfnisbefriedigung der Menschen dienen soll, bedarf sie neben staatlicher Zielvorgaben und entsprechender Rahmenbedingungen auch der Wiederherstellung ihrer Funktionsfähigkeit.
Das setzt voraus, daß die Vermachtung der deutschen Wirtschaft überwunden wird und strukturelle Hindernisse für Innovation und Wettbewerb beseitigt werden. Dazu bedarf es einer Zurückführung der Aktivitäten der Kreditinstitute auf ihre originären Geschäfte.
„Die Banken haben sich einfach zuviel zugetraut", kommentierte „Die Welt" - wahrhaftig kein Blatt, dem man sozialdemokratische Ansichten nachsagen kann - am 28. Januar 1995 geradezu mitfühlend. Weiter heißt es:
An der Aufgabe, eine komplette Volkswirtschaft zu lenken, sind schon ganze Staaten gescheitert. Das Geschäft, das Kreditinstitute beherrschen sollen, ist die Vergabe von Krediten. Doch sie wollen auch die Immobilienbranche durchschauen, im Ölgeschäft mitmischen und ganze Industriekonzerne sanieren. Viele Banker haben inzwischen eingesehen, daß sie damit überfordert sind.
Zumindest gab es einsichtige Banker. Alfred Herrhausen formulierte einst:
Jede Machtposition, sei sie auch akzeptabel, begrenzt und gefährdet, kann mißbraucht werden. Gehen die Banken mit der ihnen zur Verfügung stehenden Macht denn wirklich verantwortungsbewußt um? Mit dieser zweifelnden Frage meldet sich eine sensible Öffentlichkeit zu Wort. Die Frage ist zu Recht gestellt und sollte auch nicht verstummen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit, diese Frage zu beantworten und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Die Regierungskoalition ist entweder unwillig oder unfähig, die offenkundigen und inzwischen eingestandenen Herausforderungen anzugehen.
Wenn Sie es nicht wollen, sagen Sie es hier offen. Wenn Sie es nicht schaffen, stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Er bringt uns bei der Wiederherstellung von Transparenz und Wettbewerb ein erhebliches Stück weiter, zum Nutzen des Industriestandortes und Finanzplatzes Deutschland und der Menschen, die hier leben und arbeiten.