Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 89. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung bitte ich den Herrn Schriftführer, die Abwesenheitsliste zu verlesen.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Winkelheide, Dr. Edert, Morgenthaler, Dr. Dresbach, Dr. Pferdmenges, Frau Rösch, Birkelbach, Jahn, Behrisch, Dr. Brill, Dr. Bergstraeßer, Graf, Lohmüller, Frau Albertz, Ruhnke, Loritz, Krause, Dr. Gülich, Agatz, Nuding. Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Dr. Kopf, Mensing, Dr. Müller , Hilbert, Frau Brauksiepe, Dr. Henle, Dr. Frey, Arnholz, Dr. Baade, Troppenz, Wagner, Kuhlemann, Niebergall, Harig, Dr. Friedrich, Dr. Middelhauve, Frau Schroeder (Berlin), Dr. Suhr, Neumann. Außerdem fehlen die Abgeordneten Renner, Reimann, Rische, Vesper, Müller (Offenbach) und Fisch.
Meine Damen und
Herren! Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung — CDU, SPD, FDP und Deutsche Partei — habe ich eine Partei vergessen aufzuzählen?
und Zentrum soll die Beratung der Getreidepreisverordnung, also Punkt 3 der Tagesordnung, auf morgen verlegt werden, weil offenbar der Ausschuß die Angelegenheit noch nicht ganz für entscheidungsreif hält. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich habe dann folgende amtlichen Mitteilungen zu machen:
Der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Nordrhein-Westfalen, Lübke, hat mit Schreiben vom 29. September unter Bezugnahme auf die einschlägigen Bestimmungen der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen sein Bundestagsmandat niedergelegt. Wir bedauern, daß unser verehrter Kollege Lübke aus unserer Mitte ausgeschieden ist.
Abgeordneter Dr. Mießner hat mit Schreiben vom 5. Oktober mitgeteilt, daß er seinen Austritt aus der Gruppe DRP erklärt habe.
Die Fraktion der FDP hat seinem Antrag auf Aufnahme als Hospitant stattgegeben.
Mit Schreiben vom 5. Oktober hat Abgeordneter Dr. Friedrich mitgeteilt, daß er mit sofortiger Wirkung aus der Fraktion der FDP ausgeschieden ist
und dem Bundestag als unabhängiger Abgeordneter angehört
— Meine Damen und Herren! Ich habe noch sechs Punkte zu verlesen. . . .
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 22. September beschlossen, hinsichtlich des vom Deutschen Bundestag in seiner 82. Sitzung verabschiedeten Gesetzes zur Änderung des Konsulargesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zu verlangen.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat am 21. September die Anfrage Nr. 112 der Abgeordneten Bodensteiner und Genossen betreffend Förderung der Versuchsarbeiten zur Ausnutzung der Windkraft — Drucksache Nr. 1301 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 1390 verteilt.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat weiter die Anfrage Nr. 113 der Abgeordneten Strauß und Genossen betreffend Verstärkung der Arbeitslosigkeit unter den Schwerbeschädigten durch Fortsetzung der Demontage — Drucksache Nr. 1313 — beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 1410 vervielfältigt.
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 26. September die Anfrage Nr. 116 der Abgeordneten Paul , Dr. Mommer, Lausen und Fraktion der SPD betreffend Instandsetzung der Bundesstraßen Nr. 35 und Nr. 10 — Drucksache Nr. 1331 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 1402 verteilt.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat am 8. September einen Bericht über die Verwaltungsbauten des Bundes in Bonn gegeben, der als Drucksache Nr. 1394 verteilt werden wird.
Der Ältestenrat hat einer Bitte des Herrn Bundesarbeitsministers entsprochen und beschlossen, die Vorlagen, bei denen seine Anwesenheit erforderlich ist — d. h. die Tagesordnungspunkte 4, 6 und 8 der heutigen Sitzung —, nacheinander zu behandeln und sie zwischen Punkt 2 und 3 der Tagesordnung einzuschieben. Das Haus ist damit einverstanden.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, WAV und Zentrum betreffend Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Artikel 44 des Grundgesetzes .
- Es ist die neu formulierte Drucksache, die ich Sie zur Hand zu nehmen bitte.
Ich habe mich zu korrigieren: unter den Parteien, die zusammen diesen Antrag stellen, befindet sich natürlich auch die Bayernpartei.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sauberkeit der Staats- und Parlamentsführung ist eine wesent-
liche Voraussetzung für die Demokratie, wenn sie das Vertrauen des Volkes haben will.
Der Weimarer Republik, die sich doch bemüht hat, die öffentlichen Dinge im Geiste der Reinlichkeit zu behandeln, hat es überaus geschadet, daß einzelne Skandale von staatsfeindlichen Elementen in bewußter Hetze gegen die Idee der Demokratie ausgenützt worden sind. Wenn deshalb der Vorwurf der Unlauterkeit, der Korruption oder Bestechung in der jungen deutschen Bundesrepublik auftaucht, so müssen wir ihm nachdrücklich und scharf nachgehen, aus welcher Quelle er auch immer kommen mag.
In einem Presseorgan ist die Behauptung wiedergegeben worden, daß in der Hauptstadtfrage an Abgeordnete aller Fraktionen etwa 2 Millionen DM gezahlt worden seien, wobei Namensnennungen erfolgten. Es handelt sich hier um den schwersten Vorwurf, der einem Volksvertreter gemacht werden kann, nämlich daß er seine Entscheidungen nicht gemäß seinem Gewissen trifft, sondern gemäß den Zuwendungen von Interessenten. Dieser Vorwurf berührt die Ehre und die Stellung des ganzen Bundestages. Daher haben sich alle Fraktionen des Bundestags darauf geeinigt, den zunächst von der Bayernpartei gestellten Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß Art. 44 des Grundgesetzes als einen gemeinsamen Antrag einzubringen.
Dieser Ausschuß soll sich aus 15 Mitgliedern zusammensetzen, unter Ausweitung auf je 1 Mitglied derjenigen Fraktionen, die in den 21er-Ausschüssen vertreten sind. Der Ausschuß soll in Permanenz tagen und seine Aufgaben so fördern, daß möglichst in zwei, höchstens in drei Wochen das Ergebnis feststeht. Jedes Mitglied dieses Ausschusses wird sicherlich in Erkenntnis der folgenschweren Bedeutung dieses Untersuchungsausschusses die Angelegenheit keineswegs unter parteitaktischen oder parteipolitischen Gesichtspunkten beurteilen, sondern so, wie es das Ansehen des gesamten Bundestags erfordert, denn es geht schließlich um die Sauberkeit in der wichtigsten Einrichtung der Demokratie, der Volksvertretung. Gerade weil die Parteien beim Volk keineswegs besonders beliebt sind, sollte der Ausschuß bei seinen Überlegungen die schärfsten Maßstäbe anlegen.
Um aber nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß nun die Parteien vielleicht diese Angelegenheit unter sich erledigen wollten, sollen die Verhandlungen des Ausschusses in voller Öffentlichkeit stattfinden.
Bei den Überlegungen genügt es keineswegs, festzustellen, ob etwa strafrechtliche Tatbestände erfüllt sind, sondern es ist zu prüfen, ob die Abgeordneten den hohen Anforderungen an Moral und Haltung, die man von Volksvertretern verlangen muß, genügt haben. Der Bundestag müßte gegebenenfalls Mittel und Wege finden, um Abgeordnete, die sich zwar nicht strafrechtlich, aber moralisch vergangen haben, aus seiner Mitte auszuschließen.
Dazu wäre es erforderlich, daß der vor einiger Zeit beschlossene Ehrenrat durch Fertigstellung seiner Ehrenordnung funktionsfähig wird.
Es muß bei der Behandlung dieser Angelegenheit beim Volk der Eindruck entstehen, daß es dem Parlament ernst ist: volle Aufklärung zu schaffen und jeden Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn die Angelegenheit in diesem Geiste behandelt wird, dann werden die Feinde der Demokratie keinen Anlaß zu Angriffen auf sie haben; denn ein Parlament, das die Stärke hat, sich nötigenfalls selbst zu reinigen, wird unter Mitwirkung einer verantwortungsvollen Presse gestärkt aus der Angelegenheit hervorgehen und beim Volk nur an Ansehen gewinnen.
Ich bitte daher, dem Antrag zuzustimmen und den Ausschuß in der beantragten Form einzusetzen.
Ich eröffne die Aussprache.
— Ehe ich dem Abgeordneten Paul das Wort erteile, frage ich das Haus, ob die Redezeit bei dieser Aussprache beschränkt werden soll.
Ich mache den Vorschlag, daß die Gesamtredezeit auf 60 Minuten begrenzt wird. — Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Paul.
Meine Damen und Herren! In Anbetracht der Wichtigkeit der Angelegenheit beantrage ich, die Zahl der Mitglieder des Ausschusses auf 27 erhöhen zu wollen.
Dieser Antrag stellt einen Abänderungsantrag zu dem Antrag der vereinigten Fraktionen dar. Da keine weiteren Wortmeldungen zu erfolgen scheinen, schließe ich die Aussprache und lasse zunächst über diesen Abänderungsantrag abstimmen. Wer dafür ist, daß der Ausschuß nicht aus 15, sondern aus 27 Mitgliedern besteht, der möge dies durch Handzeichen kundgeben. — Außer den Antragstellern offenbar niemand. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.
Nun lasse ich über den Antrag, der eben begründet worden ist, abstimmen. Wer für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses in der beantragten Weise ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Gegenprobe! — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Nunmehr haben wir die Mitglieder dieses Untersuchungsausschusses zu wählen. Die Fraktionen, die nach dem Schlüssel, den Sie kennen, in diesem Ausschuß vertreten sein werden, haben folgende Personen vorgeschlagen:
CDU/CSU: die Abgeordneten Dr. Dr. Lehr, Vertreter: Dr. Ehlers; Brese, Vertreter: Gerns; Dr. Semler, Vertreter: Dr. Krone; Dr. Weber , Vertreter: Schmitt (Mainz); Horn, Vertreter: Nellen; Dr. Solleder, Vertreter: Dr. Horlacher; Dr. Schröder, Vertreter: Kemper;
SPD: Die Abgeordneten Dr. Arndt, Dr. Menzel, Wönner, Dr. Mommer, Heiland, Seuffert; Vertreter sind hier nicht benannt;
FDP: die Abgeordneten Neumayer und Dr. Blank ;
DP Abgeordneter Matthes;
BP: Abgeordneter Dr. Etzel , Vertreter: Dr. Decker;
WAV/Z: Abgeordneter Dr. Reismann, Vertreter: Schmidt .
Ich eröffne die Aussprache zu dieser Liste. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache. Wer dafür ist, daß der Untersuchungsausschuß mit diesen Herren besetzt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Vielleicht könnten wir uns schon darüber unterhalten, wer ,diesen Untersuchungsausschuß zu seiner konstituierenden Sitzung einberufen soll. Ich schlage vor, daß dies durch den Abgeordneten geschieht, der an der Spitze der Liste steht, Herrn Dr. Lehr, und bitte ihn — ich glaube, daß ich das in Ihrer aller Namen tun kann —, den Ausschuß noch möglichst heute zu seiner Konstituierung einzuberufen.
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Behandlung von Anträgen der KPD-Fraktion (Nr. 1403 der Drucksachen).
Berichterstatter ist der Abgeordnete Ritzel.
Meine Damen und Herren, es handelt sich hier um die Interpretation der Geschäftsordnung, und zwar ist § 119 der Geschäftsordnung die gesetzliche Grundlage dieser Beratung und Abstimmung. Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Ritzel zur Berichterstattung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Präsident des Deutschen Bundestages hat, gestützt auf § 119 der Geschäftsordnung, den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität um eine Interpretation gebeten zu einem Beschwerdeschreiben der kommunistischen Fraktion bzw. des für die Fraktion zeichnenden Herrn Abgeordneten Kohl. Dieses Beschwerdeschreiben vom 29. August hat folgenden Wortlaut:
Herr Dr. Geisler teilte meiner Fraktion mit, daß auf Anweisung des Herrn Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, Professor Carlo Schmid, die Einbringung von Anträgen deshalb nicht möglich sei, weil durch den Ausschluß einiger Fraktionsmitglieder die erforderlichen zehn Unterschriften nicht vorhanden seien. Gegen diese willkürliche, auf rein persönlichen Erwägungen des amtierenden Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid beruhende Anordnung erheben wir schärfsten Protest und betonen mit aller Deutlichkeit, daß in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages keine Handhabe für eine solche Maßnahme zu finden ist. Wir sehen in diesem undemokratischen Verhalten einen weiteren Versuch der Mundtotmachung und verlangen, daß die willkürliche Entscheidung des Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid entsprechend den Grundsätzen der Geschäftsordnung dahingehend geändert wird, daß die von unserer Fraktion bereits eingereichten Anträge geschäftsordnungsmäßig im Bundestag behandelt werden. Insbesondere verlangen wir, daß die bereits von uns eingerechten Anträge auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung des Bundestages gesetzt werden.
In der Sitzung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität, die sich mit dieser Beschwerde befaßte, konnte sich der anwesende Beschwerdeführer, Herr Abgeordneter Kohl, an Hand der Aktendarstellung, die ich als Berichterstatter zu geben hatte, davon überzeugen, daß der Teil seiner Beschwerde, wonach die Entscheidung des Präsidiums auf rein persönlichen Erwägungen des amtierenden Vizepräsidenten Professor Carlo Schmid beruhe, den Tatsachen nicht entspricht. sondern daß nach dem Akteninhalt eher das Gegenteil der Fall war.
Die Aufgabe des Ausschusses bestand darin, zu prüfen, ob die Annahme des Beschwerdeführers berechtigt sei, wonach die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages keine Handhabe für eine solche Maßnahme enthalte. Die Maßnahme selbst besteht darin, daß das Präsidium des Bundestages bestritt, daß eine Fraktion, die nicht mehr die in der Geschäftsordnung vorgesehene Fraktionsstärke besitzt, in der Lage sei, entsprechende Anträge als Fraktion einzubringen. Die Reduzierung der Zahl der Abgeordneten der kommunistischen Fraktion durch die verschiedenen Ausschlüsse hat unzweifelhaft zu einer Verminderung geführt, die die Frage der Antragsberechtigung als Fraktion im Sinne der Geschäftsordnung aufwerfen mußte. Es lagen in dem Moment der Beschwerdeführung eine ganze Anzahl von Anträgen der kommunistischen Fraktion vor, die sich sämtlich an den Bundestag richteten und im Plenum des Bundestages zu behandeln gewesen wären.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat in gewissenhafter Durchforschung der Rechtslage folgende Feststellung getroffen:
Es existiert zu § 49 der Geschäftsordnung eine Anmerkung zu Abs. 2, die wesentlicher Bestandteil der Geschäftsordnung ist. Diese Anmerkung, die zweifellos der Aufmerksamkeit des Herrn Beschwerdeführers und seiner Freunde entgangen sein dürfte, hat folgenden Wortlaut:
Der zeitweise Ausschluß eines Abgeordneten
von den Sitzungen behindert den Abgeordneten in dieser Zeit auch, rechtsgültig Anträge zu stellen, die ihre Erledigung im Plenum finden.
Damit war nachgewiesen, daß die Beschwerde des Herrn Abgeordneten Kohl und seiner politischen Freunde jeder Rechtsgrundlage entbehrte und daß die Haltung des Präsidiums des Deutschen Bundestages sich vollkommen mit den Bestimmungen der Geschäftsordnung deckte. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat einstimmig beschlossen, mich zu beauftragen, im Plenum zu beantragen, diese Beschwerde der kommunistischen Fraktion bzw. des Herrn Abgeordneten Kohl zurückzuweisen, und zwar gestützt auf die Anmerkung zu § 49 Abs. 2 der Geschäftsordnung.
Die Antragsberechtigung der Herren, die in der kommunistischen Fraktion zusammengeschlossen sind, wird in dem Moment wieder entstehen, in dem die Frist für den Ausschluß des einen oder anderen Abgeordneten abgelaufen und die übliche Fraktionsstärke wieder erreicht sein wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Auch hier schlage ich Ihnen vor, die Redezeit zu beschränken. Da es sich im wesentlichen um eine Interpretation der Geschäftsordnung handelt, werden nach meinem Dafürhalten 40 Minuten für die Gesamtaussprache genügen. Ist das Haus einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Herr Abgeordneter Gundelach hat das Wort.
Meine Damen und Herren!
Meine Fraktion kann sich den Standpunkt, der hier von dein Berichterstatter des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität vertreten worden ist, nicht zu eigen machen. Er selbst hat in seinem Bericht erklären müssen, daß man sich auf eine Bemerkung zu einem Paragraphen der Geschäftsordnung bezieht, und wir stehen eben auf dem Standpunkt, daß nicht diese Bemerkung das Entscheidende sein darf, sondern daß der jeweilige einzelne Paragraph der Geschäftsordnung heranzuziehen ist, woraus die Rechte, die dem einzelnen Abgeordneten genommen werden, wenn er aus diesem Hause ausgeschlossen wird, hergeleitet werden können. Dieser Paragraph, nach dessen Bestimmungen den Abgeordneten bestimmte Rechte aberkannt werden, wenn sie aus diesem Hause ausgeschlossen sind, besagt ganz genau, wieweit ihre Rechte eingeschränkt sind. Das beschränkt sich auf die Teilnahme an den Tagungen des Plenums, an den Ausschußsitzungen, auf den Entzug der Diäten und der Fahrkarte. Wenn das in einem Paragraphen ausdrücklich festgehalten ist, dann können wir nicht verstehen, daß eine Bemerkung Anwendung finden darf, die lediglich aus der im ehemaligen Reichstag üblichen Regelung hergeleitet ist.
Aus diesen Gründen sind wir der Auffassung, daß es sich hier um eine gegen unsere Fraktion gerichtete Willkürmaßnahme handelt, und lehnen den Beschluß des betreffenden Ausschusses ab.
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist gegen die Stimmen der kommunistischen Fraktionsangehörigen angenommen.
Nunmehr rufe ich Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzes zur Anpassung der Rente der Arbeiter an die Rente der Angestellten .
Hier schlägt Ihnen der Ältestenrat für die Einbringung 10 Minuten und für die Gesamtaussprache 60 Minuten vor. — Kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Den vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 1328 haben wir deshalb eingereicht, weil wir eine Anregung zur Lösung eines Problems geben wollen, das uns außerordentlich wichtig erscheint. Unser Antrag besagt, daß die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen möge, wonach
1. der jährliche Grundbetrag für die Rente der Arbeiter dem Grundbetrag für die Rente der Angestellten angepaßt wird,
2. der jährliche Steigerungsbetrag für die Rente der Angestellten dem Steigerungsbetrag für die Rente der Arbeiter angepaßt wird.
Meine Herren und Damen, damit wird zum Ausdruck gebracht, daß wir die Lösung dieses Problems darin sehen. daß für die Berechnung der Renten sowie der Witwen- und Waisengelder in der Invaliden- und Angestelltenversicherung die gleichen Voraussetzungen geschaffen werden sollen.
Ich nehme nicht an, daß alle Mitglieder dieses Hauses darüber orientiert sind, nach welchen Voraussetzungen die Rentenberechnung erfolgt, und ich möchte sie deshalb ganz kurz skizzieren, um Ihnen zu zeigen, wie verschiedenartig die Berechnung bei gleicher Beitragsleistung ist und wie sehr wir uns deshalb überlegen sollten, eine andere Lösung zu finden. Die Beitragsleistung für die Invaliden- und für die Angestelltenversicherung ist für beide Gruppen, für Arbeiter und Angestellte, seit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz 10 % des Lohns oder des Gehalts, während vorher, aber auch für beide Gruppen gleich, 5,6 % des Lohns aufgewandt werden mußten. Die Beiträge von 5,6 % wurden damals, bei der Schaffung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes, auf 10 % heraufgesetzt, um die durch dieses Gesetz verbesserten Leistungen gewähren zu können. Ich betone also nochmals ganz klar und ausdrücklich: der Beitrag für die Invaliden- und Angestelltenversicherung war und ist auch heute derselbe.
Man sollte aus dieser Tatsache eigentlich den Schluß ziehen, daß sich damit für die Arbeiter und Angestellten auch der Anspruch auf die Anwendung der gleichen Voraussetzung für die Berechnung der Renten ergeben müßte. Dem ist aber nicht so. Während der Grundbetrag, auf dem sich jeweils eine Rente aufbaut, bei der Angestelltenversicherung 444 DM ist, sind es bei der Invalidenversicherung nur 156 DM. Während der Steigerungsbetrag bei der Invalidenversicherung auf Grund der gezahlten Beiträge 1,2 % beträgt, werden bei der Angestelltenversicherung nur 0,7 % Steigerungsbeträge berechnet.
Es ist ganz selbstverständlich, daß sich bei einer solchen unterschiedlichen Berechnung auch unterschiedliche Leistungen bei der Rentenzahlung ergeben, die unseres Erachtens nicht tragbar sind. Bei einer kürzeren Versicherungsdauer sind die Angestelltenversicherten begünstigt, bei einer längeren Versicherungsdauer sind es die Invalidenversicherten, die begünstigt sind. Wir alle kennen die Klagen der Angestelltenversicherten mit langen Versicherungszeiten. Gerade diese Tatsache ist mit ein Grund gewesen, der uns geleitet hat, diesen Antrag einzubringen, um den durchaus berechtigten Klagen der Angestellten Rechnung zu tragen.
Wir sind uns auch darüber klar, meine Herren und Damen, daß diese Unterschiedlichkeit in der Berechnung nur aus der geschichtlichen Entwicklung unserer Sozialversicherung zu begreifen ist. Würden wir heutigen Tages vor die Aufgabe gestellt werden, eine neue Sozialversicherung zu schaffen, so würde es keinem Menschen auch nur einfallen, solche Vorschläge zu machen. Die Zeit
würde es gar nicht gestatten, und wir sollten deshalb diesen Gedanken nicht zur Ruhe kommen lassen, hier einer gerechten Lösung das Wort zu reden. Durch das Sozialversicherungsanpassungsgesetz ist es uns gelungen, zwei der großen sozialen Ungerechtigkeiten abzuschwächen. Einmal war es die Gewährung des Anspruchs der Witwe eines Invalidenversicherten auf Witwenrente ohne jede Voraussetzung, wie es bei der Witwe des Angestelltenversicherten ist; zum andern war es die Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit für Invalidenversicherte schon bei 50 % statt wie bisher bei 66 2/3 % Erwerbsbeschränkung, wenn auch - und ich möchte das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen — der festgesetzte Stichtag immer wieder erhebliche sozialpolitische Bedenken aufkommen läßt.
Wir haben damals im Wirtschaftsrat das Sozialversicherungsanpassungsgesetz mit großer Mehrheit verabschiedet, und wir würden uns freuen, wenn es uns auch bei diesem Antrag gelänge, zu einer Beratung zu kommen, durch die dieses Problem gelöst würde. Ich bitte deshalb, meine Herren und Damen, diesen Antrag nicht mit der Vertröstung auf eine spätere Reform der Sozialversicherung auf die Seite legen zu wollen. Wir würden dafür kein Verständnis haben, weil wir meinen, daß diese augenblickliche Regelung nicht gerecht ist. Ich möchte mich heute auf versicherungsmathematische Erörterungen nicht einlassen. ich muß auch gestehen, daß ich das nicht kann, weil wir diese versicherungsmathematischen Unterlagen, die wir schon vor längerer Zeit von der Bundesregierung angefordert haben, noch nicht bekommen haben. Aber ich möchte noch einmal zum Ausdruck bringen, daß diese Frage für uns keine versicherungsmathematische, sondern eine sozialpolitische Frage ist
und daß diese Regelung, die wir herbeizuführen wünschen, für beide Gruppen sozialpolitisch fortschrittlich sein muß. Es ist uns allen bekannt, daß die augenblickliche Situation der Rentenversicherungsträger äußerst schwierig ist, und wir wissen, daß bei den Erwägungen sehr vorsichtig und sehr gründlich überlegt werden muß. Aber trotzdem, meine Herren und Damen, halten wir es für notwendig, daß wir uns mit dieser Frage befassen.
Ich bitte, unseren Antrag dem Ausschuß für Sozialpolitik überweisen zu wollen.
Das Wort hat der herr Arbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit diesem Antrag der Sozialdemokratischen Partei wird ein Problem angesprochen, daß uns im Arbeitsministerium schon seit einem Jahr größte Sorgen macht. Bei uns handelt es sich nicht in erster Linie darum, für die beiden Versicherungsträger unbedingt gleiche Grundlagen herbeizuführen, sondern vielmehr darum, daß man den Invaliden und den Alten mehr geben kann, als das seither möglich war. Wir wissen nur zu gut, daß wir in sehr kurzer Zeit zu einer Neuordnung der Renten kommen müssen, wenn die Not in diesen Bevölkerungsschichten auch nur annähernd gemildert werden soll. Wir dürfen dabei eins nicht vergessen: die Versicherungsträger im Bundesgebiet haben durch die beiden Weltkriege ungefähr 12 Milliarden Mark an Finanzgrundlagen verloren. Es ist seither noch kein Weg gefunden worden, diese verlorengegangene Kapitalgrundlage für die alten Renten irgendwie aus öffentlichen Mitteln zu ersetzen. Wir haben deshalb vom Arbeitsministerium aus den Antrag gestellt, daß vor allem jetzt bei der Regelung des Lastenausgleichs der Kapitalverlust der Sozialversicherungsträger mitgeregelt werden soll. Aber darüber hinaus werden wir nicht daran vorbeikommen, vom Finanzminister, d. h. vom Bund, zumindest einen Kapital- und Zinsendienst für die verlorengegangenen Kapitalien zu beanspruchen. Nur so werden wir in die Lage versetzt, auch nur einigermaßen gerechte Grundlagen für die zukünftigen Renten zu bekommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem gestellten Antrag soll die Grundrente in der Invalidenversicherung der in der Angestelltenversicherung gezahlten gleichgestellt werden. Hierbei darf man eins nicht übersehen: daß die Grundrente in der Invalidenversicherung als Staatszuschuß aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird, während in der Angestelltenversicherung auch die Grundrente aus den Beitragseingängen gedeckt werden muß. Wenn die Antragsteller ihren Antrag so verstehen, daß der Staat die Grundrente in der Invalidenversicherung aus Steuermitteln von 156 Mark im Jahr auf 444 Mark erhöhen soll, dann ist damit gesagt, daß der Invalidenversicherung in Zukunft aus Steuermitteln ein Mehr von 645 Millionen Mark jährlich gegeben werden soll. Ich kann mir vorstellen, daß man sich im Ausschuß noch über diese Dinge unterhält.
Wie die Frau Antragstellerin ganz richtig gesagt hat, ist das Verhältnis bei den Steigerungssätzen umgekehrt. Diese sind auf Grund versicherungsmathematischer Berechnungen nur auf die eingehenden Beiträge aufgebaut. Sie betragen in der Angestelltenversicherung 0,7 % von dem, was als Jahreseinkommen durch Beiträge gedeckt worden ist. Soll hier die Erhöhung von 0,7 % auf 1,2 % eintreten, dann bedingt das für die Angestelltenversicherung eine notwendige Mehreinnahme von 185 Millionen Mark. Da wir in der Angestelltenversicherung Staatszuschüsse irgendwelcher Art nicht kennen, müßten diese Gelder durch erhöhte Beiträge aufgebracht werden, oder es müßte beschlossen werden, daß der Staat aus Steuermitteln auch diese Beträge zu übernehmen hätte. Der Gesamtantrag wird dann eine weitere Belastung unseres Bundeshaushalts um 830 Millionen DM bringen.
Ich glaubte, dem Hohen Hause einmal einen derartigen Überblick geben zu müssen. Sie dürfen mir glauben, daß dieses ganze Problem mir mindestens ebensoviel Sorgen macht wie den einzelnen Abgeordneten und den Parteien dieses Hauses. Sie ersehen aus dem von mir Dargelegten, daß wir vor ungeheuer schweren Problemen stehen. Sie wissen, daß im Wirtschaftsrat zu Frankfurt bereits der Antrag gestellt und angenommen wurde, die versicherungsmathematischen Errechnungen für eine völlige Neugestaltung auf gesunder Grundlage für die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten zu beschaffen. Unsere versicherungsmathematische Abteilung ist tatsächlich in der ganzen Zeit auf diesem Gebiet tätig gewesen, und ich sage Ihnen, daß, wenn wir Er-
höhungen in der hier vorgesehenen Form durch erhöhte Beiträge erreichen wollen, wir den Beitrag, der zur Zeit 10 % beträgt, auf annähernd 16 % steigern müßten. Daraus ersehen Sie die Schwierigkeiten des gesamten Problems. Ich bin der Meinung, daß wir in der nächsten Zeit alles tun sollten, um dahin zu kommen, daß wir zum mindesten aus Steuermitteln erst einmal eine Sicherstellung des Kapitaldienstes und des Zinsendienstes für die 12 Milliarden erreichen. Dann wären, glaube ich, die ersten Grundlagen für eine wirkliche Gesundung unserer Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherungen, gegeben. Wir könnten dann die heute ganz bestimmt unzureichenden Renten wenigstens in etwa erhöhen.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Frau Kollegin Korspeter, die den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion begründete, hat mit Recht vorausgesetzt, daß die meisten Mitglieder dieses Hauses die Einzelheiten — und ich möchte hinzusetzen: auch das Endziel — dieses Antrages nicht kennen werden. Darum möchte ich gleich ganz deutlich zum Ausdruck bringen: es handelt sich hier wieder um einen der vielen Anträge zur Schaffung einer einheitlichen Rentenversicherung,
und zur Schaffung der Voraussetzungen für eine Vereinheitlichung der Rentenversicherungen.
Frau Kollegin Korspeter hat — und darüber freue ich mich, auch über die Zustimmung des Herrn Kollegen Richter — die Klagen der Angestellten so ganz besonders verstanden. Auch wir sind der Auffassung, daß die berechtigten Klagen der Angestellten in bezug auf die Auswirkungen der Steigerungsbeträge und die des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes schnellstens berücksichtigt werden sollten, daß eine gerechtere Lösung geschaffen werden müßte! Deshalb haben wir schon im September 1949 den Antrag auf Überprüfung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes gestellt. Wir sind allerdings mit der Vorrednerin und den Antragstellern nicht darin einig, daß dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz einen Fortschritt oder gar eine gerechte Lösung gebracht hätte.
Abgesehen von ,der Erhöhung der Mindestrente hat es gerade in bezug auf die hier als Fortschritt gepriesene Lösung hinsichtlich der Witwenrente ein ganz besonderes soziales Unrecht gebracht, indem es durch die damals aus finanziellen Gründen notwendige Einstellung eines Stichtages bei einer großen Anzahl von Witwen ein Gefühl ausgesprochener sozialer Ungerechtigkeit erwecken mußte. Es hat schon damals bei dem Anpassungsgesetz der Gedanke einer einheitlichen Leistung Pate gestanden, um die Voraussetzungen zu einer einheitlichen Rentenversicherung auf diesem Wege zu schaffen.
Die Frau Kollegin Korspeter hat gesagt, daß es sich hier um eine soziale Frage handele. Für den, der die Auseinandersetzungen um die einheitliche Rentenversicherung in der Fachliteratur und in der Presse verfolgt und mit offenen Augen liest, ist ganz deutlich erkennbar, daß es sich nicht um eine soziale, noch nicht einmal um eine sozialpolitische, sondern um eine organisatorische und urn eine hochpolitische Frage handelt. Nur als solche möchte ich auch diese Frage angesehen wissen. Der Herr Minister hat uns gesagt, daß dieser Antrag, wenn er verwirklicht werden sollte, eine solche Summe von Mitteln notwendig machte, daß an die Verwirklichung des Antrages unter Berücksichtigung der Lage des Bundes und seiner sozialen Verpflichtungen nicht zu denken sei. Ich möchte nur nebenher darauf aufmerksam machen, daß schon die Einreichung solcher Anträge ohne Deckungsgrundlage nach unserer Geschäftsordnung unmöglich ist.
Ohne mich in eine Spezialdebatte über diese Frage einzulassen oder sie gar zu eröffnen, möchte ich nur zu der Diskussion in ,der Öffentlichkeit, die leider von einem der namhaften Vertreter der Rentenversicherung, dem Präsidenten des Verbandes der Rentenversicherungsträger Ostermeyer, eröffnet worden ist, erklären, daß es nicht der Wahrheit und nicht den Tatsachen entspricht, wenn behauptet wird, daß aus den „Arbeitergroschen" — wie in einem Aufsatz des Herrn Präsidenten Ostermeyer gesagt worden ist — die Renten der Angestellten bezahlt worden seien. Vielmehr haben bis heute trotz unseres bereits im September gestellten Antrages die Rentenversicherungsanstalten noch keine klare Abrechnung über die Verwendung der Mittel der Angestelltenversicherung gegeben.
Bis 1945 sind erstaunlich hohe Überweisungen der Krankenkassen — bis zum 31. März 1945; seit dem Zusammenbruch waren es über 25 Milliarden — von der Angestelltenversicherung an die Landesversicherungsanstalten erfolgt. Darüber hinaus sind auch in Bayern, Hessen und Niedersachsen die Bankkonten mit Millionenbeträgen an die Landesversicherungsanstalten auf Veranlassung der Militärregierung übergegangen.
Mit Rücksicht auf diese absolut ungeklärte Frage und die Tatsache, daß sowohl der Antrag der Deutschen Partei zur Überprüfung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes als auch der Antrag zur Errichtung der Bundesanstalt für Angestellte und der Antrag, die mathematische Bilanz des Arbeitsministeriums als Voraussetzung vorzulegen — und da stehe ich im Gegensatz zu meiner Vorrednerin —, noch nicht erledigt sind, lehnt meine Fraktion auch die Überweisung an den Sozialpolitischen Ausschuß ab.
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Darlegungen des Herrn Bundesarbeitsministers kann ich mich als Sprecher meiner Freunde recht kurz fassen. Frau Kollegin Korspeter hat an die damaligen Verhandlungen im Wirtschaftsrat erinnert. Ich darf darauf auch Bezug nehmen und die damals Beteiligten daran Erinnern, daß wir bei den Erörterungen über dieses Problem sehr bald zu der Erkenntnis kamen, daß man sich bei der Aufbesserung der Renten nicht
für eine generelle Erhöhung der Grundrenten entschließen könne, sondern sich mit der Gewährung von Teuerungszuschlägen bescheiden müsse. Diese Erkenntnis war aus der einfachen Tatsache gewachsen, daß uns für eine wirklich vernünftige Überlegung der Frage einer Rentenerhöhung die notwendigen versicherungsmathematischen Unterlagen fehlten.
Ich will mich nicht in eine tiefere materielle Erörterung der Dinge einlassen, möchte aber der verehrten Kollegin Korspeter doch sagen: es ist, glaube ich, doch etwas einfach, wenn man aus der Tatsache, daß seit dem vorigen Jahre für die beiden Rentenversicherungsträger gleichhohe Beiträge erhoben werden, nun auch einfach pauschal schlußfolgern will, daß dann auch die gleichen Leistungen gewährt werden müßten. Ich glaube, dann müßte man sich doch auch etwas näher mit der strukturellen Zusammensetzung der beiden Rentenversicherungsträger beschäftigen; und die Erkenntnisse, die hier zu gewinnen sind, können wir nur erhalten, wenn wir in Kürze auch die vom Herrn Arbeitsminister erwähnte versicherungsmathematische Bilanz in Händen haben werden.
Uni zu diesen Erkenntnissen recht bald zu kommen, hat damals meine Fraktion im Wirtschaftsrat den Antrag auf Erstellung der versicherungsmathematischen Bilanz gestellt, der vorn Hause einmütig angenommen worden ist. Ich muß — an die Adresse der antragstellenden Fraktion gerichtet - schon sagen: es berührt etwas eigenartig, und man bekommt eine sonderbare Meinung von der Stellung eines solchen Antrages gerade im jetzigen Augenblick; denn auch die Antragsteller wissen genau, daß die versicherungsmathematische Bilanz für beide Rentenversicherungsträger in Kürze vorgelegt werden wird. Dann werden wir uns diese mit allem Verantwortungsbewußtsein ansehen müssen. Ich möchte nicht hoffen, daß wir dann zu Erkenntnissen kommen, die uns nicht erfreuen können. Zunächst bleibt abzuwarten, ob wir nach den Ergebnissen dieser Bilanz überhaupt, auf die Dauer gesehen, bei diesen Beitragssätzen die heutigen Leistungen werden aufrechterhalten können.
Wenn sich das als gegeben erweisen sollte, dann sind sicher alle verantwortungsbewußten Parteien durchaus bereit, über die Frage zu sprechen, inwieweit man die Leistungen der beiden Rentenversicherungsträger zu erhöhen in der Lage ist. Aber im gegenwärtigen Augenblick ist es völlig indiskutabel, über einen derartigen Antrag sachlich zu beraten, solange nicht diese Ergebnisse vorliegen.
Meine Freunde wollen den Antrag nicht gleich von vornherein generell und in Bausch und Bogen ablehnen. Wir müssen uns aber ebenfalls gegen eine Überweisung an den sozialpolitischen Ausschuß im gegenwärtigen Augenblick aussprechen und möchten von uns aus beantragen, diesen Antrag dem Bundesarbeitsministerium, also der Regierung, als Material zu überweisen, damit er bei den Überlegungen, die im Zusammenhang mit der versicherungstechnischen Bilanz anzustellen sind, mit einbezogen werden kann.
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Jeder, der sich ernsthaft mit Fragen der Sozialpolitik beschäftigt, hat große Sorge um unsere Rentenversicherung. Er weiß, daß diese Rentenversicherung notleidend ist, daß sie dringend einer Änderung bedarf, und zwar einer grundsätzlichen Änderung. Es darf nicht mit kleinen Mitteln daran herumgefeilt werden, sondern es müssen konstruktive Gedanken gebracht werden, die endlich diesen so wichtigen Versicherungszweig wieder in Ordnung bringen. Wir würden jedem, der einen solchen konstruktiven Plan bringt, unsere volle Zustimmung geben und unsere volle Mitarbeit zusichern. Der Antrag, der hier gestellt worden ist, kann aber zweifellos nicht als ein konstruktiver Plan bezeichnet werden. Man hat ein Teilproblem, und zwar das nach außen hin am angenehmsten klingende Teilproblem, herausgegriffen und alles andere beiseite gelassen und sich um alle anderen Dinge nicht mehr gekümmert, die aber notwendig sind. Dieses Teilproblem ist zweifellos sehr wichtig und sogar eines der wichtigsten. Aber wir können es nicht losgelöst von dem gesamten Fragenkomplex behandeln. Wir hätten gern unsere Unterstützung bei dem Drängen gegeben, hier eine Lösung zu schaffen. Wenn Sie einen Antrag gestellt hätten, der die Bundesregierung auffordert, eine konstruktive Lösung vorzuschlagen - es ist ja die Pflicht der Bundesregierung, das eines Tages zu tun —, dann hätten wir ihm unsere Zustimmung zweifellos nicht versagt. Wenn Sie die Bundesregierung aufgefordert hätten, die Grundlage, die mathematische Bilanz, von der hier wiederholt gesprochen worden ist, nun endlich vorzulegen — wir bedauern auch, daß es so lange dauert —, so hätten wir auch dem zugestimmt. Aber was Sie uns vorlegen, ist etwas ganz anderes. So leid es uns tut, darin können wir Ihnen nicht folgen. Denn Sie verpflichten durch diesen Antrag die Bundesregierung, das Bundesarbeitsministerium, ein ganz bestimmtes Gesetz, beschränkt auf einen kleinen Teilkomplex, vorzulegen, ohne die ganz gewaltigen finanziellen Schwierigkeiten zu berücksichtigen, die sich daraus ergeben werden. Der Herr Bundesarbeitsminister hat ja die Zahlen genannt, die hier in Frage kommen.
Wir sind um der Sache willen — so leid es uns tut — nicht in der Lage, diesem Antrage unsere Zustimmung zu geben, und müssen auch den Antrag auf Verweisung an den Ausschuß ablehnen; denn sie kann in diesem Falle zu nichts führen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in aller Offenheit zum Ausdruck bringen, daß mich die Diskussion nicht überrascht hat. Auf Grund der Erfahrungen, die wir in der letzten Sitzung machen mußten, wo Sie unsere Anträge zur Verbesserung der Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung usw. abgelehnt bzw. derart kritisch behandelt haben, haben wir wirklich nichts anderes erwartet.
Aber die Behauptung, die Frau Kollegin Kalinke aufgestellt hat, daß das Sozialversicherungsanpas-
sungsgesetz keinerlei fortschrittliche Gedanken in sich enthalten, keinen Fortschritt im Interesse der Versicherten darstellen würde, ist doch letzten Endes etwas zu weitgehend. Das Sozialversicherungsanpassungsgesetz hat nicht nur einen Zuschlag zur Rente von 15 Mark, bei Witwen 12 Mark, bei Waisen 6 Mark, sondern es hat auch erstmals in der Sozialversicherung eine Mindestrente van 50 Mark pro Monat gebracht. Weil man weiß, daß nach den alten Berechnungen von Grundbetrag und Steigerungsbetrag die Mindestrente in der Invalidenrente 20 Mark pro Monat betragen konnte, kann man schon sagen, daß im Vergleich zur damaligen Zeit immerhin ein gewisser Fortschritt festzustellen war. Daß auch die Arbeiterwitwe in Zukunft bei dem Tode ihres Ehemannes genau so wie jahrzehntelang die Witwe des Angestellten und die Witwe des Beamten endlich auch Anspruch auf ein Witwengeld hat, das hat erstmalig — zu unserer freudigen Überraschung — das Sozialversicherungsanpassungsgesetz gebracht. Daß auch der Arbeiter — ganz gleichgültig, ob es ein Facharbeiter ist, welches Handwerk er erlernt hat oder ob es ein angelernter oder ein ungelernter Arbeiter ist, ganz gleich, ob es sich um eine Arbeiterin oder auch um eine Putzfrau handelt -
bei 50 % Erwerbsunfähigkeit, genau so wie der Angestellte bei 50 % Berufsunfähigkeit, genau so wie der Beamte bei 50 % Dienstunfähigkeit Anspruch auf seine Rente hat, ist der dritte wesentliche Fortschritt durch dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz.
Ich glaube, die Damen und Herren, die hier im Hause vertreten sind und dem ehemaligen Wirtschaftsrat als Abgeordnete angehört haben, bedauern dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz insbesondere hinsichtlich dieser drei Grundsätze, die es in sich verankert, sicherlich nicht.
Nun wird weiter behauptet, daß man hier mit diesem Antrag einen weiteren Schritt zur Vereinheitlichung der Rentenversicherung zwischen den Arbeiterrenten und den Angestelltenrenten erreichen wolle. Wie liegt es denn da? Ursprünglich betrug der Beitrag pro Monat 5,6 %, den sowohl der Arbeiter wie der Angestellte von seinem Sozialversicherungsanpassungsgesetz ist der Beitrag sowohl für den Arbeiter wie auch für den Angestellten von 5,6 % auf 10 % erhöht worden, ganz gleich, ob es sich um einen Arbeiter oder um einen Angestellten handelt. Bei 200 Mark Monatslohn oder bei 200 Mark Monatsgehalt muß der Angestellte 10 %, also 20 Mark, einschließlich Arbeitgeberanteil, an Beiträgen zahlen. Diesen Satz hat auch der Arbeiter zu zahlen.
Nun frage ich Sic: Gibt es etwas Näherliegendes, Gerechteres und Vernünftigeres für jeden einfach denkenden Arbeiter und Angestellten, als daß ihm auch dementsprechend die Leistungen nach den gleichen Grundsätzen und in gleicher Höhe gewährt werden? So bin ich nicht verwundert darüber, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund den Antrag eingebracht hat, daß in der Invalidenversicherung der Grundbetrag auf 444 DM und in der Angestelltenversicherung der Steigerungsbetrag von 0,7 % erhöht wird, und daß die Deutsche Angestelltengewerkschaft, also die Gewerkschaft, die nur angestelltenversicherungspflichtige Mitglieder hat, den Antrag eingebracht hat, den Steigerungsbetrag in der Angestelltenversicherung dem Steigerungsbetrag in der Invalidenversicherung, also dem Betrag von 1,2 % anzupassen. Diese beiden Entschließungen, die Sie auch bekommen haben und von denen Sie genau so gut Kenntnis nehmen konnten, waren der Ausgangspunkt unseres Antrages. Ich hätte es gewünscht und ich wäre wirklich befriedigt gewesen, wenn Sie sich zu diesem Antrag positiv ausgesprochen hätten und wenn wir über ihn im Ausschuß für Sozialpolitik in bester Gemeinschaft diskutiert hätten.
Wenn hier von der Vereinheitlichung gesprochen wird, darf ich doch auf folgendes hinweisen. Der Länderrat der US-Zone hat einmal namhafte Sozialpolitiker aufgefordert, ein Gutachten über die Reform der Sozialversicherung zu erstatten. Ich habe es hier auf meinem Tisch liegen und kann es Ihnen zeigen, wenn es Sie interessieren sollte. In diesem Gutachten heißt es u. a.: „Die organisatorische Vereinigung der Invaliden- und Angestelltenversicherung begegnet keinen Bedenken, da es sich hierbei um gleichartige Versicherungszweige handelt." Zu diesen Gutachtern gehört auch der damalige Ministerialrat Dr. Sauerborn, der jetzige Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium.
Zum Schluß muß ich mich noch mit aller Entschiedenheit gegen die Behauptung der Frau Kollegin Kalinke wenden, daß die Träger der Invalidenversicherung — wenigstens habe ich sie so verstanden — quasi Mittel aus der Angestelltenversicherung für ihre Aufgaben verwendeten. Ich kenne die Verhältnisse in der Landesversicherungsanstalt Hessen. Ich weiß, daß für die Einnahmen und Ausgaben der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung getrennte Buchführung erfolgt und daß die Mittel in jeder Beziehung einwandfrei und nach kaufmännischen Grundsätzen verwaltet werden. Kraft eines hessischen Gesetzes ist die Landesversicherungsanstalt Hessen Treuhänder für die angestelltenversicherungspflichtigen Mitglieder von Hessen. Im Jahre 1945 war es die Landesversicherungsanstalt Hessen, die aus Mitteln der Invalidenversicherung, also aus Beiträgen der Arbeiter, monatelang die Renten für alle Angestelltenversicherungspflichtigen bezahlt hat.
Monatelang hat man die Mittel der Arbeiter zur Auszahlung der Angestelltenversicherungsrenten verwendet. Das war eine Selbstverständlichkeit, man mußte das tun; denn von Berlin, das der Sitz der Angestelltenversicherungsanstalt ist, konnten keine Mittel irgendwohinkommen. So hat es mich gefreut, daß die Landesversicherungsanstalt Hessen, die Invalidenversicherung der Arbeiter, monatelang diese solidarische, diese gegenseitige Hilfe geleistet hat. Ihr jetzt so den Dank abzustatten, halte ich nicht für angebracht. Ich verwahre mich hiergegen in aller Öffentlichkeit ganz entschieden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wir haben zunächst über den weitestgehenden Antrag abzu-
stimmen. Das ist der Antrag auf Überweisung des Antrags an die Regierung als Material.
— Ich bitte um Entschuldigung, ich habe mich geirrt. Der weitestgehende Antrag ist nach unserer alten Praxis der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß.
Es ist Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik beantragt. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Dann ist über den Antrag auf Überweisung an die Regierung als Material abzustimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -
Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit. Dieser Antrag ist angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Heimarbeitsgesetzes .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Einbringung 10 Minuten und für die Aussprache insgesamt 60 Minuten vor. Darf ich Ihr Einverständnis annehmen? — Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegt Ihnen heute das neue Heimarbeitsgesetz vor, ein Gesetz, welches wir bereits vor annähernd zwei Jahren im Wirtschaftsrat in Frankfurt beschlossen hatten. Es handelt sich hier darum, den Menschen, die als Heimarbeiter nicht in einem Arbeitsverhältnis wie der gewerbliche Arbeiter stehen, Schutzvorschriften zu geben, die sie vor Ausbeutung und vor ungerechter Behandlung schützen. Ich weiß, hier aus dem Haus wurde sehr oft Klage darüber geführt, daß dieses Gesetz nicht längst vorgelegt wurde. Ich darf Ihnen dazu sagen, daß wir den ersten Gesetzentwurf bereits im April dieses Jahres in der Bundesregierung verabschiedet haben. Es kamen dann sehr starke Bedenken seitens des Bundesrats. Wir mußten nachträglich alle die Bedenken und Anträge des Bundesrats behandeln. So ist es letzten Endes gekommen, daß wir erst heute mit der Vorlage des Gesetzes an Sie herantreten können.
Bei diesem Gesetz handelt es sich im wesentlichen darum, daß für die Fälle, in denen keine Tarifverträge zwischen den Heimarbeiterorganisationen und den Unternehmerorganisationen abgeschlossen werden können, Ausschüsse gebildet werden, die die Richtlöhne für die Heimarbeiter festlegen. Das hatten wir im früheren Heimarbeitsgesetz auch. Dennoch hat es nicht immer sein Ziel erreicht. Der einzelne Heimarbeiter wagt es in sehr vielen Fällen nicht, seine Rechtsansprüche geltend zu machen, weil er wirtschaftliche Folgen für seine zukünftige Beschäftigung fürchtet. Deshalb ist in diesem Gesetz vorgesehen, daß vom Staate aus Kontrollkommissionen eingesetzt werden, die nachprüfen, ob die in den Lohnordnungen festgelegten Entgelte auch tatsächlich gezahlt werden. Wenn die Auftraggeber trotz staatlicher Aufforderung ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, kann von der öffentlichen Hand für den Heimarbeiter die Klage durchgeführt und auch die Einziehung der ausstehenden Gelder vorgenommen
werden.
Sie sehen, es handelt sich um einen Gesetzentwurf für eine Gruppe von besonders hilfsbedürftigen Menschen in unserem Wirtschaftsleben. Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf in den Ausschüssen baldigst zu behandeln, so daß wir den Heimarbeitern die Schutzmöglichkeiten, die in diesem Gesetzentwurf vorgesehen sind, baldmöglichst gewähren können.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In dem uns nunmehr vorliegenden Heimarbeitsgesetz, das die SPD-Fraktion bereits mit Drucksache Nr. 75 im Oktober vorigen Jahres beantragt hatte, sollten nach dem fast einstimmigen Beschluß des Bundestages grundsätzlich die Bestimmungen des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Heimarbeitsgesetzes beachtet werden. Diesem Antrag hatte sich auch die CDU-Fraktion durch ihren Sprecher, Herrn Kollegen Karpf, im wesentlichen angeschlossen. Ich möchte zunächst betonen, daß das, was der Herr Arbeitsminister eben vorgetragen hat, nämlich daß in dem Heimarbeitsgesetz verschiedene Verbesserungen enthalten sind, auch von uns durchaus anerkannt wird. Aber zu unserer großen Überraschung müssen wir jetzt feststellen, daß in dem vorliegenden Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten nur eine Anhörung der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber vorgesehen ist, während in dem Gesetzentwurf des Wirtschaftsrats die Mitwirkung enthalten war. Unter Mitwirkung versteht man bekanntlich eine Zusammenarbeit zwischen den in Betracht kommenden Stellen in Form eines Meinungsaustauschs und einer gemeinsamen Regelung, also Mitbestimmung.
Gestatten Sie mir nun, auf § 5 Abs. 1 des Wirtschaftsratsgesetzes etwas näher einzugehen, in dem die Berufung der Beisitzer für die Heimarbeitsausschüsse behandelt ist. Dort ist vorgesehen, daß, wenn zuständige Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber nicht vorhanden sind, von der zuständigen Arbeitsbehörde auf Grund von Vorschlägen der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen sachkundige Personen berufen werden. Dagegen heißt es in dem uns vorliegenden Entwurf, daß die Beisitzer gegebenenfalls von der zuständigen Arbeitsbehörde nach Anhörung der Beteiligten für die Dauer von 3 Jahren berufen werden.
Meine Herren und Damen, es ist noch gar nicht so lange her, daß auch von dieser Stelle aus den Gewerkschaften wiederholt bestätigt wurde, daß sie selbst in den schwersten Zeiten der Nachkriegsjahre verantwortungsvoll gehandelt haben. Ich will jetzt nicht auf die Tendenz eingehen, die in diesem Gesetzentwurf mit dem Versuch der Einengung der gewerkschaftlichen Befugnisse zutage tritt. Insoweit aber werden auch Sie, meine Herren und Damen, mit mir einig gehen, daß gerade dort, wo keine tarifvertraglichen Vereinbarungen bestehen — infolge Fehlens zuständiger Sozialpartner —, der soziale Notstand und auch die von uns allen doch sicherlich nicht gewünschte Kinderarbeit am schlimmsten sind. Gerade für solche Gebiete ist es nach unserer Auffassung nicht zu verantworten, das Schicksal der Heimarbeiter drei Jahre lang nur der behördlichen Entscheidung zu überlassen, wie es in dem vorliegenden Entwurf vorgesehen ist. Wir halten es deshalb für unerläßlich und für selbstverständlich, daß die Gewerkschaften das
Vorschlagsrecht für die Beisitzer in den Heimarbeitsausschüssen bekommen. Aus den gleichen Gründen verlangen wir, daß die Zustellung der Heimarbeiterlisten an die Gewerkschaften, die im Gesetz des Wirtschaftsrats vorgesehen war, auch in das neue Gesetz hereingenommen wird.
In § 11. Abs. 2 des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetzes war vorgesehen, daß der Heimarbeitsausschuß zur Beseitigung von Mißständen, die durch ungleichmäßige Heimarbeit entstehen, die Arbeitsmengen festsetzen m u B. Meine Fraktion ist nicht der Meinung, daß, wie im vorliegenden Gesetzentwurf geschehen, hieraus eine Kann-Bestimmung gemacht wird. Da in Abs. 4 des gleichen Paragraphen dem Vorsitzenden des Heimarbeitsausschusses das Recht gegeben ist, aus wichtigen Gründen die Ausgabe größerer Arbeitsmengen auf einen Entgeltbeleg zu gestatten, sollten wir in Abs. 2 die Kann-Bestimmung in eine MußBestimmung umändern.
Abs. 2 des § 11 enthält aber noch eine weitere wesentliche Verschlechterung. Es heißt dort: „Für jugendliche Heimarbeiter ist die Arbeitsmenge gesondert festzusetzen." Meine Fraktion ist nicht der Auffassung, daß mit diesem lapidaren Satz der Schutz der Jugendlichen genügend gewährleistet sei. Wir halten es vielmehr für unbedingt notwendig, daß die im Gesetz des Wirtschaftsrats in § 11 Abs. 4 letzter Abschnitt enthaltene klare Fassung in das Heimarbeitsgesetz eingebaut wird, wonach bei der Bemessung der an jugendliche Heimarbeiter auszugebenden Arbeitsmengen die Arbeitszeitvorschriften des Gesetzes über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen zugrunde zu legen sind.
Was die in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Abschnitte über die Entgeltbestimmungen betrifft, so bedauern meine Freunde und ich sehr, daß die Verabschiedung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, das meine Fraktion mit Drucksache Nr. 525 bereits am 7. Februar 1950 beantragt hatte, im Ausschuß für Arbeit immer wieder verzögert worden ist, und zwar mit der Begründung, die in der Ausschußsitzung am 17. März gegeben wurde, daß die Bundesregierung den Entwurf für ein Heimarbeitsgesetz in ganz kurzer Zeit vorlegen würde und der Gesetzentwurf über die Mindestarbeitsbedingungen eben so lange zurückzustellen sei. Wäre dieses Gesetz rechtzeitig verabschiedet worden, dann, meine Herren und Damen, wäre es nicht mehr notwendig gewesen, in dem Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes Entgeltbestimmungen vorzusehen. Wir werden im Ausschuß auch diese Frage noch sehr eingehend diskutieren müssen.
Ganz eindeutig möchte ich hier mit Nachdruck feststellen, daß in der so spät erfolgten Vorlage des Heimarbeitsgesetzes durch die Bundesregierung die Ursache für die Verzögerung der gesetzlichen Regelung dieser beiden wichtigen sozialpolitischen Fragen liegt. Dadurch wurden große Kreise der Heimarbeiterschaft, die seit der Einbringung unseres Antrages im vorigen Jahre sehnlichst auf die gesetzliche Regelung ihrer Lohn- und Arbeitsverhältnisse warten, unnötig lange der Ausbeutung und Verelendung preisgegeben, weil ihnen Stundenlöhne bezahlt werden, die als Hungerlöhne bezeichnet werden müssen. Es ist leider keine Seltenheit, daß für Heimarbeit pro Stunde 20, ja sogar nur 15 Pfennig und noch weniger gezahlt werden.
Haben Sie sich, meine Herren und Damen, und
auch Sie, Herr Arbeitsminister, schon einmal überlegt, daß eine solche Heimarbeiterin, selbst wenn sie zwölf und mehr Stunden täglich arbeiten würde, eben doch nur auf einen Tagesverdienst von 1,80 bis 2,40 DM kommt? Will da etwa noch jemand bezweifeln, daß für diese Heimarbeiterin z. B. die Brotpreiserhöhung eine Lebensfrage ist?
Es liegen uns über das traurige Los der Heimarbeiter mancherlei Berichte vor. So haben unter anderem einige Unternehmer im Solinger Gebiet die schlechte Beschäftigungslage im vorigen Jahr ausgenützt, um die vereinbarten Löhne zu umgehen und einen Lohnabzug von 20 % bis 30 % vorzunehmen, indem sie den Heimarbeitern 50 Dutzend Scheren in Auftrag gaben, bei der Ablieferung aber nur 331/3 Dutzend bezahlten.
Wie ich nach uns gemachten Mitteilungen annehmen muß, sind diese unsozialen Verhältnisse auch der Bundesregierung durch ihr zugegangene Berichte seit langem bekannt. Es ist mir deshalb unverständlich, daß die Vorlage des Heimarbeitsgesetzes so lange verzögert wurde, zumal wenn man bedenkt, daß in dem vom Wirtschaftsrat mit großer Mehrheit oder, wenn ich nicht irre, sogar einstimmig beschlossenen Gesetz dem Bundesarbeitsministerium eine brauchbare Vorlage gegeben war.
Ich möchte nur wünschen, daß das Heimarbeitsgesetz, zu dessen Vorlage die Bundesregierung fast ein ganzes Jahr gebraucht hat, obgleich der Herr Bundesarbeitsminister damals die Dringlichkeit des Gesetzes anerkannte und die Vorlage in allerkürzester Zeit zusicherte, nun nicht auch im Ausschuß eine so lange Wartezeit durchmachen muß, sondern schnellstens behandelt und verabschiedet wird.
Meine Fraktion ist damit einverstanden, daß der vorliegende Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes an den Ausschuß für Arbeit überwiesen wird. Meine Fraktion erwartet aber gleichzeitig, daß der bereits im Februar ds. Js. an den Ausschuß für Arbeit überwiesene Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über die Mindestarbeitsbedingungen nunmehr ebenfalls sofort von dem Ausschuß verabschiedet wird.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, die Tagesordnung kurz zu unterbrechen. Der soeben eingesetzte Untersuchungsausschuß konstituiert sich um 17 Uhr im Zimmer 10 des Südflügels. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Ausschuß angehören, sich um 17 Uhr nach Zimmer 10 des Südflügels zu begeben.
Das Wort hat der Abgeordnete Karpf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie sich das Schicksal des Heimarbeiters weniger sichtbar vor der Öffentlichkeit abspielt, so scheint es das Schicksal der Heimarbeiterschutzgesetzgebung zu sein, daß sie erst nach vielen Schwierigkeiten zum Durchbruch kommt. Es dauerte lange, bis im sozialrechtlichen und arbeitsrechtlichen Schrifttum die Heimarbeiterfrage in ihrer ganzen, großen Bedeutung gesehen wurde. Und als dann der alte Reichstag nach fast zehnjähriger Beratung im Jahre 1911 das erste Heimarbeitsgesetz verabschiedete, stellte es deswegen keinen wirksamen Schutz dar, weil in ihm die Lösung der Kernfrage, nämlich die Entgeltfestsetzung und der Lohnschutz, fehlte.
Weithin ist man heute geneigt, den Umfang der Heimarbeit für nicht mehr so groß zu halten wie vor einigen Jahrzehnten. Aber selbst aus der Begründung der Regierung zu diesem Gesetzentwurf geht hervor, daß die Regierung die Zahl der Be-
schäftigten ohne die mitarbeitenden Familienangehörigen und Hilfskräfte auf 140 000 schätzt. Das bedeutet, daß sehr wahrscheinlich insgesamt über 300 000 Menschen in Westdeutschland mit Heimarbeit beschäftigt sind.
Die Lage der Heimarbeiter ist nicht nur um die Jahrhundertwende sehr schlecht gewesen, sondern es herrschen auch heute noch vielfach unbeschreibliche soziale Mißstände.
Nur dort, wo es gelungen ist, die Heimarbeiter in den Gewerkschaften organisatorisch zu erfassen — das ist bekanntlich nicht allzuleicht —, war es möglich, durch tarifrechtliche Regelungen eine sichtbare Besserung herbeizuführen.
Nachdem das erste Heimarbeitsgesetz bei weitem nicht genügte, versuchte in Ergänzung dazu das Heimarbeiterlohngesetz im Jahre 1923 durch Einführung der Fachausschüsse eine Verbesserung. Hier bot sich eine Möglichkeit; aber auch dieser Apparat war noch so schwerfällig, daß kaum sichtbare Erfolge erzielt werden konnten. Ich hatte die Möglichkeit, in einem solchen Fachausschuß mitzuarbeiten. Ich muß die erschütternde Erklärung abgeben, daß wir damals festgestellt haben, daß in einem verhältnismäßig kleinen Kreis, den wir erfassen konnten, innerhalb vier Wochen 30 000 Mark an Lohn von den an sich schon niedrig festgesetzten Löhnen zu wenig gezahlt waren.
Das Heimarbeitergesetz vom Jahre 1934, dessen Vorarbeiten in Erkenntnis dieser Zustände geleistet wurden, war eher geeignet, hier Ordnung zu schaffen. Es fehlte dann aber weithin infolge der Kriegs- und sonstigen Verhältnisse, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht einzugehen brauche, an der Durchführungsmöglichkeit.
Ich schildere diese Verhältnisse deswegen so eingehend, weil ich damit sagen will, daß nicht nur ein Gesetz, sondern auch seine Durchführung außerordentlich wichtig ist, und weil ich damit begründen will, daß auch die Durchführung dieses Heimarbeitsgesetzes nur dann gesichert ist, wenn alle Organe mitwirken, die dazu herangezogen werden können. Das sind neben den Körperschaften des öffentlichen Rechts in erster Linie auch die wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer und die Arbeitgebervereinigungen. Erst in jüngster Zeit — ich muß bestätigen, was meine Vorrednerin Kollegin Döhring soeben sagte — mußte ich feststellen, daß noch Löhne von 15 Pfennig für Strickarbeiten usw. bezahlt werden. Die Gefahr der Lohnunterbietung ist beim Heimarbeiter nach wie vor gegeben. Die Kinderarbeit, die in der Industrie Gott sei Dank beseitigt werden konnte, ist in der Heimarbeit noch weithin gang und gäbe. Eine geregelte Arbeitszeit kennt man kaum; sie hängt von einer geordneten Lohnregelung ab. Nicht durch gesetzliche Vorschriften über die Arbeitszeit, sondern durch eine geordnete Lohnregelung allein kann auch hier Ordnung geschaffen werden.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem ich anerkenne, daß er durch größere Klarheit und durch Hereinnahme der bei den Heimarbeitern beschäftigten fremden Hilfskräfte eine Verbesserung erfahren hat, fehlt aber leider die stärkere Mitwirkung der Gewerkschaften und der Arbeitgeberorganisationen. Ich muß namens meiner Freunde erklären, daß wir darauf bestehen müssen, daß alle Organe, die zur Durchführung des Gesetzes herangezogen werden können, wirklich mitbeteiligt werden. Das gilt insbesondere für die bereits eben genannte Einreichung der Listen. Es kann nicht genügen, wenn diesen Organisationen nur Einsicht gewährt wird, weil Einsicht in einem Gebiet, in dem zehn oder mehr Tausend Heimarbeiter sind, einfach nur eine theoretische Möglichkeit darstellt, um hier auf Abhilfe zu drängen. Deswegen muß im Gesetz die Möglichkeit geschaffen werden, diese Listen den beteiligten Organisationen auszuhändigen. Ferner ist die Frage zu prüfen, inwieweit die wirtschaftlichen Organisationen durch eigene tarifrechtliche Überwachungsstellen miteingebaut werden können.
Es ist auch in § 1 eine meines Erachtens gründlichere Differenzierung der Begriffe Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende zu finden. Wenn es dort heißt: Hausgewerbetreibender ist, wer als Gewerbetreibender mit seinen Familienangehörigen arbeitet, dann ist in der Praxis mit diesem Begriff sehr wenig anzufangen. Zu welcher Verwirrung es führt, mußten wir zu unserem Leidwesen in den letzten Wochen in den drei Ländern Bayern, Württemberg-Baden und Hessen feststellen. Dort hat man u. a. auf Grund auch dieser Auslegung herausgefunden, daß es sich hier um selbständige Gewerbetreibende handelt, die nicht mehr wie seither der Lohnsteuer unterliegen sollen, sondern zur Gewerbeumsatzsteuer heranzuziehen sind und bereits den ersten Einkommensteuerbescheid erhalten haben. Ein solches Vorgehen ist unmöglich. Es bedeutet eine noch weitere Kürzung des an sich schon. kärglichen Lohnes.
Ich schlage ebenfalls vor, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit überwiesen wird. Wir werden im Ausschuß für Arbeit auch unserseits die nur zum Teil von mir vorgebrachten Wünsche als Abänderungen in dieses Gesetz einzubauen suchen, um nach Jahrzehnten des Arbeitens an einem echten Heimarbeiterschutz ein wirklich brauchbares Instrument zu schaffen, um diesem großen, sozial so gedrückten Personenkreis die Hilfe und den Schutz angedeihen zu lassen, den er haben muß, damit die Löhne auf die Höhe gebracht werden, die eine Existenzmöglichkeit gewährleistet, und damit die so festgelegten Löhne — ob sie tarifrechtlich oder durch die hier einzubauenden Ausschüsse festgelegt werden — auch tatsächlich gezahlt werden.
Deswegen begrüßen wir es, daß in diesem Entwurf auch die Möglichkeit besteht, von seiten der öffentlichen Körperschaften bei den Gerichten im Namen der Heimarbeiter und an ihrer Stelle Klage zu führen, weil es eine bekannte Tatsache ist, daß die Heimarbeiter in ihrer sozialen Schwäche aus Furcht vor Entlassung nicht leicht in der Lage sind, ihre Rechte zu vertreten.
Ich möchte ferner noch einen Wunsch anfügen: wir müßten auch bei der Beratung des Gesetzes überlegen, ob und inwieweit es möglich ist, auch für die Heimarbeiter einen echten Kündigungsschutz einzuarbeiten, den sie leider bis heute entbehren, weil diese Heimarbeiter von Woche zu Woche, obwohl sie arbeitslosenversicherungspflichtig sind, vertröstet werden, bis sie wieder Arbeit erhalten und oft nach drei bis vier Wochen erst in die Lage kommen, nachdem sie so lange arbeitslos sind, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen.
Zu den Ausführungen der Vorrednerin bezüglich des Gesetzes über die Mindestlöhne darf ich doch freundlichst erwähnen, daß im Ausschuß beschlossen worden ist, diese beiden Gesetze gleichzeitig zu beraten. Wir bedauern es ebenso, daß dieses Gesetz, das seinerzeit im Wirtschaftsrat in Frankfurt verhältnismäßig rasch und meines Wissens ebenfalls einstimmig beschlossen worden ist, infolge der
uns hier geschilderten Schwierigkeiten so lange brauchte, um vorgelegt zu werden. Wir wollen im Bundestag nun unsererseits alles tun, um die an sich schon zu lange Frist, die dem Erscheinen des Gesetzes gestellt ist, durch möglichst rasche und gründliche Arbeit wieder wettzumachen, um den Heimarbeitern endlich den Schutz in ihrer Arbeit angedeihen zu lassen, dessen sie bedürfen und auf den sie seit Jahren vergeblich warten.
Das Wort hat der Abgeordnete Volkholz.
Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung heute ein Gesetz in erster Lesung vorgelegt hat, das besonders den ärmsten Teil unserer Bevölkerung und vor allen Dingen auch unsere Notstandsgebiete betrifft, Gebiete, die besonders unter der Weltabgeschiedenheit und Verkehrsferne leiden. Dieses Heimarbeitergesetz kann nicht als nebensächlich behandelt werden, da gerade die Heimarbeit in der heutigen Zeit gesamtwirtschaftlich von größter Bedeutung ist und an Bedeutung noch zunehmen wird. Ausgebombte Betriebe können ihre Produktion auch ohne den Aufbau neuer Fabrikationsstätten durch Verlegung auf Heimarbeit beginnen und damit die vorhandenen Mittel nur zur produktiven Arbeitsbeschaffung und zum Ankauf von Rohmaterial bereitstellen. Für Frauenüberschußgebiete und Flüchtlingsgebiete ist die Heimarbeit der erste Faktor zur wirtschaftlichen Versorgung dieser jetzt noch hauptsächlich auf Fürsorge angewiesenen Personengruppen. Die Bundesregierung muß deshalb außer der sozialen und arbeitsrechtlichen Regelung der Heimarbeit diese auch wirtschaftlich stützen. Wir denken hier an Steuervergünstigungen für die Heimarbeitindustrie. Desgleichen müssen besonders günstige und ausreichende Kreditbereitstellungen durch die Bundesregierung gesichert werden. Wir erinnern deshalb die Bundesregierung daran, nach diesem Heimarbeitergesetz, welches vorerst ein Sozialgesetz schafft, baldigst auch ein Schutzgesetz der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Existenz der Heimarbeiterbetriebe vorzulegen. Dabei ist auch an die Bevorzugung der Heimarbeiterindustrien bei Vergebung von Aufträgen des Bundes zu denken. Genau so darf die Heimarbeiterindustrie bei den Beratungen des zukünftigen Zolltarifgesetzes nicht vergessen werden. Auch hier werden wir darüber wachen, daß ein ausreichender Zollschutz für die Erzeugnisse unserer Heimarbeitsindustrie auf gestellt wird.
Mit dem vorliegenden Heimarbeitergesetz soll der Arbeitnehmer in der Hauptsache sozial sichergestellt werden. Aus diesem Grunde wollen wir den vorliegenden Entwurf in einigen Punkten ändern bzw. ergänzen.
Eine neue Bestimmung muß eingefügt werden, wonach ab einem Wochenverdienst von 20 DM für jeden einzelnen Heimarbeiter, gleichgültig ob er innerhalb einer Familie oder Hausgemeinschaft arbeitet oder nicht oder als Einzelarbeiter, die gesetzlichen Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung über Krankenversicherung, Invaliden- und Arbeitslosenunterstützung anzuwenden sind. Damit wollen wir aber ausdrücklichst betonen, daß keine Familienversicherung geschaffen werden soll, sondern jeder einzelne Arbeiter, genau so wie er für seine Arbeit in den Genuß seines Lohnes kommen muß, auch seine Arbeitslosenunterstützung erhält. Familienhilfe betrachten wir als unzulänglich und zu allgemein. Bei Witwen mit Kindern ist selbstverständlich Familienhilfe im Sinne der Reichsversicherungsordnung angebracht.
In Anbetracht des zur Zeit bestehenden Zustandes ersuchen wir die Bundesregierung, so bald als möglich den § 25 der Reichsfürsorgeverordnung abzuändern und für Heimarbeiter die Rückzahlungspflicht der öffentlichen Fürsorge abzuschaffen. Besonders liegt uns die Beseitigung der Sicherungshypotheken am Herzen. Ein großer Teil der Heimarbeiter setzt sich aus einer heimatverbundenen und kleinbesitzfreudigen Grenzbevölkerung zusammen. Diese Bevölkerung darf deshalb durch eine zweifelhafte Fürsorgepolitik und verhängnisvolle Sicherungshypotheken nicht entwurzelt werden.
Eine weitere Bestimmung muß festlegen, daß ein angemessener Freibetrag bei Fürsorgeunterstützungsempfang gewährt wird, um die Arbeitsfreudigkeit auch in einer Krisenzeit zu erhalten. Unser Ziel mit diesem Heimarbeitergesetz und mit unseren Abänderungsanträgen soll sein, den Heimarbeiter in den Genuß der Arbeitslosenunterstützung und der Arbeitslosenfürsorge zu bringen und damit schließlich auch den Bezirken, Gemeinden und Ländern hinsichtlich ihrer Fürsorgelasten eine Erleichterung zu verschaffen.
§ 11 Abs. 1 und 2 muß ergänzt werden. Der Heimarbeitsausschuß soll gehört werden, und beanstandete Erzeugnisse sollen durch Sachverständige überprüft werden. Der Unternehmer kann von sich aus keine Erzeugnisse ablehnen. Auftragsvergebungen an die Heimarbeiter können nur in Verbindung mit dem Ausschuß durchgeführt werden.
Im fünften Abschnitt muß eine Vorschrift aufgenommen werden, die besagt, daß in gewissen Betrieben, z. B. in Heimwebereien, periodisch ärztliche Untersuchungen vorzunehmen sind. Der derzeitige gesundheitliche Zustand gerade der Heimweber des unteren Bayerischen Waldes, eines Notstandsgebietes der deutschen Bundesrepublik, ist katastrophal und muß geändert werden. Ebenso stellen wir den Antrag auf Aufnahme der Heimarbeiter in die gesetzlichen Unfallberufsgenossenschaften.
Mit der Entgeltregelung nach § 17 sind wir nicht ganz einverstanden. Wir vertreten die Ansicht, daß Tarifverhandlungen grundsätzlich nur mit sämtlichen Betriebsangehörigen und Beteiligten durchgeführt werden können. Da in den meisten Fällen nicht alle bei der Gewerkschaft sind, kann den nicht organisierten Arbeitern nicht zugemutet werden, die Tarifabmachungen der Gewerkschaften anzuerkennen.
Nicht alle Tarifverträge gerade bei Stücklohnvereinbarungen der Gewerkschaften waren zufriedenstellend, da nicht jeder Funktionär der Gewerkschaft mit den verschiedenen Zweigen der Heimarbeit vertraut ist. Die Gewerkschaften sollen sich auf die Überwachung beschränken.
§ 21 muß genauer formuliert werden. Dem Unternehmer muß eine Abnahmeverpflichtung nach Auftragsvergebung auferlegt werden, um Schutz vor Augenblickskrisen zu gewähren. Dasselbe gilt für den Kündigungsschutz.
In den Strafbestimmungen des § 29 darf der Schutz der Jugendlichen vor Ausbeutung nicht vergessen werden.
Dies sind vorerst unsere Abänderungsanträge, die wir im Ausschuß für Sozialpolitik einbringen, an den wir den Entwurf zu überweisen bitten.
Vizepäsident Dr. Schmid: Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Herren und Damen! Größte soziale Mißstände in bezug auf Entlohnung und Arbeitsbedingungen bestehen im Heimarbeiterwesen. Das wurde hier von allen Fraktionen festgestellt, und dies könnte insofern als ein günstiges Vorzeichen für die Ausarbeitung des Heimarbeitsgesetzes betrachtet werden. Allerdings lenkt die Einstellung dieser Fraktionen, in deren Reihen sich ja die Unternehmer befinden, die für diese Mißstände verantwortlich sind, davon ab, daß sie eigentlich diese Verhältnisse geschaffen haben.
Die Heimarbeiter sind jene Schicht von Menschen, die infolge ihrer gesundheitlichen und häuslichen Verhältnisse gezwungen sind, sich ihren Lebensunterhalt durch Heimarbeit zu verdienen. Ganz besonders gilt das für alleinstehende oder mitarbeitende Frauen. In der Vorlage selbst und auch in den Ausführungen der Vorredner wurde darauf hingewiesen, daß 20-Pfennig-Stundenlöhne an der Tagesordnung sind. Das sind keine Einzelfälle, sondern das ist die Regel, und ich weiß, daß viele Löhne sogar noch darunterliegen. Ebenso selbstverständlich sind aber Kinderarbeit und Nachtarbeit an der Tagesordnung, weil das Einkommen unter normalen Arbeitsbedingungen zum Leben nicht ausreicht. Nun, diese Not wird von den Unternehmern weitgehend ausgenutzt, um den Tariflöhnen auszuweichen und auf die Betriebslöhne zu drücken. Insofern begrüßen wir dieses Gesetz, weil es die Möglichkeit bietet, den Heimarbeiter zu schützen.
Aber dieses Gesetz muß natürlich in seiner ganzen Anlage so sein, daß es auch wirklich den sozial schwachen Teil — das ist der Heimarbeiter — vor direkter und indirekter Ausbeutung schützt.
Ich möchte in den wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen, einige Grundsätze meiner Fraktion zu dieser Vorlage herausstellen.
Erstens: Voraussetzung ist die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen und Mindestlöhnen, da gerade hier die größten Gefahren der Ausbeutung bestehen.
Zweitens: auch wir sind der Auffassung, daß die weitestgehende, die maßgebliche Einschaltung und die Mitbestimmung der Gewerkschaften eine weitere Voraussetzung für eine wirklich soziale Arbeitsgestaltung sind. Bei der Bildung von Heimarbeitsausschüssen sind wir der Auffassung, daß hier die Gewerkschaften stärker eingeschaltet werden müssen und daß die paritätische Besetzung mit einem sogenannten unparteiischen Vorsitzenden, nämlich dem Vorsitzenden der Arbeitsbehörde, unter den jetzigen Bedingungen nicht dem Schutz des sozial schwächeren Teils dient, sondern dem Unternehmer nützt. Also auch hier sind wir der Auffassung, daß die Gewerkschaften stärker beteiligt werden müssen.
Drittens: wir wünschen die Ausdehnung der Arbeitsschutzgesetze auf die Heimarbeit und damit eine stärkere Kontrolle der Arbeitsbedingungen durch die Gewerbeaufsichtsämter, vor allen Dingen in der Hinsicht, daß die Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten werden.
Viertens: Ferienregelung und Kündigungsschutz wie bei den gewerblichen Arbeitnehmern! Und zum Schluß fordern wir, daß die Heimarbeit durch eine entsprechende Lohnregelung und durch die Verpflichtung zur Schaffung der gleichen Arbeitsbedingungen, wie sie in den Betrieben vorhanden sind, als vollwertige Arbeit anerkannt wird.
Dadurch wird auch verhindert, daß die Heimarbeit gegenüber den Tariflöhnen ausgespielt wird, und dadurch würden endlich menschenwürdige Verhältnisse bei den Heimarbeitern und ihren Familienangehörigen geschaffen.
Meine Fraktion wird bei den Ausschußberatungen ebenfalls entsprechende Änderungsanträge zu diesem Entwurf vorbringen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich für meine Fraktion auf die Feststellung beschränken, daß wir die Vorlage dieses Gesetzes begrüßen. Wir bejahen die Grundhaltung, die sich aus dem Gesetz ergibt, haben aber ebenfalls, wie die Vorredner, eine Reihe von Abänderungswünschen. Wir verzichten darauf, sie hier im einzelnen darzulegen; wir stimmen der Überweisung des Gesetzes an den Ausschuß für Arbeit zu.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Es ist der Antrag gesteilt, den Antrag an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung und des Entwurfs eines Gesetzes über die Wiederherstellung der Ehrenämter und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik (Nr. 1354 der Drucksachen).
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Arndgen als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem Ihnen in Drucksache Nr. 1354 vorliegenden Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik soll nach rund 16 Jahren die Verwaltung der Sozialversicherung wieder in die Hände der Beteiligten, d. h. in die Hände der Versicherten und der Arbeitgeber, gelegt werden. Die seit Schaffung der Sozialversicherung in den achtziger Jahren fest-
gelegte Selbstverwaltung bei den Sozialversicherungsträgern ist durch Gesetz vom 5. Juli 1934 beseitigt worden, und an Stelle der Selbstverwaltungsorgane wurde das Führerprinzip eingeführt. Dabei wurden die Befugnisse der früheren Selbstverwaltungsorgane den Leitern der Krankenkassen, den Päsidenten der Landesversicherungsanstalten und den Leitern der Unfallversicherung zugeordnet. Dem Kassenleiter, bzw. dem Präsidenten der Rentenversicherungsanstalt, war durch dieses Gesetz lediglich ein Beirat mit beratender Funktion zur Seite gestellt.
Das Bestreben, in der Sozialversicherung die Selbstverwaltung wieder einzuführen, wurde lebendig, als Mitte 1945 die im Jahre 1933 zerschlagenen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen sich wieder formieren und ihren Aufgaben nachgehen konnten. Allerdings standen durch die Tatsache der Aufteilung Deutschlands in vier Zonen mit unterschiedlicher politischer Zuständigkeit und mit den neugebildeten Ländern mit einem gewissen politischen Eigenleben bis zur Schaffung des Zweizonenwirtschaftsrats der Wiedereinführung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Erst nachdem beim Zweizonenwirtschaftsrat als letztes Amt ein solches für Arbeit mit Zuständigkeiten für die Sozialversicherung eingerichtet wurde, konnte der Versuch gemacht werden, wenigstens für das Gebiet des Zweizonenwirtschaftsrats die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wieder einzuführen. Das am 25. Mai 1949 vom Frankfurter Wirtschaftsrat auf diesem Gebiet verabschiedete Gesetz ist allerdings trotz Vorstelligwerden der Gewerkschaften vom Zweizonenkontrollamt nicht genehmigt worden. Lediglich in der französischen Zone ist in der Zwischenzeit durch Ländergesetz die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wieder verwirklicht worden.
Uns, dem Bundestag, ist nun die Aufgabe gestellt, für das Gebiet des westdeutschen Bundes die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung gesetzlich neu zu regeln. Zur Schaffung der notwendigen Gesetzesgrundlagen wurde dem Ausschuß für Sozialpolitik ein Initiativantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache Nr. 248 zugeleitet und außerdem in der 33. Sitzung dieses Hauses ein Regierungsentwurf, der sich ebenfalls mit der Wiedereinführung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung beschäftigt. Außerdem lagen dem Ausschuß für Sozialpolitik zu dem gleichen Thema der Antrag Drucksache Nr. 44 der Deutschen Partei sowie der Antrag Drucksache Nr. 301 der Abgeordneten Degener und Genossen und der Antrag Drucksache Nr. 1019 der Bayernpartei zur Beratung vor. Desgleichen sind dem Ausschuß und auch den Ausschußmitgliedern von den interessierten Organisationen und von den Sozialversicherungsträgern in vielen Zuschriften Anregungen zu den einzelnen Paragraphen der beiden Gesetzentwürfe übermittelt worden.
In der grundlegenden Konstruktion waren die beiden Entwürfe, sowohl der der SPD-Fraktion wie auch der Regierungsentwurf, angelehnt an das vom Wirtschaftsrat in Frankfurt am Main im vergangenen Jahre verabschiedete Gesetz, das allerdings nicht genehmigt wurde. In der Bestimmung „Besetzung der Organe bei den Versicherungsträgern" weichen die beiden Entwürfe allerdings weit voneinander ab. Während der SPD-Entwurf die Organe nur mit Versichertenvertretern besetzt wissen will, schlägt der Regierungsentwurf paritätische Besetzung der Organe vor. Unter Zugrundelegung des Regierungsentwurfs wie auch des Entwurfs der SPD-Fraktion und unter Berücksichtigung der vorhin genannten Anträge hat der Ausschuß für Sozialpolitik den Antrag Drucksache Nr. 1354 mit einem neuen Gesetzentwurf vorgelegt.
Wenn nun der Ausschuß für Sozialpolitik 18 Sitzungen und acht Monate benötigte, um zu diesem Ergebnis zu kommen, dann ist die Ursache dafür, daß es so lange dauerte, darin zu suchen, daß einmal im Ausschuß für Sozialpolitik wesentliche Meinungsverschiedenheiten zutage traben und zum anderen eine Unmenge Bestimmungen der RVO sowie eine große Anzahl sonstiger Gesetze, Verordnungen und Erlasse oder Teile derselben außer Kraft gesetzt, geändert oder dort, wo sie in einem Teile des Bundesgebiets noch nicht beseitigt waren, aufgehoben werden mußten, eine Arbeit, meine Damen und Herren, die sehr langwierig und sehr zeitraubend gewesen ist! In diesem Zusammenhang darf ich darauf verweisen, daß uns die Sachbearbeiter des Bundesarbeitsministeriums in dankenswerter Weise technische Hilfe geleistet haben.
Meine Damen und Herren! Nicht nur im Ausschuß des Bundestages waren die Meinungsverschiedenheiten groß, sondern auch der Bundesrat konnte bezüglich der Gesetzesformulierungen für die Wiedereinführung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung nicht zu einer einmütigen Auffassung kommen.
Dem Ausschuß für Sozialpolitik wurde eine Mehrheits- und eine Minderheitsauffassung des Bundesrates vorgetragen.
Ich gestatte mir, nur auf diejenigen der Ihnen nun vorliegenden Beschlüsse des Ausschusses einzugehen, die zu Formulierungenführten, welche sowohl von dem Regierungsentwurf wie auch von dem Entwurf der SPD-Fraktion abweichen. Dabei ist insofern im § 1 von dem Gedanken dieser beiden Entwürfe abgewichen worden, als die Ziffer 5 die Wahl von Versicherungsältesten für die Knappschaft zwingend vorschreibt, während für die Wahl von Versicherungsältesten in der Angestellten- und in der Invalidenversicherung nur eine Kannvorschrift vorgesehen ist. Dabei soll es den Satzungen dieser Versicherungsträger überlassen bleiben, ob in deren Bereich Versicherungsälteste gewählt werden sollen oder nicht. Der Ausschuß hat sich für diese Regelung enschieden, weil in der Knappschaft die Versicherungsältesten aus der jahrhundertealten Selbsthilfeorganisation des Bergbaus hervorgegangen sind und die Versicherungsältesten im Bergbau ihre Tätigkeit nicht unterbrochen haben.
In der Angestelltenversicherung wurde wohl bei Schaffung des Angestelltenversicherungsgesetzes im Jahre 1913 das Vertrauensmännersystem zwingend eingeführt, und zwar deswegen, weil diese Versicherung zentral organisiert war und nur eine Anstalt für das ganze damalige Deutsche Reich mit dem Sitz in Berlin bestand. Zwischen den Versicherten und dieser zentral gelegenen Anstalt waren bei der damaligen räumlichen
Trennung Verbindungseinrichtungen in Gestalt dieser Vertrauensleute notwendig. Seit 1945 sind aber die Aufgaben der Angestelltenversicherung von den Landesversicherungsanstalten übernommen und durchgeführt worden, so daß es zur Zeit kaum tunlich erscheint, die Versicherungsältesten in der Angestelltenversicherung wieder und in der Invalidenversicherung neu einzuführen. Dabei ist der Ausschuß weiter davon ausgegangen, daß in den letzten 15 Jahren eine große Fülle von Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Entscheidungen ergangen ist, die das Sozialversicherungsrecht außerordentlich unübersichtlich und kompliziert gemacht haben. Eine gründliche und langanhaltende Schulung der Versicherten wäre also notwendig, um diese mit ihren Aufgaben und Pflichten vertraut zu machen. Der jetzige Zeitpunkt ist für die zwingende Einführung von Versicherungsältesten in der Rentenversicherung denkbar ungünstig. Daher schlägt der Ausschuß für die Wahl von Versicherungsältesten in der Angestellten- und Invalidenversicherung die Kannvorschrift vor.
Als neue Bestimmung ist im § 1 eine Ziffer 6 angefügt, die festlegt, daß ein Arzt mit beratender Stimme dem Vorstand der Versicherungsträger angehört. Wie Sie wissen, sind der Sozialversicherung auch Aufgaben vorbeugender Gesundheitsfürsorge zugeordnet. Diesen Aufgaben können die Sozialversicherungsträger aber nur gerecht werden, wenn sie sich .des fachärztlichen Rates bedienen. Während für die Zuziehung eines Arztes zu den Vorständen der Sozialversicherung Einmütigkeit im Ausschuß bestand, mußte die Art der Vorschläge durch Mehrheitsbeschluß entschieden werden.
In § 2 Abs. 1 ist die Besetzung der Organe bei den Versicherungsträgern geregelt. Über diesen Paragraphen konnte keine Einigung erzielt werden. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich für den Regierungsentwurf, der eine paritätische Besetzung der Organe vorsieht, entschieden. Dabei ist die Mehrheit des Ausschusses von der Auffassung ausgegangenen, daß es auch für die Versicherungsträger nicht angängig und den Versicherten nicht nützlich und dienlich ist, wenn auf die Mitarbeit und die Verantwortung der Arbeitgeber verzichtet wird. Sieht sich der Arbeitgeber in der Sozialversicherung in eine hoffnungslose Minderheit gedrückt, wird auch das Interesse recht bald erlahmt sein.
Neu ist eine Bestimmung im Abs. 7 des § 2, nach der Angestellte der Arbeitgeberorganisationen und der Gewerkschaften auch dann Mitglied eines Organs bei einem Versicherungsträger werden können, wenn sie nicht bei diesem Versicherungsträger versichert sind. Zu dieser Bestimmung hat sich die Mehrheit des Ausschusses bekannt, weil es bei der Unübersichtlichkeit und Kompliziertheit des augenblicklichen Sozialversicherungsrechts im Interesse der Versicherungsträger und auch im Interesse der Versicherten gelegen ist, wenn der eine oder andere diesen Organen angehört, der sich von Berufs wegen mit der Sozialversicherung beschäftigen muß.
Im § 2 wurde weiter ein neuer Abs. 11 eingebaut, der bestimmt, daß bei Stimmengleichheit eine neue Beratung angesetzt werden muß. Sofern auch bei der zweiten Beratung eine Mehrheit nicht erzielt wird, gilt der Antrag als abgelehnt.
Diese Fassung wurde gewählt, um bei der paritätischen Besetzung der Organe von Gesetzes wegen einen gewissen Zwang zur Verständigung auszuüben.
Bei den Vorschriften über die Wahl der Mitglieder der Organe hat der Ausschuß im § 4 Abs. 3 bezüglich der Wahlen zu den Organen der gemeindlichen Unfallversicherung festgelegt, daß in beschränkter Zahl Vertreter von Gruppen gewählt werden können, die nicht bei den Gemeinden oder Gemeindeverbänden beschäftigt sind. Diese Bestimmung ist notwendig, da bei den gemeindlichen Unfallversicherungsträgern auch Personen. und Personengruppen versichert sind, die nicht als Arbeitnehmer einer Gemeinde gelten. Beispiele hierfür sind die Hausangestellten und auch die Angestellten des Roten Kreuzes. Für diese Gruppen muß die Möglichkeit geschaffen werden, in der Unfallversicherung ihres Gebietes mit vertreten zu sein.
In den §§ 8, 9 und 10 des Entwurfs der SPD-Fraktion sind die Aufgaben und Befugnisse der Vertreterversammlung aufgezählt. Die Mehrheit des Ausschusses ist der Meinung, daß diese Aufgaben und Befugnisse schon in der Reichsversicherungsordnung genügend umschrieben sind, so daß die Paragraphen des SPD-Entwurfs nicht notwendig erscheinen. Aus diesem Grunde hat der Ausschuß die genannten Paragraphen abgelehnt.
Die künftige Stellung des Geschäftsführers bei den Versicherungsträgern, die im § 8 geregelt ist, wurde sehr lange und eingehend erörtert. Dabei mußte beachtet werden, daß wir in der Kranken- und Unfallversicherung das Genossenschaftsprinzip haben, während die Rentenversicherung nach dem Anstaltsprinzip verwaltet wird, und daß außerdem die Finanzmittel bei der Krankenversicherung von den Versicherten und den Arbeitgebern je zur Hälfte, in der Unfallversicherung von den Arbeitgebern allein und in der Rentenversicherung zu einem Teil von der öffentlichen Hand, vom Staat, aufgebracht werden. Dazu sind die Landesbehörden in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung sehr stark engagiert. Ich erinnere nur an die Forstwirtschaft, die zu einem erheblichen Teile Sache des Staates, Sache der Länder ist. Die unterschiedliche Konstruktion der Versicherungsträger und die verschiedene Art der Mittelbeschaffung mußte bei der Stellung der Geschäftsführer berücksichtigt werden. In Verfolg dieser Gedankengänge ist im § 8 bestimmt, daß in der Kranken-, in der knappschaftlichen und in der Unfallversicherung der Geschäftsführer vom Vorstand gewählt wird. In der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bedarf der gewählte Geschäftsführer noch der Bestätigung durch die oberste Landesbehörde. Bei den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter wählt die Vertreterversammlung auf Vorschlag des Vorstandes eine aus drei Personen bestehende Geschäftsführung, also eine kollegiale Geschäftsführung, wie es sonst in Institutionen mit großen geldlichen Umsätzen üblich ist. Diese bei der Rentenversicherung von der Vertreterversammlung gewählte Geschäftsführung bedarf der Bestätigung durch die Landesregierung. Bei den Versicherungsträgern des Bundes, der Länder, der Gemeinden und bei der Bundesbahn-Versicherungsanstalt bestimmt die zuständige oberste Verwaltungsbehörde das Nähere über die Geschäfts-
führung. Während bei den sonstigen Versicherungsträgern der Geschäftsführer an den Sitzungen der Organe nur mit beratender Stimme teilnehmen kann, hat die Geschäftsführung der Rentenversicherungsträger bei der Aufstellung des Haushalts, des Stellenplanes und in Fragen der Vermögensverwaltung eine beschließende Stimme.
Die dem Sinn nach gleichlautenden §§ 10 und 11 des Regierungsentwurfs und die §§ 13 und 14 des SPD-Entwurfes, die sich mit der Prüfung und Aufsicht der Versicherungsträger beschäftigen, hat der Ausschuß abgelehnt. Der Ausschuß ist in seiner Mehrheit der Meinung, daß zur Zeit die Prüfung der Versicherungsträger bereits gesetzlich geregelt ist. Allerdings weichen die nach 1945 erlassenen Vorschriften der Länder voneinander ab. Das gleiche kann auch von den Bestimmungen über die Aufsicht über die Versicherungsträger gesagt werden. Es fehlen freilich auch noch Aufsichtsbehörden für die Ersatzkrankenkassen und für die Versicherungsträger, die über den Bereich eines Landes hinausgehen. Dazu kommt noch, daß vor kurzem in diesem Hause in dem Gesetz über den Rechnungshof die Rechnungsprüfung der Sozialversicherungsträger unter das Rechnungshofgesetz gestellt wurde. Nach Meinung des Ausschusses kann die Aufsicht über die Versicherungsträger und die Prüfung derselben erst dann endgültig geregelt werden, wenn wir ein Bundesversicherungsamt haben. Wie dem Ausschuß berichtet worden ist, sind die Vorbereitungen für die Errichtung dieses Amtes schon weitgehend gediehen, wobei in dem hierzu notwendigen Gesetz auch die sonstigen notwendigen Organisationsfragen mitgeregelt werden sollen. Aus diesen Gründen hätten die §§ 10 und 11 des Regierungsentwurfs und die §§ 13 und 14 des Entwurfs der SPD-Fraktion nur eine vorübergehende Bedeutung gehabt. Deshalb hat der Ausschuß diese Paragraphen abgelehnt.
Anstelle des gestrichenen § 10 des Regierungswurfs schlägt Ihnen der Ausschuß einen neuen Paragraphen vor, der für die Angestelltenversicherung die gleichen Organe wie in der Rentenversicherung der Arbeiter vorsieht. Dieser neue § 10 ist nach Auffassung des Ausschusses notwendig, weil die Anstalt der Angestelltenversicherung de jure noch besteht, auch dann, wenn im Westen die Aufgaben und die Vermögen der Angestelltenversicherung von den Landesversicherungsanstalten treuhänderisch verwaltet werden.
Bei § 11 hat sich der Ausschuß dem Vorschlag des Regierungsentwurfs angeschlossen, nämlich in dem Gesetz für die Durchführung der Wahlen einen Bundesbeauftragten zu verankern. Dieser Bundeswahlbeauftragte soll ermächtigt werden, Richtlinien für die einheitliche Durchführung der Wahlen zu erlassen und den Zeitpunkt der Wahlen für die einzelnen Versicherungszweige festzulegen. Die Wahlordnung an sich wird vom Bundesminister für Arbeit erlassen. Außerdem sieht § 11 Landeswahlbeauftragte vor, denen die Durchführung der Wahlen zu den Organen der Versicherungsträger ihres Landes obliegt.
Der § 14 der Vorlage, der sich mit der Wiederzulassung von Trägern in der Krankenversicherung beschäftigt, war in den Ausschußberatungen sehr stark umstritten. Doch hat sich die Mehrheit für die Ihnen vorliegende Formulierung entschieden. Einmal waren durch die Verordnung
vom 10. 10. 1934 eine Reihe von Krankenversicherungsträgern zusammengelegt und deren Neuerrichtung erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht worden. Weiter sind durch Anordnungen der Militärregierungen nach 1945 weitere Krankenversicherungsträger zusammengelegt worden, ohne daß hierfür eine innere Notwendigkeit gegeben war. Für diese Versicherungsträger muß jetzt, wenn es um die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung geht, eine Möglichkeit gegeben werden, den Zustand wieder herzustellen, wie er gewesen ist.
Um nun, meine Damen und Herren, die befürchtete Gefährdung der in Frage kommenden Versicherungsträger, besonders der Allgemeinen Ortskrankenkassen, zu beheben, sind in § 14 des Gesetzes insofern Bremsen eingebaut, als die in der Reichsversicherungsordnung festgelegten Ziffern für die Errichtung von neuen Sozialversicherungsträgern verdoppelt worden sind. Außerdem sieht § 248 der Reichsversicherungsordnung eine ganze Reihe von Hemmungen vor, so daß die Befürchtung, durch Neuerrichtung von Sozialversicherungsträgern könnten die Allgemeinen Ortskrankenkassen gefährdet werden, nicht berechtigt erscheint.
Der . Vorsitzende des Ausschusses war der Meinung, der Einbau des § 14 des vorliegenden Gesetzentwurfs sei nicht statthaft, weil der Einbau dieser Bestimmungen auf Grund der Anträge Drucksachen Nr. 361 und Nr. 1019 erfolgte, auf Grund von Anträgen, die nach Auffassung des Vorsitzenden des Ausschusses mit der Selbstverwaltung der Sozialversicherung nicht in Zusammenhang gebracht werden können. Nach einer Beschwerde des Ausschußvorsitzenden beim Präsidenten des Bundestages beschäftigte sich der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität mit dieser Angelegenheit. Dabei ist der Geschäftsordnungsausschuß nach Überprüfung der Angelegenheit zu derselben Aufassung gekommen wie der Ausschuß für Sozialpolitik, nach der die Drucksachen Nr. 361 und 1019 im Zusammenhang mit den Beratungen um die Wiedereinführung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung behandelt werden dürften.
Um nun die weiter aufgeworfene Frage, ob die Wiederzulassung von Krankenversicherungsträgern in einem Gesetz, das die Selbstverwaltung regelt, zulässig ist, zu entkräften, hat Ihnen der Ausschuß vorgeschlagen, für das Gesetz folgende Überschrift zu beschließen: „Gesetz über die Selbstverwaltung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiete der Sozialversicherung",
Meine Damen und Herren! In den Übergangsvorschriften und in den Schlußbestimmungen sind im § 16 die Rechtsverhältnisse der Geschäftsführer, die nicht mehr wiedergewählt werden, geregelt. Mit dieser Bestimmung hat der Ausschuß versucht, klare Verhältnisse zu schaffen, um Auseinandersetzungen auch gerichtlicher Art soweit eben möglich zu vermeiden.
Recht schwierig war die Formulierung des § 18, nach dem alle die Gesetze, Verordnungen und Erlasse, die der Selbstverwaltung entgegenstehen, außer Kraft gesetzt, geändert oder dort, wo sie in Teilen des Bundesgebiets noch nicht beseitigt sind, aufgehoben werden sollen. Gemeinsam mit den Sachbearbeitern des Bundesarbeitsministeriums und den Vertretern der Ländersozialministe-
rien wurde der Katalog des § 18 zusammengestellt. Dabei muß zugegeben werden, daß bei der Unmenge von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, die sich in den letzten 15 Jahren mit der Sozialversicherung beschäftigt haben, nicht 100%ige Gewähr für die unbedingte Vollständigkeit des Katalogs gegeben ist.
Meine Damen und Herren! In den Zuschriften, die den Ausschußmitgliedern noch in den letzten Tagen zugingen, wird eine baldige Verabschiedung des Gesetzes nicht nur von den Versicherten, sondern auch von den Sozialversicherungsträgern und den Arbeitgebern verlangt. Ich bitte daher namens des Ausschusses, den Antrag auf Drucksache Nr. 1354 anzunehmen und damit dieses Gesetz zu verabschieden.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Ich werde die einzelnen Paragraphen aufrufen, dann gleichzeitig noch einmal die Abänderungsanträge aufführen, die zu den einzelnen Paragraphen vorliegen.
Ich rufe also zunächst auf § 1. Dazu liegt vor ein Abänderungsantrag der SPD Ziffer 1, 2 und 3 sowie ein Abänderungsantrag des Abgeordneten Kohl Ziffer 1.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine Fraktion hat mehrere Abänderungsanträge zu § 1 gestellt, die ich zu begründen habe. Es handelt sich im § 1 um die Absätze 4, 5 und 6. Wir beantragen, im Abs. 4 den Satz:
für die Organe der Träger der Krankenversicherung gilt dies auch hinsichtlich der Festsetzung ,der Beiträge und der Leistungen
zu streichen, weil wir der Ansicht sind, daß dieser
Satz jetzt nicht mehr erforderlich ist. Diese Rechte
der Krankenversicherung sind in der Reichsversicherungsordnung gesetzlich festgelegt, wurden
aber seinerzeit durch die Direktive Nr. 4 der
britischen Militärregierung praktisch aufgehoben.
Da nunmehr aber mit Wirkung vom 1. September
dieses Jahres die Direktive Nr. 4 aufgehoben ist,
tritt unseres Erachtens die in der Reichsversicherungsordnung festgelegte Bestimmung wieder in Kraft, so daß der Satz hier überflüssig ist.
Im § 1 Abs. 5 erster Satz bitten wir die Fassung „Knappschaftsälteste" lediglich der Klarstellung wegen durch die Worte „Knappschaftsälteste der Arbeiter und Angestellten" zu erweitern.
Aus verschiedenen Gründen können wir uns ferner mit der Fassung des § 1 Abs. 6 nicht einverstanden erklären. Wir sind wohl damit einverstanden, und ich möchte das ausdrücklich betonen, um allen kursierenden Gerüchten entgegenzutreten, daß ein Arzt, der Erfahrung auf dem Gebiete der Sozialversicherung besitzt, mit beratender Stimme zu den Sitzungen der Selbstverwaltungsorgane hinzugezogen wird, da wir glauben, daß er im Interesse der Versicherten — und darauf kommt es ja schließlich an — manchen Rat geben und manche Anregung vorbringen kann. Aber das, was mit der jetzigen Fassung verlangt wird, nämlich daß auf Antrag der zuständigen Ärztekammer dem Vorstand des Versicherungsträgers ein Arzt mit beratender Stimme angehören muß, geht unseres Erachtens zu weit und über das Maß dessen hinaus, was wir uns wünschen können und was wir uns dabei vorstellen. Bleibt die jetzige Fassung bestehen, so sind wir der Ansicht, daß diese Regelung einmal der Selbstverwaltung nicht gerecht wird; darüber hinaus halten wir es auch für unberechtigt, der Ärztekammer ein solches Monopol einzuräumen, als alleinige Ärzteorganisation das Vorschlagsrecht zu haben. Schließlich beraten wir hier ein Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, und man kann den Organen der Selbstverwaltung nicht vorschreiben, daß auf Antrag der zuständigen Ärztekammer dem Vorstand des Sozialversicherungsträgers ein Arzt mit beratender Stimme angehören muß. Das schlägt unseres Erachtens jeder Selbstverwaltung ins Gesicht, und wir sind der Meinung, daß das Recht, einen Arzt zur Beratung heranzuziehen, bei den Organen der Selbstverwaltung liegen muß.
Nach der jetzigen Fassung müßte der Vorstand jeden von der zuständigen Ärztekammer vorgeschlagenen Arzt akzeptieren, und wir glauben nicht, daß es der Wille des Gesetzgebers sein kann, einer außerhalb der Selbstverwaltung stehenden Gruppe das Recht zu geben, einen Vertreter — unter Umständen gegen den Willen der versicherten Arbeitnehmer und Arbeitgeber — in den Vorstand zu schicken. Es ist in diesem Zusammenhang sehr interessant, daß selbst ein maßgeblicher Vorsitzender einer Ärztekammer einmal erklärt hat, daß es auch Beratungen geben könne, an denen ein Arzt nicht teilnehmen kann, wenn es sich beispielsweise um Honorarfragen handelt.
Auch das ist ein sehr wichtiger Grund, es dem Vorstand zu überlassen, einen Arzt zu den Sitzungen hinzuzuziehen. Ein weiterer Grund, der es uns unmöglich macht, der Fassung des Ausschusses unsere Zustimmung zu geben, ist die Tatsache, daß damit der zuständigen Ärztekammer das alleinige Recht eingeräumt werden soll, einen Vorschlag zu machen.
Sie wissen, daß es neben der Ärztekammer noch mehrere andere Ärzteorganisationen gibt, die berechtigt sein müßten, Vorschläge zu machen und sich mit den Sozialversicherungsträgern in Verbindung zu setzen. Sie werden sicher genau so wie wir aus Pressenotizen erfahren haben, daß es eine Reihe von Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Ärztekammer und anderen Ärzteorganisationen auf dem 53. Deutschen Ärztetag gegeben hat. Wir alle haben auch von den Versuchen gehört, eine Zwangsmitgliedschaft zu den Ärztekammern zu schaffen. Ich will hier nicht näher darauf eingehen. Aber es ist erfreulich, daß der Herr Bundesinnenminister auf dem Ärztetag ausdrücklich betont hat, daß eine Bundesärztekammer mit Zwangsmitgliedschaft und Sondergerichtsbarkeit auf dem Gesetzeswege vom Bund nicht zu erwarten sei.
Es wäre einmal sehr interessant, zu wissen, welche Stellung der Herr Bundesinnenminister zu dieser Formulierung einnimmt, weil sie für künftige Entwürfe von Bedeutung sein könnte. Die Rechtsstellung der Ärztekammer im Bundesgebiet ist
völlig uneinheitlich. In Hessen beispielsweise hat sie den Charakter eines Vereins. Wir sind deshalb der Ansicht, daß wir mit einer solchen Fassung des Abs. 6, wie sie jetzt besteht, als Gesetzgeber in den Kompetenzstreit der Ärzteorganisationen eingreifen, und zwar eindeutig zugunsten der Ärztekammern. Wir als Gesetzgeber haben an alle Ärzteorganisationen zu denken. Für uns muß ausschlaggebend sein, daß wir in die Selbstverwaltungsorgane so viel Vertrauen legen, daß sie den Arzt hinzuziehen, der die Aufgaben erfüllt, die ihm gestellt werden.
Wir beantragen deshalb folgende Fassung:
Die Sozialversicherungsträger sind berechtigt, im Benehmen mit den Ärzteorganisationen einen Arzt mit beratender Stimme zu den Sitzungen der Organe hinzuzuziehen. Der Arzt hat insbesondere die Belange der Volksgesundheit zu vertreten und soll Erfahrungen auf dem Gebiet der Sozialversicherung besitzen.
Wir bitten, unsere Abänderungsanträge anzunehmen.
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Kohl.
Bevor der Redner das Wort ergreift, bitte ich, die Bewegung und die Gespräche im Hause doch etwas einzuschränken. Es ist beinahe nicht mehr möglich, die Redner richtig zu verstehen.
Meine Damei und Herren! Nach den Ausführungen meiner Vorrednerin kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen.
Wir haben uns veranlaßt gesehen, folgenden Antrag einzubringen:
Der Vorstand des Versicherungsträgers ist berechtigt, einen Arzt mit beratender Stimme, der über die Belange der Volksgesundheit unterrichtet ist und über Erfahrungen auf dem Gebiete der Sozialversicherung verfügt, zu seinen Sitzungen hinzuzuziehen.
Bei der Stellung dieses Antrages war für uns einmal die Tatsache entscheidend, daß Sie hier ein Gesetz über die Selbstverwaltung beraten und bei diesem Gesetz über die Selbstverwaltung bereits wieder mit gewissen Zwangsmitteln versuchen, eine Körperschaft zusammenzubringen, die dem Willen der Versicherten in keiner Form Rechnung trägt. Wir sind der Meinung, daß es nicht zur Zuständigkeit der Ärztekammer gehört, entscheidend in die Belange der Sozialversicherung einzugreifen, d. h. in dem führenden Gremium der Sozialversicherung eine entscheidende Rolle zu spielen und entsprechend Einfluß zu nehmen. Das ist eine Angelegenheit der Versicherten allein und keine Angelegenheit der Ärztekammer. Hinzu kommt, daß die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit gerade mit den Ärztekammern und ihrer Einstellung zur Sozialversicherung gesammelt hat, wirklich nicht zu dem Vorschlag führen können, daß die Ärztekammer unbedingt durch einen Vertreter in der Sozialversicherung vertreten sein muß. Wir bezweifeln, daß die Ärztekammer, die mit dem Gedanken der Reform der Sozialversicherung in der Vergangenheit nicht allzu eng verbunden war, auch hier in diesem Vorstand fortschrittliche Gedanken vertreten wird. Deshalb muß das unter allen Umständen geändert werden, so daß die Ärztekammer nicht den Zwang auf die Sozialversicherung ausüben kann. Es muß vielmehr dem freien Ermessen der Sozialversicherungsträger überlassen bleiben, von ärztlicher Seite denjenigen hinzuzuziehen, den Sie hinzuziehen will.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir kommen zur Abstimmung.
Ich lasse zunächst über den Abänderungsantrag der SPD Ziffer 1 abstimmen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Abänderungsantrag der SPD Ziffer 2. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich lasse über Ziffer 3 des Abänderungsantrages der SPD abstimmen. Ich bitte diejenigen, die Air den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ich bitte nochmals diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. -
Das letztere ist zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist also abgelehnt.
Ich lasse nun über die Ziffer 1 des Abänderungsantrags des Abgeordneten Kohl abstimmen. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem nunmehr so abgeänderten § 1 zustimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. —Ich bitte um die Gegenprobe.
— Stimmenthaltungen? — Das erste war zweifellos die Mehrheit; der Antrag ist angenommen.
Ich rufe auf § 2. Dazu liegen folgende Abänderungsanträge vor: Gemeinsamer Antrag der CDU/CSU, FDP, DP, Ziffer 1, Antrag der SPD Ziffern 4, 5, 6, 7 und 8 und Antrag des Abgeordneten Kohl Ziffer 2.
Wortmeldungen liegen nicht vor.
— Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 2 ist unzweifelhaft der Paragraph, welcher die wesentlichsten Bestimmungen des Gesetzes über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung enthält. Wir haben uns erlaubt, zu diesem Paragraphen einige Abänderungsanträge zu stellen.
Ich will erst die Anträge begründen, welche zu den Absätzen 11, 9 und 5 des § 2 gestellt worden sind. Zu § 2 Abs. 11 beantragen wir folgende Neufassung:
Tritt bei einer Abstimmung Stimmengleichheit ein, so wird die Abstimmung nach erneuter Beratung wiederholt. Kommt auch hierbei eine Mehrheit nicht zustande, so gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
Der Ausschußbeschluß, welcher mit Mehrheit angenommen worden ist, sieht vor, daß der Antrag,
wenn bei einer Abstimmung Stimmengleichheit auftritt, als abgelehnt gilt. Wir glauben nicht, daß wir damit der Sache dienen. Die Sozialversicherung ist eine sehr eigenartige Sache, und besonders kompliziert ist die Krankenversicherung. Gerade in der Krankenversicherung, und zwar bei allen Krankenkassen, haben die Organe die Möglichkeit, über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, die bekanntlich als Mindest- oder Regelleistungen angesprochen werden, auf den einzelnen Gebieten Mehrleistungen zu beschließen. Diese Mehrleistungen einerseits und die Beitragshöhe andererseits sind schließlich für die Existenz einer Krankenkasse, für die Betreuung der erkrankten Versicherten, für die Versorgung der Familienangehörigen von solcher Bedeutung, daß man nicht einen als zwingend notwendig anerkannten Antrag einfach als abgelehnt bezeichnen kann, wenn er keine Stimmenmehrheit bekommt. Ich glaube, man muß im Interesse des Weiterbestehens und der Fortentwicklung der Sozialversicherung, insbesondere der Krankenversicherung, doch versuchen, einen Ausweg zu finden. Dieser liegt unseres Erachtens darin, daß man dem Vorsitzenden im Falle der Stimmengleichheit die doppelte Stimme gibt.
Wir haben dieses Problem im Wirtschaftsrat eingehend beraten. Ich weiß, die Sache hat zwei Seiten; man kann verschiedener Meinung sein. Aber nach eingehender Diskussion des Für und Wider sind wir damals einmütig zu der Überzeugung gekommen, daß es im Interesse der Sache zweckmäßiger ist, wenn der Vorsitzende in einem solchen Falle den Ausschlag gibt, damit nicht in jedem Falle die Aufsichtsbehörde, die auf Grund der Reichsversicherungsordnung zuständig wäre, zu entscheiden hat. Das wollen wir im Interesse der Selbstverwaltung der Sozialversicherung verhindern. Ich bitte Sie, das zu verstehen.
Zu § 2 Abs. 9 schlagen wir vor, folgenden Satz anzufügen:
Die Wahlen der Versichertenältesten und der Mitglieder der Organe und ihrer Stellvertreter sind vor dem Schlusse der laufenden Wahlzeit durchzuführen.
Wir halten eine derartige ergänzende Bestimmung für notwendig, damit kein Vakuum eintritt, damit nicht durch irgendwelche Umstände die Wahl erst nach Ablauf der Wahlperiode durchgeführt wird und das alte Gremium. das schon vier Jahre in Amt und Würden war, für eine allzulange Zeit des Übergangs die Geschäfte wahrnehmen muß. Wir sollten eine derartige Bestimmung, die auch dem alten Recht der Sozialversicherung entspricht, in Ergänzung dieses Gesetzes und zur Abrundung der Bestimmungen des § 2 Abs. 9 annehmen. Ich glaube, dann haben wir eine weitere gute Bestimmung in diesem Gesetz.
Zu § 2 Abs. 5 erlauben wir uns folgende Fassung vorzuschlagen:
Jedes Mitglied der Vertreterversammlung hat
einen ersten und zweiten Stellvertreter,
— das schlagen Sie auch vor, wir sind also damit einverstanden —,
die es im Verhinderungsfalle vertreten oder bei dessen Ausscheiden in der Reihenfolge ihrer Wahl an seine Stelle rücken. Scheidet ein Mitglied des Vorstandes aus, so wird es durch Neuwahl ersetzt.
Der Unterschied zwischen unserem Antrag und dem vom Ausschuß mit Mehrheit gefaßten Beschluß liegt darin, daß es im Vorstand keinen ersten und keinen zweiten Stellvertreter, d. h. überhaupt
keinen Stellvertreter gibt. Es kann unseres Erachtens im Vorstand keinen Stellvertreter geben. Der Vorstand vertritt den betreffenden Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich. Er ist praktisch juristische Person. Er kann nicht in diesem oder jenem Fall durch XY vertreten werden. Fehlt eines der Vorstandsmitglieder, ganz gleich, ob auf Versicherten- oder auf Arbeitgeberseite, dann fehlt er eben in Gottes Namen. Aber man sollte nicht, um gewisse Mehrheitsverhältnisse aufrechtzuerhalten, hier zu einer Regelung kommen, die unseres Erachtens in gewissem Sinne gegen den gesunden Grundsatz der verantwortlichen Geschäftsführung der Versicherungszweige verstößt. Man kennt es nicht bei der Aktiengesellschaft, daß dem Vorstand ein erster und zweiter Stellvertreter angehören. Da besteht der Vorstand aus soundso vielen Direktoren oder Generaldirektoren. Fehlt einer von ihnen, entscheidet eben das Kollegium, das noch vorhanden ist. Nach diesen kaufmännischen Grundsätzen müssen wir unseres Erachtens auch die Träger der Sozialversicherung führen. Deshalb haben wir den Abänderungsvorschlag gemacht.
Ich komme zu unserem wichtigsten Vorschlag, der den § 2 Abs. 1 Buchstaben a, b, c usw. betrifft. Sie müssen mir gestatten, daß ich hier etwas ausführlicher berichte und zu den damit zusammenhängenden Problemen Stellung nehme, da der Ausschuß sich leider mit Mehrheit dafür ausgesprochen hat, daß diese entscheidende Frage nicht diskutiert wird. Leider hat der Sozialpolitische Ausschuß mit Mehrheit den Standpunkt vertreten, die in der Regierungsvorlage vorgesehene paritätische Besetzung aufrechtzuerhalten. Das Gesetz trägt die Bezeichnung: „Selbstverwaltung in der Sozialversicherung". Die Selbstverwaltung soll bei allen Trägern der Sozialversicherung, ganz gleich, ob Krankenkassen, Landesversicherungsanstalten oder Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung, von einem Vorstand und einer Vertreterversammlung, wie wir von dem Berichterstatter gehört haben, wahrgenommen werden. Dies ist in § 2 des Gesetzentwurfs vorgesehen. Die SPD-Fraktion hatte in ihrer Vorlage Drucksache Nr. 248 vorgeschlagen, daß Vorstand und Vertreterversammlung nur aus Vertretern der Versicherten zu bilden sind.
Ich nehme an, daß bei der Mehrheit dieses Hauses die ernste Absicht besteht, eine wirkliche und aufrichtige Selbstverwaltung in der Sozialversicherung einzuführen.
— Ich danke Ihnen, verehrter Herr Kollege Dr. Wellhausen, für Ihre Bestätigung, und ich hoffe, daß Sie nachher auch unserm Antrag zustimmen werden, ein Gesetz zu schaffen, das nicht nur die Bezeichnung „Selbstverwaltung in der Sozialversicherung" trägt.
— Von Ihnen, Frau Kollegin Kalinke, hoffe ich das auch. — Aber wenn man die maßgeblichen Bestimmungen näher betrachtet, die klar erkennen lassen, daß keine Selbstverwaltung der Mitglieder der betreffenden Versicherungszweige beabsichtigt ist, sondern höchstens von einer Mitwirkung der Versicherten gesprochen werden darf, wird man doch etwas bedenklich gestimmt. Wir hatten, wie einige von Ihnen noch wissen werden, während der Zeit vor 1933 den Reichsarbeitsminister Brauns. Dieser hat sich einmal dahingehend geäußert, daß die Zeit
herangekommen sein dürfte, den Versicherten die Selbstverwaltung bei den Trägern der Sozialversicherung ganz zu übergeben, mit deren Einführung bereits im Kaiserreich begonnen wurde, und in der Krankenversicherung waren damals zwei Drittel Vertreter der Versicherten und ein Drittel Vertreter der Arbeitgeber. Das ist die Erkenntnis und die Überzeugung eines erfahrenen und anerkannten Sozialpolitikers an verantwortlicher Stelle. Demgegenüber hat unser jetziger Bundesarbeitsminister als ehemaliger Direktor der Verwaltung für Arbeit in einem Schreiben vom 19. Mai 1949 zum Ausdruck gebracht, daß gemäß dem Beitragsaufkommen von je zur Hälfte auch die Organe der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und Vertretern der Arbeitgeber zusammengesetzt werden sollen. Des weiteren erwähnt er in diesem Schreiben, daß nach den Grundsätzen einer wirklichen Wirtschaftsdemokratie künftig auch die Organe der Krankenkassen paritätisch zu besetzen wären.
Wie verhält es sich in Wirklichkeit mit der Beitragsabführung? Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, daß der Beitrag zur Hälfte von dem Lohn oder Gehalt des Arbeiters bzw. Angestellten abgezogen wird und daß die andere Hälfte von dem Arbeitgeber hinzugezahlt und — so schreibt es wenigstens die Reichsversicherungsordnung vor — an den Sozialversicherungsträger abgeführt wird. Ein erheblicher Teil wird, wie wir wissen, leider nicht oder nicht rechtzeitig abgeführt. Die Rückstände sollen relativ groß sein. Einzelne Zahlen möchte ich nicht nennen, weil ich weiß, daß das Gros der Arbeitgeber seine Pflicht in dieser Richtung erfüllt und die Vertreter der Arbeitgeber in den betreffenden Organen, die jetzt schon tätig sind, darauf hinwirken, daß auch die anderen Arbeitgeber es tun. Wenn der Arbeitgeber zu diesen Beiträgen die Hälfte beisteuert, dann bezahlt er sie doch nicht aus seiner eigenen Tasche,
aus seinem Gewinn, aus seinen Privateinnahmen, sondern genau wie seine Ausgaben für Briefmarken, Beleuchtung und Heizung, genau wie die Ausgaben für Material oder Unkosten aller Art werden sie über das Unkostenkonto bzw. Lohnkonto abgebucht; man kann sie als Unkosten, als vorenthaltenen Lohn, oder wie man sonst will, bezeichnen, aber doch nicht als einen Beitrag der Arbeitgeber. Das wurde auch von namhaften Arbeitgebern, die die Dinge insgesamt sehen und beurteilen, unumwunden zugegeben.
Meine Damen und Herren, was soll denn für ein Unterschied bestehen? Bei den Pflichtkrankenkassen wird der Beitrag kraft gesetzlicher Bestimmung von den Arbeitgebern abgeführt; bei den Ersatzkassen wird der Beitrag kraft gesetzlicher Bestimmung von den Versicherten abgeführt. Aber in jedem Falle, ob Pflichtkrankenkasse oder Ersatzkasse, setzt sich der Beitrag aus zwei gleichen Teilen zusammen, aus der Hälfte, die dem Arbeitnehmer abgezogen wird, und aus der Hälfte, die der Arbeitgeber hinzusteuert. Trotzdem waren wir im Ausschuß einmütig der Auffassung, daß bei den Ersatzkassen die Organe nur aus Mitgliedern zusammengesetzt werden sollen, während Sie zu meiner Überraschung im Gegensatz zu der Meinung vor 1933 den Standpunkt vertreten haben und mit Mehrheit durchsetzen, daß die Organe je zu 50 % zusammengesetzt werden sollen.
Nun zu der Frage der Wirtschaftsdemokratie, die der Herr Bundesarbeitsminister Storch in seinem von mir erwähnten Schreiben angerührt hat. Dazu möchte ich kurz folgendes sagen. Wir verstehen unter Wirtschaftsdemokratie a) die Mitbestimmung in der Selbstverwaltung der Wirtschaft und b) eine planmäßige Wirtschaftsführung im Interesse der Allgemeinheit. Ich darf es vielleicht so formulieren, wie ich es bereits im Wirtschaftsrat schon einmal getan habe:
Das Wesen der Wirtschaftsdemokratie ist erst erfüllt, wenn die Verfügung über die Produktionsmittel nicht mehr einzelnen als Privateigentum für private Zwecke zusteht, sondern einem Gemeinwesen, das einen wirtschaftlichen Gemeinwillen verkörpert, in dem nicht mehr der private Nutzen einzelner, sondern der Gemeinnutzen bestimmend ist.
Ich weiß nicht, ob Herr Anton Storch, unser Bundesarbeitsminister, mit seiner „wirklichen Wirtschaftsdemokratie" — die Bezeichnung bringt er wörtlich in seinem Schreiben — das gemeint hat, was ich hier definiert habe. Ich bezweifle es.
Es gibt aber auch andere Kreise, die mit allen möglichen und unmöglichen Argumenten versuchen, den Beweis zu führen, daß gemeinsam mit der Realisierung der Forderung der Gewerkschaften auf gleichberechtigte Mitbestimmung in der Wirtschaft sich auch die gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitgeber bei den Sozialversicherungsträgern schlußfolgern lasse. Dies ist ebenso abwegig wie die „wirkliche Wirtschaftsdemokratie" unseres verehrten Bundesarbeitsministers. Die Forderung auf gleichberechtigte Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften in den Betrieben und in der gesamten Wirtschaft beruht einfach auf der Tatsache, daß in unserer heutigen Wirtschaft Arbeit und Kapital als gleich zu bewerten sind. Wir haben alle die Erfahrung machen können, daß das Kapital einschließlich der Produktionsmittel nutzlos ist, wenn sich die Arbeiter und Angestellten nicht zur Verfügung stellen oder nicht zur Verfügung stellen können. Die Zeit nach 1945, in der der freiwillige und aktive Einsatz der Arbeitnehmerschaft bei dem Aufbau unserer Wirtschaft deutlich sichtbar wurde, hat uns allen die Erkenntnis gebracht, wie unschätzbar wertvoll die Arbeitskraft unseres Volkes ist. Ohne diese Bereitschaft der Arbeitnehmer wären wir in unserer Wirtschaft heute noch nicht so weit. Ich wünschte, daß die Kapitalbesitzer in jeder Beziehung ebenso uneigennützig wären. Die sich hieraus ergebende Forderung auf gleichberechtigte Mitbestimmung in den Betrieben und in der gesamten Wirtschaft hat mit der Selbstverwaltung in den einzelnen Institutionen der Sozialversicherung, seien es nun solche der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber, nach unserer Überzeugung nicht das geringste zu tun. Die Arbeitgeber haben ihre Wirtschaftsverbände, ihre Kammern der verschiedensten Art usw. und lehnen es mit aller Entschiedenheit ab, daß die Arbeitnehmer mitbestimmen können. Ja selbst die Bundesregierung sieht in ihrem Gesetzentwurf über das Betriebsverfassungsrecht nicht vor, daß die Aufsichtsräte in den Betrieben paritätisch zusammengesetzt werden. Auch ist mir nicht bekannt geworden, daß beabsichtigt sei, die Organe der Kammern oder sonstiger Institutionen der Arbeitgeber paritätisch zu besetzen. Daß nach wie vor nur die Arbeitgeber die Organe allein oder zumindest mit Mehrheit zu besetzen berechtigt sind, ist bis jetzt eine Tatsache. Sie sind auch damit einverstanden, daß beispielsweise die Ersatzkassen entsprechend unserem Antrag im sozialpolitischen
Ausschuß in ihren Organen nur aus Vertretern der Mitglieder dieser Kassen besetzt werden. Meine Damen und Herren, warum verweigern Sie den Mitgliedern der anderen Krankenkassen wie Ortskrankenkassen, Betriebs-, Innungskrankenkassen usw. sowie den Mitgliedern der Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten dieses selbstverständliche Recht? Wenn Sie wirkliche Selbstverwaltung wollen, dann können Sie dieses Recht nicht verweigern!
Betrachten wir uns einmal die Aufgaben der einzelnen Versicherungszweige. Der Arbeiter und der Angestellte sind bekanntlich zwangsversichert, und zwar sowohl in der Krankenversicherung wie in der Rentenversicherung und in der Unfallversicherung. Die Krankenversicherung hat den Zweck, daß der Arbeitnehmer dann, wenn vom Arzt einwandfrei Arbeitsunfähigkeit festgestellt ist, das Krankengeld als Ersatz für entgangenen Lohn bekommt und daß der Familie dann, wenn der Arbeitnehmer im Krankenhaus ist, Hausgeld als Ersatz für entgangenen Lohn gewährt wird. In diesem Fall haben ohne Zweifel der versicherte Arbeitnehmer und seine Familie ein überwiegendes Interesse an der Krankenversicherung, an den Einrichtungen der Krankenkassen, an den Mehrleistungen der Krankenkassen; denn er und seine Familie leben während der Zeit der Krankheit von der Hilfe dieser Institution. Er bekommt die Heilmittel und Medikamente und erhält die ärztliche Betreuung. Deswegen ist die Krankenkasse doch schließlich für ihn und nicht für den Arbeitgeber da. Anders läge es, wenn auch der Arbeitgeber pflichtversichert wäre, wenn auch der Arbeitgeber Mitglied in der Sozialversicherung wäre, dann gäbe es in der Frage der gemeinsamen Verwaltung der Sozialversicherungseinrichtungen gar keinen Streit und wäre im Ausschuß für Sozialpolitik sicherlich die gleiche Regelung wie bei den Ersatzkassen einmütig beschlossen worden.
Wie liegen die Dinge bei der Rentenversicherung? Die Rente wird erst gewährt, wenn der Arbeiter oder Angestellte arbeitsunfähig ist, wenn er also aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden ist. Dann ist er kein Arbeitnehmer mehr, dann ist er Rentner. Dann hat der Arbeitgeber als solcher — nicht als Mensch, das behaupte ich nicht, sondern als Arbeitgeber — überhaupt kein Interesse mehr an diesem arbeitsunfähigen oder berufsunfähigen Arbeiter oder Angestellten. Warum, so frage ich, soll nun hinsichtlich der Leistungen, hinsichtlich des Beitragsaufkommens, hinsichtlich der gesamten Verwaltung, hinsichtlich der Heilstätten dieser Versicherungsanstalten — der Landesversicherungsanstalt und der Angestelltenversicherungsträger — der Arbeitgeber überhaupt das Recht der Mitbestimmung haben? Warum soll er überhaupt den Organen angehören? Und Sie, meine Damen und Herren, verlangen noch — und das ist nicht nur für mich, sondern für alle Versicherten unverständlich — im Gesetz die Parität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber!
Anders liegen die Verhältnisse bei der Unfallversicherung, in den Berufsgenossenschaften. Bei den Berufsgenossenschaften handelt es sich einmal darum, daß der Arbeitgeber seine Haftpflicht, die auf den Bestimmungen des BGB für den Fall von Betriebsunfällen beruht, auf die betreffende Genossenschaft überträgt. Hier liegt eine Gemeinschaftseinrichtung Angehöriger gleichartiger Berufe oder Wirtschaftszweige vor, um der Haftpflicht zu genügen. Andererseits ist aber der Arbeitnehmer der vom Unfall Betroffene, der jahraus, jahrein in dem Betrieb seine Arbeitskraft zur Verfügung stellt. Dieser muß geschützt werden. Zur wirksamsten Durchführung dieses Schutzes hat bereits das alte Recht die Möglichkeit geschaffen, daß er gleichberechtigt bei der Schaffung von Unfallverhütungsvorschriften, bei der Festsetzung der Rente und dergleichen mitbestimmt. Wenn nun sowohl der Antrag der SPD als auch die Regierungsvorlage dieses bereits bestehende Recht, das in einzelnen Bestimmungen der RVO verstreut war, dahingehend abrundet — man kann da nicht groß von „ausweiten" sprechen —, daß Vertreterversammlung und Vorstand paritätisch besetzt werden — hier das Interesse des Arbeitgebers im Rahmen seiner Haftpflicht und da das Interesse des Versicherten an der Erhaltung seiner Gesundheit und Arbeitsfähigkeit und an der Unterstützung seiner Familie —, dann ist das nur selbstverständlich und berechtigt, weil hier ein gemeinsames Interesse — man kann es auch als gleichwertiges Interesse bezeichnen - vorliegt.
Bei all dem aber, meine Damen und Herren, insbesondere aber bei der Krankenversicherung und der Rentenversicherung, darf die große Zahl der freiwillig Versicherten, die also gar nicht in einem abhängigen Arbeitnehmerverhältnis stehen, nicht vergessen werden. Die Statistik behauptet, daß in der Krankenversicherung — da liegen Zahlen vor — rund 40 % aller Versicherten freiwillig versichert sind. Sie unterliegen also gar nicht mehr der Pflichtversicherung, sie haben meistens gar keinen Arbeitgeber, und selbst wenn sie einen Arbeitgeber haben, so haben doch sie allein den Beitrag aufzubringen und allein an den Versicherungsträger abzuführen, sowohl in der Rentenversicherung wie in der Krankenversicherung. Diesen großen Kreis würden Sie praktisch vollständig ausschalten, ihn würden Sie auch zu Ihrer Hälftelung nehmen, wenn Sie, was ich einfach nicht glauben kann, dem Beschluß des Ausschusses auf Parität Ihre Zustimmung geben sollten.
In der Notzeit nach 1800 hat Freiherr vom Stein die Selbstverwaltung in den Gemeinden eingeführt. Damit wollte er nicht nur das Interesse der Gemeindeangehörigen an allen Geschehnissen innerhalb der Gemeinde und somit des Staates wecken, sondern auch das Verantwortungsbewußtsein stärken. Wir wollen mit der Selbstverwaltung auch die Selbstverantwortung. Wir wollen den Versicherten die Erkenntnis verschaffen, daß die Versicherung in ihrem ureigensten Interesse gut verwaltet wird und von keinem Versicherten mißbraucht werden darf. Die Versicherten müssen die einzelnen Versicherungsträger wieder als ihre Versicherung ansehen.
Wenn wir das erreichen, werden wir auch ein gutes Stück über die finanziellen Schwierigkeiten unserer Sozialversicherung hinwegkommen. Dies können wir nach unserer festen Überzeugung aber nur erreichen, wenn wir Vertrauen gegenüber den Arbeitern und Angestellten haben, denn die Wahrnehmung der Selbstverwaltung durch die Arbeiter und Angestellten ist eine Vertrauensfrage. Haben wir dieses Vertrauen zu den Arbeitern und Angestellten unseres Volkes — und ich möchte dringend wünschen, daß wir es haben sollten, denn keiner hat sich in den Notzeiten so bewährt wie die Arbeiter und .die Angestellten —, so müssen wir auch bereit sein, die Betreuung der Geschicke ihrer Versicherung ihnen selbst in die Hand zu geben.
Wir können doch, meine Damen und Herren — nun bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit —, unmöglich die von den Nazis eingeführte Regelung in unserm Gesetz aufrechterhalten. In einem Kommentar mit der Bezeichnung „Die Sozialversicherung im Dritten Reich", bearbeitet von Dr. Hans Engel, Ministerialdirektor, und J. Eckert, Oberregierungsrat im Reichsarbeitsministerium, 1937, Verlag Beamtenpresse, Berlin 1937, wird hierzu auf Seite 96 gesagt.
Die Krönung all dieser engen Verbundenheit zwischen Sozialversicherung und Wirtschaft hat schließlich das Aufbaugesetz mit der Neuordnung der Gewalten ausgesprochen, indem es für die Träger der Wirtschaft in den Organen auch dort, wo bisher das Übergewicht bei den Versicherten lag, die Gleichberechtigung hergestellt hat. Damit ist der verantwortlichen Mitarbeit der Träger der Wirtschaft in der praktischen Sozialversicherung wieder die Freiheit gegeben worden, die zu ihrer wirksamen Betätigung unerläßlich erschien.
Niemand von uns vertritt doch dieses nazistische Gedankengut, und deshalb kann auch niemand von uns der Parität, die ja von den Nazis in dem Aufbaugesetz geschaffen wurde und die Herr Eckert hier kommentiert hat, seine Zustimmung geben.
- In dem Beirat, Kollege Arndgen, das sollten Sie doch eigentlich als ehemaliger Minister für Arbeit wissen.
Darüber können wir auch noch sprechen. Es war paritätisch zusammengesetzt; das können Sie doch nicht bestreiten.
Wenn ich die Zwischenrufe verstände, würde ich gern darauf eingehen; aber sie sind wirklich nicht zu verstehen.
Wenn wir Ihnen heute einen Antrag vorgelegt haben, wonach sowohl in der Krankenversicherung wie auch in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten die Zusammensetzung des Vorstandes und der Vertreterversammlung aus zwei Dritteln der Vertreter der Versicherten und einem Drittel der Vertreter der Arbeitgeber erfolgen soll, so war hierfür der bekannte Kompromißvorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes maßgebend. Das Schreiben, das vor Wochen von den Organen des Deutschen Gewerkschaftsbundes den einzelnen Abgeordneten dieses Hohen Hauses zugesandt wurde, ist Ihnen wohl allen bekannt; ich nehme wenigstens an, daß die Post Sie erreicht hat. In dem Schreiben wird Ihnen die Problematik der Selbstverwaltung dargelegt, und Sie werden gebeten, hierzu Stellung zu nehmen, und es wird als wünschenswert bezeichnet, Ihre Stellungnahme mitzuteilen. Es ist erfreulich, daß ein Teil der Damen und Herren dieses Hauses ihre Ansicht auch kundgetan haben, und es ist besonders erfreulich, daß der weitaus größte Teil dieser Antworten positiv war, positiv zu dem gewerkschaftlichen Kompromißvorschlag zwischen SPD - nur Vertreter der Versicherten — und Regierungsvorlage — Parität —, also zwei Drittel zu einem Drittel, und ich glaube, hoffen zu dürfen, daß die Damen und Herren dieses Hauses, die nicht geantwortet haben, dem alten Grundsatz entsprechend zum Ausdruck bringen wollten, daß sie dem Vorschlag des DGB beipflichten.
Ich habe auch davon erfahren, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund Befragungen in einzelnen Kreisen durchgeführt hat, Befragungen in den verschiedensten Gegenden der Bundesrepublik. Das Ergebnis, das diese Befragungen gebracht haben, ist interessant.
— Dazu können Sie nachher sprechen. Ich bin gern bereit, Ihnen die entsprechende Antwort zu geben, soweit ich über die Einzelheiten informiert bin. Aber was mir mit das Wertvollste war, ist, daß bei der Gesamtzahl von 713 520 abgegebenen Stimmen 697 754 für zwei Drittel und ein Drittel waren und nur 12 530 für die Parität. Für mich ist am interessantesten ein Abstimmungsergebnis, und zwar das von Trier. In Trier wurden von 20 000 abgegebenen Befragungszetteln 18 056 zurückgegeben. Von den 18 056 haben in der Krankenversicherung 18 016 für zwei Drittel und nur 39 für die Hälftelung gestimmt
— darauf werde ich Ihnen Antwort geben —, während in der Rentenversicherung 18 012 für die Drittelung und nur 44 für die Hälftelung waren. — Das waren keine Naziwahlen, verehrter Herr Zwischenrufer, das war eine Befragung, eine Befragung, die wir viel öfter durchführen sollten, um die Meinungen zu dem einen oder anderen Problem festzustellen,
eine Befragung, die ganz formlos gemacht worden ist — auf die eine oder andere Stimme kommt es dabei gar nicht an —, eine Befragung, die in Trier von ehemaligen christlichen Gewerkschaftsführern durchgeführt wurde.
Meine Damen und Herren, es hat auch einer unserer Freunde eine Befragung in einem Ort unter den Arbeitgebern durchgeführt. Wir haben das nicht angeordnet und der DGB hat es nicht gewußt; der Kollege hat geglaubt, es tun zu sollen. Das Ergebnis war, daß 61 % dieser Arbeitgeber für zwei Drittel und ein Drittel gestimmt haben und 39% für 50 zu 50.
Verehrte Damen und Herren und besonders Sie, meine lieben Freunde von der Gewerkschaftsbewegung, die Sie hier vor mir sitzen, Sie können sich davon überzeugen, bei Ihrem Kollegen, der es durchgeführt hat. Dies ist für mich wirklich befriedigend, und ich bin auf das Ergebnis dieser Befragung stolz. Ich bagatellisiere es nicht, wie die Arbeitgeber geglaubt haben es tun zu müssen. Sie haben in einem Rundschreiben behauptet, daß die Befragungszettel zum großen Teil von den Betreibsratsmitgliedern zunächst bereits im Sinne der Gewerkschaften ausgefüllt und dann erst verteilt worden seien mit der Weisung, sie am nächsten Tag an den Betriebsrat zurückzugeben. Als man dieser Vereinigung der Arbeitgeberverbände in Wiesbaden schrieb, meine Damen und Herren, und fragte: wo ist das vorgekommen, was Sie behaupten?, da bekamen die Gewerkschaften die Antwort, und zwar unter dem 27. September — das Frageschreiben war vom 15. September —:
Wir kommen zurück auf Ihr vorbezeichnetes Schreiben, nachdem wir in der Sache rückgefragt und erneut die Richtigkeit der Angaben in unserem von Ihnen erwähnten Schreiben vom 12. dieses Monats bestätigt erhalten haben. Es trifft zu, daß Befragungszettel bereits ausgefüllt im Betrieb verteilt wurden und daß die Rückgabe ohne Namenszeichnung erfolgt ist. Diese Feststellungen sind nicht im Kreis Wiesbaden getroffen worden.
Nun hat der Kreis Wiesbaden auch mit abgestimmt, und im Kreis Wiesbaden — ich habe mir die Zahlen extra beschafft — ist das prozentuale Verhältnis von zwei Dritteln und 50 zu 50 auch nicht anders als in den anderen Kreisen. Wenn also die Arbeitgeberspitzenorganisation hier schriftlich bestätigt, daß in Wiesbaden bzw. in dem gesamten Kreis Wiesbaden alles in Ordnung gegangen ist, dann kann ich behaupten, daß dies auch in den anderen Kreisen der Fall ist. Ich glaube, es liegt bei der Arbeitgeberspitzenorganisation — ich kenne doch die Herren persönlich schon lange Jahre — keine Absicht vor — dies zu behaupten liegt mir fern —, sondern ein Irrtum, der darauf zurückzuführen ist, daß im Darmstädter Gebiet der dortige Kreisausschuß des DGB ein Flugblatt herausgebracht hat, worin er von der drohenden Verschlechterung der Sozialversicherung spricht und worin er einen Befragungszettel abdruckt — meine Herren, ich habe ihn hier, ich stelle ihn Ihnen gern zur Verfügung —, in welchem es heißt: „Dein Zettel muß so aussehen". Das war aber nicht der Befragungszettel, das war lediglich ein Flugblatt. Der Befragungszettel sieht anders aus und war ohne jegliche Bemerkung.
Erstaunt bin ich über die weitere Behauptung der Arbeitgeberspitzenorganisation, die Befragungszettel seien nicht mit Unterschriften versehen gewesen. Nun, soviel ich unterrichtet bin, sollte es eine geheime Befragung sein, und da ist es doch wohl unmöglich, daß Unterschriften darunterstehen. Ich bin überzeugt, der Deutsche Gewerkschaftsbund hätte der Spitzenorganisation der Arbeitgeber, wenn sie sich erkundigt hätte, was mit diesen Befragungszetteln beabsichtigt sei, gern die gewünschte Auskunft gegeben, warum das so und so gemacht wird, und es hätte dann dieses eigenartigen Rundschreibens nicht bedurft, das allerdings nur an 250 Abgeordnete dieses Hauses versandt wurde. Ich habe nicht gehört, daß einer meiner Fraktionskollegen dieses Rundschreiben der Arbeitgeber erhalten hat.
Es wird aber nun weiter, und zwar in einem Schreiben des Arbeitgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen in Essen, das am 11. September veröffentlich wurde, noch etwas anderes behauptet. Da heißt es nämlich:
In Wirklichkeit entspricht dieser Vorschlag — also zwei Drittel zu ein Drittel —
aber einer Forderung der SPD, die diese bereits im Wirtschaftsrat 'in dem seinerzeit von der SPD-Fraktion des Wirtschaftsrates eingebrachten Entwurf eines Selbstverwaltungsgesetzes geltend gemacht hat.
Meine Damen und Herren, ich bedaure außerordentlich, daß dieser Arbeitgeberverband den Deutschen Gewerkschaftsbund mit der Sozialdemokratischen Partei und deren Forderung identifiziert hat. Ich bedaure das deshalb, weil wir so nie zu einer Gesundung der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung kommen können, sondern immer ein
Mißtrauen bestehen bleiben muß. Wir wissen alle, daß die SPD im Wirtschaftsrat genau so wie auch heute den Kompromißvorschlag von zwei Dritteln zu einem Drittel gemacht hat. Wir wissen aber ebenso alle, daß schon lange bevor der Wirtschaftsrat bestanden hat, in Kreisen des ehemaligen Gewerkschaftrates — und das werden mir meine Freunde hier im Hause bestätigen müssen — die Meinung vertreten war, daß die zukünftigen Organe der Selbstverwaltung bei der Sozialversicherung generell im Verhältnis von zwei Dritteln zu einem Drittel zusammengesetzt werden sollten. Das ist eine altbekannte Forderung, die schon vor 1933 auf den verschiedenen Kongressen der Gewerkschaftsbünde der verschiedensten Art erhoben wurde. Da sollte doch ein Arbeitgeberverband nicht versuchen, derartige Praktiken anzuwenden, die notwendigerweise — ob gewollt oder nicht — zu einer Vergiftung der gesamten Situation führen müssen.
Ebenso bedauere ich außerordentlich, daß die Firma Robert Bosch GmbH. in Stuttgart anläßlich der Befragung in Stuttgart einen Aushang für notwendig gehalten hat, in dem es heißt:
Auch die Arbeitgeber haben entsprechend ihrer Beitragsleistung ein Recht, darüber zu wachen, daß die aufgebrachten Gelder satzungsgemäß verwendet werden. Die Gewerkschaften können nicht einerseits das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben fordern, andererseits aber den Arbeitgebern, die die Hälfte der Beiträge aufbringen, die Gleichberechtigung in der Sozialversicherung verweigern. Wir halten es für notwendig, daß sich unsere Betriebsangehörigen hierüber klar werden, bevor sie die Fragen des Deutschen Gewerkschaftsbundes beantworten.
Bitte schön, wenn Sie das Recht akzeptieren, daß die Arbeitgeberverbände aufklären - dagegen habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden —, dann können Sie sich nicht dagegen wenden, daß die Gewerkschaftsorganisationen anläßlich der Befragung so, wie es in Darmstadt geschehen ist, ebenfalls aufgeklärt haben. Das wollte ich klar zum Ausdruck bringen.
Was ich aber in diesem Zusammenhang bedauere, ist die Tatsache, daß die Spitzenorganisation der Arbeitgeberverbände sich an den Herrn Kollegen Direktor Peter Horn, Fraktion der CDU/CSU, mit Schreiben vom 20. September gewandt hat, in dem gegen einen Herrn Umrath Stellung genommen wird, der Geschäftsführer der Vereinigung der Ortskrankenkassenverbände ist. Es wird gesagt, er hätte kürzlich an einer Aktion des DGB und der SPD zur Umstimmung der Abgeordneten der anderen Fraktionen mitgewirkt. Ich kann hierzu erklären, daß mir von keiner Aktion der SPD etwas bekannt ist, daß ich aber, wie Sie alle, die Aktionen des DGB kenne und auch weiß, daß Direktoren, einige Kollegen und hochstehende Persönlichkeiten von Landesversicherungsanstalten, die nicht alle Mitglieder der SPD, sondern auch in verantwortlichen Funktionen bei Ihnen, meine Damen und Herren, der CDU usw., sind, in Versammlungen der Gewerkschaftsfunktionäre, von diesen gebeten, ihre Meinung gesagt haben.
In diesem Schreiben heißt es weiter — es wird noch auf den Direktor Kraft der Ortskrankenkasse Frankfurt hingewiesen —:
Es bedarf wohl keines weiteren Nachweises
mehr für den hier getriebenen Mißbrauch des
Amtes und für die dringende Notwendigkeit
der politischen Neutralisierung der Verwaltung bei den Ortskrankenkassen.
Soweit geht es schon. Da müssen wir mit aller Entschiedenheit widersprechen. Wir müssen widersprechen, weil hier die im Grundgesetz garantierte freie Meinungsäußerung unterbunden wird. Wir müssen auch widersprechen, weil dieses Schreiben an Herrn Direktor Horn gerichtet wird und sich über Geschäftsführer und Vorsitzenden von Ortskrankenkassen beschwert und erwähnt, daß she politische Neutralisierung dringend notwendig wäre. Darunter versteht man die paritätische Besetzung, und man weiß, daß dann die Geschäftsführer, die 1945 hereingeholt wurden, weil die Pgs. und Parteibuchbeamten entlassen wurden, nun wieder beseitigt werden sollen. Es sind zum größten Teil die gleichen Persönlichkeiten, die man 1933 verfolgt und teilweise in Konzentrationslager gesteckt hat, die 1945 wieder hervorgeholt wurden, die nun den Karren aus dem Dreck gezogen haben, die jetzt — es ist kaum möglich, es auszusprechen — mit Hilfe der Selbstverwaltung, der paritätischen Besetzung — —
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. — Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Privatgespräche etwas einzuschränken. Schließlich spricht der Redner auch mit einem gewissen Anrecht auf die Aufmerksamkeit der Zuhörer.
Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß es sich hier um ein schwieriges, kompliziertes Gebiet der gesamten Sozialpolitik handelt. Ich kann nicht verlangen, daß Sie sich alle auf diesem Gebiet besonders betätigen.
Sie haben viel wichtigere Aufgaben und sind viel geschicktere, viel klügere Menschen. Ich habe deshalb Verständnis, wenn Sie weniger Interesse an diesen Ausführungen haben. Wir sind schließlich als Sozialpolitiker — besonders in der Jetztzeit und bei der Zusammensetzung dieses Hauses — Leid gewohnt.
Ich möchte aber zum Schluß noch auf einen Artikel zu sprechen kommen, der von dem Kollegen dieses Hauses, Herrn Dr. Hammer, im „Darmstädter Tagblatt" unter dem 5. Juli 1950 veröffentlicht wurde. Da heißt es — ich darf den Absatz mit Genehmigung des Präsidenten verlesen —:
Daß von 1945 an bis zum heutigen Tage darin
— er meint nämlich die Selbstverwaltung — keine grundlegende oder wesentliche Änderung eingetreten ist, ist der Bevölkerung leider weitgehend unbekannt geblieben. Die Verhältnisse der Nachkriegszeit, die Tendenzen der Denazifizierungsgesetze, die Duldung dieser Vorgänge durch die Besatzungsmacht brachten es mit sich, daß das Jahr 1945 nicht eine Wiederherstellung der zerstörten Selbstverwaltung und ein Erwachen des genossenschaftlichen Lebens mit sich brachte, sondern eigentlich nur einen Austausch der Parteibücher. Ehe Christian Stock
— nun wende ich mich an die Hessen, es sitzen ja einige vor mir —
Ministerpräsident des Landes Hessen wurde, war er Präsident der Landesversicherungsanstalt des Landes Hessen geworden.
Sie wissen alle — und besonders Sie, sehr verehrter Herr Kollege Horn —, daß Christian Stock schon lange vor der Kriegszeit, Jahrzehnte vorher, ein hervorragender anerkannter Geschäftsführer in
der Ortskrankenkassenbewegung war, in Heidelberg, Frankfurt usw. Da ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden Hessen, daß er 1945 Präsident der Landesversicherungsanstalt wurde. Ich wundere mich über diese sehr eigenartigen Bemerkungen in diesem Artikel. Der Geschäftsführer der Ortskrankenkasse Darmstadt, Herr Heile, war lange vor 1933 Geschäftsführer der Ortskrankenkasse Darmstadt und war vorher Inspektor beim Oberversicherungsamt in Darmstadt. Er ist also ein Fachmann von der Picke auf. Man sollte doch hier nicht von einem Austausch der Parteibücher sprechen. Das liest sich furchtbar und hört sich katastrophal an in unserer Zeit.
Ich darf noch auf den Art. 161 der Reichsverfassung von 1919 hinweisen, der lautet:
Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutze der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.
Das hat die Nationalversammlung damals im Art. 161 der Reichsverfassung verankert. Wir haben im Grundgesetz nichts Gleichartiges, aber ich glaube, wir sind doch berechtigt und verpflichtet, diesem Grundsatz, der von unseren Vorgängern in der Nationalversammlung unter gleichen Verhältnissen anerkannt wurde, wiederum oder endlich zum Durchbruch zu verhelfen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ausführlich die Gründe dargelegt, warum meine Fraktion in ihrem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 248 die Forderung aufgestellt hat, daß nur Vertreter der Versicherten sowohl dem Vorstande wie auch der Vertreterversammlung in der Krankenversicherung und in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten und in der Knappschaftsversicherung angehören sollen. Ich hoffe, daß diese Ausführungen Sie überzeugt haben, daß unsere Forderung berechtigt ist; denn seien Sie sich darüber klar: Wenn die paritätische Besetzung der Organe in dem Gesetz über die Selbstverwaltung festgelegt wird, dann wird mit diesem Gesetz erst der Kampf um die Selbstverwaltung entbrennen. Abraham Lincoln, der bekannte Politiker, sagte einmal:
„Nichts ist erledigt, wenn es nicht gerecht
erledigt ist."
Vizepäsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.
Meine Damen und Herren! Ich bin mir vollkommen darüber im klaren, daß Sie zwar hier auf der parlamentarischen Ebene eine Entscheidung fällen über die Zusammensetzung der Selbstverwaltungskörper; aber ebenso stark bin ich davon überzeugt, daß außerhalb des Hauses gerade diese parlamentarische Entscheidung außerordentlich stark diskutiert werden wird. Ich glaube, daß gerade die Gewerkschaften unter keinen Umständen mit der Formulierung einverstanden sein werden, nach der man jetzt eine Parität in den Selbstverwaltungskörpern Platz greifen läßt. Wir sollten doch die Dinge auch einmal in einem kleinen geschichtlichen
Kohl
Rückblick betrachten und daraus ersehen, daß seit 1945 bis in die letzte Zeit hinein die Verantwortlichen der damaligen Arbeitsverwaltungen versucht haben, Ordnung in die Selbstverwaltung zu bringen. Es blieb allerdings bei Augenblickslösungen, bei Behelfen in den verschiedenen Zonen, nach denen gearbeitet wurde. Aber bereits damals war schon entscheidend die Forderung — und es ist keine neue Forderung, sondern eine sehr alte Forderung der Gewerkschaften, die diese seit Jahrzehnten erhoben haben —, daß man mit der kommenden Reform der Sozialversicherung auch hier auf dem Gebiet der Selbstverwaltung einen entscheidenden Schritt nach vorwärts tun würde. Man soll in diesem Gesetz — und das gerade in § 2 — das Eigenleben und die eigene Verantwortung als die typischen Merkmale jeglicher Selbstverwaltung — und nur diese haben die Träger der deutschen Sozialversicherung bisher befähigt, eine lebensnahe Verwaltungsorganisation zu schaffen — nicht außer acht lassen. Das trifft besonders bei den Krankenkassen zu, wo es auf außerordentliche Schnelligkeit der Entscheidungen und Handlungen und auf großes Verständnis für die sozialen Belange der von ihnen Betreuten ankommt. Die jetzige Fassung des § 2 entspricht diesen grundsätzlichen Voraussetzungen in keiner Form, und zwar schafft der Vorschlag des Ausschusses einen Zustand, der eigentlich noch weit hinter Bismarck zurückreicht oder wenigstens doch bis in die Zeit Bismarcks; denn damals hat man den Versicherten ein Übergewicht wenigstens in den Selbstverwaltungskörpern zugestanden, und zwar durch das Verhältnis 2 zu 1, während man hier in diesem Gesetz die Parität vorschlägt.
Ich glaube, daß die Arbeiterschaft Überlegungen darüber anstellt, daß gerade diese Regierungsmehrheit sich bei dem Gesetz über die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung darüber Gedanken macht, daß hier die Parität in Erscheinung tritt, während man in der Frage des Mitbestimmungsrechts für die Arbeiterschaft doch wesentlich andere Töne zu hören und wesentlich andere Auffassungen zu spüren bekommt.
Aber wir sind nicht der Meinung, daß hier im Sozialversicherungswesen Kräfte wirksam werden sollten, die auf Grund ihrer politischen, sozialen und wirtschaftlichen Stellung außerhalb des Rahmens dieser Sozialversicherung stehen; denn das in der Beweisführung für die Parität angezogene Argument, daß auch der Unternehmer Beiträge für die Sozialversicherung entrichtet und deshalb aus dieser Körperschaft nicht ausgeschlossen sein kann, erscheint deshalb etwas eigenartig, weil ja die von den Unternehmern zu zahlenden Beiträge in der Kosten- und Preiskalkulation des Unternehmers eine wesentliche Rolle spielen. Also nicht er zahlt die Beiträge, sondern indirekt zahlt der Versicherte diesen Beitrag. Er hat somit das Recht, in den Selbstverwaltungskörpern seiner Organisation die Geschicke dieser Organisation allein zu leiten.
Wir sind der Überzeugung, daß es nur eine schöne Geste ist, wenn man erklärt, daß gerade die Parität die Voraussetzung in sich birgt, daß auch das Unternehmertum verantwortlich eingespannt werden kann. Wir zweifeln an dieser Verantwortlichkeit, und gerade die Entscheidungen dieses Hauses mit dieser Mehrheit berechtigen uns zu diesem Zweifel.
Es ist selbstverständlich, daß bei unserer Einstellung zu diesen Dingen auch die Frage der Betriebskrankenkassen von demselben Gesichtspunkt aus beantwortet werden muß, weil dort die Verhältnisse ähnlich liegen. Es wäre zweckmäßig, auch zur Frage der Betriebskrankenkasse in diesem Zusammenhang einiges zu sagen. Ich will mir das ersparen. Wir haben unsere Auffassung zusammengefaßt; sie weicht von dem Kompromißvorschlag der Sozialdemokratischen Partei insofern ab, als wir nicht für ein Verhältnis 2 : 1 sind. Wir sind vielmehr der Meinung, daß in der Krankenversicherung, in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten und in der Unfallversicherung nur die Versicherten allein ihre Geschicke in die Hand nehmen. Dasselbe gilt für § 2 Abs. 2. Hier beantragen wir:
Bei den Betriebskrankenkassen setzt sich das Organ der Selbstverwaltung der Betriebskrankenkassen aus Vertretern der Versicherten zusammen.
Das gilt entsprechend für die Organe der
Bundesbahn-Versicherungsanstalt und die Organe der Ausführungsbehörden und die Organe der Unfallversicherung der Gemeinden.
Meine Damen und Herren! Wir sind überzeugt, daß die Entscheidung über die Frage der Selbstverwaltung und die Zusammensetzung des Selbstverwaltungskörpers ureigenste Angelegenheit der Versicherten allein ist.
Vizepäsident Dr. Schäfer: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Atzenroth.
Wenn sich die Mehrheit des Ausschusses so fest für den Gedanken der Parität in den Sozialversicherungsorganen entschieden hat, so war im wesentlichen der Gedanke maßgebend, daß nur eine gleichberechtigte, gleichverpflichtende und ehrliche Zusammenarbeit uns aus den Schwierigkeiten herausführen kann, in die die Sozialversicherung aller Zweige geraten ist. In diesen Gedanken paßt es nicht, wenn sich die Beteiligten — Arbeitnehmer, Arbeitgeber — bei ihren Aufgaben in größtem Umfang durch Beauftragte vertreten lassen können. Es ist ihre eigene Aufgabe und ihre eigene Pflicht, in diesen Organen tätig zu sein. Zwar wird sowohl bei Arbeitnehmern als auch bei Arbeitgebern behauptet, der Kreis, der sich bereit findet, in diesen schwierigen Materien zu arbeiten, sei nur sehr klein. Ich bestreite das; denn die Erfahrungen der 60 Jahre Sozialversicherung haben ja bewiesen, daß sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sich verantwortungsbewußt und mit immer wachsender Sachkenntnis an diesen Dingen beteiligt haben.
Die Folgerung aus dieser Einsicht müßte die sein, daß Beauftragte, also Personen, die nicht zu dem eigentlichen Kreis der Betroffenen gehören, keinen Anspruch haben, in die Organe gewählt zu werden. Bei den Krankenkassen werden ja die Angestellten der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände sowieso die Möglichkeit haben, zum Zuge zu kommen, eben als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber.
Ich bedaure, daß ich mich habe davon überzeugen lassen müssen, daß eine Ausnahme von diesem Prinzip zur Zeit noch bei der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten besteht. Dort sind die Aufgaben der Selbstverwaltung durch das neue Gesetz wesentlich erweitert worden. Sie haben jahrelang geruht, und der Kreis, der sich in diese schwierige Materie hineinfinden muß, ist verhältnismäßig groß. Aus diesem Grunde halte ich eine vorübergehende und für eine beschränkte Zahl
festzulegende Möglichkeit, auch Vertreter von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern hineinzuwählen,
für berechtigt. Aus diesem Grunde habe ich den
Abänderungsantrag zu § 2 Abs. 7 Satz 5 gestellt,
diesem Satz die folgende Fassung zu verleihen: Für die Rentenversicherung gelten als Vertreter der Versicherten auch Angestellte der Gewerkschaften oder der Vereinigungen von Arbeitnehmern, als Vertreter der Arbeitgeber Angestellte der Vereinigungen von Arbeitgebern. Abs. 4 Satz 2 gilt entsprechend.
Dieser letztere Satz ist für die Beschränkung des
Umfanges dieser Möglichkeit maßgebend. Ich bitte,
diesen Abänderungsantrag anzunehmen.
Vizepäsident Dr. Schäfer: Meine Damen und Herren! Bevor ich weiter das Wort erteile, gebe ich bekannt, daß die Konstituierung des Untersuchungsausschusses, dessen Einsetzung wir am Anfang unserer heutigen Sitzung beschlossen haben, wegen des augenblicklichen Standes der Verhandlungen nicht im gegenwärtigen Augenblick stattfinden kann, sondern für morgen vormittag 10 Uhr vorgesehen ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Degener.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Bestimmung der Ihnen vorliegenden Gesetzesvorlage ist bei der Beratung im Ausschuß für Sozialpolitik so umstritten gewesen wie die, die eben Herr Abgeordneter Kollege Richter mit der von ihm im Ausschuß geübten Zähigkeit und mit dem gleichen Temperament behandelt hat. Die von ihm vertretene Meinung ist in den Ausschußberatungen unterlegen, weil sich doch zeigte, daß grundsätzliche Gegensätze bestanden; und ich hoffe, daß es allgemein zu den Tugenden gezählt wird, ehrenvoll unterliegen zu können.
— Bis jetzt ist die Debatte sachlich verlaufen, und ich möchte hoffen, daß sie auch weiterhin sachlich verläuft. Ich glaube nämlich, daß wir schneller zur Erkenntnis des Notwendigen kommen, wenn wir auf den geschichtlichen Rückblick verzichten und uns klarmachen, vor welchen Aufgaben wir auf dem Gebiete der Sozialversicherung zukünftig stehen. Wenn wir uns klarmachen, ob es gut ist, angesichts dieser zukünftigen Aufgaben die Arbeitgeber in den Selbstverwaltungsorganen in eine hoffnungslose Minderheit zu bringen, sie aus der Verantwortung im Aufgabengebiet der Sozialversicherung schlechthin zu entlassen
— ich glaube, das ist das Wesentliche —, wenn man sie nur mit einem Drittel in den Organen beteiligt, dann kann man sie auch ebenso gut herauslassen.
Der Herr Kollege Richter selbst hat ja heute bei einem anderen Punkt der Tagesordnung auf die Not derjenigen hingewiesen, für die die Sozialversicherung, in diesem Fall die Rentenversicherung, sorgen soll; er hat auf die unverhältnismäßig niedrige Höhe der Invalidenrenten usw. hingewiesen, und er hat geglaubt, man könne das Problem dadurch lösen, daß man bei beiden Rentenversicherungseinrichtungen — da die Beiträge gleich sind — auch die Leistungen gleichsetzt; er hat das als außerordentlich einfach geschildert. Ja, wenn man von dem Grundgedanken der Versicherung und den Wesensmerkmalen einer Versicherung vollkommen abweicht und lediglich den gegenwärtigen anormalen Zustand zugrunde legt, daß das, was bei der Deckung des Risikos fehlt, vom Staat, von der Allgemeinheit übernommen wird, dann kann man wohl zu einem solchen Standpunkt kommen. Aber wir haben uns, glaube ich, bei dem Aufbau der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung von ganz anderen Grundsätzen leiten zu lassen. Es muß doch mindestens das Ziel sein, durch den Einsatz der Selbstverwaltungsorgane den Versicherungsgedanken wiederum zum Tragen zu bringen. Wenn wir das wollen, dann haben wir uns eben von dem Grundgedanken leiten zu lassen: Ich versichere mich gegen ein Risiko, ich habe für die Deckung zu sorgen.
Welche Aufgabe hat denn die Sozialversicherung schlechthin? — Sie hat die einzige Aufgabe, denen, die sich nicht durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft ihren Lebensunterhalt sichern können, nun auf dem Wege dieser Versicherung den Lebensunterhalt zu schaffen. Das ist aber eine Gemeinschaftsaufgabe der Wirtschaft.
Wenn wir das anerkennen, dann kommen wir zum Prinzip der Sozialpartnerschaft, und wenn wir dabei sind, wissen wir auch, daß wir den Grundsatz der Parität anzuwenden haben. Es hat gar nicht viel Wert, darüber zu streiten, ob der Arbeitgeberbeitragsanteil in der Versicherung so oder so hoch ist und ob er tatsächlich nichts anderes ist als ein einbehaltener Lohn- oder Gehaltsanteil. Nennen wir die Dinge doch einfach so: die Summe, die von Arbeitgeberseite für Sozialversicherungszwecke eingesetzt wird, kommt aus dem Betriebsergebnis, und das Betriebsergebnis kommt ja erst durch das Zusammenwirken beider Faktoren zustande. Wenn wir so folgern, dann können wir die Nebenargumente über die Beitragshöhe, über das Herkommen des Lohnes völlig beiseitelassen. Die Mehrheit des Ausschusses hat sich eben auf den Standpunkt gestellt: Hier liegt eine wichtige Gemeinschaftsarbeit beider Teile in der Wirtschaft vor; deshalb muß und soll die Zusammensetzung der Selbstverwaltungsorgane paritätisch erfolgen.
Ein Wort zu der Befragung durch die Gewerkschaften. Wenn ich jemandem, der da vor der Tatsache steht, daß er möglicherweise nur einen halben Mitwirkungsgrad erhält, die Frage vorlege: Möchtest du lieber den ganzen?, dann ist es mir ziemlich klar, Herr Kollege Richter, daß die Antwort lautet: Natürlich will ich die alleinige Entscheidung.
— Nein. Ich will nur auf folgendes hinaus: Hätte man Gelegenheit genommen, den hier Beteiligten, den Befragten auch die Argumente der Gegenseite klarzumachen, ihnen zu sagen, warum die Parität sein soll, dann, glaube ich, wäre das Ergebnis doch ein etwas anderes gewesen. Mir sind aber sogar einige Fragebogen vorgelegt worden, in denen die Behauptung aufgestellt war, wir hätten in der Vergangenheit bei der Rentenversicherung die Zusammensetzung zwei Drittel zu einem Drittel gehabt. Das stimmt ja gar nicht. Wir haben in der Rentenversicherung zu allen Zeiten die Parität gehabt. Auch hier könnte man ja sagen, daß die Befragten bei der Beantwortung von zum Teil falschen Voraussetzungen ausgegangen sind. Das will ich gar nicht. Mir lag nur daran, dem Hohen Hause klarzumachen, daß wir auf Grund der Kriegsfolgen mit unserer ganzen Sozialversicherung in eine eminent schwierige Zeit hinein-
kommen, in der es darauf ankommt, den Weg zum Versicherungscharakter zurückzufinden und in seinem Rahmen soweit als irgend möglich die Aufgaben in gemeinsamer Arbeit mit den Arbeitgebern zu lösen. Wenn wir diesen Arbeitgeberteil herauslassen, ihn an dieser wichtigen Aufgabe desinteressieren, dann, glaube ich, handeln wir nicht gemäß unserer Verantwortung für die zukünftige Versorgung der in der Sozialversicherung Versicherten.
Ich bitte Sie daher, dem Antrag des Ausschusses zuzustimmen und damit die Parität in den Selbstverwaltungsorganen zu sichern.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu § 2 ist geschlossen. Wir stimmen ab, und zwar zunächst über die Abänderungsanträge.
- Zur Abstimmung hat das Wort der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, zu beantragen, über die Buchstaben a, b und c der Ziffer 4 des Antrages der SPD getrennt abzustimmen.
Das ist auch vorgesehen.
Meine Damen und Herren! Wir haben neun Abänderungsanträge zu bescheiden. Ich schlage Ihnen vor, dabei so zu prozedieren, daß wir zunächst die Abänderungsanträge herannehmen, die zu den vorderen Ziffern des § 2 gestellt sind. Da wäre zunächst über die Ziffer 2 a des Antrags des Abgeordneten Kohl abzustimmen:
der Absatz 1 des § 2 Buchstabe a soll folgende Fassung erhalten:
in der Krankenversicherung, in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten und in der Unfallversicherung aus Vertretern der Versicherten.
Wer für Abänderung in diesem Sinne ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Der nächste Antrag, über den abzustimmen wäre, wäre der Antrag der SPD unter Ziffer 4 a, der lautet: § 2 Absatz 1 Buchstabe a erhält folgende Fassung:
in der Krankenversicherung zu zwei Dritteln
aus Vertretern der Versicherten und zu einem
Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber.
Ich lasse zunächst über diese Litera abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere war die Mehrheit. Abgelehnt.
Nun kommt Litera b:
in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten zu zwei Dritteln aus Vertretern der Versicherten und zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitgeber.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit. — Abgelehnt.
Litera c:
in der Unfallversicherung je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Abgelehnt.
Der nächste Abänderungsantrag, über den abzustimmen ist, ist wiederum ein Antrag Kohl, und z war unter 2 b:
Bei den Betriebskrankenkassen setzt sich das Organ der Selbstverwaltung der Betriebskrankenkassen aus Vertretern der Versicherten zusammen. Das gilt entsprechend für die Organe der Bundesbahn-Versicherungsanstalt, die Organe der Ausführungsbehörden und die Organe der Unfallversicherung der Gemeinden.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Abgelehnt.
Der nächste Änderungsantrag wäre wieder ein Antrag der SPD, und zwar unter Ziffer 5 der Drucksache:
In § 2 Absatz 2 erhält der zweite Satz folgende Fassung:
Er hat die Hälfte der Stimmen, die den Vertretern der Versicherten zustehen.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere war die Mehrheit. - Abgelehnt.
Es folgt ein weiterer Abänderungsantrag der
SPD, und zwar unter Ziffer 6 der Drucksache:
In § 2 Absatz 5 erhalten Satz 2 und 3 folgende Fassung:
Jedes Mitglied der Vertreterversammlung hat zwei Stellvertreter, die es im Verhinderungsfall vertreten oder bei dessen Ausscheiden in der Reihenfolge ihrer Wahl an seine Stelle rücken. Scheidet ein Mitglied des Vorstandes aus, so wird es durch Neuwahl ersetzt.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
— Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Ich darf darauf hinweisen, daß der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP in Ziffer 1 denselben Fall betrifft. Diese Fassung ist kürzer.
Dieser Antrag kommt unmittelbar hinterher.
Herr Abgeordneter Horn, würden Sie vielleicht Ihren Antrag von der Rednertribüne aus begründen? Sie werden dann besser verstanden.
Meine Damen und Herren! Dem Inhalt der Sache nach weichen diese beiden Anträge an sich nicht voneinander ab. Der gemeinsame Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP will das Wort „zwei" dadurch verdeutlichen, daß gesagt wird: „einen ersten und einen zweiten" Vertreter, will es im übrigen aber bei dem Text der Vorlage bzw. des Ausschußbeschlusses belassen. Der SPD-Antrag wäre meines Erachtens deshalb überflüssig, weil das, was in dem übrigen Text dieses Antrages gesagt ist, wenn ich mich nicht ganz täusche, ohnehin schon aus der Ausschußvorlage hervorgeht.
Das Wort zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider hat sich mein verehrter Kollege Horn — ich darf es wohl so formulieren —
etwas getäuscht. Der SPD-Antrag sieht zwar nach den Ausführungen, die ich machte, auch vor und entspricht damit Ihrem Antrage, daß es statt „zwei Stellvertreter" heißen soll: „einen ersten und einen zweiten Stellvertreter". Aber der SPD-Antrag schlägt weiter vor, daß für den Vorstand keine Stellvertreter vorgesehen werden, weil der Vorstand eine juristische Person ist, kraft Gesetzes die Geschäfte zu führen hat und — wie es auch in der RVO war — keine Stellvertreter haben sollte. Deshalb haben wir vorgeschlagen, im letzten Satz zu sagen:
Scheidet ein Mitglied des Vorstandes aus, so wird es durch Neuwahl ersetzt.
Dadurch wird klar zum Ausdruck gebracht, daß hier keine Stellvertreter da sind; denn im vorhergehenden Satz wird von der Vertreterversammlung gesprochen und nicht schlechthin von den Organen. Es würde zur Klärung der ganzen Angelegenheit dienen, und vor allen Dingen der Kompetenzen des Vorstandsmitglieds und seiner eventuellen Haftbarkeit wegen richtig sein, wenn unser Vorschlag akzeptiert würde.
Meine Damen und Herren! Ich halte es nicht für übermäßig bedeutsam nach der Richtung, was zuerst darankommt. Nach meinem Dafürhalten geht der Antrag der SPD insoweit weiter als der interfraktionelle Antrag, weil zur Vertretungsfrage noch ein weiteres Problem angegangen wird und insoweit eine weitere Abänderung der Vorlage verlangt wird.
Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag der SPD unter Ziffer 6 der entsprechenden Drucksache. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere war die Mehrheit. — Abgelehnt.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP unter
Ziffer 1 der entsprechenden Drucksache, der lautet:
Im § 2 Absatz 5 wird das Wort „zwei" durch
die Worte „einen ersten und einen zweiten"
ersetzt.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erstere war die Mehrheit. Damit ist der Abänderungsantrag angenommen.
Der nächste Abänderungsantrag ist der Antrag Dr. Atzenroth, in Absatz 7 Satz 5 folgende Fassung zu wählen:
Für die Rentenversicherung gelten als Vertreter der Versicherten auch Angestellte der
Gewerkschaften oder der Vereinigungen von
Arbeitnehmern, als Vertreter der Arbeitgeber
Angestellte der Vereinigungen von Arbeitgebern. Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erstere war wohl die Mehrheit. Darf ich noch einmal bitten: die Ja-Stimmen! — Gegenprobe! — Das erstere war unzweifelhaft die Mehrheit. Angenommen.
Der nächste Abänderungsantrag ist der SPD-Abänderungsantrag Ziffer 7 der Vorlage, dem § 2 Absatz 9 folgenden Satz anzufügen:
Die Wahlen der Versichertenältesten und der Mitglieder der Organe und ihrer Stellvertreter sind vor dem Schlusse der laufenden Wahlzeit durchzuführen.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Abgelehnt.
Der letzte Abänderungsantrag ist Ziffer 8 der
Drucksache, die die SPD-Anträge enthält. § 2
Absatz 11 soll folgende Fassung erhalten:
Tritt bei einer Abstimmung Stimmengleichheit ein, so wird die Abstimmung nach erneuter Beratung wiederholt; kommt auch hierbei eine Mehrheit nicht zustande, so gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; auch dieser Antrag ist abgelehnt.
Damit sind die Abänderungsanträge beschieden. Wir kommen zur Abstimmung über die Vorlage in der nunmehr beschlossenen Fassung. Wer für § 2 in der nunmehr beschlossenen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Ersteres war die Mehrheit; angenommen.
Ich erteile nunmehr, nachdem § 2 erledigt ist, das Wort zur Geschäftsordnung dem Abgeordneten Dr. Arndt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantrage, in der Plenarsitzung heute die weiteren Abstimmungen zurückzustellen, bis sich der Untersuchungsausschuß konstituiert hat, der heute eingesetzt worden ist. Der Ältestenrat hat doch mit voller Absicht die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses heute als Punkt 1 für die Tagesordnung vorgeschlagen, damit der Ausschuß noch heute während der Plenarsitzung eingesetzt werden und es ihm ermöglicht werden könnte, alsbald an die Arbeit zu gehen, so daß morgen schon die erste Sitzung des Ausschusses sein könnte. Es ist unerträglich, das Tagen dieses Ausschusses noch weiter hinauszuschieben. Wir müssen deshalb
Widerspruch dagegen erheben, daß die Konstituierung erst morgen um 10 Uhr erfolgen soll. Das würde bedeuten, daß morgen der ganze Tag für die Ausschußarbeit verlorengeht. Ich bitte deshalb, daß alle Abstimmungen jetzt zurückgestellt werden, bis die Konstituierung des Untersuchungsausschusses hat stattfinden können.
— Meine Damen und Herren, ich will Sie auf eines hinweisen: man könnte der Auffassung sein, daß dieses Haus — —
Meine Damen und Herren, Sie haben noch nicht gehört, was der Redner Ihnen sagen will.
— daß dieses Haus überhaupt nicht tagen sollte, bis die andere Frage geklärt ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich bin mit meinem Vorredner durchaus darin einig, daß die Verhandlung des Fragenkomplexes, der dem Untersuchungsausschuß zugewiesen ist, keinerlei Verzögerung verträgt. Ich bin aber der Auffassung, daß wir diese Abstimmung getrost durchführen können, denn wir haben erst 1/27 Uhr, und da mag der Ausschuß sich um 1/29 Uhr konstituieren. Wir haben schon manche
Abendsitzung gehabt, und gerade einer so wichtigen Aufgabe werden die Mitglieder dieses Hauses auch einige Abendstunden widmen. Damit tritt keine Verzögerung ein; der Ausschuß kann morgen an die Arbeit gehen.
Meine Damen und Herren! Es ist der Antrag gestellt, nicht die Verhandlungen auszusetzen, sondern nur die Abstimmungen an das Ende der Beratungen zu legen. Ich lasse über diesen Antrag abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe auf § 3 der Vorlage. Ich eröffne die Aussprache. Änderungsanträge liegen nicht vor.
— Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Es ist sehr schwer, sich verständlich zu machen. — Abänderungsanträge liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse abstimmen. Wer für § 3 der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Ich rufe auf § 4. Hier liegen eine Reihe von Abänderungsanträgen vor. Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf Sie hier auf den Abänderungsantrag der drei Koalitionsparteien verweisen und ihn kurz begründen. Das frühere Reichsrecht, also die Reichsversicherungsordnung, sah für die Wahl der Organe, also der Ausschüsse etc. die Einreichung von Vorschlagslisten vor und bestimmte als Wahlmodus das Verhältniswahlrecht. Die Vorlage, wie sie von der SPD eingereicht wurde, und auch der Regierungsvorschlag sind von diesen alten Vorschriften abgewichen. In beiden Vorlagen ist. nicht mehr von Vorschlagslisten und vom Verhältniswahlsystem die Rede, sondern es wird nur von Vorschlägen der Spitzenorganisationen etc. gesprochen. Auch der sozialpolitische Ausschuß hat in seinem Beschluß die gleiche Festlegung getroffen.
Wir sind aber in den Regierungsparteien der Meinung, daß mit dieser Regelung der Sache schlecht gedient ist. Der Verzicht auf die Bezeichnung „Vorschlagslisten" und auch die nicht mehr hineingenommene Festlegung des Verhältniswahlsystems ist nicht etwa eine schematische Angelegenheit, sondern eine grundlegende Änderung dieses Wahlvorgangs. Es ist hier daran gedacht und auch in der Aussprache des Ausschusses deutlich geworden, daß man sich für die Folge nach diesem Recht die Wahl nach der Art des Mehrheitswahlsystems vorstellt; das heißt, wenn Vorschläge von verschiedener Seite eingereicht werden, wäre die Praxis so wie jetzt bei den Betriebsrätewahlen. Dann werden sämtliche Namensvorschläge als Wahlvorschlag alphabetisch auf eine Liste gebracht. Aus diesem namentlichen, alphabetischen Vorschlag haben sich dann die Wahlberechtigten ihre Kandidaten, denen sie die Stimme geben wollen, herauszusuchen. Wir wollen doch in diesem Gesetz auch eine möglichst einfache Regelung treffen, der jeder, auch der einfachste Wahlberechtigte folgen kann. Wenn Sie sich einmal vorstellen, daß hier die Höchstzahl der Mitglieder einer Vertreterversammlung auf 60 beziffert ist und daß für jeden Vertreter ein erster und ein zweiter Stellvertreter gewählt werden, und wenn Sie sich dann weiter vorstellen, daß in einem Falle etwa drei Vorschläge eingereicht werden, die dann zu einem Vorschlagswahlzettel vereint werden, so kommt es in der Praxis darauf hinaus, daß auf diesem Vorschlag nicht weniger als 540 Namen zu stehen hätten, und zwar dreimal 60 Namen und zweimal je die gleiche Zahl. Es wird doch wohl niemand glauben, daß das eine einfache, für den Wähler verständliche Angelegenheit wäre.
Wenn Sie weiter hinzunehmen, daß wir in einem Paragraphen dieses Gesetzes, dessen Behandlung gleich an die Reihe kommt, auch die Möglichkeit vorgesehen haben, daß nichtorganisationsgebundene Wahlberechtigte Vorschläge einreichen können, wenn sie je nach der Größe des Trägers die entsprechende Anzahl von Unterschriften aufbringen, dann ist die Befürchtung berechtigt, daß es, falls es bei dieser Bezeichnung „Vorschläge" verbleibt, diesen nichtorganisationsgebundenen Vorschlägen außerordentlich schwer gemacht werden würde, zum Zuge zu kommen. Das ist doch zweifellos auch nicht die Absicht des Gesetzgebers.
Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, daß Sie diesem gemeinsamen Abänderungsvorschlag der Regierungsparteien Ihre Zustimmung geben.
Ich darf noch darauf verweisen, daß, wenn diese Änderung getroffen wird, davon auch der § 18 stark berührt wird, den wir nachher zu besprechen haben. Es werden dann eine Reihe von Vorschriften, die jetzt in dem § 18 als „aufzuheben" oder „nicht mehr in Kraft befindlich" bezeichnet werden, davon betroffen. Insofern wird sich also ohnehin schon eine Notwendigkeit der Änderung des § 18 ergeben. Ich wollte jetzt schon darauf hinweisen; wir sprechen darüber noch an geeigneter Stelle.
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Der sozialdemokratische Abänderungsantrag, den ich zu vertreten habe, spricht eigentlich für sich, so daß ich ihm nur wenige Begleitworte mit auf den Weg zu geben brauche. Der § 4 Abs. 1 lautet in der vorgeschlagenen Fassung:
Außer ihnen können auch andere Gruppen von Versicherten und Arbeitgebern Vorschläge machen. Die Satzung eines Versicherungsträgers kann für diese Vorschläge bestimmen, daß eine Mindestzahl von Unterschriften der Wahlberechtigten erforderlich ist, wenn dies wegen der besonderen Verhältnisse des Versicherungsträgers angemessen erscheint; die Satzung darf jedoch keine Mindestzahl bestimmen, welche es in unbilliger Weise erschwert, solche Vorschläge zu machen.
Der Vorschlag der SPD will kein Schema, sondern strebt die Berücksichtigung der Besonderheiten an, die sich landschaftlich ergeben können. Die mit Land und Leuten vertrauten Versicherungsträger können in der Satzung den besonderen Gegebenheiten Rechnung tragen, und es wird jede ferngelenkte Einmischung vermieden.
Die Begründung der Bundesregierung zu diesem Gesetzentwurf spricht mit Recht davon, daß das Führerprinzip eines autoritären Staates dem Wesen der deutschen Sozialversicherung widerspricht. Der Abänderungsantrag der SPD ist ein wesentlicher und wertvoller Beitrag zur Erreichung des Zieles, den demokratischen Wesensinhalt der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung nicht nur am Rande, sondern in der Tiefe und in der Breite zu vervollkommnen. Bei dem Besuch eines Ausschusses in Tübingen berichtete uns der Arbeitsminister in Gegenwart des Kollegen Gengler von dem hohen Alter der Demokratie in Württemberg-Hohenzollern. Diese Ausführungen haben bei den Nord- wie Ostländern ein Gefühl des Bedauerns hochkommen lassen, daß ihre Vorfahren etwas verspätet die Ehe mit der Demokratie geschlossen haben. Um so mehr erhoffen wir heute bei der Abstimmung über unseren Abänderungsantrag, von den süd- und westdeutschen Kollegen der Regierungsparteien mit alter demokratischer Tradition nicht im Stich gelassen zu werden.
Im ursächlichen Zusammenhang mit diesem Abänderungsantrag, von dem ich annehme, daß Sie ihm zustimmen werden, steht dann Abs. 6 vom § 11, den wir zu streichen bitten. Wir wollen uns in Kiel und München nicht mit dem Bundeswahlbeauftragten streiten. Dieser Bundeswahlbeauftragte, über dessen Person heute noch ein geheimnisvoller Schleier liegt, der aber gar nicht so unbekannt sein dürfte, ist ein derart vielbeschäftigter Mann, daß er die Fülle der besonderen Verhältnisse gar nicht zu studieren, noch weniger landschaftlich abwägend gerecht zu entscheiden imstande sein wird. Helfen Sie also bei der Streichung mit.
Wenn ich Sie gebeten habe, unserem Abänderungsantrag die Zustimmung zu geben, so bin ich leider nicht in der Lage, für den CDU-Antrag dasselbe Entgegenkommen zu zeigen. Wir halten an dem Vorschlage fest und lehnen die Vorschlagslisten ab.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu § 4 ist geschlossen.
Ich lasse abstimmen. Zunächst ist über den Antrag der CDU/CSU, der FDP und der DP abzustimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der Antrag ist angenommen.
Dann lasse ich über den Antrag der SPD unter Ziffer 9 der Drucksache abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über § 4 in der soeben geänderten Fassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Die Mehrheit hat sich dafür entschieden.
Ich rufe § 5 auf. Abänderungsanträge liegen nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wer für § 5 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der
§ 5 ist angenommen.
Zu § 6 liegt kein Abänderungsantrag vor. Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wer für § 6 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Der
§ 6 ist angenommen.
Es liegt ein Antrag der SPD vor, einen § 6a anzufügen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Freidhof.
Meine Damen und Herren! In dem Gesetzentwurf, den die sozialdemokratische Fraktion als Drucksache Nr. 248 eingereicht hatte, war ein § 8 enthalten, der die Aufgaben und Befugnisse der Vertreterversammlung gesetzlich festlegen sollte. Der Herr Berichterstatter hat vorhin, als er den Bericht des Ausschusses gab, darauf hingewiesen, daß die Mehrheit des sozialpolitischen Ausschusses diesen Antrag deshalb abgelehnt habe, weil die Aufgaben der Organe bereits in der Reichsversicherungsordnung gesetzlich festgelegt seien. Wir haben den Antrag trotzdem wieder eingebracht. Wir wünschen, daß diese Bestimmung in das Gesetz aufgenommen wird. Der Antrag hat den Zweck, eine Lücke, die jetzt im Gesetz enthalten ist, zu schließen. Es ist zwar in § 1 Abs. 4 gesagt, daß die Vertreterversammlung an die Stelle des früheren Ausschusses, der Genossenschaftsversammlung, der Sektionsversammlung, des Verwaltungsrates, der Hauptversammlung oder der Bezirksversammlung tritt. Es darf jedoch nicht übersehen werden, daß die Rechte der Vertreterversammlung in den einzelnen Versicherungszweigen ganz verschieden sind.
Dabei ist die Tatsache entscheidend, daß bei keinem Versicherungszweig festgelegt worden ist, wer die Satzung erlassen soll. In verschiedenen Paragraphen des uns jetzt vorgelegten Gesetzes ist auf die Satzung Bezug genommen. Beispielsweise ist in § 1 Abs. 5 gesagt: Das Nähere bestimmt die Satzung. Es ist also zwar festgelegt, daß die Satzung etwas bestimmt. Es ist aber nicht festgelegt, wer die Satzung erlassen soll. Nach unserer Auffassung ist die Satzung von der Vertreterversammlung zu beschließen. Eine solche Bestimmung ist weder in der Reichsversicherungsordnung noch in dem Angestelltenversicherungsgesetz noch in dem Knappschaftsversicherungsgesetz enthalten. In den einzelnen Bestimmungen heißt es lediglich, daß die Vertreterversammlung die Aufgabe hat, die Satzung zu ändern. Die alten Satzungen sind nach altem Recht von irgendwelcher Behörde bei der Schaffung des Versicherungsträgers erlassen worden. Wenn wir jetzt die Selbstverwaltung wiederherstellen, muß unserer Meinung nach der Vertreterversammlung auch das Recht gegeben werden, die Satzung selbst zu beschließen. Dieser neue Rechtsgrundsatz muß in dem Gesetz enthalten sein. Sonst bestimmt darüber auch diesmal wieder eine autoritäre Bürokratie. Nach unserer Auffassung gehört deshalb die von uns vorgeschlagene Bestimmung in das Gesetz, damit endgültig festgelegt ist, wer die Satzungen zu erlassen hat.
Wir haben noch eine Reihe weiterer Bestimmungen in unseren Antrag aufgenommen. Sie sind zwar schon in der Reichsversicherungsordnung enthalten. Wir haben sie aber der Einfachheit halber in den Paragraphen aufgenommen, der jetzt als § 6 a eingefügt werden soll, um das Gesetz abzurunden.
Ich bitte Sie also, unserem Antrag zuzustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wer für die Beifügung des § 6 a in der beantragten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das letztere ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Zu § 7 liegen Abänderungsanträge nicht vor. Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Ich lasse abstimmen. Wer für § 7 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 8. Hier liegen einige Abänderungsanträge vor, und zwar ein Antrag der Fraktion der SPD und ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP. Wer begründet den Antrag? — Das Wort hat der Abgeordnete Horn.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Ausschußvorlage zur Hand nehmen und Abs. 1 c anschauen, dann finden Sie dort als dritten Satz:
Der Vorsitzende sowie die übrigen Mitglieder der Geschäftsführung bedürfen der Bestätigung durch die Landesregierung; dies gilt entsprechend für die Seekasse.
Unser Abänderungsantrag will hinter dem Wört ,,Landesregierung" einfügen:
. . . , bei bundesunmittelbaren Körperschaften
durch die Bundesregierung im Einvernehmen
mit den beteiligten Landesregierungen.
Bei der Seekasse handelt es sich nämlich in der Tat um eine bundesunmittelbare Körperschaft und nicht um eine solche, für die nur ein Land zuständig wäre. Es gibt auch noch einige andere derartige Einrichtungen, und in diesen Fällen glauben wir, daß die Bestätigung durch die Bundesregierung ausgesprochen werden sollte, aber im Einvernehmen mit den beteiligten Landesregierungen. Ich glaube, dieser Änderungsantrag dient der korrekten Klarstellung, und ich darf Sie bitten, ihm zuzustimmen.
Zur Begründung des Antrages der Fraktion der SPD hat das Wort der Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen grundsätzlich der Tendenz, die in dem Antrag der CDU/CSU liegt, zu, sind aber nicht damit einverstanden, daß die Errichtung einer Geschäftsführung oder eines Direktoriums erfolgen soll, sondern sind der Meinung, daß entsprechend unserem Antrag unter Nr. 11 auch in der Rentenversicherung ein Geschäftsführer und, wenn erforderlich, ein Stellvertreter vorgesehen sein sollen. Erstmals in der Geschichte der Rentenversicherung der Arbeiter wird mit diesem Gesetz versucht, nicht einen Geschäftsführer, sei es unter dem Titel Präsident oder Direktor, die Geschäfte führen zu lassen, sondern ein Direktorium, eine mehrgliedrige Geschäftsführung von drei, ja unter Umständen fünf Personen an seine Stelle zu setzen. Wir sehen keinen sachlichen Grund dafür, daß bei allen 17 Landesversicherungsanstalten der Bundesrepublik ein Direktorium errichtet werden soll. Wir sind der Meinung, daß auf Grund der Konstruktion der Selbstverwaltung, wonach der Vorstand die Geschäfte zu führen hat und die Vertreterversammlung quasi das legislative Organ dieser Institution ist, nicht noch ein drittes Organ, Direktorium oder Geschäftsführung genannt, geschaffen werden kann. Praktisch müßte ja dann, wenn die Beschlüsse des Vorstands von der Geschäftsführung durchzuführen sind, diese Geschäftsführung noch einmal beschließen, von wem, wie, wo und wann sie durchgeführt werden sollen. Das führt doch zu Zuständen, die von keinem von Ihnen gewollt werden können. Sie können mir erwidern: In der Angestelltenversicherung wurde bei Schaffung der Reichsanstalt im Gesetz von 1911 ein Direktorium vorgesehen. Da ist es ein Organ mit Befugnissen neben dem Vorstand und neben dem Verwaltungsrat gewesen. Dort hat es Stimmrecht in allen Fragen gehabt. Das ist doch ganz anders, als es jetzt in unserm Gesetz über die Selbstverwaltung vorgesehen ist.
Wir sind weiter der Meinung, daß weder der Geschäftsführung noch dem Geschäftsführer in der Rentenversicherung der Arbeiter bei der Aufstellung des Haushalts, des Stellenplans und in Fragen der Vermögensanlage ein beschließendes Stimmrecht gegeben werden sollte. Das würde praktisch bedeuten, daß der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführung bei der paritätischen Zusammensetzung des Vorstandes in einer Abstimmung das Zünglein an der Waage bilden, daß in diesen Fragen nicht die Arbeitgeber und nicht die Versicherten entscheiden, wenn sie verschiedener Meinung sind, sondern letzten Endes der Geschäftsführer bzw. die Geschäftsführung. Das halten wir für ungesund; es verstößt gegen die Tendenz der Selbstverwaltung. Deshalb bitte ich Sie, unseren Antrag unter Nr. 11 anzunehmen, durch den die frühere Fassung des Wirtschaftsrats und der ursprüngliche Beschluß des sozialpolitischen Ausschusses wieder hergestellt werden soll.
Keine weiteren Wortmeldungen zu § 8? — Dann schließe ich die Aussprache.
Ich lasse abstimmen, und zwar zunächst über die Abänderungsanträge zu Abs. 1 c. Hier ist der weitestgehende Änderungsantrag derjenige der SPD, Ziffer 11 der Vorlage, und zwar zunächst bis einschließlich „Verwaltungsbehörde des Landes". Über die letzten zwei Zeilen lasse ich nachher abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Nun lasse ich über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP zu Abs. 1 Buchstabe c abstimmen. Wer 'dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Nun lasse ich über den Antrag abstimmen, Buchstabe e Satz 2 zu streichen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit.
Jetzt lasse ich über den Antrag abstimmen, den Abs. 4 zu streichen und den Abs. 5 zu Abs. 4 werden zu lassen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für § 8 in der veränderten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Die Fraktion der SPD hat in den Ziffern 12 und 13 den Änderungsantrag gestellt, einen § 8 a und einen § 8 b einzufügen. Wer begründet das? — Das Wort hat Frau Kipp-Kaule.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In unserer Vorlage beantragen wir unter Ziffer 12, daß der § 10 des Regierungsentwurfs — § 13 des Initiativgesetzentwurfes
der SPD — zu § 8 a gemacht wird. Der Ausschuß hatte beschlossen, diesen Paragraphen aus dem Gesetz herauszunehmen. In der Begründung sagte der Abgeordnete Arndgen, daß seit 1945 auf diesem Gebiet verschiedene Erlasse auf der Länderebene ergangen seien.
Wir sind der Meinung, daß gerade in diesem Gesetz ein Prüfungsparagraph eingefügt werden muß; denn, meine Damen und Herren, es ist wichtig genug, nicht nur zu wissen, was das Ergebnis der Kassenführung ist, sondern auch zu wissen, was das Ergebnis der Geschäftsführung schlechthin ist.
Die alte Regelung, die wir kennen, ging dahin, daß die Versicherungsträger ihre Prüfungsorgane selber einsetzten. Nach dem, was die Regierung gewünscht hatte und was auch meine Fraktion wünscht, sollten sich die Versicherungsträger jährlich einer Prüfung durch eine Prüfungsstelle unterziehen, die vom Versicherungsträger selbst vollständig unabhängig ist. Bei der Bedeutung, die die Sozialversicherung und die Beitragsleistung haben, können wir nicht darauf verzichten, diesen Paragraphen einzufügen.
In Anbetracht der Wichtigkeit bitte ich Sie, unserem Vorschlag zuzustimmen, daß § 10 des Regierungsentwurfs zu § 8 a wird mit der Maßgabe, daß Abs. 1 Satz 3 dahin geändert wird:
Die Prüfungsstellen haben über das Ergebnis der Prüfung einen schriftlichen Bericht
nach den von der Aufsichtsbehörde des Bundes festgesetzten Richtlinien zu erstatten.
Gestatten Sie mir dazu einige Worte. In der Regierungsvorlage wird gesagt, daß die Aufsichtsbehörde die Richtlinien selbst festsetzt. Wer ist die Aufsichtsbehörde? Man muß schon konkret aussprechen, wer die Richtlinien zur Prüfung festsetzen soll. Hier sind wir der Meinung, daß es nur die Aufsichtsbehörde des Bundes sein kann, damit nicht nachher dieser Paragraph so ausgelegt wird, daß die Aufsichtsbehörden der Länder die Prüfung nach von ihnen festgesetzen Richtlinien durchführen lassen können. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, unserem Antrag zuzustimmen, daß der Prüfungsparagraph als § 8 a eingefügt wird. Wir können die Verantwortung nicht auf uns nehmen, eine Prüfung in diesem Gesetz nicht vorzusehen.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer für die Einfügung des § 8 a ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Von der Fraktion der SPD ist weiter der Abänderungsantrag gestellt, einen § 8b einzufügen. Das ist der Abänderungsantrag Ziffer 13.
Wer begründet den Antrag? — Der Abgeordnete Dannebom hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen meiner politischen Freunde beantrage ich, dem Gesetzentwurf nach der Fassung des Ausschusses einen Paragraphen 8b einzufügen. Das ist § 14 der Vorlage der Fraktion der SPD und ist identisch mit § 11 der Regierungsvorlage. Er betrifft die Aufsicht über die Sozialversicherungsträger. Wir wollen damit das alte Recht wieder einführen, das bis 1933 bestand.
Wir können uns der Meinung, die der Herr Kollege Arndgen im Namen der Mehrheit des Ausschusses hier vortrug, nicht anschließen, daß diese Aufgaben einem zukünftigen Bundesaufsichtsamt übertragen oder der Regelung in einem Organisationsgesetz, das verabschiedet werden soll, überlassen werden sollen. Wir sind der Meinung, daß diesem Bundesaufsichtsamt nicht Rechtsprechung u n d Verwaltung übertragen werden dürfen.
Wir vertreten die Auffassung, daß sowohl Prüfung als auch Aufsicht einem unabhängigen Gremium übertragen werden müssen. Die Aufsichtsbehörde soll ihre Aufsicht lediglich insoweit durchführen, daß sie darüber wacht, daß Gesetze und Satzungen so beobachtet werden, wie es der Zweck der Versicherung erfordert. Die Aufsicht darf sich nicht auf Fragen der Zweckmäßigkeit erstrecken.
Meine Damen und Herren, es ist ferner zu beachten, daß die Vorschriften der §§ 30 bis 34 der Reichsversicherungsordnung für die Versicherungsträger in allen Zweigen der Sozialversicherung Geltung haben sollen. Gerade auf diesem Gebiet herrscht eine weitgehende Verschiedenheit, ja man kann sogar sagen: Zersplitterung, und deshalb sind meine politischen Freunde und ich der Auffassung: diese Fragen dürfen nicht in einem kommenden Organisationsgesetz geregelt werden, sondern sollen und müssen in dieses Gesetz über die Selbstverwaltung hineingearbeitet werden. Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, sich durch Ihre Unterstützung dafür miteinzusetzen, daß unser Antrag angenommen wird.
Keine weiteren Wortmeldungen? — Ich schließe die Aussprache.
Wir stimmen ab. Wer für die Einfügung dieses beantragten § 8b ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit; abgelehnt.
§ 9. Hier liegen keine Abänderungsanträge vor. Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wer für die Annahme des § 9 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 10. Hier liegen Abänderungsanträge vor, ein Antrag der SPD und ein Antrag des Abgeordneten Kohl. Wer begründet? — Abgeordneter Richter, Sie haben das Wort.
Richter (SPD': Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der § 10 der Vorlage ist deshalb von Bedeutung, weil bei Annahme desselben praktisch entschieden würde, daß die Reichsanstalt für Angestelltenversicherung, wahrscheinlich von Berlin, wie die Antragsteller einmal zum Ausdruck gebracht haben, nach Bonn verlegt würde. Damit können wir uns nicht einverstanden erklären. Wir sind der Meinung. daß der § 10 in der vom Ausschuß vorgelegten Fassung abgelehnt werden und an seine Stelle der § 12 der Regierungsvorlage treten sollte. und haben dementsprechend unter Nr. 17 unseren Antrag gestellt. Es gilt heute. völlige Klarheit zu schaffen. Denn nach dem Wortlaut des § 10 sind nur ein Vorstand und eine Vertreterversammlung für das Bundesgebiet zu wählen. Diese Organe sind aber funktionsfähig und werden auch eine kleine Verwaltung mit einer Geschäftsführung bekommen. Das bedeutet praktisch. daß die in Berlin noch vorhandene Angestelltenversicherung mit ihrem Apparat, mit ihren
Karteikarten, mit allen Unterlagen, die jeder Angestelltenversicherte im gesamten Bundesgebiet braucht, von Berlin eines Tages nach dem Bundesgebiet geschafft wird. Wir sind der Meinung, daß hierüber zu gegebener Zeit zu entscheiden ist und daß nicht durch dieses Gesetz noch ein besonderes Organ neben dem der Landesversicherungsanstalten zu schaffen ist. Ich bitte deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl.
Meine Damen und Herren! Ich darf mich auf die Erklärung beschränken, daß wir bei der Frage der Bildung einer Selbstverwaltung in der Angestelltenversicherung ganz zwangsläufig dieselbe Stellung einnehmen wie bei der Invalidenversicherung. Wir sind der Auffassung, daß auch hier die Versicherten allein zu bestimmen haben.
Ich möchte trotzdem grundsätzlich einige Sätze sagen, weil gerade hier in dem Zusammenhang mit den Fragen der Invaliden- und Angestelltenversicherung ein Problem auftritt, das in der kommenden Zeit dringendst der Erledigung bedarf. Die kommunistische Fraktion hat vor Monaten bereits einen Antrag eingebracht, der vom Hause angenommen worden ist und der verlangte, daß die Bundesregierung recht bald eine Gesetzesvorlage einbringt, die eine Vereinfachung der gesamten Sozialversicherung zur Grundlage hat. Wir verstehen unter einer Vereinfachung der gesamten Sozialversicherung eine Zusammenlegung der Angestelltenversicherung mit der Invalidenversicherung, also die Schaffung einer einheitlichen Versicherung, wie Frau Kollegin Kalinke so liebenswürdig gewesen ist, heute schon anzudeuten.
Ich glaube, daß wir dieser Frage in diesem Hause nicht ausweichen können. Wir sind deshalb der Auffasung, daß die hier vorgeschlagene Regelung nur ein Provisorium darstellt, da die Vereinfachung zwangsläufig kommen muß, wenn die Sozialversicherung krisenfest, wenn sie gesund sein und wenn sie vor allen Dingen ihre Leistungen steigern will. Ich bitte Sie deshalb, unseren Antrag anzunehmen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich antworte nicht auf die hier nicht zur Diskussion stehende Frage einer Einheitsrentenversicherung.
Ich spreche zum § 10 der Gesetzesvorlage, wie sie im Ausschuß beschlossen worden ist, und ich möchte hier vor der deutschen Öffentlichkeit nur klarstellen, daß im Ausschuß zwar darüber gesprochen worden ist, die Vertreterversammlung, d. h. die Organe der künftigen, hoffentlich recht bald wieder in Berlin zu errichtenden Bundesanstalt für Angestellte
unter Umständen hier in Bonn zusammentreten zu lassen, solange der Sitz der Anstalt, den die Regierung zu bestimmen hat, noch nicht feststeht. Es ist von keinem Mitglied des Ausschusses etwa der Wunsch geäußert oder gar der Gedanke ausgesprochen worden, die Bundesanstalt
in Bonn oder anderswo zu errichten, und ich kann für mich und meine Freunde von der Fraktion der Deutschen Partei erklären, daß wir nichts mehr wünschten, als daß unser Antrag vom September vorigen Jahres zur Errichtung der Bundesanstalt für Angestellte recht bald erledigt würde und daß wir dann die Angestelltenversicherung wieder in Berlin haben könnten.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache zu § 10 ist geschlossen.
Ich lasse abstimmen über die Abänderungsanträge, zunächst über Ziffer 17 des Antrags der SPD. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit. — Abgelehnt.
Dann stimmen wir ab über den Antrag des Abgeordneten Kohl ; das ist Ziffer 3 der Drucksache, die seine Anträge enthält. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Abgelehnt.
Nun lasse ich abstimmen über § 10 in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! - Angenommen.
Zu § 11 liegen drei Abänderungsanträge der Fraktion der SPD vor; das sind die Ziffern 14, 15 und 16 der Drucksache.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In § 11 Abs. 3 wird bestimmt, daß der Bundesminister für Arbeit die Wahlordnung erläßt. Mit einer solchen Regelung können wir uns nicht einverstanden erklären. Wir halten es nicht für richtig, dem Bundesarbeitsminister eine so weitgehende Ermächtigung zu erteilen, und wir sind der Meinung, daß sich das Haus bereits bei verschiedenen Gelegenheiten dagegen ausgesprochen hat, der Bundesregierung zu weittragende Ermächtigungen zuzugestehen. Wir halten es für richtig und auch für notwendig, daß die Wahlordnung durch ein Gesetz verabschiedet wird, damit der Bundestag dazu Stellung nehmen kann.
Wir sind davon überzeugt, daß Sie eine Reihe von Einwendungen machen, beispielsweise darauf hinweisen werden, daß früher das Reichsversicherungsamt die Wahlordnung für die Sozialversicherungsträger erlassen hat, genau so wie die Wahlordnung für die Beisitzer bei den Versicherungsbehörden. Alles das zugegeben, meine Herren und Damen! Aber heute haben wir eine ganz andere Situation. Die Wahlen sind weitaus schwieriger. Während wir früher nur bei den Krankenkassen Urwahlen hatten, haben wir jetzt auf Grund des § 4 für jeden Versicherungszweig Urwahlen, die die Dinge selbstverständlich erschweren und eine Vielfalt von Vorschriften erfordern. Außerdem sind im Gesetz keine Bestimmungen über die Wahl verankert, abgesehen von der Vorschrift über den Bundeswahlbeauftragten. Das Gesetz würde deshalb dem Bundesarbeitsminister völlig freie Hand geben. Diese Ermächtigung erscheint uns aber viel zu weittragend, als daß wir ihr zustimmen könnten. Bei der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes im Reichstag wurde in § 25 festgelegt, daß die näheren Bestimmungen über das Wahlverfahren vom Reichsarbeitsminister
mit Zustimmung eines aus 28 Mitgliedern bestehenden Ausschusses des Reichstags getroffen werden. Hier, wo es sich um eine Vielfalt von Versicherungsträgern handelt, soll dem Bundesarbeitsminister die Möglichkeit gegeben werden, die Wahlordnung allein zu erlassen.
War sollten bei unseren Überlegungen nicht vergessen, daß diese Sozialwahlen von außerordentlicher Bedeutung sind. Zwei Drittel der Bevölkerung werden davon erfaßt, nur ein Drittel weniger als bei der Bundestagswahl, und auch damals wurde vom Parlamentarischen Rat ein Wahlgesetz verabschiedet. Mit Rücksicht auf die Bedeutung dieser Sozialwahlen fordern wir ein Gesetz. Aber ich möchte auch noch etwas hinzufügen: Wir waren uns im Ausschuß eigentlich alle darin einig, daß wir alles tun wollen, um der Bevölkerung die Bedeutung dieser Wahlen wirklich zum Bewußtsein zu bringen.
Sie werden uns jetzt vielleicht vorwerfen, wir verzögerten mit unserer Forderung das Inkrafttreten des Gesetzes.
Wir haben bereits im Ausschuß darauf hingewiesen, daß wir eine solche Regelung wünschen, und es kann auch dem Bundesarbeitsminister nicht unbekannt geblieben sein, daß wir gegen eine solche Ermächtigung unseren Einspruch geltend machen werden.
Deshalb sind wir der Ansicht, daß der Bundesarbeitsminister bereits seit längerem die Möglichkeit und die Gelegenheit gehabt hätte, einen solchen Gesetzentwurf einzureichen. Ja wir sind darüber hinaus der Auffassung, daß er ihn sogar gemeinsam mit dem Selbstverwaltungsgesetz hätte einreichen können. Dann hätten wir diese beiden Gesetze zusammen verabschieden können. Wir können und wollen dem Bundesarbeitsminister diese Ermächtigung nicht geben. Wir sind der Meinung, daß ein Wahlgesetz vorgelegt werden sollte, zu dem der Bundestag Stellung nimmt, und beantragen deshalb, daß § 11 Abs. 3 die Fassung erhält, die wir in unserem Abänderungsantrag vorgeschlagen haben.
Weiterhin bitten wir, dem § 11 Abs. 5 wieder die Fassung des § 13 Abs. 5 der Vorlage der Bundesregierung zu geben. Es ist zweifellos erwünscht, daß die Wahlen nicht nur für einzelne Versicherungszweige, sondern möglichst insgesamt einheitlich durchgeführt werden. Ob sich das aber in der Praxis in diesem Umfang durchführen läßt, können wir heute überhaupt noch nicht übersehen. Deshalb ist § 13 Abs. 5 der Regierungsvorlage elastischer, weil man damit die Möglichkeit hat, auf die zunächst noch sehr differenzierten Verhältnisse in den einzelnen Ländern Rücksicht zu nehmen. Man sollte es dem Bundesarbeitsminister im Einvernehmen mit den obersten Verwaltungsbehörden der Länder und den Gewerkschaften überlassen, wie die Wahlen am zweckmäßigsten, am einfachsten und am billigsten durchgeführt werden können.
Deshalb bitten wir um Annahme unserer Abänderungsanträge.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse über diese drei Abänderungsanträge zu § 11 gesondert abstimmen, zunächst über den Abänderungsantrag zu Abs. 3; das ist Ziffer 14 der Drucksache. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit; abgelehnt.
Nun kommt der Antrag zu Abs. 5; das ist die Ziffer 15. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres war die Mehrheit; abgelehnt.
Nunmehr der Antrag zu Abs. 6; das ist die Ziffer 16 der Drucksache. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! -
Letzteres war die Mehrheit; abgelehnt.
Nunmehr lasse ich über § 11 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Angenommen.
Zu § 12 liegen keine Abänderungsanträge vor. Ich eröffne die Aussprache. Keine Wortmeldungen. Ich schließe die Aussprache.
Wer für die Annahme von § 12 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Zu § 13 liegt ein Abänderungsantrag der SPD unter Ziffer 18 der Drucksache vor.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kipp-Kaule.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! § 13, der in dieser Vorlage die Entlastung der Geschäftsführung vorsieht, sagt im letzten Satz, daß vor Erteilung der Entlastung die Aufsichtsbehörde den Prüfungsbericht mit dem Vorstand zu beraten hat. Wir beantragen in Ziffer 18 unserer Vorlage, daß dieser Satz gestrichen wird, denn wir vertreten die Auffassung, daß es damit sein Bewenden haben muß, wenn dem Vorstand Gelegenheit gegeben und er berechtigt ist, bei der zu diesem Zweck erforderlichen Prüfung des Versicherungsträgers mitzuwirken. Wir sehen nicht ein, daß vor der Erteilung der Entlastung die Aufsichtsbehörde mit dem Vorstand die Dinge noch weiter zu beraten hat. Wir bitten deshalb, den letzten Satz zu streichen und unseren Antrag zu unterstützen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir stimmen ab. Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Es ist schwer zu sagen, was die Mehrheit war. Darf ich noch einmal bitten? Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Abgelehnt.
Nun folgt die Abstimmung über § 13 in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! — Angenommen.
Ich komme zu § 14. Auch hier liegt ein Abänderungsantrag der SPD vor. Es ist Ziffer 19 der Drucksache. Frau Döhring hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die SPD-Fraktion hatte bereits in der Drucksache Nr. 1330 einen Antrag gestellt, der die gleiche Materie behandelte. Wir haben dies deshalb getan, damit die Frage der
Neuerrichtung von Krankenkassen nicht in dem Gesetz über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung geregelt werden sollte, mit dem sie in keinem Zusammenhang steht. Im Interesse der ohne Zweifel allseitig anerkannten Reform der Sozialversicherung hätten wir es für richtiger gehalten, wenn auch mit diesem Teil gewartet worden wäre, bis das Organisationsgesetz über die Sozialversicherung vorliegt. Wie ein Vertreter des Bundesarbeitsministeriums in einer der letzten Sitzungen des Ausschusses für Arbeit erklärte, soll dieses Organisationsgesetz in Kürze vorgelegt werden. Trotzdem wollen Sie hier die mit der Organisation zusammenhängende Frage der Gründung neuer Kassen vorwegnehmen.
- Jawohl, Herr Abgeordneter, es sind Fragen, die in die Organisation hineingehören.
In diesem Zusammenhang darf ich an die Ausführungen des Herrn Kollegen Sabel erinnern, als er in der Bundestagssitzung vom 21. September zu dem von meiner Fraktion eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Änderung von Bestimmungen in dem Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sprach und die Frage stellte: Ist es zweckmäßig, vor der Behandlung der Reformvorschläge des Bundesarbeitsministeriums nun hier stückweise Flickarbeit zu leisten? Ich bin der Auffassung, daß eine solche Frage wegen des § 14 in dem heute zur Beratung stehenden Gesetz mit viel größerer Berechtigung gestellt werden müßte. Denn ob die Entscheidung über die Gründung neuer Kassen jetzt oder später fällt, das bringt weder den Versicherten noch den Arbeitgebern irgendeinen Schaden. Dagegen kann und darf es uns allen ganz bestimmt nicht gleichgültig sein, ob wir unsere Jugend, die wir für den demokratischen Gedanken und Aufbau gewinnen wollen, noch länger zum Wohlfahrtsamt schicken müssen, weil die Wiedereinführung der Versicherungspflicht der Lehrlinge zur Arbeitslosenversicherung im letzten Lehrjahr, wie es unser Antrag vorsah, noch immer nicht wieder hergestellt ist.
Eines muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden. Wenn die Zulassung von weiteren Trägern von Krankenkassen, von Zwergbetriebs-
und Innungskrankenkassen, wie in dem Gesetz vorgesehen, beschlossen würde, so würde ,das eine Zersplitterung des Krankenkassenwesens und der gesamten Sozialversicherung bedeuten. Die Auswirkungen wären jetzt noch gar nicht absehbar, und zwar nicht nur für die Krankenkassen allein. Auch die Erhaltung der Volksgesundheit und der Arbeitskraft würde ernstlichen Schaden erleiden, weil Leistungsminderungen durch die ungünstige Verteilung der Risiken und Leistungen die Folge wären. Bei den Ortskrankenkassen reichen die verfügbaren Betriebsmittel nach meinen Informationen — das braucht gar nicht als Geheimnis behandelt zu werden - zur Zeit nur für 20 Tage aus, was durch die ungewöhnliche Höhe der Beitragsrückstände, wie es mein Parteifreund Richter heute schon angedeutet hat, mit verursacht worden ist. Das Bild würde sich wesentlich verschlechtern, wenn der § 14 des vorliegenden Entwurfs Gesetz würde.
Diese Folgen und Gefahren wurden auch vom Länderrat des Vereinigten Wirtschaftsgebiets ganz richtig gesehen. In seiner 17. Öffentlichen Sitzung vom 8. Juli vorigen Jahres wurde zu dem Gesetz des Wirtschaftsrats über die Wiedererrichtung von Land-, Betriebs- und Innungskrankenkassen sowie Ersatzkassen mit überwältigender Mehrheit, nämlich mit 7 zu 2 Stimmen, ein Veto eingelegt mit der Begründung, daß die Annahme dieses Gesetzes zu einer Zersplitterung im Krankenkassenwesen führen würde. Deshalb müsse das Gesetz abgelehnt werden. Die Bildung von Krankenkassen, die einen möglichst weiten Kreis von Mitgliedern verschiedenster Berufe und Altersklassen umfassen, dient mit dem Ausgleich der Risiken und der allgemeinen Leistungsfähigkeit der Krankenkassen. Gerade in Zeiten wirtschaftlicher und finanzieller Anspannung, so heißt es in dem Gutachten weiter, müsse eine möglichst hohe Leistungsfähigkeit der Krankenkassen oberstes Gesetz sein.
Ich bin also grundsätzlich der Auffassung, daß die im vorliegenden Entwurf beantragte Zulassung von weiteren Krankenkassen nicht im wohlverstandenen Interesse aller Versicherten liegt, daß vielmehr die Vereinheitlichung der Krankenkassen nach wie vor angestrebt werden sollte. Sozialer Ausgleich und soziale Sicherung erfordern eine Zusammenfassung aller Kräfte, damit mit dem geringsten Aufwand ein höchstmöglicher Gesundheitszustand für alle Versicherten gewährleistet wird.
Da aber nun im Ausschuß für Sozialpolitik die Vertreter der Regierungsparteien gegen unseren Willen beschlossen haben, den § 14 in dem vorliegenden Gesetzentwurf über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung aufzunehmen, hat meine Fraktion mit der Ihnen heute vorliegenden Änderung einen dahingehenden Antrag eingereicht. Er behandelt die gleiche Materie wie unser Antrag auf Drucksache Nr. 1330. Lassen Sie mich zur Begründung nur einige wesentliche Gesichtspunkte herausstellen und daran, meine Herren und Damen, die Bitte knüpfen, daß Sie und auch Sie, Herr Bundesminister für Arbeit, die von uns angestellten Erwägungen sehr eingehend und ernsthaft prüfen mögen.
Durch die von uns vorgeschlagene Neufassung des § 225 a Abs. 1 RVO wollen wir sicherstellen, daß Krankenkassen nur mit Zustimmung der Mehrheit der Versicherungspflichtigen und Arbeitgeber innerhalb eines Versicherungsbezirks errichtet werden dürfen. Die Entscheidung erfolgt nach demokratischen Grundsätzen in geheimer Abstimmung. Wenn für einen Träger der Sozialversicherung Versichertenälteste gewählt sind, so stimmen diese an Stelle der Versicherten ab. Es soll also die Mehrheit der gesamten Versicherungsgemeinschaft eines Bezirkes maßgebend sein.
In Abs. 2 beantragen wir die Änderung des § 245 Abs. 1 RVO. Die dort zur Errichtung einer Betriebskrankenkasse vorgeschriebene Zahl von 150 Versicherungspflichtigen ist auf 1000 zu erhöhen und die für landwirtschaftliche oder Binnenschiffahrts-Betriebskrankenkassen in Betracht kommende Zahl von 50 auf 500.
Das gleiche gilt entsprechend für § 250 Abs. 1 RVO, der die Innungskrankenkassen betrifft. Herr Kollege Arndgen hat heute in seiner Berichterstattung gesagt, daß die in den Beschlüssen des 21. Ausschusses vorgesehene Zahl von 300 Versicherten eine Bremse sei, die gewissen Gefahren entgegenwirken würde. Meine Parteifreunde und
ich können diese Meinung nicht teilen. Wir betrachten die Mindestzahl von 1000 versicherungspflichtigen Beschäftigten vielmehr als die Zahl, die für die Errichtung einer Betriebs- oder Innungskrankenkasse erforderlich ist; sie ist die Voraussetzung, um betriebsegoistische Absichten möglichst weitgehend auszuschalten und gleichzeitig eine lebensfähige Versicherungsgemeinschaft zu gewährleisten. Diese Mindestzahl entspricht auch durchaus der bisherigen Erfahrung. Sie ist übrigens auch für Orts- und Landkrankenkassen in der Reichsversicherungsordnung vorgeschrieben.
Wenn § 14 Abs. 2 des vorliegenden Gesetzentwurfes die Mindestzahl von 300 vorsieht und in der Sitzung des Bundestags vom 21. September behauptet wurde, daß dabei ein Angestellter mit der sozialen Aufgabe der Krankenkasse voll ausgelastet sei, dann muß ich dem widersprechen, wie dies auch schon in jener Sitzung von meinem Fraktionskollegen Richter und Troppenz geschehen ist. Übrigens, meine Herren und Damen, besagt ein Gutachten, das vom Sachverständigenausschuß zur Neuordnung der deutschen Sozialversicherung beim Länderrat der US-Zone verfaßt wurde und bei dem auch der damalige Ministerialrat Sauerborn, der jetzige Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium mitgewirkt hat, „daß die Betriebskrankenkassen selbstverständlich eine tragfähige Versicherungsgemeinschaft bilden müssen. Deshalb würde man das Fortbestehen von Betriebskrankenkassen mit weniger als 500 Mitgliedern nicht empfehlen können."
Nebenbei möchte ich an dieser Stelle auf den letzten Satz des § 14 Abs. 2 der Vorlage eingehen, in dem der Bundesminister für Arbeit ermächtigt wird, für einzelne Betriebe eine geringere Mindestzahl als 300 festsetzen zu können. Der § 245 Abs. 1 Satz 3 und der § 250 Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz der Reichsversicherungsordnung in der Fassung des § 14 des Gesetzentwurfs verstoßen nach meiner Meinung gegen den Art. 80 Abs. 1 des Grundgesetzes. Die in den aufgeführten Stellen enthaltene Ermächtigung für den Bundesminister für Arbeit ist nämlich in ihrem Inhalt und in ihrem Ausmaß nicht bestimmt. Die Ermächtigung ist vielmehr weitgehend unbestimmt, weil die „besonderen Verhältnisse", die die Errichtung einer Betriebskrankenkasse oder einer Innungskrankenkasse angezeigt erscheinen lassen, in keiner Weise im Gesetz selbst erkennbar sind und die Festsetzung einer „geringeren Mindestzahl" als 300 wirklich alles andere als dem Ausmaß nach bestimmt erscheint.
Die von uns beantragte Mindestzahl von 1000 Versicherten muß aber auch mit Rücksicht auf diejenigen dienstordnungsmäßigen Angestellten der Ortskrankenkassen gefordert werden, die durch die künftige Errichtung von Land-, Innungs- und Betriebskrankenkassen entbehrlich werden. Nach den für alle Krankenkassen verbindlichen Richtlinien wird nämlich bis zu 1000 Versicherten eine Stelle für einen dienstordnungsmäßigen Angestellten errichtet. Wenn diese Mindestzahl durch die Errichtung neuer Krankenkassen dauernd unterschritten wird, wäre die entsprechende Anzahl dienstordnungsmäßiger Angestellter dann übrig. Falls also der Bundestag die Aufhebung des Verbots der Errichtung von Krankenkassen beschließen sollte, ist nach unserer
Auffassung eine Vorschrift in § 14 einzufügen, wonach die neuerrichteten Krankenkassen verpflichtet sind, die entbehrlich gewordenen Bediensteten von Ortskrankenkassen zu übernenmen und sich an der Mehrleistung zu beteiligen, die den Ortskrankenkassen gegenüber den Ruhegehaltsversicherungseinrichtungen entstehen.
Ich bitte Sie nunmehr namens meiner Fraktion, über den Abänderungsantrag abzustimmen. Abschließend möchte ich noch einmal an Sie, meine Herren und Damen, und insbesondere an Sie, Herr Bundesarbeitsminister, die dringende Bitte richten, bei Ihrer Entscheidung über diese Materie sich nur davon leiten zu lassen, daß die Versicherungsträger für .das Wohl der Versicherten geschaffen sind. Seien wir uns alle unserer großen Verantwortung bewußt und handeln wir nach dem menschlich gesehen einzig richtigen Grundsatz: „Der Reiche für den Armen, der Gesunde für den Kranken"!
Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen!
Meine Damen und Herren! Der § 86 der vorläufigen Geschäftsordnung gibt gewisse Anregungen, in welcher Form hier die Rede ausgeübt werden soll. Sie alle kennen den Paragraphen. Damit im Zusammenhang erlauben wir uns, vorzuschlagen, für den weiteren Teil der Beratung ,die Redezeit auf 5 Minuten pro Redner zu begrenzen.
Über den ersten
Teil der Bemerkungen brauchen wir nicht abzustimmen. Das haben wir schon gemacht, als wir die Geschäftsordnung beschlossen haben.
Über den zweiten Teil, Begrenzung der Redezeit auf 5 Minuten, müssen wir abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl .
Meine Damen und Herren! Zu § 14 dieser Gesetzesvorlage darf ich folgendes sagen. Dieser Paragraph handelt von der Wiederzulassung von Trägern der Krankenversicherung. Ich habe bereits bei dem § 10 sehr eindeutig darauf hingewiesen, daß wir dafür eintreten, daß eine Vereinheitlichung der gesamten Sozialversicherung durchgeführt wird. Der § 14 schafft gerade die gegenteiligen Voraussetzungen, weil dadurch eine Zersplitterung der Krankenversicherung in weitgehendem Maße Platz greift. Es ist ganz selbstverständlich, daß die Zersplitterung auf Kosten der Leistung geht. Es wird nicht gelingen, nachzuweisen, daß beim gegenwärtigen Zustand der Krankenversicherung die Annahme dieses Paragraphen in der vorgeschlagenen Form, wenn auch nicht deutlich sichtbar, doch einer weiteren Vorwärtsentwicklung hindernd im Wege stehen wird. Wir wissen, daß die gegenwärtigen Leistungen der Krankenkassen zu einem großen Teil hinter dem zurück-
bleiben, was man von einer modernen Krankenversicherung erwarten kann. Aber alle die Argumente, die angeführt werden, daß die Betriebskrankenkassen und Innungskrankenkassen leistungsfähiger seien, treffen im Kern eigentlich nur bedingt zu. Wenn ich beispielsweise einen Katalog der vorhandenen Krankenkassen nehme, der ja nachzulesen ist, so stelle ich fest, daß Hunderte von allgemeinen und besonderen Ortskrankenkassen vorhanden sind, Hunderte von Landkrankenkassen, Tausende von Betriebskrankenkassen, Hunderte von Innungskrankenkassen, Knappschaftskrankenkassen, Ersatzkrankenkassen für Arbeiter und Angestellte und eine Seekasse; und setze ich den dabei in Erscheinung tretenden Verwaltungsapparat ein, dann, glaube ich, meine verehrten Damen und Herren, muß man gestehen, daß hier zweckmäßigerweise im Interesse der Versicherten eine Änderung Platz greifen muß.
Sie werden mir weiter zugeben, daß, bedingt durch die Tatsache, daß die Pflichtversicherungsgrenze außerordentlich niedrig gezogen ist, den Allgemeinen Ortskrankenkassen die schlechtesten Risiken zugewiesen werden und damit natürlich die Leistung dieser Ortskrankenkassen gegenüber den Innungskrankenkassen und den Betriebskrankenkassen entscheidend beeinflußt wird. Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß der § 14 gestrichen werden muß, weil wir es nicht verantworten können, einem Zustand zuzustimmen, der schon längst reformbedürftig ist. Bei einer derartigen Reform wird man zweifellos auch zu einer Senkung der Beiträge der Krankenkassen kommen; und wir vertreten ganz klar die Meinung, daß es zunächst erforderlich ist, im Gegensatz zu diesem § 14 die Sonderkassen der Reichsversicherungsordnung, Betriebs-, Innungs-
und Landkrankenkassen mit den für den betreffenden Bezirk zuständigen Ortskrankenkassen zu vereinigen. Wir glauben, daß es nicht verantwortet werden kann, den jetzt schon unhaltbaren Zustand noch zu erweitern, indem man hier in § 14 die Voraussetzungen schafft, noch weitere nicht notwendige und nicht lebensfähige Krankenkassen ins Leben zu rufen. Wir sind der Meinung, daß es angesichts des allgemeinen Zustands, in dem sich die Krankenkassen heute befinden — und bisher ist von seiten des Bundesarbeitsministeriums der Pressenotiz im „Metallarbeiter" nicht widersprochen worden, daß beispielsweise die Krankenkassen-Mitglieder in einem viel stärkeren Maße herangezogen werden sollen, eine Reihe von Krankenkassen sind am Ende ihres finanziellen Lateins —, nicht verantwortet werden kann, den § 14 noch bestehen zu lasen. Ich stelle den Antrag auf Streichung.
Meine Damen und
Herren, weitere Wortmeldungen liegen nun nicht mehr vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Antrag der SPD Ziffer 19 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! Das letztere war die Mehrheit. Damit ist der Antrag abgelehnt. Nunmehr lasse ich über den § 14 in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag auf Streichung gegenstandslos.
§ 15. Hier liegt ein Abänderungsantrag der SPD vor. Es ist Ziffer 20 der Drucksache. Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich die Aufmerksamkeit des übermüdeten Hauses noch einen Augenblick in Anspruch nehme.
Es ist nur ein
Augenblick!
Nur einen Augenblick, Herr Präsident!
Die Zustimmung zu den jetzt noch vorliegenden Änderungsanträgen dürfte Ihnen sehr leicht fallen, denn es sind nur Streichungsanträge. Sie sollen in § 15 den Abs. 2 streichen, die Ausnahmebestimmung für Württemberg-Hohenzollern. Die Tübinger können nicht immer sagen: Wir sind schon da! Sie sollen ruhig noch einmal mit uns allen mitmachen, und es wird Ihnen hierfür die Freude der Gemeinsamkeit zuteil.
§ 16. Sie brauchen auch über diesen Absatz nicht viel nachzudenken. Es ist wieder nur eine Streichung, die sich folgerichtig aus § 15 ergibt.
In § 16 Abs. 1 sollen die Worte „vorbehaltlich der Vorschrift des § 15 Abs. 2" gestrichen werden.
Meine Damen und Herren, Sie haben mich mit den Abänderungswünschen, die ich bisher hier vorzutragen Gelegenheit hatte, immer sehr unfreundlich behandelt. Ich hoffe nicht, daß Sie das eines Tages, später einmal, werden bereuen müssen. Ich erhoffe in einem Entgegenkommen Ihrerseits eine kleine Abschlagzahlung auf diese Reue, indem Sie diesem unserem Antrag die Zustimmung nicht versagen.
Aber trotz dieser unfreundlichen Behandlung, die Sie mir haben zuteil werden lassen, möchte ich Ihnen doch ein kleines Abschiedsgeschenk geben, das, nehme ich an, von Ihnen dankbar entgegengenommen wird, und zwar ein Wort von Friedrich Naumann. Friedrich Naumann schrieb 1895 aus Göttingen in seinen „Sozialen Briefen an reiche Leute":
Mein Freund, Sie kennen genug Weltgeschichte, um zu wissen, daß man eine große traurige Geschichte der versäumten Gelegenheiten schreiben könnte. Es scheint aber, als ob Ihre Genossen von diesem Teil der Geschichte leider zu wenig Kenntnis haben.
Ich glaube, Friedrich Naumann hat den heutigen Tag vorausgeahnt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Abänderungsantrag zu § 15, den Abs. 2 zu streichen. Diesem Antrag korrespondiert ein anderer Antrag: in § 16 Abs. 1 sind die Worte „vorbehaltlich der Vorschrift des § 15 Abs. 2" zu streichen. Wir können über diese beiden Anträge in einem Abstimmungsgang abstimmen. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Letzteres ist die Mehrheit. Die Abänderungsanträge zu den §§ 15 und 16 sind abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu den §§ 15 und 16 in der Ausschußfassung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Wir kommen zu § 17. Hier liegt kein Abänderungsantrag vor. Ich eröffne die Aussprache. Keine Wortmeldung. — Die Aussprache ist geschlossen. Wer für § 17 in der Ausschußfassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
§ 18. Hier liegt ein Abänderungsantrag der Regierungsparteien vor, den ich kurz verlesen will.
— Wollen Sie ihn begründen, Herr Kollege?
— Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horn.
Meine Damen und Herren, eine ganz kurze Begründung zu diesem letzten Antrag der Koalitionsparteien!
Der Herr Berichterstatter hat in seinem Bericht schon auf diesen Paragraphen und auch auf seinen Umfang hingewiesen und ausgesprochen, daß es außerordentlich schwer, ja vielleicht nicht einmal möglich sei, so ganz rasch nun alles, jede letzte Bestimmung, die hier in Betracht käme, zu erfassen. Ich habe vorhin bei der Begründung über die Einführung der Vorschlagslisten und des Verhältniswahlsystems auch schon ausgesprochen, daß durch die Annahme dieses Antrags eine ganze Reihe von Bestimmungen — vermutlich zwischen 30 und 40 —, die auch hier in diesem Katalog in § 18 aufgezählt sind, berührt werden, also wieder in Wegfall kommen müßten. Die Schwierigkeit dieses Paragraphen sehen Sie auch noch daraus — wenn ich das halb scherzhaft bemerken darf —, daß selbst auch uns bei der Niederschrift des Antrags Schreibfehler unterlaufen sind. Ich darf Sie bitten, das auf Grund Ihrer Drucksache zu ändern. Unser Änderungsantrag lautet nunmehr:
In § 18 Absatz 3 werden die Ziffern 1 bis 4 gestrichen. Die Ziffern 5 bis 15 werden Ziffern 1 bis 11. Ferner wird der Absatz 4 gestrichen. Der Absatz 5 wird Absatz 4.
Wir sind der Meinung — was sich auch schon während der langen Ausschußverhandlungen und der sehr ausgiebigen Debatten über diesen Paragraphen immer wieder gezeigt hat —, daß es, obwohl die Dinge auch mit den Ländern abgestimmt waren usw., trotzdem sehr schwer war, hier eine wirklich einwandfreie Feststellung der in Frage kommenden Bestimmungen zu treffen. Da es ja im übrigen auch so ist, daß natürlich das jüngste Gesetz maßgebend ist und dadurch alle diesen neuen Vorschriften entgegenstehende früheren Bestimmungen aufgehoben werden, ist es unbedenklich, diesem Abänderungsantrag zuzustimmen. Das Bundesarbeitsministerium hat uns bei der Änderung dieses Antrags die feste Zusicherung gegeben, daß eine ganz korrekte Feststellung dieser Dinge spätestens im Zusammenhang mit dem Organisationsgesetz vorgelegt werden wird. Sollten sich in der Zwischenzeit tatsächlich in der Praxis kleine Unebenheiten oder Schwierigkeiten ergeben, so ist es unschwer möglich, diese Dinge durch einen entsprechenden Erlaß des Ministeriums eventuell klarzustellen. Wir vertrauen aber auch seitens der antragstellenden
Parteien darauf, daß das Organisationsgesetz in der Tat in aller Kürze vorgelegt wird.
Weitere Wortmeldungen? —
- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So erfreulich es ist, daß ,dieser § 18 eine Kürzung erfährt, so sind wir doch nicht in der Lage, dieser fünften oder sechsten Vorlage — oder ist es gar die siebente? —, die wir nun von den Herren Vertretern der Regierungskoalition im Ausschuß bzw. heute unterbreitet bekommen haben, jetzt kurzerhand zuzustimmen. Wir behalten uns eine eingehende Prüfung vor und werden in der dritten Lesung nochmals darauf zurückkommen. Heute üben wir Stimmenthaltung.
Keine weitere Wortmeldungen! Ich schließe die Aussprache. Wer für die Annahme des Abänderungsantrages ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —Angenommen.
Nunmehr Einleitung und Überschrift! — Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Es ist so beschlossen.
Ich habe vergessen, über den § 18 in der beschlossenen Fassung abstimmen zu lassen. Wer für § 18 in der veränderten Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Angenommen.
Über Einleitung und Überschrift haben wir schon abgestimmt. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Zur Geschäftsordnung Frau Abgeordnete Kalinke!
Ich beantrage, die dritte Lesung ,des Gesetzentwurfs für die Plenarsitzung morgen früh vorzusehen, da wegen der erfolgten Abänderungen heute die dritte Lesung nicht mehr stattfinden kann.
Zuerst müssen die Beschlüsse zusammengestellt werden, Frau Abgeordnete Kalinke.
— Das ist sehr schwer zu machen. Sie überschätzen die technischen Möglichkeiten dieses Hauses.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege auf Grund der Geschäftsordnung gegen den Antrag der Abgeordneten Frau Kalinke Widerspruch ein.
Es heißt in § 44 der Geschäftsordnung:
Die dritte Beratung erfolgt frühestens am zweiten Tage nach Verteilung der in zweiter Beratung gefassten Beschlüsse.
Aber ich muß über den Antrag abstimmen lassen. Das Haus kann ja anders verfahren. Wird der Antrag aufrecht erhalten?
— Der Antrag wird also zurückgezogen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Besteuerung besonderen Aufwandes .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung der Vorlage hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf eines Gesetzes zur Besteuerung besonderen Aufwandes behandelt zwei Themen, im ersten Abschnitt die sogenannte Aufwandsteuer, im zweiten Abschnitt die Spesenabgabe.
Die Aufwandsteuer ist entsprechend der systematischen Behandlung der ehemaligen Luxussteuer in die Umsatzsteuer eingebaut worden. Sie erhöht die Umsatzsteuer für die Einzelhandelslieferungen und den Eigenverbrauch bestimmter Gegenstände auf 10 %. Ich darf aus diesem Anlaß gleich auf eine Pressemeldung Bezug nehmen, die in den letzten Tagen erschienen ist und in der es heißt, das Bundesfinanzministerium beabsichtige, demnächst einen neuen Entwurf eines Luxussteuergesetzes vorzulegen, demzufolge an Stelle der Luxussteuer eine erhöhte Umsatzsteuer für bestimmte Waren eingeführt werden solle. Diese Meldung ist nicht recht verständlich. Es liegt wohl ein Mißverständnis vor. Die Luxussteuer oder Aufwandssteuer ist bereits eine Umsatzsteuererhöhung für bestimmte Waren, indem an die Stelle des Normalsatzes von 3 % ein Satz von 10 % gesetzt wurde.
Die wirtschaftspolitischen Bedenken, die gegen die Einführung einer solchen Steuer sprechen, sind in der Tages- und in der Fachpresse sowie in Reden in der Öffentlichkeit in den letzten Wochen und Monaten stark behandelt worden. Das Bundesfinanzministerium ist sich vollkommen bewußt, daß eine solche Steuer Bedenken in sich trägt. Wenn. das Bundesfinanzministerium sich trotzdem gezwungen gesehen hat, Ihnen den Vorschlag dieser Steuer zu machen, so geschah das in erster Linie aus dem Drang und Zwang heraus, eine Abgeichung des Staatshaushalts zu finden. Der zweite Gesichtspunkt ist der gewesen, daß wir bei den Steuerarten, die dem Bund nun einmal zur Verfügung stehen — Umsatzsteuer und Verbrauchssteuer —, bei jeder Steuererhöhung immer nur Steuerarten zu Verfügung haben, die in irgendeiner Weise mittelbar oder unmittelbar preissteigernd wirken. Es muß deshalb, wenn schon an eine Steuer gedacht werden muß, unsere Aufgabe sein, eine Steuerart oder eine Steuerform zu nehmen. die nicht so sehr die Lebenshaltung der breiten Massen als die Lebenshaltung stärkerer Schultern trifft. Deswegen ist der Versuch mit der sogenannten Aufwandsteuer. der früheren Luxussteuer gemacht worden. Ich betone ausdrücklich, daß mit dem Wort ,,Aufwandsteuer" nicht etwas Diffamierendes gemeint ist, sondern daß mit dem Wort ,,Aufwandsteuer" nur an den erhöhten Aufwand eben der zahlungskräftigeren Bevölkerungsschichten gedacht ist.
Die Eigenart der Steuer und des Steuervorschlags ist in ganz wenigen Punkten zusammengefaßt. Als Stufe für die Erhebung der Steuer wird die Stufe des Einzelhandels, also des letzten Verkaufs genommen. Trotz mancher Schwierigkeiten technischer Art, die damit verbunden sind, ist das volkswirtschaftlich notwendig, damit sich diese erhöhte Luxussteuer nicht multipliziert, wenn sie in den früheren Stadien erhoben wird. Außerdem wird durch diese Erhebungsart die Ausfuhr grundsätzlich und ohne weiteres steuerfrei bleiben, die ja nicht betroffen werden soll.
Aus Vereinfachungsgründen ist ferner davon abgesehen worden, einen von den allgemeinen Bestimmungen des Umsatzsteuerrechts abweichenden Begriff der Lieferung im Einzelhandel aufzustellen. Der Begriff Lieferung im Einzelhandel im Sinne der Aufwandsteuer deckt sich mit den Vorschriften des § 11 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz, ergänzt durch die inhaltliche Übernahme der Vorschrift des § 53 Abs. 2 der Durchführungsbestimmungen, die sich in der Anwendung bisher reibungslos eingespielt haben.
Die Einfuhr der zum privaten Gebrauch oder Verbrauch bestimmten Gegenstände, deren Lieferung im Einzelhandel oder deren Eigenverbrauch im Inland aufwandsteuerpflichtig ist, unterliegt einer erhöhten Ausgleichsteuer von 10 % des Erwerbspreises oder Wertes, weil diese Gegenstände nicht über den Einzelhandel gehen und somit andernfalls aufwandsteuerfrei bleiben würden. Dies würde dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung widersprechen.
In Abweichung von dem Grundsatz des § 10 des Umsatzsteuergesetzes soll der Steuerschuldner berechtigt sein, die Aufwandsteuer gesondert anzufordern. Diese Regelung beruht auf der Erwägung, daß es psychologisch für den Verkäufer und den Käufer zweckdienlich sein kann, wenn der Kunde erkennt, welchen Preis er für die Ware und welchen Betrag er daneben für die Aufwandsteuer zahlen muß. Ich nehme an, daß gerade dieser Abschnitt des Gesetzes eingehende Beratungen in Ihrem Ausschuß finden wird. Ich möchte sagen, ich hoffe, daß die Voraussetzungen, unter denen der Gesetzentwurf Ihnen vorgelegt worden ist, bleiben und nicht neue Umstände eintreten, die die Voraussetzungen des Gesetzentwurfes ändern.
Der zweite Abschnitt des in Rede stehenden Gesetzentwurfs behandelt die Erhebung einer Spesenabgabe in Form einer Sondersteuer auf die Aufwendungen für die Bewirtung von Geschäftsfreunden. Ich brauche dem Hohen Hause nichts davon zu erzählen, wie es üblich geworden ist in bestimmten Grenzen vielleicht auch notwendig gewesen ist —, zur Pflege der Beziehungen zu Geschäftsfreunden oder zur Anbahnung solcher Beziehungen Aufwendungen für die Bewirtung dieser Personen zu machen. Diese Aufwendungen haben aber einen Umfang angenommen, der zu Bedenken Anlaß geben muß, da ein solcher Aufwand in Widerspruch zur allgemeinen Wirtschaftslage und zur Lebenshaltung des deutschen Volkes steht und da dieser Aufwand vielleicht auch manchmal dem Ausland gegenüber, den sogenannten Geschäftsfreunden gegenüber einen falschen Eindruck von der Lebenshaltung des Durchschnitts des deutschen Volkes erweckt. Diese Ausgaben für den geschilderten manchmal übermäßigen Aufwand zur Bewirtung von Geschäftsfreunden laufen regelmäßig über Geschäftsunkosten. Infolge der Abzugsfähigkeit dieser Auf-
wendungen bei der Einkommenbesteuerung geht der geschilderte übermäßige Aufwand also wirtschaftlich gesehen zu einem erheblichen Teil zu Lasten des Steuergläubigers.
Durch die im Abschnitt 2 des Entwurfs enthaltenen Vorschriften soll dem Übermaß des Aufwandes für die Bewirtung von Geschäftsfreunden auf zwei Wegen entgegengewirkt werden. Erstens einmal in Form einer verschärften Nachprüfung der anfallenden Kosten und zweitens in Form der Zahlung einer Abgabe auf diese Aufwendungen. Der vorgesehene verschärfte Nachweis für die Abzugsfähigkeit der Bewirtungsspesen als Betriebsspesen oder als Werbungskosten bei Ermittlung des Gewinns oder des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten besteht darin, daß zusätzlich die Aufzeichnung und Verbuchung der Aufwendungen auf einem Sonderkonto zur Pflicht gemacht wird und außerdem die Vorlage von auf den Namen des Steuerpflichtigen lautenden Quittungen, die vom Gastwirt unterzeichnet sind, verlangt wird. Dadurch soll insbesondere das bisherige Übel beseitigt werden, daß vom Steuerpflichtigen als Belege Gaststättenrechnungen vorgelegt werden, die lediglich von irgendeinem Kellner mit unleserlicher Unterschrift ausgestellt sind und oft keinerlei Gewähr dafür bieten, daß die in der Rechnung angegebenen Beträge richtig sind und tatsächlich auch vom Steuerpflichtigen aufgewendet wurden.
Als weitere Voraussetzung für die Abzugsfähigkeit ist, wie gesagt, die Entrichtung einer Spesenabgabe an das Finanzamt vorgesehen. Die Nachprüfung durch das Finanzamt hat sich also künftig einmal darauf zu erstrecken, ob die Aufwendungen überhaupt Betriebsausgaben sind, zum anderen darauf, ob für die angeführten Werbungskosten die Abgabe entrichtet ist.
Die Spesenabgabe ist auf den Gesamtbewirtungsaufwand jeweils eines Kalenderjahres abgestellt und nach der Höhe der Aufwendungen gestaffelt. Bei dieser Staffelung ist darauf Rücksicht genommen, daß sie auch bei höheren Einkommensteuersätzen noch eine fühlbare Belastung darstellt, andererseits nicht dazu führen darf, daß diese Aufwendungen völlig unmöglich gemacht werden. Die vorgesehene Höhe der Steuer dürfte diesen Erfordernissen und dem mit der Abgabe verfolgten Zweck gerecht werden.
Der Zweck der Spesenabgabe würde vereitelt werden, wenn die Abgabe bei der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer abgezogen und damit zum Teil auf den Steuergläubiger zurückgewälzt werden könnte. Der Entwurf sieht deshalb die Nichtabzugsfähigkeit der Abgabe bei der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vor. Der Entwurf sieht vor, daß die Spesenabgabe von den Landesfinanzbehörden verwaltet wird und den Ländern zufließt. Er trägt damit der engen Verbindung der Spesenabgabe mit der den Ländern zufließenden und von den Ländern verwalteten Einkommen- und Körperschaftsteuer Rechnung, hat ja letzten Endes auch den Zweck und die Absicht, das Aufkommen an Einkommen- und Körperschaftsteuer zu steigern und ist eines der Mittel, mit denen eine strengere Veranlagung dieser beiden Steuerarten durchgeführt werden kann.
Ich darf vielleicht noch nachträglich zu der Aufwandsteuer den einen Satz bemerken, daß eine Nachprüfung der Gegenstände, die der Aufwandsteuer wirklich unterworfen werden, und der Wertgrenzen dazu wohl ergeben wird, daß den volkswirtschaftlichen Bedenken, die gegen diese Steuerart vorgebracht worden sind, in sehr weitgehendem Maße Rechnung zu tragen versucht worden ist.
Ich darf Sie bitten, diesen Gesetzentwurf den zuständigen Ausschüssen zu überweisen.
Zum Wort hat sich der Abgeordnete Leonhard gemeldet. — Ich darf noch vorausschicken, daß der Ältestenrat vorschlägt, für die Aussprache zu diesem Gegenstand der Tagesordnung 60 Minuten anzusetzen. — Da nicht widersprochen wird, stelle ich die Zustimmung des Hauses fest.
Das Wort hat der Abgeordnete Leonhard.
Meine Damen und Herren! Von der Bundesregierung wurde dem Deutschen Bundestag der Entwurf eines Gesetzes zur Besteuerung besonderen Aufwandes vorgelegt. Dieses Gesetz ist unter der Bezeichnung Luxussteuergesetz allgemein bekannt. Schon die dem Gesetz beigefügte Begründung zeigt uns die ganze Problematik dieses Gesetzes auf. Ich darf Sie, meine verehrten Damen und Herren, bitten, diese Begründung gründlich durchzulesen. Durch dieses Gesetz sollen verschiedene Artikel einer höheren Umsatzsteuer unterworfen werden. Selbstverständlich hat kein vernünftiger Mensch etwas dagegen einzuwenden, daß Hummern, Kaviar, Austern, Langusten höher besteuert werden: denn der Verzehr dieser Dinge paßt schlecht zur deutschen Not und Armut und belastet zudem unnötigerweise unsere Devisenbilanz. Wesentlich anders liegen aber die Dinge bei der Besteuerung von Schmuckwaren aus Edelmetall, von Lederwaren, Rauchwaren, Teppichen und anderem. All diese Artikel sind äußerst lohn- und arbeitsintensiv. Die betreffenden Industrien sind auf den Export angewiesen. Es dürfte allgemein bekannt sein, daß wir in diesen Branchen nur dann für den Export leistungsfähig sind, wenn der Inlandsabsatz für diese Erzeugnisse gesichert ist.
Das vorgelegte Gesetz ist leider geeignet, den Inlandsmarkt weitgehend zu gefährden. Durch die Tüchtigkeit der Arbeitnehmer, deren überragendes handwerkliches und künstlerisches Können, durch den Wagemut der Unternehmer haben sich diese Fabrikationszweige zu bedeutenden Exportindustrien entwickelt, die Auslandsmärkte erobert und den deutschen Erzeugnissen Weltruf verschafft. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß z. B. Pforzheim früher unter allen deutschen Städten nach Berlin der zweitgrößte Devisenbringer war. Naturgemäß sind die sogenannten Luxusindustrien leider sehr krisenempfindlich, wovon alle in diesen Industrien tätigen Menschen ein Lied singen können. Zudem sind diese Industrien an einzelnen Standorten zusammengefaßt, so daß diese Aufwandsteuer eine einseitige Belastung gerade derjenigen Industrieplätze mit sich bringen würde, die besonders schwer um ihre Existenz zu kämpfen haben. Außerdem handelt es sich in der Regel um mittlere und kleinere Betriebe, auf deren Finanzkraft unbedingt gebührend Rücksicht genommen werden muß. Wenn auch die Steuer beim Einzelhandel erhoben würde, so fielen doch die Auswirkungen besonders auf die Fabrikation zurück, und dort, wären wiederum insbesonders die Arbeiter die Leidtragenden. Diese Tatsache kann nicht stark genug hervorgehoben werden. Ein notleidend gewordener Schmuckwarenbetrieb kann seine erstklassig ausgebildeten und geschulten Fachkräfte nicht einfach von heute auf morgen mit der Herstellung x-beliebiger anderer Artikel beschäftigen. Das geht eben nicht.
Der Grundgedanke, unverantwortlich hohe Spesen der Betriebe durch irgendwelche gesetzlichen oder steuerlichen Maßnahmen herabzudrücken, ist durchaus zu begrüßen. Ob das vorgelegte Gesetz allerdings geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen, dürfte mindestens zweifelhaft sein.
Am ehesten könnte dieses Ziel durch niedrigere Einkommensteuersätze erreicht werden; denn dann hätte jeder Unternehmer von sich aus das allergrößte Interesse, die Spesen so niedrig als nur irgend möglich zu halten. Bei den außerordentlich hohen staatlichen Verpflichtungen ist der letztere Weg zur Zeit leider nicht gangbar. Bei der Behandlung einer Spesensteuer muß aber auch bedacht werden, daß die Betriebe besonders ausländischen Einkäufern gegenüber bei den Aufwendungen, die der Bewirtung und sonstigen Betreuung dienen, nicht allzu kleinlich sein dürfen. Das gehört nun einmal dazu, wenn man Auslandsgeschäfte tätigen will.
Die Erfahrungen, welche in den Jahren 1919 bis 1926 mit der Luxussteuer gemacht worden sind, ermutigen uns nicht gerade dazu, heute eine solche Steuer wieder einzuführen.
Diese Erfahrungen haben gezeigt, daß das Steueraufkommen ständig fiel, der Verwaltungsaufwand für die Festsetzung und Einziehung der Steuer dagegen im umgekehrten Verhältnis zum Steuerertrag anstieg. Im Interesse einer sparsamen Finanzverwaltung müssen wir uns deshalb ernstlich überlegen, ob wir uns überhaupt den Luxus erlauben können, jetzt eine Luxussteuer einzuführen.
Es darf weiter nicht übersehen werden, daß die Einführung einer Aufwandsteuer auf den betreffenden Gebieten eine bedeutende Preissteigerung zur Folge hätte. Als Abgeordneter des Kreises Pforzheim betrachte ich es als meine persönliche Pflicht, mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß die Einführung einer Luxussteuer sich für unsere schwer um ihre Existenz und Weltgeltung ringende Pforzheimer Schmuckwarenindustrie und andere Industrien äußerst schädigend auswirken würde.
— Auch für andere Industrien.
Für die CDU-Fraktion stelle ich deshalb den Antrag, den Gesetzentwurf Drucksache Nr. 1345 dem Finanz- und Steuerausschuß federführend und gleichzeitig dem Wirtschaftsauschuß zu überweisen. Die Damen und Herren dieser Ausschüsse möchte ich bitten, das Für und Wider dieses Gesetzentwurfes sowie seine Auswirkungen sowohl auf den Steuerertrag als auf den Verwaltungsaufwand und auf die wirtschaftlichen Verhältnisse — Produktionseinschränkungen, eventuell notwendig werdende Arbeiterentlassungen usw. — gründlich zu beraten und zu prüfen und dann dementsprechende Beschlüsse zu fassen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Besold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz müssen die zuständigen Ausschüsse auf seine Zweckmäßigkeit von der grundsätzlichen Seite her eingehend prüfen. Die Begründung zu diesem Gesetzentwurf läßt ja auch die beachtlichen Einwände, die gegen das Gesetz sprechen, schon ganz offen erkennen. Es besteht die Gefahr, daß die Qualitätsarbeit belastet wird, eine Abdrängung zur Durchschnittsware dadurch verursacht wird, daß eine Produktionseinschränkung erfolgt, daß die Aufwandsteuer preissteigernde Elemente enthält, daß eine Exportbehinderung durch die Abdrosselung des Inlandmarktes erfolgt und daß diese Steuer auch einen Auftrieb des Schwarz marktgeschäftes zur Folge haben kann.
Dazu kommen aber noch andere Einwände, eingehendst geprüft werden müssen. Es muß die Warnung ausgesprochen werden, den Begriff Luxus bzw. Aufwand nicht zu weit zu fassen, da dadurch Gebrauchsgegenstände der arbeitenden Volksmassen erfaßt werden würden und diejenigen, zu deren Beruhigung die Besteuerung besonderen Aufwandes eingeführt werden soll, einer zusätzlichen Belastung unterliegen würden. Es muß ferner sehr erwogen werden, ob man sich nicht neuerdings in die Gefahr begibt, eine irreführende Klassifikation hochwertiger Qualitätswaren in lebenswichtige und nicht lebenswichtige Güter zu schaffen. Seit fünf Jahren haben nunmehr die deutschen Behörden und Wirtschaftsorganisationen die von den Besatzungsmächten vorgenommene Unterscheidung von lebenswichtigen und nicht lebenswichtigen Wirtschaftsgütern bekämpft, weil eine solche Betrachtungsweise wirtschaftlich auf die Dauer nicht haltbar war. Jetzt aber wird von der deutschen Regierung eine solche Trennung mit all ihren bedenklichen wirtschaftlichen Auswirkungen erneut eingeführt.
Es muß berücksichtigt werden, daß der besondere Aufwand in Deutschland neben der Umsatzsteuer bereits durch die Verbrauchsabgaben vorbelastet ist. Es darf keine Steuerungerechtigkeit eintreten. Diese Gefahr besteht, wenn Spirituosen als einziges verbrauchssteuerpflichtiges Erzeugnis mit der Aufwandsteuer belastet werden. Außerdem muß die Frage geprüft werden, ob die durch die Steuer verursachten Kosten der Erhebung für Staat und Wirtschaft in einem angemessenen Verhältnis zum Steuerertrag stehen. Das war auch mit ein Grund zu der im Jahre 1926 erfolgten Aufhebung der Luxussteuer des Jahres 1919. Damals war der Katalog der besteuerten Gegenstände noch viel größer. Die Erfahrungen, die im Ausland mit ähnlichen Steuern gemacht worden sind, sind negativ, obwohl in den meisten Fallen der Raum für eine Luxussteuer nicht bereits durch ein Umsatzsteuersystem wie das deutsche blockiert war. In Schweden und Frankreich ist diese Steuer wieder abgeschafft, in der Schweiz sind wachsende Bestrebungen zur Abschaffung gegeben.
Weiter muß noch eine Warnung dahingehend ausgesprochen werden, daß in den Jahren 1919 bis 1926 die Gebiete mit konzentrierter sogenannter Luxusindustrie zu Notstandsgebieten erklärt wurden. Schließlich darf man nicht die Meinung des Volksmundes übersehen, der von dieser Steuer sagt, sie sei eine Steuer zur kulturellen Demontage, eine Steuer zur Wiederbelebung des schwarzen Marktes oder eine Erdrosselungssteuer für das deutsche Kunsthandwerk.
Alle diese Gründe müssen im Finanzausschuß einer besonderen Prüfung unterzogen werden.
Soweit ein echter Luxus gegeben ist, könnte die Steuer vielleicht gerecht sein. Wenn die Alliierten nachdrücklich eine Einführung dieser Aufwandsteuer empfehlen, sollte das für uns kein Grund zur Einführung sein. Wir sollten gerade bei dieser Aufwandsteuer die Einwände besonders prüfen. Die Fraktion der Bayernpartei schließt sich dem Antrag an, dieses Gesetz den zuständigen Ausschüssen zur eingehenden grundsätzlichen Prüfung der Zweckmäßigkeit der Einführung dieses Steuergesetzes zuzuleiten.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich pflege sonst, wie Sie wissen, nicht nach regionalen Gesichtspunkten zu sprechen. Aber wenn ich mir jetzt die Besetzung des Hauses ansehe, dann finde ich, daß die württembergischbadischen Abgeordneten, die heute abend um 19.30 Uhr eine Verpflichtung bei ihrem Regierungsoberhaupt hatten, die einzigen sind, die hier als geschlossene Gruppe noch vorhanden sind. Wenn die weggehen und ihrer Einladung folgen, dann ist sehr wenig mehr im Hause. Ich finde, daß die Bedeutung der Frage, die jetzt besprochen wird, nicht richtig in Erscheinung tritt, wenn wir die Debatte bei dieser Besetzung zu Ende führen.
Ich schlage deshalb vor, die Debatte abzubrechen und morgen fortzusetzen, im übrigen die Sitzung für heute zu beenden und den Rest der Tagesordnung morgen zu erledigen.
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag liegen nicht vor. Ich lasse darüber abstimmen. Wer für den Antrag Schoettle ist, die Sitzung abzubrechen und den Rest der Tagesordnung in der morgigen Sitzung zu behandeln, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Das erste war zweifellos die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen vormittag 9 Uhr ein. Die Tagesordnung der morgigen Sitzung ist bereits bekanntgegeben. Sie wird mit dem Rest der heutigen Tagesordnung beginnen. Wir werden also die soeben stattgehabte Debatte fortsetzen müssen. Die entsprechenden Wortmeldungen werden wir hier vormerken.
Ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß die Vorlage über die heute abgesetzte Beratung der Getreidepreisverordnung, Drucksache Nr. 1400, morgen nicht nochmals in die Mappe gelegt werden kann. Ich empfehle also den Damen und Herren, diese Drucksache zur morgigen Sitzung mitzubringen.
Weiterhin darf ich darauf aufmerksam machen, daß die konstituierende Sitzung des heute gebildeten Untersuchungsausschusses unmittelbar im Anschluß an diese Plenarsitzung in Zimmer 10 des Südbaues stattfindet.
Die Sitzung ist geschlossen.