Herr Präsident! Meine Herren und Damen! In dem uns nunmehr vorliegenden Heimarbeitsgesetz, das die SPD-Fraktion bereits mit Drucksache Nr. 75 im Oktober vorigen Jahres beantragt hatte, sollten nach dem fast einstimmigen Beschluß des Bundestages grundsätzlich die Bestimmungen des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Heimarbeitsgesetzes beachtet werden. Diesem Antrag hatte sich auch die CDU-Fraktion durch ihren Sprecher, Herrn Kollegen Karpf, im wesentlichen angeschlossen. Ich möchte zunächst betonen, daß das, was der Herr Arbeitsminister eben vorgetragen hat, nämlich daß in dem Heimarbeitsgesetz verschiedene Verbesserungen enthalten sind, auch von uns durchaus anerkannt wird. Aber zu unserer großen Überraschung müssen wir jetzt feststellen, daß in dem vorliegenden Gesetzentwurf in entscheidenden Punkten nur eine Anhörung der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber vorgesehen ist, während in dem Gesetzentwurf des Wirtschaftsrats die Mitwirkung enthalten war. Unter Mitwirkung versteht man bekanntlich eine Zusammenarbeit zwischen den in Betracht kommenden Stellen in Form eines Meinungsaustauschs und einer gemeinsamen Regelung, also Mitbestimmung.
Gestatten Sie mir nun, auf § 5 Abs. 1 des Wirtschaftsratsgesetzes etwas näher einzugehen, in dem die Berufung der Beisitzer für die Heimarbeitsausschüsse behandelt ist. Dort ist vorgesehen, daß, wenn zuständige Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber nicht vorhanden sind, von der zuständigen Arbeitsbehörde auf Grund von Vorschlägen der Gewerkschaften und der Arbeitgebervereinigungen sachkundige Personen berufen werden. Dagegen heißt es in dem uns vorliegenden Entwurf, daß die Beisitzer gegebenenfalls von der zuständigen Arbeitsbehörde nach Anhörung der Beteiligten für die Dauer von 3 Jahren berufen werden.
Meine Herren und Damen, es ist noch gar nicht so lange her, daß auch von dieser Stelle aus den Gewerkschaften wiederholt bestätigt wurde, daß sie selbst in den schwersten Zeiten der Nachkriegsjahre verantwortungsvoll gehandelt haben. Ich will jetzt nicht auf die Tendenz eingehen, die in diesem Gesetzentwurf mit dem Versuch der Einengung der gewerkschaftlichen Befugnisse zutage tritt. Insoweit aber werden auch Sie, meine Herren und Damen, mit mir einig gehen, daß gerade dort, wo keine tarifvertraglichen Vereinbarungen bestehen — infolge Fehlens zuständiger Sozialpartner —, der soziale Notstand und auch die von uns allen doch sicherlich nicht gewünschte Kinderarbeit am schlimmsten sind. Gerade für solche Gebiete ist es nach unserer Auffassung nicht zu verantworten, das Schicksal der Heimarbeiter drei Jahre lang nur der behördlichen Entscheidung zu überlassen, wie es in dem vorliegenden Entwurf vorgesehen ist. Wir halten es deshalb für unerläßlich und für selbstverständlich, daß die Gewerkschaften das
Vorschlagsrecht für die Beisitzer in den Heimarbeitsausschüssen bekommen. Aus den gleichen Gründen verlangen wir, daß die Zustellung der Heimarbeiterlisten an die Gewerkschaften, die im Gesetz des Wirtschaftsrats vorgesehen war, auch in das neue Gesetz hereingenommen wird.
In § 11. Abs. 2 des vom Wirtschaftsrat beschlossenen Gesetzes war vorgesehen, daß der Heimarbeitsausschuß zur Beseitigung von Mißständen, die durch ungleichmäßige Heimarbeit entstehen, die Arbeitsmengen festsetzen m u B. Meine Fraktion ist nicht der Meinung, daß, wie im vorliegenden Gesetzentwurf geschehen, hieraus eine Kann-Bestimmung gemacht wird. Da in Abs. 4 des gleichen Paragraphen dem Vorsitzenden des Heimarbeitsausschusses das Recht gegeben ist, aus wichtigen Gründen die Ausgabe größerer Arbeitsmengen auf einen Entgeltbeleg zu gestatten, sollten wir in Abs. 2 die Kann-Bestimmung in eine MußBestimmung umändern.
Abs. 2 des § 11 enthält aber noch eine weitere wesentliche Verschlechterung. Es heißt dort: „Für jugendliche Heimarbeiter ist die Arbeitsmenge gesondert festzusetzen." Meine Fraktion ist nicht der Auffassung, daß mit diesem lapidaren Satz der Schutz der Jugendlichen genügend gewährleistet sei. Wir halten es vielmehr für unbedingt notwendig, daß die im Gesetz des Wirtschaftsrats in § 11 Abs. 4 letzter Abschnitt enthaltene klare Fassung in das Heimarbeitsgesetz eingebaut wird, wonach bei der Bemessung der an jugendliche Heimarbeiter auszugebenden Arbeitsmengen die Arbeitszeitvorschriften des Gesetzes über Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen zugrunde zu legen sind.
Was die in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen Abschnitte über die Entgeltbestimmungen betrifft, so bedauern meine Freunde und ich sehr, daß die Verabschiedung des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen, das meine Fraktion mit Drucksache Nr. 525 bereits am 7. Februar 1950 beantragt hatte, im Ausschuß für Arbeit immer wieder verzögert worden ist, und zwar mit der Begründung, die in der Ausschußsitzung am 17. März gegeben wurde, daß die Bundesregierung den Entwurf für ein Heimarbeitsgesetz in ganz kurzer Zeit vorlegen würde und der Gesetzentwurf über die Mindestarbeitsbedingungen eben so lange zurückzustellen sei. Wäre dieses Gesetz rechtzeitig verabschiedet worden, dann, meine Herren und Damen, wäre es nicht mehr notwendig gewesen, in dem Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes Entgeltbestimmungen vorzusehen. Wir werden im Ausschuß auch diese Frage noch sehr eingehend diskutieren müssen.
Ganz eindeutig möchte ich hier mit Nachdruck feststellen, daß in der so spät erfolgten Vorlage des Heimarbeitsgesetzes durch die Bundesregierung die Ursache für die Verzögerung der gesetzlichen Regelung dieser beiden wichtigen sozialpolitischen Fragen liegt. Dadurch wurden große Kreise der Heimarbeiterschaft, die seit der Einbringung unseres Antrages im vorigen Jahre sehnlichst auf die gesetzliche Regelung ihrer Lohn- und Arbeitsverhältnisse warten, unnötig lange der Ausbeutung und Verelendung preisgegeben, weil ihnen Stundenlöhne bezahlt werden, die als Hungerlöhne bezeichnet werden müssen. Es ist leider keine Seltenheit, daß für Heimarbeit pro Stunde 20, ja sogar nur 15 Pfennig und noch weniger gezahlt werden.
Haben Sie sich, meine Herren und Damen, und
auch Sie, Herr Arbeitsminister, schon einmal überlegt, daß eine solche Heimarbeiterin, selbst wenn sie zwölf und mehr Stunden täglich arbeiten würde, eben doch nur auf einen Tagesverdienst von 1,80 bis 2,40 DM kommt? Will da etwa noch jemand bezweifeln, daß für diese Heimarbeiterin z. B. die Brotpreiserhöhung eine Lebensfrage ist?
Es liegen uns über das traurige Los der Heimarbeiter mancherlei Berichte vor. So haben unter anderem einige Unternehmer im Solinger Gebiet die schlechte Beschäftigungslage im vorigen Jahr ausgenützt, um die vereinbarten Löhne zu umgehen und einen Lohnabzug von 20 % bis 30 % vorzunehmen, indem sie den Heimarbeitern 50 Dutzend Scheren in Auftrag gaben, bei der Ablieferung aber nur 331/3 Dutzend bezahlten.
Wie ich nach uns gemachten Mitteilungen annehmen muß, sind diese unsozialen Verhältnisse auch der Bundesregierung durch ihr zugegangene Berichte seit langem bekannt. Es ist mir deshalb unverständlich, daß die Vorlage des Heimarbeitsgesetzes so lange verzögert wurde, zumal wenn man bedenkt, daß in dem vom Wirtschaftsrat mit großer Mehrheit oder, wenn ich nicht irre, sogar einstimmig beschlossenen Gesetz dem Bundesarbeitsministerium eine brauchbare Vorlage gegeben war.
Ich möchte nur wünschen, daß das Heimarbeitsgesetz, zu dessen Vorlage die Bundesregierung fast ein ganzes Jahr gebraucht hat, obgleich der Herr Bundesarbeitsminister damals die Dringlichkeit des Gesetzes anerkannte und die Vorlage in allerkürzester Zeit zusicherte, nun nicht auch im Ausschuß eine so lange Wartezeit durchmachen muß, sondern schnellstens behandelt und verabschiedet wird.
Meine Fraktion ist damit einverstanden, daß der vorliegende Entwurf eines Heimarbeitsgesetzes an den Ausschuß für Arbeit überwiesen wird. Meine Fraktion erwartet aber gleichzeitig, daß der bereits im Februar ds. Js. an den Ausschuß für Arbeit überwiesene Gesetzentwurf der SPD-Fraktion über die Mindestarbeitsbedingungen nunmehr ebenfalls sofort von dem Ausschuß verabschiedet wird.