Rede von
Willi
Richter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Ich weiß, daß es sich hier um ein schwieriges, kompliziertes Gebiet der gesamten Sozialpolitik handelt. Ich kann nicht verlangen, daß Sie sich alle auf diesem Gebiet besonders betätigen.
Sie haben viel wichtigere Aufgaben und sind viel geschicktere, viel klügere Menschen. Ich habe deshalb Verständnis, wenn Sie weniger Interesse an diesen Ausführungen haben. Wir sind schließlich als Sozialpolitiker — besonders in der Jetztzeit und bei der Zusammensetzung dieses Hauses — Leid gewohnt.
Ich möchte aber zum Schluß noch auf einen Artikel zu sprechen kommen, der von dem Kollegen dieses Hauses, Herrn Dr. Hammer, im „Darmstädter Tagblatt" unter dem 5. Juli 1950 veröffentlicht wurde. Da heißt es — ich darf den Absatz mit Genehmigung des Präsidenten verlesen —:
Daß von 1945 an bis zum heutigen Tage darin
— er meint nämlich die Selbstverwaltung — keine grundlegende oder wesentliche Änderung eingetreten ist, ist der Bevölkerung leider weitgehend unbekannt geblieben. Die Verhältnisse der Nachkriegszeit, die Tendenzen der Denazifizierungsgesetze, die Duldung dieser Vorgänge durch die Besatzungsmacht brachten es mit sich, daß das Jahr 1945 nicht eine Wiederherstellung der zerstörten Selbstverwaltung und ein Erwachen des genossenschaftlichen Lebens mit sich brachte, sondern eigentlich nur einen Austausch der Parteibücher. Ehe Christian Stock
— nun wende ich mich an die Hessen, es sitzen ja einige vor mir —
Ministerpräsident des Landes Hessen wurde, war er Präsident der Landesversicherungsanstalt des Landes Hessen geworden.
Sie wissen alle — und besonders Sie, sehr verehrter Herr Kollege Horn —, daß Christian Stock schon lange vor der Kriegszeit, Jahrzehnte vorher, ein hervorragender anerkannter Geschäftsführer in
der Ortskrankenkassenbewegung war, in Heidelberg, Frankfurt usw. Da ist es eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden Hessen, daß er 1945 Präsident der Landesversicherungsanstalt wurde. Ich wundere mich über diese sehr eigenartigen Bemerkungen in diesem Artikel. Der Geschäftsführer der Ortskrankenkasse Darmstadt, Herr Heile, war lange vor 1933 Geschäftsführer der Ortskrankenkasse Darmstadt und war vorher Inspektor beim Oberversicherungsamt in Darmstadt. Er ist also ein Fachmann von der Picke auf. Man sollte doch hier nicht von einem Austausch der Parteibücher sprechen. Das liest sich furchtbar und hört sich katastrophal an in unserer Zeit.
Ich darf noch auf den Art. 161 der Reichsverfassung von 1919 hinweisen, der lautet:
Zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit, zum Schutze der Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfällen des Lebens schafft das Reich ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten.
Das hat die Nationalversammlung damals im Art. 161 der Reichsverfassung verankert. Wir haben im Grundgesetz nichts Gleichartiges, aber ich glaube, wir sind doch berechtigt und verpflichtet, diesem Grundsatz, der von unseren Vorgängern in der Nationalversammlung unter gleichen Verhältnissen anerkannt wurde, wiederum oder endlich zum Durchbruch zu verhelfen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen ausführlich die Gründe dargelegt, warum meine Fraktion in ihrem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 248 die Forderung aufgestellt hat, daß nur Vertreter der Versicherten sowohl dem Vorstande wie auch der Vertreterversammlung in der Krankenversicherung und in den Rentenversicherungen der Arbeiter und Angestellten und in der Knappschaftsversicherung angehören sollen. Ich hoffe, daß diese Ausführungen Sie überzeugt haben, daß unsere Forderung berechtigt ist; denn seien Sie sich darüber klar: Wenn die paritätische Besetzung der Organe in dem Gesetz über die Selbstverwaltung festgelegt wird, dann wird mit diesem Gesetz erst der Kampf um die Selbstverwaltung entbrennen. Abraham Lincoln, der bekannte Politiker, sagte einmal:
„Nichts ist erledigt, wenn es nicht gerecht
erledigt ist."
Vizepäsident Dr. Schäfer: Das Wort hat der Abgeordnete Kohl.