Rede von
Lisa
Korspeter
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Den vorliegenden Antrag Drucksache Nr. 1328 haben wir deshalb eingereicht, weil wir eine Anregung zur Lösung eines Problems geben wollen, das uns außerordentlich wichtig erscheint. Unser Antrag besagt, daß die Bundesregierung dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen möge, wonach
1. der jährliche Grundbetrag für die Rente der Arbeiter dem Grundbetrag für die Rente der Angestellten angepaßt wird,
2. der jährliche Steigerungsbetrag für die Rente der Angestellten dem Steigerungsbetrag für die Rente der Arbeiter angepaßt wird.
Meine Herren und Damen, damit wird zum Ausdruck gebracht, daß wir die Lösung dieses Problems darin sehen. daß für die Berechnung der Renten sowie der Witwen- und Waisengelder in der Invaliden- und Angestelltenversicherung die gleichen Voraussetzungen geschaffen werden sollen.
Ich nehme nicht an, daß alle Mitglieder dieses Hauses darüber orientiert sind, nach welchen Voraussetzungen die Rentenberechnung erfolgt, und ich möchte sie deshalb ganz kurz skizzieren, um Ihnen zu zeigen, wie verschiedenartig die Berechnung bei gleicher Beitragsleistung ist und wie sehr wir uns deshalb überlegen sollten, eine andere Lösung zu finden. Die Beitragsleistung für die Invaliden- und für die Angestelltenversicherung ist für beide Gruppen, für Arbeiter und Angestellte, seit dem Sozialversicherungsanpassungsgesetz 10 % des Lohns oder des Gehalts, während vorher, aber auch für beide Gruppen gleich, 5,6 % des Lohns aufgewandt werden mußten. Die Beiträge von 5,6 % wurden damals, bei der Schaffung des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes, auf 10 % heraufgesetzt, um die durch dieses Gesetz verbesserten Leistungen gewähren zu können. Ich betone also nochmals ganz klar und ausdrücklich: der Beitrag für die Invaliden- und Angestelltenversicherung war und ist auch heute derselbe.
Man sollte aus dieser Tatsache eigentlich den Schluß ziehen, daß sich damit für die Arbeiter und Angestellten auch der Anspruch auf die Anwendung der gleichen Voraussetzung für die Berechnung der Renten ergeben müßte. Dem ist aber nicht so. Während der Grundbetrag, auf dem sich jeweils eine Rente aufbaut, bei der Angestelltenversicherung 444 DM ist, sind es bei der Invalidenversicherung nur 156 DM. Während der Steigerungsbetrag bei der Invalidenversicherung auf Grund der gezahlten Beiträge 1,2 % beträgt, werden bei der Angestelltenversicherung nur 0,7 % Steigerungsbeträge berechnet.
Es ist ganz selbstverständlich, daß sich bei einer solchen unterschiedlichen Berechnung auch unterschiedliche Leistungen bei der Rentenzahlung ergeben, die unseres Erachtens nicht tragbar sind. Bei einer kürzeren Versicherungsdauer sind die Angestelltenversicherten begünstigt, bei einer längeren Versicherungsdauer sind es die Invalidenversicherten, die begünstigt sind. Wir alle kennen die Klagen der Angestelltenversicherten mit langen Versicherungszeiten. Gerade diese Tatsache ist mit ein Grund gewesen, der uns geleitet hat, diesen Antrag einzubringen, um den durchaus berechtigten Klagen der Angestellten Rechnung zu tragen.
Wir sind uns auch darüber klar, meine Herren und Damen, daß diese Unterschiedlichkeit in der Berechnung nur aus der geschichtlichen Entwicklung unserer Sozialversicherung zu begreifen ist. Würden wir heutigen Tages vor die Aufgabe gestellt werden, eine neue Sozialversicherung zu schaffen, so würde es keinem Menschen auch nur einfallen, solche Vorschläge zu machen. Die Zeit
würde es gar nicht gestatten, und wir sollten deshalb diesen Gedanken nicht zur Ruhe kommen lassen, hier einer gerechten Lösung das Wort zu reden. Durch das Sozialversicherungsanpassungsgesetz ist es uns gelungen, zwei der großen sozialen Ungerechtigkeiten abzuschwächen. Einmal war es die Gewährung des Anspruchs der Witwe eines Invalidenversicherten auf Witwenrente ohne jede Voraussetzung, wie es bei der Witwe des Angestelltenversicherten ist; zum andern war es die Anerkennung der Erwerbsunfähigkeit für Invalidenversicherte schon bei 50 % statt wie bisher bei 66 2/3 % Erwerbsbeschränkung, wenn auch - und ich möchte das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit sagen — der festgesetzte Stichtag immer wieder erhebliche sozialpolitische Bedenken aufkommen läßt.
Wir haben damals im Wirtschaftsrat das Sozialversicherungsanpassungsgesetz mit großer Mehrheit verabschiedet, und wir würden uns freuen, wenn es uns auch bei diesem Antrag gelänge, zu einer Beratung zu kommen, durch die dieses Problem gelöst würde. Ich bitte deshalb, meine Herren und Damen, diesen Antrag nicht mit der Vertröstung auf eine spätere Reform der Sozialversicherung auf die Seite legen zu wollen. Wir würden dafür kein Verständnis haben, weil wir meinen, daß diese augenblickliche Regelung nicht gerecht ist. Ich möchte mich heute auf versicherungsmathematische Erörterungen nicht einlassen. ich muß auch gestehen, daß ich das nicht kann, weil wir diese versicherungsmathematischen Unterlagen, die wir schon vor längerer Zeit von der Bundesregierung angefordert haben, noch nicht bekommen haben. Aber ich möchte noch einmal zum Ausdruck bringen, daß diese Frage für uns keine versicherungsmathematische, sondern eine sozialpolitische Frage ist
und daß diese Regelung, die wir herbeizuführen wünschen, für beide Gruppen sozialpolitisch fortschrittlich sein muß. Es ist uns allen bekannt, daß die augenblickliche Situation der Rentenversicherungsträger äußerst schwierig ist, und wir wissen, daß bei den Erwägungen sehr vorsichtig und sehr gründlich überlegt werden muß. Aber trotzdem, meine Herren und Damen, halten wir es für notwendig, daß wir uns mit dieser Frage befassen.
Ich bitte, unseren Antrag dem Ausschuß für Sozialpolitik überweisen zu wollen.