Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf in aller Offenheit zum Ausdruck bringen, daß mich die Diskussion nicht überrascht hat. Auf Grund der Erfahrungen, die wir in der letzten Sitzung machen mußten, wo Sie unsere Anträge zur Verbesserung der Arbeitslosenversicherung, der Krankenversicherung usw. abgelehnt bzw. derart kritisch behandelt haben, haben wir wirklich nichts anderes erwartet.
Aber die Behauptung, die Frau Kollegin Kalinke aufgestellt hat, daß das Sozialversicherungsanpas-
sungsgesetz keinerlei fortschrittliche Gedanken in sich enthalten, keinen Fortschritt im Interesse der Versicherten darstellen würde, ist doch letzten Endes etwas zu weitgehend. Das Sozialversicherungsanpassungsgesetz hat nicht nur einen Zuschlag zur Rente von 15 Mark, bei Witwen 12 Mark, bei Waisen 6 Mark, sondern es hat auch erstmals in der Sozialversicherung eine Mindestrente van 50 Mark pro Monat gebracht. Weil man weiß, daß nach den alten Berechnungen von Grundbetrag und Steigerungsbetrag die Mindestrente in der Invalidenrente 20 Mark pro Monat betragen konnte, kann man schon sagen, daß im Vergleich zur damaligen Zeit immerhin ein gewisser Fortschritt festzustellen war. Daß auch die Arbeiterwitwe in Zukunft bei dem Tode ihres Ehemannes genau so wie jahrzehntelang die Witwe des Angestellten und die Witwe des Beamten endlich auch Anspruch auf ein Witwengeld hat, das hat erstmalig — zu unserer freudigen Überraschung — das Sozialversicherungsanpassungsgesetz gebracht. Daß auch der Arbeiter — ganz gleichgültig, ob es ein Facharbeiter ist, welches Handwerk er erlernt hat oder ob es ein angelernter oder ein ungelernter Arbeiter ist, ganz gleich, ob es sich um eine Arbeiterin oder auch um eine Putzfrau handelt -
bei 50 % Erwerbsunfähigkeit, genau so wie der Angestellte bei 50 % Berufsunfähigkeit, genau so wie der Beamte bei 50 % Dienstunfähigkeit Anspruch auf seine Rente hat, ist der dritte wesentliche Fortschritt durch dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz.
Ich glaube, die Damen und Herren, die hier im Hause vertreten sind und dem ehemaligen Wirtschaftsrat als Abgeordnete angehört haben, bedauern dieses Sozialversicherungsanpassungsgesetz insbesondere hinsichtlich dieser drei Grundsätze, die es in sich verankert, sicherlich nicht.
Nun wird weiter behauptet, daß man hier mit diesem Antrag einen weiteren Schritt zur Vereinheitlichung der Rentenversicherung zwischen den Arbeiterrenten und den Angestelltenrenten erreichen wolle. Wie liegt es denn da? Ursprünglich betrug der Beitrag pro Monat 5,6 %, den sowohl der Arbeiter wie der Angestellte von seinem Sozialversicherungsanpassungsgesetz ist der Beitrag sowohl für den Arbeiter wie auch für den Angestellten von 5,6 % auf 10 % erhöht worden, ganz gleich, ob es sich um einen Arbeiter oder um einen Angestellten handelt. Bei 200 Mark Monatslohn oder bei 200 Mark Monatsgehalt muß der Angestellte 10 %, also 20 Mark, einschließlich Arbeitgeberanteil, an Beiträgen zahlen. Diesen Satz hat auch der Arbeiter zu zahlen.
Nun frage ich Sic: Gibt es etwas Näherliegendes, Gerechteres und Vernünftigeres für jeden einfach denkenden Arbeiter und Angestellten, als daß ihm auch dementsprechend die Leistungen nach den gleichen Grundsätzen und in gleicher Höhe gewährt werden? So bin ich nicht verwundert darüber, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund den Antrag eingebracht hat, daß in der Invalidenversicherung der Grundbetrag auf 444 DM und in der Angestelltenversicherung der Steigerungsbetrag von 0,7 % erhöht wird, und daß die Deutsche Angestelltengewerkschaft, also die Gewerkschaft, die nur angestelltenversicherungspflichtige Mitglieder hat, den Antrag eingebracht hat, den Steigerungsbetrag in der Angestelltenversicherung dem Steigerungsbetrag in der Invalidenversicherung, also dem Betrag von 1,2 % anzupassen. Diese beiden Entschließungen, die Sie auch bekommen haben und von denen Sie genau so gut Kenntnis nehmen konnten, waren der Ausgangspunkt unseres Antrages. Ich hätte es gewünscht und ich wäre wirklich befriedigt gewesen, wenn Sie sich zu diesem Antrag positiv ausgesprochen hätten und wenn wir über ihn im Ausschuß für Sozialpolitik in bester Gemeinschaft diskutiert hätten.
Wenn hier von der Vereinheitlichung gesprochen wird, darf ich doch auf folgendes hinweisen. Der Länderrat der US-Zone hat einmal namhafte Sozialpolitiker aufgefordert, ein Gutachten über die Reform der Sozialversicherung zu erstatten. Ich habe es hier auf meinem Tisch liegen und kann es Ihnen zeigen, wenn es Sie interessieren sollte. In diesem Gutachten heißt es u. a.: „Die organisatorische Vereinigung der Invaliden- und Angestelltenversicherung begegnet keinen Bedenken, da es sich hierbei um gleichartige Versicherungszweige handelt." Zu diesen Gutachtern gehört auch der damalige Ministerialrat Dr. Sauerborn, der jetzige Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium.
Zum Schluß muß ich mich noch mit aller Entschiedenheit gegen die Behauptung der Frau Kollegin Kalinke wenden, daß die Träger der Invalidenversicherung — wenigstens habe ich sie so verstanden — quasi Mittel aus der Angestelltenversicherung für ihre Aufgaben verwendeten. Ich kenne die Verhältnisse in der Landesversicherungsanstalt Hessen. Ich weiß, daß für die Einnahmen und Ausgaben der Invalidenversicherung und der Angestelltenversicherung getrennte Buchführung erfolgt und daß die Mittel in jeder Beziehung einwandfrei und nach kaufmännischen Grundsätzen verwaltet werden. Kraft eines hessischen Gesetzes ist die Landesversicherungsanstalt Hessen Treuhänder für die angestelltenversicherungspflichtigen Mitglieder von Hessen. Im Jahre 1945 war es die Landesversicherungsanstalt Hessen, die aus Mitteln der Invalidenversicherung, also aus Beiträgen der Arbeiter, monatelang die Renten für alle Angestelltenversicherungspflichtigen bezahlt hat.
Monatelang hat man die Mittel der Arbeiter zur Auszahlung der Angestelltenversicherungsrenten verwendet. Das war eine Selbstverständlichkeit, man mußte das tun; denn von Berlin, das der Sitz der Angestelltenversicherungsanstalt ist, konnten keine Mittel irgendwohinkommen. So hat es mich gefreut, daß die Landesversicherungsanstalt Hessen, die Invalidenversicherung der Arbeiter, monatelang diese solidarische, diese gegenseitige Hilfe geleistet hat. Ihr jetzt so den Dank abzustatten, halte ich nicht für angebracht. Ich verwahre mich hiergegen in aller Öffentlichkeit ganz entschieden.