Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So wie sich das Schicksal des Heimarbeiters weniger sichtbar vor der Öffentlichkeit abspielt, so scheint es das Schicksal der Heimarbeiterschutzgesetzgebung zu sein, daß sie erst nach vielen Schwierigkeiten zum Durchbruch kommt. Es dauerte lange, bis im sozialrechtlichen und arbeitsrechtlichen Schrifttum die Heimarbeiterfrage in ihrer ganzen, großen Bedeutung gesehen wurde. Und als dann der alte Reichstag nach fast zehnjähriger Beratung im Jahre 1911 das erste Heimarbeitsgesetz verabschiedete, stellte es deswegen keinen wirksamen Schutz dar, weil in ihm die Lösung der Kernfrage, nämlich die Entgeltfestsetzung und der Lohnschutz, fehlte.
Weithin ist man heute geneigt, den Umfang der Heimarbeit für nicht mehr so groß zu halten wie vor einigen Jahrzehnten. Aber selbst aus der Begründung der Regierung zu diesem Gesetzentwurf geht hervor, daß die Regierung die Zahl der Be-
schäftigten ohne die mitarbeitenden Familienangehörigen und Hilfskräfte auf 140 000 schätzt. Das bedeutet, daß sehr wahrscheinlich insgesamt über 300 000 Menschen in Westdeutschland mit Heimarbeit beschäftigt sind.
Die Lage der Heimarbeiter ist nicht nur um die Jahrhundertwende sehr schlecht gewesen, sondern es herrschen auch heute noch vielfach unbeschreibliche soziale Mißstände.
Nur dort, wo es gelungen ist, die Heimarbeiter in den Gewerkschaften organisatorisch zu erfassen — das ist bekanntlich nicht allzuleicht —, war es möglich, durch tarifrechtliche Regelungen eine sichtbare Besserung herbeizuführen.
Nachdem das erste Heimarbeitsgesetz bei weitem nicht genügte, versuchte in Ergänzung dazu das Heimarbeiterlohngesetz im Jahre 1923 durch Einführung der Fachausschüsse eine Verbesserung. Hier bot sich eine Möglichkeit; aber auch dieser Apparat war noch so schwerfällig, daß kaum sichtbare Erfolge erzielt werden konnten. Ich hatte die Möglichkeit, in einem solchen Fachausschuß mitzuarbeiten. Ich muß die erschütternde Erklärung abgeben, daß wir damals festgestellt haben, daß in einem verhältnismäßig kleinen Kreis, den wir erfassen konnten, innerhalb vier Wochen 30 000 Mark an Lohn von den an sich schon niedrig festgesetzten Löhnen zu wenig gezahlt waren.
Das Heimarbeitergesetz vom Jahre 1934, dessen Vorarbeiten in Erkenntnis dieser Zustände geleistet wurden, war eher geeignet, hier Ordnung zu schaffen. Es fehlte dann aber weithin infolge der Kriegs- und sonstigen Verhältnisse, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht einzugehen brauche, an der Durchführungsmöglichkeit.
Ich schildere diese Verhältnisse deswegen so eingehend, weil ich damit sagen will, daß nicht nur ein Gesetz, sondern auch seine Durchführung außerordentlich wichtig ist, und weil ich damit begründen will, daß auch die Durchführung dieses Heimarbeitsgesetzes nur dann gesichert ist, wenn alle Organe mitwirken, die dazu herangezogen werden können. Das sind neben den Körperschaften des öffentlichen Rechts in erster Linie auch die wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer und die Arbeitgebervereinigungen. Erst in jüngster Zeit — ich muß bestätigen, was meine Vorrednerin Kollegin Döhring soeben sagte — mußte ich feststellen, daß noch Löhne von 15 Pfennig für Strickarbeiten usw. bezahlt werden. Die Gefahr der Lohnunterbietung ist beim Heimarbeiter nach wie vor gegeben. Die Kinderarbeit, die in der Industrie Gott sei Dank beseitigt werden konnte, ist in der Heimarbeit noch weithin gang und gäbe. Eine geregelte Arbeitszeit kennt man kaum; sie hängt von einer geordneten Lohnregelung ab. Nicht durch gesetzliche Vorschriften über die Arbeitszeit, sondern durch eine geordnete Lohnregelung allein kann auch hier Ordnung geschaffen werden.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf, bei dem ich anerkenne, daß er durch größere Klarheit und durch Hereinnahme der bei den Heimarbeitern beschäftigten fremden Hilfskräfte eine Verbesserung erfahren hat, fehlt aber leider die stärkere Mitwirkung der Gewerkschaften und der Arbeitgeberorganisationen. Ich muß namens meiner Freunde erklären, daß wir darauf bestehen müssen, daß alle Organe, die zur Durchführung des Gesetzes herangezogen werden können, wirklich mitbeteiligt werden. Das gilt insbesondere für die bereits eben genannte Einreichung der Listen. Es kann nicht genügen, wenn diesen Organisationen nur Einsicht gewährt wird, weil Einsicht in einem Gebiet, in dem zehn oder mehr Tausend Heimarbeiter sind, einfach nur eine theoretische Möglichkeit darstellt, um hier auf Abhilfe zu drängen. Deswegen muß im Gesetz die Möglichkeit geschaffen werden, diese Listen den beteiligten Organisationen auszuhändigen. Ferner ist die Frage zu prüfen, inwieweit die wirtschaftlichen Organisationen durch eigene tarifrechtliche Überwachungsstellen miteingebaut werden können.
Es ist auch in § 1 eine meines Erachtens gründlichere Differenzierung der Begriffe Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende zu finden. Wenn es dort heißt: Hausgewerbetreibender ist, wer als Gewerbetreibender mit seinen Familienangehörigen arbeitet, dann ist in der Praxis mit diesem Begriff sehr wenig anzufangen. Zu welcher Verwirrung es führt, mußten wir zu unserem Leidwesen in den letzten Wochen in den drei Ländern Bayern, Württemberg-Baden und Hessen feststellen. Dort hat man u. a. auf Grund auch dieser Auslegung herausgefunden, daß es sich hier um selbständige Gewerbetreibende handelt, die nicht mehr wie seither der Lohnsteuer unterliegen sollen, sondern zur Gewerbeumsatzsteuer heranzuziehen sind und bereits den ersten Einkommensteuerbescheid erhalten haben. Ein solches Vorgehen ist unmöglich. Es bedeutet eine noch weitere Kürzung des an sich schon. kärglichen Lohnes.
Ich schlage ebenfalls vor, daß dieser Gesetzentwurf dem Ausschuß für Arbeit überwiesen wird. Wir werden im Ausschuß für Arbeit auch unserseits die nur zum Teil von mir vorgebrachten Wünsche als Abänderungen in dieses Gesetz einzubauen suchen, um nach Jahrzehnten des Arbeitens an einem echten Heimarbeiterschutz ein wirklich brauchbares Instrument zu schaffen, um diesem großen, sozial so gedrückten Personenkreis die Hilfe und den Schutz angedeihen zu lassen, den er haben muß, damit die Löhne auf die Höhe gebracht werden, die eine Existenzmöglichkeit gewährleistet, und damit die so festgelegten Löhne — ob sie tarifrechtlich oder durch die hier einzubauenden Ausschüsse festgelegt werden — auch tatsächlich gezahlt werden.
Deswegen begrüßen wir es, daß in diesem Entwurf auch die Möglichkeit besteht, von seiten der öffentlichen Körperschaften bei den Gerichten im Namen der Heimarbeiter und an ihrer Stelle Klage zu führen, weil es eine bekannte Tatsache ist, daß die Heimarbeiter in ihrer sozialen Schwäche aus Furcht vor Entlassung nicht leicht in der Lage sind, ihre Rechte zu vertreten.
Ich möchte ferner noch einen Wunsch anfügen: wir müßten auch bei der Beratung des Gesetzes überlegen, ob und inwieweit es möglich ist, auch für die Heimarbeiter einen echten Kündigungsschutz einzuarbeiten, den sie leider bis heute entbehren, weil diese Heimarbeiter von Woche zu Woche, obwohl sie arbeitslosenversicherungspflichtig sind, vertröstet werden, bis sie wieder Arbeit erhalten und oft nach drei bis vier Wochen erst in die Lage kommen, nachdem sie so lange arbeitslos sind, Arbeitslosenunterstützung zu beziehen.
Zu den Ausführungen der Vorrednerin bezüglich des Gesetzes über die Mindestlöhne darf ich doch freundlichst erwähnen, daß im Ausschuß beschlossen worden ist, diese beiden Gesetze gleichzeitig zu beraten. Wir bedauern es ebenso, daß dieses Gesetz, das seinerzeit im Wirtschaftsrat in Frankfurt verhältnismäßig rasch und meines Wissens ebenfalls einstimmig beschlossen worden ist, infolge der
uns hier geschilderten Schwierigkeiten so lange brauchte, um vorgelegt zu werden. Wir wollen im Bundestag nun unsererseits alles tun, um die an sich schon zu lange Frist, die dem Erscheinen des Gesetzes gestellt ist, durch möglichst rasche und gründliche Arbeit wieder wettzumachen, um den Heimarbeitern endlich den Schutz in ihrer Arbeit angedeihen zu lassen, dessen sie bedürfen und auf den sie seit Jahren vergeblich warten.