Gesamtes Protokol
Guten Morgen, meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt:
9. Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Drucksachen 13/900, 13/1313 -
10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tippach, Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS: Weltweite Achtung der Landminen - Drucksache 13/1302 -
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Achtung von Landminen - Drucksache 13/1304 -
12. Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Verbot von Landminen und Unterstützung der Länder der „Dritten Welt" bei der Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition - Drucksache 13/1308 -
Ich mache außerdem darauf aufmerksam, daß es nachträgliche Ausschußüberweisungen gibt:
Die in der 24. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. März 1995 überwiesenen nachfolgenden Gesetzentwürfe sollen nachträglich dem Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung überwiesen werden.
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen vom 20. September 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik über Kindergeld - Drucksache 13/664 -
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen vom 25. März 1981 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Marokko fiber Kindergeld - Drucksache 13/665 -
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
- Drucksache 13/900 -
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
- Drucksache 13/1313 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Herta Däubler-Gmelin Norbert Geis
Dazu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich weise schon jetzt darauf hin, daß wir im Anschluß an die Aussprache über den Gesetzentwurf namentlich abstimmen werden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Abgeordneter darf ich Sie zu dieser denkwürdigen Debatte herzlich begrüßen.
Im Mittelpunkt der Finanzpolitik der Bundesregierung steht die Zukunft des Standorts Deutschland. Die internationalen Verflechtungen werden enger, die Konkurrenz auf den Weltmärkten wird schärfer. Wer sich auf diese Rahmenbedingungen nicht rechtzeitig einstellt und nicht entsprechend politisch handelt, gefährdet das Wirtschaftswachstum in Deutschland, verhindert Investitionen und die Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplätzen im nächsten Jahrzehnt.
Wir stellen uns dieser Zukunftsaufgabe. Es wird sich heute zeigen, ob die Opposition auf Taktieren vor den Landtagswahlen verzichtet und sich der Verantwortung für Deutschland stellt.
Nach letzten Äußerungen aus Ihren Reihen wollen Sie weder den Reformbedarf bei der Gewerbesteuer
Dr. Theodor Waigel
noch die historische Chance einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Gemeindefinanzen sehen. Das verwundert sehr, wenn man die Auffassungen der Finanzpolitiker der SPD und auch der SPD-regierten Länder wirklich kennt.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist auch ihr erklärtes politisches Ziel, zumindest für später. Wenn Sie sich heute verweigern, so geschieht dies aus rein wahltaktischen Gründen und hat nichts mehr mit verantwortungsvoller Politik zu tun.
Sie verweigern den Kommunen eine Beteiligung an der Umsatzsteuer, die deren finanzielle Basis sichert und auch von der SPD befürwortet wurde. Ihr Abstimmungsverhalten am heutigen Tag kann eine Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern zur Folge haben. Aber dies scheint Ihnen egal zu sein.
Meine Damen und Herren, es kann doch wohl nicht wahr sein, daß wir durch eine solche Entscheidung und durch Nichthandeln im Jahr 1995 die Gewerbekapitalsteuer im Jahr 1996 in den neuen Bundesländern mit einem ungeheueren Verwaltungsaufwand einführen müssen, um sie ein Jahr oder zwei Jahre später wieder abzuschaffen. An diesem Treppenwitz der Steuerpolitik können Sie doch nicht mitwirken.
- Wenn dies so kommt, dann regiert Wahltaktik über finanzpolitische Vernunft.
Daran können auch bessere Einsichten in den eigenen Reihen, die Ratschläge seitens der Wissenschaft, der Kommunen und der Wirtschaftsverbände anscheinend nichts ändern.
Auch wenn Ihre Linie schon festgelegt ist und auch wenn Sie die Ablehnung der heute vorgeschlagenen Gesetzesänderung angekündigt haben, appelliere ich doch noch einmal an Sie: Überlegen Sie es sich gut, welche Verantwortung Sie für die Wirtschaft und für die Gemeinden mit ihrer Ablehnung übernehmen. Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wollen wir den Standort Deutschland auf den Weltmärkten über dieses Jahrzehnt hinaus sichern und stärken.
Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Grundgesetzänderung ist der Schlüssel dafür, in der nun schon jahrzehntelang andauernden Diskussion um die Gewerbesteuer und einer Reform der Gemeindefinanzen jetzt endlich einen entscheidenden Schritt zu tun.
Deutschland muß als Investitions- und Arbeitsplatzstandort Zukunft haben.
Dies liegt insbesondere im Interesse der Gemeinden. Hier haben wir in den letzten Jahren bereits Entscheidendes auf den Weg gebracht.
Erster Schritt: Im Steueränderungsgesetz 1992 gab es deutliche Entlastungen bei den ertragsunabhängigen Steuern, insbesondere bei der betrieblichen Vermögensteuer und bei der Gewerbesteuer.
Zweiter Schritt: Mit dem Standortsicherungsgesetz kam es zu spürbaren Senkungen des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte und der Körperschaftsteuersätze.
Jetzt muß der dritte Schritt folgen. Die Gewerbesteuer ist nach ihrer Abschaffung in Österreich - übrigens unter einem sozialdemokratischen Kanzler und unter einem sozialdemokratischen Finanzminister -
noch mehr zu einer international isolierten Sonderbelastung der Unternehmen in Deutschland geworden.
Die Gewerbekapitalsteuer soll daher ganz abgeschafft werden, und die Gewerbeertragsteuern sollen mittelstandsfreundlich gesenkt werden. Hier wollen wir die Steuermeßzahlen linear um 10 % senken. Dazu kommt eine Ausweitung der Freibeträge für Personengesellschaften und eine Progressionsmilderung innerhalb der Tarifstaffel für Personenunternehmen.
Die Öffnung der Verfassung für eine Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden ermöglicht zugleich eine Reform der Gemeindefinanzen. Das sehen auch die Kommunen - trotz Unterschieden in ihren eigenen Reihen - als eine historische Chance. Sie ist durchaus vergleichbar mit der ersten großen Finanzreform unter Finanzminister Franz Josef Strauß Ende der 60er Jahre.
- Meine Damen und Herren, das muß nachträglich in die Erinnerungen von Franz Josef Strauß aufgenommen werden, daß der Ministerpräsident des Saarlands bei Nennung des Namens Franz Josef Strauß sagt: „Das waren noch Zeiten! "
Dr. Theodor Waigel
- Er wird, lieber Herr Lafontaine, wohlgefällig auf Sie heruntersehen
und sagen: Auch Oskar hat hinzugelernt.
Ich erinnere noch einmal an die damals für die Gemeinden wichtigsten Punkte: Verbesserung des Gemeindefinanzsystems und spürbare Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden durch eine 14%ige Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer - im Gegenzug gab es die Einführung der Gewerbesteuerumlage -, Schaffung der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Mitfinanzierung des Bundes an gemeindlichen Investitionen und Stärkung der verfassungsrechtlichen Stellung der Gemeinden, nämlich unmittelbare Zuweisung des Aufkommens der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern durch das Grundgesetz an die Gemeinden und die grundgesetzliche Verankerung des Hebesatzrechts für die Realsteuern.
Diese Reform hat die Finanzsituation der Gemeinden durchgreifend gestärkt. Ähnlich positive Wirkungen hätte auch die jetzt von uns geplante Reform. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wird die Einnahmestruktur der Gemeinden nachhaltig verbessern. Die Umsatzsteuer ist eine dynamisch wachsende Einnahmequelle. Im Gegensatz zur Gewerbesteuer ist sie weitgehend konjunkturunabhängig. Die Gemeinden müssen nicht mehr vor jedem Konjunktureinbruch zittern, mit dem die Gewerbesteuereinnahmen abrupt zurückgehen. Damit entfällt ein Hauptgrund für das konjunkturell negativ zu bewertende prozyklische Ausgabenverhalten der Gemeinden. Die Vereine und insbesondere die kulturellen Einrichtungen vor Ort brauchen nicht jedes Mal um ihre gemeindlichen Zuschüsse zu bangen, die jederzeit drastisch zusammengestrichen werden können. Mehr Planungssicherheit ist die Folge.
Modellrechnungen haben übrigens ergeben: Die Gemeinden hätten in Folge der Wachstumsdynamik der Umsatzsteuer bis zum Jahr 1995 Mehreinnahmen von über 2 Milliarden DM gehabt, wenn die von der Bundesregierung beabsichtigte Reform schon 1991 verwirklicht worden wäre. Wenn man zusammenrechnet, was die Gemeinden zusätzlich bekämen, wenn die Reform durchgeführt wird, so sind es von 1996 bis 1999 wieder mehr als 2 Milliarden DM. Sie werden die Fragen der Kommunalpolitiker beantworten müssen, warum ihnen diese Einnahmeverbesserung verwehrt wird: durch ein negatives Votum der SPD.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist nicht neu. Wir haben sie bereits im Steueränderungsgesetz 1992 als Entwurf gehabt. Es ist dann wenigstens gelungen, der Vernunft wenigstens halbwegs gehorchend, sie in den neuen Bundesländern nicht einzuführen.
Mit dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sind die bedeutsamsten Steuern heute die Umsatz- und die Lohn- und Einkommensteuer. Mit der vorgeschlagenen Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer und dem bereits bestehenden Anteil an der Einkommensteuer werden die Gemeinden an diesen beiden Steuern maßgeblich beteiligt sein.
Der Vorschlag der Koalition sichert das kommunale Finanzfundament weit über dieses Jahrzehnt hinaus. Auch in Zukunft werden die Gemeinden den Großteil ihrer Einnahmen eigenverantwortlich gestalten können. Ihr Hebesatzrecht bei der verbleibenden Gewerbe- und Grundsteuer bleibt unangetastet. Natürlich mindert sich das Volumen der durch Hebesätze eigenverantwortlich festgelegten Einnahmen durch die Reform. Aber viele Gemeinden halten eine stetig fließende Umsatzsteuer für weitaus wertvoller als eine wenig berechenbare Gewerbesteuer, deren Entwicklung von der Konjunktur und manchmal sogar von der Ertragssituation nur eines einzigen größeren Unternehmens vor Ort abhängt.
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die mit der Gewerbesteuerreform verknüpfte Grundgesetzänderung muß jetzt entschieden werden. Am - ich erwähnte es vorhin - 31. Dezember 1995 läuft die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern aus. Wenn Vertreter der SPD behaupten, man müsse jetzt auch die Ostkommunen an dieser wichtigen Einnahmequelle beteiligen, dann ist das schlichtweg unverantwortlich. Die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Unternehmen, für die Arbeitsplätze und für die Steuerverwaltung in den neuen Bundesländern.
Die Steuerverwaltung müßte zur Ermittlung des Gewerbekapitals zunächst einmal die Einheitswerte für die Betriebsgrundstücke feststellen. Dafür fehlen in den meisten Fällen die entsprechenden Unterlagen. Diese zeitraubende und verwaltungsaufwendige Arbeit kann mit dem vorhandenen Personal nicht durchgeführt werden. Nach Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft müßten Tausende von neuen Beamten eingestellt werden.
- Sie benützen sie doch auch. Da darf ich sie doch auch benützen.
- Entschuldigung, im Gegensatz zu Ihnen nehmen wir Kritik auf und bauen sie auch in unsere Vorschläge ein,
Dr. Theodor Waigel
während Sie in einer stupiden Ablehnung verharren. Das ist der große Unterschied.
Die Unternehmen müßten einen Großteil der notwendigen Daten zunächst in einem aufwendigen Verfahren selbst bereitstellen, statt sich auf ihre eigentliche unternehmerische Tätigkeit und damit auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zu konzentrieren. Die entstehenden Gewerbesteuerbelastungen wären für die betroffenen Unternehmen beträchtlich. Dort, wo noch kein Gewinn erzielt wird, müßte die Gewerbekapitalsteuer aus der Substanz oder mit neuen Krediten gezahlt werden.
Völlig grotesk ist die Situation, wenn die öffentliche Hand in den neuen Bundesländern mit der einen Hand langfristige Darlehen zur Existenzgründung, -erweiterung und -sicherung oder zur Umschuldung eines Betriebes gibt und mit der anderen Hand die Kommune die Gewerbekapitalsteuer aus eben diesen Darlehen kassiert.
Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD angesichts dieser Tatsachen das Problem der Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern als Unfug oder vorgeschoben bezeichnet, ist dies falsch und zynisch zugleich.
Die Koalition will die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht einführen.
Sie müssen auch klar sehen, daß eine Verlängerung der Aussetzung über 1995 hinaus von der EU-Kommission abgelehnt wird und wir in eine ganz schwielige Situation kämen.
- Beruhigen Sie sich doch! Haben Sie noch keinen Kaffee in der Frühe gehabt, daß Sie so nervös sind?
Ich frage Sie, welcher deutsche Steuerzahler und Unternehmer das verstehen soll: Zum einen werden Investitionen in den neuen Ländern aus guten Gründen massiv steuerlich gefördert. Zum anderen wird eine Einführung der Gewerbekapitalsteuer zu massiven steuerlichen Zusatzbelastungen der Unternehmen führen. Die im Jahressteuergesetz vorgesehenen Fördermaßnahmen wie Investitionszulage. oder Sonderabschreibung, die ja fortgeführt werden, werden damit konterkariert.
Die Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden in Höhe von 2,7 % ist der richtige Weg. Er berücksichtigt die Interessenlage von Wirtschaft und Gemeinden. Meine Damen und Herren, es ist für uns ganz entscheidend, daß auch künftig der Verbund zwischen örtlicher Politik und Wirtschaft erhalten bleibt und daß diejenigen Gemeinden profitieren, die heute den Mut haben, mit einem wirtschaftsfreundlichen Klima für die bestehenden Unternehmen etwas zu tun und für die Ansiedlung weiterer Unternehmen Sorge zu tragen. Genau dies wird erreicht.
In der Anhörung des Rechts- und des Finanzausschusses des Bundestages vor 14 Tagen haben kommunale Vertreter, Sachverständige, die Vertreter der Finanzwissenschaft und der Wirtschaftsverbände den Gesetzentwurf der Koalition begrüßt.
- Aber natürlich!
Durch die vorgesehene Verteilung der Umsatzsteuer nach einem orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssel bleibt das Interessenband zwischen Gemeinden und Wirtschaft gewahrt. Auch künftig können die Gemeinden durch eine aktive, wirtschaftsbezogene Politik, durch die kommunalen Standortfaktoren die Höhe ihrer Steuereinnahmen selbst beeinflussen.
Gegenwärtig stehen präzise Daten für einen derartigen Verteilungsschlüssel noch nicht zur Verfügung. Sie können auch bis 1996 nicht beschafft werden. Dazu bedarf es umfangreicher statistischer Vorarbeiten. Deshalb ist zunächst eine Übergangsregelung für die Jahre 1996 bis 1999 vorgesehen, die den Besitzstand der Gemeinden voll wahrt und bei einem Wachstum des Umsatzsteueraufkommens sogar noch vermehrt. Den Kommunen in den neuen Ländern soll ein Zuschlag von 25 % auf ihre Gewerbeertragsteuereinnahmen gewährt werden, um eine Benachteiligung durch die bisher nicht erhobene Gewerbekapitalsteuer zu vermeiden.
Ab dem Jahr 2000 kann dann mit dem neuen orts-
und wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssel gearbeitet werden.
Aus meinen Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden weiß ich: Bedenken auf kommunaler Ebene gegenüber dem jetzigen Vorschlag sind hauptsächlich in der Sorge um mögliche Verlierergemeinden begründet. Richtig ist: Allein in dem Übergangszeitraum von 1996 bis 1999 erhalten die Kommunen durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer Mehreinnahmen von über 2 Milliarden DM.
Auch im Hinblick auf die endgültige Regelung ab dem Jahr 2000 hat keine Gemeinde als Folge der Reform eine Schlechterstellung zu erwarten. Kommt hingegen heute die Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung nicht zustande, weiß jede
Dr. Theodor Waigel
Kommune, was sie verliert und wer dafür verantwortlich ist. Die SPD ist dann dafür verantwortlich, daß in den nächsten Jahren 2 Milliarden DM den Gemeinden nicht zufließen. Das ist die Wahrheit.
Leider werden nicht nur bei der Gemeindefinanzreform, sondern auch bei der Diskussion um die Gewerbesteuer gezinkte Karten verwendet.
- Herr Präsident, es scheint eine sehr urige Seite zu sein, von der Sie normalerweise kommen.
Ich traue Ihnen zu, Herr Kollege Waigel, daß Sie das schon unter Kontrolle bekommen.
Herr Präsident, Ihr Vertrauen ehrt mich. Es besteht zu Recht.
Es ist falsch, zu behaupten, der Wegfall der Gewerbekapitalsteuer entlaste nur Großbetriebe. Die geplante Einschränkung der degressiven Abschreibung belastet auch keinesfalls hauptsächlich kleine und mittlere Betriebe. Wenn man den Handwerker um die Ecke fragt, wird er sagen können: Auch die kleinen und mittleren Unternehmen zahlen Gewerbesteuer. Gewerbekapitalsteuer fällt bereits ab einem Gewerbekapital von 120 000 DM an. Die Gewerbeertragsteuer belastet oberhalb des Freibetrags von 48 000 DM gerade die mittelständischen Betriebe. In vielen Fällen ergibt sich auch durch die Zurechnung von Dauerschulden schon bei einem Einheitswert des gewerblichen Betriebs von weniger als 100 000 DM die Gewerbekapitalsteuerpflicht. 57 % aller gewerblichen Betriebe haben einen Einheitswert von mehr als 100 000 DM. Übrigens: Investitionsentscheidungen von Großbetrieben kommen auch kleinen und mittleren Zulieferern zugute. Umgekehrt benachteiligt die Verlagerung von Großbetrieben in das Ausland auch kleine und mittlere Zulieferer.
Wir verbessern die Standortbedingungen für die Unternehmen auf breiter Front. Wenn Sie, Herr Scharping, mir vorwerfen, von der Gewerbesteuerreform würden vor allem die exportorientierten Unternehmen profitieren, kann ich nur sagen: Wie wollen Sie eigentlich den Wirtschaftsstandort Deutschland für die Unternehmen attraktiv halten?
Herr Kollege Waigel, darf ich Sie fragen: Sprechen Sie als Minister oder als Abgeordneter? Wenn Sie Abgeordneter sind, haben Sie Ihre Redezeit um eine Minute überschritten. Wenn Sie Minister sind, dürfen Sie natürlich unbegrenzt weitersprechen.
Ich spreche als Abgeordneter. Meine Fraktion wird sicher dafür sorgen, daß diese Minute niemandem abgezogen wird, jedenfalls nicht auf Ihrer Seite.
Es stellt sich die Frage: Sollen die Unternehmen lieber im Ausland produzieren, weil die Steuerbelastung durch die Gewerbesteuer in Deutschland zu hoch geworden ist?
Auch die Behauptung, insbesondere Banken und Versicherungen würden von dieser Reform profitieren, ist reine Stimmungsmache und völlig aus der Luft gegriffen.
Die heute zur Abstimmung stehende Grundgesetzänderung ist im Zusammenhang mit der Gewerbesteuerreform ein Signal für mehr Arbeitsplätze.
Der Verzicht auf die Gewerbesteuerreform wäre ein Rückschlag für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Meine Damen und Herren, zu Recht spricht der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Däke, von einer „Arbeitsplatzvernichtungsteuer". Die Gewerbekapitalsteuer müsse abgeschafft werden.
Wer heute die Grundgesetzänderung ablehnt, läßt eine historische Chance ungenutzt, die sich in dieser Legislaturperiode so schnell nicht mehr öffnet.
Wer ablehnt, handelt gegen die Interessen der Unternehmen, der Arbeitnehmer und der Gemeinden, er handelt gegen das Gemeinwohl.
Sollten Sie von der SPD gegen alle guten Argumente, gegen bessere Einsicht und gegen die Vernunft den Initiativgesetzentwurf von CDU/CSU und F.D.P. ablehnen, dann haben Sie später noch immer eine Chance, dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen. Verzögern Sie nicht! Handeln Sie jetzt! Stimmen Sie zu!
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion Rudolf Scharping.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Selten ist für eine so dünne und widersinnige Suppe so häufig der Ausdruck „historische Chance" bemüht worden.
Angesichts eines völlig zerfledderten Steuerkonzeptes können Sie, Herr Waigel, doch nicht ernsthaft erwarten, daß wir Ihnen einen Blankoscheck ausstellen; denn wir haben die Erfahrung gemacht, daß Sie noch nicht einmal mit beschlossenen Gesetzen sorgfältig umgehen, geschweige denn mit Blankoschecks.
Ich will zunächst ein paar kurze Bemerkungen zur Situation des Steuerstaates Bundesrepublik Deutschland machen. Wir haben zur Zeit eine Belastung der Einkommen und Löhne mit Steuern und Abgaben von 48 %, der höchsten Quote seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Der Anteil der Lohnsteuern hat sich in den letzten 20 Jahren von rund 23 % auf 36 % des Steueraufkommens erhöht. Der Anteil der veranlagten Einkommensteuer und der Steuern auf Unternehmen ist von 22,8 % auf 13,1 % gesunken.
In den letzten zehn Jahren ist das Volumen der Steuereinnahmen in Deutschland um rund 89 % gestiegen. Dabei hat die Lohnsteuer überproportional zugenommen, nämlich um rund 100 %, die Umsatzsteuer um 104 %, die Mineralölsteuer um 140 %.
Die unternehmensnahen Steuern sind dagegen in ihrem Aufkommen gestiegen, um 36 % bei der Vermögensteuer, um 60 % bei der Gewerbesteuer. Die geringste Zunahme weisen die Aufkommen bei der Körperschaftsteuer und bei der veranlagten Einkommensteuer aus - es sind jeweils rund 17 %.
Mit diesen Zahlen ist eines überdeutlich gesagt: Sie verfolgen seit Jahren eine Finanzpolitik, die wirtschaftlich schädlich und gleichermaßen sozial ungerecht ist.
Sie beschädigen Kaufkraft, Sie belasten ständig die Einkommen - und dann wollen Sie uns mit einem so unausgegorenen und erneut wirtschaftlich unsinnigen Vorschlag etwas von einer „historischen Chance" erzählen.
Nur 16 % - nach Ihrer eigenen Begründung - aller Gewerbebetriebe zahlen Gewerbekapitalsteuer. Was Sie hier geflissentlich verschwiegen haben, ist die Auseinandersetzung wie beim Standortsicherungsgesetz. Sie wollen sich das ja nicht irgendwo holen, sondern bei denen, die investieren.
Dieses Land hat eine unverantwortlich hohe Arbeitslosigkeit. Dieses Land hat einen unverantwortlich hohen Mangel an Ausbildungsplätzen. Und deshalb ist und bleibt es auch unverantwortlich, jetzt ausgerechnet die investierenden Unternehmen dafür bezahlen zu lassen, daß ganz wenige steuerlich entlastet werden.
Sie bemänteln doch mit großen Worten Ihre eigene Unfähigkeit zu einem geschlossenen steuerpolitischen Konzept.
Riesige Worte und dann die Konzeption eines Jahressteuergesetzes, in dem zentrale Teile nicht enthalten sind!
Was haben Sie uns denn alles angekündigt: eine Reform der Wohnungsbauförderung, § 10e Einkommensteuergesetz - riesiger Streit in der Koalition. Ergebnis: Thema wird ausgeklammert.
Luftnummer! Eine schlichte Luftnummer!
Sie haben uns auch angekündigt, Sie wollten die Familien und die Kinder entlasten. Dann schreiben Sie den sozialdemokratischen Finanzministern, sie sollten Vorschläge machen, wie ein Gesetz aussehen könnte.
Ja, Herr Waigel, wenn Sie schon so stolz darauf sind, daß Sie mit knappster Mehrheit in der Regierung bestätigt worden sind, dann nehmen Sie doch gefälligst wenigstens Ihre Pflichten wahr
und legen Sie vollständige Gesetzentwürfe auf den Tisch!
Wenn Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen und kein geschlossenes Konzept vorlegen können, dann können Sie doch nicht erwarten, daß die Opposition bei einer Grundgesetzänderung mitmacht, von der der Deutsche Städtetag im übrigen ja auch sagt, das sei völlig unannehmbar.
Rudolf Scharping
Was Sie da machen, ist das Verkünden guter Absichten. Über die könnte man im Zweifel - das will ich ausdrücklich sagen - im Zuge einer Gemeindefinanzreform sogar noch reden,
die dann den Gemeinden, soweit es um sie geht, Sicherheiten für das schafft, was da im einzelnen geschehen wird, die dafür sorgt, daß alle Beteiligten Klarheit haben.
Herr Kollege Scharping, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Willner?
Aber bitte.
Herr Kollege Scharping, können Sie bestätigen, daß Ihnen ein Brief von Herrn Oberbürgermeister Rommel aus Stuttgart, einem anerkannten Spitzenmann des Deutschen Städtetages, vorliegt, in dem er Sie auffordert, der heutigen Grundgesetzänderung zuzustimmen, sich also kommunalfreundlich zu verhalten?
Das kann ich Ihnen genauso bestätigen, wie ich Ihnen bestätigen kann, daß die Meinung von Herrn Rommel mit der des Deutschen Städtetages nicht übereinstimmt.
Soweit man es von der Seite der Gemeinden aus betrachtet, erkläre ich Ihnen ausdrücklich: Wir sind bereit, im Zuge einer Gemeindefinanzreform über jeden Schritt zu reden, der den Gemeinden finanzielle Sicherheit beläßt und ihnen damit die Kraft gibt oder sie gar stärkt, Leistungen für die Bürger zu erbringen, auf die niemand verzichten kann.
Es ist ja nun völlig richtig, daß wir im Bereich der freiwilligen Leistungen und dergleichen unabdingbar auf die Finanzkraft der Gemeinden angewiesen sind. Nur, Herr Kollege Waigel, erklären Sie mir doch
in diesem Zusammenhang einmal, wieso Sie immer noch völlig verbohrt an der Vorstellung festhalten, Sie müßten die Arbeitslosenhilfe auf zwei Jahre begrenzen. Wenn Sie sich hier als Hüter der Gemeindefinanzen aufspielen, dann streichen Sie dieses unanständige Vorhaben endlich!
Herr Kollege Scharping, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser?
Im Augenblick nicht, weil ich gern noch einen Moment bei den Gemeinden bleiben möchte.
Es ist doch völlig absurd, wenn Sie hierherkommen und sagen „Wir wollen im Zweifel den Gemeinden zwei Milliarden DM mehr geben" und auf der anderen Seite ein Vorhaben verfolgen, von dem wir wissen, daß es die Gemeinden mehrere Milliarden kosten wird, ganz unabhängig von dem völlig verantwortungslosen Schaden, der bei den Menschen entsteht, die Sie zum Sozialamt schicken wollen, damit sie nach 30 oder 35 Jahren Erwerbstätigkeit zunächst die Prüfung über sich ergehen lassen, ob ihre Sparkonten aufgelöst werden können, ob ihre Kinder zum Unterhalt herangezogen werden können, ob die Rente oder Pension beziehenden Eltern zum Unterhalt herangezogen werden können. Es ist eine gemeindefeindliche und für die Menschen ganz und gar unvertretbare Politik, die Sie da verfolgen!
Betrachtet man Ihr Vorhaben von der wirtschaftlichen Seite, hört man Sie von „historischer Chance" und „Signal" reden. Ja, wenn Sie einmal in der Lage wären, ein durchgreifendes Konzept zur Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Tisch zu legen, dann könnten wir ja miteinander reden.
Wir können ja jederzeit gerne darüber reden, ob dieser Dschungel an Einzelvorschriften unter dem Gesichtspunkt von Bürokratie, Verwaltungskosten, Durchschaubarkeit und Durchsetzbarkeit des Steuerrechts noch auf Dauer haltbar ist. Sie haben doch mit der Flut von Einzelregelungen, die Sie zu verantworten haben, erst die Einfallstore dafür geschaffen, daß die Steuergewerkschaft, die Sie hier sonsz heranziehen, Ihnen ausdrücklich bescheinigt, daß jedes Jahr runde 100 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug verlorengehen.
Da, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie ein Feld, um etwas für die Steuergerechtigkeit in Deutschland und dafür, daß das Recht durchgesetzt wird, zu tun.
Rudolf Scharping
Dann, bei einem Lichten dieses Dschungels, könnten wir auch darüber reden, daß nominale Steuersätze gesenkt werden. Da werden Sie bei uns immer Gesprächsbereitschaft finden - nicht jedoch bei einem Vorhaben, das in einer Zeit fehlender Arbeitsplätze, in einer Zeit fehlender Ausbildungsplätze jetzt ausgerechnet den investierenden Mittelstand, ausgerechnet die investierende Wirtschaft einschließlich des Handwerkes dafür bezahlen lassen will, daß wenige große Unternehmen und alle Banken und Versicherungen von der Gewerbekapitalsteuer entlastet werden.
Was die wirtschaftliche Seite angeht, so kann doch nicht aus dem Blick geraten, daß mit Ihrer Finanzpolitik, mit Ihrem Marsch in die Verschuldung, mit diesem Dschungel in Ihrer Steuerpolitik nichts anderes bewirkt wird, als ein Signal an die Länder um uns herum zu geben. Ihren scheinbaren Stolz auf den hohen Außenwert der D-Mark werden wir uns Ende dieses Jahres noch einmal vor Augen führen,
mit Blick auf die Konjunkturerwartungen, die dann vorhanden sind. Ich sage Ihnen schon heute: Wenn Sie mit dieser Art von Finanzpolitik, die hohe Zinsen bei der Bundesbank und auf den Märkten erzwingt, so weitermachen, dann setzen Sie erneut ein Signal und bewirken, daß die Investitionstätigkeit in Deutschland behindert und zugleich die Exportwirtschaft in Deutschland geschädigt wird.
Ihre Finanzpolitik - nicht etwa die Gewerbekapitalsteuer - ist eine wesentliche Ursache
dafür, daß die deutsche Exportwirtschaft in Schwierigkeiten kommt.
Was Sie uns hier bieten, ist nichts anderes als „Management by Chaos".
Der Bundeskanzler - in privaten Gesprächen drückt er sich ja etwas deutlicher aus - sagt von diesem Pult gönnerhaft: „Na, Oppositionsführer im Deutschen Bundestag zu sein, das ist ein ziemlich schlimmer Job."
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wenn man Finanzminister in dieser Koalition ist, muß man einen unbändigen Humor haben, um das noch aushalten zu können, einen unbändigen Humor!
- Ich weiß, daß ich da recht habe - wie in allen anderen Punkten auch!
Und soweit Sie sich Gedanken um die ostdeutschen Betriebe machen, möchte ich Ihnen sagen:
Sie haben doch hier im Deutschen Bundestag gesagt, die Mehrwertsteuer müsse erhöht werden, weil die Europäische Union die Bandbreiten verändert hat. Vorher sind Sie allerdings in den Finanzministerrat gegangen und haben Ihren Kollegen erklärt: Verändert die Bandbreiten, damit ich ein Argument habe, das in Deutschland die Erhöhung der Mehrwertsteuer erzwingt.
Jetzt versuchen Sie dasselbe wieder, indem Sie sagen: Sie wissen doch genau, daß die Europäische Union am Ende nicht dulden wird, daß wir die Gewerbekapitalsteuer im Osten Deutschlands noch eine gewisse Zeit aussetzen.
Ja, verflixt noch mal, was wollen Sie eigentlich sein? Auf der einen Seite stellen Sie sich immer hin und sagen: Wir haben eine starke Position in der Europäischen Union. Auf der anderen Seite, wenn es Ihnen politisch in den Kram paßt, gerieren Sie sich als willenloser Knecht. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie keine Chance, auf die Europäische Union Einfluß zu nehmen, und hören Sie endlich auf, für Ihre Fehlentscheidungen die Europäische Union verantwortlich zu machen und auf der anderen Seite zu beklagen, daß die Leute mit Europa nichts am Hut hätten.
Also sage ich Ihnen: Wenn Sie mit uns darüber im Rahmen eines durchgreifenden Unternehmensteuerkonzepts reden wollen und wenn zu diesem Konzept gehören sollte, daß Sie für eine gewisse Zeit, vielleicht ein oder zwei Jahre, die Gewerbekapitalsteuer im Osten Deutschlands noch aussetzen wollen, dann werden Sie uns gesprächsbereit finden. Das ist überhaupt nicht der Punkt. Aber was Sie hier machen, ist nichts anderes als der Versuch einer Demonstration, weil Sie bestimmten Wirtschaftsverbänden versprochen haben, Sie würden jetzt dieses „bedeutende Signal" setzen. Man kann sich angesichts der Tatsache, daß Sie bei den Unternehmen über die Ver-
Rudolf Scharping
schlechterung der Abschreibungsbedingungen mehr Geld abholen wollen, als Sie ihnen mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer geben wollen, nur an den Kopf greifen.
Das könnte man auch Unternehmen für Unternehmen durchrechnen.
Warum beispielsweise soll ein großes Unternehmen wie Thyssen mit den verschlechterten Abschreibungsbedingungen und der abgeschafften Gewerbekapitalsteuer am Schluß möglicherweise 270 Millionen DM mehr Steuern zahlen, ein Unternehmen, das im internationalen Wettbewerb steht, ein Unternehmen, das Arbeitsplätze erhalten muß, ein Unternehmen, von dem wir erwarten, daß es Ausbildungsplätze erhalt? Es geht um Handwerk und Mittelstand, und es geht auch um die investierenden Großunternehmen in Deutschland.
Wenn Sie allerdings der Meinung sind, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch gestärkt wird, daß man seine Investitionen reduziert, daß man die Belastung auf Investitionen durch Steuern erhöht, dann sage ich Ihnen: Das ist in vielerlei Hinsicht ein ganz offenkundig mißratenes, wirtschaftspolitisch unsinniges Konzept. Sie werden uns dazu nie bereit finden. Das will ich Ihnen für alle Zukunft und nicht nur für den heutigen Tag sagen. Wir werden nichts mehr mitmachen, was die Investitionstätigkeit der Unternehmen belastet.
Wir werden nichts mehr mitmachen, was die Arbeitskosten hochtreibt. Wir werden nichts mehr mitmachen, was Sie an Politik nach dem Motto „Ein Häppchen hier, ein Häppchen da" verfolgen,
urn damit Ihre konzeptionelle und politische Unfähigkeit und die tiefe Zerstrittenheit innerhalb dieser Koalition zu bemänteln.
Wir sind nicht dazu da, Ihnen einen Blankoscheck auszustellen. Sie haben die Pflicht, ein Konzept vorzulegen. Das haben Sie bisher nicht getan. Solange Sie das nicht tun, werden Sie von uns niemals einen Blankoscheck bekommen.
Das Wort hat der Vorsitzende der F.D.P.-Fraktion, Dr. Sohns.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Scharping, nach dieser Rede bin ich nun wirklich enttäuscht.
Ich hatte erwartet, daß Sie als jahrelanger Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz, der ja auch für die Gemeindefinanzen verantwortlich war, eine gewisse Ahnung von den Gemeindefinanzen haben.
Das, was Sie hier geboten haben, zeigt, daß Sie die ganzen steuerlichen Wirkungen überhaupt nicht verstehen oder bewußt falsch darstellen. Das ist dann schon ein Skandal.
Zunächst einmal: Aus dem sinkenden Körperschaftsteueraufkommen auf eine zu niedrige Besteuerung der Gewerbebetriebe zu schließen ist ja wirklich eine Umdrehung der Tatsachen.
- Sie haben das sinkende Körperschaftsteueraufkommen dargelegt und gesagt, das müsse ja wohl in diesem Zusammenhang stehen.
Sie wissen anscheinend gar nicht, wie hoch die Gewerbebetriebe in Deutschland, insbesondere die Betriebe des produzierenden Gewerbes, besteuert werden. Durch die Kumulierung von Körperschaftsteuer mit Gewerbeertragsteuer, Gewerbekapitalsteuer, Solidaritätszuschlag, betrieblicher Vermögensteuer und anderen Abgaben ergibt sich locker eine Besteuerungshöhe von 70 %. Wenn bei dieser hohen Besteuerung das Steueraufkommen sinkt, dann zeigt das zwingend, daß die Betriebe nicht mehr genug Gewinne erzielt haben. Wenn sie keine Gewinne erzielt haben, können sie nicht investieren, und wenn die Investitionen zu hoch besteuert werden, dann gehen Arbeitsplätze verloren. Das ist der Zusammenhang.
Die Schlußfolgerung müßte sein, daß Sie uns bei dem Bemühen unterstützen, die Besteuerung der Investitionen zu senken, denn nur so können Arbeitsplätze geschaffen werden, nur durch Investitionen, nicht durch staatliche Aktivitäten.
Sie haben im „Handelsblatt" vom 10. Mai 1995 zur Gewerbesteuer ausgeführt - ich will das zitieren -:
Technisch wäre die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern möglich.
Zudem zahlten Betriebe, denen es schlechtgehe, diese Steuer nicht.
Dazu ist zweierlei zu sagen. Die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern verlangt eine Einheitsbewertung, und zwar für jedes
Dr. Hermann Otto Solms
einzelne Grundstück. Kein Mensch in diesem Lande, auch keiner in der Finanzverwaltung, ist der Meinung, daß dies in einem halben Jahr oder in einem Jahr machbar wäre.
Der einzige, der das behauptet hat, ist Herr Schleußer. Er hat dies getan, um zu verhindern, daß es im Bundesrat eine Zustimmung für eine solche Gesetzesänderung gibt.
Das zweite ist noch dreister, nämlich daß Betriebe, denen es schlechtgehe, keine Gewerbekapitalsteuer zahlen müßten.
Herr Scharping, entweder wissen Sie es nicht,
oder Sie führen die Öffentlichkeit bewußt in die Irre.
Das nennt man die Unwahrheit verbreiten.
Es ist ja gerade der Charakter der Gewerbekapitalsteuer, daß sie nicht an den Gewinnen, sondern am Kapital anknüpft.
- Warum sagt er es dann nicht? Frau Matthäus, Sie wissen das; das weiß ich.
Noch wichtiger ist folgendes - das sage ich den Kollegen aus den neuen Bundesländern, die sich mit der Gewerbekapitalsteuer vielleicht noch nicht befaßt haben -: Die Gewerbekapitalsteuer muß nicht nur auf das Eigenkapital, sondern auch auf das Fremdkapital gezahlt werden.
Gerade in den neuen Bundesländern sind viele Betriebe durch die Zurverfügungstellung auch von staatlich finanziertem Fremdkapital erhalten worden. Sie sind also extrem fremdkapitalisiert. Diese Betriebe würden durch die Gewerbekapitalsteuer natürlich überproportional betroffen. Sie würden durch die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in ihrer Existenz gefährdet.
Ich kann nur an die Kollegen aus den neuen Bundesländern, und zwar in allen Fraktionen, appellieren: Lassen Sie sich nicht von Herrn Scharping und anderen aus der SPD hinters Licht führen;
die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern würde die Einführung einer Gewerbevertreibungssteuer bedeuten. Genau das würde nämlich passieren.
Investoren, die gegenwärtig überlegen, in den neuen Bundesländern zu investieren, werden von diesem Vorhaben sehr schnell ablassen,
wenn sie hören, daß die Begünstigungen, die ihnen noch befristet zur Verfügung stehen, reduziert werden und daß eine zusätzliche Steuer eingeführt wird, mit der sie natürlich nicht gerechnet hatten.
Meine Damen und Herren, das sind die Fakten. Im übrigen hören wir seit Jahrzehnten die Forderungen aus den Kommunen nach einer Beteiligung an der Umsatzsteuer. Warum? - Weil die Umsatzsteuer eine stabile, eine gleichmäßig fließende, eine wachsende Steuer ist. Das Umsatzsteueraufkommen ist in den letzten zehn Jahren um 100 % gestiegen. Die Gewerbesteuer ist in den letzten Jahren im Aufkommen allerdings gesunken. Die Gewerbesteuer ist zyklisch; die Gemeindekämmerer können mit ihr nicht planen. In einem Jahr bekommen sie etwas, im nächsten Jahr nichts oder müssen sogar zurückzahlen.
Deswegen wollen sie an der Umsatzsteuer beteiligt werden. Jetzt wollen wir ihnen dazu die Chance eröffnen. Viele von Ihren Stadtkämmerern haben das immer unterstützt. Weil es Ihnen aber ins parteitaktische Konzept nicht paßt, lehnen Sie das Ganze nun ab.
Meine Damen und Herren, dahinter ist langfristig kein Sinn zu erkennen, höchstens der, daß die SPD über eine Blockadepolitik versucht, sich an die Macht zu schleichen.
Aber so wird es nicht gehen. Das werden wir nicht zulassen. Die Verfassungsänderung zur Einführung der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer ist ein Verfassungsgebot für die Gemeindefinanzen. Wer dies nicht mitmacht, der versündigt sich an den Gemeindefinanzen und an einer stabilen Gemeindefinanzierung in der Zukunft.
Weil Sie sich etwas unsicher sind, ob Sie nicht vielleicht doch zustimmen sollten, kommen Sie mit Hilfsargumenten, die da beispielsweise heißen, dahinter müsse aber auch ein Konzept stehen, das beinhaltet,
Dr. Hermann Otto Solms
was konkret getan werden muß. Diese Ausrede gilt nicht. Die Verfassungsänderung ist allein eine Ermächtigung für den Gesetzgeber, eine Finanzverfassung im konkreten, im materiellen Recht zu regeln.
- Frau Fuchs, bei allen einzelnen materiellrechtlichen Regelungen ist der Bundesrat zustimmungsberechtigt.
Das heißt, daß Sie sowieso daran beteiligt sind,
- sicher, Ihre Fraktion nicht, aber die Bundesländer. Das würde Sie nicht daran hindern, jetzt dieser Ermächtigung zuzustimmen,
weil Ihnen der Weg nicht genommen wäre, an der konkreten Gesetzgebung mitzuwirken.
- Wir haben ja vorgeschlagen, was wir wollen.
Wir wollen die Gewerbekapitalsteuer abschaffen. Wir wollen die Gewerbeertragsteuer mittelstandsfreundlich senken. Wir wollen dies für die Gemeinden vernünftig, sogar mit einem Mehraufkommen von 2 Milliarden DM, wie Herr Waigel dargestellt hat, gegenfinanzieren. Wir wollen auch insgesamt eine Gegenfinanzierung durch eine geringfügige Senkung der AfA für bewegliche Wirtschaftsgüter haben. Auch das ist nicht mittelstandsfeindlich.
Die Vertreter des Handwerks haben in der Anhörung des Finanzausschusses eindeutig erklärt, daß sie diese Linie unterstützen.
Warum? Weil das Handwerk im Prinzip nicht kapitalintensiv ist und von der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer daher nicht so sehr betroffen ist, aber durch die Senkung der Gewerbeertragsteuer deutlich entlastet wird.
Herr Scharping, Ihre Aussage hinsichtlich der 16% führt an der Wahrheit vorbei.
Allein in Westdeutschland zahlen 350 000 Betriebe Gewerbekapitalsteuer. Sie können mir doch nicht erzählen, daß wir in Westdeutschland 350 000 Großunternehmen haben. Nein, es sind viele Handwerksbetriebe, viele kleine und mittlere Unternehmen dabei, die unter dieser Steuer leiden und die gerne hätten, daß wir sie beseitigen. Denn nur so kann der Investitionsprozeß in Gang kommen.
Wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen,
dann sehen Sie, daß in den letzten drei Jahren die Zahl der Arbeitsplätze netto um 233 000 gesunken ist,
das Handwerk und das Dienstleistungsgewerbe allerdings knapp 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben. Sie sehen daraus, daß neue Arbeitsplätze nur von kleinen und mittleren Betrieben, vom Handwerk und vom Dienstleistungsbereich geschaffen werden können, weil die Großindustrie weiter Arbeitsplätze abbaut. Sie müssen die Investitionsbedingungen für diese Betriebe also erleichtern, weil nur so neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Herr Kollege Dr. Sohns, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön.
Herr Kollege Poß, bitte.
Kollege Sohns, könnten Sie dem Hohen Haus denn sagen, wie viele Arbeitsplätze in diesem Zeitraum in Baden-Württemberg verschwunden sind, da Sie die Zahl aus NordrheinWestfalen zitieren?
Die kann ich Ihnen nicht nennen, weil ich die Zahlen nicht aus allen Bundesländern auswendig weiß.
Aber diese Zahl steht heute in der Presse - deswegen trage ich sie Ihnen noch einmal vor -, und sie hat aktuelle Bedeutung.
Im übrigen, Herr Poß, betrachten Sie im Zusammenhang mit der Steuerpolitik der SPD doch nur die Stadt Bonn, in der wir uns befinden: Kaum ist eine rot-grüne Regierung an die Macht gekommen, werden die Hebesätze angehoben.
Dr. Hermann Otto Solms
In Bonn werden die Hebesätze für die Gewerbesteuer und für die Grundsteuer angehoben.
In einer betonten Dienstleistungs- und keiner Industriestadt werden die Hebesätze bei der Gewerbesteuer auf 450 % angehoben. Das ist nach Frankfurt der zweithöchste Satz in der Bundesrepublik Deutschland.
Das ist für eine solche Stadt einfach ein Skandal,
und das wird natürlich auch hier die Arbeitsplätze stärker belasten, als das akzeptabel wäre.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Ja, bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Solms, können Sie denn bestätigen, daß Sie in einem Brief an Freiberufler in Nordrhein-Westfalen die Steuerpläne der SPD falsch, irreführend dargestellt haben,
indem Sie z. B. die Vermögensabgabe und andere Dinge, die die SPD nie beschlossen hat, in diesem Schreiben der SPD in die Schuhe geschoben haben, um so durch Wählertäuschung am kommenden Sonntag noch über die Hürde zu kommen?
Herr Poß, ich will Ihnen gerne bestätigen, daß ich neben anderen an die Freiberufler einen Brief geschrieben habe, in dem ich steuerpolitische Forderungen der SPD richtig dargelegt habe.
Im Zusammenhang mit der Vermögensabgabe darf ich Sie an die Äußerungen des Ministerpräsidenten aus dem Saarland - der hier anwesend ist -
erinnern, der im Bundestagswahlkampf auf eine Vermögensabgabe abgestellt hat. Alles ist zitterfähig.
Sie müssen sich schon darum kümmern, welche steuerpolitischen Forderungen in den unterschiedlichsten Kreisen Ihrer Partei und Ihrer Länder erhoben werden.
Bei der SPD ist leider das Steuerchaos ausgebrochen. Da weiß die linke Hand nicht mehr, was die rechte macht.
Deswegen können Sie sich nur noch in der Ablehnung von steuerpolitischen Forderungen anderer, von wem auch immer die kommen, einigen, weil die Verneinung gegenwärtig die einzige Basis der Einigung in der SPD ist.
Herr Kollege Dr. Solms, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen von Larcher?
Bitte schön. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Sohns, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß in meinem Wahlkreis Hebesätze und Gebühren von Gemeinden angehoben werden, unabhängig davon, wie die Mehrheiten sind, daß also Ihre Argumentation mit der Stadt Bonn an der Sache völlig vorbeigeht?
Ich halte diese Aussage für glaubwürdig. Das heißt aber nicht, daß man in einer Stadt wie Bonn, einer Dienstleistungsstadt, für Gewerbebetriebe den zweithöchsten Hebesatz einführen muß, den es in der Bundesrepublik gibt. Dafür gibt es keine Begründung außer der,
daß man planlos und undiszipliniert weiter das Geld der Bürger ausgeben will, daß man nicht kräftig genug und bereit genug ist, eine Sparpolitik zu machen, die notwendig ist, um die Haushalte in Ordnung zu bringen.
Dr. Hermann Otto Solms
Aber ich sage Ihnen: Dieser Weg, immer weiter neue Ausgaben, neue Wahlgeschenke zu beschließen und diese durch Schulden zu finanzieren, führt in die Irre. Denn das heißt, heute auf Kredit in Saus und Braus zu leben und dann unseren nachfolgenden Generationen, unseren Kindern, die Verantwortung zu überlassen,
die Rückzahlung der Schulden zu finanzieren und die Suppe auszulöffeln.
Wir betreiben eine disziplinierte Finanzpolitik.
Wir wollen sparen, Aufgaben privatisieren, Steuern und Schulden senken. Das ist die einzig glaubwürdige Politik in dieser Situation. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann sollten Sie hier nicht die Öffentlichkeit mit falschen Behauptungen und Verdrehungen vorführen und hinters Licht führen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Kollege Oswald Metzger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst ist zu konstatieren, daß diese Debatte heute auf Antrag der rechten Seite dieses Hauses zustande kommt - von wegen Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen! Das Konzept, hier die Opposition vorzuführen, ist gescheitert, Herr Waigel. Man muß schon einmal die direkten Verantwortlichkeiten nennen. Ein Minister, der in den letzten Wochen als Finanzminister dieser Republik die größte Pleite erlebt hat, weil er nicht nur von der Opposition zerrissen wurde, sondern auch von der Fachpresse
und in den Redebeiträgen der Teilnehmer an der Anhörung des Finanzausschusses, hat nicht das Recht, sich hier hinzustellen und Krokodilstränen über die Opposition zu vergießen, die den Gemeinden angeblich einen reellen Ausgleich für die Einnahmeverluste aus der Gewerbekapitalsteuer vorenthält.
Nach meiner Auffassung ist das eine absolut unzulässige Verquickung von zweierlei Dingen. Zum einen sind Sie gegenüber den Unternehmen in Deutschland im Obligo, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Sie wissen, daß selbst die Deutsche Bundesbank in ihrer Erklärung zur Anhörung im Finanzausschuß Ihnen ins Stammbuch geschrieben hat, daß die Unternehmensteuerreform mit ihrer Gegenfinanzierung zu einer Mehrbelastung der Betriebe führt und damit in ihrem Sinn überhaupt nicht ideologisch gerechtfertigt ist. Das ist die erste große Schwachstelle bei der ganzen Geschichte.
Die zweite Schwachstelle ist natürlich, daß Sie einen Sachzusammenhang herstellen, indem Sie die Grundgesetzänderung favorisieren und ohne Not einen Vorratsbeschluß fassen, den die Gemeinden nie und nimmer mittragen können, weil die Gemeinden keine Gewißheit haben, sie vielmehr vor allem aus Erfahrung wissen, daß auf diese Bundesregierung und im Zweifelsfall sogar auf den gesamten Bundestag kein Verlaß ist, wenn es um eine korrekte Finanzausstattung der Kommunen geht.
Ein Finanzminister, der gestern im Vermittlungsausschuß noch einmal ganz deutlich in Erinnerung gerufen hat, daß er an seiner Absicht festhält, die Arbeitslosenhilfe zeitlich zu befristen, und damit eine Milliarde DM, wie es im Bundeshaushalt dieses Jahres verankert ist und von der Mehrheit hier beschlossen worden ist, den Gemeinden aufbürdet - das macht, auf das Jahr gerechnet, vier Milliarden DM -, hat nicht das Recht, zu sagen, die Gemeinden würden, wenn das Gesetzesvorhaben der Regierung greift, in den nächsten vier Jahren, also bis 1999 - zu diesem Zeitraum liegen endgültige Statistiken vor -, insgesamt zwei Milliarden DM Mehreinnahmen haben. Das ist doch ein Beschiß der Öffentlichkeit.
Heute steht im „Handelsblatt", daß dieser Finanzminister mit der ärgerlichsten Flickschusterei in die Steuergeschichte eingehen wird, mit dem, was in den letzten Wochen und Monaten hier vorexerziert wurde.
Vor dem Hintergrund, daß diese Pleite derart offenkundig wird, muß heute Ihr Fraktionsvorsitzender in die Bütt, um der aufkommenden Unzufriedenheit in der CSU entgegenzuwirken, die da sagt: Die Unionsfraktion läßt ja unseren Finanzminister im Regen stehen. - In der Tat, so ist es. Sie haben den Kopf hinzuhalten; allerdings haben Sie es in Ihrem Haus selbst verschuldet. Ich denke, bestimmte Leute haben Sie ins offene Messer laufen lassen.
Herr Kollege Metzger, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte.
Bitte sehr.
Herr Kollege Metzger, können Sie bestätigen, daß in demselben Artikel des „Handelsblattes", aus dem Sie gerade zitiert haben, die Koalition und die Opposition aufgefordert werden, diesem Grundgesetzänderungsantrag zuzustimmen?
Ich kann dies bestätigen. Ich kann Ihnen ebenfalls sagen, daß im „Handelsblatt" darüber hinaus steht, daß die Unternehmen auch die Verschlechterung bei der Abschreibung akzeptieren sollten, weil der strategische Ausstieg aus der Gewerbekapitalsteuer im Sinne der Betriebe ist. Das weiß ich. Aber ich sage auch, trotz Wahlkampfdiskussion in diesem Rahmen, weil ich insofern auch reell sein will: Ober die Unternehmensteuerreform können Sie mit uns als Opposition diskutieren, wenn Sie die unzulässige Verkoppelung mit der Gemeindefinanzreform beerdigen, eine saubere Gesetzesvorlage schaffen, gemeindescharfe Modellrechnungen vorlegen, eine Expertenrunde unter Beteiligung der Kommunen zusammentreten lassen und dann, vielleicht zum 1. Januar 1997, eine entsprechende Reform machen. Die unzulässige Verquickung schadet der Sache, und vor allem werden die Kommunen in die Situation gebracht, daß sie sich künftig bei den Beiträgen und Gebühren von den Bürgerinnen und Bürgern noch mehr holen müssen, weil die Regierungskoalition mit der Kostenverlagerung auf die kommunale Seite einfach eine Fortsetzung der Politik der Vergangenheit betreibt.
Herr Kollege Metzger, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Kollege Metzger, ist Ihnen bekannt, daß auch der Deutsche Städtetag mit dem SPD-Oberbürgermeister Burger an seiner Spitze für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer in Verbindung mit einer Beteiligung an der Umsatzsteuer ist?
Das ist nicht richtig. Ich habe in der Tickermeldung gelesen, was Herr Burger gestern für den Städtetag gesagt hat. Er fordert uns auf, dieser Grundgesetzänderung nicht zuzustimmen,
weil die Gemeinden nicht daran glauben, daß die gemeindescharfen Ausgleiche tatsächlich geleistet werden. Ich war in der Anhörung des Finanzausschusses. Der Kollege Wimmer hat dort für den Städtetag auf Ihre Stichwortfrage - ich glaube, es war der Kollege Uldall oder der Kollege Hauser, der gefragt hat, - gesagt, der Grundgesetzänderung stimme er zu, aber nur im Zusammenhang mit einer Gemeindefinanzreform, die durchdacht und durchkalkuliert ist.
Ich darf fortfahren. Die Materie ist deshalb so problematisch, weil im Prinzip heute in der Debatte die Finanzpolitik der Regierung zur Disposition steht und Sie aus der Not eine Tugend machen: Sie wollen die Opposition als Blockierer vorführen und sich als Kommunalpartei aufführen. Aber dieses Recht hat die Mehrheit dieses Hauses nicht.
Ich denke an die Haushaltsberatungen in der letzten Märzwoche zurück. Sie haben damals einen Investitionskostenzuschuß für die Kommunen abgelehnt, der darauf abzielte, den Kommunen bei dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuungseinrichtungen Unterstützung zu geben.
Da waren doch bei Ihnen die Gegenstimmen und nicht bei der Opposition. Ab dem nächsten Jahr werden dadurch Milliardenbeträge für die kommunale Seite verursacht. Von daher ist es einfach verlogen, sich als Regierungskoalition hier hinzustellen und so zu tun, als ob Sie plötzlich die Kommunalfreundlichkeit entdeckt hätten.
Ein Wort zum Vorredner, dem Kollegen Solms. Er kommt erst später dran. Aber die F.D.P. ist auch mit ihren Eckpunkten zur Steuerreform zu spät gekommen. Ich habe gestern gedacht, ich lese nicht recht. Als Regierungskoalitionspartner setzen Sie sich kurz vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl noch einmal in Szene und tun so, als ob Sie mit diesem Jahressteuergesetz überhaupt nichts zu tun hätten, das Sie doch gemeinsam in der Regierungskoalition hier eingebracht haben.
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben oder der Wähler bzw. die Wählerin.
Noch ein Wort zum Thema Einführung der Gewerbekapitalsteuer im Osten. Der Kollege Scharping hat in seiner Rede darauf hingewiesen, daß der Finanzminister vielleicht mehr Verhandlungsdruck darauf richten sollte, bei der EU eine Verlängerung dieser Freistellung im Osten zu versuchen, als sich hier hinzustellen und einen Entscheidungsdruck auf den Bundestag für eine Grundgesetzänderung zu provozieren, die überhaupt nicht gerechtfertigt ist.
Oswald Metzger
Sie sagen hier, das führe zu einem bürokratischen Aufwand im Osten. Sie erwecken den Eindruck, man müßte drüben die Gewerbekapitalsteuer einführen, was aber nicht zwingend ist; denn man kann sie aussetzen.
Im Westen brauchen wir eine Fülle von statistischen Erhebungen - die nicht da sind -, um überhaupt den gemeindescharfen Ausgleich für die Kommunen zu erreichen. Das wissen Sie doch ganz genau. Der statistische Aufwand ist auf jeden Fall da. Sie spielen mit gezinkten Karten, wenn Sie hier der Opposition vorwerfen, wir würden den bürokratischen Aufwand erhöhen, indem wir im Osten die Einführung der Gewerbekapitalsteuer hinnehmen, die nicht zwingend ist.
- Jawohl, Kollege Schäuble. Ich habe einen trokkenen Mund, das gebe ich zu. Mit Einwilligung des Finanzministers trinke ich ein Glas.
Ich denke, die heutige Debatte ist so unnötig wie ein Kropf.
Der Zusammenhang mit der am Sonntag stattfindenden Wahl in Nordrhein-Westfalen und Bremen ist offensichtlich. Die Ergiebigkeit von der Substanz her ist nicht sonderlich hoch, was Sie feststellen können, wenn Sie die Redebeiträge nachlesen.
Bei Waigel und Solms war das der Fall. Ich denke, die substantiellste Rede bis dato hat der Kollege Scharping gehalten.
Vor dem Hintergrund kann ich nur sagen: Dieser Grundgesetzänderung wird unsere Fraktion nicht zustimmen, weil das heute nicht nötig ist. Wir reden dann über eine Änderung des Grundgesetzes hinsichtlich der Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer, wenn die statistischen Voraussetzungen gegeben sind und gemeindescharfe Rechnungen vorliegen. Erst dann nämlich wissen die Kommunen, daß sie nicht wie in der Vergangenheit von der gleichen Koalition beschissen werden, die die Austrocknung der Gewerbesteuer in den letzten 13 Jahren systematisch provoziert hat und dies heute als Argument benutzt, um zu sagen: Die Gewerbesteuer ist im Gegensatz zur Umsatzsteuer keine Wachstumssteuer.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Bundesminister Waigel, haben in Ihrem Vortrag erklärt, daß es der Opposition um Wahlkampf ginge. Nun muß ich Sie einmal ernsthaft fragen, weshalb Sie eigentlich darauf bestanden haben, diese Grundgesetzänderung auf die heutige Tagesordnung zu setzen, obwohl das Jahressteuergesetz, über das Sie die ganze Zeit diskutieren, wenn Sie von der Streichung der Gewerbekapitalsteuer und der Senkung der Gewerbeertragsteuer sprechen, erst im Juni auf der Tagesordnung steht. So kann man keine Politik machen.
Sie ziehen einen einzelnen Punkt künstlich vor, um ihn rechtzeitig vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Bremen auf der Tagesordnung zu haben, und verschieben die Beratung aller anderen Regelungen. Sie können doch nicht im Ernst erwarten, daß wir dieses alberne Spiel mitmachen. Das ist, glaube ich, ein bißchen viel verlangt.
Es gibt keinen anderen Grund für die Eile in diesem Punkt; das hätten Sie ehrlicherweise sagen sollen.
Natürlich ist das Ganze höchst problematisch. Man muß über Unternehmensteuerkorrekturen ebenso reden wie über eine neue Gemeindefinanzordnung. Das geht aber nicht durch einen solchen Einzelschritt, wie er hier geplant ist, da man nicht weiß, was folgen wird. Man muß sich schon an ein paar Daten halten.
Sie, Herr Sohns, haben darüber gesprochen, daß die Gewerbekapitalsteuer eine Belastung darstellt. Es ist aber nun einmal eine Tatsache, daß nicht mehr als 16 % der Unternehmen sowie Banken und Versicherungen die Gewerbekapitalsteuer zahlen.
Das heißt: Wenn Sie diese abschaffen, entlasten Sie 16 % der Unternehmen, nicht mehr. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Großunternehmen. Was hindert Sie als Regierungskoalition daran, die Freibeträge bei der Gewerbekapitalsteuer so zu gestalten, daß die kleineren Unternehmen steuerbefreit sind und die Gewerbekapitalsteuer nur noch von den Großunternehmen gezahlt wird?
Was die Gewerbeertragsteuer anbetrifft: Bisher zahlen diese Steuer 30 % der Unternehmen, also wesentlich weniger als die Hälfte. Es ist doch völlig klar:
Dr. Gregor Gysi
Da wollen Sie nur eine Senkung. Räumen Sie aber doch einmal ein, daß das der Beginn des Ausstiegs ist. Sie wollen die Gewerbesteuer generell abschaffen, nichts anderes.
Ich sage Ihnen: Bei der Kompensation handelt es sich um einen üblen Trick.
- Lassen Sie mich aussprechen, oder stellen Sie eine richtige Frage.
Passen Sie auf, Herr Sohns, Sie machen folgendes: Sie sagen, daß Sie das Geld, das Ihnen durch die Entlastung verlorengeht, auf irgendeine Weise zurückholen müssen, weil Sie es brauchen. Deshalb wollen Sie die Abschreibungssätze von 30 % auf 25 % senken. Damit erwecken Sie den Eindruck - Sie, Herr Scharping, wenden sich in aller Schärfe dagegen -, daß die Unternehmen so wieder belastet würden, während sie doch durch die Steuersenkung entlastet werden sollen.
Man muß aber auf zwei Dinge hinweisen: Erstens. Wenn diese Abschreibungssätze gesenkt werden, zahlen das alle Unternehmen, also auch jene, die gar keinen Vorteil davon haben, wenn die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft und die Gewerbeertragsteuer gesenkt wird. Das heißt: Sie versuchen, Großunternehmen zu Lasten der schwächeren Unternehmen zu begünstigen.
Zweitens - das ist ein Ansatz, der bisher noch nicht genannt worden ist, auch von Ihnen nicht, Herr Scharping: Das Ganze ist nur vorübergehend. Sie wissen genau, was danach passiert. Die Abschreibungssätze werden gesenkt, alle Unternehmen schreien irgendwann auf und sagen: Das ist nicht auszuhalten! Der Standort Deutschland kann auf diese Art und Weise nicht erhalten werden! Wir sind durch viel zu niedrige Abschreibungssätze, die uns aufgedrückt worden sind, enorm belastet. - Was wird die Regierungskoalition dann tun? Sie wird sagen: Das ist wahr. Wir müssen die Abschreibungssätze wieder erhöhen. - Im Ergebnis wird sie die Mehrwertsteuer erhöhen. Das heißt: Der Ausgleich wird letztlich durch die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen in dieser Gesellschaft bezahlt werden, durch keinen anderen.
Daß das kein Hirngespinst ist, kann ich Ihnen bestätigen. Ich habe hier eine Meldung von ddp/ADN - der CDU-Wirtschaftsrat hat ja getagt -; da heißt es ganz eindeutig, daß man verlangt, daß die Senkung der Abschreibungssätze nur für das Jahr 1996 gelten darf und danach die Mehrwertsteuer erhöht werden muß. Als Argument wird herangezogen, daß sie in der Europäischen Union im Durchschnitt bei 19,1 %
liegt und bei uns noch niedriger ist. Das heißt, der Weg ist klar: Vorübergehend werden die Abschreibungssätze für ein Jahr gesenkt, damit müssen die Unternehmen scheinbar das bezahlen, was sie als Entlastung bekommen. Nach einem Jahr aber werden die Unternehmen weiter entlastet und die Bürgerinnen und Bürger zur Kasse gebeten. Das ist der Plan der Koalition. Machen Sie es doch wenigstens gleich, und führen Sie bei Ihrer Steuerreform kein Schummeljahr ein.
Sie nehmen alle ostdeutschen Abgeordneten in Geiselhaft und sagen: Ihr belastet die ostdeutschen Unternehmen auf furchtbare Art und Weise, wenn ihr der Grundgesetzänderung nicht zustimmt,
weil wir dann ab 1. Januar 1996 die Gewerbekapitalsteuer auch in den neuen Bundesländern einführen müssen. Das wird dort wirtschaftliche Strukturen zerstören.
Diese Art von Nötigung mißfällt mir in höchstem Maße. Sie wissen auch, daß es eine Täuschung ist. Wir haben eine Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern, und das ist korrekt. Es ist überhaupt kein Problem, bis zur Klärung aller Fragen, die anstehen, für weitere zwei Jahre die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern auszusetzen, was die Opposition auch fordert. Die Genehmigung der Kommission der Europäischen Union werden Sie dafür auch bekommen, weil sich die Situation in den neuen Bundesländern ganz erheblich von der Situation in der übrigen Europäischen Union unterscheidet.
Ich weiß noch, wie das war, als die Kommission ganz erhebliche Bedenken gegen den Kalifusionsvertrag, die Schließung von Bischofferode und anderes hatte. Da ist Ihr Bundeswirtschaftsminister mindestens zweimal, wenn nicht sogar dreimal bei der Kommission gewesen, um die Genehmigung der Fusion und die Schließung in Bischofferode durchzusetzen. Da haben Sie weder Kosten noch Mühe gescheut.
Nun strengen Sie sich, Herr Waigel, einmal an. Fahren Sie nach Brüssel und sorgen Sie dafür, daß die Kommission zustimmt, die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern um zwei Jahre zu verlängern. Ändern Sie hier nicht das Grundgesetz.
Wenn Sie in dieser Richtung wirklich etwas tun wollten, dann gäbe es doch ganz andere Möglichkeiten. Zunächst ist es doch gar nicht wahr, daß die Gewinne immer höher besteuert werden. Es ist auch nicht wahr, daß wir weniger Gewinne haben. Die Gewinne steigen seit 15 Jahren, sie werden nur nicht in die Wirtschaft investiert, sondern zu den Banken getragen, weil wir in diesem Lande nur noch spekulieren und nicht mehr wirtschaften.
Dr. Gregor Gysi
Das liegt daran, daß Sie nicht Spekulationen, sondern Wirtschaftstätigkeiten besteuern. Da müßten Sie mit Ihrer Reform ansetzen.
Ich komme nun auf die Kommunen zu sprechen. Wir haben einen grundgesetzwidrigen Zustand. Im Grundgesetz ist die kommunale Selbstverwaltung verankert. Ich frage Sie: Welche Kommune kann sich heute noch selbst verwalten? Sie haben doch über Jahre hinweg immer wieder - man muß sagen, in Gemeinschaftsarbeit zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag - zu Lasten der Kommunen entschieden.
Dadurch ist eine Situation entstanden, in der sich die Kommunen nicht mehr selbst verwalten können - das ist eine Tatsache -, weil sie nicht mehr über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. Das ließe sich andern, gegebenenfalls auch über eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Aber dafür muß eine Gesamtfinanzreform her.
Wir haben gestern den Antrag eingebracht, eine Enquete-Kommission für eine Gemeindefinanzreform einzusetzen. Er ist in erster Lesung behandelt. Sie haben die Gelegenheit, diese Enquete-Kommission einzusetzen. Dann werden wir auch sehr schnell zu Ergebnissen kommen.
Ich sage Ihnen, was Sie alles ändern können: Ihr elend bürokratisches Herumwirtschaften mit verschiedenen Fördertöpfen, das zugleich die Kommunen demütigt. Geben Sie den Kommunen Pauschalbeträge, damit sie selber entscheiden können, wie sie das Geld verwenden wollen.
Andernfalls kommen völlig irre Sachen dabei heraus.
Der Bund bezahlt z. B. Brücken. Jetzt erlebe ich im Osten, daß jeder Ort eine Brücke beantragt, weil der Bund diese bezahlt, dabei fließt durch diese Orte noch nicht einmal ein Fluß.
Aber das, was sie wirklich brauchen würden, nämlich Kulturhäuser und Jugendclubs, wird nicht gebaut, weil dafür keine Fördermittel zur Verfügung stehen. Nehmen Sie doch einmal die Kommunen ernst.
Geben Sie ihnen das Geld und lassen Sie sie nicht nur Anträge stellen, dann werden sie das auch richtig verwalten. Wenn nicht, werden die Mandatsträger abgewählt. Das macht dann auch die Kommunalwahlen sinnvoller.
Solange das hier in Bonn so läuft, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir nicht doch eine weitere Kammer benötigen, in der die Kommunen vertreten sind. Es geht nicht länger an, daß sich die Parteien im Bundestag, die Bundesregierung und die Länder im Bundesrat letztlich immer zu Lasten der Kommunen verständigen. Das muß irgendwann aufhören, deshalb brauchen sie eine eigenständige Vertretung.
Im übrigen kommen Verschlechterungen durch bürokratische oder andere Änderungen zustande, die absurd sind. Da wir hier schon Wahlkampf betreiben, will ich Ihnen etwas über Bremen erzählen. Bremen war immer Geberland und durchaus gut saniert.
Dann gab es unter der SPD-geführten Brandt-Regierung eine kleine Änderung, nämlich daß man die Einkommensteuer am Wohnsitz und nicht mehr am Arbeitsort orientiert bezahlte. Folge: Von einem Tag zum anderen war Bremen pleite, weil die meisten Leute zwar in Bremen arbeiteten, aber dort nicht wohnten. Folglich zahlten sie dort keine Einkommensteuer mehr. Seitdem hat sich Bremen immer stärker verschuldet.
Mit solchen Änderungen können Sie katastrophale Folgen herbeiführen. Vielleicht sollte man hier über eine Korrektur nachdenken.
- Das habe ich doch extra gesagt. So habe ich das doch eingeleitet. Das habe ich zugegeben, Herr Fischer. So leicht bin ich nicht zu überführen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Sie wollen den Standort schützen. Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das einzige OECD-Mitglied, das die zulässigen Subventionen für den Schiffbau nicht einmal zur Hälfte zahlt. Alle anderen Länder schöpfen den Rahmen voll aus. Das heißt, Sie benachteiligen den Schiffbau weltweit auf den Märkten, weil Sie an dem Schiffbau nicht interessiert sind, sondern nur ganz bestimmte Unternehmen im Süden unter einen besonderen Schutz stellen wollen. Das ist ja nun besonders auffällig.
Wir sind für eine Reform. Wir sind auch dafür, daß die Kommunen wirklich selbstverwaltet werden. Wir sind dafür, daß sie deshalb auch finanziell wesentlich besser ausgestattet werden. Aber wir werden einer Grundgesetzänderung nicht zustimmen, solange wir überhaupt nicht wissen, wie das Ganze laufen soll und völlig offen ist, ob am Schluß nicht wieder die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen alles durch eine Mehrwertsteuererhöhung bezahlen und darüber hinaus die Kommunen erheblich benachteiligt bleiben.
Das ist so mit uns nicht machbar. Deshalb sagen wir zumindest heute nein zu dieser Grundgesetzän-
Dr. Gregor Gysi
derung. Unter anderen Voraussetzungen kann man gegebenenfalls darüber reden.
Das Wort hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht darf man in all der Aufregung ein paar Dinge klarstellen. Der Termin dieser Debatte hat einen einfachen Grund. Wir könnten uns auch sofort darüber verständigen, zu einem anderen Termin abzustimmen. Das könnten wir sogar jetzt noch machen.
Eine grundlegende Neugestaltung des Einkommensteuerrechts und des Gewerbesteuerrechts zum 1. Januar 1996 muß rechtzeitig von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Bis jetzt haben wir aber von der Opposition im Bundestag und der Mehrheit im Bundesrat in allen Fristen- und Terminfragen nicht die geringste Kooperationsbereitschaft erfahren,
sondern das Gegenteil ist der Fall: Jede Verzögerung wird genutzt. Ich wiederhole: Jede Verzögerung wird genutzt.
Sie haben keinerlei Bereitschaft erklärt mitzuwirken.
- Ich will Ihnen die Argumente sagen, damit Sie nicht die Lüge verbreiten, der Termin dieser Debatte sei lediglich wahlkampfbestimmt.
Nein, der Termin dieser Debatte hat seinen Grund darin, daß wir alles, was in unserer Macht steht, tun wollen, damit diese Gesetzgebung bis zur Jahresmitte verabschiedet ist, so daß sich die Steuerverwaltung, die steueranwendende Wirtschaft und die Berater rechtzeitig auf die neue Gesetzeslage einstellen können.
Wenn Sie erklären, Sie möchten nicht heute abstimmen, sondern lieber erst in 14 Tagen, weil es Ihnen ja offenbar doch unangenehm ist, wie der Eiertanz zeigt, den Sie hier aufführen, dann sagen Sie bitte, daß Sie in den Fristenfragen bereit sind, mitzuwirken, daß die Verabschiedung der Gesetzgebung zur Jahresmitte sichergestellt ist. Dann können wir
uns sofort darauf verabreden, daß wir die Sache hier unterbrechen.
Solange Sie aber so verfahren wie der Bundesrat in Sachen Verabschiedung des Haushalts 1995, ist das nicht in Ordnung. Der Haushalt 1995 ist vom Deutschen Bundestag im März verabschiedet worden, meine Damen und Herren. Die Mehrheit im Bundesrat hat bisher noch nicht einmal einen Vermittlungsvorschlag bzw. einen Antrag im Vermittlungsausschuß zur Abstimmung gestellt.
Sie verzögern und vertagen mit Ihrer Mehrheit. Sie wollen die Verabschiedung des Haushalts jetzt am liebsten weit in den Juni schieben. Wir können das Jahressteuergesetz aber nicht erst Ende September verabschieden. Deswegen müssen wir die Gesetzesberatung und die Grundgesetzänderung so beschleunigen wie irgend möglich. Im übrigen sieht das Grundgesetz für eine solche Änderung längere Fristen als für nicht grundgesetzändernde Gesetze vor. Diese Änderung wollen wir schon heute verabschieden, damit wir, wenn Sie Ihre Möglichkeiten der Verzögerung so extensiv wahrnehmen, trotzdem eine Verabschiedung bis zur Jahresmitte erreichen. Das ist der Grund, warum wir es auf heute vorziehen.
- Aber natürlich. Ich bin derjenige gewesen, der vorgeschlagen hat, so zu verfahren. Ich werde doch meine eigenen Gründe kennen! - Wenn Sie die Abstimmung nicht wollen, wenn Sie sagen, Sie wirken, was die Termine betrifft, mit, so daß wir bis Ende Juni fertig sind, dann sagen Sie es jetzt.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Matthäus-Maier?
Bitte sehr. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte.
Herr Kollege Schäuble, halten Sie es eigentlich nicht für eine Verdrehung der Tatsachen, wenn Sie uns vorwerfen, wir würden verzögern, während Ihr Bundesfinanzminister bis heute weder einen diskussionswürdigen Steuertarif noch einen Gesetzentwurf zur steuerlichen Entlastung der Familien mit Kindern vorgelegt hat?
Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir reden im Moment eigentlich über die Unternehmensteuerreform
und über die notwendige Grundgesetzänderung, um einen fairen Ausgleich für die Gemeinden zu schaffen. Der Bundesfinanzminister, die Bundesregierung wie die Koalition haben sehr wohl einen Gesetzentwurf zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums vorgelegt. Er ist auch viel diskutiert worden. Ich kann Ihnen dazu im einzelnen etwas sagen.
Dies als Antwort auf Ihre Frage. Es ist nicht wahr, daß wir keinen Gesetzentwurf vorgelegt haben.
Ich halte den von uns vorgelegten Gesetzentwurf nach wie vor für einen wohlerwogenen. Wir stehen bei der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums vor dem Problem - -
- Wir haben doch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er liegt zur Beratung im Finanzausschuß. Ich antworte auf Ihre Frage. Ihre Frage war, warum nicht rechtzeitig ein Gesetzentwurf vorgelegt worden sei. Er ist vorgelegt, er ist in der Beratung. Unser Entwurf stößt auch auf Kritik. Aber die Kritik gründet sich im Kern darauf, daß wir uns gemeinsam - auch Sie - dafür entschieden haben, die Steuerfreistellung des Existenzminimums bei der Lohn- und Einkommensteuer ohne Kompensation vorzunehmen. Deswegen können wir nicht ein Ausfallvolumen von 40 Milliarden DM entstehen lassen. Jede Regelung, ob der Schleußer-Tarif, der Tarif des Instituts Finanzen und Steuern oder der von der Koalition vorgeschlagene Tarif bzw. Grundentlastungsbetrag, hat ihre Probleme. Man kann über sie vernünftig diskutieren.
Für den Familienleistungsausgleich haben wir einen Gesetzentwurf noch nicht vorgelegt, weil wir gemeinsam eine Verabredung getroffen haben. Unser Modell ist klar. Ihre Partei hat in dieser Sache vor der Bundestagswahl plakatiert. Wir haben gesagt, die Frage, ob wir eine Regelung unter Einbeziehung der Finanzämter treffen oder uns für eine Kombination von Arbeitsverwaltung und Steuerverwaltung entscheiderf, soll zunächst einvernehmlich mit den Ländern erörtert werden. Das war ein länderfreundliches Verhalten der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers.
Jetzt haben die Lander - übrigens vor allem Ihre - gesagt, sie wollten eine Finanzamtslösung nicht. Deswegen wird der Bundesfinanzminister die Vorschläge der Koalition in Form eines Gesetzentwurfs sehr kurzfristig vorlegen, der eine verwaltungsmäßige Regelung wie bisher in Kombination von Arbeitsverwaltung und Steuerverwaltung vorsieht. - Soweit die Antwort auf Ihre Frage.
Zurück zur Unternehmensteuerreform. Herr Ministerpräsident Lafontaine oder Herr Scharping - die Troika sitzt gerade zusammen; überlegen Sie es sich noch einen Moment -, ich biete Ihnen ausdrücklich an, meiner Fraktion und auch den Kollegen von der F.D.P. vorzuschlagen, daß wir, wenn Sie Ihre Bereitschaft erklären, die Gesetzesberatung bis zur Jahresmitte abzuschließen, heute nicht abzustimmen brauchen. Sie können darauf antworten.
Zweite Bemerkung. Sie führen einen Eiertanz vor.
- Herr Präsident, helfen Sie mir ein bißchen. Ich mag nicht in einen Wettbewerb eintreten, wer am lautesten schreien kann. Es gibt ein paar Schreihälse, mit denen ich in dieser Beziehung nicht konkurrieren kann. Bei mir besteht der Kopf nicht nur aus Kehlkopf wie bei einigen dieser Schreihälse.
Außer Luxemburg - Luxemburg hat eine spezifische Situation und Konstellation - gibt es in der Europäischen Union kein anderes Land, das gewerbliche Erträge und gewerbliche Investitionen steuerlich doppelt erfaßt und belastet. Es gibt kein zweites Land außer Deutschland.
- Ach, Herr Lafontaine, machen Sie doch keine so dummen Sprüche! Das ist ja nun wirklich albern. Mit der Führungsrolle hat das nichts zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß wir zu wenige Arbeitsplätze in Deutschland haben und daß die Gefahr besteht, daß noch mehr Arbeitsplätze abwandern.
Das wissen Sie im übrigen selber. Deswegen sagen Sie ja, man solle den Versuch machen, die Zustimmung der Europäischen Union dafür zu erlangen, daß die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern vielleicht doch noch um zwei Jahre verschoben werden kann. Damit geben Sie selbst zu, daß die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern ein Übel ist. Weil sie ein Übel ist, muß sie abgeschafft werden.
Dieses Übel wird auch in zwei Jahren nicht besser, selbst wenn Sie es vielleicht, was keiner weiß, noch einmal schafften, sie um zwei weitere Jahre zu verschieben.
- Hören Sie doch einen Moment zu, Herr Poß! Wollen Sie die Gewerbekapitalsteuer in zwei Jahren abschaffen? Dann lassen Sie sie uns doch gleich abschaffen. Oder wollen Sie sie in zwei Jahren einführen? Dann hilft die Aufschiebung auch nichts. Nein, die Entscheidung ist für jedermann klar: Die Gewer-
Dr. Wolfgang Schäuble
bekapitalsteuer muß abgeschafft werden, wenn wir mehr Investitionen in Deutschland und in Deutschland (Ost) haben wollen und wenn wir die Voraussetzung für mehr wirtschaftliches Wachstum und mehr Arbeitsplätze schaffen wollen.
Darum und um nichts anderes geht es, und dem können Sie nicht ausweichen.
Um diese Entscheidung geht es, und da wissen Sie, daß Sie in Wahrheit ganz alleine stehen. Herr Scharping - -
- Gut, das ist in Ordnung. Trotzdem bleibt falsch, was er gesagt hat. Kürzlich habe ich in einem Interview von ihm gelesen, daß nur Betriebe, denen es gutgeht, Gewerbekapitalsteuer zahlen müßten. Da muß ich ihm sagen, daß das leider falsch ist. Die Gewerbekapitalsteuer muß auch ein Unternehmen zahlen, das überhaupt keinen Gewinn, sondern nur Verluste hat. Das ist die Wahrheit.
Es werden sogar die Dauerschulden dem Einheitswert des Betriebsvermögens hinzugerechnet. Ihre These von den 16 %, die Sie von irgend jemandem gehört haben, beruht auf ziemlich alten Gewerbesteuerstatistiken; wir haben leider keine neuen.
Ich will Ihnen sagen: Ein Betrieb mit einem Einheitswert des Betriebsvermögens von etwa 100 000 DM ist im Durchschnitt bereits gewerbekapitalsteuerpflichtig, weil ja noch ein paar Hinzurechnungen dazukommen. Das ist schon ein mittlerer Betrieb. Wir haben etwa 350 000 Betriebe mit einem Einheitswert des Betriebsvermögens, das deutlich über 100 000 DM liegt, und das sind nicht alles Großunternehmen.
Deren Investitionen werden doppelt belastet: nicht nur durch die betriebliche Vermögensteuer, sondern auch durch die Gewerbekapitalsteuer. Wenn deren Einführung in Ostdeutschland droht, ob zum 1. Januar 1996 oder vielleicht um ein oder zwei Jahre geschoben, dann ist das für alle potentiellen Investoren im In- und Ausland ein abschreckendes Signal, das den Aufschwung Ost und die Vollendung der deutschen Einheit behindert.
Deswegen kann ich wirklich nur an Sie appellieren: Schauen Sie es sich ein bißchen genauer an und hören Sie ein bißchen auf Leute, die etwas davon verstehen!
- Entschuldigung, Herr Lafontaine hat sich im letzten Jahr so bemüht, eine gewisse Kompetenz in Wirtschaftsfragen für die SPD zu erringen.
Sie setzen alles aufs Spiel, weil jeder, der weiß, daß Investitionen die Grundlage der Arbeitsplätze von morgen sind, auch weiß, daß die Gewerbesteuer gesenkt und die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden muß, und zwar je früher, desto besser.
Alle, die sich den Gemeinden gegenüber fair verhalten wollen - das haben wir immer gesagt -,
müssen für jede Senkung bei der Gewerbesteuer einen fairen Ausgleich für die Gemeinden sicherstellen. Es gibt keinen besseren, verläßlicheren und dauerhafteren Ausgleich für die Gemeinden als die Beteiligung an der Mehrwertsteuer. Das sagen die Gemeinden selbst.
Herr Scharping, Sie haben auf die Zwischenfrage eines Kollegen aus meiner Fraktion gesagt
- Moment, jetzt antworte ich erst dem Herrn Scharping, denn die Unwahrheit muß ausgeräumt werden -, Herr Rommel habe nicht die Meinung des Deutschen Städtetages wiedergegeben, als er Ihnen und vielen anderen geschrieben hat, Sie möchten der Grundgesetzänderung zustimmen, die eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer überhaupt erst ermöglicht. Ich habe mir das Protokoll der Anhörung des Finanzausschusses noch einmal durchgelesen. Da ist für den Deutschen Städtetag der Finanzdezernent Wimmer aufgetreten. Der hat auf eine Frage meines Kollegen Hauser - ich habe es wörtlich auf meinem Abgeordnetenplatz liegen; ich kann es herholen - geantwortet, daß der Deutsche Städtetag die vorgeschlagene Grundgesetzänderung begrüßt und unterstützt, daß er den Bundestag auffordert, diese Änderung vorzunehmen, und an Sie appelliert, dem zuzustimmen.
Das ist die Wahrheit. Was Sie gesagt haben, ist die Unwahrheit.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß?
Wenn der Kollege hinter Ihnen das Schreien aufgibt, würde ich Ihnen gerne antworten. Können Sie ihm das liebenswürdigerweise sagen?
Herr Kollege Schäuble, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Deutsche Städtetag am 8. oder 9. Mai - ich habe die Unterlage gerade dem Kollegen Lafontaine gegeben - ausdrücklich festgestellt hat, daß er der von Ihnen vorgelegten Konzeption nicht zustimmen wird, sondern daß sie vollkommen unannehmbar ist? Ich zitiere -:
... mit einer Übergangsregelung, die den endgültigen Ausgleich nicht festlegt, sind für den Deutschen Städtetag unannehmbar.
Sind Sie bereit und in der Lage, dies zu akzeptieren? Ich bin gerne bereit, Ihnen den vollen Wortlaut, den ich jetzt nicht zitieren kann, zur Verfügung zu stellen.
Ich bin für alles dankbar, was Sie mir zur Verfügung stellen, denn ich kann natürlich nicht alle Presseerklärungen, die irgendwann abgegeben werden, kennen.
- Aber doch wohl eine Stellungnahme in der Form einer Presseerklärung.
Herr Kollege Poß, es ist doch so, daß der Deutsche Bundestag, um die Stellungnahmen der Verbände zu kennen, keine Presseerklärungen sammelt, sondern eine Anhörung durchführt.
Dahin schicken die Verbände diejenigen, die legitimiert sind, die Auffassung der Verbände zu vertreten.
Hier habe ich nun, Sie Schreihals, das Protokoll aus dem Finanzausschuß vom 9. Mai. - Nein, es wurde am 9. Mai verteilt; die Sitzung war am 28. April, Herr Vorsitzender Thiele. In dem Protokoll lese ich:
Sv Wimmer,
- das heißt wohl Sachverständiger Wimmer -
Finanzreferent beim Deutschen Städtetag: Herr Hauser, ich freue mich, Ihnen heute zustimmen zu können.
- Der Kollege hatte nach der Umsatzsteuerbeteiligung gefragt. -
Der Deutsche Städtetag begrüßt den Vorschlag der Bundesregierung, das Grundgesetz zu ergänzen, um eine kommunale Umsatzsteuerbeteiligung auf diesem Weg zu ermöglichen.
Das ist die Aussage des Deutschen Städtetages.
Wenn wir schon dabei sind - der Kollege Hörster hat mir meine Unterlagen gebracht -, lese ich Ihnen noch etwas ganz anderes vor: Der Kollege Klaus-Dieter Kühbacher - das war auch ein netter Mensch, als er im Bundestag war; das ist er als Minister der Finanzen des Landes Brandenburg sicher geblieben - hat im Deutschlandfunk in einem Interview am 11. Mai zur Reform der Gewerbesteuer auf die Frage, welche Gegenfinanzierung er sich vorstelle, gesagt:
Ich glaube schon,
- so Herr Kühbacher -
daß eine Gegenfinanzierung für die Kommunen auf der Basis von Umsatzsteueranteilen eine sehr faire und gerechte wäre.
Wo er recht hat, hat er recht.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, jetzt will ich gern noch ein paar Sätze sagen.
Meine Damen und Herren, um die Gemeinden fair und gerecht an der Umsatzsteuer zu beteiligen, müssen wir das Grundgesetz ergänzen.
Um nicht mehr und nicht weniger geht es heute. Dem können und müssen Sie zustimmen, sonst können wir die Gemeinden nicht an der Umsatzsteuer beteiligen.
Wenn Sie sagen, Sie würden vielleicht doch zustimmen, aber Sie seien noch nicht so weit, dann geben Sie uns die Zusage
- wir sind so weit, Frau Matthäus-Maier -, daß die Gesetzesberatungen zur Grundgesetzänderung im Bundestag und im Bundesrat rechtzeitig zur Jahresmitte abgeschlossen werden. Dann sage ich Ihnen zu, daß wir heute nicht abzustimmen brauchen. Sie müssen nur Ihre Verzögerungstaktik aufgeben, nicht mehr und nicht weniger. Aber das eine oder das andere müssen Sie tun, sonst werden Sie völlig unglaubwürdig. Dies werden wir Ihnen nicht ersparen. Alles andere ist Nebelwerferei.
- Nein, es ist doch wahr.
Ich wiederhole das, weil Sie es offensichtlich nicht gern hören: Wir haben den Bundeshaushalt 1995 bereits im März im Bundestag verabschiedet. Er kann noch immer nicht in Kraft treten. Noch immer muß nach den Regeln der vorläufigen Wirtschaftsführung gehandelt werden. Notwendige Investitionen unterbleiben, weil die zuständigen Stellen noch nicht die
Dr. Wolfgang Schäuble
vollen Titel nutzen können. Das ist eine Einschränkung. Auch das behindert dringend notwendige Maßnahmen. Sie verzögern das ohne jeden Sinn und Verstand - aus bloßer Obstruktion und Boykott.
Herr Kollege Dr. Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Sohns?
Doch! Bitte sehr.
Herr Kollege Schäuble, können Sie bestätigen, daß die Mitglieder der SPD gestern im Vermittlungsausschuß Anträge zum Vermittlungsverfahren hinsichtlich des Haushaltes 1995 eingebracht haben, die Abstimmung über ihre eigenen Anträge aber durch einen von ihnen gestellten weiterführenden Vertagungsantrag verhindert haben?
Herr Kollege Solms, ich bin über die Sitzung des Vermittlungsausschusses unterrichtet,
und ich bin hinreichend empört. Denn, meine Damen
und Herren, dieses hat wiederum zur Konsequenz - -
- Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt.
Wenn der Vermittlungsausschuß sein Verfahren gestern abgeschlossen hätte, dann hätte heute im Bundestag - vielleicht auch im Bundesrat - darüber befunden werden können, und der Haushalt könnte in Kraft treten. So haben wir aber die Situation, daß der Haushalt noch immer nicht verabschiedet ist. Es besteht die Gefahr, daß es Pfingsten oder noch später wird, bis der Haushalt verabschiedet ist und in Kraft treten kann.
Ich sage Ihnen mit allem Ernst: Das ist kein verantwortliches Verhalten. Das ist kein kooperativer Föderalismus.
Sie mißbrauchen Ihre Geschäftsordnungsmehrheit im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß zum Zwecke der parteipolitischen Obstruktion - ohne Rücksicht auf die Bürger in diesem Lande, auf die wirtschaftliche Entwicklung und auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt.
- Ich will ein Ergebnis erzielen. Es geht um nichts anderes, als ein positives Ergebnis zu erreichen. Ich sage es zum wiederholten Mal, damit niemand behaupten kann, es sei nicht hinreichend deutlich angeboten worden: Sagen Sie zu, daß wir die Gesetzesberatungen über die Grundgesetzänderung einvernehmlich bis zur Jahresmitte noch vor der Sommerpause abschließen können. Mit gutem Willen ist das möglich. Man kann über alle Fragen reden. Wenn Sie heute nicht abstimmen wollen, dann brauchen wir heute auch nicht abzustimmen.
- Herr Scharping, lehnen Sie sich nicht so selbstzufrieden zurück!
Was Sie hier betreiben, ist eine Politik der Obstruktion zu Lasten der Menschen in diesem Lande.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, darf ich um ein bißchen mehr Ruhe bitten. Ich verstehe, daß es gelegentlich lebhaft wird; das hängt auch von Zeitläuften ab. Aber seien Sie bitte ein bißchen ruhiger!
Bitte, Herr Kollege Schäuble.
Herr Präsident, ich sage es zum fünftenmal - -
- Tun Sie nicht so, als wäre eine Unternehmenssteuerentlastung nicht dringend notwendig! Wir sind mit dem Arbeitsmarkt noch nicht über den Berg. Wir haben eine gute wirtschaftliche Entwicklung, aber wir haben noch zuwenig Bewegung am Arbeitsmarkt. Wir brauchen mehr Arbeitsplätze. Dazu brauchen wir eine Verbesserung der Investitionsbedingungen.
Mehr Arbeitsplätze zu schaffen, das geht nicht auf die Art, Herr Scharping - das war wirklich unter jedem Niveau -,
hier zu sagen, die Stärke der D-Mark behindere den Export und sei schuld an unseren wirtschaftlichen Problemen. In einem haben Sie recht. Das habe ich in den letzten Wochen des öfteren gedacht, als wir gewisse Probleme an den Devisenmärkten hatten, weil die D-Mark stark und der Dollar eher schwach ist. Wäre Herr Lafontaine Finanzminister, hätten wir die Sorgen nicht, denn dann hätten wir keine starke D-Mark. Das ist wohl wahr!
Dr. Wolfgang Schäuble
Die Tatsache, daß wir über die Auswirkungen einer starken D-Mark diskutieren, ist ein Gütesiegel für den Finanzminister Theo Waigel, für die Regierung von Helmut Kohl und für die ganze Koalition.
Ich sage Ihnen auch: Eine schwache D-Mark heißt Inflation, und Inflation ist die brutalste Form der Ausbeutung der sozial Schwächeren. Unsere Stabilitätspolitik ist eine soziale Großtat, und wir werden sie fortsetzen.
Ich sage Ihnen ein Zweites: Sie haben sich lange genug gewundert, warum wir in den 80er Jahren einen langanhaltenden, stetigen Aufschwung hatten. Wenn Sie sich jetzt darüber wundern, daß es wirtschaftlich schon wieder nachhaltig bergauf geht, und zwar bei Preisstabilität - Sie haben uns ja vor einem Jahr noch verspottet, als wir sagten, wir würden 1994 wieder Wachstum in Stabilität schaffen -, dann hat es damit zu tun - das sollten Sie wirklich einmal begreifen -, daß man nicht zwischen Wachstum oder Stabilität wählen kann, sondern daß Stabilität die Voraussetzung für dauerhaftes Wachstum ist. Deswegen sind es keine Gegensätze, sondern das eine ist die Bedingung für das andere.
Deswegen müssen wir diesen Weg fortsetzen. Deswegen sind die Erfolge Ihrer Politik dort, wo Sie Verantwortung tragen, schlechter als die Erfolge unserer Politik.
Sie können doch bei allen Schwierigkeiten, die wir auch finanzpolitisch mit den gewaltigen Belastungen nach 40 Jahren Teilung und Sozialismus haben, nicht darüber hinwegsehen, Herr Kollege Scharping, daß die Staatsquote am Ende sozialdemokratischer Regierungszeit 1982 ohne Wiedervereinigung wesentlich höher war, als sie mit Helmut Kohl und Theo Waigel im Jahre 1995 mit Wiedervereinigung ist. Das zeigt doch, wie erfolgreich wir sind.
Sie können im übrigen ja auch nicht bestreiten - wenn Sie schon über Nordrhein-Westfalen reden wollen -, daß in der Regierungszeit des Ministerpräsidenten Rau das Wachstum in Nordrhein-Westfalen um 10 % hinter dem durchschnittlichen Wachstum aller westdeutschen Bundesländer zurückgeblieben ist. Das ist der „Erfolg" von sozialdemokratischer Politik.
Sie können auch nicht bestreiten, daß wir im vergangenen Jahr in Deutschland nicht nur ein reales Wachstum von 1,5 % - wie im Jahreswirtschaftsbericht vorhergesagt - hatten, sondern daß wir deutlich über 2 % lagen. Wahr aber ist, daß Nordrhein-Westfalen unter allen westdeutschen Ländern den zweitletzten Platz hatte. Schlußlicht war das Saarland, das eine besondere Struktur hat. Aber das zweitletzte Land war Nordrhein-Westfalen, und das kann am
Sonntag geändert werden, wenn es dort einen neuen Anfang gibt.
Weil ich die beiden Ministerpräsidenten, Herrn Lafontaine und Herrn Schröder, am Ende dieser Woche zum erstenmal persönlich sehe, muß ich noch eine Bemerkung loswerden.
Es ist nett, daß Sie heute hier sind. Meine Herren Ministerpräsidenten, es wäre schön gewesen, wenn Sie am Montag auch in Berlin gewesen wären.
Ich finde das nicht in Ordnung. Zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges veranstaltet die Bundesrepublik Deutschland einen Staatsakt - -
Herr Kollege Schäuble, ich bitte um Nachsicht, ich muß Sie unterbrechen. Ich bin sehr nachsichtig, aber dies gehört wirklich nicht mehr zur Sache. Ich bitte Sie, das zu beachten.
Herr Präsident, ich will Ihnen nicht widersprechen. Die gute Sitte im Haus gebietet, dem Präsidenten nicht zu widersprechen. Aber vielleicht darf ich mich entschuldigen: Es hat etwas mit dem Verhältnis im kooperativen Föderalismus zu tun. Ich glaube schon, daß die Ministerpräsidenten bei gesamtstaatlichen Veranstaltungen eine Präsenzverpflichtung haben. Nicht zu erscheinen ist nicht in Ordnung. Deswegen habe ich das hier angesprochen.
Ich möchte in allem Ernst dafür werben, daß wir unseren Föderalismus nicht verkommen lassen.
Das setzt voraus, daß wir alle unsere Pflichten wahrnehmen und, bei allem Streit in der Sache, in Verfahren und Fristen verantwortungsvoll, kooperationsbereit zusammenwirken. Das Instrument der Blockade, der Verzögerung, des Boykotts darf nicht zur Norma-
Dr. Wolfgang Schäuble
lität im Verhalten der gesetzgebenden Kammern, Bundestag und Bundesrat, werden; denn so verkommt der Föderalismus. Die Leidtragenden wären die Menschen in Deutschland.
Wir brauchen eine Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für weiteres wirtschaftliches Wachstum, für mehr Arbeitsplätze, weil wir nur so die Grundlagen von Wohlstand und sozialer Sicherheit erhalten können. Deswegen werbe ich: Machen Sie den Weg frei zu einer Unternehmenssteuerreform! Helfen Sie mit, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen! Machen Sie den Weg frei für eine faire, sachgerechte Beteiligung der Gemeinden an der Mehrwertsteuer! Stimmen Sie der Grundgesetzänderung heute oder, wenn Sie wollen, in acht Tagen zu; aber stimmen Sie zu, damit wir in diesem Lande wieder einen Schritt vorankommen!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es steht dem Präsidenten nicht zu - ich will das auch nicht tun -, eine Debatte zu bewerten. Das wäre jenseits seines Amtes.
Aber ich weise darauf hin, daß wir in vielen Formulierungen - von allen Seiten - hart am Rande des Erträglichen sind. Ich habe ein paarmal die Experten hinter mir gefragt, ob ich das nun rügen muß. Wir haben es immer durchgehen lassen. Aber es wäre schön, wenn sich das alles in Grenzen hielte.
Was meine Intervention von vorhin angeht, Herr Kollege Schäuble, so verweise ich nur auf § 36 unserer Geschäftsordnung. Ich habe nichts anderes getan, als auf den Verhandlungsgegenstand hinzuweisen. Wir reden über eine Änderung des Grundgesetzes und über nichts anderes.
Herr Kollege Schäuble, wollen Sie das Wort zu einer Zwischenbemerkung? - Sie haben das Wort.
Herr Präsident, damit kein Mißverständnis bleibt, möchte ich fragen: Hat sich Ihre Bemerkung, Sie hätten während meiner Rede mehrfach nach hinten gefragt, ob Sie das rügen müßten, auf Äußerungen von mir bezogen oder auf Äußerungen von Kollegen? Ich bitte, das klarzustellen. Ich unterstelle Ihnen keine Absicht. Aber ich glaube, daß ich nicht einen Satz gesagt habe, der Sie auch nur zu einer Frage hätte veranlassen können.
Herr Kollege Schäuble, es bezog sich nicht auf Sie,
sondern auf mancherlei Zwischenrufe, die ich gehört habe.
Es kamen Worte vor wie „Nötigung", „Beschiß", „Leute beschissen", „Schreihals", „unter jedem Niveau".
Ich habe es nicht gerügt, und ich habe nicht die Absicht, es zu rügen. Ich habe nur die Bitte, daß sich die Debatte im Rahmen hält.
Jetzt hat der Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafontaine, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst eine Vorbemerkung zu den Schlußbemerkungen des Kollegen Schäuble. Ich bin jetzt über zehn Jahre im Amt des Ministerpräsidenten.
- Viel zu lange aus Ihrer Sicht. Aber darüber entscheidet die Bevölkerung. Sie hat nun einmal so entschieden. Sie haben das zu respektieren.
Ich habe in dieser Funktion an vielen offiziellen Staatsakten der Bundesrepublik teilgenommen und mich selbstverständlich immer wieder bemüht, mitzuhelfen, daß wir möglichst komplett vertreten waren. Ich erinnere mich an die Veranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit bei uns an der Saar. Da fehlten eine Reihe von Kollegen, auch aus den neuen Bundesländern. Ich habe aber Verständnis dafür gehabt, daß andere Terminverpflichtungen sie von einer Teilnahme abgehalten haben. Was Sie hier gemacht haben, Herr Kollege Schäuble, war schlicht und einfach kleinkariert und unter jeglichem Niveau. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.
Dies bezieht sich leider nicht nur auf die juristischen Finessen, die Sie immer wieder in elegante Formulierungen zu kleiden versuchen; es bezieht sich auch auf Ihren Sachvortrag. Sie haben an uns appelliert, wir sollten auf den Sachverstand hören. Schauen Sie sich die Dinge genauer an und hören Sie auf die Leute, die etwas davon verstehen. Ich will Ihnen zwei Zitate vortragen:
Kleine und mittlere Betriebe, die bislang von den Freibeträgen bei der Gewerbesteuer profitiert haben, müssen nach den Plänen Waigels künftig deutliche Einbußen in Kauf nehmen. Offensicht-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
lich hat sich die Bundesregierung mit ihrem Steuerkonzept einseitig an den Interessen der multinationalen Konzerne orientiert und nicht an den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen.
Dieses Zitat stammt vom Bundesvorsitzenden der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU, Klaus Bregger.
Sie mögen selber beurteilen, ob diejenigen, die in Ihrer Partei Mittelstandspolitik zu verantworten haben, von der Sache etwas verstehen oder nicht.
Da Sie sicherlich auch aus unseren Reihen Zitate bringen können - das haben Sie auch getan -, die nicht unbedingt mit der Mehrheitsmeinung übereinstimmen - das hat man immer -, zitiere ich eine andere Einrichtung, die mir sogar wichtiger ist:
Mit der sogenannten dritten Stufe der Reform der Unternehmensbesteuerung will die Bundesregierung zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland beitragen. Diese Reform sieht unter anderem vor, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird sowie die Gewerbeertragsteuer gesenkt und zur Gegenfinanzierung die degressive Abschreibung auf bewegliche Wirtschaftsgüter herabgesetzt wird. Hierdurch wird die hohe Belastung der Großunternehmen mit Substanzsteuern zwar vermindert, doch werden die Unternehmen insgesamt durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen nach einer geringen Entlastung im kommenden Jahr in der mittleren Frist um bis zu 5 Milliarden DM pro Jahr schlechtergestellt werden. Effektiv stärker belastet werden die investierenden Unternehmen, insbesondere die des Mittelstandes. Deshalb dürfte die Sachkapitalbildung gedämpft werden.
So der Sachverständigenrat. Und Sie wollen uns hier ernsthaft erklären, Ihr Vorhaben diene der Förderung der Investitionen und der Stärkung des Standortes Deutschland. Sie haben nicht mehr alle Tassen im Schrank, meine Damen und Herren!
Es ist ja nicht nur so, daß Ihre Steuerpolitik vom gesamten Sachverstand verrissen worden ist. Es ist auch so, daß Ihre Steuerpolitik, was die Förderung der Unternehmen angeht, mehr und mehr auf völliges Unverständnis in der Wirtschaft stößt. Herr Kollege Schäuble, die Bilanz hinsichtlich der Entwicklung der deutschen Wirtschaft, die Sie vorgetragen haben, wobei insbesondere der Export Motor der bisherigen Entwicklung war, ist richtig. Aber diese Erholung ist trotz dieser Bundesregierung zustande
gekommen und nicht wegen dieser Bundesregierung.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser?
Ich bitte um Entschuldigung; meine Redezeit ist so kurz bemessen, daß ich auf Zwischenfragen nicht eingehen kann.
Das wird nicht angerechnet. Ich halte die Uhr an.
Bitte sehr, dann selbstverständlich, Herr Kollege Hauser.
Herr Ministerpräsident, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß der Zentralverband des Deutschen Handwerks - -
- Darf ich Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, daß der Zentralverband des Deutschen Handwerks sowie der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels in der Anhörung ausdrücklich gesagt haben, daß es eine falsche Behauptung ist, daß die kleinen Betriebe die großen Betriebe bei der Entlastung über die Gewerbekapitalsteuer finanzieren müssen?
Es gibt zu diesem Thema unterschiedliche Stellungnahmen.
Erlauben Sie mir aber die Feststellung, daß das Votum des Sachverständigenrates hier ein besonderes Gewicht hat. Ich darf sehr wohl darauf hinweisen, daß es einzelne interessengeleitete Stellungnahmen gibt, während es sich beim Sachverständigenrat um Wissenschaftler handelt, die versuchen, losgelöst von parteipolitischen Bindungen und Interessen ein objektives Votum abzugeben.
Im übrigen, meine Damen und Herren: Diese Steuererhöhung für die Unternehmen, für die Sie hier so leidenschaftlich kämpfen, wäre unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten durchaus diskutabel; ich komme darauf noch zu sprechen. Aber diese Steuererhöhung ist deshalb überhaupt nicht akzeptabel, weil sie falsch angesetzt ist, weil sie die Investitionen schmälern würde und weil sie Arbeitsplätze beseiti-
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
gen würde. Genau dies müssen wir verhindern, und deshalb werden wir es verhindern. Nehmen Sie zur Kenntnis: Dieser Ansatz hat nicht die geringste Chance der Realisierung.
Sie wissen ja noch nicht einmal, was Sie wollen. Wollen Sie nur die Gewerbekapitalsteuer abschaffen? Wollen Sie die Gewerbeertragsteuer mindern, was wir in den letzten Jahren mit Zustimmung des Bundesrates schon getan haben? Oder wollen Sie die Gewerbesteuer insgesamt abschaffen?
Wenn wir hier ernsthaft über den Gegenstand der Diskussion reden wollen, darf es nicht so sein, daß die Sprecher der Koalitionsparteien Unterschiedliches vortragen. Die einen reden über die totale Abschaffung der Gewerbekapital- und der Gewerbeertragsteuer - sprich: über 30 Milliarden DM -, die anderen reden vornehmerweise nur über die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und über eine Reduzierung der Gewerbeertragsteuer. Einigen Sie sich in der Koalition erst einmal darüber, was Sie überhaupt wollen! Sonst werden Sie nie zu einer seriösen Steuerpolitik in der Lage sein.
Herr Ministerpräsident, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich möchte diese paar Minuten noch im Kontext vortragen.
Wenn Sie sich darüber verständigt haben - dies ist für uns und für die Gemeinden von großem Interesse; die völlige Abschaffung der Gewerbesteuer ist beispielsweise im Städtetag überhaupt nicht mehrheitsfähig -, müssen Sie uns auch noch sagen, wie die Gegenfinanzierung für die völlige Abschaffung der Gewerbesteuer aussehen soll. Darüber haben wir überhaupt nichts gehört.
Wenn wir heute in den Zeitungen lesen, daß der Wirtschaftsrat der CDU dringend rät, die Mehrwertsteuer anzuheben, dann bleiben wir bei unserer Feststellung, daß vieles dafür spricht, daß Sie die Gewerbesteuer insgesamt beseitigen und die Mehrwertsteuer anheben wollen. Dies kann in der gegenwärtigen Situation überhaupt keine Zustimmung finden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, muß diese Diskussion eingebettet werden in den Gesamttext der Steuererhöhungen und Steuersenkungen der letzten Jahre. Sie haben hier stolz vorgetragen, daß die betriebliche Vermögensteuer gesenkt worden ist - mit unserer Zustimmung. Sie haben vorgetragen, daß die Staffel beim Gewerbeertrag gesenkt worden
ist - mit unserer Zustimmung. Wir haben eingebracht - weil das offensichtlich unsere Aufgabe ist -, daß die Freibeträge für die vielen Meinen Unternehmen angehoben werden, von denen Sie zu Recht gesagt haben, daß sie den Löwenanteil der Arbeitsplätze stellen. Denken Sie wirklich daran: Die kleinen Unternehmen sind es. Deshalb muß man in erster Linie die kleinen Unternehmen stärken und fördern. Das ist unsere Position.
Wir haben die Sätze bei der betrieblichen Einkommensteuer geändert, wir haben die Sätze bei der Körperschaftsteuer geändert. Aber wie das nun einmal so ist: Jedes Jahr wird erneut darüber geredet, daß wir die Unternehmensteuern immer weiter senken müssen, weil sonst der Standort Deutschland unglaublich in Gefahr gerät.
Nun will ich Ihnen einmal die Gesamtbilanz aufmachen. Trotz Ihrer Versprechungen haben wir die Steuern und Abgaben, aufs Jahr gerechnet, um 116 Milliarden DM erhöhen und damit die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unerträglich belasten müssen. In demselben Zeitraum haben wir die Unternehmensteuern netto um über 10 % gesenkt. Vor diesem Hintergrund - ich sage das in aller Klarheit - gibt es derzeit keinen Spielraum für weitere Nettosenkungen bei den Unternehmensteuern.
Es geht nicht, daß eine Lobby, die von einer kleinen Partei in diesem Staat vertreten wird, die Steuer- und Sozialgesetzgebung für das gesamte Land machen kann. Das kann auf diese Art und Weise nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Waigel, Sie haben mich vorhin zitiert. Ich hatte bei der Erwähnung des Franz Josef Strauß selig etwas anders formuliert. Man erinnert sich an manche Männerfreundschaft. Ich habe nicht gesagt: Das waren noch Zeiten", sondern ich habe gesagt: Das war noch ein Minister!
Das war insoweit ein etwas anderer Zwischenruf; er hatte eine etwas andere Intention.
Sie haben dann gesagt, Franz Josef Strauß werde wohlgefällig auf mich herabblicken, weil ich ihn erstens lobe und zweitens hinzugelernt habe. Ich wünschte, Sie könnten mit gutem Gewissen behaupten, er werde auch auf Sie wohlgefällig herabblikken. Ich bin mir da nicht ganz sicher, Herr Kollege Waigel.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Sie sind in der Presse bisher manchmal liebevoll beschrieben worden - ich will das hier gar nicht so ernst machen - als der Herr der Löcher. Ich muß Ihnen jetzt einen neuen Titel geben. Sie sind der Minister der unerledigten Hausaufgaben.
Denn zu allem, was aufgegeben worden ist, liegen keine überprüfbaren Vorlagen vor. Deshalb kommt die ganze Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik nicht weiter. Ich sage dies, um es einmal in aller Klarheit festzustellen.
Es ist doch überhaupt nicht zu bestreiten, daß die Verpflichtung, das Existenzminimum freizustellen, also die Überbelastung der großen Mehrheit unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich einmal abzuschaffen, von Ihnen seit Jahren nachlässig behandelt worden ist und bis zum heutigen Tage kein mehrheitsfähiger Entwurf vorliegt. Das ist ein Skandal.
Ihr Entwurf ist ja nicht nur von der Fachwelt zerrissen und von der Opposition als nicht akzeptabel bezeichnet worden - er ist nach unserer Auffassung auch nicht kompatibel mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes; wir sollten nicht nur auf die Fachleute, sondern auch auf das Bundesverfassungsgericht hören -, er ist auch in Ihren eigenen Reihen völlig umstritten. Das ist eine Feststellung, die ich hier nicht treffe, weil wir uns im Vorfeld irgendwelcher Wahltermine befinden, sondern weil sie schlicht und einfach wahr ist. Das ist kein gutes Zeugnis. Franz Josef würde vielleicht mit dem Kopf wackeln, aber nicht beifällig nicken, wenn er diesem Treiben zusehen müßte.
Der zweite Punkt - auf ihn hat die Kollegin Matthäus-Maier bereits hingewiesen - ist doch wirklich nicht akzeptabel. Wenn wir in den Gemeinden und Ländern - das ist der Kontext - über die Einnahmeentwicklung und die Ausgabenentwicklung der nächsten Jahre reden, dann müssen wir doch wissen, mit welchen Zahlen wir zu rechnen haben, sowohl beim Existenzminimum als auch beim Familienlastenausgleich. Daß noch kein überprüfbarer Entwurf zum Familienlastenausgleich vorliegt, sondern nur Eckdaten bekannt sind, ist doch ein Skandal gegenüber den Familien, die seit Jahren darauf warten, daß sie bessergestellt werden.
Ihre Aufforderung, Herr Schäuble, hat bereits der Parteivorsitzende der SPD beantwortet. - Herr Kollege Schäuble, wenn Sie mir jetzt die Gnade erweisen würden, mir Ihr Ohr zu leihen. Vielen Dank. -
Das steht nachlesbar in allen unseren Programmen. Sie schlagen jetzt eine Steuererhöhung für die Unternehmen längerfristig in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM vor, wobei das insbesondere aus der Verschlechterung der Bedingungen für die Investitionen finanziert werden soll. So sagt es der gesamte Fachverstand.
Wir halten dies in der Sache für völlig unakzeptabel. Wir halten das gerade in der jetzigen konjunkturellen Situation für völlig unannehmbar. Gerade die Sachkapitalbildung, die der Sachverständigenrat anmahnt, ist insbesondere im Osten erforderlich. Oder glauben Sie tatsächlich, daß im Osten überhaupt nicht investiert wird und daß die Verschlechterung der Investitionsbedingungen die investierenden Unternehmen im Osten nicht treffen würde? Da Sie aus vordergründigen Motiven immer wieder so tun, als wären Sie der einzige Sachwalter der neuen Bundesländer, Herr Kollege Schäuble, nehmen Sie zur Kenntnis: Aus fachlichen Gründen brauchen die neuen Bundesländer gerade bessere Investitionsbedingungen, als Sie sie in Ihren Gesetzentwürfen anbieten. So platt ist das.
Da die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer überkompensiert wird, Herr Kollege Schäuble - es ist ja manchmal schwer zu rechnen -, ist das nach Adam Riese mit einer Mehrbelastung für diejenigen verbunden, die bisher von der Gewerbekapitalsteuer ganz befreit waren. Aber vielleicht ist es schon etwas zu hoch, wenn man an dieser Stelle solche simplen Zusammenhänge vorträgt.
Meine Damen und Herren, es hat einfach keinen Sinn, so weiterzumachen und insbesondere immer wieder den Bundesrat dafür verantwortlich zu machen, daß bestimmte Vorlagen nicht rechtzeitig kommen, da Sie selber untereinander völlig uneinig sind. Was Sie - um Ihnen das einmal zu sagen - bisher zustande gebracht haben, ist ein Absenken der Strompreise. Eine wirklich ungeheuer gescheite Leistung zur Stärkung des Standortes Deutschland nach allem, was wir von den Klimagipfeln der Welt gehört haben! Das zweite, was Sie hier jetzt vorschlagen, ist eine Unternehmensteuererhöhung, und die F.D.P. macht sich besonders stark dafür. Welch ein Treppenwitz der Weltgeschichte vor einer Landtagswahl! Ich hätte Sie für etwas klüger gehalten, meine Damen und Herren.
Wenn Sie dann noch den Vermittlungsausschuß ansprechen und immer wieder sagen, wir seien schließlich verantwortlich, entgegne ich Ihnen als Ministerpräsident eines Bundeslandes für den Bundesrat: Wir sind in den Vermittlungsausschuß mit einem Forderungskatalog von 1,4 Milliarden DM gegangen. Er betraf Kindergartenplätze, BAföG, Wohngeld, Förderung des Wohnungsbaus usw. Wir haben Gegenfinanzierungsvorschläge in der Größe von 1,7 Milliarden DM vorgelegt. Man kann über die eine oder andere Zahl diskutieren. Das war das Begehren des Bundesrates.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Ich will insofern indiskret sein: Ein Mitglied Ihrer Fraktion sagte: Wir wollen überhaupt nicht mehr über Ihre Vorschläge reden. Das ist aber nicht der Sinn einer Sitzung des Vermittlungsausschusses.
Wenn Sie so weitermachen, wenn Sie glauben, Sie können den Bundesrat so behandeln, daß noch nicht einmal über unsere Vorschläge geredet wird, nur weil Sie formalrechtlich darauf verweisen können, daß der Bundestag ihn letztendlich überstimmen kann, dann sage ich Ihnen: Dann wird Ihre Steuerpolitik nicht nur vor der ganzen Fachwelt keinen Bestand haben, sondern sie wird in diesem Lande keine Chance auf Realisierung haben.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Günter Rexrodt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in dieser Debatte geht es nicht darum, festzustellen, wer von welchem Verband wann was gesagt hat und zu welchem Prozentsatz heute oder morgen eine Entlastung stattfindet, sondern in dieser Debatte geht es um eine Grundgesetzänderung, die ihrerseits Voraussetzung dafür ist, daß wir endlich die Unternehmensteuerreform weiterführen, daß wir endlich etwas für die Arbeitsplätze und den Standort Deutschland tun.
Es gibt keinen Tag, an dem die SPD nicht Bekenntnisse zu diesem Standort ablegt: gegenüber den Arbeitnehmern zur Sicherung der Arbeitsplätze, gegenüber dem Mittelstand und der Industrie, weil es dort zu hohe Kosten, zu hohe Abgaben und Steuern gibt. Heute nun wäre eigentlich der Tag der Opposition.
Das wäre der Tag, wo Sie eine Chance haben, Mitverantwortung zu tragen.
Heute steht eine Grundgesetzänderung zur Debatte, und das ist eine Nagelprobe. Am heutigen Tag könnten Sie zeigen, daß Sie Verantwortung tragen, daß Sie Format haben und daß Sie sich über tagespolitische Interessen hinwegsetzen. Es könnte heute ein Tag sein, an dem Sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, mit einem Engagement, mit einem Abstimmungsverhalten, das in diesem Land auch wahrgenommen würde, für die Schaffung und die Erhaltung von Arbeitsplätzen eintreten. Aber offensichtlich ist das Gegenteil der Fall.
Wir brauchen, obwohl die Konjunktur insgesamt in keiner schlechten Verfassung ist, auch ein Stück Stabilisierung auf konjunkturellem Gebiet. Die Tarifabschlüsse, die es insbesondere in einigen Bereichen
gab, mögen die Partner hinsichtlich ihrer Auswirkungen selbst bewerten. Die Turbulenzen an den Devisenmärkten haben zusätzliche Risiken für die Konjunktur entstehen lassen.
Wir wollen etwas tun, um nicht nur strukturell, sondern auch konjunkturell die Dinge nach vorne zu bringen. Die steuerliche Freistellung des Existenzminimums bringt 16 Milliarden DM, und die Verbesserung beim Familienleistungsausgleich bringt noch einmal 6 Milliarden DM. Zusammen mit dem Wegfall des Kohlepfennigs vermindert sich die Belastung der Wirtschaft und der Bürger damit um 1 % des Bruttoinlandsprodukts.
Die Frage ist nun: Ist das genug? Ich sage Ihnen: Ich glaube, nein. Wir müssen in diesem Lande in der Lage sein, nach innen und nach außen ein Signal zu setzen, ein Signal, das zeigt, daß wir in der Lage sind, mit den Problemen des Standorts Deutschland fertigzuwerden, das zeigt, daß wir nicht nur reden, sondern die Probleme auch angehen und handeln. Dazu bedarf es der Kraft der Veränderung.
Man hat in Deutschland wohl wahrgenommen, daß deutsche Unternehmen 24 Milliarden DM pro Jahr im Ausland, daß aber ausländische Unternehmen bei uns nur 5 Milliarden DM investieren. Das hängt mit den Standortbedingungen zusammen.
Diese Standortbedingungen sind zu einem gut Teil dadurch geprägt, daß wir zu hohe Steuern und Abgaben haben.
Wir wollen eine Veränderung einleiten und eine Entlastung der Unternehmen bewirken. Dies gilt insbesondere für den Mittelstand.
Was hier gesagt wird, daß nämlich die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer allein eine Entlastung für die Großbetriebe bedeuten würde, ist Unsinn und unwahr. 350 000 Unternehmen zahlen Gewerbekapitalsteuer. Wer will uns denn erzählen, daß es in Deutschland 350 000 Großunternehmen gibt? Das ist doch Unsinn. Dabei geht es Ihnen darum, einen tagespolitischen Erfolg zu erzielen, und um nichts anderes.
Wir wollen von der Staatsquote in Höhe von über 50 % und von der Abgabenquote in Höhe von 46 % herunter. Dabei müssen wir mit der Unternehmensteuerreform beginnen. Wir wollen auch eine steuerliche Entlastung durch eine Verbesserung der Übertragungsmöglichkeiten bestehender Unternehmen an die nachfolgende Generation erreichen. Wir wol-
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt
len so schnell wie möglich vom Solidarzuschlag herunter. Letztlich wollen wir eine Entlastung über den gesamten Tarif. In diese Steuerreform müssen wir über die Gewerbesteuer einsteigen.
Die Gewerbesteuer ist ein Anachronismus; sie ist, auch im internationalen Vergleich, eine Sonderbelastung der deutschen Wirtschaft. Diese Art von Steuer gibt es nirgendwo mehr in Europa und in der Welt. Bei ihr handelt es sich um eine doppelte Besteuerung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen und damit der Arbeitsplätze. Dieser Abschaffung wollen Sie sich, meine Damen und Herren von der Opposition, widersetzen. Die Gewerbesteuer ist auf Dauer weder den Unternehmen noch den Arbeitslosen zuzumuten. Sie gehört so schnell wie möglich abgebaut.
Sie wollen das Gegenteil davon. Irgendwann ist heute morgen schon einmal gesagt worden, daß es, wenn wir die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern einführen müßten, die natürliche Konsequenz wäre, daß wir Tausende von neuen Arbeitsplätzen bekämen, aber bei den Finanzämtern. Außerdem ist die Einschätzung nicht richtig, daß wir dafür eine Genehmigung von der Europäischen Kommission bekommen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer für die neuen Länder genehmigt zu bekommen hat schon das letzte Mal ungeheuer viel Überzeugungsarbeit notwendig gemacht. Darauf können Sie sich nicht zurückziehen.
Herr Bundesminister, es haben sich zwei Kollegen gemeldet, die Fragen stellen wollen. Sind Sie einverstanden?
Ja.
Bitte schön.
Herr Bundesminister Rexrodt, ist Ihnen bekannt, daß die Gewerbesteuer nach Kapital und Ertrag nach allen Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelstages als Kriterium für Standortentscheidungen an 16. Stelle liegt und daß sie - das sage ich Ihnen als Oberbürgermeister einer mittleren Großstadt - bei allen wirtschaftspolitischen Entscheidungen eine völlig unbedeutende Rolle spielt?
Nein, das ist mir nicht bekannt; das genaue Gegenteil ist bekannt.
Das ergibt sich nicht nur aus irgendwelchen Umfragen, sondern aus der Tatsache, daß ich mit Vertretern
von Dutzenden, ja Hunderten von Unternehmen aus
dem Mittelstand und aus dem großbetrieblichen Bereich gesprochen habe. Alle unterstreichen immer wieder, daß diese Steuer ein Anachronismus ist, daß sie dazu führt, daß sich die deutsche Wirtschaft mehr und mehr ins Ausland orientiert. Der Mittelstand hat das Gefühl, daß er in bezug auf den Ertrag, der ja die Investitionsfähigkeit bedingt, immer mehr durch ein Übermaß an Besteuerung gerade des gewerblichen Ertrags erdrückt wird. Das ist die Situation.
Herr Bundesminister, die zweite Zusatzfrage, dieses Mal vom Kollegen Spiller, steht noch aus.
Bitte schön.
Herr Minister, sind Sie bereit, einen Widerspruch darin zu sehen, daß Sie auf der einen Seite sagen, die Gewerbekapitalsteuer sei in Europa etwas nahezu Einmaliges, eine Sonderbelastung der deutschen Unternehmen, und daß Sie auf der anderen Seite sagen, es werde in Brüssel nicht gelingen, die Aussetzung dieser Sondersteuer, von der Sie sprechen, in den neuen Bundesländern weiterhin befristet genehmigt zu bekommen? Die Brüsseler Kommission hat doch nur darauf zu achten, daß es innerhalb der Europäischen Gemeinschaft keine Wettbewerbsverzerrungen gegenüber anderen Konkurrenten gibt. Warum soll denn die weitere Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer eine Wettbewerbsverzerrung gegenüber französischen, italienischen oder englischen Konkurrenten sein?
Herr Kollege, in dem Fall sind Sie nicht über das informiert, was Gegenstand der Prüfung der Europäischen Union ist. Die Europäische Union hat über Subventionen zu befinden. Sie ist der Auffassung - und muß darüber eine Prüfung anstellen -, daß durch die Aussetzung einer Steuer in einer bestimmten Region eine Subvention entsteht, die gegenüber konkurrierenden Unternehmen, hier gegenüber den Unternehmen im westdeutschen Raum, einen Vorteil bedeutet. Das wird sie feststellen.
Damit wird sie aus einer naturgegebenen Notwendigkeit des Entscheidungsprozesses - ohne daß ich das antizipieren will - diese Aussetzung für ein weiteres Mal aller Voraussicht nach unterbinden müssen, weil sonst ein nicht zu rechtfertigender Vorteil von ostdeutschen Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen, in dem Fall in Westdeutschland, entsteht. Das hat in diesem Fall überhaupt keine internationale Komponente. Ich mache mir diese Auffassung ja nicht zu eigen. Ich will Ihnen nur darstellen, wie der Entscheidungsprozeß in Brüssel erfolgen wird.
Wenn Sie gestatten, würde ich gern in der Bewertung der Gewerbesteuer fortfahren. Ich muß die Opposition in diesem Zusammenhang fragen, warum denn sämtliche Vertreter des Mittelstands in der
Bundesminister Dr. Günter Rexrodt Sachverständigenanhörung des Finanzausschusses die vorgesehene Unternehmensteuerreform auch unter Berücksichtigung der Gegenfinanzierung befürwortet haben. Ihre „Argumentation" fußt auf zwei Argumenten. Sie sagen zum einen, die Gegenfinanzierung ginge zu Lasten der kleinen Unternehmen. Das ist unwahr. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß 350 000 Unternehmen von der Gewerbekapitalsteuer entlastet würden.
Zum anderen habe ich den Eindruck, daß Sie das System der Veränderung der Abschreibungsbedingungen steuerpolitisch und steuertheoretisch gar nicht richtig verstanden haben.
Wenn wir die Abschreibungsbedingungen verschlechtern, dann bedeutet das, daß der Staat den Unternehmen weniger Möglichkeiten gibt, einen steuerfreien Kredit in Anspruch zu nehmen. Eine steuerliche Mehrbelastung erfolgt dadurch in keinem Fall. Lediglich der steuerfreie Kredit wird zeitlich anders strukturiert. Wenn wir aber an die Gewerbesteuerreform herangehen, d. h. die Gewerbekapitalsteuer abschaffen, die Gewerbeertragsteuer nachhaltig senken und am Ende möglicherweise ganz abschaffen, dann ist das ein Verzicht auf Dauer und damit eine Entlastung auf Dauer.
Das liegt in jedem Fall im Interesse der betroffenen Wirtschaft. Das ist auch der Grund dafür, daß sich die Wirtschaft ingesamt und vor allen Dingen auch die mittelständischen Unternehmen für dieses Modell ausgesprochen haben.
Ebenso vordergründig ist Ihre Sorge um die Finanzierung der Städte und Gemeinden. Die Städte und Gemeinden - das ist hier wiederholt gesagt worden - erhalten einen fairen Ausgleich. Warum sperren Sie sich dagegen, den Kommunen einen konjunkturunabhängigen Einnahmenzuwachs für ihre Investitionsentscheidungen zu geben? Rund zwei Drittel - das wissen auch Sie - der öffentlichen Investitionen werden in den Kommunen getätigt. Damit bietet die Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer die Chance, zu einer Verstetigung der öffentlichen Investitionen in diesem Bereich, damit auch zu einer Verstetigung der Wirtschaftsentwicklung und damit zu mehr Arbeitsplätzen zu kommen. Auch das verhindern Sie, indem Sie sich dieser Grundgesetzänderung verweigern.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, in diesem Zusammenhang die Gefechtslage nicht zu verschieben. Tagespolitisch bedingt sind Sie darauf aus zu verhindern, daß deutlich wird, daß die Koalition mit dieser Verfassungsänderung eine Regelung beabsichtigt, die darauf abzielt, Unternehmen, insbesondere den Mittelstand, langfristig von Belastungen zu befreien. Es handelt sich um eine Reform, die Voraussetzung dafür ist, daß wir den Standort Deutschland nicht nur durch Worte, sondern durch Taten verbessern. Diese Reform hat zum Ziel, in allen Bereichen Arbeitsplätze zu schaffen, die internationale Konkurrenzfähigkeit Deutschlands herzustellen und
nach innen und außen - das ist das Entscheidende - ein Signal zu geben, daß die Deutschen in der Lage sind, mit den Problemen, die ihr Standort mit sich bringt, fertig zu werden - nicht nur in Sonntagsreden, sondern durch parlamentarische Arbeit und faktische Umsetzung. Dies und nichts anderes wollen wir.
Wir bitten dabei um Ihre Zustimmung. Es wäre eine Zustimmung im Interesse der Menschen, der Arbeitsplätze und der deutschen Wirtschaft.
Schönen Dank.
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich wollte den Redner nicht unterbrechen, muß aber sagen, daß die Nebenunterhaltungen inzwischen ein Maß angenommen haben, das nicht mehr ohne weiteres akzeptiert werden kann.
Sie machen es nicht nur dem Redner schwer - das muß man hinnehmen -, sondern vor allen Dingen den Kolleginnen und Kollegen, die zuhören wollen. Wenn sich hier ganze Gruppen bilden, empfehle ich doch, die Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen.
- Herr Kollege, ich habe ja gesagt, daß man es als Redner hinnehmen muß. Sie machen es aber auch denen schwer, die zuhören wollen.
- Wir haben genug Zeit; wir können einen Augenblick warten. -
Ich erteile nun dem Abgeordneten Joseph Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zur Sache komme, mit einer Bemerkung zum Kollegen Schäuble beginnen.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben die Anwesenheit zweier Ministerpräsidenten beim Staatsakt am 8. Mai mit der Frage in Verbindung gebracht: Wie hältst du es mit einer Grundgesetzänderung? Das halte ich von der Sache her für völlig daneben und von der politischen Intention her für infam.
Joseph Fischer
Ausgerechnet Sie als Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion haben dies getan, obwohl im Vorfeld des 8. Mai Äußerungen jenseits des Erträglichen gefallen sind. Dabei denke ich nur an den abwesenden Ehrenvorsitzenden Ihrer Fraktion und seine geplante Rede.
Gerade Sie, Herr Schäuble, der Sie in einem Interview eine abgeschmackte Äußerung dergestalt gemacht haben, als wolle man den Kriegerwitwen mit der Frage „Befreiung oder Niederlage?„ noch vorschreiben, welche Speisenfolge sie an diesem Tag einzuhalten haben, haben uns hier keine Belehrungen vorzutragen.
Doch nun zur Sache. Meine Damen und Herren, Sie tun gerade so, als würden wir hier über eine normale Gesetzesänderung sprechen. Wir sprechen jedoch über eine Grundgesetzänderung. Dafür brauchen Sie eine Zweidrittelmehrheit. Diese Mehrheit haben Sie nicht. Wenn Sie wirklich Interesse an einer Grundgesetzänderung haben - diese Grundgesetzänderung soll nach den Äußerungen Ihrer Redner zum Gegenstand haben, daß die Gemeindefinanzen neu geordnet werden und daß es zu einer Entlastung der Unternehmen kommt -, dann müssen Sie einen Entwurf vorlegen, der zweidrittelmehrheitsfähig ist. Ansonsten muß ich Ihnen vorwerfen: Sie haben gar kein Interesse an dieser Änderung, sondern wollen im wesentlichen Wahlkampf machen.
Das ist auch sehr einfach zu beweisen. Der Finanzminister nimmt große Worte in den Mund. Es geht um die Verantwortung für Deutschland. Es geht um den Industriestandort. Der Wirtschaftsminister hält der Opposition vor, wir müßten zustimmen, sonst würde der Industriestandort Deutschland gefährdet sein. Dann erklärt uns der Kollege Schäuble, wir blockierten, verzögerten und verhinderten eine ordentliche Beschlußfassung.
Herr Kollege Schäuble, leihen Sie mir einmal für einen kurzen Augenblick ein Öhrchen; denn ich möchte Ihnen zwei Daten vorlesen. Wenn die Opposition blockiert und verhindert, dann frage ich Sie: Was hat Sie in den letzten drei Jahren, seit dem 25. September 1992, daran gehindert, das Existenzminimum zu regeln?
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Kindergeld ist am 29. Mai 1990 ergangen. Bis heute liegt kein beschlußfähiger Vorschlag dieser Koalition vor,
trotzdem spricht Schäuble von Blockade durch die Opposition.
Ich spreche nun von dem Punkt, um den es heute geht. Es geht um die Frage: Was wird aus den Gemeindefinanzen? Da muß sich der Finanzminister schon vorhalten lassen, daß der Vorschlag, den er gemacht hat, nicht zustimmungsfähig ist.
Alle Redner der Opposition haben hier heute gesagt - ich wiederhole das -: Wir sind zu einer durchgerechneten Reform der Gemeindefinanzen bereit, aber was nicht sein kann, ist, daß die Katze zu Lasten der Gemeinden im Sack gekauft wird, daß wir heute eine Grundgesetzänderung machen, daß der Kern der kommunalen Selbstverwaltung in der Frage des eigenen Hebesatzrechts bei der Gewerbesteuer endgültig abgeschafft wird - das ausgerechnet vom Parteivorsitzenden der CSU, der sich in Brüssel so viel auf seine Subsidiarität zugute hält -, daß demnach die Kommunalfreiheit, der Kern der Demokratie, an einem entscheidenden Punkt geschwächt wird, ohne daß wir wissen, was darauf folgt.
Ich sage Ihnen: Wir trauen dieser Regierung und dieser Koalition in dieser Frage nicht.
Wenn es einen gemeinsamen Vorschlag gibt, der eine durchgerechnete Grundgesetzänderung mit entsprechenden spezifischen Ausgleichsformen für die Gemeinden beinhaltet, dann sind wir bereit, diesen mitzutragen. Aber der Methode Waigel stimmen wir nicht zu.
Abschließend möchte ich noch ein Wort zum Bundesfinanzminister sagen. Wir erleben in dieser Situation zum erstenmal, daß die Koalition eine Strukturreform anpackt. Ich verstehe jetzt auch, warum der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung so vage war. Schauen wir uns doch das Schicksal dieses famosen Reformgesetzes an, schauen wir uns an, was aus dem Waigel-Entwurf geworden ist. Nicht ein einziger Sachverständiger hat sich in der Anhörung für die Position der Bundesregierung und der Koalition ausgesprochen. Nicht ein einziger! Der Vorschlag von Waigel und seinem Haus ist doch nicht nur wie eine Weihnachtsgans gerupft, sondern ad acta gelegt worden.
Auf der anderen Seite erklärt uns sein Staatssekretär Faltlhauser, nun werde die Regierung aufhören zu regieren, man werde keinen geänderten Entwurf mehr vortragen, die Opposition solle nun gefälligst vorschlagen, wie es weitergeht. Das ist Regierungskunst à la Waigel.
Joseph Fischer
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Die Handlungsfähigkeit Ihrer Koalition, Herr Bundeskanzler, nachdem Sie aus dem äußeren Raum des historischen Gedenkens wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen sind - -
Herr Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltlhauser?
Ich komme gerade zum Schluß, Herr Faltlhauser. Wir besprechen das nachher gemeinsam à deux.
- Herr Kohl meint, ich müßte Ihnen eine Frage gestatten. Ich gestatte es. Allerhöchster Wille.
Herr Kollege Fischer, würden Sie nach dieser ersten Freundlichkeit noch eine zweite Freundlichkeit besitzen, nämlich die, klarer- und richtigerweise festzustellen, daß ich in der Öffentlichkeit ebenso wie im Finanzausschuß darauf hingewiesen habe, daß der Finanzminister einen im Gesetzblatt stehenden Vorschlag gemacht hat, daß ich darauf warte, daß die Opposition endlich auch einmal einen Alternativvorschlag vorlegt, auf dessen Basis wir diskutieren können, und daß der Finanzminister keinerlei Veranlassung hat, parallel zur Debatte einen zweiten Vorschlag vorzulegen?
Nachdem wir hier jetzt schon um die Frage der zweiten Freundlichkeit ringen, kann ich Ihnen nur sagen: Sie haben mir in gemessenen Worten recht gegeben, und dafür danke ich Ihnen, Kollege Faltlhauser.
Sie wissen doch so gut wie ich - ich habe hier jede Menge Zeitungsausschnitte mit wörtlichen Zitaten von Kollegen aus der F.D.P., aus der CDU und aus der CSU, die sich alle von diesem Entwurf absetzen -, daß dieser Entwurf nicht haltbar ist.
Ich wußte nicht, daß sich daraus wirklich eine Diskussion ergibt. Die Zeit ist bei mir an dem Punkt leider nicht gegeben.
Ich komme zum Schluß - für mich ist das der entscheidende Punkt -: Hier stellt sich zum erstenmal die Frage der Handlungs- und Reformfähigkeit dieser Koalition.
Diese Handlungs- und Reformfähigkeit, meine Damen und Herren, werden Sie in Ihrer Politik der Bevorzugung der oberen Einkommen gegen die Kommunen in der sozialen Unausgewogenheit gegen die Opposition nicht durchbekommen.
Davon können Sie ausgehen. Wir wollen eine solide Reform der Gemeindefinanzen. Dafür stehen wir zur Verfügung.
Diese Grundgesetzänderung werden wir aber heute und auch zu einem anderen Termin ablehnen, weil wir sie für nicht tragbar halten.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Horst Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, wenn Sie einmal einen Augenblick zuhören, möchte ich zunächst Ihre völlig unqualifizierten Angriffe gegen unseren Fraktionsvorsitzenden zurückweisen.
Der hat in seiner Rede ganz klare Feststellungen getroffen, denen ich nur zustimmen kann. Das war ein sehr unqualifizierter Einstieg durch Sie. Die Vorwürfe gegen Wolfgang Schäuble weise ich mit großem Nachdruck zurück, meine Damen und Herren.
Nun zur Sache: Herr Kollege Fischer, daß Sie sich hier hinstellen und zur Entwicklung in den Gemeinden und all diesen Fragen reden, könnte man mit den Worten „schlechter Scherz" ausdrücken; denn Sie und Ihre Parteifreunde sind doch am allermeisten die, die Entwicklungen in den Gemeinden und für die Wirtschaft behindern. Deshalb sind Sie hier der völlig falsche Anwalt.
Meine Damen und Herren, zu dem entscheidenden Thema der heutigen Sitzung: Herr Kollege Scharping, auch wenn Sie das heute morgen kritisiert und beklagt haben, sage ich es auch als langjähriger Kommunalpolitiker und als einer, der etliche Jahre einen großen kommunalen Spitzenverband führen durfte, noch einmal: Die Änderung des
Dr. Horst Waffenschmidt
Grundgesetzes, um die Kommunen unmittelbar an der Umsatzsteuer zu beteiligen, ist eine historische Chance für die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland.
Es ist ja nicht so, als wenn das nun plötzlich über Sie gekommen wäre. Das wird ja bereits jahrelang verhandelt. Jeder Kundige weiß, daß die Städte und Gemeinden sowie die kommunalen Spitzenverbände das in vielen Ausschüssen behandelt haben.
Wenn ich hier heute höre, daß immer der Städtetag zitiert wird, dann will ich einmal einen Grundtatbestand hier darlegen. Den kann niemand - auch Sie nicht, Herr Scharping - bestreiten. Das, was die Koalition vorschlägt, und das, was der Finanzminister im Regierungsentwurf formuliert hat, geht im Schwerpunkt ganz allein auf einen Vorschlag des Deutschen Städtetags zurück. Das ist das Interessante. Der Deutsche Städtetag hat ja selber diesen Vorschlag gemacht.
Nun ist es doch nur ein politisches Taktikspiel, wenn man sich hier heute hinstellt und sagt: Im Prinzip ist das ja alles schön, aber dies oder jenes fehlt uns noch. Wissen Sie, was des Rätsels Lösung ist? Sie gönnen der Koalition den Erfolg in dieser historischen Weichenstellung nicht. Das ist der Tatbestand, meine Damen und Herren.
Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn wir heute das Grundgesetz für die Kommunen ändern können, dann ist allein diese Weichenstellung ein Riesenerfolg; denn wie auch immer Sie rechnen, eines steht fest: Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wird den Städten und Gemeinden - das zeigen schon die klaren Rechnungen in der Vorlage - Milliarden D-Mark an Mehreinnahmen bringen. Sie wissen das selbst - das haben Sie in x Gremien bestätigt -: Wer das ablehnt, handelt gegen die Interessen der Städte und Gemeinden, damit gegen die Interessen der Bürger und damit gegen das Allgemeinwohl.
Sie sagen immer: Wir müssen aber bis zur letzten Gemeinde rechnen und Klarheit haben. Finanzminister und Abgeordneter Theo Waigel hat heute morgen bei seiner Rede und vorher - ich war bei den Gesprächen mit den Spitzenverbänden dabei - ganz deutlich gemacht: Es wird keine Verlierer geben! - Deshalb lassen Sie uns doch die Weichenstellung vornehmen, lassen Sie uns das Grundgesetz ändern, dann können wir alle Einzelheiten in diesem Sinne klären! Tun Sie doch nicht so, als wenn Sie nach einer Grundgesetzänderung von der politischen Bühne abtreten und gar nicht mehr mitspielen würden!
Ich will einen Satz noch zu der Kritik sagen, die immer wieder von der SPD kommt. Meine Damen und Herren, ich war schon im Deutschen Bundestag, als der SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem SPD-Finanzminister Matthöfer quasi in einer Nachtund-Nebel-Aktion die Lohnsummensteuer abgeschafft hat. Sie hatten Ihre Bürgermeister noch nicht einmal gefragt. Die Bürgermeister mußten mühsam zum Kanzleramt kommen und um einen Ausgleich werben.
Ich kann Theo Waigel nur loben. Ich danke zum Abschluß meiner Darlegungen - ich habe nur wenig Zeit zur Verfügung - Theo Waigel ausdrücklich dafür, daß er sich in vielen Gesprächen mit den Städten und Gemeinden für diese historische Chance eingesetzt hat.
Ich richte an Sie von der SPD noch einmal den Appell, daß Sie zustimmen. Meine Damen und Herren, die Verweigerungshaltung werden Sie nicht lange durchhalten. Wir werden jeder Stadt, jeder Gemeinde und jeder Region in Deutschland sagen, was sie mehr hätte, wenn die Kommunen an der Umsatzsteuer beteiligt wären. Ich fordere Sie noch einmal auf: Stimmen Sie zu, dann tun Sie etwas Gutes für die Städte und Gemeinden in Deutschland!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Volker Kröning.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf den alten kommunalpolitischen Fuhrmann Herrn Waffenschmidt ist noch eine Antwort nötig. Nachdem Herr Schäuble den kooperativen Föderalismus beschworen hat, möchte ich auch noch ein Wort zu den Bund-LänderFinanzbeziehungen sagen.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf einer Verfassungsänderung - Sie haben zu verantworten, daß nur er heute Thema der Debatte ist und daß nur er heute einer Ablehnung anheimfällt - greift tief in die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ein. Dem ist keine Abstimmung mit den Ländern und keine Abstimmung mit den Gemeinden vorangegangen, die als repräsentativ und seriös gelten kann.
Ich erinnere daran, Herr Kollege Waigel, daß Sie sich vor einem Jahr der Bitte Ihrer Länderkollegen widersetzt haben, eine gemeinsame, die Spitzenverbände der Gemeinden und alle Länder umfassende Kommission zur Gewerbesteuerreform einzusetzen.
Seitdem hat sich Mißtrauen aufgebaut. Der Bund
darf sich deshalb über die Härte der Länder nicht
wundern. Die SPD-Bundestagsfraktion ist entschlos-
Volker Kröning
sen, die Rechte der Gemeinden und Länder in unserer Verfassungsordnung zu wahren.
Das Hauruckverfahren, das Sie wählen, ist vor allem deshalb unangemessen, weil Änderungen der Finanzverfassung zu den sensibelsten Themen der Finanzpolitik gehören.
Der Vorschlag der Regierungskoalition ist nicht so harmlos, wie er scheint. Er macht nur Sinn, wenn man die Gewerbesteuer weiter abbauen - das ist ausführlich erörtert worden - und sogar ganz abschaffen will, wie es die Koalition in zwei Stufen beabsichtigt und meines Wissens noch nicht widerrufen hat. Herr Kollege Faltlhauser hat im Finanzausschuß ausdrücklich erklärt, bei Inangriffnahme der nächsten Stufe - nämlich der gänzlichen Abschaffung der Gewerbesteuer - bedürfe es keiner weiteren Verfassungsänderung.
Was heißt das denn? Es heißt, Gemeinden und Ländern wird eine Reise in eine ungewisse Zukunft in drei Etappen zugemutet: Übergangsregelung bis 2000 ohne Kenntnis der Effekte für die einzelnen Gemeinden - darauf lege ich die Betonung -, danach Beteiligung an der Umsatzsteuer ohne berechenbaren Verteilungsschlüssel und dann - ja, was dann?
Die Gemeinden lehnen dies ab. Um den Streit darüber, was der Deutsche Städtetag, der nur einer von mehreren kommunalen Spitzenverbänden ist, die das allesamt abgelehnt haben, zu entscheiden, zitiere ich aus einer eindeutigen Quelle, nämlich aus dem Gemeindefinanzbericht 1995. Dort heißt es zwar: "Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung ist zu begrüßen" ; das leugnen wir nicht. Aber es heißt ferner- diese Formulierung gebe ich hier zu Protokoll -:
Auch wenn angekündigt wird ..., für eine Übergangszeit einen vollen Ausgleich der Gewerbesteuerverluste sicherzustellen . . ., ist es einfach nicht vermittelbar, daß auf einen Großteil der wichtigsten Steuerquelle der Städte und Gemeinden verzichtet werden soll, ohne zu wissen, wie der Ausgleich endgültig und tatsächlich dann im Jahre 2000 aussehen wird.
Es wird Sie vielleicht ergötzen: Dies hat Herr Wimmer unterschrieben.
Dies bedeutet - ich sehe es ganz nüchtern -: Die Gemeinden wollen wohl springen, aber sie wissen nicht, ob sie das andere Ufer erreichen. Das ist auch verständlich, denn der Bund kann zur Zeit nur die Masse, die er zum Ausgleich bereitstellen will, nicht aber die Verteilung angeben. Daher, Herr Kollege Schäuble, auch die Forderung des Vertreters des Deutschen Städtetages im Rechtsausschuß, den Gemeinden Finanzierungssicherheit kurz-, mittel- und langfristig zu geben. Dies widerspricht überhaupt nicht der Äußerung von Herrn Wimmer im Finanzausschuß. Man muß nur beides zusammennehmen,
und Herr Wimmer hatte in diesem Moment - wahrscheinlich nicht ganz ohne parteipolitischen Eifer - die andere Hälfte der Stellungnahme des Deutschen Städtetages vergessen.
Was die einzelnen Gemeinden gegenwärtig nur wissen, ist, daß sie in der Übergangszeit je nach Qualität der örtlichen Konjunktur Anfang der 80er Jahre mehr oder weniger erhalten und daß dies für die nächsten Jahre festgeschrieben wird. Das kann böses Blut schaffen. Auch wenn die Basisjahre, wie im Finanzausschuß andeutungsweise gesagt worden ist, um 1993 erweitert werden könnten, erhalten damit gerade strukturschwache Regionen Steine statt Brot.
Wenn nun gesagt wird - das hat der Bundesfinanzminister eingangs bereits erklärt -, das Umsatzsteueraufkommen sorge für eine Überkompensation, dann sage ich: Schön, bloß was hat der Kämmerer in seinen Büchern, wenn er in diesem Jahr seinem Rat den Finanzplan bis 1999 vorlegen muß? Er weiß über den Spitzenausgleich, den Sie nun ergänzend in Aussicht stellen, nichts Präzises und nichts Verläßliches.
Was das andere Ende angeht, so sehen wir uns doch abschließend noch einmal die Gegenfinanzierung durch die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen an. Die Drucksache zum Jahressteuergesetz zeigt auf Seite 108 zugegebenermaßen erfreuliche Mehreinnahmen in Milliardenhöhe bis 1999. Aber alles, was in den ersten Jahren an Steuermehreinnahmen einkommt, führt am Ende der Abschreibungszeit zu Steuermindereinnahmen. Wir verlangen deshalb, meine Damen und Herren - auch das ist ein Grund dafür, daß die Sache nicht entscheidungsreif ist -, eine Betrachtung auf zehn Jahre. Wenn Sie dies verweigern, bleibt der Verdacht, daß Sie doch die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Hinterkopf haben.
Doch nicht nur das Verfahren, auch die Sache berührt die Länder. Sie haben nicht nur im Gesetzgebungsprozeß die Rechte der Gemeinden zu schützen, sondern sie haben auch die Finanzhoheit über die Gemeinden. Die Effekte, die aus der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer resultieren, sind bisher nicht im mindesten abschätzbar. Fachleute der Bremer Finanzverwaltung - ich weiß, daß ich mich auf sie verlassen kann - sagen mir schlicht: „Die finanziellen Auswirkungen der Reform können weder auf der Ebene der einzelnen Gemeinden noch auf der Ebene der einzelnen Länder abgeschätzt werden. "
Meine Damen und Herren der Koalition, Sie muten dem Bundesgesetzgeber zu, blind etwas zu beschließen, was neue Bund-Länder-Konflikte über die Finanzverteilung hervorrufen kann. Davon haben Sie eigentlich genug. Oder nicht?
Seit der Verfassungsreform 1994 sind die Länder zumindest mit dem Bund für die Gewährleistung der finanziellen Eigenverantwortung der Gemeinden verantwortlich. Dies steht nun in einem Zusatz zu
Volker Kröning
Art. 28 Abs. 2 GG. Damit verträgt es sich aber nicht, und zwar weder im Verfahren noch in der Sache, daß Sie den Druck auf den kommunalen Finanzausgleich erhöhen, wenn und soweit die Gemeinden die erhoffte Kompensation nicht erhalten.
Doch schwerer wiegt, daß Sie die Gemeinden unter dem Vorwand, Ihnen auf der Einnahmenseite zu helfen, auf der Ausgabenseite im Stich lassen. Einer der Vertreter der kommunalen Verbände hat im Rechtsausschuß unmißverständlich erklärt - ich darf noch einmal und zuletzt zitieren -:
Die Frage einer sachgerechten Einnahmeverteilung kann man nur beurteilen, wenn man hinreichend Verständigung über eine richtige Lastenverteilung im Grundgesetz erzielt hat. Das Thema des Art. 104 Abs. 3 umfaßt ... auch die Fremdbestimmung des kommunalen Bereichs durch Bundesgesetze.
Darauf hat der Ministerpräsident Lafontaine im Vorfeld dieser Debatte zu Recht nachdrücklich hingewiesen.
Das gibt die Stimmung bei den Gemeinden wieder. Wir Sozialdemokraten verwechseln wahrhaftig kommunale Selbstverwaltung und Föderalismus nicht, aber wir nehmen die Gemeinden so ernst, daß wir ihre Einnahmeentwicklung an ihrer Ausgabenentwicklung und an den ihnen vom Gesetzgeber übertragenen Aufgaben und deren Erfüllung messen wollen. Ich frage mich, warum Sie das verweigern. Ich frage das nicht zuletzt die F.D.P.
Sie haben, Herr Dr. Schäuble, mit Pathos die Gewerbesteuerreform mit der Standortdebatte verknüpft. Doch was muten Sie den Gemeinden und den Regionen der Bundesrepublik zu? Nach Art. 109 Abs. 2 GG tragen die Länder mit ihrer Haushaltswirtschaft - ihnen fehlt weithin das wirtschaftspolitische Instrumentarium - Mitverantwortung für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht.
Wie sollen Sie das leisten, wenn der Bundesgesetzgeber Ihnen einen Torso hinstellt, wenn er seiner Gesamtverantwortung nicht gerecht wird? Die gleichzeitige und gleichgewichtige Unternehmensteuer- und Gemeindefinanzreform, die Sie Ihrer Fraktion und der Öffentlichkeit noch vor Weihnachten versprochen haben, ist eine Phrase. Deshalb stimmen wir der Grundgesetzänderung hier und heute und unter diesen Prämissen nicht zu.
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe damit die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes, Drucksachen 13/900 und 13/1313 in zweiter Lesung, wofür die einfache Mehrheit ausreicht.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung in zweiter Lesung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen und der Gruppe der PDS angenommen worden.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Ich weise darauf hin, daß nach Art. 79 Abs. 2 GG zur Annahme des Entwurfs die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages erforderlich ist. Das sind mindestens 448 Stimmen.
Die Fraktion der CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. - Ehe ich die Abstimmung eröffne, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß im Anschluß an die Abstimmung noch über Entschließungen abzustimmen ist. Ich bitte also, wenn Sie an diesen Abstimmungen teilnehmen wollen, das Haus nicht zu verlassen.
Ich eröffne die Abstimmung. -
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch über zwei Entschließungen abzustimmen. Das können wir tun, weil der Inhalt dieser Entschließungen nicht von dem Ergebnis der Abstimmung zur Verfassungsänderung abhängt. Ich habe allerdings wegen der Bedeutung einer Grundgesetzänderung vor, den nächsten Punkt der Tagesordnung erst dann aufzurufen, wenn mir das Abstimmungsergebnis zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegt.
Wir setzen damit die Beratungen fort und kommen zur Abstimmung.
- Darf ich einen Augenblick um Aufmerksamkeit bitten? Ansonsten unterbreche ich die Sitzung. - Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 13/1346. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/1314. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist auch dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen der Koalition abgelehnt.
Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch
Meine Kolleginnen und Kollegen, ich unterbreche jetzt die Sitzung, bis das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Verfassungsänderung bekanntgegeben werden kann.
Wir können die unterbrochene Sitzung fortsetzen.
Ich gebe das von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/ CSU und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes, Drucksachen 13/900 und 13/1313, bekannt: Abgegebene Stimmen: 654. Mit Ja haben gestimmt: 337. Mit Nein haben gestimmt: 317. Enthaltungen: Keine. - Damit hat der Gesetzentwurf die für die Annahme erforderliche Zweidrittelmehrheit des Deutschen Bundestages nicht erreicht und ist abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 652
ja: 336
nein: 316
Ja CDU/CSU
Ulrich Adam
Peter Altmaier
Anneliese Augustin Jürgen Augustinowitz Dietrich Austermann Heinz-Günter Bargfrede Franz Peter Basten
Dr. Wolf Bauer
Brigitte Baumeister Meinrad Belle
Dr. Sabine Bergmann-Pohl Hans-Dirk Bierling
Dr. Joseph-Theodor Blank Renate Blank
Dr. Heribert Blens Peter Bleser
Dr. Norbert Blüm Friedrich Bohl
Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert
Wolfgang Börnsen Wolfgang Bosbach
Dr. Wolfgang Bötsch Klaus Brähmig
Rudolf Braun Paul Breuer
Monika Brudlewsky Georg Brunnhuber Klaus Bühler Dankward Buwitt
Manfred Carstens Peter H. Carstensen
Wolfgang Dehnel Hubert Deittert Gertrud Dempwolf Albert Deß
Renate Diemers Wilhelm Dietzel Werner Dörflinger Hansjürgen Doss Dr. Alfred Dregger Maria Eichhorn
Wolfgang Engelmann Rainer Eppelmann Heinz Dieter Eßmann Horst Eylmann
Anke Eymer
Ilse Falk
Dr. Kurt Faltlhauser Jochen Feilcke
Dr. Karl H. Fell
Ulf Fink
Dirk Fischer Klaus Francke (Hamburg) Herbert Frankenhauser
Dr. Gerhard Friedrich Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel Michaela Geiger Norbert Geis
Dr. Heiner Geißler Michael Glos
Wilma Glücklich
Dr. Reinhard Göhner Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer Joachim Gres
Kurt-Dieter Grill Hermann Gröhe Claus-Peter Grotz Manfred Grund
Horst Günther Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein
Gottfried Haschke
Gerda Hasselfeldt
Rainer Haungs
Otto Hauser Hansgeorg Hauser
Klaus-Jürgen Hedrich Manfred Heise
Dr. Renate Hellwig
Ernst Hinsken Peter Hintze
Josef Hollerith
Dr. Karl-Heinrich Hornhues Siegfried Hornung Heinz-Adolf Hörsken Joachim Hörster
Hubert Hüppe Peter Jacoby Susanne Jaffke Georg Janovsky Helmut Jawurek Dr. Dionys Jobst Dr.-Ing. Rainer Jork
Michael Jung Ulrich Junghanns
Dr. Egon Jüttner Dr. Harald Kahl Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter Dr.-Ing. Dietmar Kansy Manfred Kanther Irmgard Karwatzki
Volker Kauder Peter Keller
Eckart von Klaeden
Dr. Bernd Klaußner
Hans Klein
Ulrich Klinkert Dr. Helmut Kohl Hans-Ulrich Köhler
Manfred Kolbe Norbert Königshofen Eva-Maria Kors Hartmut Koschyk Manfred Koslowski
Thomas Kossendey
Rudolf Kraus
Wolfgang Krause Andreas Krautscheid
Arnulf Kriedner Heinz-Jürgen Kronberg Dr.-Ing. Paul Krüger
Reiner Krziskewitz Dr. Hermann Kues Werner Kuhn
Dr. Karl A. Lamers
Karl Lamers
Dr. Norbert Lammert
Helmut Lamp Armin Laschet Herbert Lattmann Dr. Paul Laufs Karl-Josef Laumann
Werner Lensing Christian Lenzer Peter Letzgus Editha Limbach
Walter Link Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Dr. Manfred Lischewski Wolfgang Lohmann
Julius Louven Sigrun Löwisch
Heinrich Lummer Dr. Michael Luther
Wolfgang Meckelburg Rudolf Meinl
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Klaus Rose
Michael von Schmude
Dagmar Wöhrl Michael Wonneberger
Günther Bredehorn
Marieluise Beck (Bremen) Volker Beck (Köln) Angelika Beer
Am liebsten würden nämliche viele dieser Unternehmen den IHKs den Rücken kehren und austreten. Wenn sie die Möglichkeit hätten, durch Kündigung abzustimmen, würden sie das ohne Zögern tun. Sie beurteilen vielerorts auch die Leistungen schlecht.
Meine Damen und Herren, Sie gefährden gerade eine Institution - das besitzt schon ein gewisses Maß an doppelsinniger Ironie -, die Sie zu verteidigen vorgegeben haben. Noch nie war der Unmut über die Industrie- und Handelskammern so groß; noch nie hatte diese Regierung ihren Kredit bei den Mittelständlern so stark verspielt, wie sie es zur Zeit gerade dabei ist zu tun.
- Reden Sie einmal mit denen!
Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß die aus Angst, daß Sie aus dem Bundestag fliegen und Kohl nicht mehr Kanzler ist, Ihnen am Wahltag Ihre Stimme geben! Nur das ist der Punkt, mit dem Sie über die Runden zu kommen versuchen.
- Entschuldigung, genau so kommen Sie über die Runden. Das muß man Ihnen auch einmal sagen. Wir werden uns am Sonntagabend außerordentlich genüßlich anschauen, wie viele in Nordrhein-Westfalen von Ihnen die Lösung der Probleme erwarten und wie viele der SPD zutrauen, die Probleme dieses Staates zu lösen.
Ich wollte das eigentlich gar nicht in dieser Schärfe machen, weil es um eine Beitragsregelung geht und auch um Aufgaben, die Industrie- und Handelskammern wahrzunehmen haben, die eigentlich der Staat wahrzunehmen hätte. Deshalb will ich zu der ruhigen Form der Auseinandersetzung zurückkehren.
Im November 1992 haben Sie Regelungen des Rechts der Industrie- und Handelskammern gefunden, die diese Diskussion ausgelöst haben. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, daß Dr. Eberhard Hamer, Leiter des Mittelstands-Instituts Niedersachsens, gesagt hat:
Es ist schon originell, daß nun die SPD sich auf die Seite des Mittelstandes schlagen muß, weil die F.D.P. diesen erneut belasten und die CDU dies nicht verhindern will.
Genau darum geht es im Kern. Die CDU hat mit ihrem damaligen Gesetzentwurf den Mittelstand bis hinunter zum Kleinstgewerbetreibenden belastet. Ihre Begründung war, es müsse größere Beitragsgerechtigkeit beim Aufkommen der Industrie- und Handelskammern herrschen.
Soweit wäre Ihre Argumentation noch einsichtig gewesen. Daß Sie mit dieser Belastung aber bei juristischen Personen schon ganz früh, ab der ersten Mark Gewinn, einsetzen und bei natürlichen Personen nur einen Freibetrag von 15 000 DM gewähren, ist wenig verständlich. Schließlich kann auch das Prinzip der Leistungsfähigkeit Freibeträge akzeptieren. Daß Sie aber mit dem gleichen Gesetzentwurf, der der Beitragsgerechtigkeit und der gleichmäßigeren Verteilung der Beitragslast dienen sollte, Unternehmen, und zwar große Unternehmen, entlastet haben, indem Sie die Gewerbekapitalsteuer herausgenommen haben, ist völlig unverständlich.
Das Ergebnis dieses Vorgehens ist, daß es viele große Unternehmen gibt, die, weil sie vorübergehend rote Zahlen schreiben, keinen Beitrag oder nur Mindestbeiträge zahlen. Jedoch der Kioskbesitzer an der Ecke, der es sich nicht leisten kann, vorübergehend rote Zahlen zu schreiben, weil ihm das nämlich das Unternehmen kosten würde, zahlt fleißig Beiträge an die IHK. Das kann doch nicht richtig sein.
- Sie kennen die vielen Briefe, die wir bekommen haben, Herr Hinsken.
Ich kenne Ihre Argumentation. Sie meinen, daß gerade die kleinen Unternehmen die Beratung bei den Industrie- und Handelskammern in besonderem Ausmaß in Anspruch nehmen.
Ich kann mir das für meine Person auch sehr lebhaft vorstellen. Es ist aber auch genau richtig, daß sich die Industrie- und Handelskammern als Dienstleister von Existenzgründern und von kleinen Unternehmen
Ernst Schwanhold
verstehen und dieses auch mit Perspektive auf Wachstum machen, ohne daß sie das in Mark und Pfennig von der ersten Sekunde ab abgegolten bekommen. Man könnte sich auch fragen, ob eine dienstleistungsbezogene Beitragsfindung nicht das gerechtere Entlohnungssystem wäre. Merken Sie eigentlich, meine Damen und Herren, wie absurd die Argumentation ist, die Sie sich bezüglich der Veränderung aufgebaut haben?
Nun gut, Sie haben Schaden angerichtet; das kann geschehen, weil vielleicht auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, dieser Bundesregierung auf den Leim gegangen sind. Das haben wir ja bei der Aufgabe der Kriterien für die Regionalförderung kürzlich drastisch erlebt. Die Äußerungen insbesondere aus Ihren Reihen zu dem Berliner Wirtschaftsminister, der vorgibt, Wirtschaftsminister für die Bundesrepublik insgesamt zu sein, lassen Parallelen erkennen.
Heute gibt Ihnen die SPD-Bundestagsfraktion Gelegenheit, diesen Schaden zu reparieren. Helfen Sie mit, auf der Basis unseres Gesetzes die schlimmsten Auswüchse zu korrigieren! Unsere Vorstellung ist, im unteren Bereich die ganz Kleinen zu entlasten, dafür oben etwas mehr zu nehmen.
Die Einbeziehung sehr kleiner Betriebe in die Beitragspflicht hat zu einer drastischen Erhöhung der Kosten geführt, die von der Bundesregierung in anderen Bereichen immer wieder heftig beklagt werden. Da in zugegebenermaßen extremen Einzelfällen diese Belastung durch die Beitragssteigerung von 150 DM auf 2 500 DM bzw. von 50 DM auf 2 000 DM pro Jahr völlig unangemessen ist, ist auch hier eine Korrektur unabwendbar.
Mit der Gesetzesänderung sollen vor allem die kleinen Unternehmen entlastet bzw. von der Beitragszahlung befreit werden. Durch eine Begrenzung der Beitragshöhe erfolgt eine wesentliche Entlastung.
Übrigens werden die am Ende, wenn ihre Einkommenssituation wirklich so schlecht ist, wieder bei den Gemeinden auflaufen und Wohngeld kassieren. Wir werden in dieser Höhe einen Sozialtransfer haben und im Grunde genommen die IHK-Beiträge aus dem allgemeinen Steueraufkommen subventionieren.
Mit der Gesetzgebung sollen vor allem kleine Selbständige entlastet werden. Konkret geschieht dies durch die Einführung eines Freibetrags für alle Unternehmen und durch eine Kappung der Beitragshöhe für kleine und mittlere Gewerbebetriebe.
Für alle Gewerbetreibenden würde gelten, daß sie bis zu einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 20 000 DM von allen Beiträgen, also Grundbeitrag und Umlage, befreit sind. Bis zu einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 36 000 DM wären sie von der Umlage befreit. Der Grundbeitrag darf in diesen Fällen 120 DM nicht übersteigen.
Natürlichen Personen und Personengesellschaften würde zusätzlich ein Freibetrag von 15 000 DM eingeräumt. Das bedeutet, daß sie bis zu einem Gewinn von 35 000 DM vom Grundbeitrag und bis zu einem Gewinn von 51 000 DM von der Umlage befreit sind.
Eine solche Korrektur ist insbesondere deshalb notwendig, weil von den 83 Industrie- und Handelskammern in Deutschland allein 15 Kammern im Jahr 1994 über 410 000 Beitragsbescheide mehr verschikken mußten als im Jahr 1993. Dies verschlingt in aller Regel mehr, als sie an Einnahmen haben.
Rechnet man diese Zahl auf alle Kammern hoch - einige Kammern haben ja noch nicht angepaßt -, sind von der Beitragserhöhung sehr viele Gewerbetreibende betroffen. Herr Ost, das Zeichen, das die Industrie- und Handelskammern gesetzt haben, indem sie nicht angepaßt haben, ist auf die Erkenntnis bei den Industrie- und Handelskammern zurückzuführen, daß es sich um eine Fehlentwicklung handelt, die Sie eingeleitet haben. Wenn Sie schon nicht unserer Argumentation folgen, dann folgen Sie doch wenigstens dem realen Handeln der Industrie- und Handelskammern an manchen Stellen.
Zum Ausgleich des entstehenden Beitragsausfalls für die Industrie- und Handelskammern wird das Gewerbekapital wieder in die Bemessungsgrundlage für die Beiträge einbezogen. Dieses halten wir für richtig. Da sich die Industrie- und Handelskammern aus Beiträgen und Entgelten finanzieren, muß die Finanzierung insgesamt auf eine Finanzierung durch Entgelte für konkrete Leistungen umgestellt werden. Das ist eine richtige Tendenz, die wir begrüßen. Diese soll mit dem damaligen Gesetzesvorhaben nicht kaputtgeredet werden; deshalb auch unsere maßvollen Veränderungen im Bereich der Kappungsgrenzen.
Durch eine solche Umstellung wird der Beitrag für die Unternehmen von fixen Kosten auf variable Kosten umgepolt und eine unmittelbare Verbindung von Leistung der Kammern für ihre Mitglieder und tatsächlich erhaltener Leistung hergestellt, nicht für die Hochglanzbroschüren.
Übrigens gibt es auch die Möglichkeit, sich bei privaten Anbietern zu bedienen und einen Preisvergleich für diese Dienstleistungen anzustellen. Das führt zu einer Kostenentlastung, die von der Wirtschaft immer gefordert wird. Damit wird die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, ob sie die Kammern in Anspruch nehmen oder nicht, erhöht. Gleichzeitig stellt die Begrenzung einen Anreiz für die Kammern dar, ihren Mitgliedern auch die von ihnen für notwendig erachteten Leistungsangebote zu machen.
Das ist neu gegenüber unseren bisherigen Vorschlägen in dieser Sache: Sie helfen mit, das System umzustellen, es aber am Ende zu erhalten; denn es blieben Aufgaben, die wir als Staat zu lösen hätten und die wir uns nicht zusätzlich aufladen sollten.
Ernst Schwanhold
Deswegen ist dieses System insgesamt nicht von vornherein in Frage zu stellen. Es ist dann in Frage zu stellen, wenn dieser Umstrukturierungs- und Anpassungsprozeß nicht organisiert wird.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dieser Ansatz ist auch ein viel marktwirtschaflicherer Anreiz, ein deregulierender Ansatz; denn er stärkt die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder der Industrie- und Handelskammern, wieviel sie sich ihre Industrie- und Handelskammer konkret kosten lassen wollen. Nehmen die Mitglieder keine Leistungen in Anspruch, bleibt es bei dem Beitrag; nehmen sie Leistungen in Anspruch, kommen die Entgelte oben drauf. Wer Unternehmer von Fesseln und Bevormundung befreien will, muß diesem Vorschlag eigentlich zustimmen. Denn machen wir uns nichts vor: Wenn wir hier keine Abhilfe schaffen, gefährden wir das System insgesamt.
Mitgliedschaft in Form einer Pflichtmitgliedschaft schafft nur dann besonderen Unmut, wenn die daraus auferlegten Beitragslasten drückend werden. Sie schafft keinen Unmut, wenn die Beitragslast bezahlbar ist und die zusätzlichen Leistungen honoriert werden. Helfen wir doch insbesondere den kleinen Unternehmen bei dieser drückenden Last! Zwingen wir die Industrie- und Handelskammern zu sparsamer Haushaltsführung, zu effektivem Umgang mit den von ihren Mitgliedern zwangsweise erhobenen Beiträgen, und helfen wir insgesamt, damit das System zu erhalten!
Ich finde es zwischenzeitlich mehr als erbärmlich, uns von denen, die im Glashaus sitzen, immer vorwerfen zu lassen, wir wollten das Glashaus für uns quasi als Selbstbedienungsladen reklamieren, während sie selbst diesen Selbstbedienungsladen bis in alle Ewigkeiten festschreiben wollen.
Das hat sich in der Vergangenheit gezeigt: Der ungenierte Zugriff in Sachen Beiträge hat nicht nur großen Unmut bei den Mitgliedern hervorgerufen, sondern auch den massiven Wunsch, der Industrie- und Handelskammer auf Dauer den Rücken zu kehren, weil die Leistungen nicht adäquat gewesen sind.
Meine Damen und Herren, es ist schon ganz interessant, wenn Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammern in Vier-Augen-Gesprächen und in Briéfen ihrer Sorge Ausdruck geben, daß mit der von Ihnen im November 1992 durchgeführten Beitragsreform das ganze System bedroht wird. Ihre Reform ist ein hübsches Beispiel dafür, wie man über das Ziel hinausschießen kann. Statt den Kammern mit Augenmaß zu helfen, haben Sie ihnen einen Bärendienst erwiesen. Noch können Sie die Panne beheben. Sie müssen bei den Beratungen in den Ausschüssen entscheiden, was Sie nun wollen: das System insgesamt gefährden oder eine Anpassung vornehmen, die sinnvoll ist.
Falls Sie als Entscheidungshilfe eine Anhörung brauchen, werden wir Sozialdemokraten Ihnen diese gerne organisieren. Sie werden Ihr blaues Wunder erleben.
Worum geht es uns? Es geht uns darum, daß die von Ihnen ins Werk gesetzte Umverteilung von unten nach oben zumindest auf ein erträgliches Maß zurückgeschraubt wird. Mit den Beratungen dieses Gesetzentwurfes werden Sie beweisen müssen, ob Sie in der Lage sind, Ihren netten Worten für den Mittelstand auch tatsächlich Taten folgen zu lassen. Wir geben Ihnen Gelegenheit dazu. Ich finde, Professor Hamer hat recht: Das ist originell.
Das Wort hat der Abgeordnete Ernst Hinsken.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schwanhold, wenn Sie meinen, hier sei das Parlament der Bundesregierung auf den Leim gegangen, dann würde das in gleicher Weise auch auf den Bundesrat zutreffen. Ich möchte gleich eingangs meiner Rede erwähnen, daß der gesamte Bundesrat der damals gefundenen Gesetzgebung einstimmig zugestimmt hat. Ich glaube, Sie wissen genauso wie ich, daß im Bundesrat nicht nur CDU-/CSU-Mitglieder sitzen, sondern auch Kollegen aus Ihrer Partei.
Ich möchte Ihnen, Herr Schwanhold, widersprechen. Sie haben gesagt: Wir brauchen eine Anhörung. Eine Anhörung brauche ich dann, wenn ich etwas wissen möchte, was ich normalerweise nicht erfahren kann. Wenn ich mich aber hier unmittelbar vor Ort erkundige, um das eine oder andere in Erfahrung zu bringen, dann, meine ich, kann ich daraus schöpfen, Konsequenzen ziehen und dies ins Parlament mit einbringen, um dann eine Diskussion so zu bestreiten, wie sie heute auf Grund des Tagesordnungspunktes, den Sie ja mit angesetzt haben, notwendig und erforderlich ist.
Warum haben wir dieses Gesetz damals überhaupt novelliert?
- Damals waren Sie nicht dabei, Frau Matthäus-Maier. Damals haben Sie meine Rede nicht gehört, sonst wüßten Sie es.
Das alte Beitragsrecht hatte nämlich dazu geführt, daß von den ca. 1,5 Millionen nicht im Handelsregister eingetragenen kammerzugehörigen sogenannten Kleingewerbetreibenden 1,1 Millionen über-
Ernst Hinsken
haupt keinen Beitrag und die restlichen 400 000 nur den ermäßigten Grundbeitrag zu zahlen hatten.
Die Rechtsprechung sah in der Befreiung von ca. 60 % der Kammerzugehörigen von jeglicher Beitragszahlung einen Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 26. Juli 1990 darauf hingewiesen, daß die Gewerbesteuermeßbeträge um so weniger den entscheidenden Maßstab für die Mitgliedsbeiträge einer Kammer bilden können, je mehr die Gewerbesteuer aus wirtschaftspolitischen Gründen auf die größeren Unternehmen verlagert wird. Deshalb sind die Kammern seinerzeit an den Gesetzgeber, an uns, herangetreten, um eine Änderung herbeizuführen. Wir sind diesem Wunsch nachgekommen.
Darüber hinaus stellt es auch - so das Bundesverwaltungsgericht - einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes dar, wenn ein im Handelsregister eingetragenes Unternehmen mit einem jährlichen Ertrag von 300 000 DM ca. 1 500 DM Beitrag an die IHK zu entrichten hatte, während ein im Handelsregister nicht eingetragener Kammerzugehöriger mit demselben Ertrag nur den ermäßigten Grundbeitrag in Höhe von 75 bis 100 DM zu zahlen hatte.
Die Beitragsneuregelung war also aus Rechtsgründen und zur Herstellung von mehr Beitragsgerechtigkeit erforderlich und nicht etwa, um den Industrie- und Handelskammern mehr Einnahmen zu verschaffen. Tatsächlich sind auch die Haushaltsvolumina der Kammern, die das neue Beitragsrecht bereits eingeführt haben - das sind 50 von insgesamt 69 Indusrie-
und Handelskammern -, in den alten Bundesländern unverändert geblieben.
Ich bitte auch darauf Wert zu legen, daß nicht in allen Kammern, Frau Matthäus-Maier, dieses bereits umgesetzt ist.
Hier sind die einzelnen Vollversammlungen gefordert, Beschlüsse zu fassen und das dann umzusetzen.
- Fragen Sie mich doch! Sonst geht mir das von der Redezeit ab.
Die Kammern in den neuen Bundesländern werden dem neuen Recht erst nach Ablauf der Obergangsfrist am 31. Dezember 1997 unterworfen.
Meine Damen und Herren, in der politischen wie öffentlichen Diskussion über das neue Beitragsrecht wird oftmals verallgemeinernd wie irreführend von Beitragserhöhungen der IHKs gesprochen. An Hand
des Beispiels meiner Industrie- und Handelskammer, der für Niederbayern, die das neue Beitragsrecht ab 1. Januar 1996 einführen will, möchte ich verdeutlichen, daß dies an den Realitäten vorbeigeht.
Für 12 000 Gewerbetreibende - das sind immerhin ca. 95 % der bisherigen Beitragszahler - soll auf Grund der Erweiterung des Kreises der Beitragspflichtigen der Grundbeitrag gesenkt werden. Von einer „Umverteilung von oben nach unten", wie oftmals, so auch heute wieder von Ihnen, Herr Schwanhold, behauptet wird,
kann demzufolge überhaupt keine Rede sein.
Ich bestreite nicht, daß es dabei auch einige Problemfälle gibt, die es zu beseitigen gilt.
Aber wenn als Beispiel für die angebliche Ungerechtigkeit des neuen Beitragssystems Antiquitätenhändler oder Immobilienmakler angeführt werden, die jetzt einen jährlichen Kammerbeitrag von 2 000 DM zu zahlen haben, so hinken diese Beispiele.
Durchleuchten wir doch diese Fälle einmal etwas näher: Wer 2 000 DM im Jahr als Beitrag an die Industrie- und Handelskammer abführt, muß einen Gewerbeertrag von mehr als 500 000 DM erzielt haben. Wenn ein Betroffener eines solchen Berufszweiges bisher z. B. nur 100 oder 200 DM im Jahr zahlte, dann lassen sich hier durchaus 1 000 oder 2 000 % Beitragserhöhung errechnen, mit denen man dann - wie eben wieder geschehen und wie Sie das draußen unmittelbar vor Ort immer machen - Stimmung zu erzeugen versucht. Aber hier von sozialen Härtefällen zu reden, halte ich vor diesem Hintergrund für undiskutabel. Auch und gerade Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die immer wieder für eine stärkere Belastung der Besserverdienenden eintreten, müßten doch eigentlich begrüßen, daß auch diese Gewerbetreibenden durch die Gesetzesnovelle von 1992 zur Beitragszahlung herangezogen werden. Es ist dies ein Stück Gerechtigkeit.
Soweit es sich wirklich um Kleingewerbetreibende handelt, die neu in die Beitragspflicht einbezogen werden und einen Gewinn von unter 15 000 DM ausweisen, beträgt der Jahresbeitrag in der Regel weniger als 100 DM - bei meiner Kammer z. B. sind es 90 DM -, die zudem noch steuerlich als Geschäftsausgabe absetzbar sind. Also, Emotionen, zu wecken ist fehl am Platze. Vergessen wir eines nicht: Wenn ich Mitglied in einem Sportverein bin, dann zahle ich einen Mindestbeitrag von 10 DM monatlich; das sind 120 DM im Jahr. Das ist mehr, als in diesem Fall seitens der Kammern den einzelnen kleinen Gewerbetreibenden abverlangt wird.
Ernst Hinsken
Häufig wird von denjenigen Kammerzugehörigen, die nunmehr erstmals zu Beitragszahlungen herangezogen werden, der Einwand vorgebracht, sie hätten die Leistungen der Kammer nie in Anspruch genommen. Das kann individuell so sein. Aber die Aufgabenstellung ist größer. IHKs sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; sie erfüllen übertragene Aufgaben des Staates. Zudem wird der Staat bei Wirtschaftsförderungsmaßnahmen beraten und unterstützt, um so für seine Vorgaben auf wirtschaftlichem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit zu haben. Selbst wenn es zuträfe, daß ein kammerzugehöriges Unternehmen nie eine Leistung der Kammer, z. B. die in der Praxis so wichtige Unabkömmlichkeitsbescheinigung nach dem Wehrpflichtrecht, in Anspruch genommen hätte, die ihm sichtbar und meßbar einen einzelwirtschaftlichen Vorteil gebracht hätte, so hat es mit Sicherheit von den vielfachen, von dem Unternehmen vielleicht nicht wahrgenommenen Leistungen profitiert, die die Kammern bei der Vertretung gesamtwirtschaftlicher Interessen, z. B. in der Steuer- und Verkehrspolitik, oder im Rahmen der Wirtschaftsförderung, z. B. bei der Berufsbildung, der Regionalpolitik, der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs usw., für die Wirtschaft des jeweiligen Kammerbereichs erbracht haben.
Im übrigen sind IHKs eben keine Interessenvertreter wie die Verbände, sondern im Interesse der Wirtschaft Partner, Berater und Helfer des Staates und seiner Einrichtungen.
Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf noch folgendes sagen. Grundsätzlich möchte ich bemerken, daß ich die Initiative der SPD für völlig verfrüht halte. Das neue IHK-Gesetz ist nicht einmal eineinhalb Jahre in Kraft. Die Veranlagung für 1994 mußte auf Grund der Zahlen aus den Jahren 1991 und 1992 erfolgen, die eine völlig andere Konjunktursituation widerspiegeln.
Für den Fall, daß Beiträge im Verhältnis zum tatsächlichen Erhebungsjahr zu hoch veranschlagt sind, weil die Bemessungsgrundlagen aus Vorjahren stammen oder geschätzt wurden, ist zu beachten, daß dies durch Abrechnung nach vorliegenden endgültigen Bemessungsgrundlagen ausgeglichen wird. Die Kammern werden dann ohnehin zu einer Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur von Grundbeiträgen und Hebesätzen kommen.
Gründe, die eine gesetzliche Neuregelung rechtfertigen würden, liegen wegen fehlender praktischer Erfahrungen nicht vor. Der Gesetzentwurf ist deshalb als politische Reaktion auf vereinzelte, dafür aber um so lautstärkere Kritik derjenigen zurückzuführen, die entsprechend dem gesetzgeberischen Willen verstärkt zur Kammerfinanzierung herangezogen werden, was ich vorhin bereits an Hand verschiedener Beispiele darzulegen versuchte.
Ich bin davon überzeugt, daß der vorliegende SPD- Gesetzentwurf Auswirkungen hätte, die gegen die Beitragsgerechtigkeit verstoßen und deshalb von der Rechtsprechung als rechtswidrig angesehen würden. Die vorgesehenen Freigrenzen würden dazu führen, daß über 80 % der IHK-Zugehörigen beitragsfrei gestellt würden. Dies liefe auf die Wiederherstellung der alten Verhältnisse hinaus, die von der Rechtsprechung bereits als verfassungsrechtlich bedenklich bezeichnet worden sind.
- Ja sicher, Herr Kollege Schwanhold, ist das richtig.
Auch in der Wirtschaft gilt: Wenn Leistungen erbracht werden, auf die ein Anspruch besteht, dann muß dafür auch ein finanzieller Beitrag geleistet werden. Davon ist dieses Gesetz bestimmt.
Mit der Wiedereinführung der Gewerbekapitalsteuer als Kriterium für die Beitragsbemessung legen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eine Bemessungsgrundlage zugrunde, die es nach dem Willen der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen - das haben wir eben beschlossen - ab dem 1. Januar 1996 nicht mehr geben wird.
Nun weiß ich sehr wohl, daß Sie diese substanzverzehrende Sonderbelastung der deutschen Wirtschaft gerne beibehalten wollen. So gesehen handeln sie sogar konsequent.
Die Wiedereinführung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages als Beitragsbemessungsgrundlage würde aber dazu führen, daß die Kammerbeiträge nach zwei völlig unterschiedlichen Kriterien festgelegt werden müßten. Da in den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag nur Prozentteile des Gewerbeertrages und des Gewerbekapitals eingehen, beträgt der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag nur einen Bruchteil der Bemessungsgrundlagen „Gewerbeertrag" und „Gewinn aus Gewerbebetrieb".
Die Kammern müßten also, sollte Ihr Vorschlag, Herr Kollege Schwanhold, Gesetz werden, für die Umlageberechnung zwei unterschiedliche Hebesätze festlegen: einen für die Grundlage „Gewerbesteuermeßbetrag" und einen für die Grundlage „Ertrag" . Ich gehe davon aus, daß Ihnen Frau Kollegin Matthäus-Maier hier unter die Anne greift, damit Sie erkennen können, wo der Unterschied liegt.
Ernst Hinsken
Eine solche Regelung wäre nicht nur unpraktikabel und undurchschaubar, sondern würde zu noch mehr Bürokratie führen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie machen damit natürlich Ihrem Ruf als Regulierungs- und Bürokratismuspartei wieder alle Ehre.
Sie heißen nicht nur Sozialdemokratische Partei, sondern ich möchte sagen: Sozialbürokratismuspartei.
Die in Ihrem Entwurf vorgesehene Deckelung des Beitragsaufkommens würde zugleich zu einer Dekkelung der Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Industrie- und Handelskammern führen. Mit der Begrenzung des Beitragsaufkommens auf die Hälfte der sonstigen Einnahmen der Kammern soll erreicht werden, daß sich die Kammern möglichst weitgehend aus Service-Leistungen für Unternehmen finanzieren.
- Herr Kollege Schwanhold, Sie haben die Möglichkeit zu fragen. Bitte schön!
Nach meiner Meinung sollte eine Änderung des 1993 beschlossenen Kammergesetzes nicht erfolgen. Allerdings wäre es zu begrüßen, wenn der Gegenwert der von den Unternehmen zu zahlenden Kammerbeiträge erhöht würde. Das könnte z. B. dadurch geschehen, daß man den Kammern Funktionen überträgt, die heute vom Staat oder Institutionen der öffentlichen Hand wahrgenommen werden.
Ein Beispiel hierfür ist die Privatisierung des Handelsregisters. Warum muß das der Staat machen? Warum muß das die Justiz machen? Wir haben in verschiedenen europäischen Ländern bereits heute private Gesellschaften, die die Handelsregister führen: in Italien, in den Niederlanden. Der Zwischenbericht einer Kienbaum-Studie kommt zu dem Ergebnis, daß nicht nur aus Kostengründen, sondern auch wegen der Informationsversorgung der Wirtschaft eine Privatisierung des Handelsregisters in Richtung auf die Industrie- und Handelskammern sinnvoll wäre. Diese würde mittelbar auch dazu führen, daß eine Beitragsentlastung entstünde.
- Ja, Herr Kollege Weng, wenn Sie mich hier unterstützen. Ich bin gerne bereit, in dieser Richtung zu marschieren. Das entspricht genau unseren Grundsätzen: Nur so viel Staat wie unbedingt erforderlich
und so viel wirtschaftliche Freiheit wie irgend möglich.
Ich hoffe, daß die SPD dem gerecht wird, was sie uns in dieser Angelegenheit abverlangt, daß sie mit an einer Leine zieht und mitmarschiert.
Herr Kollege Hinsken, Sie müssen zum Schluß kommen.
Verehrte Kollegen von der SPD - das sind meine Schlußsätze; der Herr Präsident mahnt bereits -, Ihr Vorschlag würde die Kammern zu einer Maximierung ihrer Gebühren und Entgelte zwingen. Bisher haben die meisten Kammern auf die Erhebung von kostendeckenden Entgelten verzichtet, weil sie der Ansicht sind, daß eine Vollkostendeckung aus wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Gründen nicht angezeigt ist. Gerade in dem politisch so wichtigen Bereich der Berufsbildung -
Bitte, Herr Kollege, Sie müssen zum Schluß kommen.
- subventionieren die meisten Kammern die Verwaltungsaufwendungen aus Beitragsmitteln, weil sie diese Aufgabe als nicht nur im Interesse der ausbildenden Betriebe, sondern auch und gerade im gesamtwirtschaftlichen Interesse liegend sehen.
Ich hätte dazu noch viel zu sagen, aber das können wir im Wirtschaftsausschuß ausführlich diskutieren. Ich möchte es vorerst bei dem belassen. Mein Kollege Friedhelm Ost wird meine Ausführungen sicherlich diesbezüglich ergänzen, um Ihnen den Nachhilfeunterricht zu erteilen, daß Sie mit Ihrer Aussage falsch liegen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Abgeordnete Margareta Wolf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine Bemerkung der Kollegin Fischer von gestern aufgreifen. Sie sagte: Es gibt gewisse Debatten, die in den Ausschuß gehören. - Wir sitzen hier am frühen Freitagnachmittag. Die anwesenden Kolleginnen und Kollegen kommen in aller Regel aus dem Wirtschaftsausschuß. Ich denke, wir sollten im Rahmen der Parlamentsreform dazu kommen - ohne Ihnen, Herr Hinsken, zu nahe treten zu wollen; Ihre Debattenbeiträge werden sicherlich
Margareta Wolf
gerne gehört -, diese Art von Debatten im Ausschuß zu führen.
- Sie haben doch gerade erst geredet.
Darauf, daß die Umverteilung von Beitragslasten zu massiven Protesten des Mittelstandes und des Kleingewerbes geführt hat, Herr Hinsken, hat Herr Schwanhold schon hingewiesen.
Ich denke, das ist auch kein Wunder. Vielleicht sollte es Sie nachdenklich stimmen, wenn Sie inzwischen nicht mehr Hunderte von Protestbriefen, sondern nur noch zustimmende Briefe aus dem Bayerischen bekommen.
Die Art der Beitragsnovellierung erinnert mich von der Struktur her fatal an die Debatte, die wir vorhin in einem etwas größeren Kreise in diesem Hause geführt haben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinsken?
Bitte schön, Herr Hinsken.
Frau Kollegin Wolf, da ich keine, oder wenn überhaupt, nur ganz wenige Protestbriefe bekommen habe, würde ich Sie bitten, mir die Hunderte von Briefen, die Sie bekommen haben, zur Verfügung zu stellen, damit ich sie sichten kann. Wären Sie dazu bereit?
Ja, dazu bin ich bereit. Sie bekommen sie nächste Woche.
Ich habe sie zwar schon beantwortet, aber Sie können das noch einmal tun. Das ist eine gute Idee.
Wir sollten einmal überlegen, ob die Beitragsnovelle nicht vielleicht ein Investitionshemmnis darstellt. Wir wissen alle, daß Existenzgründungen in den seltensten Fällen von Beginn an ertragreiche Unternehmen hervorbringen. Daher neige ich dazu, zu glauben, daß diese Beitragsnovelle perspektivisch tatsächlich ein Investitionshemmnis sein kann.
Ich finde es erstaunlich, Herr Kolb, daß ausgerechnet unser Bundeswirtschaftsminister für eine so mittelstandsfeindliche IHK-Beitragsordnung verantwortlich zeichnet. Inzwischen ist es aber so, daß die Indizienhäufung seine Sonntagsreden als Luftblasen entlarvt.
Die Bundesregierung, die IHKs und ihre Dachorganisation, der DIHT, versuchen - darauf ist hingewiesen worden -, uns die Beitragsnovelle als einen Schritt zu mehr Beitragsgerechtigkeit zu verkaufen.
Sie verweisen darauf, daß das Beitragsaufkommen der IHKs jetzt auf eine größere Zahl von Unternehmen verteilt würde. Das wäre nach meinem Gerechtigkeitsbewußtsein jedoch nur dann gerecht, wenn die Unternehmen in dem Maße belastet würden, wie sie tatsächlich Leistungen der IHKs in Anspruch nehmen.
Klein- und Mittelbetriebe, die jetzt verstärkt zahlen müssen, greifen auf das Serviceangebot in der Regel gar nicht zurück, weil es vor allem auf die Bedürfnisse der großen und größeren Betriebe zugeschnitten ist.
Was die Vertretung der Interessen der KMU betrifft, so sind sie mit der IHK häufig sehr unzufrieden. Wie sonst wäre es zu erklären, daß 53 % der mittelständischen Unternehmen gerne aus der IHK austreten würden, wenn sie könnten, und daß sich gegen die Zwangsmitgliedschaft in der IHK sogar 73 % der Unternehmen ausgesprochen haben? Angesichts solcher Umfrageergebnisse sollten wir doch lieber darüber nachdenken, wie die Angebote der IHKs für ihre Mitglieder attraktiver gemacht werden können - dies gerade unter den Stichwörtern „ Verschlankung" und „Effektivierung".
Der heute zu beratende Gesetzentwurf der Fraktion der SPD will die Nachteile für die KMU durch die IHK-Beitragsnovelle rückgängig machen. Meine Fraktion unterstützt diesen Entwurf ausdrücklich.
Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß es dringend erforderlich ist, eine grundsätzliche Debatte darüber zu führen, wie der Status der IHK in Zukunft aussehen sollte. Die IHKs müssen sich zu modernen Dienstleistungsunternehmen wandeln. Die Zwangsmitgliedschaft erscheint mir hier als ein Relikt aus grauer Vorzeit.
Es gibt sehr viele Beispiele dafür, daß Wirtschaftsverbände auch ohne Zwangsmitglied effektiv, vielleicht sogar effektiver, die Interessen ihrer Mitglieder vertreten und dabei sogar noch hoheitliche Aufgaben erfüllen. Dabei denke ich beispielsweise an die Technischen Überwachungsvereine und die Außenhandelskammern. Nicht zuletzt sind die Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmerschaft auch ohne Zwangsmitgliedschaft tarifvertragsfähig. Zudem sind sie auch noch Bildungsurlaubsträger. - Ich denke, darüber sollten wir nachdenken.
Die IHKs der Zukunft müssen unserer Meinung nach zu einer leistungsorientierten Beitragsordnung finden. Für projektgebundene Sonderleistungen werden KMU genauso wie die Großindustrie gerne bezahlen. Für die hoheitlichen Aufgaben lassen sich, wie schon die vorher erwähnten Beispiele zeigen, auch andere Finanzierungsmöglichkeiten finden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Nein; ich möchte jetzt fortfahren.
Ich muß Ihnen auch sagen, meine Damen und Herren: Ich verstehe nicht, was gegen eine Kammervielfalt spricht. Ein Grundprinzip der Marktwirtschaft, Herr Hinsken und Frau Wöhrl, heißt doch: Konkurrenz belebt das Geschäft. Die vielen Unternehmensverbände, die sich in letzter Zeit neben den IHKs gründen - hier möchte ich auf die uns nahestehenden hinweisen: Future, B.A.U.M. und UnternehmensGrün -
- die können sie doch trotzdem erfüllen - und für die deren Mitglieder sogar zusätzliche Beiträge zahlen, zeigen, daß die IHKs in ihrer jetzigen Form dabei sind, die neuen Herausforderungen unserer Wirtschaft zu verschlafen.
Diese Herausforderungen liegen darin, eine integrierte, zukunftsorientierte Strukturpolitik zu konzipieren, die eine innovative, ökologische und nachhaltige Produktionsentwicklung gewährleistet. Hierbei entstehen neue Aufgaben und auch Chancen für die Kammern. Ohne ein leistungs- und nachfrageorientiertes Dienstleistungsangebot, das weit bedarfsorientierter ist als das, was die IHK heute anbietet, ist dieser Schritt nicht zu machen.
Ich befürchte bei dem, was wir diskutieren, eher, daß es darum geht, die Machtausweitung der IHKs zu sichern, um eine Kammerkonkurrenz in der Bundesrepublik zu verhindern und somit die Großbetriebe weiter zu begünstigen. Der DIHT hat verblüffend ehrlich durch seine Sprecherin verlauten lassen - ich zitiere den „Focus" -: „daß etwa MercedesBenz weniger bezahlen muß, ist auch ganz im Sinne des Gesetzes". Ich denke, das ist eine deutliche Sprache.
Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Paul Friedhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Regelung der Beitragserhebung der Industrie- und Handelskammern ist heute unser Thema.
Frau Wolf, ich habe bei dem, was Sie vorhin erzählt haben, überlegt, in welcher Kammer Sie wohl tätig sind bzw. wo Sie Ihre Informationen herhaben. Mit dem, was Sie hier erzählt haben, haben Sie sich als Anwalt des Mittelstandes und anderer Interessenvertretungen präsentiert. Wenn Sie einmal in einer Kammervollversammlung sind, werden Sie jedoch sehen, daß die Wirklichkeit etwas anders aussieht als das, was Sie hier abgeliefert haben.
Die Sozialdemokraten sind findige und ausdauernde Menschen. Wenn sie sich einmal in ein populistisches Thema verbissen haben, widmen sie sich ihm an vielen Fronten. Sie tun dies auch dann, wenn eigentlich sehr viel von dem, was sie hier verkünden, dagegen spricht.
Uns liegt ein Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern vor. Und siehe, die SPD will hier zurück zu einer Lösung, die auch das Gewerbekapital wieder in die Bemessungsgrundlage der Beitragserhebung einbezieht. Das ist nach den Ergebnissen von heute morgen konsequent und zeigt deutlich, wohin die Reise gehen soll.
Nun lassen Sie uns einmal gemeinsam auf die Fakten hinter der Wortmeldung der Opposition schauen. Warum haben wir 1992 das neue Beitragsrecht beschlossen? Die Anknüpfung der Kammerbeiträge an die Handelsregistereintragung und an die Gewerbesteuermeßbeträge im alten Beitragsrecht hatten dazu geführt, daß von den ungefähr 1,5 Millionen nicht im Handelsregister eingetragenen Kammerzugehörigen 1,1 Millionen überhaupt keinen Beitrag und die restlichen 400 000 nur den ermäßigten Grundbeitrag zahlen mußten.
Von Beitragsgerechtigkeit konnte dort keine Rede sein. Ich gehöre selbst einer Kammervollversammlung an. Gelegentlich hat man schon das Gefühl, daß der, der die Musik bezahlt, auch ein wenig den Song bestimmt, der dort gespielt wird. Daher waren wir gut beraten - auch die Gerichte haben die Beitragszahlungen so, wie sie ausgestaltet waren, für nicht vereinbar mit dem Prinzip der Beitragsgerechtigkeit erklärt -, eine Änderung durchzuführen.
Der Regelungsbedarf ergab sich also nicht aus der Gier der Kammern nach neuen Mehreinnahmen, sondern auf Grund der Korrektur, die dringend erforderlich war. Ganz am Rande muß man deutlich machen, daß die Kammern im Grundsatz nicht mehr Beiträge erhalten, sondern daß die Beitragsregelung tatsächlich zu einer Verschiebung und gleichmäßigeren Verteilung geführt hat.
Das neue Beitragsrecht orientiert sich am Gewerbeertrag, einem brauchbaren Maßstab für die Leistungskraft eines Unternehmens. Auf die Einbeziehung des Gewerbekapitals haben wir damals bewußt verzichtet; denn im Gegensatz zur Opposition halten wir bei den Unternehmen von einem an der Substanz orientierten Beitrag überhaupt nichts.
Die Erfahrungen mit der neuen Beitragsordnung sprechen nicht dafür, etwas zu ändern. Die weitaus meisten der bisher beitragsfreien Kammerzugehörigen zahlen den Mindestgrundbetrag von ca. 100 DM. Dort, wo selbst diese Zahlungen nicht tragbar erscheinen, bedienen sich die Kammern einer großzügigen Erlaßpraxis.
Paul K. Friedhoff
Die SPD beklagt in ihrem Gesetzentwurf, daß das gültige Beitragsrecht in Einzelfällen zur Vervielfachung von Beiträgen geführt habe. Natürlich gibt es die Fälle des gut verdienenden Handelsvertreters, der - nicht im Handelsregister eingetragen - nach der Umstellung ein Vielfaches des Beitrags zahlt, den er nach der alten Regelung zu entrichten hatte. Ich wundere mich aber sehr, daß Sie das beklagen, denn sonst mobilisieren Sie sehr viel Phantasie, um wirtschaftlich erfolgreichen Menschen möglichst viel von dem Geleisteten zu nehmen,
aber hier möchten Sie eine Regelung abschaffen, die sich an der Leistungsfähigkeit orientiert. Sie haben völlig recht, das ist dummes Zeug, aber Sie tun es, Frau Matthäus-Maier.
Auch wir finden, daß das dummes Zeug ist.
Ich jedenfalls freue mich über jeden Menschen, der - an seiner Leistungsfähigkeit gemessen - so viel zum Beitragsaufkommen der Kammern wie jene gut verdienenden Handelsvertreter beitragen kann. Ich wollte, es gäbe noch mehr solche Menschen, denn dann ginge es, glaube ich, unserem Land insgesamt besser.
Im übrigen weiß ich aus meinem eigenen Kammerbezirk, daß auch dort eine intensive Informationsarbeit dazu geführt hat, daß die Beschwerden gegen die Neuregelung erheblich abgenommen haben. Aber wenn man etwas neu einführt, ist es in der Regel so, daß zu Beginn große Aufregung herrscht. Meistens legt sich das, und das ist auch hier so gewesen.
Die Sozialdemokraten fordern die Umstellung der Beitragsfinanzierung auf eine Entgeltfinanzierung. Sie behaupten, eine solche Umstellung führe zu einer besseren Leistungszurechnung. Ich kann das nicht erkennen. Natürlich besteht doch auch heute schon ein beachtlicher Anteil der Einnahmen der Kammern aus berechneten Leistungen. Dabei soll es auch bleiben. Aber es kann eben nicht nur darauf umgestellt werden.
Die Aufgaben im Bereich der gesamtwirtschaftlichen Interessenvertretung, der Wirtschaftsförderung und anderer Leistungen, die sonst der Staat übernehmen müßte, erfordern eine Beitragshoheit der Kammern, die alle Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit einbezieht. Wollen Sie etwa den in der Ausbildung tätigen Betrieben die Kosten, die durch die Ausbildung entstehen, zusätzlich aufbürden, die natürlich die Kammern durch ihre Leistungen, die sie an der Stelle erbringen, von den ausbildenden Betrieben einnehmen müßten? Ich glaube, das geht zu weit. Das kann man deswegen nicht ohne einen an der Leistungsfähigkeit orientierten Einnahmesatz verhindern.
Ich glaube, der. Vorschlag der SPD würde letztlich zur Aushöhlung des Kammerwesens und zur Verlagerung von Aufgaben auf den Staat führen. Das mag ja die Absicht der Sozialdemokraten sein. Wäre dies anders, will' de es mich aber auch nicht besonders wundern.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion steht für den Erhalt eines guten und bewährten Stücks der Selbstverwaltung der deutschen Wirtschaft. Wir wollen nicht, daß noch mehr Aufgaben dem Staat zufallen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Rolf Kutzmutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vermag nicht einzuschätzen, wer wann wen über den Tisch gezogen hat. Ich war bei der damaligen Debatte nicht dabei. Deshalb habe ich im Protokoll nachgelesen und gefunden, daß die jetzt gültige Regelung 1992 mit Zustimmung der Koalitionsparteien und einiger SPD-Abgeordneter beschlossen worden ist.
Es wurde hier schon angesprochen, daß die Regelung festlegt, daß jeder Kammerangehörige - gleich welcher Branche und Größe - einen Beitrag zu zahlen hat, der am Gewerbeertrag gemessen wird. Diese Regelung erscheint mir gerechter als ihre Vorläuferin, denn in der Tat möchte ich sehr gern bestätigen - zumindest für den Bereich, den ich kenne -, daß die IHK eine für Gewerbetreibende umfangreiche Arbeit leistet. Auch wenn Mitglieder die Kammer nicht direkt in Anspruch nehmen, profitieren doch alle von deren Arbeit. Allerdings - das will ich hier einschränkend sagen - ist tatsächlich darüber nachzudenken, welche Art von Freigrenzen bzw. Bemessungsgrenzen insgesamt für die Beiträge festgelegt werden.
Tatsache ist, daß die Kammern wesentlich billiger, schneller und sachgerechter arbeiten, als es extra einzurichtende staatliche Einrichtungen jemals tun könnten. Tatsache ist natürlich auch, daß sich die gesamte Arbeit der Kammern als Vorteil beim einzelnen Unternehmen messen läßt. Aber es gibt eine Vielzahl von Leistungen, die besonders kleinen Unternehmen helfen. Ich denke an die Vielzahl von Beratungsangeboten, die von den Betroffenen noch viel stärker genutzt werden sollten.
Für mich - das will ich gern eingestehen - sind die Zahlen der Beitragssteigerungen in der Begründung des vorliegenden Antrags im Moment noch nicht
Rolf Kutzmutz
schlüssig. Es wurde hier schon auf Beispiele verwiesen. Ich meine, es ist nicht gerechtfertigt, unter kleinen Gewerbetreibenden sowohl den Kioskbetreiber als auch den Handelsvertreter zu erfassen. Ich glaube, daß zwischen diesen beiden Unternehmern ein gehöriger Unterschied besteht.
Mein Herz schlägt für den Kioskbetreiber. Deshalb bin ich natürlich auch für eine Überprüfung der Beitragssätze. Aber, wie gesagt, die Vermischung bringt hier keine größere Klarheit.
Auch wenn der Pflichtbeitrag 1962 vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist, bin ich der Auffassung, daß es tatsächlich an der Zeit ist, zu prüfen, ob die Pflichtbeiträge noch in diese Zeit passen. Es gäbe die Möglichkeit, daß die IHKs, die bisher nicht entsprechend arbeiten, ihre Arbeit entsprechend umstellen. Allerdings erscheint mir die Umstellung auf eine Finanzierung durch Entgelte für konkrete Leistungen, die Sie anmahnen, fragwürdig. Auch dazu ist schon etwas gesagt worden. Nehmen Sie allein das Problem von Prüfungen im Rahmen der Berufsausbildung. Rund 500 000 werden im Jahr durchgeführt. Wer soll die bezahlen? Jene IHK-Mitglieder, die ausbilden, oder jene IHK-Mitglieder, die nicht ausbilden, oder gar die Auszubildenden?
Wir Demokratischen Sozialisten halten den Anstoß zu einer Überprüfung der Bemessung der IHK-Beiträge, wie er von der SPD-Gesetzesinitiative ausgeht, für gerechtfertigt. Allerdings würden wir sehr gern weitere Zahlen zu Rate ziehen können. Ich nehme den Vorschlag gern auf, dies im Wirtschaftsausschuß zu tun. Dieser Anstoß ist auch deshalb notwendig, weil die Kammerbeiträge von Region zu Region viel zu unterschiedlich sind. Im Durchschnitt sind es 0,4 % des Gewerbeertrags, die an die Kammer gezahlt werden. Aber Sie alle kennen den Witz mit dem Durchschnitt und dem konkreten Einzelfall: Der Graben war im Durchschnitt 80 cm tief, trotzdem ist die Kuh darin ersoffen.
Im übrigen ist es doch wohl so, daß nicht alle Kammern in den alten Bundesländern auf das neue Beitragsrecht umgestellt haben. Diejenigen, die sich einer Umstellung verweigert haben, wurden als Argument dafür herangezogen, daß die Regelung nicht angenommen wird. In den neuen Bundesländern dagegen werden alle Mitglieder veranlagt. Zum Teil wird mit Freigrenzen gearbeitet, die deutlich über denen liegen, die durch den Gesetzentwurf verankert werden sollen.
Noch einmal und abschließend: Die heutige Debatte erinnert stark an jene im November 1992. Offensichtlich sind keine neuen Argumente pro oder contra und auch keine neuen Fakten hinzugekommen.
- Herr Hinsken, irgendwann brauchen Sie einen Spickzettel für Zwischenrufe, weil man sie einfach dann machen sollte, wenn sie einen Sinn haben.
Im Prinzip widersprechen wir beide uns doch nicht. Ich sage, daß nach etwas über einem Jahr gar keine konkreten Zahlen vorliegen können, die beweisen, daß die eine oder die andere Lösung besser ist. Ich verweise darauf, daß wir gerade auf diese Zahlen abheben sollten. Deshalb halte ich Ihren Zwischenruf eigentlich für unsinnig.
Die Gruppe PDS/Linke Liste hat 1992 die Gesetzesänderung abgelehnt. Ich sehe den Ausschußberatungen erwartungsvoll entgegen, hoffend auf neue und überzeugende Fakten.
Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Friedhelm Ost.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von der Opposition wird heute wieder viel Lärm um nichts gemacht. Herr Kollege Schwanhold hat das - ein bißchen im Blick auf die Landtagswahl vor allem in Nordrhein-Westfalen - inszeniert.
Lieber Kollege Schwanhold, wenn man Sie gehört hat, hat man das Gefühl, Sie wollen die Erbfolge von Monsieur Poujade antreten und sozusagen neuer Präsident der Poujadisten werden. Dieses Thema eignet sich dafür nicht.
Frau Kollegin Wolf, auch Sie haben maßlos übertrieben. Wohl deswegen sind Sie gegangen. Auch werfen Sie alles durcheinander, nämlich IHKs, Wirtschaftsverbände, TÜV, Vereine und was es da alles gibt.
Ich denke, dieses Thema eignet sich nicht - darüber sollten wir uns einig sein - für eine Neiddiskussion, für die Mobilisierung der sogenannten Kleinen und Mittleren gegen die Großen. Wir müssen sehen, daß die Sache im Prinzip überhaupt nicht spruchreif ist.
Nach der Neuregelung der Beitragsordnung, die der Deutsche Bundestag in der vergangenen Legislaturperiode - Gott sei Dank mit einigen Stimmen der SPD - beschlossen hat, haben 1994 erst 44 der 83 Kammern die Neuregelung eingeführt. In diesem Jahr sind sechs hinzugekommen. Die letzten stellen im nächsten Jahr um. Wir sollten erst einmal abwarten. In den neuen Bundesländern kann die Regelung frühestens 1998 umgesetzt werden. Wer das Gesetz, das wir verabschiedet haben, genau liest, sieht, daß im Gesetz schöne Übergangsfristen festgelegt sind.
Friedhelm Ost
Deshalb sollten wir abwarten. Es ist darauf hingewiesen worden, daß es natürlich hier und da typische Anfangsprobleme gibt, die aber dort, wo es umgesetzt wird, recht schnell beseitigt worden sind.
Lieber Herr Kollege Schwanhold - -
- Panik hat in dieser Sache doch keinen Zweck. Deswegen ist es ja auch gut, daß Sie das ganz ruhig dargelegt haben. Wissen Sie, Ihre Vorschläge bedeuteten, übertragen auf den berühmten Fußballverein der Stadt, aus der Sie kommen, den VfL Osnabrück, daß Sie demnächst Eintritt erst nach dem Spiel bezahlen, bemessen nach geschossenen Toren, gekappt um Gegentreffer und mit Freibeträgen für Abseitspositionen.
Ich denke, wir sollten das nicht so kompliziert machen.
- Bei Borussia Dortmund lohnt es sich, schon vorher den Eintritt ohne Kappung und ohne Begrenzung zu bezahlen.
- Nein, nein.
Sie müssen doch jetzt erklären, warum ein mittelständischer Industriebetrieb mit einem Gewerbeertrag von 150 000 DM im Jahr bisher schon einen Beitrag in Höhe von 1 800 DM an seine IHK bezahlt, während z. B. - ich nenne einmal diese Berufsgruppe, weil ich sie gerne mag - ein Versicherungsagent mit demselben Gewerbeertrag vielleicht 80 oder 100 DM bezahlt. Sie sind doch sonst immer für Gleichheit. Sind Sie dann nicht auch dafür, daß die Ungleichheit hier beseitigt wird?
Zu Recht ist das doch gesagt worden.
- Nun kommen Sie einmal von Ihrem alten Vorurteil herunter; das interessiert doch auch immer Ihre Kollegin so sehr. Daß die Gewerbekapitalsteuer auch weiterhin in die Bemessung einbezogen werden soll, dafür sind Sie von der SPD doch.
- Nein, das ist eben nicht sinnvoll, weil die Gewerbekapitalsteuer so unsinnig ist; Sie haben das heute morgen noch nicht begriffen.
Die Bemessungsgrundlage „Gewerbekapitalsteuer" bezieht doch Schulden mit ein. Sie wollen also auch bei den Industrie- und Handelskammern Abgaben auf Schulden bezahlen lassen, und das demnächst auch in den neuen Bundesländern. An der Stelle schreien Sie dazwischen: Was soll in den neuen Bundesländern sein? Da müssen Sie doch dafür sein, daß die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft wird. Sie können sich das ja noch nach der Landtagswahl überlegen.
Nun hat der Kollege Jens, dem wir gute Genesungswünsche auch von hier aus übermitteln,
natürlich das ganze Thema mit Blick auf die Industrie- und Handelskammer Duisburg hochgebracht. Der Kollege Friedhoff ist Mitglied dieser Kammer, und er hat ja das Nötige dazu gesagt: daß nämlich die beschlossene Neuregelung inzwischen von allen Firmen akzeptiert worden sei, nachdem Aufklärung und Beratung stattgefunden haben.
Ich sage Ihnen auch einmal eines: Manche Schwierigkeiten sind schon auf dem Verwaltungswege gelöst worden. Es gab z. B. Schlangen vor Gewerbeämtern, weil viele Besitzer von Einkaufsausweisen für Großhandelsbetriebe ihren Ausweis zurückgegeben haben, da sie eigentlich kein richtiges Gewerbe betreiben und nun nicht auch noch einen Beitrag zur Industrie- und Handelskammer bezahlen wollten.
Solche Mißbräuche abzustellen, hilft doch dem mittelständischen und vor allem dem kleinen Einzelhandel mehr
als die Tiraden der SPD über horrende Beitragserhöhungen oder Belastungen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, lieber Herr Kollege Schwanhold, gehen Sie wirklich einmal Einzelfällen nach! Dann sehen Sie, daß Sie viele Trittbrettfahrer aufspüren können,
die alle Leistungen beanspruchen, dafür aber keine Beiträge bezahlen wollen. Auch ich habe natürlich Briefe bekommen, nicht massenweise und nicht Hunderte, aber einige wenige. Wir können sie gemeinsam analysieren; dann werden Sie auch sehen, daß viele als Trittbrettfahrer geschrieben haben. Einer hat nicht einmal das Porto daraufgeklebt.
Sie haben aber schon einen Rückzieher oder einen halben Rückzieher selbst gemacht. Erst wollten Sie auch die Pflichtmitgliedschaft abschaffen. Das ist Ihnen aber zu heiß geworden, weil Sie dann ja eben
Friedhelm Ost
nicht bei den Industrie- und Handelskammern stehenbleiben könnten
- doch, das war aus der SPD zu hören -, sondern auch Handwerkskammern und andere Kammern hätten einbeziehen müssen. Es ist gut, daß Sie sie nicht mehr verprellen wollen und davon abgerückt sind.
Gerade die Industrie- und Handelskammern - das muß doch gesagt werden - leisten für unser Gemeinwesen enorm viel. Im Rahmen der Selbstverwaltung sollten wir ihnen in der Tat noch mehr Aufgaben übertragen, lieber Herr Kollege Ernst Hinsken.
Wir sparen doch beim Staat Geld und können dann die Steuern und Abgaben staatlicherseits senken. Es ist also nicht nur die Wirtschaft, die diese Kammern braucht, sondern auch der Staat braucht diese Kammern, damit sie uns entlasten. Außerdem wird die Eigenverantwortung der Unternehmen in den Industrie- und Handelskammern gestärkt.
Von Ihrer Seite, lieber Herr Kollege Schwanhold, war von „Monopolrente„ die Rede. Sie müssen doch sehen, wie Industrie- und Handelskammern organisiert sind. Sie kennen das doch aus eigenem Erleben. Die Mitglieder wählen ihr Parlament - das ist ganz demokratisch -, und dieses Parlament der Kammer entscheidet auch über die Höhe der Beiträge. Unser Gesetz gibt doch nur einen Rahmen vor, so daß man in der Tat fragen muß, wo eigentlich das Monopol ist, das immer beschworen wird.
Schließlich möchte ich sagen, daß diese Neuregelung nicht nur von den Kammern und von der Regierungskoalition gewünscht worden ist, sondern daß auch das Bundesverwaltungsgericht - darauf ist hier bereits hingewiesen worden - die frühere Regelung für unbillig und nicht leistungsgerecht erklärt hat.
Deshalb muß ich sagen: Wenn die Wünsche der SPD realisiert würden, würden 80 % der Kammermitglieder von Beiträgen freigestellt. Das würde nicht dem Spruch des Bundesverwaltungsgerichts entsprechen. Das wäre weder rechtlich noch mittelstandspolitisch haltbar.
Deshalb lassen Sie mich zum Schluß sagen: Mein Vorschlag: Lassen Sie uns diese Neuregelung erst ein paar Jahre praktizieren! Dann sammeln wir Erfahrung. Eine Überprüfung der Beitragssätze wird in den Kammern selber erforderlich sein. Ich denke, auch eine Überprüfung der Leistungen, eine Verbesserung der Leistungen der Industrie- und Handelskammern sollten wir anmahnen, wo sie anzumahnen ist.
Dann werden wir sicherlich auch darüber sprechen müssen, ob eine Adjustierung der Beiträge notwendig und erforderlich ist. Jetzt besteht kein Handlungsbedarf.
Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Heinrich Kolb.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um Sie nicht lange auf die Folter zu spannen: Die Bundesregierung hält es, auch im Lichte der heutigen Debatte, nicht für angebracht, die Beitragsreform für die Industrie- und Handelskammern von 1992 zu revidieren.
Ich will Ihnen dies mit einigen Überlegungen untermauern.Ziel der Beitragsreform war eine größere Beitragsgerechtigkeit. Jeder Kammerzugehörige soll nach seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu einem Kammerbeitrag herangezogen werden. Die Beitragsbemessung wurde - das ist wichtig und hier auch zu verteidigen - vom Gewerbekapital abgekoppelt und auf den Gewerbeertrag bzw. Gewinn umgestellt. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Maßstäbe, die die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens am zuverlässigsten widerspiegeln.Die Reform war notwendig, weil das Bundesverwaltungsgericht erhebliche verfassungsrechtliche Risiken der früheren Beitragsregelungen festgestellt hatte. Bei dieser, Sie wissen das, waren die Kleingewerbetreibenden von der Beitragspflicht freigestellt. Die Hauptlast der Finanzierung der Kammeraufgaben wurde von weniger als einem Drittel der Kammermitglieder getragen.Ich will auch von den aktuellen Erfahrungen berichten. Von den 83 Kammern im Bundesgebiet wenden jetzt 44 Kammern, nämlich die, die eine sogenannte Gegenwartsveranlagung durchführen, das neue Beitragsrecht an. Dabei zeigt sich, daß das neue Beitragsrecht - das gilt nicht nur für die Kammer des Kollegen Hinsken, sondern generell - grundsätzlich aufkommensneutral ist, also nicht zu höheren Einnahmen für die Kammern führt. Ich glaube, es ist wichtig, das hier festzuhalten.
Die Beitragsstruktur verändert sich. Der Antrag der Grundbeiträge wird größer. Der Umlageanteil sinkt. Bei der überwiegenden Mehrheit der kammerzugehörigen Kleingewerbetreibenden beschränkt sich die Beitragsbelastung auf die Entrichtung des niedrigen Jahresgrundbeitrages zwischen 70 und 150 DM. Ich finde es schon sehr verwunderlich, wenn von der einen Seite des Hauses so getan wird, als ob damit die Existenz eines Unternehmens aufsParl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. KolbSpiel gesetzt wäre. Ich bin gerne bereit, Herr Kollege Schwanhold, Sie bei nächster Gelegenheit, wenn Sie andere Gesetzesvorschläge vorlegen, die zu erheblich höheren Belastungen des Mittelstandes führen, an die heute vorgetragene hehre Pose zu erinnern.
Es ist einzuräumen, daß in Einzelfällen - das ist hier gesagt worden - zum Teil nicht unerhebliche Beitragserhöhungen aufgetreten sind. Im Vergleich zur Gesamtzahl aller Unternehmen geht es aber nur um wenige Fälle. Es wäre sicherlich überzogen, deshalb die gesamte Beitragsreform in Frage zu stellen.
Von Beitragssteigerungen sind vor allem die nicht in das Handelsregister eingetragenen Unternehmen betroffen, hier insbesondere, wie richtigerweise gesagt wurde, die Handelsvertreter, die hohe und höchste Betriebsergebnisse erzielt haben. Nach bisherigem Beitragsrecht sind solche leistungsstarken Unternehmen lediglich wegen der nicht erforderlichen Handelsregistereintragung von höheren Beiträgen verschont geblieben. Diese Begünstigung zu Lasten der übrigen Beitragszahler ist durch die Beitragsreform von 1992 beseitigt worden.Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Ich habe sehr große Sympathien für den wichtigen Stand der Handelsvertreter, aber ich glaube, daß dieses Ergebnis durchaus zumutbar ist. Im übrigen sind nach Kenntnis der Bundesregierung aufgetretene Härtefälle von den Kammern großzügig durch Stundung, Niederschlagung oder Erlaß der Beiträge behoben worden.Nun noch einige Anmerkungen zu den Änderungsvorschlägen der SPD:Erstens. Der Vorschlag der SPD geht weit über das von Ihnen deklarierte Ziel einer Entlastung der kleineren und mittleren Unternehmen hinaus. Er führt zu dem Zustand vor der Beitragsreform zurück, der vom Bundesverwaltungsgericht als rechtswidrig beanstandet worden ist. Auf Grund der SPD-Vorschläge würden noch mehr Kammermitglieder als vor der Beitragsreform beitragsbefreit sein, also würden noch weniger Mitglieder die Beitragslast zu tragen haben. Die Folgen wären erhebliche Beitragsausfälle bei den Kammern und höhere verfassungsrechtliche Risiken infolge neuer Beitragsungerechtigkeiten.Zweitens. Die Wiedereinführung einer Beitragsbemessungsgrundlage Gewerbesteuermeßbetrag bedeutet, daß auch das ertragsunabhängige Gewerbekapital wieder zur Bemessung der Umlagen herangezogen würde. Das ist genau der falsche Weg. Es geht darum, Substanzbelastungen zu vermeiden und Zahlungen aus der Substanz heraus abzuschaffen. Lieber Kollege Schwanhold, hier haben Sie auf das falsche Pferd gesetzt.Drittens. Die finanziellen Auswirkungen einer Grundbeitragsbefreiung bis zu einem Gewinn von 20 000 DM und einer Umlagenbefreiung bis zu einem Gewinn von 36 000 DM können noch nicht konkret beziffert werden. Soviel kann man aber sagen: Sie wären gravierend. Nach ersten, vorläufigen Berechnungen würden bei einigen Kammern Beitragsausfälle bis zu 40 % der Gesamteinnahmen eintreten. Diese Mindereinnahmen müßten wiederum durch die anderen, die verbleibenden Beitragszahler aufgefangen werden.Derartige Beitragsfreistellungen, verbunden mit Zusatzbelastungen der verbleibenden Beitragszahler, wären mit dem Gleichbehandlungsgebot und dem Prinzip der Beitragsgerechtigkeit aus Art. 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Die vom Bundesverwaltungsgericht beanstandete Beitragsungerechtigkeit würde hierdurch nachgerade perpetuiert.Viertens. Die vorgeschlagene Deckelung der Beiträge und die gesetzliche Festlegung einer bestimmten Struktur für das Finanzaufkommen der Kammern wären existentielle Eingriffe in die gesetzlich garantierte Selbstverwaltung der Kammern, die sie in der Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben beschränken. Die finanzielle Autonomie der Industrie- und Handelskammern muß unangetastet bleiben.Zusammenfassend ist zu sagen: Der Vorschlag der SPD zeigt, daß sie ein anderes Verständnis der Kammern hat als die Bundesregierung und die Koalition. Die Kammern sind eben nicht wie private Wirtschaftsberufsverbände lose Dienstleistungsanbieter für ihre Mitglieder, sondern die Kammern sind - und das müssen sie bleiben - wichtige Selbstverwaltungsorgane auch der mittelständischen Wirtschaft, Herr Kollege Schwanhold.Nach der Beitragsreform von 1992 sind das Gewicht und der Einfluß des Mittelstandes in den Kammern gewachsen. Das ist gut so. Schon im Interesse einer weiteren Förderung und Sicherung des Mittelstandes darf die Funktionsfähigkeit der bewährten Selbstverwaltung nicht gefährdet werden.Die Kammern verdanken ihr Entstehen dem Bedürfnis des Staates nach einer sachkundigen, nach einer neutralen und nach einer objektiven Beratung. Die Kammern haben immer auch mittelbare behördliche Funktionen wahrzunehmen. Durch ihr Handeln wirken sie im erheblichen Umfang staatsentlastend und gewährleisten - das ist besonders wichtig - eine dezentrale Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.Die Bundesregierung ist nicht bereit, diese wirkungsvolle Mithilfe der Kammerorganisation bei der Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben durch Eingriffe in ihre Selbstverwaltungsrechte zu gefährden. Deswegen behält die wirtschaftliche Selbstverwaltung durch die Kammern ihren hohen Stellenwert - auch im Zuge der aktuellen politischen Diskussionen und der Forderungen nach weiterer Deregulierung und nach Subsidiarität.Die Bundesregierung wird die Auswirkungen der Beitragsreform von 1992 weiterhin sehr aufmerksam zusammen mit den die Kammeraufsicht führenden Ländern und dem Deutschen Industrie- und Handelstag beobachten. Sollte sich zeigen, daß nicht nur in Einzelfällen unangemessene Belastungen für die
Metadaten/Kopzeile:
2868 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 36. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. Mai 1995
Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolbbeitragszahlenden Unternehmen auftreten, dann kann in Ruhe und Sachlichkeit - und ohne Populismus vor einer Bundestags- oder Landtagswahl - gemeinsam über etwaige Korrekturmöglichkeiten nachgedacht werden.Nach dem derzeitigen Kenntnisstand sieht die Bundesregierung aber keinen Handlungsbedarf. Das Ergebnis der anstehenden Ausschußberatungen und etwaiger Anhörungen der Betroffenen sollte abgewartet werden.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 13/384 an den Ausschuß für Wirtschaft vorgeschlagen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 und die Zusatzpunkte 10 bis 12 auf:
11. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Hans-Dirk Bierling, Klaus Francke , weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Dr. Olaf Feldmann, Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Weitgehende Einsatzbeschränkungen für Landminen
- Drucksache 13/1299 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffen Tippach, Andrea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, weiterer Abgeordneter und der Gruppe der PDS
Weltweite Ächtung der Landminen
- Drucksache 13/1302 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
ZP11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Angelika Beer und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Ächtung von Landminen
- Drucksache 13/1304 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Kröning, Uta Zapf, Gernot Erler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD Verbot von Landminen und Unterstützung der Länder der Dritten Welt bei der Lösung ihrer Probleme durch Minen und andere gefährliche Munition
- Drucksache 13/1308 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß Verteidigungsausschuß
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Friedbert Pflüger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß etwa alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt ein Mensch von einer Mine zerrissen wird. Oft sind es Kinder, die, wenn sie dabei nicht getötet werden, so doch schrecklich verstümmelt werden. „Dann machte es bumm" , berichtet ein kleiner Kambodschaner, „und dann waren meine Beine weg." Es kann für ihn nicht mehr so sein, wie es früher war. Er kann nicht mehr mit seinen Kameraden toben. Er kann nicht mehr Bauer werden. Er ist in vielen Fällen zum Betteln verurteilt. Er fällt allen zur Last.
Oft hat die Mine, die nicht größer als eine Schuhcremedose ist, nur drei Dollar gekostet. So billige und zugleich so gut getarnte Killer gibt es sonst nirgendwo. Zusammen wirken diese Minen wie eine schleichende Massenvernichtungswaffe. Sie wirken als Völkermord in Zeitlupe.
Große Teile des Staatsgebietes z. B. in Kambodscha, Angola, Afghanistan oder Mosambik sind unzugänglich geworden, können sich nicht mehr weiterentwickeln.
1993 sind mit erheblichen internationalen Mitteln ganze 100 000 Minen geräumt worden; aber gleichzeitig sind 2 Millionen neue Minen gelegt worden. Im ganzen gibt es auf der Welt mehr als 100 Millionen ungeräumte Landminen.
Wir, der Deutsche Bundestag, dürfen dabei nicht zusehen. Minenräumung, Aufklärung der Bevölkerung, darauf kommt es an. Dabei gibt es große Leistungen der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen. Sogar Abgeordnete des Deutschen Bundestages, wie die Kollegin Beer, haben sich ja an solchen Aktionen beteiligt. Das Rote Kreuz, Cap Anamur oder eine Organisation, die Sodi heißt - Solidaritätsdienst International -, haben hier große Leistungen vollbracht und große Verdienste aufzuweisen. Sodi z. B. führt ein Projekt, das das Auswärtige Amt 1994 begonnen hatte, in Mosambik fort.
Ich glaube, ich kann für alle Fraktionen in diesem Hohen Hause sprechen, wenn ich sage, daß wir alle den Mitarbeitern und Helfern dieser Organisationen für ihr fabelhaftes Engagement unseren Dank aussprechen.
Meine Fraktion bereitet zur Zeit unter der Federführung der Kollegin Augustin einen Antrag zum Minenräumen vor, das wir stärken müssen, bei uns, aber auch international.
Dr. Friedbert Pflüger
Darüber hinaus geht es neben dem Minenräumen und der Aufklärung der Bevölkerung darum, internationale Vereinbarungen zur Ächtung bzw. Beschränkung des Einsatzes von Landminen zu treffen. Gelegenheit dazu bietet die Überprüfungskonferenz des Waffenübereinkommens der Vereinten Nationen im September in Wien. Dieses Übereinkommen enthält ein Minenprotokoll. Es geht nun darum, dieses zu verschärfen. Darin sind sich, wenn ich das richtig sehe, alle Antragsteller einig. Unterschiede gibt es vor allem hinsichtlich der Realisierungschancen einzelner Forderungen.
CDU/CSU und F.D.P. haben einen gemeinsamen, umfassenden Antrag vorgelegt. Die Kernpunkte dieses Antrages:
Erstens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus.
Zweitens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von metallosen Minen.
Drittens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von Sprengfallen und Anti-Personen-Minen und, bis das erreicht ist, strengste Auflagen für Entwicklung, Produktion, Export und Einsatz solcher Waffen.
Viertens. Wir fordern die generelle Aufnahme strenger Bestimmungen über das Verbot bzw. Beschränkungen beim Verkauf von Landminen in das Minenprotokoll. Die Bundesregierung hat bereits am 8. Juni 1994 ein zunächst auf drei Jahre befristetes Exportmoratorium für Anti-Personen-Minen beschlossen und kann deshalb in der Welt mit großer Glaubwürdigkeit für diese Forderung eintreten.
Fünftens. Wir fordern ferner, daß das Minenprotokoll auch für den Bereich der innerstaatlichen Konflikte Geltung erhält.
Sechstens. Wir fordern, einen Verifikationsmechanismus in das Waffenübereinkommen aufzunehmen oder in das Minenprotokoll zu integrieren.
Siebtens. Wir fordern, daß die bereits vorhandenen Bestimmungen über die „Aufzeichnung und Veröffentlichung der Lage von Minenfeldern, Minen und Sprengfallen" präzisiert und erweitert werden.
Mit diesem Antrag stärken die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. die Verhandlungsposition der Bundesregierung im Vorfeld der Wiener Konferenz.
Es gibt neben viel Zustimmung auch Kritik an unserem Antrag. Diese Kritik kommt von zwei Seiten. Die eine Seite: Vor wenigen Tagen diskutierte ich mit einem Offizier eines NATO-Landes über unseren Antrag. Er sagte, ein vollständiges Verbot von Anti-Personen-Minen sei nicht durchsetzbar und nicht möglich. Man brauche solche Anti-Personen-Minen auch in Zukunft, z. B. um vorrückender Infanterie einen
Sperrgürtel entgegenzustellen. Ich habe ihm widersprochen. Ich habe ihm gesagt: Stellen Sie sich die Bilder verkrüppelter Kinder vor, die keine Zukunft mehr haben.
Es gibt keinen Zweck der Welt, der solche Mittel heiligt. Im Gegenteil: Jedes politische Ziel, und sei es noch so edel, wird durch das Mittel Anti-PersonenMinen diskreditiert.
Die versteckten Mörder schließen nämlich niemals Frieden und unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind. Ein General der Roten Khmer wird im „Spiegel" mit den Worten zitiert, Minen seien perfekte Soldaten, furchtlos, treffsicher, niemals müde.
In der zivilisierten Welt haben Anti-Personen-Minen nichts mehr zu suchen!
Ich freue mich, daß wir damit eine Forderung aufgreifen können, für die sich das Jugend-Rot-Kreuz vorbildlich eingesetzt hat. Im Unterausschuß Abrüstung haben wir gerade eine Delegation empfangen. Man hat uns 14 000 Unterschriften überreicht - eine fabelhafte Arbeit, für die ich für meine Fraktion herzlich Dank sagen möchte.
Meine Damen und Herren, Kritik kommt aber auch von einer anderen Richtung. Wir haben einen Brief von Pater Jörg Alt vom Jesuit Refugee Service bekommen, der einer der Sprecher einer bundesweiten Initiative gegen Landminen ist. Er hat zwar gesagt, er sei vom Koalitionsentwurf „angenehm überrascht" - ich weiß nicht, warum er davon überrascht gewesen ist -,
aber vor allen Dingen war er der Meinung, der Antrag gehe nicht weit genug. Er hat uns dann Vorstellungen unterbreitet von dem, was man verändern müßte.
Seine Hauptkritikpunkte sind: Erstens. Man dürfe die Ächtung nicht auf Anti-Personen-Minen beschränken, sondern müsse Landminen generell verbieten.
Zweitens. Man dürfe keine Gelder mehr für Forschung und Entwicklung neuer Minentechnik ausgeben.
Dr. Priedbert Pflüger
Ich finde beide Forderungen verständlich, auch sympatisch, aber letztlich weder realistisch noch sinnvoll.
Ich will das begründen.
Erstens. Ich glaube, daß international nicht die geringste Chance besteht, ein solches Verbot generell durchzusetzen.
Wenn die Bundesregierung das fordern würde, würde man sie auslachen, mit dem Argument: Warum soll sich eigentlich ein kleines Land nicht mit Panzerabwehrminen gegen ein großes Land schützen dürfen, das dieses kleine Land mit Panzern bedroht? Wenn man Panzerminen abschaffen will, warum schaffen wir dann nicht auch gleich die Panzer ab?
Solange Panzer in der Welt sind, muß man sich gegen Panzer auch verteidigen können.
Natürlich kann man die Auffassung vertreten, alle Waffen dieser Welt seien unnütz und sollten verschwinden.
Aber wenn man diese Forderung erhebt - das wissen Sie selbst -, hat man politisch keine Chance. Gerade Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sollten ein bißchen vorsichtiger sein, an solchen Stellen zu klatschen. Sie sind die Nachfolgeorganisation der größten Aggressoren. Sie sollten sich in diesem Punkt ein bißchen zurückhalten.
Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluß kommen.
Ich komme zum Schluß.
Der zweite Punkt, den ich in diesem Zusammenhang sehr wichtig finde: Der Stopp der Entwicklung von Minentechnik ist ebenfalls nicht sinnvoll. Denn wenn die Panzerminen besser werden, wenn sie besser detektierbar sind, wenn sie per Knopfdruck an-und ausgeschaltet werden können
und wenn sie über einen Mechanismus zur Selbstzerstörung verfügen, dann ist das nach meinem Gefühl ein Fortschritt gegenüber der bisherigen Situation. Denn solche Minen sind dann Defensivwaffen wie andere auch. Sie können dann Freund und Feind unterscheiden, und sie können auch Frieden schließen.
In diesem Punkt unterscheiden wir uns. Aber wir sind in dem Punkt, daß wir Anti-Personen-Minen nicht haben wollen, einig. Deshalb hoffe ich sehr, daß wir uns in den Verhandlungen auf eine gemeinsame Linie einigen können, die die Bundesregierung im Vorfeld der Wiener Konferenz stärkt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Volker Kröning.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der „Süddeutschen Zeitung" vom 5. April war die Ankündigung von Außenminister Kinkel zu lesen, daß sich die Bundesregierung verstärkt für ein Verbot und die Reduzierung von Landminen engagieren wolle.
- Das verdient Applaus.
Der Abrüstungsbeauftragte der Bundesregierung, Herr Staatsminister Schäfer, hat dazu in dieser Woche - -
- Ich habe Sie damit anreden wollen. Ich habe den Botschafter Holik gemeint und habe Sie in diesem Moment angesprochen.
Darf ich Sie darauf hinweisen, daß Gespräche zwischen der Regierungsbank und dem Redner nicht erlaubt sind.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Ich nehme das aber gern zum Anlaß, zu sagen: Ich wünschte mir, daß sich die Bundesregierung dieser Sache voll annehmen würde, ohne Ausnahme,
Volker Kröning
ohne Lücke zwischen Außenminister Kinkel und Botschafter Holik.
Wir wollen mit unserem Antrag diesem Ziel dienen. Ich erkläre gleich zu Anfang, daß wir für eine gemeinsame, fraktionsübergreifende Entschließung nach den Beratungen in den Ausschüssen offen sind.
Doch ich beobachte eine leichte Diskrepanz zwischen dem, was Herr Kollege Pflüger hier gesagt hat, und dem, was in dem Koalitionsantrag steht. Ich erkläre deshalb: Wir werden nicht hinter der Forderung zurückbleiben, die auch das Rote Kreuz erhebt, nämlich zumindest Anti-Personen-Minen weltweit zu ächten und zu beseitigen.
Dies ist in den Vorbereitungstreffen zur Überprüfungskonferenz zum VN-Waffenübereinkommen im Herbst noch nicht erreicht worden. Das ist deutlich geworden. Darum wollen wir der Regierung - um es zart zu umschreiben - für weitere Anstrengungen auf der europäischen und der internationalen Bühne den Rücken stärken.
Aber es sind auch deutsche Beiträge zu der Minenräumkonferenz im Sommer nötig, die von der Öffentlichkeit noch gar nicht so recht in den Blick genommen worden ist und auf die die Regierung bisher augenscheinlich noch nicht vorbereitet ist, jedenfalls nicht erkennbar.
Wir sind, meine Damen und Herren, auch offen, über ein Verbot aller Landminen zu reden. Doch dies ist nicht allein eine Frage des humanitären Rechts in bewaffneten Konflikten und seiner Weiterentwicklung, sondern auch eine Frage der militärischen Rahmenbedingungen und der - wie man es dabei kroß ausdrückt - militärischen Notwendigkeit. Selbst wenn man diese militärische Notwendigkeit voll den heutigen Standards des Gewaltverbots, der Beschränkung des Rechts auf Selbstverteidigung, des Übermaßverbots und der Menschenrechte unterwirft, bleibt die Frage, ob Minen nicht gerade als Mittel der Defensive zulässig bleiben müssen, einer statischen Verteidigung. Das ist sicherheitspolitisch und militärisch in der Bundesrepublik Deutschland weder ausdiskutiert noch andiskutiert.
Wir wollen diese Debatte bei anderer Gelegenheit weiterführen, doch wir haben uns entschlossen, unabhängig von der Beurteilung dieser Frage ein Exportverbot für alle Minen zu fordern. Das finden Sie in unserem Antrag. Ich kann den Antrag gar nicht in voller Länge wiedergeben. Das ist neben der Forderung nach einem Verbot der Entwicklung, der Produktion und des Einsatzes von Anti-Personen-Minen die zweite Hauptforderung unseres Antrags.
Warum ist das so? Die Abgrenzung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten bleibt im Zusammenhang mit Landminen zweifelhaft. Auch die Selbstzerstörung nach einem Einsatz bleibt ungewiß. Dazu müssen wir, sofern noch nicht vorhanden, die erforderlichen Informationen im Gespräch mit den Hilfsorganisationen und auch mit den staatlichen Stellen einholen.
Wir sind der Meinung, daß Minen kein Gegenstand der Technologiepolitik und der Handelspolitik eines Landes sein können, das anderen nicht zumuten will, was es bei sich selbst noch nicht geklärt hat.
Zu Recht werden Minen als „ewige Terroristen" bezeichnet - das gilt leider nicht nur für schmutzige Minen, sondern auch für High-Tech-Minen -, da sie noch nach bewaffneten Konflikten ihre schrecklichen Leiden verbreiten.
Neben diesen präventiven Forderungen und Überlegungen geht unser Antrag ausführlich auf die Minenbeseitigung ein, die dank amerikanischer Initiative zum Thema der schon erwähnten weiteren Konferenz, die bereits vor der Sommerpause stattfinden soll, gemacht worden ist.
Wenn man sich mit nichtstaatlichen Hilfsorganisationen unterhält - ich habe dies neben dem Deutschen Roten Kreuz auch mit Terre des hommes und anderen getan -, dann wird einem klar, daß es vor allem um Geld geht. Ich finde es pervers, daß die Bundesrepublik Deutschland jährlich einen dreistelligen Millionenbetrag für die Modernisierung von Minen ausgibt, deren verteidigungspolitischer und militärischer Sinn noch nicht geklärt ist, während ihre Beiträge zu internationalen Minenräumaktionen pro Jahr kaum über 1 Million DM hinauskommen.
- Das rufen Sie zu Recht.
Auch der von der Europäischen Union vorgesehene Betrag von 3 Millionen ECU jährlich kann nicht das letzte Wort sein.
Ich hoffe, daß sich die Koalition gerade auf diesem Gebiet im Vorfeld der beiden Konferenzen bewegt. Als Finanzer weiß ich natürlich auch, daß der Bewegungsspielraum gering ist. Aber hier ist eine klare humanitäre Priorität zu setzen.
In diesem Sinne appelliere ich nachdrücklich, eine vorverlegte Position der Bundesregierung und der Koalition zu entwickeln.
Volker Kröning
Doch neben Geld geht es auch um personelle und technische Hilfe. Dazu sagt unser Antrag im Unterschied zum Koalitionsantrag einiges. Ich nehme die Ankündigung zur Kenntnis, daß Sie dazu einen weiteren Antrag ausarbeiten wollen.
Ich möchte in Kürze vier Punkte aus unserem Antrag erwähnen: Mobilisierung aller vorhandenen staatlichen Ressourcen, nicht nur bei der Bundeswehr; Unterstützung der nichtstaatlichen Hilfsorganisationen, die viel mehr Erfahrung haben, aber Qualifikationsunterstützung und technische Unterstützung benötigen; Entwicklung und Beschaffung von Gerät, das statt der ständigen Verfeinerung von Minen ihrer Auffindung und Zerstörung dient; Förderung von internationalen Projekten zu diesem Zweck, auch im Zusammenwirken mit der Europäischen Union und dritten Staaten. Ich appelliere deshalb nicht nur an das Auswärtige Amt, sondern auch an das Bundesverteidigungsministerium. Ich freue mich, daß das Bundesverteidigungsministerium ebenfalls politisch vertreten ist. Ich appelliere nicht nur an den Bund, sondern auch an die Länder: Wenn z. B. die verdienstvolle Hilfe von Halo Trust in Kambodscha im gegenwärtigen Tempo weitergehen müßte, dann wären die vielen Millionen Minen in diesem Land erst in 400 Jahren geräumt. Helfen wir sofort!
Noch ein Wort zur Bundeswehr. Die SPD-Bundestagsfraktion wird die Bereitschaft unserer Streitkräfte und aller für sie politisch Verantwortlichen, für humanitäre Aufgaben in der Welt gerüstet zu sein, darauf abklopfen, ob sie diesen einfachsten und effektivsten Weg, nämlich die Minen aus früheren Konfliktgebieten zu beseitigen, einschlagen. Das ist mit dem „Keiler" nicht getan. Das ist inzwischen Marge-
worden. Auf diesem Gebiet liegt ein echtes Betätigungs- und Bewährungsfeld für Blauhelme und auch für alternative Entwicklungen und alternatives Gerät bei der Bundeswehr. Darüber möchten wir mit dem Verteidigungsministerium ins Gespräch kommen.
Ich habe dem Staatsakt am 8. Mai in Berlin, der heute schon einmal in einem anderen Zusammenhang erwähnt worden ist, mit Spannung entgegengesehen. Diese Spannung hat sich während des nüchternen Verlaufs und der vorwärtsweisenden Reden in Zuversicht für Deutschland und Europa verwandelt. Aber ich muß gestehen: Ich habe die Erwähnung der Dritten Welt vermißt. Setzen wir in diesem Jahr von Deutschland aus ein Zeichen der Hoffnung! Wie heißt es beim Roten Kreuz? Nicht reden, tun!
Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Angelika Beer.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute auch den GRÜNEN-Antrag zur Achtung von Landminen. Minen sind inhumane Waffen, und es darf keine Rechtfertigung für sie geben.
Wir dürfen nicht das Risiko eingehen, hier technisch oder militärisch zu diskutieren. Ich möchte deswegen ein Erlebnis schildern.
Erinnern Sie sich an das Ende des zweiten Golfkrieges? Die irakisch-iranische Grenze ist vermint. Die Türkei setzt Minen ein, wie auch jetzt wieder angekündigt, um Flüchtlinge aus dem Irak abzuhalten, und Saddam Hussein vermint die zerstörten kurdischen Dörfer. Wir unternehmen die ersten Hilfsprogramme. Ich sitze in Penjwin, 10 km von der iranischen Grenze entfernt. Vögel singen, Kinder lachen, die Sonne scheint. Ich höre ein dumpfes Geräusch, was mir gar nicht bewußt wird, bis dieser dumpfe Knall alle fünf Minuten mit einem Schrei verbunden ist. Die Menschen, die ich frage, was das war, sind vollkommen hilflos. Sie sagen: Das sind die Minen. Unsere Familien, die zurückkommen, wissen davon nichts. Sie denken, sie gehen nach Hause, und sie laufen direkt in den Tod.
Auch wenn sie nicht in den Tod laufen, sondern nur zerstückelte Beine haben: Dort wie in vielen der 63 Länder, wo heute Minen liegen, fehlt ärztliche Hilfe. Es gibt dort keine Krankenhäuser. Es gibt keine Transportmittel. Diejenigen, die bei uns noch gerettet werden könnten, wie z. B. Soldaten, verbluten und haben ein noch schwereres Leid zu ertragen.
Das ist das Problem, auf das ich aufmerksam machen möchte, worum es uns geht. Es ist egal, ob eine Mine ein Kind, das spielen will, einen Bauern, der seine Familie ernähren will, oder einen Soldaten trifft: Diese Waffe ist inhuman, und diese Waffe muß geächtet werden.
Deswegen möchte ich den Antrag der Regierungskoalition hinterfragen. Weitgehende Einsatzbeschränkungen - was ist das eigentlich? Dahinter verbirgt sich die Legitimierung der neuen Minen, die gerade in diesem Moment entwickelt werden und die nicht durch das Exportmoratorium betroffen sind: weder die Multifunktionsminen noch die Anti-TankMinen. Eine Anti-Tank-Mine - das wissen die Verteidigung wie auch Hilfsorganisationen oder wir als Politiker ganz genau - unterscheidet nicht zwischen einem Schulbus mit 40 Kindern und einem Panzer. Eine Anti-Tank-Mine geht in die Luft.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine „guten" und keine „bösen" Minen. Allerdings trägt Deutschland führend in der Welt zur Entwicklung von neuen Minentechnologien bei. Die Industrie hat ein absolutes Interesse, diese Entwicklungen weiterzuführen, und gibt den Militärs und der Bundesregierung die Scheinargumente, nämlich eine Mine mit Selbstzerstörungsmechanismus bedeute Sicherheit, und sie könne angewandt werden. Wir wissen auch aus der praktischen Arbeit, daß das nicht richtig ist. Technik hat immer wieder eine Versagerquote, in diesem Fall eine tödliche, nämlich für die Menschen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Minen sind Bestandteil der neuen Planungen des BMVg im Rahmen der Kriseninterventionskräfte. Ein Oberstleutnant hat uns ausführlich dargelegt, daß Minen und
Angelika Beer
Minenräumungskapazitäten, die wir jedes Jahr - hier schon kritisiert - finanzieren, allein unter militärischen Gesichtspunkten entwickelt werden. Es sei ihm allerdings recht, wenn nebenbei auch ein humanitärer Nutzen dabei herauskäme. Diese Position der Bundesregierung ist für uns nicht akzeptabel, damit auch der Antrag der Bundesregierung nicht.
Ich möchte an alle appellieren, den Ruf der Hilfsorganisationen, mit denen wir unseren Antrag abgestimmt haben, ernst zu nehmen. Denn die Menschen, die in den Minenfeldern arbeiten und die Opfer versorgen, sind die Experten, nicht die Militärs, die auf den Konferenzen wieder versuchen, das Heft in die Hand zu nehmen.
Wir sind bereit, im Interesse der Menschen unter humanitären und ethischen Gesichtspunkten, mit allen Fraktionen zu reden, bis wir zu einer endgültigen Entscheidung kommen. Aber ich kann schon heute sagen, daß wir nicht der Legitimierung einer neuen, ebenso verheerenden Minengeneration grünes Licht geben können. Dem müssen wir uns verweigern. Wir werden keine Mine mitfinanzieren, sondern wir fordern die Bundesregierung auf, jeden Pfennig der UNO, den Hilfsorganisationen und den Opfern zur Verfügung zu stellen, um diesen Todeskreislauf endlich zu beenden.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Feldmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit dem Dank an die Vertreter des Deutschen Jugendrotkreuzes für ihr Engagement in der Sache der Minenproblematik beginnen.
Ich muß Sie, die Sie hier auf der Tribüne sitzen, aber um Verständnis bitten, wenn wir all Ihre Forderungen nicht sofort erfüllen können, jedenfalls nicht im ersten Anlauf. Aber bitte bedenken Sie: Wir befassen uns hier im Deutschen Bundestag zum erstenmal mit dem Thema Landminen. Die Behandlung dieses furchtbaren Themas ist dringender denn je. Woche für Woche werden weltweit ca. 200 Zivilpersonen durch Landminen getötet oder grausam verstümmelt, und die Zahl der Konfliktherde nimmt ständig zu.
Immer noch werden mehr Minen gelegt als geräumt. Selbst unter Einsatz aller heute zur Verfügung stehenden Mittel würde es Jahrzehnte dauern, die betroffenen Länder von diesem grausamen Erbe zu befreien.
Die langfristigen Folgen sind - ich darf sie noch einmal deutlich machen - Hunger, weil die Landwirtschaft auf verminten Flächen nicht möglich ist, die soziale Isolierung, weil Minenopfer in vielen Gesellschaften geächtet werden, und dauernde Migration, weil die Rückkehr in die verminte Heimat unmöglich ist.
Der Koalitionsantrag - Frau Präsidentin, ich lege Wert darauf, daß dies ein Antrag der Koalition ist; dies ist ein gemeinsamer Antrag, an dem die F.D.P. wesentlich mitgearbeitet hat; in der vorliegenden Tagesordnung ist ein Fehler gemacht worden; ich bitte darum, daß das korrigiert wird - ist die Weiterentwicklung der von Außenminister Kinkel vor der 48. UN-Generalversammlung angekündigten aktiven Beteiligung Deutschlands an der Lösung des weltweiten Minenproblems. Der Antrag zeigt Augenmaß und ermöglicht weitere konkrete Maßnahmen.
- Ich appelliere auch an Sie, Frau Beer - Sie haben das ja gerade bei der NVV-Konferenz erlebt -, unseren Antrag mitzutragen.
Herr Kröning, ich finde es gut, daß Sie einen gemeinsamen Antrag - was auch wir wollen - angekündigt haben. Nur dann zeigt er Wirkung; wir haben das in New York bei der Konferenz gesehen. Es geht uns doch schließlich um die gemeinsame Sache. Es geht uns doch nicht um parteipolitische Profilierungen durch überzogene Forderungen.
Wenn es Ihnen um die gemeinsame Sache geht, geht das nur mit einem gemeinsamen Antrag.
Unser Antrag, Frau Kollegin, konzentriert sich auf das im Augenblick Machbare, nicht auf das in x Jahren vielleicht Mögliche.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, Frau Präsidentin, bei fünf Minuten Redezeit hat das keinen Sinn.
Auf eines möchte ich noch hinweisen, Frau Kollegin Beer: Minen sind nicht gleich Minen. Auch ich bin dagegen, daß Millionen für die Weiterentwicklung von Minen ausgegeben werden. Aber es sind doch nicht die High-Tech-Minen, die die grausamen Verstümmelungen und die enormen Räumungskosten verursachen. Es sind die Billigminen, die meist in den Entwicklungsländern selbst hergestellt werden. Das ist leider die traurige Wahrheit.
Dr. Olaf Feldmann
Unser Antrag fordert ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes fernverlegter Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus, metalloser Minen sowie von Sprengfallen und Anti-Personen-Minen. Wir fordern die Ausdehnung des Minenprotokolls auf innerstaatliche Konflikte. Sie wissen, daß gerade diese bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen den Hauptteil ausmachen. Darüber hinaus wollen wir einen wirkungsvollen Verifikationsmechanismus. Aber auch Sie wissen: Das ist leichter gesagt als getan. Denn in diesem Bereich liegen ja die Schwierigkeiten.
Deswegen kommt den Vereinten Nationen bei der Lösung der weltweiten Minenproblematik eine wesentliche Rolle zu. Der im November 1994 auf Initiative von Außenminister Kinkel eingerichtete UN-Minenräumfonds bietet die Möglichkeit, abgestimmte Aktionen der Staatengemeinschaft in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Ländern herbeizuführen. Diese Chancen dürfen wir nicht ungenutzt lassen.
: Sie warten
- Wir machen heute doch den ersten Schritt dazu, die Dinge auf den Weg zu bringen.
Die F.D.P. begrüßt die von der Europäischen Union beschlossene gemeinsame Aktion zu Anti-PersonenMinen. Die Bemühungen um ein gemeinsames Exportmoratorium sowie die verstärkten finanziellen Hilfen sind ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Weitere Schritte müssen folgen.
Auf nationaler Ebene kann ein interfraktioneller Konsens dazu führen, daß mehr Finanzmittel zur Lösung der Minenproblematik bereitgestellt werden. Die Bundesrepublik verfügt über technische und personelle Möglichkeiten zum vorbeugenden Schutz vor Minen und zur Hilfe für Minenopfer. Dieses hohe deutsche personelle und technische Know-how muß im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit schnell zum Einsatz kommen und kontinuierlich fortgeführt werden. Denn täglich - darauf haben alle Vorredner hingewiesen - erhöht sich die Zahl der Minenopfer.
Meine Damen und Herren, Maßnahmen zur Lösung der Minenproblematik sind eine besonders effiziente Art von humanitärer und Entwicklungshilfe. Denn von der Minenproblematik sind insbesondere die Zivilbevölkerung und ihr Lebensraum betroffen. Deutschland muß durch Beteiligung an Aktionen der internationalen Staatengemeinschaft und mit koordinierten bilateralen Hilfs- und Schutzmaßnahmen das bereits vorbildliche humanitäre Engagement weiter verstärken.
Unser Antrag bietet hierfür ein solides Fundament. Ich bitte um Unterstützung.
Herr Abgeordneter Feldmann, ich wollte Sie noch darauf hinweisen, daß es in der korrigierten, heute morgen verteilten Fassung der Tagesordnung richtig angegeben ist, daß es nämlich um einen Antrag von einzelnen Abgeordneten und der Fraktionen geht. Das sage ich, damit Sie wissen, daß das hier richtig auf der Tagesordnung steht.
Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Steffen Tippach.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pflüger, wenn Sie Kalten Krieg spielen wollen, stehen wir dafür allerdings nicht zur Verfügung. Ich meine damit die Nummer mit dem Aggressor. Das müssen Sie dann schon allein machen. Ich glaube, wir haben einiges aus dem Kalten Krieg und der Hochrüstung dazugelernt. Ich weiß nicht, wer mehr dazugelernt hat. Das will ich hier jetzt nicht weiter erörtern.
Ich freue mich, daß es in diesem Hause einen breiten Konsens gibt, Landminen als das zu sehen, was sie sind, nämlich zutiefst gefährliche Waffensysteme, die insbesondere unter der Zivilbevölkerung verheerende Opfer fordern. Nur, was ist der aktuelle Stand, auch hier in diesem Lande? 1994 wurde durch die Bundesregierung ein Etat von 354 Millionen DM, d. h. ca. 1 Million DM am Tag, für die Entwicklung von neuen Minen und Minenverlegesystemen bereitgestellt. Im selben Jahr 1994 wurde von der Bundesregierung ein Exportmoratorium für Anti-Personen-Minen beschlossen, das, zudem befristet, erst wirksam wurde, nachdem die Bundesrepublik derartige Minen überhaupt nicht mehr herstellt und die übriggebliebenen NVA-Bestände - wer weiß, wohin - beseitigt wurden. Es ist also ein Moratorium, das nichts kostet und das nicht weh tut, das jedoch in der Diskussion in eine völlig absurde Situation führt.
Anstatt durch die vollständige Ächtung von Landminen jeglicher Art weltweit ein Zeichen der Humanität zu setzen, wird nun zwischen guten und bösen Landminen unterschieden. Die guten sind natürlich die hier produzierten, die bösen sind wie immer die der anderen. Von jeglichen Selbstzweifeln unbeleckt ficht die Bundesregierung - von der Rüstungsindustrie ganz zu schweigen - auch nicht an, daß das Internationale Rote Kreuz, die Vereinten Nationen - Herr Feldmann sprach von deren Verantwortung -, die UNICEF, der UNHCR und darüber hinaus zahlreiche andere Organisationen die Unterscheidung von guten und schlechten Landminen schlicht für sinnlos und gefährlich halten.
Steffen Tippach
- Es mag Unterscheidungen geben; aber in der Konsequenz ist es dasselbe. Es sind Minen, und wie Minen wirken, ist bekannt.
- Die Frage ist, was momentan im Einsatz ist und wohin das führt. Im Golfkrieg hat sich gezeigt - darauf hat auch das Internationale Rote Kreuz hingewiesen -, daß High-Tech-Minen im Einsatz zum tödlichen Irrtum für die US-Armee und auch für andere geworden sind.
Ich möchte auf das zu sprechen kommen, was der Antrag der Gruppe der PDS beinhaltet. Wir fordern ebenso wie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine vollständige Achtung der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von Landminen. Darüber hinaus verlangen wir eine Umwidmung der betreffenden Rüstungsgelder zugunsten der Rehabilitation von Minenopfern sowie die Aufstockung der Beteiligung der Bundesrepublik am UN-Minenräumfonds auf eine Höhe von 100 Millionen DM jährlich. Die bisherige Dimension von 1 Million DM für das Wegräumen der alten Minen im Verhältnis zu 354 Millionen DM für die Herstellung neuer Minen spricht aus meiner Sicht für den Grad der Ernsthaftigkeit, mit der die Bundesregierung über die Verkündung von Absichtserklärungen hinaus praktisch und auch abrechenbar tätig wird.
Danke.
Das Wort hat jetzt Herr Staatsminister Schäfer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In New York wurde in diesen Tagen die unbegrenzte und unkonditionierte Verlängerung des Atomwaffensperrvertrages im Konsens aller Vertragsstaaten beschlossen, ein Ergebnis, das für unsere Sicherheit und den Frieden in der Welt von entscheidender Bedeutung ist.
Über den großen Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle wie Nichtverbreitungsvertrag, Chemiewaffenübereinkommen und START-Verträge dürfen wir aber nicht die sogenannten kleinen konventionellen Waffen aus den Augen verlieren. Nicht mit Massenvernichtungswaffen, sondern mit solchen Waffen werden heute Kriege geführt und Menschen getötet.
Die Waffe, von der wir sprechen, ist ganz besonders heimtückisch - darauf wurde von meinen Vorrednern hingewiesen -, da sie unterschiedslos Soldaten und Zivilisten trifft und keinen Waffenstillstand kennt. Monat für Monat werden Hunderte unschuldige Menschen durch Landminen getötet oder verletzt. Ungeräumte Landminen - die Zahl wurde zu Recht hier genannt - behindern auch nach dem Ende von bewaffneten Konflikten den wirtschaftlichen Wiederaufbau und vor allen Dingen die Rückkehr von Flüchtlingen in Ländern wie Kambodscha, Angola und Mosambik.
Wir müssen der Verminung immer größerer Gebiete der Welt entschieden entgegenwirken. Wir müssen den vom Minenproblem betroffenen Menschen bei der Minenräumung, bei der Aufklärung über Minengefahr und bei der Rehabilitation von Minenopfern Hilfe anbieten.
Das größte Übel sind unbestreitbar die sogenannten Anti-Personen-Minen. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, daß sie vollkommen aus dem Waffenarsenal der Welt verbannt werden. Auf dem Weg dorthin brauchen wir zweierlei: erstens Exportverbote für diese Waffe und zweitens strengere völkerrechtliche Beschränkungen des Mineneinsatzes. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ein Exportmoratorium für Anti-Personen-Minen beschlossen. Reden Sie das jetzt nicht herunter, und sagen Sie nicht, das sei alles zuwenig. Seien Sie froh, daß zumindest dieser Schritt getan worden ist!
Mittlerweile haben zahlreiche andere Staaten - auch das sollten Sie bitte sehen -, darunter alle unsere Partner in der Europäischen Union, diesen Schritt mitvollzogen.
Die Bundesregierung setzt sich zugleich nachdrücklich für eine Stärkung des Minenprotokolls zum UN-Waffenübereinkommen ein. Dabei geht es uns in erster Linie um die weltweite Geltung dieses Protokolls. Davon sind wir leider noch sehr weit entfernt: Das Protokoll zählt erst 42 Vertragsstaaten und gilt nicht bei innerstaatlichen Konflikten.
Das ist übrigens auch eine Problematik, die Sie immer wieder vergessen - es ist zwar schön, wenn wir hier etwas beschließen, da Sie aber nicht regieren, entgeht Ihnen vielleicht ein Stück Realität -: Es ist nicht möglich, auf Grund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages 180 Staaten der Welt innerhalb von kurzer Zeit zu einem Verbot aller Minen zu bewegen. Ich glaube, man muß Schritt für Schritt vorgehen, Frau Kollegin Beer, sosehr wir auch in der Bewertung dieser Waffen übereinstimmen.
Ich darf noch einmal sagen: Es fehlen vor allem ein Verifikationsmechanismus sowie befriedigende Regelungen in bezug auf die Minenräumung. Auch sind Einsatzbeschränkungen und Verbote für AntiPersonen-Minen nach wie vor lückenhaft. Deshalb fordert die Bundesregierung erstens die Geltung des Minenprotokolls auch in innerstaatlichen Konflikten, zweitens die Schaffung eines Überprüfungsmechanismus, drittens ein Verbot des Einsatzes von nicht aufspürbaren Minen und viertens besondere Einsatzbeschränkungen und Verbote für Minen, die sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht selbst zerstören.
Staatsminister Helmut Schäfer
Diese Art von Minen gibt es. Wie ich eben gehört habe, wird an dieser Frage im Verteidigungsministerium gearbeitet.
Bei den Zahlen muß man etwas vorsichtig sein; man kann sich von Herrn Wilz über Einzelheiten informieren lassen.
Ob das Minenprotokoll entsprechend verbessert bzw. ergänzt wird, entscheiden seine Vertragsstaaten auf einer Überprüfungskonferenz in Wien im Oktober dieses Jahres. Die Bundesregierung, die bereits seit Mai 1993 Vertragsstaat dieses Protokolls ist,
bereitet die Konferenz derzeit sowohl in eigener Verantwortung als auch im Rahmen einer gemeinsamen Aktion mit unseren EU-Partnern intensiv vor. Wir sind entschlossen, die sich uns in Wien bietende Chance zu nutzen, um einer Ausweitung des Landminenproblems auf immer größere Gebiete endlich wirksam entgegentreten zu können.
Es ist aber auch Soforthilfe für die betroffenen Menschen nötig. Die Bundesregierung beteiligt sich deshalb aktiv an weltweiten Bemühungen zur Minenräumung, sei es bilateral aus Mitteln der Ausstattungshilfe, sei es multilateral im Rahmen der Vereinten Nationen und der Europäischen Union.
Meine Damen und Herren, machen wir uns bitte keine Illusionen: Deutschland kann nicht alleine über Maßnahmen zur Lösung des weltweiten Minenproblems entscheiden.
- Das werden Sie noch lernen, wenn Sie einmal mit Regierungsverantwortung übernehmen sollten. Vielleicht lernen Sie es dann.
Es ist zwar schön, wenn Sie Ihre hehren Vorstellungen in einem großen Gremium der Welt vertreten - -
- Das hat mit Arroganz überhaupt nichts zu tun, Frau Kollegin Matthäus-Maier. Auch Ihnen ist auf Grund bestimmter Entwicklungen die Regierungsfähigkeit leider abhanden gekommen. Das darf ich Ihnen als alter Kollegin - wir sind ja per du - so sagen; das ist deshalb nicht so tragisch.
- Das hat mit Arroganz nichts zu tun. Wir dürfen in unserer deutschen Öffentlichkeit nur nicht den Eindruck erwecken, als wäre ein Beschluß des Deutschen Bundestages morgen gewissermaßen für die Welt verbindlich.
Das ist der Irrtum, dem Sie immer wieder erliegen.
Ich sage Ihnen noch einmal, ob Sie es einsehen oder nicht: Sie müssen sich - herzlichen Dank, Herr Kollege Feldmann - am Machbaren orientieren, sonst wird alles zu einer deklaratorischen Geste, die nichts bewirkt. Das ist doch der Punkt.
Meine Damen und Herren, angesichts der katastrophalen Folgen, die Minen hervorrufen - darin sind wir uns einig -, muß man mit ihrer Abschaffung beginnen. Man kann aber heute nicht alles oder nichts verlangen. Darin unterscheidet sich die Regierung, wie immer, von der Opposition.
Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 13/1299, 13/1302, 13/1304 und 13/1308 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, 17. Mai 1995, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.