Rede von
Andrea
Lederer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(PDS)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (PDS)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, Herr Bundesminister Waigel, haben in Ihrem Vortrag erklärt, daß es der Opposition um Wahlkampf ginge. Nun muß ich Sie einmal ernsthaft fragen, weshalb Sie eigentlich darauf bestanden haben, diese Grundgesetzänderung auf die heutige Tagesordnung zu setzen, obwohl das Jahressteuergesetz, über das Sie die ganze Zeit diskutieren, wenn Sie von der Streichung der Gewerbekapitalsteuer und der Senkung der Gewerbeertragsteuer sprechen, erst im Juni auf der Tagesordnung steht. So kann man keine Politik machen.
Sie ziehen einen einzelnen Punkt künstlich vor, um ihn rechtzeitig vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Bremen auf der Tagesordnung zu haben, und verschieben die Beratung aller anderen Regelungen. Sie können doch nicht im Ernst erwarten, daß wir dieses alberne Spiel mitmachen. Das ist, glaube ich, ein bißchen viel verlangt.
Es gibt keinen anderen Grund für die Eile in diesem Punkt; das hätten Sie ehrlicherweise sagen sollen.
Natürlich ist das Ganze höchst problematisch. Man muß über Unternehmensteuerkorrekturen ebenso reden wie über eine neue Gemeindefinanzordnung. Das geht aber nicht durch einen solchen Einzelschritt, wie er hier geplant ist, da man nicht weiß, was folgen wird. Man muß sich schon an ein paar Daten halten.
Sie, Herr Sohns, haben darüber gesprochen, daß die Gewerbekapitalsteuer eine Belastung darstellt. Es ist aber nun einmal eine Tatsache, daß nicht mehr als 16 % der Unternehmen sowie Banken und Versicherungen die Gewerbekapitalsteuer zahlen.
Das heißt: Wenn Sie diese abschaffen, entlasten Sie 16 % der Unternehmen, nicht mehr. Dabei handelt es sich im wesentlichen um die Großunternehmen. Was hindert Sie als Regierungskoalition daran, die Freibeträge bei der Gewerbekapitalsteuer so zu gestalten, daß die kleineren Unternehmen steuerbefreit sind und die Gewerbekapitalsteuer nur noch von den Großunternehmen gezahlt wird?
Was die Gewerbeertragsteuer anbetrifft: Bisher zahlen diese Steuer 30 % der Unternehmen, also wesentlich weniger als die Hälfte. Es ist doch völlig klar:
Dr. Gregor Gysi
Da wollen Sie nur eine Senkung. Räumen Sie aber doch einmal ein, daß das der Beginn des Ausstiegs ist. Sie wollen die Gewerbesteuer generell abschaffen, nichts anderes.
Ich sage Ihnen: Bei der Kompensation handelt es sich um einen üblen Trick.
- Lassen Sie mich aussprechen, oder stellen Sie eine richtige Frage.
Passen Sie auf, Herr Sohns, Sie machen folgendes: Sie sagen, daß Sie das Geld, das Ihnen durch die Entlastung verlorengeht, auf irgendeine Weise zurückholen müssen, weil Sie es brauchen. Deshalb wollen Sie die Abschreibungssätze von 30 % auf 25 % senken. Damit erwecken Sie den Eindruck - Sie, Herr Scharping, wenden sich in aller Schärfe dagegen -, daß die Unternehmen so wieder belastet würden, während sie doch durch die Steuersenkung entlastet werden sollen.
Man muß aber auf zwei Dinge hinweisen: Erstens. Wenn diese Abschreibungssätze gesenkt werden, zahlen das alle Unternehmen, also auch jene, die gar keinen Vorteil davon haben, wenn die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft und die Gewerbeertragsteuer gesenkt wird. Das heißt: Sie versuchen, Großunternehmen zu Lasten der schwächeren Unternehmen zu begünstigen.
Zweitens - das ist ein Ansatz, der bisher noch nicht genannt worden ist, auch von Ihnen nicht, Herr Scharping: Das Ganze ist nur vorübergehend. Sie wissen genau, was danach passiert. Die Abschreibungssätze werden gesenkt, alle Unternehmen schreien irgendwann auf und sagen: Das ist nicht auszuhalten! Der Standort Deutschland kann auf diese Art und Weise nicht erhalten werden! Wir sind durch viel zu niedrige Abschreibungssätze, die uns aufgedrückt worden sind, enorm belastet. - Was wird die Regierungskoalition dann tun? Sie wird sagen: Das ist wahr. Wir müssen die Abschreibungssätze wieder erhöhen. - Im Ergebnis wird sie die Mehrwertsteuer erhöhen. Das heißt: Der Ausgleich wird letztlich durch die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen in dieser Gesellschaft bezahlt werden, durch keinen anderen.
Daß das kein Hirngespinst ist, kann ich Ihnen bestätigen. Ich habe hier eine Meldung von ddp/ADN - der CDU-Wirtschaftsrat hat ja getagt -; da heißt es ganz eindeutig, daß man verlangt, daß die Senkung der Abschreibungssätze nur für das Jahr 1996 gelten darf und danach die Mehrwertsteuer erhöht werden muß. Als Argument wird herangezogen, daß sie in der Europäischen Union im Durchschnitt bei 19,1 %
liegt und bei uns noch niedriger ist. Das heißt, der Weg ist klar: Vorübergehend werden die Abschreibungssätze für ein Jahr gesenkt, damit müssen die Unternehmen scheinbar das bezahlen, was sie als Entlastung bekommen. Nach einem Jahr aber werden die Unternehmen weiter entlastet und die Bürgerinnen und Bürger zur Kasse gebeten. Das ist der Plan der Koalition. Machen Sie es doch wenigstens gleich, und führen Sie bei Ihrer Steuerreform kein Schummeljahr ein.
Sie nehmen alle ostdeutschen Abgeordneten in Geiselhaft und sagen: Ihr belastet die ostdeutschen Unternehmen auf furchtbare Art und Weise, wenn ihr der Grundgesetzänderung nicht zustimmt,
weil wir dann ab 1. Januar 1996 die Gewerbekapitalsteuer auch in den neuen Bundesländern einführen müssen. Das wird dort wirtschaftliche Strukturen zerstören.
Diese Art von Nötigung mißfällt mir in höchstem Maße. Sie wissen auch, daß es eine Täuschung ist. Wir haben eine Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern, und das ist korrekt. Es ist überhaupt kein Problem, bis zur Klärung aller Fragen, die anstehen, für weitere zwei Jahre die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern auszusetzen, was die Opposition auch fordert. Die Genehmigung der Kommission der Europäischen Union werden Sie dafür auch bekommen, weil sich die Situation in den neuen Bundesländern ganz erheblich von der Situation in der übrigen Europäischen Union unterscheidet.
Ich weiß noch, wie das war, als die Kommission ganz erhebliche Bedenken gegen den Kalifusionsvertrag, die Schließung von Bischofferode und anderes hatte. Da ist Ihr Bundeswirtschaftsminister mindestens zweimal, wenn nicht sogar dreimal bei der Kommission gewesen, um die Genehmigung der Fusion und die Schließung in Bischofferode durchzusetzen. Da haben Sie weder Kosten noch Mühe gescheut.
Nun strengen Sie sich, Herr Waigel, einmal an. Fahren Sie nach Brüssel und sorgen Sie dafür, daß die Kommission zustimmt, die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern um zwei Jahre zu verlängern. Ändern Sie hier nicht das Grundgesetz.
Wenn Sie in dieser Richtung wirklich etwas tun wollten, dann gäbe es doch ganz andere Möglichkeiten. Zunächst ist es doch gar nicht wahr, daß die Gewinne immer höher besteuert werden. Es ist auch nicht wahr, daß wir weniger Gewinne haben. Die Gewinne steigen seit 15 Jahren, sie werden nur nicht in die Wirtschaft investiert, sondern zu den Banken getragen, weil wir in diesem Lande nur noch spekulieren und nicht mehr wirtschaften.
Dr. Gregor Gysi
Das liegt daran, daß Sie nicht Spekulationen, sondern Wirtschaftstätigkeiten besteuern. Da müßten Sie mit Ihrer Reform ansetzen.
Ich komme nun auf die Kommunen zu sprechen. Wir haben einen grundgesetzwidrigen Zustand. Im Grundgesetz ist die kommunale Selbstverwaltung verankert. Ich frage Sie: Welche Kommune kann sich heute noch selbst verwalten? Sie haben doch über Jahre hinweg immer wieder - man muß sagen, in Gemeinschaftsarbeit zwischen Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag - zu Lasten der Kommunen entschieden.
Dadurch ist eine Situation entstanden, in der sich die Kommunen nicht mehr selbst verwalten können - das ist eine Tatsache -, weil sie nicht mehr über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. Das ließe sich andern, gegebenenfalls auch über eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Aber dafür muß eine Gesamtfinanzreform her.
Wir haben gestern den Antrag eingebracht, eine Enquete-Kommission für eine Gemeindefinanzreform einzusetzen. Er ist in erster Lesung behandelt. Sie haben die Gelegenheit, diese Enquete-Kommission einzusetzen. Dann werden wir auch sehr schnell zu Ergebnissen kommen.
Ich sage Ihnen, was Sie alles ändern können: Ihr elend bürokratisches Herumwirtschaften mit verschiedenen Fördertöpfen, das zugleich die Kommunen demütigt. Geben Sie den Kommunen Pauschalbeträge, damit sie selber entscheiden können, wie sie das Geld verwenden wollen.
Andernfalls kommen völlig irre Sachen dabei heraus.
Der Bund bezahlt z. B. Brücken. Jetzt erlebe ich im Osten, daß jeder Ort eine Brücke beantragt, weil der Bund diese bezahlt, dabei fließt durch diese Orte noch nicht einmal ein Fluß.
Aber das, was sie wirklich brauchen würden, nämlich Kulturhäuser und Jugendclubs, wird nicht gebaut, weil dafür keine Fördermittel zur Verfügung stehen. Nehmen Sie doch einmal die Kommunen ernst.
Geben Sie ihnen das Geld und lassen Sie sie nicht nur Anträge stellen, dann werden sie das auch richtig verwalten. Wenn nicht, werden die Mandatsträger abgewählt. Das macht dann auch die Kommunalwahlen sinnvoller.
Solange das hier in Bonn so läuft, müssen wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir nicht doch eine weitere Kammer benötigen, in der die Kommunen vertreten sind. Es geht nicht länger an, daß sich die Parteien im Bundestag, die Bundesregierung und die Länder im Bundesrat letztlich immer zu Lasten der Kommunen verständigen. Das muß irgendwann aufhören, deshalb brauchen sie eine eigenständige Vertretung.
Im übrigen kommen Verschlechterungen durch bürokratische oder andere Änderungen zustande, die absurd sind. Da wir hier schon Wahlkampf betreiben, will ich Ihnen etwas über Bremen erzählen. Bremen war immer Geberland und durchaus gut saniert.
Dann gab es unter der SPD-geführten Brandt-Regierung eine kleine Änderung, nämlich daß man die Einkommensteuer am Wohnsitz und nicht mehr am Arbeitsort orientiert bezahlte. Folge: Von einem Tag zum anderen war Bremen pleite, weil die meisten Leute zwar in Bremen arbeiteten, aber dort nicht wohnten. Folglich zahlten sie dort keine Einkommensteuer mehr. Seitdem hat sich Bremen immer stärker verschuldet.
Mit solchen Änderungen können Sie katastrophale Folgen herbeiführen. Vielleicht sollte man hier über eine Korrektur nachdenken.
- Das habe ich doch extra gesagt. So habe ich das doch eingeleitet. Das habe ich zugegeben, Herr Fischer. So leicht bin ich nicht zu überführen.
Ich sage Ihnen noch etwas: Sie wollen den Standort schützen. Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das einzige OECD-Mitglied, das die zulässigen Subventionen für den Schiffbau nicht einmal zur Hälfte zahlt. Alle anderen Länder schöpfen den Rahmen voll aus. Das heißt, Sie benachteiligen den Schiffbau weltweit auf den Märkten, weil Sie an dem Schiffbau nicht interessiert sind, sondern nur ganz bestimmte Unternehmen im Süden unter einen besonderen Schutz stellen wollen. Das ist ja nun besonders auffällig.
Wir sind für eine Reform. Wir sind auch dafür, daß die Kommunen wirklich selbstverwaltet werden. Wir sind dafür, daß sie deshalb auch finanziell wesentlich besser ausgestattet werden. Aber wir werden einer Grundgesetzänderung nicht zustimmen, solange wir überhaupt nicht wissen, wie das Ganze laufen soll und völlig offen ist, ob am Schluß nicht wieder die sozial Schwachen und die Lohnabhängigen alles durch eine Mehrwertsteuererhöhung bezahlen und darüber hinaus die Kommunen erheblich benachteiligt bleiben.
Das ist so mit uns nicht machbar. Deshalb sagen wir zumindest heute nein zu dieser Grundgesetzän-
Dr. Gregor Gysi
derung. Unter anderen Voraussetzungen kann man gegebenenfalls darüber reden.