Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß etwa alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt ein Mensch von einer Mine zerrissen wird. Oft sind es Kinder, die, wenn sie dabei nicht getötet werden, so doch schrecklich verstümmelt werden. „Dann machte es bumm" , berichtet ein kleiner Kambodschaner, „und dann waren meine Beine weg." Es kann für ihn nicht mehr so sein, wie es früher war. Er kann nicht mehr mit seinen Kameraden toben. Er kann nicht mehr Bauer werden. Er ist in vielen Fällen zum Betteln verurteilt. Er fällt allen zur Last.
Oft hat die Mine, die nicht größer als eine Schuhcremedose ist, nur drei Dollar gekostet. So billige und zugleich so gut getarnte Killer gibt es sonst nirgendwo. Zusammen wirken diese Minen wie eine schleichende Massenvernichtungswaffe. Sie wirken als Völkermord in Zeitlupe.
Große Teile des Staatsgebietes z. B. in Kambodscha, Angola, Afghanistan oder Mosambik sind unzugänglich geworden, können sich nicht mehr weiterentwickeln.
1993 sind mit erheblichen internationalen Mitteln ganze 100 000 Minen geräumt worden; aber gleichzeitig sind 2 Millionen neue Minen gelegt worden. Im ganzen gibt es auf der Welt mehr als 100 Millionen ungeräumte Landminen.
Wir, der Deutsche Bundestag, dürfen dabei nicht zusehen. Minenräumung, Aufklärung der Bevölkerung, darauf kommt es an. Dabei gibt es große Leistungen der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen. Sogar Abgeordnete des Deutschen Bundestages, wie die Kollegin Beer, haben sich ja an solchen Aktionen beteiligt. Das Rote Kreuz, Cap Anamur oder eine Organisation, die Sodi heißt - Solidaritätsdienst International -, haben hier große Leistungen vollbracht und große Verdienste aufzuweisen. Sodi z. B. führt ein Projekt, das das Auswärtige Amt 1994 begonnen hatte, in Mosambik fort.
Ich glaube, ich kann für alle Fraktionen in diesem Hohen Hause sprechen, wenn ich sage, daß wir alle den Mitarbeitern und Helfern dieser Organisationen für ihr fabelhaftes Engagement unseren Dank aussprechen.
Meine Fraktion bereitet zur Zeit unter der Federführung der Kollegin Augustin einen Antrag zum Minenräumen vor, das wir stärken müssen, bei uns, aber auch international.
Dr. Friedbert Pflüger
Darüber hinaus geht es neben dem Minenräumen und der Aufklärung der Bevölkerung darum, internationale Vereinbarungen zur Ächtung bzw. Beschränkung des Einsatzes von Landminen zu treffen. Gelegenheit dazu bietet die Überprüfungskonferenz des Waffenübereinkommens der Vereinten Nationen im September in Wien. Dieses Übereinkommen enthält ein Minenprotokoll. Es geht nun darum, dieses zu verschärfen. Darin sind sich, wenn ich das richtig sehe, alle Antragsteller einig. Unterschiede gibt es vor allem hinsichtlich der Realisierungschancen einzelner Forderungen.
CDU/CSU und F.D.P. haben einen gemeinsamen, umfassenden Antrag vorgelegt. Die Kernpunkte dieses Antrages:
Erstens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von fernverlegten Minen ohne Selbstzerstörungsmechanismus.
Zweitens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von metallosen Minen.
Drittens. Wir fordern ein weltweites Verbot der Entwicklung, der Produktion, des Exports und des Einsatzes von Sprengfallen und Anti-Personen-Minen und, bis das erreicht ist, strengste Auflagen für Entwicklung, Produktion, Export und Einsatz solcher Waffen.
Viertens. Wir fordern die generelle Aufnahme strenger Bestimmungen über das Verbot bzw. Beschränkungen beim Verkauf von Landminen in das Minenprotokoll. Die Bundesregierung hat bereits am 8. Juni 1994 ein zunächst auf drei Jahre befristetes Exportmoratorium für Anti-Personen-Minen beschlossen und kann deshalb in der Welt mit großer Glaubwürdigkeit für diese Forderung eintreten.
Fünftens. Wir fordern ferner, daß das Minenprotokoll auch für den Bereich der innerstaatlichen Konflikte Geltung erhält.
Sechstens. Wir fordern, einen Verifikationsmechanismus in das Waffenübereinkommen aufzunehmen oder in das Minenprotokoll zu integrieren.
Siebtens. Wir fordern, daß die bereits vorhandenen Bestimmungen über die „Aufzeichnung und Veröffentlichung der Lage von Minenfeldern, Minen und Sprengfallen" präzisiert und erweitert werden.
Mit diesem Antrag stärken die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. die Verhandlungsposition der Bundesregierung im Vorfeld der Wiener Konferenz.
Es gibt neben viel Zustimmung auch Kritik an unserem Antrag. Diese Kritik kommt von zwei Seiten. Die eine Seite: Vor wenigen Tagen diskutierte ich mit einem Offizier eines NATO-Landes über unseren Antrag. Er sagte, ein vollständiges Verbot von Anti-Personen-Minen sei nicht durchsetzbar und nicht möglich. Man brauche solche Anti-Personen-Minen auch in Zukunft, z. B. um vorrückender Infanterie einen
Sperrgürtel entgegenzustellen. Ich habe ihm widersprochen. Ich habe ihm gesagt: Stellen Sie sich die Bilder verkrüppelter Kinder vor, die keine Zukunft mehr haben.
Es gibt keinen Zweck der Welt, der solche Mittel heiligt. Im Gegenteil: Jedes politische Ziel, und sei es noch so edel, wird durch das Mittel Anti-PersonenMinen diskreditiert.
Die versteckten Mörder schließen nämlich niemals Frieden und unterscheiden nicht zwischen Freund und Feind. Ein General der Roten Khmer wird im „Spiegel" mit den Worten zitiert, Minen seien perfekte Soldaten, furchtlos, treffsicher, niemals müde.
In der zivilisierten Welt haben Anti-Personen-Minen nichts mehr zu suchen!
Ich freue mich, daß wir damit eine Forderung aufgreifen können, für die sich das Jugend-Rot-Kreuz vorbildlich eingesetzt hat. Im Unterausschuß Abrüstung haben wir gerade eine Delegation empfangen. Man hat uns 14 000 Unterschriften überreicht - eine fabelhafte Arbeit, für die ich für meine Fraktion herzlich Dank sagen möchte.
Meine Damen und Herren, Kritik kommt aber auch von einer anderen Richtung. Wir haben einen Brief von Pater Jörg Alt vom Jesuit Refugee Service bekommen, der einer der Sprecher einer bundesweiten Initiative gegen Landminen ist. Er hat zwar gesagt, er sei vom Koalitionsentwurf „angenehm überrascht" - ich weiß nicht, warum er davon überrascht gewesen ist -,
aber vor allen Dingen war er der Meinung, der Antrag gehe nicht weit genug. Er hat uns dann Vorstellungen unterbreitet von dem, was man verändern müßte.
Seine Hauptkritikpunkte sind: Erstens. Man dürfe die Ächtung nicht auf Anti-Personen-Minen beschränken, sondern müsse Landminen generell verbieten.
Zweitens. Man dürfe keine Gelder mehr für Forschung und Entwicklung neuer Minentechnik ausgeben.
Dr. Priedbert Pflüger
Ich finde beide Forderungen verständlich, auch sympatisch, aber letztlich weder realistisch noch sinnvoll.
Ich will das begründen.
Erstens. Ich glaube, daß international nicht die geringste Chance besteht, ein solches Verbot generell durchzusetzen.
Wenn die Bundesregierung das fordern würde, würde man sie auslachen, mit dem Argument: Warum soll sich eigentlich ein kleines Land nicht mit Panzerabwehrminen gegen ein großes Land schützen dürfen, das dieses kleine Land mit Panzern bedroht? Wenn man Panzerminen abschaffen will, warum schaffen wir dann nicht auch gleich die Panzer ab?
Solange Panzer in der Welt sind, muß man sich gegen Panzer auch verteidigen können.
Natürlich kann man die Auffassung vertreten, alle Waffen dieser Welt seien unnütz und sollten verschwinden.
Aber wenn man diese Forderung erhebt - das wissen Sie selbst -, hat man politisch keine Chance. Gerade Sie, meine Damen und Herren von der PDS, sollten ein bißchen vorsichtiger sein, an solchen Stellen zu klatschen. Sie sind die Nachfolgeorganisation der größten Aggressoren. Sie sollten sich in diesem Punkt ein bißchen zurückhalten.