Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schwanhold, wenn Sie meinen, hier sei das Parlament der Bundesregierung auf den Leim gegangen, dann würde das in gleicher Weise auch auf den Bundesrat zutreffen. Ich möchte gleich eingangs meiner Rede erwähnen, daß der gesamte Bundesrat der damals gefundenen Gesetzgebung einstimmig zugestimmt hat. Ich glaube, Sie wissen genauso wie ich, daß im Bundesrat nicht nur CDU-/CSU-Mitglieder sitzen, sondern auch Kollegen aus Ihrer Partei.
Ich möchte Ihnen, Herr Schwanhold, widersprechen. Sie haben gesagt: Wir brauchen eine Anhörung. Eine Anhörung brauche ich dann, wenn ich etwas wissen möchte, was ich normalerweise nicht erfahren kann. Wenn ich mich aber hier unmittelbar vor Ort erkundige, um das eine oder andere in Erfahrung zu bringen, dann, meine ich, kann ich daraus schöpfen, Konsequenzen ziehen und dies ins Parlament mit einbringen, um dann eine Diskussion so zu bestreiten, wie sie heute auf Grund des Tagesordnungspunktes, den Sie ja mit angesetzt haben, notwendig und erforderlich ist.
Warum haben wir dieses Gesetz damals überhaupt novelliert?
- Damals waren Sie nicht dabei, Frau Matthäus-Maier. Damals haben Sie meine Rede nicht gehört, sonst wüßten Sie es.
Das alte Beitragsrecht hatte nämlich dazu geführt, daß von den ca. 1,5 Millionen nicht im Handelsregister eingetragenen kammerzugehörigen sogenannten Kleingewerbetreibenden 1,1 Millionen über-
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haupt keinen Beitrag und die restlichen 400 000 nur den ermäßigten Grundbeitrag zu zahlen hatten.
Die Rechtsprechung sah in der Befreiung von ca. 60 % der Kammerzugehörigen von jeglicher Beitragszahlung einen Verstoß gegen das Prinzip der Beitragsgerechtigkeit. Das Bundesverwaltungsgericht hatte mit Urteil vom 26. Juli 1990 darauf hingewiesen, daß die Gewerbesteuermeßbeträge um so weniger den entscheidenden Maßstab für die Mitgliedsbeiträge einer Kammer bilden können, je mehr die Gewerbesteuer aus wirtschaftspolitischen Gründen auf die größeren Unternehmen verlagert wird. Deshalb sind die Kammern seinerzeit an den Gesetzgeber, an uns, herangetreten, um eine Änderung herbeizuführen. Wir sind diesem Wunsch nachgekommen.
Darüber hinaus stellt es auch - so das Bundesverwaltungsgericht - einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes dar, wenn ein im Handelsregister eingetragenes Unternehmen mit einem jährlichen Ertrag von 300 000 DM ca. 1 500 DM Beitrag an die IHK zu entrichten hatte, während ein im Handelsregister nicht eingetragener Kammerzugehöriger mit demselben Ertrag nur den ermäßigten Grundbeitrag in Höhe von 75 bis 100 DM zu zahlen hatte.
Die Beitragsneuregelung war also aus Rechtsgründen und zur Herstellung von mehr Beitragsgerechtigkeit erforderlich und nicht etwa, um den Industrie- und Handelskammern mehr Einnahmen zu verschaffen. Tatsächlich sind auch die Haushaltsvolumina der Kammern, die das neue Beitragsrecht bereits eingeführt haben - das sind 50 von insgesamt 69 Indusrie-
und Handelskammern -, in den alten Bundesländern unverändert geblieben.
Ich bitte auch darauf Wert zu legen, daß nicht in allen Kammern, Frau Matthäus-Maier, dieses bereits umgesetzt ist.
Hier sind die einzelnen Vollversammlungen gefordert, Beschlüsse zu fassen und das dann umzusetzen.
- Fragen Sie mich doch! Sonst geht mir das von der Redezeit ab.
Die Kammern in den neuen Bundesländern werden dem neuen Recht erst nach Ablauf der Obergangsfrist am 31. Dezember 1997 unterworfen.
Meine Damen und Herren, in der politischen wie öffentlichen Diskussion über das neue Beitragsrecht wird oftmals verallgemeinernd wie irreführend von Beitragserhöhungen der IHKs gesprochen. An Hand
des Beispiels meiner Industrie- und Handelskammer, der für Niederbayern, die das neue Beitragsrecht ab 1. Januar 1996 einführen will, möchte ich verdeutlichen, daß dies an den Realitäten vorbeigeht.
Für 12 000 Gewerbetreibende - das sind immerhin ca. 95 % der bisherigen Beitragszahler - soll auf Grund der Erweiterung des Kreises der Beitragspflichtigen der Grundbeitrag gesenkt werden. Von einer „Umverteilung von oben nach unten", wie oftmals, so auch heute wieder von Ihnen, Herr Schwanhold, behauptet wird,
kann demzufolge überhaupt keine Rede sein.
Ich bestreite nicht, daß es dabei auch einige Problemfälle gibt, die es zu beseitigen gilt.
Aber wenn als Beispiel für die angebliche Ungerechtigkeit des neuen Beitragssystems Antiquitätenhändler oder Immobilienmakler angeführt werden, die jetzt einen jährlichen Kammerbeitrag von 2 000 DM zu zahlen haben, so hinken diese Beispiele.
Durchleuchten wir doch diese Fälle einmal etwas näher: Wer 2 000 DM im Jahr als Beitrag an die Industrie- und Handelskammer abführt, muß einen Gewerbeertrag von mehr als 500 000 DM erzielt haben. Wenn ein Betroffener eines solchen Berufszweiges bisher z. B. nur 100 oder 200 DM im Jahr zahlte, dann lassen sich hier durchaus 1 000 oder 2 000 % Beitragserhöhung errechnen, mit denen man dann - wie eben wieder geschehen und wie Sie das draußen unmittelbar vor Ort immer machen - Stimmung zu erzeugen versucht. Aber hier von sozialen Härtefällen zu reden, halte ich vor diesem Hintergrund für undiskutabel. Auch und gerade Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die immer wieder für eine stärkere Belastung der Besserverdienenden eintreten, müßten doch eigentlich begrüßen, daß auch diese Gewerbetreibenden durch die Gesetzesnovelle von 1992 zur Beitragszahlung herangezogen werden. Es ist dies ein Stück Gerechtigkeit.
Soweit es sich wirklich um Kleingewerbetreibende handelt, die neu in die Beitragspflicht einbezogen werden und einen Gewinn von unter 15 000 DM ausweisen, beträgt der Jahresbeitrag in der Regel weniger als 100 DM - bei meiner Kammer z. B. sind es 90 DM -, die zudem noch steuerlich als Geschäftsausgabe absetzbar sind. Also, Emotionen, zu wecken ist fehl am Platze. Vergessen wir eines nicht: Wenn ich Mitglied in einem Sportverein bin, dann zahle ich einen Mindestbeitrag von 10 DM monatlich; das sind 120 DM im Jahr. Das ist mehr, als in diesem Fall seitens der Kammern den einzelnen kleinen Gewerbetreibenden abverlangt wird.
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Häufig wird von denjenigen Kammerzugehörigen, die nunmehr erstmals zu Beitragszahlungen herangezogen werden, der Einwand vorgebracht, sie hätten die Leistungen der Kammer nie in Anspruch genommen. Das kann individuell so sein. Aber die Aufgabenstellung ist größer. IHKs sind Körperschaften des öffentlichen Rechts; sie erfüllen übertragene Aufgaben des Staates. Zudem wird der Staat bei Wirtschaftsförderungsmaßnahmen beraten und unterstützt, um so für seine Vorgaben auf wirtschaftlichem Gebiet ein möglichst hohes Maß an Sachnähe und Richtigkeit zu haben. Selbst wenn es zuträfe, daß ein kammerzugehöriges Unternehmen nie eine Leistung der Kammer, z. B. die in der Praxis so wichtige Unabkömmlichkeitsbescheinigung nach dem Wehrpflichtrecht, in Anspruch genommen hätte, die ihm sichtbar und meßbar einen einzelwirtschaftlichen Vorteil gebracht hätte, so hat es mit Sicherheit von den vielfachen, von dem Unternehmen vielleicht nicht wahrgenommenen Leistungen profitiert, die die Kammern bei der Vertretung gesamtwirtschaftlicher Interessen, z. B. in der Steuer- und Verkehrspolitik, oder im Rahmen der Wirtschaftsförderung, z. B. bei der Berufsbildung, der Regionalpolitik, der Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs usw., für die Wirtschaft des jeweiligen Kammerbereichs erbracht haben.
Im übrigen sind IHKs eben keine Interessenvertreter wie die Verbände, sondern im Interesse der Wirtschaft Partner, Berater und Helfer des Staates und seiner Einrichtungen.
Lassen Sie mich zu dem vorliegenden Gesetzentwurf noch folgendes sagen. Grundsätzlich möchte ich bemerken, daß ich die Initiative der SPD für völlig verfrüht halte. Das neue IHK-Gesetz ist nicht einmal eineinhalb Jahre in Kraft. Die Veranlagung für 1994 mußte auf Grund der Zahlen aus den Jahren 1991 und 1992 erfolgen, die eine völlig andere Konjunktursituation widerspiegeln.
Für den Fall, daß Beiträge im Verhältnis zum tatsächlichen Erhebungsjahr zu hoch veranschlagt sind, weil die Bemessungsgrundlagen aus Vorjahren stammen oder geschätzt wurden, ist zu beachten, daß dies durch Abrechnung nach vorliegenden endgültigen Bemessungsgrundlagen ausgeglichen wird. Die Kammern werden dann ohnehin zu einer Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur von Grundbeiträgen und Hebesätzen kommen.
Gründe, die eine gesetzliche Neuregelung rechtfertigen würden, liegen wegen fehlender praktischer Erfahrungen nicht vor. Der Gesetzentwurf ist deshalb als politische Reaktion auf vereinzelte, dafür aber um so lautstärkere Kritik derjenigen zurückzuführen, die entsprechend dem gesetzgeberischen Willen verstärkt zur Kammerfinanzierung herangezogen werden, was ich vorhin bereits an Hand verschiedener Beispiele darzulegen versuchte.
Ich bin davon überzeugt, daß der vorliegende SPD- Gesetzentwurf Auswirkungen hätte, die gegen die Beitragsgerechtigkeit verstoßen und deshalb von der Rechtsprechung als rechtswidrig angesehen würden. Die vorgesehenen Freigrenzen würden dazu führen, daß über 80 % der IHK-Zugehörigen beitragsfrei gestellt würden. Dies liefe auf die Wiederherstellung der alten Verhältnisse hinaus, die von der Rechtsprechung bereits als verfassungsrechtlich bedenklich bezeichnet worden sind.
- Ja sicher, Herr Kollege Schwanhold, ist das richtig.
Auch in der Wirtschaft gilt: Wenn Leistungen erbracht werden, auf die ein Anspruch besteht, dann muß dafür auch ein finanzieller Beitrag geleistet werden. Davon ist dieses Gesetz bestimmt.
Mit der Wiedereinführung der Gewerbekapitalsteuer als Kriterium für die Beitragsbemessung legen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, eine Bemessungsgrundlage zugrunde, die es nach dem Willen der Bundesregierung und der sie tragenden Koalitionsfraktionen - das haben wir eben beschlossen - ab dem 1. Januar 1996 nicht mehr geben wird.
Nun weiß ich sehr wohl, daß Sie diese substanzverzehrende Sonderbelastung der deutschen Wirtschaft gerne beibehalten wollen. So gesehen handeln sie sogar konsequent.
Die Wiedereinführung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages als Beitragsbemessungsgrundlage würde aber dazu führen, daß die Kammerbeiträge nach zwei völlig unterschiedlichen Kriterien festgelegt werden müßten. Da in den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag nur Prozentteile des Gewerbeertrages und des Gewerbekapitals eingehen, beträgt der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag nur einen Bruchteil der Bemessungsgrundlagen „Gewerbeertrag" und „Gewinn aus Gewerbebetrieb".
Die Kammern müßten also, sollte Ihr Vorschlag, Herr Kollege Schwanhold, Gesetz werden, für die Umlageberechnung zwei unterschiedliche Hebesätze festlegen: einen für die Grundlage „Gewerbesteuermeßbetrag" und einen für die Grundlage „Ertrag" . Ich gehe davon aus, daß Ihnen Frau Kollegin Matthäus-Maier hier unter die Anne greift, damit Sie erkennen können, wo der Unterschied liegt.
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Eine solche Regelung wäre nicht nur unpraktikabel und undurchschaubar, sondern würde zu noch mehr Bürokratie führen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie machen damit natürlich Ihrem Ruf als Regulierungs- und Bürokratismuspartei wieder alle Ehre.
Sie heißen nicht nur Sozialdemokratische Partei, sondern ich möchte sagen: Sozialbürokratismuspartei.
Die in Ihrem Entwurf vorgesehene Deckelung des Beitragsaufkommens würde zugleich zu einer Dekkelung der Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Industrie- und Handelskammern führen. Mit der Begrenzung des Beitragsaufkommens auf die Hälfte der sonstigen Einnahmen der Kammern soll erreicht werden, daß sich die Kammern möglichst weitgehend aus Service-Leistungen für Unternehmen finanzieren.
- Herr Kollege Schwanhold, Sie haben die Möglichkeit zu fragen. Bitte schön!
Nach meiner Meinung sollte eine Änderung des 1993 beschlossenen Kammergesetzes nicht erfolgen. Allerdings wäre es zu begrüßen, wenn der Gegenwert der von den Unternehmen zu zahlenden Kammerbeiträge erhöht würde. Das könnte z. B. dadurch geschehen, daß man den Kammern Funktionen überträgt, die heute vom Staat oder Institutionen der öffentlichen Hand wahrgenommen werden.
Ein Beispiel hierfür ist die Privatisierung des Handelsregisters. Warum muß das der Staat machen? Warum muß das die Justiz machen? Wir haben in verschiedenen europäischen Ländern bereits heute private Gesellschaften, die die Handelsregister führen: in Italien, in den Niederlanden. Der Zwischenbericht einer Kienbaum-Studie kommt zu dem Ergebnis, daß nicht nur aus Kostengründen, sondern auch wegen der Informationsversorgung der Wirtschaft eine Privatisierung des Handelsregisters in Richtung auf die Industrie- und Handelskammern sinnvoll wäre. Diese würde mittelbar auch dazu führen, daß eine Beitragsentlastung entstünde.
- Ja, Herr Kollege Weng, wenn Sie mich hier unterstützen. Ich bin gerne bereit, in dieser Richtung zu marschieren. Das entspricht genau unseren Grundsätzen: Nur so viel Staat wie unbedingt erforderlich
und so viel wirtschaftliche Freiheit wie irgend möglich.
Ich hoffe, daß die SPD dem gerecht wird, was sie uns in dieser Angelegenheit abverlangt, daß sie mit an einer Leine zieht und mitmarschiert.