Frau Kollegin Matthäus-Maier, wir reden im Moment eigentlich über die Unternehmensteuerreform
und über die notwendige Grundgesetzänderung, um einen fairen Ausgleich für die Gemeinden zu schaffen. Der Bundesfinanzminister, die Bundesregierung wie die Koalition haben sehr wohl einen Gesetzentwurf zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums vorgelegt. Er ist auch viel diskutiert worden. Ich kann Ihnen dazu im einzelnen etwas sagen.
Dies als Antwort auf Ihre Frage. Es ist nicht wahr, daß wir keinen Gesetzentwurf vorgelegt haben.
Ich halte den von uns vorgelegten Gesetzentwurf nach wie vor für einen wohlerwogenen. Wir stehen bei der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums vor dem Problem - -
- Wir haben doch einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er liegt zur Beratung im Finanzausschuß. Ich antworte auf Ihre Frage. Ihre Frage war, warum nicht rechtzeitig ein Gesetzentwurf vorgelegt worden sei. Er ist vorgelegt, er ist in der Beratung. Unser Entwurf stößt auch auf Kritik. Aber die Kritik gründet sich im Kern darauf, daß wir uns gemeinsam - auch Sie - dafür entschieden haben, die Steuerfreistellung des Existenzminimums bei der Lohn- und Einkommensteuer ohne Kompensation vorzunehmen. Deswegen können wir nicht ein Ausfallvolumen von 40 Milliarden DM entstehen lassen. Jede Regelung, ob der Schleußer-Tarif, der Tarif des Instituts Finanzen und Steuern oder der von der Koalition vorgeschlagene Tarif bzw. Grundentlastungsbetrag, hat ihre Probleme. Man kann über sie vernünftig diskutieren.
Für den Familienleistungsausgleich haben wir einen Gesetzentwurf noch nicht vorgelegt, weil wir gemeinsam eine Verabredung getroffen haben. Unser Modell ist klar. Ihre Partei hat in dieser Sache vor der Bundestagswahl plakatiert. Wir haben gesagt, die Frage, ob wir eine Regelung unter Einbeziehung der Finanzämter treffen oder uns für eine Kombination von Arbeitsverwaltung und Steuerverwaltung entscheiderf, soll zunächst einvernehmlich mit den Ländern erörtert werden. Das war ein länderfreundliches Verhalten der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers.
Jetzt haben die Lander - übrigens vor allem Ihre - gesagt, sie wollten eine Finanzamtslösung nicht. Deswegen wird der Bundesfinanzminister die Vorschläge der Koalition in Form eines Gesetzentwurfs sehr kurzfristig vorlegen, der eine verwaltungsmäßige Regelung wie bisher in Kombination von Arbeitsverwaltung und Steuerverwaltung vorsieht. - Soweit die Antwort auf Ihre Frage.
Zurück zur Unternehmensteuerreform. Herr Ministerpräsident Lafontaine oder Herr Scharping - die Troika sitzt gerade zusammen; überlegen Sie es sich noch einen Moment -, ich biete Ihnen ausdrücklich an, meiner Fraktion und auch den Kollegen von der F.D.P. vorzuschlagen, daß wir, wenn Sie Ihre Bereitschaft erklären, die Gesetzesberatung bis zur Jahresmitte abzuschließen, heute nicht abzustimmen brauchen. Sie können darauf antworten.
Zweite Bemerkung. Sie führen einen Eiertanz vor.
- Herr Präsident, helfen Sie mir ein bißchen. Ich mag nicht in einen Wettbewerb eintreten, wer am lautesten schreien kann. Es gibt ein paar Schreihälse, mit denen ich in dieser Beziehung nicht konkurrieren kann. Bei mir besteht der Kopf nicht nur aus Kehlkopf wie bei einigen dieser Schreihälse.
Außer Luxemburg - Luxemburg hat eine spezifische Situation und Konstellation - gibt es in der Europäischen Union kein anderes Land, das gewerbliche Erträge und gewerbliche Investitionen steuerlich doppelt erfaßt und belastet. Es gibt kein zweites Land außer Deutschland.
- Ach, Herr Lafontaine, machen Sie doch keine so dummen Sprüche! Das ist ja nun wirklich albern. Mit der Führungsrolle hat das nichts zu tun, sondern es hat damit zu tun, daß wir zu wenige Arbeitsplätze in Deutschland haben und daß die Gefahr besteht, daß noch mehr Arbeitsplätze abwandern.
Das wissen Sie im übrigen selber. Deswegen sagen Sie ja, man solle den Versuch machen, die Zustimmung der Europäischen Union dafür zu erlangen, daß die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern vielleicht doch noch um zwei Jahre verschoben werden kann. Damit geben Sie selbst zu, daß die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern ein Übel ist. Weil sie ein Übel ist, muß sie abgeschafft werden.
Dieses Übel wird auch in zwei Jahren nicht besser, selbst wenn Sie es vielleicht, was keiner weiß, noch einmal schafften, sie um zwei weitere Jahre zu verschieben.
- Hören Sie doch einen Moment zu, Herr Poß! Wollen Sie die Gewerbekapitalsteuer in zwei Jahren abschaffen? Dann lassen Sie sie uns doch gleich abschaffen. Oder wollen Sie sie in zwei Jahren einführen? Dann hilft die Aufschiebung auch nichts. Nein, die Entscheidung ist für jedermann klar: Die Gewer-
Dr. Wolfgang Schäuble
bekapitalsteuer muß abgeschafft werden, wenn wir mehr Investitionen in Deutschland und in Deutschland (Ost) haben wollen und wenn wir die Voraussetzung für mehr wirtschaftliches Wachstum und mehr Arbeitsplätze schaffen wollen.
Darum und um nichts anderes geht es, und dem können Sie nicht ausweichen.
Um diese Entscheidung geht es, und da wissen Sie, daß Sie in Wahrheit ganz alleine stehen. Herr Scharping - -
- Gut, das ist in Ordnung. Trotzdem bleibt falsch, was er gesagt hat. Kürzlich habe ich in einem Interview von ihm gelesen, daß nur Betriebe, denen es gutgeht, Gewerbekapitalsteuer zahlen müßten. Da muß ich ihm sagen, daß das leider falsch ist. Die Gewerbekapitalsteuer muß auch ein Unternehmen zahlen, das überhaupt keinen Gewinn, sondern nur Verluste hat. Das ist die Wahrheit.
Es werden sogar die Dauerschulden dem Einheitswert des Betriebsvermögens hinzugerechnet. Ihre These von den 16 %, die Sie von irgend jemandem gehört haben, beruht auf ziemlich alten Gewerbesteuerstatistiken; wir haben leider keine neuen.
Ich will Ihnen sagen: Ein Betrieb mit einem Einheitswert des Betriebsvermögens von etwa 100 000 DM ist im Durchschnitt bereits gewerbekapitalsteuerpflichtig, weil ja noch ein paar Hinzurechnungen dazukommen. Das ist schon ein mittlerer Betrieb. Wir haben etwa 350 000 Betriebe mit einem Einheitswert des Betriebsvermögens, das deutlich über 100 000 DM liegt, und das sind nicht alles Großunternehmen.
Deren Investitionen werden doppelt belastet: nicht nur durch die betriebliche Vermögensteuer, sondern auch durch die Gewerbekapitalsteuer. Wenn deren Einführung in Ostdeutschland droht, ob zum 1. Januar 1996 oder vielleicht um ein oder zwei Jahre geschoben, dann ist das für alle potentiellen Investoren im In- und Ausland ein abschreckendes Signal, das den Aufschwung Ost und die Vollendung der deutschen Einheit behindert.
Deswegen kann ich wirklich nur an Sie appellieren: Schauen Sie es sich ein bißchen genauer an und hören Sie ein bißchen auf Leute, die etwas davon verstehen!
- Entschuldigung, Herr Lafontaine hat sich im letzten Jahr so bemüht, eine gewisse Kompetenz in Wirtschaftsfragen für die SPD zu erringen.
Sie setzen alles aufs Spiel, weil jeder, der weiß, daß Investitionen die Grundlage der Arbeitsplätze von morgen sind, auch weiß, daß die Gewerbesteuer gesenkt und die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft werden muß, und zwar je früher, desto besser.
Alle, die sich den Gemeinden gegenüber fair verhalten wollen - das haben wir immer gesagt -,
müssen für jede Senkung bei der Gewerbesteuer einen fairen Ausgleich für die Gemeinden sicherstellen. Es gibt keinen besseren, verläßlicheren und dauerhafteren Ausgleich für die Gemeinden als die Beteiligung an der Mehrwertsteuer. Das sagen die Gemeinden selbst.
Herr Scharping, Sie haben auf die Zwischenfrage eines Kollegen aus meiner Fraktion gesagt
- Moment, jetzt antworte ich erst dem Herrn Scharping, denn die Unwahrheit muß ausgeräumt werden -, Herr Rommel habe nicht die Meinung des Deutschen Städtetages wiedergegeben, als er Ihnen und vielen anderen geschrieben hat, Sie möchten der Grundgesetzänderung zustimmen, die eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer überhaupt erst ermöglicht. Ich habe mir das Protokoll der Anhörung des Finanzausschusses noch einmal durchgelesen. Da ist für den Deutschen Städtetag der Finanzdezernent Wimmer aufgetreten. Der hat auf eine Frage meines Kollegen Hauser - ich habe es wörtlich auf meinem Abgeordnetenplatz liegen; ich kann es herholen - geantwortet, daß der Deutsche Städtetag die vorgeschlagene Grundgesetzänderung begrüßt und unterstützt, daß er den Bundestag auffordert, diese Änderung vorzunehmen, und an Sie appelliert, dem zuzustimmen.
Das ist die Wahrheit. Was Sie gesagt haben, ist die Unwahrheit.