Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich zur Sache komme, mit einer Bemerkung zum Kollegen Schäuble beginnen.
Herr Kollege Schäuble, Sie haben die Anwesenheit zweier Ministerpräsidenten beim Staatsakt am 8. Mai mit der Frage in Verbindung gebracht: Wie hältst du es mit einer Grundgesetzänderung? Das halte ich von der Sache her für völlig daneben und von der politischen Intention her für infam.
Joseph Fischer
Ausgerechnet Sie als Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion haben dies getan, obwohl im Vorfeld des 8. Mai Äußerungen jenseits des Erträglichen gefallen sind. Dabei denke ich nur an den abwesenden Ehrenvorsitzenden Ihrer Fraktion und seine geplante Rede.
Gerade Sie, Herr Schäuble, der Sie in einem Interview eine abgeschmackte Äußerung dergestalt gemacht haben, als wolle man den Kriegerwitwen mit der Frage „Befreiung oder Niederlage?„ noch vorschreiben, welche Speisenfolge sie an diesem Tag einzuhalten haben, haben uns hier keine Belehrungen vorzutragen.
Doch nun zur Sache. Meine Damen und Herren, Sie tun gerade so, als würden wir hier über eine normale Gesetzesänderung sprechen. Wir sprechen jedoch über eine Grundgesetzänderung. Dafür brauchen Sie eine Zweidrittelmehrheit. Diese Mehrheit haben Sie nicht. Wenn Sie wirklich Interesse an einer Grundgesetzänderung haben - diese Grundgesetzänderung soll nach den Äußerungen Ihrer Redner zum Gegenstand haben, daß die Gemeindefinanzen neu geordnet werden und daß es zu einer Entlastung der Unternehmen kommt -, dann müssen Sie einen Entwurf vorlegen, der zweidrittelmehrheitsfähig ist. Ansonsten muß ich Ihnen vorwerfen: Sie haben gar kein Interesse an dieser Änderung, sondern wollen im wesentlichen Wahlkampf machen.
Das ist auch sehr einfach zu beweisen. Der Finanzminister nimmt große Worte in den Mund. Es geht um die Verantwortung für Deutschland. Es geht um den Industriestandort. Der Wirtschaftsminister hält der Opposition vor, wir müßten zustimmen, sonst würde der Industriestandort Deutschland gefährdet sein. Dann erklärt uns der Kollege Schäuble, wir blockierten, verzögerten und verhinderten eine ordentliche Beschlußfassung.
Herr Kollege Schäuble, leihen Sie mir einmal für einen kurzen Augenblick ein Öhrchen; denn ich möchte Ihnen zwei Daten vorlesen. Wenn die Opposition blockiert und verhindert, dann frage ich Sie: Was hat Sie in den letzten drei Jahren, seit dem 25. September 1992, daran gehindert, das Existenzminimum zu regeln?
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Kindergeld ist am 29. Mai 1990 ergangen. Bis heute liegt kein beschlußfähiger Vorschlag dieser Koalition vor,
trotzdem spricht Schäuble von Blockade durch die Opposition.
Ich spreche nun von dem Punkt, um den es heute geht. Es geht um die Frage: Was wird aus den Gemeindefinanzen? Da muß sich der Finanzminister schon vorhalten lassen, daß der Vorschlag, den er gemacht hat, nicht zustimmungsfähig ist.
Alle Redner der Opposition haben hier heute gesagt - ich wiederhole das -: Wir sind zu einer durchgerechneten Reform der Gemeindefinanzen bereit, aber was nicht sein kann, ist, daß die Katze zu Lasten der Gemeinden im Sack gekauft wird, daß wir heute eine Grundgesetzänderung machen, daß der Kern der kommunalen Selbstverwaltung in der Frage des eigenen Hebesatzrechts bei der Gewerbesteuer endgültig abgeschafft wird - das ausgerechnet vom Parteivorsitzenden der CSU, der sich in Brüssel so viel auf seine Subsidiarität zugute hält -, daß demnach die Kommunalfreiheit, der Kern der Demokratie, an einem entscheidenden Punkt geschwächt wird, ohne daß wir wissen, was darauf folgt.
Ich sage Ihnen: Wir trauen dieser Regierung und dieser Koalition in dieser Frage nicht.
Wenn es einen gemeinsamen Vorschlag gibt, der eine durchgerechnete Grundgesetzänderung mit entsprechenden spezifischen Ausgleichsformen für die Gemeinden beinhaltet, dann sind wir bereit, diesen mitzutragen. Aber der Methode Waigel stimmen wir nicht zu.
Abschließend möchte ich noch ein Wort zum Bundesfinanzminister sagen. Wir erleben in dieser Situation zum erstenmal, daß die Koalition eine Strukturreform anpackt. Ich verstehe jetzt auch, warum der Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung so vage war. Schauen wir uns doch das Schicksal dieses famosen Reformgesetzes an, schauen wir uns an, was aus dem Waigel-Entwurf geworden ist. Nicht ein einziger Sachverständiger hat sich in der Anhörung für die Position der Bundesregierung und der Koalition ausgesprochen. Nicht ein einziger! Der Vorschlag von Waigel und seinem Haus ist doch nicht nur wie eine Weihnachtsgans gerupft, sondern ad acta gelegt worden.
Auf der anderen Seite erklärt uns sein Staatssekretär Faltlhauser, nun werde die Regierung aufhören zu regieren, man werde keinen geänderten Entwurf mehr vortragen, die Opposition solle nun gefälligst vorschlagen, wie es weitergeht. Das ist Regierungskunst à la Waigel.
Joseph Fischer
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Die Handlungsfähigkeit Ihrer Koalition, Herr Bundeskanzler, nachdem Sie aus dem äußeren Raum des historischen Gedenkens wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen sind - -