Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In meiner Eigenschaft als Abgeordneter darf ich Sie zu dieser denkwürdigen Debatte herzlich begrüßen.
Im Mittelpunkt der Finanzpolitik der Bundesregierung steht die Zukunft des Standorts Deutschland. Die internationalen Verflechtungen werden enger, die Konkurrenz auf den Weltmärkten wird schärfer. Wer sich auf diese Rahmenbedingungen nicht rechtzeitig einstellt und nicht entsprechend politisch handelt, gefährdet das Wirtschaftswachstum in Deutschland, verhindert Investitionen und die Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplätzen im nächsten Jahrzehnt.
Wir stellen uns dieser Zukunftsaufgabe. Es wird sich heute zeigen, ob die Opposition auf Taktieren vor den Landtagswahlen verzichtet und sich der Verantwortung für Deutschland stellt.
Nach letzten Äußerungen aus Ihren Reihen wollen Sie weder den Reformbedarf bei der Gewerbesteuer
Dr. Theodor Waigel
noch die historische Chance einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Gemeindefinanzen sehen. Das verwundert sehr, wenn man die Auffassungen der Finanzpolitiker der SPD und auch der SPD-regierten Länder wirklich kennt.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist auch ihr erklärtes politisches Ziel, zumindest für später. Wenn Sie sich heute verweigern, so geschieht dies aus rein wahltaktischen Gründen und hat nichts mehr mit verantwortungsvoller Politik zu tun.
Sie verweigern den Kommunen eine Beteiligung an der Umsatzsteuer, die deren finanzielle Basis sichert und auch von der SPD befürwortet wurde. Ihr Abstimmungsverhalten am heutigen Tag kann eine Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern zur Folge haben. Aber dies scheint Ihnen egal zu sein.
Meine Damen und Herren, es kann doch wohl nicht wahr sein, daß wir durch eine solche Entscheidung und durch Nichthandeln im Jahr 1995 die Gewerbekapitalsteuer im Jahr 1996 in den neuen Bundesländern mit einem ungeheueren Verwaltungsaufwand einführen müssen, um sie ein Jahr oder zwei Jahre später wieder abzuschaffen. An diesem Treppenwitz der Steuerpolitik können Sie doch nicht mitwirken.
- Wenn dies so kommt, dann regiert Wahltaktik über finanzpolitische Vernunft.
Daran können auch bessere Einsichten in den eigenen Reihen, die Ratschläge seitens der Wissenschaft, der Kommunen und der Wirtschaftsverbände anscheinend nichts ändern.
Auch wenn Ihre Linie schon festgelegt ist und auch wenn Sie die Ablehnung der heute vorgeschlagenen Gesetzesänderung angekündigt haben, appelliere ich doch noch einmal an Sie: Überlegen Sie es sich gut, welche Verantwortung Sie für die Wirtschaft und für die Gemeinden mit ihrer Ablehnung übernehmen. Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wollen wir den Standort Deutschland auf den Weltmärkten über dieses Jahrzehnt hinaus sichern und stärken.
Die von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagene Grundgesetzänderung ist der Schlüssel dafür, in der nun schon jahrzehntelang andauernden Diskussion um die Gewerbesteuer und einer Reform der Gemeindefinanzen jetzt endlich einen entscheidenden Schritt zu tun.
Deutschland muß als Investitions- und Arbeitsplatzstandort Zukunft haben.
Dies liegt insbesondere im Interesse der Gemeinden. Hier haben wir in den letzten Jahren bereits Entscheidendes auf den Weg gebracht.
Erster Schritt: Im Steueränderungsgesetz 1992 gab es deutliche Entlastungen bei den ertragsunabhängigen Steuern, insbesondere bei der betrieblichen Vermögensteuer und bei der Gewerbesteuer.
Zweiter Schritt: Mit dem Standortsicherungsgesetz kam es zu spürbaren Senkungen des Einkommensteuerhöchstsatzes für gewerbliche Einkünfte und der Körperschaftsteuersätze.
Jetzt muß der dritte Schritt folgen. Die Gewerbesteuer ist nach ihrer Abschaffung in Österreich - übrigens unter einem sozialdemokratischen Kanzler und unter einem sozialdemokratischen Finanzminister -
noch mehr zu einer international isolierten Sonderbelastung der Unternehmen in Deutschland geworden.
Die Gewerbekapitalsteuer soll daher ganz abgeschafft werden, und die Gewerbeertragsteuern sollen mittelstandsfreundlich gesenkt werden. Hier wollen wir die Steuermeßzahlen linear um 10 % senken. Dazu kommt eine Ausweitung der Freibeträge für Personengesellschaften und eine Progressionsmilderung innerhalb der Tarifstaffel für Personenunternehmen.
Die Öffnung der Verfassung für eine Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden ermöglicht zugleich eine Reform der Gemeindefinanzen. Das sehen auch die Kommunen - trotz Unterschieden in ihren eigenen Reihen - als eine historische Chance. Sie ist durchaus vergleichbar mit der ersten großen Finanzreform unter Finanzminister Franz Josef Strauß Ende der 60er Jahre.
- Meine Damen und Herren, das muß nachträglich in die Erinnerungen von Franz Josef Strauß aufgenommen werden, daß der Ministerpräsident des Saarlands bei Nennung des Namens Franz Josef Strauß sagt: „Das waren noch Zeiten! "
Dr. Theodor Waigel
- Er wird, lieber Herr Lafontaine, wohlgefällig auf Sie heruntersehen
und sagen: Auch Oskar hat hinzugelernt.
Ich erinnere noch einmal an die damals für die Gemeinden wichtigsten Punkte: Verbesserung des Gemeindefinanzsystems und spürbare Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden durch eine 14%ige Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer - im Gegenzug gab es die Einführung der Gewerbesteuerumlage -, Schaffung der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Mitfinanzierung des Bundes an gemeindlichen Investitionen und Stärkung der verfassungsrechtlichen Stellung der Gemeinden, nämlich unmittelbare Zuweisung des Aufkommens der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern durch das Grundgesetz an die Gemeinden und die grundgesetzliche Verankerung des Hebesatzrechts für die Realsteuern.
Diese Reform hat die Finanzsituation der Gemeinden durchgreifend gestärkt. Ähnlich positive Wirkungen hätte auch die jetzt von uns geplante Reform. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wird die Einnahmestruktur der Gemeinden nachhaltig verbessern. Die Umsatzsteuer ist eine dynamisch wachsende Einnahmequelle. Im Gegensatz zur Gewerbesteuer ist sie weitgehend konjunkturunabhängig. Die Gemeinden müssen nicht mehr vor jedem Konjunktureinbruch zittern, mit dem die Gewerbesteuereinnahmen abrupt zurückgehen. Damit entfällt ein Hauptgrund für das konjunkturell negativ zu bewertende prozyklische Ausgabenverhalten der Gemeinden. Die Vereine und insbesondere die kulturellen Einrichtungen vor Ort brauchen nicht jedes Mal um ihre gemeindlichen Zuschüsse zu bangen, die jederzeit drastisch zusammengestrichen werden können. Mehr Planungssicherheit ist die Folge.
Modellrechnungen haben übrigens ergeben: Die Gemeinden hätten in Folge der Wachstumsdynamik der Umsatzsteuer bis zum Jahr 1995 Mehreinnahmen von über 2 Milliarden DM gehabt, wenn die von der Bundesregierung beabsichtigte Reform schon 1991 verwirklicht worden wäre. Wenn man zusammenrechnet, was die Gemeinden zusätzlich bekämen, wenn die Reform durchgeführt wird, so sind es von 1996 bis 1999 wieder mehr als 2 Milliarden DM. Sie werden die Fragen der Kommunalpolitiker beantworten müssen, warum ihnen diese Einnahmeverbesserung verwehrt wird: durch ein negatives Votum der SPD.
Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer ist nicht neu. Wir haben sie bereits im Steueränderungsgesetz 1992 als Entwurf gehabt. Es ist dann wenigstens gelungen, der Vernunft wenigstens halbwegs gehorchend, sie in den neuen Bundesländern nicht einzuführen.
Mit dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft sind die bedeutsamsten Steuern heute die Umsatz- und die Lohn- und Einkommensteuer. Mit der vorgeschlagenen Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer und dem bereits bestehenden Anteil an der Einkommensteuer werden die Gemeinden an diesen beiden Steuern maßgeblich beteiligt sein.
Der Vorschlag der Koalition sichert das kommunale Finanzfundament weit über dieses Jahrzehnt hinaus. Auch in Zukunft werden die Gemeinden den Großteil ihrer Einnahmen eigenverantwortlich gestalten können. Ihr Hebesatzrecht bei der verbleibenden Gewerbe- und Grundsteuer bleibt unangetastet. Natürlich mindert sich das Volumen der durch Hebesätze eigenverantwortlich festgelegten Einnahmen durch die Reform. Aber viele Gemeinden halten eine stetig fließende Umsatzsteuer für weitaus wertvoller als eine wenig berechenbare Gewerbesteuer, deren Entwicklung von der Konjunktur und manchmal sogar von der Ertragssituation nur eines einzigen größeren Unternehmens vor Ort abhängt.
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die mit der Gewerbesteuerreform verknüpfte Grundgesetzänderung muß jetzt entschieden werden. Am - ich erwähnte es vorhin - 31. Dezember 1995 läuft die Aussetzung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern aus. Wenn Vertreter der SPD behaupten, man müsse jetzt auch die Ostkommunen an dieser wichtigen Einnahmequelle beteiligen, dann ist das schlichtweg unverantwortlich. Die Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Unternehmen, für die Arbeitsplätze und für die Steuerverwaltung in den neuen Bundesländern.
Die Steuerverwaltung müßte zur Ermittlung des Gewerbekapitals zunächst einmal die Einheitswerte für die Betriebsgrundstücke feststellen. Dafür fehlen in den meisten Fällen die entsprechenden Unterlagen. Diese zeitraubende und verwaltungsaufwendige Arbeit kann mit dem vorhandenen Personal nicht durchgeführt werden. Nach Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft müßten Tausende von neuen Beamten eingestellt werden.
- Sie benützen sie doch auch. Da darf ich sie doch auch benützen.
- Entschuldigung, im Gegensatz zu Ihnen nehmen wir Kritik auf und bauen sie auch in unsere Vorschläge ein,
Dr. Theodor Waigel
während Sie in einer stupiden Ablehnung verharren. Das ist der große Unterschied.
Die Unternehmen müßten einen Großteil der notwendigen Daten zunächst in einem aufwendigen Verfahren selbst bereitstellen, statt sich auf ihre eigentliche unternehmerische Tätigkeit und damit auf die Schaffung von Arbeitsplätzen zu konzentrieren. Die entstehenden Gewerbesteuerbelastungen wären für die betroffenen Unternehmen beträchtlich. Dort, wo noch kein Gewinn erzielt wird, müßte die Gewerbekapitalsteuer aus der Substanz oder mit neuen Krediten gezahlt werden.
Völlig grotesk ist die Situation, wenn die öffentliche Hand in den neuen Bundesländern mit der einen Hand langfristige Darlehen zur Existenzgründung, -erweiterung und -sicherung oder zur Umschuldung eines Betriebes gibt und mit der anderen Hand die Kommune die Gewerbekapitalsteuer aus eben diesen Darlehen kassiert.
Wenn der Fraktionsvorsitzende der SPD angesichts dieser Tatsachen das Problem der Einführung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern als Unfug oder vorgeschoben bezeichnet, ist dies falsch und zynisch zugleich.
Die Koalition will die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht einführen.
Sie müssen auch klar sehen, daß eine Verlängerung der Aussetzung über 1995 hinaus von der EU-Kommission abgelehnt wird und wir in eine ganz schwielige Situation kämen.
- Beruhigen Sie sich doch! Haben Sie noch keinen Kaffee in der Frühe gehabt, daß Sie so nervös sind?
Ich frage Sie, welcher deutsche Steuerzahler und Unternehmer das verstehen soll: Zum einen werden Investitionen in den neuen Ländern aus guten Gründen massiv steuerlich gefördert. Zum anderen wird eine Einführung der Gewerbekapitalsteuer zu massiven steuerlichen Zusatzbelastungen der Unternehmen führen. Die im Jahressteuergesetz vorgesehenen Fördermaßnahmen wie Investitionszulage. oder Sonderabschreibung, die ja fortgeführt werden, werden damit konterkariert.
Die Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden in Höhe von 2,7 % ist der richtige Weg. Er berücksichtigt die Interessenlage von Wirtschaft und Gemeinden. Meine Damen und Herren, es ist für uns ganz entscheidend, daß auch künftig der Verbund zwischen örtlicher Politik und Wirtschaft erhalten bleibt und daß diejenigen Gemeinden profitieren, die heute den Mut haben, mit einem wirtschaftsfreundlichen Klima für die bestehenden Unternehmen etwas zu tun und für die Ansiedlung weiterer Unternehmen Sorge zu tragen. Genau dies wird erreicht.
In der Anhörung des Rechts- und des Finanzausschusses des Bundestages vor 14 Tagen haben kommunale Vertreter, Sachverständige, die Vertreter der Finanzwissenschaft und der Wirtschaftsverbände den Gesetzentwurf der Koalition begrüßt.
- Aber natürlich!
Durch die vorgesehene Verteilung der Umsatzsteuer nach einem orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssel bleibt das Interessenband zwischen Gemeinden und Wirtschaft gewahrt. Auch künftig können die Gemeinden durch eine aktive, wirtschaftsbezogene Politik, durch die kommunalen Standortfaktoren die Höhe ihrer Steuereinnahmen selbst beeinflussen.
Gegenwärtig stehen präzise Daten für einen derartigen Verteilungsschlüssel noch nicht zur Verfügung. Sie können auch bis 1996 nicht beschafft werden. Dazu bedarf es umfangreicher statistischer Vorarbeiten. Deshalb ist zunächst eine Übergangsregelung für die Jahre 1996 bis 1999 vorgesehen, die den Besitzstand der Gemeinden voll wahrt und bei einem Wachstum des Umsatzsteueraufkommens sogar noch vermehrt. Den Kommunen in den neuen Ländern soll ein Zuschlag von 25 % auf ihre Gewerbeertragsteuereinnahmen gewährt werden, um eine Benachteiligung durch die bisher nicht erhobene Gewerbekapitalsteuer zu vermeiden.
Ab dem Jahr 2000 kann dann mit dem neuen orts-
und wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssel gearbeitet werden.
Aus meinen Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden weiß ich: Bedenken auf kommunaler Ebene gegenüber dem jetzigen Vorschlag sind hauptsächlich in der Sorge um mögliche Verlierergemeinden begründet. Richtig ist: Allein in dem Übergangszeitraum von 1996 bis 1999 erhalten die Kommunen durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer Mehreinnahmen von über 2 Milliarden DM.
Auch im Hinblick auf die endgültige Regelung ab dem Jahr 2000 hat keine Gemeinde als Folge der Reform eine Schlechterstellung zu erwarten. Kommt hingegen heute die Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung nicht zustande, weiß jede
Dr. Theodor Waigel
Kommune, was sie verliert und wer dafür verantwortlich ist. Die SPD ist dann dafür verantwortlich, daß in den nächsten Jahren 2 Milliarden DM den Gemeinden nicht zufließen. Das ist die Wahrheit.
Leider werden nicht nur bei der Gemeindefinanzreform, sondern auch bei der Diskussion um die Gewerbesteuer gezinkte Karten verwendet.
- Herr Präsident, es scheint eine sehr urige Seite zu sein, von der Sie normalerweise kommen.