Ich möchte diese paar Minuten noch im Kontext vortragen.
Wenn Sie sich darüber verständigt haben - dies ist für uns und für die Gemeinden von großem Interesse; die völlige Abschaffung der Gewerbesteuer ist beispielsweise im Städtetag überhaupt nicht mehrheitsfähig -, müssen Sie uns auch noch sagen, wie die Gegenfinanzierung für die völlige Abschaffung der Gewerbesteuer aussehen soll. Darüber haben wir überhaupt nichts gehört.
Wenn wir heute in den Zeitungen lesen, daß der Wirtschaftsrat der CDU dringend rät, die Mehrwertsteuer anzuheben, dann bleiben wir bei unserer Feststellung, daß vieles dafür spricht, daß Sie die Gewerbesteuer insgesamt beseitigen und die Mehrwertsteuer anheben wollen. Dies kann in der gegenwärtigen Situation überhaupt keine Zustimmung finden.
Im übrigen, meine Damen und Herren, muß diese Diskussion eingebettet werden in den Gesamttext der Steuererhöhungen und Steuersenkungen der letzten Jahre. Sie haben hier stolz vorgetragen, daß die betriebliche Vermögensteuer gesenkt worden ist - mit unserer Zustimmung. Sie haben vorgetragen, daß die Staffel beim Gewerbeertrag gesenkt worden
ist - mit unserer Zustimmung. Wir haben eingebracht - weil das offensichtlich unsere Aufgabe ist -, daß die Freibeträge für die vielen Meinen Unternehmen angehoben werden, von denen Sie zu Recht gesagt haben, daß sie den Löwenanteil der Arbeitsplätze stellen. Denken Sie wirklich daran: Die kleinen Unternehmen sind es. Deshalb muß man in erster Linie die kleinen Unternehmen stärken und fördern. Das ist unsere Position.
Wir haben die Sätze bei der betrieblichen Einkommensteuer geändert, wir haben die Sätze bei der Körperschaftsteuer geändert. Aber wie das nun einmal so ist: Jedes Jahr wird erneut darüber geredet, daß wir die Unternehmensteuern immer weiter senken müssen, weil sonst der Standort Deutschland unglaublich in Gefahr gerät.
Nun will ich Ihnen einmal die Gesamtbilanz aufmachen. Trotz Ihrer Versprechungen haben wir die Steuern und Abgaben, aufs Jahr gerechnet, um 116 Milliarden DM erhöhen und damit die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unerträglich belasten müssen. In demselben Zeitraum haben wir die Unternehmensteuern netto um über 10 % gesenkt. Vor diesem Hintergrund - ich sage das in aller Klarheit - gibt es derzeit keinen Spielraum für weitere Nettosenkungen bei den Unternehmensteuern.
Es geht nicht, daß eine Lobby, die von einer kleinen Partei in diesem Staat vertreten wird, die Steuer- und Sozialgesetzgebung für das gesamte Land machen kann. Das kann auf diese Art und Weise nicht weitergehen, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Waigel, Sie haben mich vorhin zitiert. Ich hatte bei der Erwähnung des Franz Josef Strauß selig etwas anders formuliert. Man erinnert sich an manche Männerfreundschaft. Ich habe nicht gesagt: Das waren noch Zeiten", sondern ich habe gesagt: Das war noch ein Minister!
Das war insoweit ein etwas anderer Zwischenruf; er hatte eine etwas andere Intention.
Sie haben dann gesagt, Franz Josef Strauß werde wohlgefällig auf mich herabblicken, weil ich ihn erstens lobe und zweitens hinzugelernt habe. Ich wünschte, Sie könnten mit gutem Gewissen behaupten, er werde auch auf Sie wohlgefällig herabblikken. Ich bin mir da nicht ganz sicher, Herr Kollege Waigel.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Sie sind in der Presse bisher manchmal liebevoll beschrieben worden - ich will das hier gar nicht so ernst machen - als der Herr der Löcher. Ich muß Ihnen jetzt einen neuen Titel geben. Sie sind der Minister der unerledigten Hausaufgaben.
Denn zu allem, was aufgegeben worden ist, liegen keine überprüfbaren Vorlagen vor. Deshalb kommt die ganze Steuer-, Finanz- und Haushaltspolitik nicht weiter. Ich sage dies, um es einmal in aller Klarheit festzustellen.
Es ist doch überhaupt nicht zu bestreiten, daß die Verpflichtung, das Existenzminimum freizustellen, also die Überbelastung der großen Mehrheit unserer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer endlich einmal abzuschaffen, von Ihnen seit Jahren nachlässig behandelt worden ist und bis zum heutigen Tage kein mehrheitsfähiger Entwurf vorliegt. Das ist ein Skandal.
Ihr Entwurf ist ja nicht nur von der Fachwelt zerrissen und von der Opposition als nicht akzeptabel bezeichnet worden - er ist nach unserer Auffassung auch nicht kompatibel mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes; wir sollten nicht nur auf die Fachleute, sondern auch auf das Bundesverfassungsgericht hören -, er ist auch in Ihren eigenen Reihen völlig umstritten. Das ist eine Feststellung, die ich hier nicht treffe, weil wir uns im Vorfeld irgendwelcher Wahltermine befinden, sondern weil sie schlicht und einfach wahr ist. Das ist kein gutes Zeugnis. Franz Josef würde vielleicht mit dem Kopf wackeln, aber nicht beifällig nicken, wenn er diesem Treiben zusehen müßte.
Der zweite Punkt - auf ihn hat die Kollegin Matthäus-Maier bereits hingewiesen - ist doch wirklich nicht akzeptabel. Wenn wir in den Gemeinden und Ländern - das ist der Kontext - über die Einnahmeentwicklung und die Ausgabenentwicklung der nächsten Jahre reden, dann müssen wir doch wissen, mit welchen Zahlen wir zu rechnen haben, sowohl beim Existenzminimum als auch beim Familienlastenausgleich. Daß noch kein überprüfbarer Entwurf zum Familienlastenausgleich vorliegt, sondern nur Eckdaten bekannt sind, ist doch ein Skandal gegenüber den Familien, die seit Jahren darauf warten, daß sie bessergestellt werden.
Ihre Aufforderung, Herr Schäuble, hat bereits der Parteivorsitzende der SPD beantwortet. - Herr Kollege Schäuble, wenn Sie mir jetzt die Gnade erweisen würden, mir Ihr Ohr zu leihen. Vielen Dank. -
Das steht nachlesbar in allen unseren Programmen. Sie schlagen jetzt eine Steuererhöhung für die Unternehmen längerfristig in einer Größenordnung von 5 Milliarden DM vor, wobei das insbesondere aus der Verschlechterung der Bedingungen für die Investitionen finanziert werden soll. So sagt es der gesamte Fachverstand.
Wir halten dies in der Sache für völlig unakzeptabel. Wir halten das gerade in der jetzigen konjunkturellen Situation für völlig unannehmbar. Gerade die Sachkapitalbildung, die der Sachverständigenrat anmahnt, ist insbesondere im Osten erforderlich. Oder glauben Sie tatsächlich, daß im Osten überhaupt nicht investiert wird und daß die Verschlechterung der Investitionsbedingungen die investierenden Unternehmen im Osten nicht treffen würde? Da Sie aus vordergründigen Motiven immer wieder so tun, als wären Sie der einzige Sachwalter der neuen Bundesländer, Herr Kollege Schäuble, nehmen Sie zur Kenntnis: Aus fachlichen Gründen brauchen die neuen Bundesländer gerade bessere Investitionsbedingungen, als Sie sie in Ihren Gesetzentwürfen anbieten. So platt ist das.
Da die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer überkompensiert wird, Herr Kollege Schäuble - es ist ja manchmal schwer zu rechnen -, ist das nach Adam Riese mit einer Mehrbelastung für diejenigen verbunden, die bisher von der Gewerbekapitalsteuer ganz befreit waren. Aber vielleicht ist es schon etwas zu hoch, wenn man an dieser Stelle solche simplen Zusammenhänge vorträgt.
Meine Damen und Herren, es hat einfach keinen Sinn, so weiterzumachen und insbesondere immer wieder den Bundesrat dafür verantwortlich zu machen, daß bestimmte Vorlagen nicht rechtzeitig kommen, da Sie selber untereinander völlig uneinig sind. Was Sie - um Ihnen das einmal zu sagen - bisher zustande gebracht haben, ist ein Absenken der Strompreise. Eine wirklich ungeheuer gescheite Leistung zur Stärkung des Standortes Deutschland nach allem, was wir von den Klimagipfeln der Welt gehört haben! Das zweite, was Sie hier jetzt vorschlagen, ist eine Unternehmensteuererhöhung, und die F.D.P. macht sich besonders stark dafür. Welch ein Treppenwitz der Weltgeschichte vor einer Landtagswahl! Ich hätte Sie für etwas klüger gehalten, meine Damen und Herren.
Wenn Sie dann noch den Vermittlungsausschuß ansprechen und immer wieder sagen, wir seien schließlich verantwortlich, entgegne ich Ihnen als Ministerpräsident eines Bundeslandes für den Bundesrat: Wir sind in den Vermittlungsausschuß mit einem Forderungskatalog von 1,4 Milliarden DM gegangen. Er betraf Kindergartenplätze, BAföG, Wohngeld, Förderung des Wohnungsbaus usw. Wir haben Gegenfinanzierungsvorschläge in der Größe von 1,7 Milliarden DM vorgelegt. Man kann über die eine oder andere Zahl diskutieren. Das war das Begehren des Bundesrates.
Ministerpräsident Oskar Lafontaine
Ich will insofern indiskret sein: Ein Mitglied Ihrer Fraktion sagte: Wir wollen überhaupt nicht mehr über Ihre Vorschläge reden. Das ist aber nicht der Sinn einer Sitzung des Vermittlungsausschusses.
Wenn Sie so weitermachen, wenn Sie glauben, Sie können den Bundesrat so behandeln, daß noch nicht einmal über unsere Vorschläge geredet wird, nur weil Sie formalrechtlich darauf verweisen können, daß der Bundestag ihn letztendlich überstimmen kann, dann sage ich Ihnen: Dann wird Ihre Steuerpolitik nicht nur vor der ganzen Fachwelt keinen Bestand haben, sondern sie wird in diesem Lande keine Chance auf Realisierung haben.