Rede von
Ernst
Schwanhold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Am liebsten würden nämliche viele dieser Unternehmen den IHKs den Rücken kehren und austreten. Wenn sie die Möglichkeit hätten, durch Kündigung abzustimmen, würden sie das ohne Zögern tun. Sie beurteilen vielerorts auch die Leistungen schlecht.
Meine Damen und Herren, Sie gefährden gerade eine Institution - das besitzt schon ein gewisses Maß an doppelsinniger Ironie -, die Sie zu verteidigen vorgegeben haben. Noch nie war der Unmut über die Industrie- und Handelskammern so groß; noch nie hatte diese Regierung ihren Kredit bei den Mittelständlern so stark verspielt, wie sie es zur Zeit gerade dabei ist zu tun.
- Reden Sie einmal mit denen!
Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß die aus Angst, daß Sie aus dem Bundestag fliegen und Kohl nicht mehr Kanzler ist, Ihnen am Wahltag Ihre Stimme geben! Nur das ist der Punkt, mit dem Sie über die Runden zu kommen versuchen.
- Entschuldigung, genau so kommen Sie über die Runden. Das muß man Ihnen auch einmal sagen. Wir werden uns am Sonntagabend außerordentlich genüßlich anschauen, wie viele in Nordrhein-Westfalen von Ihnen die Lösung der Probleme erwarten und wie viele der SPD zutrauen, die Probleme dieses Staates zu lösen.
Ich wollte das eigentlich gar nicht in dieser Schärfe machen, weil es um eine Beitragsregelung geht und auch um Aufgaben, die Industrie- und Handelskammern wahrzunehmen haben, die eigentlich der Staat wahrzunehmen hätte. Deshalb will ich zu der ruhigen Form der Auseinandersetzung zurückkehren.
Im November 1992 haben Sie Regelungen des Rechts der Industrie- und Handelskammern gefunden, die diese Diskussion ausgelöst haben. Es ist ein bemerkenswerter Zufall, daß Dr. Eberhard Hamer, Leiter des Mittelstands-Instituts Niedersachsens, gesagt hat:
Es ist schon originell, daß nun die SPD sich auf die Seite des Mittelstandes schlagen muß, weil die F.D.P. diesen erneut belasten und die CDU dies nicht verhindern will.
Genau darum geht es im Kern. Die CDU hat mit ihrem damaligen Gesetzentwurf den Mittelstand bis hinunter zum Kleinstgewerbetreibenden belastet. Ihre Begründung war, es müsse größere Beitragsgerechtigkeit beim Aufkommen der Industrie- und Handelskammern herrschen.
Soweit wäre Ihre Argumentation noch einsichtig gewesen. Daß Sie mit dieser Belastung aber bei juristischen Personen schon ganz früh, ab der ersten Mark Gewinn, einsetzen und bei natürlichen Personen nur einen Freibetrag von 15 000 DM gewähren, ist wenig verständlich. Schließlich kann auch das Prinzip der Leistungsfähigkeit Freibeträge akzeptieren. Daß Sie aber mit dem gleichen Gesetzentwurf, der der Beitragsgerechtigkeit und der gleichmäßigeren Verteilung der Beitragslast dienen sollte, Unternehmen, und zwar große Unternehmen, entlastet haben, indem Sie die Gewerbekapitalsteuer herausgenommen haben, ist völlig unverständlich.
Das Ergebnis dieses Vorgehens ist, daß es viele große Unternehmen gibt, die, weil sie vorübergehend rote Zahlen schreiben, keinen Beitrag oder nur Mindestbeiträge zahlen. Jedoch der Kioskbesitzer an der Ecke, der es sich nicht leisten kann, vorübergehend rote Zahlen zu schreiben, weil ihm das nämlich das Unternehmen kosten würde, zahlt fleißig Beiträge an die IHK. Das kann doch nicht richtig sein.
- Sie kennen die vielen Briefe, die wir bekommen haben, Herr Hinsken.
Ich kenne Ihre Argumentation. Sie meinen, daß gerade die kleinen Unternehmen die Beratung bei den Industrie- und Handelskammern in besonderem Ausmaß in Anspruch nehmen.
Ich kann mir das für meine Person auch sehr lebhaft vorstellen. Es ist aber auch genau richtig, daß sich die Industrie- und Handelskammern als Dienstleister von Existenzgründern und von kleinen Unternehmen
Ernst Schwanhold
verstehen und dieses auch mit Perspektive auf Wachstum machen, ohne daß sie das in Mark und Pfennig von der ersten Sekunde ab abgegolten bekommen. Man könnte sich auch fragen, ob eine dienstleistungsbezogene Beitragsfindung nicht das gerechtere Entlohnungssystem wäre. Merken Sie eigentlich, meine Damen und Herren, wie absurd die Argumentation ist, die Sie sich bezüglich der Veränderung aufgebaut haben?
Nun gut, Sie haben Schaden angerichtet; das kann geschehen, weil vielleicht auch Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, dieser Bundesregierung auf den Leim gegangen sind. Das haben wir ja bei der Aufgabe der Kriterien für die Regionalförderung kürzlich drastisch erlebt. Die Äußerungen insbesondere aus Ihren Reihen zu dem Berliner Wirtschaftsminister, der vorgibt, Wirtschaftsminister für die Bundesrepublik insgesamt zu sein, lassen Parallelen erkennen.
Heute gibt Ihnen die SPD-Bundestagsfraktion Gelegenheit, diesen Schaden zu reparieren. Helfen Sie mit, auf der Basis unseres Gesetzes die schlimmsten Auswüchse zu korrigieren! Unsere Vorstellung ist, im unteren Bereich die ganz Kleinen zu entlasten, dafür oben etwas mehr zu nehmen.
Die Einbeziehung sehr kleiner Betriebe in die Beitragspflicht hat zu einer drastischen Erhöhung der Kosten geführt, die von der Bundesregierung in anderen Bereichen immer wieder heftig beklagt werden. Da in zugegebenermaßen extremen Einzelfällen diese Belastung durch die Beitragssteigerung von 150 DM auf 2 500 DM bzw. von 50 DM auf 2 000 DM pro Jahr völlig unangemessen ist, ist auch hier eine Korrektur unabwendbar.
Mit der Gesetzesänderung sollen vor allem die kleinen Unternehmen entlastet bzw. von der Beitragszahlung befreit werden. Durch eine Begrenzung der Beitragshöhe erfolgt eine wesentliche Entlastung.
Übrigens werden die am Ende, wenn ihre Einkommenssituation wirklich so schlecht ist, wieder bei den Gemeinden auflaufen und Wohngeld kassieren. Wir werden in dieser Höhe einen Sozialtransfer haben und im Grunde genommen die IHK-Beiträge aus dem allgemeinen Steueraufkommen subventionieren.
Mit der Gesetzgebung sollen vor allem kleine Selbständige entlastet werden. Konkret geschieht dies durch die Einführung eines Freibetrags für alle Unternehmen und durch eine Kappung der Beitragshöhe für kleine und mittlere Gewerbebetriebe.
Für alle Gewerbetreibenden würde gelten, daß sie bis zu einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 20 000 DM von allen Beiträgen, also Grundbeitrag und Umlage, befreit sind. Bis zu einem Gewinn aus Gewerbebetrieb von 36 000 DM wären sie von der Umlage befreit. Der Grundbeitrag darf in diesen Fällen 120 DM nicht übersteigen.
Natürlichen Personen und Personengesellschaften würde zusätzlich ein Freibetrag von 15 000 DM eingeräumt. Das bedeutet, daß sie bis zu einem Gewinn von 35 000 DM vom Grundbeitrag und bis zu einem Gewinn von 51 000 DM von der Umlage befreit sind.
Eine solche Korrektur ist insbesondere deshalb notwendig, weil von den 83 Industrie- und Handelskammern in Deutschland allein 15 Kammern im Jahr 1994 über 410 000 Beitragsbescheide mehr verschikken mußten als im Jahr 1993. Dies verschlingt in aller Regel mehr, als sie an Einnahmen haben.
Rechnet man diese Zahl auf alle Kammern hoch - einige Kammern haben ja noch nicht angepaßt -, sind von der Beitragserhöhung sehr viele Gewerbetreibende betroffen. Herr Ost, das Zeichen, das die Industrie- und Handelskammern gesetzt haben, indem sie nicht angepaßt haben, ist auf die Erkenntnis bei den Industrie- und Handelskammern zurückzuführen, daß es sich um eine Fehlentwicklung handelt, die Sie eingeleitet haben. Wenn Sie schon nicht unserer Argumentation folgen, dann folgen Sie doch wenigstens dem realen Handeln der Industrie- und Handelskammern an manchen Stellen.
Zum Ausgleich des entstehenden Beitragsausfalls für die Industrie- und Handelskammern wird das Gewerbekapital wieder in die Bemessungsgrundlage für die Beiträge einbezogen. Dieses halten wir für richtig. Da sich die Industrie- und Handelskammern aus Beiträgen und Entgelten finanzieren, muß die Finanzierung insgesamt auf eine Finanzierung durch Entgelte für konkrete Leistungen umgestellt werden. Das ist eine richtige Tendenz, die wir begrüßen. Diese soll mit dem damaligen Gesetzesvorhaben nicht kaputtgeredet werden; deshalb auch unsere maßvollen Veränderungen im Bereich der Kappungsgrenzen.
Durch eine solche Umstellung wird der Beitrag für die Unternehmen von fixen Kosten auf variable Kosten umgepolt und eine unmittelbare Verbindung von Leistung der Kammern für ihre Mitglieder und tatsächlich erhaltener Leistung hergestellt, nicht für die Hochglanzbroschüren.
Übrigens gibt es auch die Möglichkeit, sich bei privaten Anbietern zu bedienen und einen Preisvergleich für diese Dienstleistungen anzustellen. Das führt zu einer Kostenentlastung, die von der Wirtschaft immer gefordert wird. Damit wird die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen, ob sie die Kammern in Anspruch nehmen oder nicht, erhöht. Gleichzeitig stellt die Begrenzung einen Anreiz für die Kammern dar, ihren Mitgliedern auch die von ihnen für notwendig erachteten Leistungsangebote zu machen.
Das ist neu gegenüber unseren bisherigen Vorschlägen in dieser Sache: Sie helfen mit, das System umzustellen, es aber am Ende zu erhalten; denn es blieben Aufgaben, die wir als Staat zu lösen hätten und die wir uns nicht zusätzlich aufladen sollten.
Ernst Schwanhold
Deswegen ist dieses System insgesamt nicht von vornherein in Frage zu stellen. Es ist dann in Frage zu stellen, wenn dieser Umstrukturierungs- und Anpassungsprozeß nicht organisiert wird.
Ich glaube, meine Damen und Herren, dieser Ansatz ist auch ein viel marktwirtschaflicherer Anreiz, ein deregulierender Ansatz; denn er stärkt die Entscheidungsfreiheit der Mitglieder der Industrie- und Handelskammern, wieviel sie sich ihre Industrie- und Handelskammer konkret kosten lassen wollen. Nehmen die Mitglieder keine Leistungen in Anspruch, bleibt es bei dem Beitrag; nehmen sie Leistungen in Anspruch, kommen die Entgelte oben drauf. Wer Unternehmer von Fesseln und Bevormundung befreien will, muß diesem Vorschlag eigentlich zustimmen. Denn machen wir uns nichts vor: Wenn wir hier keine Abhilfe schaffen, gefährden wir das System insgesamt.
Mitgliedschaft in Form einer Pflichtmitgliedschaft schafft nur dann besonderen Unmut, wenn die daraus auferlegten Beitragslasten drückend werden. Sie schafft keinen Unmut, wenn die Beitragslast bezahlbar ist und die zusätzlichen Leistungen honoriert werden. Helfen wir doch insbesondere den kleinen Unternehmen bei dieser drückenden Last! Zwingen wir die Industrie- und Handelskammern zu sparsamer Haushaltsführung, zu effektivem Umgang mit den von ihren Mitgliedern zwangsweise erhobenen Beiträgen, und helfen wir insgesamt, damit das System zu erhalten!
Ich finde es zwischenzeitlich mehr als erbärmlich, uns von denen, die im Glashaus sitzen, immer vorwerfen zu lassen, wir wollten das Glashaus für uns quasi als Selbstbedienungsladen reklamieren, während sie selbst diesen Selbstbedienungsladen bis in alle Ewigkeiten festschreiben wollen.
Das hat sich in der Vergangenheit gezeigt: Der ungenierte Zugriff in Sachen Beiträge hat nicht nur großen Unmut bei den Mitgliedern hervorgerufen, sondern auch den massiven Wunsch, der Industrie- und Handelskammer auf Dauer den Rücken zu kehren, weil die Leistungen nicht adäquat gewesen sind.
Meine Damen und Herren, es ist schon ganz interessant, wenn Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammern in Vier-Augen-Gesprächen und in Briéfen ihrer Sorge Ausdruck geben, daß mit der von Ihnen im November 1992 durchgeführten Beitragsreform das ganze System bedroht wird. Ihre Reform ist ein hübsches Beispiel dafür, wie man über das Ziel hinausschießen kann. Statt den Kammern mit Augenmaß zu helfen, haben Sie ihnen einen Bärendienst erwiesen. Noch können Sie die Panne beheben. Sie müssen bei den Beratungen in den Ausschüssen entscheiden, was Sie nun wollen: das System insgesamt gefährden oder eine Anpassung vornehmen, die sinnvoll ist.
Falls Sie als Entscheidungshilfe eine Anhörung brauchen, werden wir Sozialdemokraten Ihnen diese gerne organisieren. Sie werden Ihr blaues Wunder erleben.
Worum geht es uns? Es geht uns darum, daß die von Ihnen ins Werk gesetzte Umverteilung von unten nach oben zumindest auf ein erträgliches Maß zurückgeschraubt wird. Mit den Beratungen dieses Gesetzentwurfes werden Sie beweisen müssen, ob Sie in der Lage sind, Ihren netten Worten für den Mittelstand auch tatsächlich Taten folgen zu lassen. Wir geben Ihnen Gelegenheit dazu. Ich finde, Professor Hamer hat recht: Das ist originell.