Im Augenblick nicht, weil ich gern noch einen Moment bei den Gemeinden bleiben möchte.
Es ist doch völlig absurd, wenn Sie hierherkommen und sagen „Wir wollen im Zweifel den Gemeinden zwei Milliarden DM mehr geben" und auf der anderen Seite ein Vorhaben verfolgen, von dem wir wissen, daß es die Gemeinden mehrere Milliarden kosten wird, ganz unabhängig von dem völlig verantwortungslosen Schaden, der bei den Menschen entsteht, die Sie zum Sozialamt schicken wollen, damit sie nach 30 oder 35 Jahren Erwerbstätigkeit zunächst die Prüfung über sich ergehen lassen, ob ihre Sparkonten aufgelöst werden können, ob ihre Kinder zum Unterhalt herangezogen werden können, ob die Rente oder Pension beziehenden Eltern zum Unterhalt herangezogen werden können. Es ist eine gemeindefeindliche und für die Menschen ganz und gar unvertretbare Politik, die Sie da verfolgen!
Betrachtet man Ihr Vorhaben von der wirtschaftlichen Seite, hört man Sie von „historischer Chance" und „Signal" reden. Ja, wenn Sie einmal in der Lage wären, ein durchgreifendes Konzept zur Reform der Unternehmensbesteuerung auf den Tisch zu legen, dann könnten wir ja miteinander reden.
Wir können ja jederzeit gerne darüber reden, ob dieser Dschungel an Einzelvorschriften unter dem Gesichtspunkt von Bürokratie, Verwaltungskosten, Durchschaubarkeit und Durchsetzbarkeit des Steuerrechts noch auf Dauer haltbar ist. Sie haben doch mit der Flut von Einzelregelungen, die Sie zu verantworten haben, erst die Einfallstore dafür geschaffen, daß die Steuergewerkschaft, die Sie hier sonsz heranziehen, Ihnen ausdrücklich bescheinigt, daß jedes Jahr runde 100 Milliarden DM durch Steuerhinterziehung und Subventionsbetrug verlorengehen.
Da, Herr Bundesfinanzminister, hätten Sie ein Feld, um etwas für die Steuergerechtigkeit in Deutschland und dafür, daß das Recht durchgesetzt wird, zu tun.
Rudolf Scharping
Dann, bei einem Lichten dieses Dschungels, könnten wir auch darüber reden, daß nominale Steuersätze gesenkt werden. Da werden Sie bei uns immer Gesprächsbereitschaft finden - nicht jedoch bei einem Vorhaben, das in einer Zeit fehlender Arbeitsplätze, in einer Zeit fehlender Ausbildungsplätze jetzt ausgerechnet den investierenden Mittelstand, ausgerechnet die investierende Wirtschaft einschließlich des Handwerkes dafür bezahlen lassen will, daß wenige große Unternehmen und alle Banken und Versicherungen von der Gewerbekapitalsteuer entlastet werden.
Was die wirtschaftliche Seite angeht, so kann doch nicht aus dem Blick geraten, daß mit Ihrer Finanzpolitik, mit Ihrem Marsch in die Verschuldung, mit diesem Dschungel in Ihrer Steuerpolitik nichts anderes bewirkt wird, als ein Signal an die Länder um uns herum zu geben. Ihren scheinbaren Stolz auf den hohen Außenwert der D-Mark werden wir uns Ende dieses Jahres noch einmal vor Augen führen,
mit Blick auf die Konjunkturerwartungen, die dann vorhanden sind. Ich sage Ihnen schon heute: Wenn Sie mit dieser Art von Finanzpolitik, die hohe Zinsen bei der Bundesbank und auf den Märkten erzwingt, so weitermachen, dann setzen Sie erneut ein Signal und bewirken, daß die Investitionstätigkeit in Deutschland behindert und zugleich die Exportwirtschaft in Deutschland geschädigt wird.
Ihre Finanzpolitik - nicht etwa die Gewerbekapitalsteuer - ist eine wesentliche Ursache
dafür, daß die deutsche Exportwirtschaft in Schwierigkeiten kommt.
Was Sie uns hier bieten, ist nichts anderes als „Management by Chaos".
Der Bundeskanzler - in privaten Gesprächen drückt er sich ja etwas deutlicher aus - sagt von diesem Pult gönnerhaft: „Na, Oppositionsführer im Deutschen Bundestag zu sein, das ist ein ziemlich schlimmer Job."
Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Wenn man Finanzminister in dieser Koalition ist, muß man einen unbändigen Humor haben, um das noch aushalten zu können, einen unbändigen Humor!
- Ich weiß, daß ich da recht habe - wie in allen anderen Punkten auch!
Und soweit Sie sich Gedanken um die ostdeutschen Betriebe machen, möchte ich Ihnen sagen:
Sie haben doch hier im Deutschen Bundestag gesagt, die Mehrwertsteuer müsse erhöht werden, weil die Europäische Union die Bandbreiten verändert hat. Vorher sind Sie allerdings in den Finanzministerrat gegangen und haben Ihren Kollegen erklärt: Verändert die Bandbreiten, damit ich ein Argument habe, das in Deutschland die Erhöhung der Mehrwertsteuer erzwingt.
Jetzt versuchen Sie dasselbe wieder, indem Sie sagen: Sie wissen doch genau, daß die Europäische Union am Ende nicht dulden wird, daß wir die Gewerbekapitalsteuer im Osten Deutschlands noch eine gewisse Zeit aussetzen.
Ja, verflixt noch mal, was wollen Sie eigentlich sein? Auf der einen Seite stellen Sie sich immer hin und sagen: Wir haben eine starke Position in der Europäischen Union. Auf der anderen Seite, wenn es Ihnen politisch in den Kram paßt, gerieren Sie sich als willenloser Knecht. Tun Sie doch nicht so, als hätten Sie keine Chance, auf die Europäische Union Einfluß zu nehmen, und hören Sie endlich auf, für Ihre Fehlentscheidungen die Europäische Union verantwortlich zu machen und auf der anderen Seite zu beklagen, daß die Leute mit Europa nichts am Hut hätten.
Also sage ich Ihnen: Wenn Sie mit uns darüber im Rahmen eines durchgreifenden Unternehmensteuerkonzepts reden wollen und wenn zu diesem Konzept gehören sollte, daß Sie für eine gewisse Zeit, vielleicht ein oder zwei Jahre, die Gewerbekapitalsteuer im Osten Deutschlands noch aussetzen wollen, dann werden Sie uns gesprächsbereit finden. Das ist überhaupt nicht der Punkt. Aber was Sie hier machen, ist nichts anderes als der Versuch einer Demonstration, weil Sie bestimmten Wirtschaftsverbänden versprochen haben, Sie würden jetzt dieses „bedeutende Signal" setzen. Man kann sich angesichts der Tatsache, daß Sie bei den Unternehmen über die Ver-
Rudolf Scharping
schlechterung der Abschreibungsbedingungen mehr Geld abholen wollen, als Sie ihnen mit der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer geben wollen, nur an den Kopf greifen.
Das könnte man auch Unternehmen für Unternehmen durchrechnen.
Warum beispielsweise soll ein großes Unternehmen wie Thyssen mit den verschlechterten Abschreibungsbedingungen und der abgeschafften Gewerbekapitalsteuer am Schluß möglicherweise 270 Millionen DM mehr Steuern zahlen, ein Unternehmen, das im internationalen Wettbewerb steht, ein Unternehmen, das Arbeitsplätze erhalten muß, ein Unternehmen, von dem wir erwarten, daß es Ausbildungsplätze erhalt? Es geht um Handwerk und Mittelstand, und es geht auch um die investierenden Großunternehmen in Deutschland.
Wenn Sie allerdings der Meinung sind, daß der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch gestärkt wird, daß man seine Investitionen reduziert, daß man die Belastung auf Investitionen durch Steuern erhöht, dann sage ich Ihnen: Das ist in vielerlei Hinsicht ein ganz offenkundig mißratenes, wirtschaftspolitisch unsinniges Konzept. Sie werden uns dazu nie bereit finden. Das will ich Ihnen für alle Zukunft und nicht nur für den heutigen Tag sagen. Wir werden nichts mehr mitmachen, was die Investitionstätigkeit der Unternehmen belastet.
Wir werden nichts mehr mitmachen, was die Arbeitskosten hochtreibt. Wir werden nichts mehr mitmachen, was Sie an Politik nach dem Motto „Ein Häppchen hier, ein Häppchen da" verfolgen,
urn damit Ihre konzeptionelle und politische Unfähigkeit und die tiefe Zerstrittenheit innerhalb dieser Koalition zu bemänteln.
Wir sind nicht dazu da, Ihnen einen Blankoscheck auszustellen. Sie haben die Pflicht, ein Konzept vorzulegen. Das haben Sie bisher nicht getan. Solange Sie das nicht tun, werden Sie von uns niemals einen Blankoscheck bekommen.