Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 205. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung
habe ich der Tatsache zu gedenken, daß gestern im 55. Lebensjahre der Bundestagsabgeordnete der Deutschen Partei/Deutsche Partei Bayern Wilhelm Paschek an einem Blutsturz gestorben ist. Herr Paschek wurde am 9. Juni 1897 in Heilbronn geboren. Nach seiner Berufsausbildung
als Lehrer und Landwirt war er bei kommunalpolitischen Körperschaften tätig. 1927 wurde er als Delegierter in den Landeskulturrat in Prag gewählt. Nach seiner Ausweisung gründete Kollege Paschek in Lichtenfels den Kreisverband einer Flüchtlingsvereinigung, mit der er sich dem Neubürgerbund Bayern anschloß. Er wurde über die Ergänzungsliste der WAV 1949 in den Deutschen Bundestag gewählt. Hier gehörte er als stellvertretendes Mitglied dem Ausschuß für Beamtenrecht an.
Ich spreche namens des Deutschen Bundestages seinen Angehörigen und seiner Fraktion unser Beileid aus. — Sie haben sich zu Ehren des 23. verstorbenen Abgeordneten dieses Hauses, unseres Kollegen Paschek, von ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Ich habe weiter die Aufgabe, den an Stelle des Abgeordneten Kohl in den Bundestag eingetretenen Abgeordneten Herrn Adolf Mauk zu begrüßen und ebenso die nach ihrer Krankheit erstmals anwesende Frau Abgeordnete Bieganowski. Ich wünsche beiden Abgeordneten erfolgreiche Arbeit in diesem Hause.
Zu verschiedenen Geburtstagen von Abgeordneten, die zu den älteren Abgeordneten dieses Hauses gehören, habe ich Glückwünsche namens des Bundestages übermittelt: zum 65. Geburtstag am 5. April Herrn Abgeordneten Ewers,
zum 60. Geburtstag am 6. April Herrn Vizepräsidenten Dr. Schäfer,
zum 70. Geburtstag am 6. April Herrn Abgeordneten Schmitt
und zum 60. Geburtstag am 22. April Herrn Abgeordneten Gerns.
Ich darf diese Glückwünsche auch hier zum Ausdruck bringen.
Frau Abgeordnete Bieganowski hat mir heute mitgeteilt, daß sie sich der Gruppe der Deutschen Partei Bayern innerhalb der Fraktion der Deutschen Partei angeschlossen habe.
Ich bitte noch einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der entschuldigten Abgeordneten. Ich bitte den Herrn Schriftführer, sie bekanntzugeben.
Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach: Abgeordneter Henßler für weitere acht Wochen wegen Krankheit, Abgeordnete Frau Dr. Maxsein für sechs Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Fröhlich für sechs Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Tichi für weitere sechs Wochen wegen Krankheit, Abgeordnete Frau Ansorge für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Kalbfell für weitere vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Frühwald für vier Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Etzel für drei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dannemann für zwei Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Vogel für zwei Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme.
Ich darf annehmen, daß Sie mit dem Urlaub, der über eine Woche hinausgeht, einverstanden sind. — Das ist der Fall.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. Veit, Fürst zu Oettingen-Wallerstein, Frau Heiler, Frau Dr. Weber , Leonhard, Gockeln, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Frau Brauksiepe, Böhm, Mißmahl, Dirscherl.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Dr. Baade, Bahlburg, Dr. Baur , Reimann, Vesper, Müller (Frankfurt), Dr. Menzel, Dr. Schellenberg und Löfflad.
Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden wie üblich ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung am 4. April 1952 beschlossen, den nachfolgenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Gesetz über die Sorge für die Kriegsgräber; Gesetz zur Änderung von Vorschriften über
den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen;
Gesetz über die Umstellung der Portugal gewährten Vertragszollsätze auf den neuen deutschen Wertzolltarif;
Gesetz über die Errichtung eines Bundesamtes für Auswanderung.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 9. April 1952 die Kleine Anfrage Nr. 248 der Fraktion der SPD betreffend Wiedererrichtung eines Schiffsreparatur- und Dockbaubetriebes — Drucksache Nr. 3179 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 3302 verteilt worden.
Der Herr Bundesminister der Finanzen hat unter dem 8. April 1952 die Kleine Anfrage Nr. 251 der Fraktion der Föderalistischen Union betreffend Investitionshilfegesetz — Drucksache Nr. 3186 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 3301 verteilt worden.
Der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat unter dem 5. April 1952 die Kleine Anfrage Nr. 253 der Fraktion der SPD betreffend Buttereinlagerung — Drucksache Nr. 3218 — beantwortet. Die Antwort ist als Drucksache Nr. 3287 verteilt worden.
Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 18. April 1952 die Kleine Anfrage Nr. 257 der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Fürsorgegesetzes für Körperbehinderte — Drucksache Nr. 3271 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 3314 verteilt.
Der Herr Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat am 23. April 1952 den Entwurf einer Zweiten Verordnung über Zolländerungen zurückgezogen.
Zur heutigen Tagesordnung darf ich darauf hinweisen, daß eine Verständigung darüber erzielt ist, daß in die Tagesordnung noch aufgenommen werden soll ein interfraktioneller Antrag über die Wahl der Vertreter und Stellvertreter der Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarats, Drucksache Nr. 3311. Ich darf annehmen, daß das Haus mit dieser Ergänzung der Tagesordnung einverstanden ist. — Das ist der Fall.
Damit, meine Damen und Herren., können wir zum Punkt 1 der Tagesordnung kommen:
Beratung des Antrags der Fraktion der
SPD betreffend Verhandlungen über das
Saargebiet .
Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Begründungszeit von 30 Minuten und eine Aussprachezeit von 150 Minuten vor. — Das Haus ist damit einverstanden.
Zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Herr Abgeordneter Dr. Mommer, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beschwerdeschritt der Bundesregierung beim Europarat über die undemokratischen Verhältnisse an der Saar entsprach einem einmütigen Auftrag des Deutschen Bundestages. Heute haben wir hier darüber zu sprechen, wie dieser Auftrag durchgeführt wurde und was aus den Hoffnungen geworden ist, die das deutsche Volk und insbesondere das deutsche Volk an der Saar auf diesen Schritt gesetzt hat. Es ist uns wenig bekanntgeworden über das, was in Paris zwischen dem 18. und 20. März geschehen ist, gar nichts über die eigentlichen Verhandlungen, und die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor dem Ministerrat am 20. März abgegeben hat, kennen wir aus einer Rückübersetzung im Bundesanzeiger, Rückübersetzung aus dem Französischen, und dieser französische Text war eine offiziöse Übersetzung des deutschen Textes der Rede des Herrn Bundeskanzlers vor dem Ministerrat. In der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor dem Ministerrat abgegeben hat, lesen wir, daß zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Außenminister Besprechungen stattgefunden haben bzw. eingeleitet worden sind, um schon vor dem Friedensvertrag oder einem gleichartigen Vertrag zu einer Ordnung der Saarfrage zu gelangen. Wegen der Erfolgsaussichten, die der Herr Bundeskanzler diesen Verhandlungen glaubte zusprechen zu können, erklärte er sich bereit, keine weiteren Ausführungen zu der Beschwerdeschrift, die er früher überreicht hatte, zu machen.
Da ist nun die Frage: um welche Ordnung handelt es sich, die an der Saar geschaffen werden soll? Der Herr Bundeskanzler hat sich seit diesem 20. März dazu nicht näher geäußert. Vor der Auslandspresse hat er am 25. März gesagt, es müsse „eine Lösung im europäischen Geiste" gefunden werden. Was darunter zu verstehen sei, hat er uns nicht mitgeteilt. Aber Herr Schuman, Herr Grand-val und Herr Hoffmann haben gleich nach den Verhandlungen gesagt, man habe die Europäisierung des Saargebiets ins Auge gefaßt. Diese Idee der Europäisierung kommt von den Separatisten an der Saar. Sie glauben, daß diese häßliche separatistische Politik sich in europäischem Gewande vielleicht besser verteidigen lasse als in dem Gewande der angeblichen Autonomie.
Was unter Europäisierung zu verstehen ist, hat Herr Außenminister Schuman am 24. März vor der Presse in Paris etwa so definiert: Europäisierung der Saar heißt: Wirtschaftsunion mit Frankreich plus Autonomie d. h. Lostrennung von Deutschland minus französischer Vertretung der Auslandsinteressen der Saar; diese Auslandsinteressen sollten in Zukunft nach diesem Plan von einer europäischen Behörde übernommen werden. In dieser Europäisierung steckt so sehr das Kernstück der bisherigen französischen Saarpolitik, daß Herr
Schuman am 21. März, am Tage nach der Besprechung in Paris, vor dem Rat der Republik erklären konnte: „Wir können hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Beziehungen zwischen der Saar und Frankreich und insbesondere ihrer Auswirkung auf die Kohle- und Stahlunion ganz unbesorgt sein. Wir beharren fest auf unserer Position: französisch-saarländische Wirtschaftsunion und politische Abtrennung der Saar von Deutschland". — Diese Auffassung wurde bekräftigt in einer Entschließung des Rates der Republik anläßlich der Ratifikation des Schumanplans. Diese Entschließung beruhte auf einer Wiederholung jener Grundsätze durch den Ministerpräsidenten und den Außenminister vor dem Rat der Republik.
Gegenüber dieser eindeutigen Beibehaltung der bisherigen französischen Linie in der Saarpolitik spricht der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vor dem Ministerrat von „erfolgversprechenden Verhandlungen". Nun, dieses Reden von „erfolgversprechenden Verhandlungen" zusammen mit dem hartnäckigen Schweigen des Herrn Bundeskanzlers seit dem 20. März und zusammen mit dem Triumphgeschrei des Herrn Grandval und der Separatisten an der Saar läßt nur einen Schluß zu, den Schluß nämlich, daß der Herr Bundeskanzler bereit ist, von der früheren Linie in der Saarpolitik abzugehen und das Saargebiet aufzugeben, und daß er bereit ist, mit dem schönen Wort „Europäisierung" der Tat der rechtlosen Siegerpolitik, der faktischen Annexion des Saargebiets durch Frankreich, jetzt seine Zustimmung zu geben.
— Wir hoffen, daß das aufgeklärt wird.
Zu dieser Frage der Europäisierung gehört die Frage des Sitzes der kommenden europäischen Behörden. Für die Beurteilung des Standpunktes des Herrn Bundeskanzlers wird es sehr wichtig sein, wie er folgende Fragen beantwortet: Wohin soll nach seiner Meinung der Sitz der Montanbehörde kommen? Wohin soll der Sitz der Behörden der geplanten Verteidigungsgemeinschaft kommen? Diesen Sitz nach Saarbrücken zu verlegen, ist eine Hoffnung des Herrn Hoffmann. Die Separatisten an der Saar sind sich bewußt, daß die Verlegung europäischer Behörden nach Saarbrücken eine gewaltige Stärkung ihrer politischen Position bedeuten würde. Wir erwarten deshalb, daß der Herr Bundeskanzler auf diese Fragen gleich eine Antwort gibt.
Ich komme zu einem andern Punkte der Erklärung vor dem Ministerrat. In der Erklärung wird gesagt, daß die Ordnung, die an der Saar geschaffen werden solle, u. a. auch vom Landtag bestätigt werden müsse. Über die Kompetenzen eines Landtages in diesen Dingen hat der Herr Bundeskanzler vor zwei Jahren sehr viel anders gedacht. In der Saardenkschrift der Bundesregierung vom März 1950 lesen wir:
Die Bundesregierung muß ebenfalls grundsätzlich darauf bestehen, daß jedes im Saargebiet einzurichtende Sonderregime zum Gegenstand einer echten Volksbefragung gemacht wird.
Das Abgehen von diesem Standpunkt ist gleichzeitig das Übergehen auf den französischen Standpunkt.
Dieser französische Standpunkt war bisher: ein Landtag kann staats- und völkerrechtliche Entscheidungen an der Saar treffen. Auf Grund dieser französischen These behauptet man, der Landtag in Saarbrücken habe 1947 jener Präambel zustimmen können, durch die das Saargebiet von Deutschland politisch getrennt und wirtschaftlich Frankreich einverleibt wurde. Nach der französischen These über die Kompetenzen eines Landtags soll der Landtag auch in Zukunft dekorative Änderungen an diesem separatistischen Statut des Saargebiets vornehmen können.
Gerade dieser Übergang auf die französische These hat an der Saar selbst größte Beunruhigung hervorgerufen. In einem Telegramm der Vertreter der verbotenen Demokratischen Partei des Saargebiets und der um Genehmigung eingekommenen Parteien der CDU und der Deutschen Sozialdemokratischen Partei an der Saar an die Fraktionen des Bundestags lesen wir:
Die Entscheidung über das künftige Schicksal der Saar darf keinem Saarlandtag überlassen werden.
Nun, der Herr Bundeskanzler sagt: es handelt sich ja nicht um einen Landtag wie bisher, sondern es ist ein neuer und frei gewählter Landtag. Die Wahlen sollen nach unseren Informationen Ende September stattfinden. Das sind nur wenige Monate bis dahin, bis dahin sind es aber sieben Jahre der einseitigen französischen Propaganda und des einseitigen französischen Druckes auf die Saarbevölkerung. Glaubt man, daß man die Wirkung dieses Druckes in wenigen Monaten wieder gutmachen könnte, selbst wenn jetzt Freiheit an der Saar herrschte?
Aber wie steht es denn mit dieser Hypothese des „wenn es Freiheit gäbe", wie steht es mit der Zulassung freier Parteien? Erinnern wir uns an einen Brief des Herrn Außenministers Schuman vom 9. Mai 1951! Dieser Brief veranlaßte das Verbot der Demokratischen Partei des Saargebiets, und zwar ausdrücklich mit der Begründung, daß diese Partei es wagte, mit der Präambel der Verfassung und der darin ausgesprochenen Separation tabula rasa zu machen. Dieser Standpunkt des Herrn Außenministers Schuman ist in dem Parteiengesetz gesetzlich verankert worden, das Herr Grandval von seinem Landtag drei Tage vor den Pariser Besprechungen hat verabschieden lassen. Das Gesetz sagt eindeutig: Es wird keine Duldung von Parteien außerhalb der Anerkennung der Präambel geben. Und Herr Grandval — mit seiner bekannten diplomatischen Finesse — hat zwei Stunden vor dem Zusammentritt des Ministerrats gesagt: „Jede Propaganda für Deutschland ist an der Saar verfassungswidrig und verboten." Herr Schuman hat das am 24., also nach den Verhandlungen, bekräftigt und gesagt: „Allein das saarländische Gesetz wird die Bedingungen bestimmen, unter denen diese Wahlen stattfinden können." Dieses Gesetz, von dem ich schon sprach, ist am 4. April im Amtsblatt erschienen und hat damit Rechtskraft erlangt. Damit können die Wahlen nur nach diesem Gesetz stattfinden.
Ein Wort zu dem Problem der Pressefreiheit. Jeder von uns weiß, daß freie Parteien ohne freie Presse lahm sind und nicht agieren können. An der Saar besteht nach wie vor der Lizenzzwang. Wir haben nur einige wenige stramm auf die separatistische Politik eingeschworene Blätter an der Saar. Was da in bezug auf eine Änderung zu erhoffen wäre, das hat uns doch das Verbot der
Deutschen Saarzeitung am Ostersamstag klargemacht. Diese Polizeiaktion gegen eine im Bundesgebiet erscheinende Zeitung ist auf Veranlassung der Pariser Regierung erfolgt. Auch sie zeigt deutlich, welches der politische Wille in Paris in bezug auf die Pressefreiheit an der Saar ist. Es handelt sich nicht darum, die Pressefreiheit, die wir hier im Bundesgebiet kennen, auf das Saargebiet auszudehnen; es handelt sich höchstens darum, die Knebelung der Presse, die es im Saargebiet gibt, auf die Bundesrepublik auszudehnen und dabei die französische Zone, die wir tot glaubten, wieder auferstehen zu lassen. Ich habe keine Zeit, auf die übrigen Aspekte dieses Verbotes einzugehen.
Trotz dieser offenbaren Weiterführung der bisherigen französischen Politik in allen Punkten soll eine Kommission zusammentreten, die — nach der Verlautbarung — prüfen soll, ob Voraussetzungen für freie Wahlen an der Saar gegeben sind. Nun, diese Kommission ist doch von vornherein ein Nonsens, denn es fehlt ihr der gemeinsame Maßstab dafür, was als Freiheit zu definieren wäre. Die Franzosen behaupten — und natürlich auch ihre Nachbeter, die Separatisten an der Saar —: Freiheit ist das, was man im Rahmen der Verfassung einschließlich der Präambel tut. Wir meinen, daß die Freiheit gerade einschließt, daß die Präambel, die unter den bekannten Umständen zustande gekommen ist, natürlich diskutiert und ihre Beseitigung angestrebt werden darf. Solange man sich darüber nicht geeinigt hat, hat eine solche Kommission natürlich überhaupt keinen Sinn. Es hat — in diesem Zusammenhang — auch wenig Sinn, darüber zu streiten, ob es sich um eine Zweieroder ob es sich um eine Dreierkommission handelt. Vielleicht hat man ins Auge gefaßt, daß diese Kommission selbst definieren soll, was unter Freiheit zu verstehen sei. Was man da erwarten könnte, hat Herr Schuman vor der Presse am 24. März gesagt. Er hat erklärt: wenn eine Abstimmung zwischen den Dreien — „Drei" groß geschrieben, Herr Bundeskanzler, auch im französischen Text! — zu machen wäre, so hätte nicht Deutschland die meisten Chancen.
Wir müssen daraus schließen, daß die Saar, d. h. die Saarregierung und ihre Vertreter in dieser Kommission Sitz und Stimme haben. Der Text Ihrer Erklärung, Herr Bundeskanzler, entkräftet diese Auffassung nicht. Nach Ihnen hat im Ministerrat der Herr Hoffmann aus Saarbrücken gesprochen. Er hat von Verhandlungen zwischen den drei gleichgeordneten Regierungen gesprochen, und Sie haben dem nicht widersprochen, was auch immer Sie später in Briefen an Herrn Außenminister Schuman haben schreiben mögen.
Was eine solche Kommission politisch bedeutet, kann ich Ihnen durch eine kleine Transposition klarmachen. Stellen Sie sich vor, wir lassen die undemokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone durch eine Dreierkommission untersuchen, die aus Vertretern der Regierungen in Moskau, in Pankow und in Bonn zusammengesetzt ist! Jeder von Ihnen würde sagen, das ist eine absurde Kommission, und in dieser Kommission würde Herr Grotewohl anerkannt oder zumindest hoffähig gemacht. — Das Bulletin der Bundesregierung schrieb am 22. März, daß dieser Kommission eine ähnliche Bedeutung zukomme wie der UNO-Kommission, jeder UNO-Kommission, die die Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone und im übrigen Deutschland untersuchen soll. Vergleichen Sie doch, meine Damen und Herren, die neutrale Zusammensetzung dieser Kommission, die Arbeitsmethoden dieser Kommission, die Definition der Aufgaben und der Kompetenzen dieser Kommission mit dies er eigenartigen Dreierkommission aus Paris! Wenn Sie das tun, dann können Sie den ganzen, auch technisch-handwerklichen Tiefstand der deutschen Außenpolitik erkennen und mit dem Finger fühlen.
In diesem Zusammenhang muß ich eine Bemerkung zu einer Personalfrage machen. Kurz vor der Abreise nach Paris entließ der Herr Bundeskanzler wegen einer angeblichen Indiskretion den Saarreferenten des Auswärtigen Amts
— ich komme gleich zum Schluß —,
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist noch nicht abgelaufen. Ich habe Sie nur wegen der Unruhe im Hause unterbrochen.
— nach allgemeiner Überzeugung der beste Fachmann in diesen Fragen und ein hockqualifizierter Beamter.
Die SPD-Presse hat mehrmals die Behauptung aufgestellt, daß diese Entlassung auf eine Forderung der französischen Regierung zurückgehe. Diese Behauptung der SPD-Presse ist nicht dementiert worden, und wir fordern auch darüber Aufklärung durch den Herrn Bundeskanzler.
Ich möchte eine Frage stellen: Wie denkt sich der Herr Bundeskanzler und Außenminister denn die organisatorische und personelle Unterbauung seiner zukünftigen Saarpolitik? Kennt er nicht den gewaltigen Apparat, den die französische Regierung am Quai d'Orsay und in Saarbrücken — mit den Steuergeldern der deutschen Bevölkerung — aufgebaut hat, um die Saarpolitik durchzuführen? Es ist doch unmöglich, in internationalen Verhandlungen gute Arbeit aus dem Handgelenk zu leisten. Man braucht dazu die Hilfe eines guten Apparats. Wenn man diese Verhandlungen aus dem Handgelenk führt, dann kommen solche Resultate dabei heraus.
Noch ein Wort zu der Frage, ob der Herr Bundeskanzler die Hoffmann-Regierung durch seine Besprechungen anerkannt habe. Herr Schuman, Herr Grandval und Herr Hoffmann haben es zunächst so ausgelegt. In Bonn wurde dementiert. Und dann erklärte Herr Schuman am 24. März, daß es sich nicht eigentlich um eine Anerkennung handle. „Aber das Neue ist", sagte er, „daß der Kanzler offiziell anerkannt hat, daß eine Lösung nur unter Mitwirkung der Saarregierung und mit Billigung des neuen Saarparlaments zustande kommen kann." Gewiß, es handelt sich nicht um eine De-jure-Anerkennung. Aber wieder einmal ist die faktische 'Anerkennung der Saarregierung und damit der Separation des Saargebiets ein Stück weitergekommen.
Die Pariser Abmachungen waren ein gewaltiger Rückschlag in dem Kampf um die Saar und ein Rückschlag in dem Kampf um die deutschen Grenzen überhaupt. Aufgabe der Aussprache ist es, über den Zusammenhang dieses Problems mit der Oder-Neiße-Linie noch manches zu sagen, und ich kann es mir hier ersparen. Der Rückschlag war besonders schmerzlich für die deutsche Bevölke-
rung an der Saar, und es ist bewundernswert, daß sie trotzdem an den Ketten rüttelt. Die eine Partei kämpft gegen das Verbot; zwei andere kämpfen um ihre Zulassung. Und dann: ein wichtiges Ereignis ist seitdem eingetreten. Die größte Organisation des Landes, die Einheitsgewerkschaft, hat sich eine Führung gewählt, die bereit ist, den Kampf gegen die Tunesien-Politik Frankreichs an der Saar energisch zu führen. Alle diese deutschen Menschen an der Saar erwarten, daß ihnen die Saarpolitik der Bundesregierung Rückendeckung und Rückenstärkung gibt. Statt dessen sagen und schreiben sie uns alle, auch die Freunde des Herrn Bundeskanzlers an der Saar, daß ihnen der Herr Bundeskanzler mit der in Paris inaugurierten Politik in den Rücken gefallen ist,
und ihre Gegner, die Separatisten, können sagen, ihre bisherige Politik sei glänzend gerechtfertigt, und sie jubeln. Dieser Jubel, Herr Bundeskanzler, scheint mir eine vernichtende Kritik zu sein.
Wenn der Verdacht der Aufgabe der Saar durch den Herrn Bundeskanzler unbegründet wäre, warum hat er dann nicht schon lange einen erlösenden Satz gesprochen? Er hätte wiederholen können, was er hier vor einem Jahr gesagt hat: Die Saar ist deutsch, und ganz Deutschland einschließlich der Saar wird sich mit Frankreich in Europa zusammenfinden. Er hat das nicht getan. Der Bundestag und das ganze deutsche Volk erwarten, daß er endlich heute sagt, was er in Paris vereinbart hat und was er weiter in der Saarfrage tun will.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich habe am 10. März 1950 vor dem Bundestag die folgende Erklärung abgegeben, die ich am 30. Mai 1951 wiederholt habe: „Die endgültige Regelung der Verhältnisse an der Saar muß in einem mit uns, d. h. mit der Bundesregierung, zu schließenden Friedensvertrag erfolgen.
Daraus ergibt sich, daß vor Abschluß des Friedensvertrags an der Saar keine Verhältnisse geschaffen werden dürfen, deren Änderung durch den Friedensvertrag nicht mehr möglich ist.
Wir haben den dringenden Wunsch, daß an der Saar die Grundsätze der Freiheit und der Demokratie verwirklicht werden.
Wir wünschen eine Regelung der Saarfrage, die den Interessen aller beteiligten Staaten einschließlich Frankreichs und des Saargebiets gerecht wird."
Anläßlich der Unterzeichnung des Schumanplans ist dieser Gedanke am 18. April 1951 in einem Briefwechsel mit Herrn Minister Schuman dadurch ergänzt worden, daß die Saarfrage nicht nur durch den Friedensvertrag, sondern auch durch einen gleichartigen Vertrag vor Abschluß eines endgültigen Friedens geregelt werden könne. Wir haben immer wieder erlebt, daß das Saarproblem die Entwicklung einer engen und friedlichen Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs behindert und deshalb geeignet ist, die europäische Integration zu stören, wenn nicht gar zu verhindern. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, die das Saarproblem bei dem Abschluß des Schumanplans gemacht hat. Ich erinnere an die Spannung, die anläßlich des Verbots der DPS durch die Saarregierung zwischen Deutschland und Frankreich entstehen mußte. Auch die Arbeiten im Europarat werden laufend dadurch gestört, daß keine Einigkeit darüber erzielt werden kann, in welcher Form die Bevölkerung des Saargebiets in den Genuß der Europa-Konventionen zu setzen ist. So erklärt es sich, daß dieses Problem immer mehr zu einer ständigen Sorge aller verantwortungsbewußten europäischen und amerikanischen Staatsmänner geworden ist.
Anläßlich der Viererkonferenz in London haben die Herren Acheson und Eden bei Herrn Schuman und mir angeregt, eine Lösung des Saarproblems noch vor Abschluß des Friedensvertrags herbeizuführen. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien, so haben sie ausgeführt, seien der Auffassung, daß diese Lösung durch direkte Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich herbeigeführt werden sollte; sie würden aber eventuell ihre guten Dienste zur Verfügung stellen.
Dementsprechend habe ich mit Herrn Schuman in London und Paris Besprechungen geführt, die das Ziel hatten, zu untersuchen, welche Lösungsmöglichkeiten überhaupt bestünden. Bei diesen Besprechungen wurde auch die Möglichkeit der Schaffung eines europäischen Territoriums an der Saar erörtert, das Sitz der Hohen Behörde des Schumanplans würde.
Einigkeit bestand darüber,
daß bei der zu suchenden Lösung das Votum eines völlig frei zu wählenden Landtags des Saargebiets nicht außer Betracht gelassen werden dürfe.
Des weiteren war ich mit Herrn Schuman einer Meinung darüber, daß Vertreter der Bundesregierung und der französischen Regierung sich sofort in das Saargebiet begeben sollten, um mit den Behörden an der Saar die Frage zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine völlig freie Landtagswahl im Saargebiet gegeben seien. Unter diesen Umständen schien es mir angebracht, die Verhandlung über die Frage, ob an der Saar die politischen Freiheiten gewährleistet seien, eine Frage, die auf meinen Antrag auf die Tagesordnung des Ministerkomitees des Europarats gesetzt worden war, zunächst absetzen zu lassen. In einem Memorandum hatte die Bundesregierung den Mitgliedsregierungen des Europarats eingehend dargelegt, inwiefern die politischen Grundfreiheiten im Saargebiet nach Auffassung der Bundesregierung nicht gewährleistet seien.
Es ist zum Ausdruck gebracht worden, ich hätte in Paris den Standpunkt der Bundesregierung in der Saarfrage aufgegeben. Insbesondere hat man behauptet, ich hätte die Saarregierung als Regierung eines Staates anerkannt.
Wenn ich den Begründer der Anfrage richtig verstanden habe, so hat er ausgeführt, daß ich das zwar nicht de jure, nicht rechtlich, daß ich es aber de facto getan hätte. Nun, meine Damen und Herren, auch de facto ist das nicht geschehen. Ich habe es seit Bestehen der Bundesrepublik als eines der vordringlichsten Ziele unserer Politik bezeichnet, daß die Saarfrage bald zu einer alle Teile befriedigenden Lösung gelangt. Diesem Ziele sollten in unveränderter Weise auch meine Pariser Besprechungen dienen. Daß bei der oben erwähnten Untersuchung der Verhältnisse im Saargebiet auch Besprechungen mit Vertretern der Saarbehörden notwendig werden würden, liegt in der Natur der Sache.
Aber gerade um den Eindruck zu vermeiden, als werde eine Anerkennung ausgesprochen, haben Herr Schuman und ich davon abgesehen, einen gemeinsamen Ausschuß einsetzen zu wollen. Vielmehr haben wir nur von „Vertretern der französischen Regierung und Vertretern der Bundesregierung" gesprochen.
Daß, wie mein Herr Vorredner auch gesagt hat, Vertreter der Saarbehörden sogar in einem Ausschuß stimmberechtigt sein sollten, ist niemals auch nur andeutungsweise — —
— Ich glaube, beanspruchen zu können, daß man der Erklärung des deutschen Bundeskanzlers mindestens so viel Glaubwürdigkeit beimessen sollte
wie der Erklärung des Außenministers eines nichtdeutschen Staates.
Wie wenig ich bereit bin, eine Regierung des Saarlandes anzuerkennen, zeigt sich darin, daß ich den Widerspruch, den die Bundesregierung am 31. Januar 1952 gegen die Unterzeichnung weiterer Europa-Konventionen durch die Saarregierung eingelegt hat, in vollem Umfang aufrechterhalten habe.
Meine Damen und Herren, wenn ich in Paris nach meinen Besprechungen mit Minister Schuman der Meinung sein konnte, der Boden für eine baldige allgemein befriedigende Regelung der Saarfrage sei bereitet, so haben die Ereignisse der Zwischenzeit leider gezeigt, daß wir mit unseren Besprechungen offenbar der Entwicklung vorausgeeilt waren.
Ich verweise hierbei insbesondere auf die Debatte,
die am 1. April 1952 im französischen Senat über
die Ratifikation des Schumanplans und im Zusammenhang damit über die Saarfrage stattgefunden hat. Diese Debatte läßt vermuten, daß der europäische Gedanke noch nicht überall genügend Stärke und Überzeugungskraft besitzt.
Wie aus dem Beschluß des Senats hervorgeht, hält man in gewissen Kreisen Frankreichs unverrückbar an der politischen Trennung des Saargebiets von Deutschland und an der wirtschaftlichen Vereinigung mit Frankreich fest
und stellt sich auf den Standpunkt, diese beiden Forderungen könnten nicht Gegenstand von Verhandlungen sein,
verhandelt werden könne vielmehr nur über die noch verbleibenden Probleme. Ich glaube nicht, daß Verhandlungen auf dieser Grundlage irgendeine Aussicht auf Erfolg bieten.
Zu meinem großen Bedauern scheint die Regelung des Saarproblems also vorerst noch zurückgestellt werden zu müssen.
Die Bundesregierung erhebt aber nach wie vor und ganz unabhängig von dieser Frage die Forderung, daß die Saarbevölkerung sofort in den Genuß der vollen politischen Freiheitsrechte gesetzt wird.
In Paris waren wir übereingekommen, dieses Problem an Ort und Stelle prüfen zu lassen. Die Bundesregierung wird sich, soweit es in ihren Kräften steht, weiterhin bemühen, die französische Regierung zur Einhaltung dieser Absprache zu bewegen.
Im folgenden will ich den Standpunkt der Bundesregierung nochmals klarstellen. Es ist eine von den alliierten Mächten nicht bestrittene, selbst von der Präambel der Verfassung des Saargebiets anerkannte Tatsache, daß ein internationales Statut für das Saargebiet nicht besteht. Zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung besteht Übereinstimmung, daß die gegenwärtige Ordnung an der Saar keine endgültige ist, daß vielmehr die endgültige Ordnung dem Friedensvertrag oder einem gleichwertigen Vertrag vorbehalten bleibt.
Dies haben die Bundesregierung und die französische Regierung anläßlich der Unterzeichnung des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in dem Briefwechsel vom 18. April 1951 ausdrücklich niedergelegt.
In einer Note der Hohen Kommission vom 2. August 1951 haben die drei westalliierten Regierungen diese Auffassung der Bundesregierung abermals bestätigt.
Aus diesen Tatsachen ergibt sich nach Auf fassung der Bundesregierung, daß alle Bewohner des Saargebiets das Recht haben müssen, in völlig
freier Weise schon jetzt zu erörtern, welche Gestalt die künftige Ordnung annehmen soll.
Sie müßten in der Lage sein, schon jetzt ihrem Willen politisch wirksamen Ausdruck zu verleihen durch die Wahl eines Landtags, dessen Mitglieder nicht im voraus verpflichtet sind, in der Frage einer kommenden Ordnung eine ganz bestimmte Haltung einzunehmen.
Diesen Forderungen entsprechen die Maßnahmen nicht, die die Saarregierung getroffen hat. Insbesondere hält das von dem saarländischen Landtag am 17. März erlassene Gesetz betreffend politische Parteien an der Auffassung fest, daß im Saargebiet nur Parteien zugelassen werden können, die von vornherein den gegenwärtigen Status an der Saar bindend anerkennen und sich verpflichten, allen Bestrebungen entgegenzutreten, auf Grund deren für die Zukunft eine andere Ordnung eingeführt werden soll.
Dieses Gesetz widerspricht somit der international — auch von Frankreich — anerkannten Tatsache, daß die gegenwärtige Regelung der Saarfrage eine vorläufige ist und daß der Bevölkerung Gelegenheit gegeben werden muß, sich frei darüber zu äußern, welche Regelung sie für die Zukunft haben will.
Die Saarregierung hat bisher immer wieder betont, daß es nur eine kleine Gruppe von Außenseitern sei, die mit der gegenwärtigen Regelung unzufrieden sei. Diese Behauptung ist in der Zwischenzeit eindeutig widerlegt worden.
Der neugewählte Erste Vorsitzende der Einheitsgewerkschaften des Saargebiets hat am 30. März 1952 auf dem zweiten Landeskongreß der Einheitsgewerkschaften wörtlich folgendes erklärt:
Bei einer Lösung der Saarfrage ziehen wir Deutschland vor,
weil die deutsche Sprache, Art und Kultur uns eigen sind.
Wir sind aber auch mit einer europäischen Lösung einverstanden, wenn keine französische Vorherrschaft die Voraussetzung ist und wir unser Eigenleben in Freiheit aufbauen können.
Auch Nachrichten in der heutigen Presse zeigen, daß die Behauptung der Saarregierung, daß nur einige Außenseiter mit der gegenwärtigen Ordnung an der Saar nicht einverstanden seien, falsch ist.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu der von dem Herrn Vorredner angeschnittenen Frage in bezug auf Herrn Strohm. Es ist im allgemeinen nicht Brauch, daß man persönliche Angelegenheiten eines Beamten hier im Bundestag zur Sprache bringt.
Der Herr Vorredner hat gesagt, daß in mehreren sozialdemokratischen Zeitungen ausgesprochen worden sei, ich hätte den Herrn Strohm entlassen – entlassen ist er übrigens nicht —, weil das die französische Regierung von mir verlangt habe; weil ich bisher auf diese Äußerungen deutscher Zeitungen keine Antwort gegeben hätte, wünschte man hier eine Auskunft. Dazu möchte ich Ihnen folgendes sagen. Wenn eine deutsche Zeitung behauptet, ich hätte einen Beamten entlassen, weil die französische Regierung das von mir verlangt habe, so halte ich es tatsächlich für unter meiner Würde, darauf überhaupt zu antworten.
Ich möchte aber, nachdem nun diese Angelegenheit hier zur Sprache gekommen ist, folgendes ausdrücklich erklären. Von keiner französischen Seite irgendwelcher Art ist irgendwie ein solches Ansinnen oder eine Bitte oder auch nur etwas Ähnliches mir gegenüber ausgesprochen worden,
auch nicht einem meiner Mitarbeiter gegenüber, sondern ich habe Herrn Strohm aus folgendem Grunde vorläufig seiner Funktionen enthoben.
Herr Strohm hat am Tage vor meiner Abreise nach Paris einem Vertreter der United Press in Paris eine ausführliche Darstellung meiner Absichten und Ansichten, die ich in Paris vertreten würde, mitgeteilt,
und der Vertreter der United Press hat noch vor meiner Abreise aus Paris diese ihm von Herrn Strohm gemachten Mitteilungen der Öffentlichkeit übergeben.
Meine Damen und Herren, ich halte es für unmöglich, daß ein hoher Beamter des Auswärtigen Amts ohne mein Vorwissen eine solche Erklärung einer Presseagentur übergibt,
Die Untersuchung dieses Vorganges ist noch nicht zu Ende, und je nach ihrem Ausfall wird die Entscheidung gefällt werden.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Besprechung über den Antrag der Fraktion der SPD im Rahmen der Redezeit von 150 Minuten. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pünder.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine politischen Freunde und, wie ich glaube, das ganze Hohe Haus haben von der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers mit besonderem Interesse Kenntnis genommen. Für meine politischen Freunde kann ich die Erklärung abgeben, daß diese Erklärung der Bundesregierung uns in allen Teilen befriedigt.
— Ich weiß nicht, Herr Mommer, warum Sie da „Hört! Hört!" rufen.
— Warten Sie ruhig ab! Ich habe die Auffassung, daß der Herr Bundeskanzler Ihnen so ziemlich alle Felle hat wegschwimmen lassen.
Also das „Hört! Hört!" war, glaube ich, kaum am Platze.
Wir sind mit dem Herrn Bundeskanzler und der Bundesregierung der Auffassung gewesen und sind es auch heute noch, daß die Saarfrage wie keine andere Frage geeignet war und ist, das deutschfranzösische Problem in steigendem Maße zu belasten und vielleicht sogar zu vergiften. Wir hatten daher die Initiative des Herrn Bundeskanzlers durchaus gebilligt, einmal den Versuch zu unternehmen, in einem unverbindlichen Gespräch mit der französischen Regierung eine Verständigung darüber vorzubereiten — mehr war es j a nicht —, ob und gegebenenfalls wie das Saarproblem gelöst werden könne, vielleicht sogar schon vor der end- gültigen Verabschiedung des deutsch-alliierten Friedensvertrags. Selbstverständlich war, daß ein solches Gespräch nur im Geiste einer wirklich echten französischen Gesinnung geführt werden konnte.
— Ich freue mich, daß Sie mir zustimmen.
Herr Abgeordneter, Sie haben sich offensichtlich versprochen. Sie haben sicher „europäisch" sagen wollen.
Ja.
Sie haben aber „französisch" gesagt.
Ich bitte sehr um Entschuldigung! Ich habe mich selbstverständlich versprochen.
Es wäre von Ihnen loyal gewesen, mich auf diesen Lapsus linguae hinzuweisen. Es ist j a ganz selbstverständlich, daß es „europäische" Gesinnung heißen mußte. Das Lachen war also wenig angebracht.
Ein solches Gespräch mußte auch getragen sein von dem beiderseits ehrlichen Bestreben, zwischen den beiden Ländern Deutschland und Frankreich gute, echt freundnachbarliche Beziehungen auszubauen und zu vertiefen.
— Nein, gar nicht; warten Sie ruhig ab!
Die Entwicklung der letzten Wochen, auf die eben auch der Herr Bundeskanzler eingegangen ist, insbesondere die Verhandlungen im französischen Senat, haben nun in Deutschland das Gefühl einer echten und tiefen Enttäuschung hervorgerufen. Ich freue mich, daß der Herr Bundeskanzler das soeben auch offen zugegeben hat. Ich lege größten Wert darauf, dieser Enttäuschung namens meiner politischen Freunde Ausdruck zu geben und bedauere sehr, dies hier tun zu müssen. Meine politischen Freunde und wohl auch ich selber stehen ja nicht in dem Verdacht, überspitzten nationalistischen Ambitionen zu huldigen. Im Gegenteil, die Herstellung eines wirklich echten freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich ist für uns auf Grund unserer ganzen politischen Weltanschauung ein wesentlicher Teil unserer Gesamtpolitik. Die Verhandlungen zwischen Deutschland und Frankreich über die Zukunft der Saar konnten aber nicht in der Weise beginnen, daß Frankreich auf der Beibehaltung eines Besitzstandes beharrte, der durch einseitige Maßnahmen der Besatzungsmacht in den letzten sieben Jahren geschaffen worden war.
Wir sind daher mit der Bundesregierung der Auffassung, daß zumindest im Augenblick weitere Gespräche zwischen Deutschland und Frankreich über die Lösung des Saarproblems keinen Erfolg versprechen. Für zukünftige Verhandlungen, die ja eines Tages kommen werden, legen wir aber mit vollem Nachdruck Wert auf die Feststellung, daß Deutschland niemals von dem Standpunkt abgehen kann und wird, daß das Saargebiet ein untrennbarer Bestandteil Deutschlands ist.
Die Wiederherstellung dieses Deutschlands in den Grenzen des Jahres 1937 ist auch von den Alliierten ausdrücklich zugesagt worden. Eine dauerhafte und vernünftige Regelung des Saarproblems zwischen Frankreich und Deutschland muß daher von diesem Standpunkt ausgehen, wobei wir natürlich bereit sind, die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar zu berücksichtigen. Nach Inkrafttreten des Schumanplans — der Herr Bundeskanzler wies auch darauf hin — wird diese Frage ohnehin automatisch gelöst werden, sogar automatisch gelöst sein, da das Saargebiet mit seiner gesamten Grundstoffindustrie an Kohle und Stahl ebenso wie die französische und deutsche Grundstoffindustrie sowieso in der Schumanplan-
Organisation zusammengeführt werden.
— Selbstverständlich, das sehen wir uns sehr genau an!
Nun noch eines, meine sehr verehrten Damen und Herren: Wir billigen und unterstützen auch die Absicht der Bundesregierung, ihre weiteren Bestrebungen darauf zu richten, freiheitliche und demokratische Verhältnisse an der Saar herzustellen. Die Grundsätze der von uns im Europarat einmütig angenommenen Konventionen über die Menschenrechte müssen unter allen Umständen auch an der Saar verwirklicht werden.
Wir begrüßen daher die Absicht des Herrn Bundeskanzlers, diese Frage auf Grund de* bereits dem Ministerkomitee vorliegenden deutschen Memorandums in der nächsten Sitzung des Ministerrats erneut anzuschneiden.
Herr Dr. Mommer, ich erlaube mir, mit diesen Bemerkungen zu schließen. Es scheint mir nicht am Platze oder notwendig zu sein, noch auf Ihre weiteren Ausführungen einzugehen, da w i r jedenfalls der Auffassung sind, daß der Herr Bundeskanzler
aie von Ihnen gestellten Fragen und Anregungen eingehend und, wie ich sagen muß, zur Zufriedenheit behandelt hat. Ich kann mich daher darauf beschränken, zu wiederholen, daß die Haltung der Bundesregierung, wie wir sie soeben vom Herrn Bundeskanzler gehört haben, unsere volle Zustimmung findet.
Das Wort hat der Abgeordnete Eichler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz im Gegensatz zu unserem Kollegen Dr. Pünder muß ich bekennen, daß ich mich durch die Debatte und vor allen Dingen auch durch die Antwort des Herrn Bundeskanzlers nicht befriedigt finde.
Ganz im Gegenteil, ich glaube sogar, daß diese gewisse Bagatellisierung der letzten Aktion der Bundesregierung in der Saarfrage uns gerade davon abhalten kann, zu zeigen, daß doch hier eine konsequente Linie verfolgt worden ist, und zwar sowohl von der französischen Regierung als auch von der deutschen, wenn auch natürlich in sehr verschiedenen Richtungen. Dabei ist der Kampf, den Frankreich um die Gewinnung der Saar geführt hat, mit einer solchen Verbissenheit geführt worden, daß man der deutschen Regierung eine ähnliche Entschlossenheit und Konsequenzsicherheit bei der Vertretung des gegenteiligen Standpunkts gewünscht hätte.
Nicht umsonst hat Herr Schuman gelegentlich seine Landsleute aufgefordert, bei diesem Kampfe kalte Nerven zu behalten, und sie haben es weiß Gott auch nötig gehabt. Sie haben sie aber behalten. Herr Bidault hat vor vier Jahren schon erklärt, er habe vierzehn Versuche unternommen, mit den Alliierten zu einem Abkommen über die Saar zu kommen. Das ist ihm nicht gelungen. Das fünfzehnte Mal wollte er sich nicht demütigen. Das hat Frankreich nicht abgehalten, seinerseits vollzogene Tatsachen zu schaffen und ganze Arbeit zu leisten. Das Regime an. der Saar, das dort durch Druck, durch Terror, Erpressung und Ausverkauf schließlich geschaffen wurde und zur faktischen Abtretung von Deutschland unter der Verantwortung von Grandval geführt hat, stand am Ausgang der Bemühungen der deutschen Bundesregierung seit 1949, hier eine Änderung der französischen Saarpolitik herbeizuführen.
Über die Tatsache des Terrorregimes an der Saar gibt es unter Deutschen keine Meinungsverschiedenheit. Der Herr Bundeskanzler selber hat darüber schon 1950 hier im Bundestag im wesentlichen auf Grund einer langen Denkschrift sowohl der Sozialdemokratischen Partei als auch einer Gruppe katholischer Geistlicher aus dem Saargebiet berichtet. Die Berichte stimmen überein, und es ist klar, daß sie nicht bestritten werden können. DaS war anläßlich des Abschlusses der bekannten Konventionen zwischen dem Saargebiet und Frankreich. Bei dieser Gelegenheit — und das scheint mir wichtig zu sein für die Grundlage unserer Politik — bestand über zwei Punkte bereits Einverständnis zwischen der Regierung und dem ganzen Bundestag.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nach den Erklärungen der Alliierten vom 5. Juni 1945 hat Deutschland nicht aufgehört, als Staat nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 zu bestehen. Das Grundgesetz ... ist zwar nur von dem deutschen Volke in elf Ländern geschaffen worden; das deutsche Volk .. hat aber zugleich für die Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Die Bundesregierung ... ist daher befugt und verpflichtet, die deutschen Rechte ... insgesamt zu wahren.
Der zweite Punkt, worüber Einigkeit herrschte, war die grundsätzliche Haltung zur Saarpolitik Frankreichs. Darüber sagte der Herr Bundeskanzler in derselben Rede: dieser Saarkomplex ist aber auch deswegen von einer außerordentlich großen Bedeutung, weil, wenn diese Sache so bleibt, das Vertrauen in die Erklärungen der Westalliierten innerhalb der deutschen Bevölkerung aufs schwerste geschädigt wird. Und er fuhr fort: Die Überschrift der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" „Die Entscheidung über die Saar — gegen Europa" scheint mir in kurzen und präzisen Worten das zusammenzufassen, was über die ganze Angelegenheit zu sagen ist.
Nun, meine Damen und Herren, in der Tat konnte der europäischen Idee vom freiwilligen Zusammenschluß der Völker zu einer solidarischen Schicksalsgemeinschaft unter dem Abbau der nationalen Souveränitätsansprüche und der wirtschaftlichen Autarkiebestrebungen nichts grundsätzlicher entgegenstehen als die Behandlung des Saargebiets durch Frankreich. Nichts konnte den Glauben an demokratische Freiheitsbegriffe, an einen demokratischen Aufbau Europas mehr erschüttern als die Behandlung des Saargebiets in dem innerdemokratischen oder sagen wir: inner-antidemokratischen Aufbau dieses Landes.
Nun muß man auf eines achten. Der Herr Bundeskanzler hatte damals schon zwei grundsätzlich verschiedene politische Seelen in seiner Brust. Am 30. Mai 1951 — über ein Jahr später — sprach er wieder über die Saar, und hier entwickelte er die Theorie eines „aber", von dem wir glauben, daß es die deutsche Regierung ständig gehindert hat, der geradlinigen Politik Frankreichs eine ebenso gradlinige Abwehr entgegenzusetzen. Herr Dr. Adenauer sagte damals wörtlich:
Ich habe aber damals keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Saarfrage unter keinen Umständen zu einer Störung der Bemühungen, zwischen Deutschland und Frankreich gute Beziehungen herzustellen, und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen dürfte. ... So unangenehm und so störend die von mir eingangs erwähnten Vorfälle sind, so sind sie doch letzten Endes zeit-und personenbedingt; sie geben aber keine Veranlassung, von der Linie ... der entscheidenden Politik der Integration Europas ... abzugehen.
Auf diesen Grundsatz, glaube ich, baute der Herr Bundeskanzler seine Saarpolitik wie auch seine übrige Europapolitik, soweit sie den Westen angeht, auf. Was er kurz vorher noch selber als gegen Europa gerichtet angesehen und öffentlich ausgesprochen hatte, wurde in dieser grundsätzlichen Betrachtung eine unvermeidliche, wenn
auch störende Tatsache, die vom Wege zum europäischen Endziel einer westeuropäischen Integration nicht ablenken dürfte.
Deshalb wurde gegen die fünf Konventionen eine Rechtsverwahrung eingelegt, die selbstverständlich in Ordnung war und der der Bundestag zugestimmt hat. Aber zunächst blieb es dabei.
Dann kam der Eintritt Deutschlands in den Europarat. Da ist eben vom Herrn Bundeskanzler gesagt worden, die Streitigkeiten im Europarat seien nicht zu bewältigen, und deshalb sei die Anregung an ihn ergangen, ob man nicht etwas in dieser Richtung unternehmen könnte. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, diese Streitigkeiten, die ja keine bloßen Wortklaubereien und kein Streit um Kleinigkeiten sind, hätte man vor der Einrichtung des Europarates, v o r dem deutschen Eintritt in den Europarat klären sollen. Dann könnte man heute dort vernünftige Arbeit leisten.
Als der Europarat gegründet wurde, wies die Opposition hier an dieser Stelle darauf hin, daß man fn Frankreich die Tatsache, daß Deutschland die Einladung, dem Europarat beizutreten, gleichzeitig mit der Einladung der Saarbevölkerung annahm, so auslegen würde, als wenn Deutschland de facto die Saarregierung anerkannt hätte. In der Tat hat Herr Schuman am 20. Februar 1951 diese Tatsache der deutschen Regierung und den Deutschen im Europarat unterstellt.
— Darüber haben wir schon so oft geredet, warum wir das getan haben, Herr von Rechenberg. Wir können doch nicht alle ollen Kamellen immer wieder neu auftischen, nur weil Sie gerade Lust dazu haben.
Nun kam der Schumanplan. Hier reiften nicht alle Blütenträume der französischen Saarpolitik; wohl aber wurde eine Teilnahme saarländischer Delegierter in die beratende Versammlung des Schumanplans, wenn auch auf Kosten der Anzahl französischer Teilnehmer, zugelassen, und der Landtag von Saarbrücken mußte dem Vertrag zustimmen. Zwar wurde in einem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem französischen Außenminister bestätigt, daß in bezug auf die Saarfrage jede Regierung ihren eigenen Standpunkt beibehielte und daß der Friedensvertrag die letzte Entscheidung zu treffen hätte; aber politisch war wieder Frankreich einen Schritt weitergekommen. Und inzwischen sind die Methoden des Polizeistaats im Saargebiet nicht abgebaut worden.
Wir haben bereits vor zwei Jahren angeregt, daß der Ministerausschuß des Europarats den demokratischen bzw. den innerstaatlichen Aufbau des Saargebiets untersuchen sollte. Der Bundeskanzler hat vor gut einem halben Jahr an dieser Stelle zugesagt, dieser Anregung zu folgen. Die Denkschrift, die dem Ministerrat eingereicht worden ist, hat der Herr Bundeskanzler hier erörtert. Ich kann mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen. Nun tagte am 19. März der Ministerrat. Herr Grandval hatte — das ist bereits erwähnt worden — zwei Stunden vorher in einer außerordentlich provozierenden Rede davor gewarnt, die Dinge zu diskutieren, weil sonst das zarte Gefüge des Schumanplans torpediert würde. Der Bundeskanzler kam in die Sitzung und gab beim Aufruf der Tagesordnung folgende Erklärung ab; diese Erklärung steht im Bundesanzeiger Nr. 67 vom 4. April 1952, wird also, glaube ich, von allen Mitgliedern der Regierungskoalitionsparteien als authentisch angesehen werden:
Zwischen dem französischen Außenminister und dem Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sind Besprechungen eingeleitet worden, um schon vor Abschluß des Friedensvertrags oder eines diesem gleichen Vertrags zu einer Ordnung der Saarfrage zu gelangen. Diese Ordnung bedarf der Zustimmung der beiden anderen westalliierten Mächte, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. Sie bedarf ferner der Zustimmung der Saarbevölkerung durch den neu zu wählenden Landtag. Vertreter der französischen Regierung und der Regierung der Bundesrepublik sollen sofort zusammentreten, um mit Vertretern der Saarregierung
zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Durchführung freier demokratischer Wahlen zum nächsten Landtag gegeben sind.
Nun, meine Damen und Herren, der Ministerpräsident Hoffmann erklärte dazu, daß er damit einverstanden sei und diesen Vorschlag seiner Regierung unterbreiten werde, und daß er hoffe, diese werde darauf eingehen.
Damit hat der Herr Bundeskanzler nach der Auffassung der Opposition die wichtigste Möglichkeit für die öffentliche Aufdeckung des Polizeiregimes an der Saar preisgegeben und seine dem Bundestag hier gegebene feierliche Zusage einfach beiseite geschoben. Aber das ist nicht einmal das Bedeutsamste! Wichtig ist, daß er dabei seine eigenen, hier verkündeten Grundsätze außer acht gelassen hat. Denn, ob Saarregierung anerkannt oder nicht, jedenfalls in den Augen des französischen Volkes und in den Handlungen der französischen Regierungsmänner gilt es wieder als eine Tatsache, daß man in bezug auf die De-facto-Nötigungen der Deutschen zur Anerkennung politischer Tatsachen einen Schritt weitergekommen ist.
Schließlich: die Durchführung freier Wahlen für den nächsten Landtag. Die Zustimmung zur Dreierkommission — gar nicht davon zu reden, daß ihr das Recht bestritten wurde, mehr zu tun, als Vorschläge zu machen — ist, wenn sie so zusammengesetzt wird, wie man es aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers herauslesen kann, wirklich eine De-facto-Anerkennung. Die Saarregierung hat in dieser Frage mitzureden, ist also ein Bestandteil der völkerrechtlichen Entscheidungsmaschinerie. Mir scheint, darüber kann man doch einfach nicht streiten, wenn man nicht um Worte herumklauben will.
Es hat sich — und das kommt dazu, wenn man darüber spricht, wie dieser Landtag frei gewählt werden soll — im Saargebiet bisher doch nichts geändert. Jeder wird sich denken können, daß Herrn Grandval, der ja bereits Erfahrungen hat, wieviel leichter es ist, 40 Abgeordnete einzuschüchtern und unter Druck zu setzen als eine ganze Wählerschaft, all denen seine guten oder sagen wir lieber: seine schlechten Dienste zur Verfügung
stellen wird, die dieser Dienste bedürfen. Aber selbst wenn der kommende Landtag völlig frei nach demokratischen Prinzipien gewählt werden sollte, ist er noch immer kein Partner zur Herbeiführung einer neuen Ordnung, was immer man sich unter dieser neuen Ordnung vorstellen sollte, die schon vor einem Friedensvertrag das endgültige Schicksal des Saargebiets bestimmen soll. Über das Verbleiben der Saar bei Deutschland entscheidet nicht ein Landtag, weder ein frei gewählter noch ein unfreier Landtag. Es ist überhaupt keine Funktion eines Landtags, darüber zu bestimmen, wo das Gebiet bleiben soll, dessen Volk er repräsentiert.
Jede in einem Friedensvertrag — vielleicht! — vorgenommene Gebietsveränderung selbst bedarf dann noch der Zustimmung des davon betroffenen Volkes.
Das war, wie wir bisher gesehen haben, auch die Auffassung der Bundesregierung. Uns scheint, sie hat mit der Zustimmung zu der Dreierkommission und zu der geplanten Funktionsübertragung an den Saarbrücker Landtag diese Grundsätze über Bord geworfen.
Was die neue Ordnung selber angeht, so haben wir wenig mehr gehört, als daß es eine Art von europäisiertem Saargebiet sein soll; und ich kann mir nicht denken, daß der Herr Bundeskanzler es für eine Erläuterung gehalten hat, als er sagte, das solle sich darin zeigen, daß die Hohe Behörde des Schumanplans nach Saarbrücken gelegt werden solle. Man wird doch nicht annehmen können, daß, falls das etwa nicht geschieht und sie nach Brüssel verlegt wird, das eine Europäisierung Belgiens bedeuten würde.
Was immer nun auch die neue Ordnung und die Europäisierung des Saargebiets bedeuten soll — wir glauben eins: Keiner der an diesen Aussprachen teilnehmenden Franzosen hat weder vorher noch nachher, keine parlamentarische Institution der Republik hat sich mit irgendwelchen Plänen über das Saargebiet einverstanden erklärt, die die Aufhebung der faktisch erzwungenen Autonomie des Saargebiets bedeuten. Darüber, glaube ich, sollte jeder sich klar sein. Ob de facto oder de jure — in Verhandlungen mit heutigen französischen Saarpolitikern wird über die Autonomie der Saar nicht mehr gesprochen werden können. Herr Schuman hat in seinem Bericht über die Verhandlungen mit dem Herrn Bundeskanzler erklärt: „Wir haben nichts aufgegeben. Die mit der Untersuchung beauftragten Personen der Dreierkommission werden keine Vollmachten haben, selbst Entscheidungen zu treffen."
Und nun, meine Damen und Herren: zur Kritik einer solchen Politik haben wir einen Kronzeugen, und diesmal wieder den Herrn Bundeskanzler selber. Er hat auf die Frage, die in ähnlicher Richtung ging, einmal geantwortet, und zwar hier im Bundestag am 30. Mai 1951:
Auf die Frage: „Warum soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden?", gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln, in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder sich durch Puffer-und Satellitenstaaten schützen zu müssen glaubte. Das habe ich vom europäischen Standpunkt aus gesagt.
Vom deutschen Standpunkt aus ist folgendes zu sagen. Ob das Saargebiet von Frankreich annektiert oder ob es zu einem zweiten Luxemburg gemacht wird, ist von unserem deutschen Standpunkt aus gesehen gleichgültig.
Von unserem Standpunkt aus gesehen ist es immer nur die Separation, die Losreißung von Deutschland; und die Saarpolitiker, die sich für diese Lösung stark machen, können sich nicht darüber beklagen, wenn die Verfechter einer solchen Separation in unseren Augen als Separatisten gelten!
Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist klar: auch die „Europäisierung" heißt nichts weiter als Separierung. Wir können also die Gleichsetzung, die der Herr Bundeskanzler am 30. Mai 1951 vorgenommen hat, um einen Punkt erweitern; wir können sagen: Ob Annexion, ob Luxemburgerei, ob Europäisierung — es handelt sich um Separierung,
und wer sich für sie einsetzt, darf sich nicht wundern — wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat —, daß man ihn für einen Separatisten hält.
Hier, meine Damen und Herren, scheint uns, muß Farbe bekannt werden, ob der Grundsatz: „Kein deutsches Land geht heraus aus Deutschland ohne die dafür vorgesehene Prozedur" der überragende ist oder ob das Verhältnis zu Frankreich das Überragende ist und alles andere nur als eine peinliche und beschämende, aber immerhin zu ertragende Tatsache angesehen wird. Das muß einmal klar entschieden werden, welcher Grundsatz hier der überragende ist.
Wir möchten bei dieser Gelegenheit dem Herrn Bundeskanzler gleich eine Frage stellen. Im Ministerausschuß ist jetzt auch über das Zusatzprotokoll zu der Konvention über die Menschenrechte, die im Europarat angenommen worden ist, verhandelt worden. Wenn wir nicht irren, war auch der Herr Hoffmann dabei und hat das Protokoll unterzeichnet. Wir wüßten gern von dem Herrn Bundeskanzler, ob das so ist, und wenn das so ist, ob er dagegen etwas unternommen hat, und ob, wenn er nichts dagegen unternommen hat, es dafür hinreichende Gründe gibt, die uns hier mitzuteilen er dann geneigt sein sollte.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, ist es, glaube ich, wichtig, auch die Konsequenzen dieser Politik für die gesamtdeutsche Einheit einmal darzustellen. Auch hierzu einfach drei Zeugen, ohne jede Theorie. Herr Holzapfel erklärte in Detmold der Sache nach — ich habe das Zitat nicht wörtlich hier —: „Es ist unmöglich, das Saargebiet aufzugeben und den Anspruch auf die Ostgebiete aufrechtzuerhalten." Der Herr Bundeskanzler erklärte am 4. März 1950: „Wenn das, was im Westen geschieht, geduldet oder sanktioniert wird — wo in aller Welt wird man dann gegenüber Polen noch etwas sagen können wegen der Oder-Neiße-Linie?
Und daher ist diese Angelegenheit auch für das Verhältnis der Westalliierten gegenüber Sowjetrußland eine Frage von eminenter politischer Bedeutung."
Und der Herr Präsident Löbe erklärte hier im Bundestag am 13. Juni 1950, als man in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik die Oder-Neiße-Linie als neue Friedensgrenze anerkannt hatte:
Die Regelung . . . aller Grenzfragen . . ., der östlichen wie der westlichen, kann nur durch einen Friedensvertrag erfolgen . . . Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben.
Diese feierliche Erklärung ehrte der Bundestag durch Aufstehen von den Plätzen .und durch eine Unterbrechung der Sitzung um eine Viertelstunde, um die Bedeutung dieser Erklärung zu unterstreichen.
Nun, meine Damen und Herren: wir sind deshalb der Meinung, der Herr Bundeskanzler hat mit seiner Saarpolitik, wie wir oft vorausgesagt haben, Schiffbruch erlitten.
Er hat es heute eigentlich auch so in dürren Worten dargesellt — nicht mit genau den gleichen Worten, aber der Sache nach ganz gewiß. Wenn er hier offen erklärt, er habe jetzt, nachdem er mit Herrn Schuman verhandelt habe, erfahren, daß der europäische Gedanke noch nicht genügend verbreitet sei, so scheint mir diese Erkenntnis doch etwas reichlich spät zu kommen. Und wenn er jetzt sagt, er trete ein für die demokratischen Freiheiten im Saargebiet, so glauben wir ihm das natürlich; aber um so unverständlicher ist doch, daß er das hier sagen muß. Hier bedroht ja keiner die demokratischen Freiheiten im Saargebiet!
Hier sitzen ja nicht die Leute, die das tun. Die sind im Europarat zu fassen, da kann man mit ihnen sprechen; da ist auch eine Chance der neutralen Diskussion.
Der Herr Bundeskanzler — —
— Der sitzt im Ministerausschuß, wo das vorgebracht werden kann. Und damit Sie sich auch beruhigen, Herr Hasemann: als mein Kollege Roth, ebenso wie mein Kollege Mommer, im Europarat über die Saar sprach, hat ihm der Präsident Spaak
— dem das höchst unangenehm war; er hätte den Redner keineswegs zu unterbrechen brauchen, es wurde über weniger wichtige Dinge länger geredet — das Wort entzogen. Und es war, glaube ich, der Kollege von Rechenberg — aber ich will mich darauf nicht festlegen —, der gesagt hat: „Wir sind daran auch gar nicht interessiert."
— Aber, Herr von Rechenberg, wenn Ihnen daran gelegen war, hatten Sie doch keinerlei Anlaß, dem Präsidenten Spaak in der Unterdrückung einer Diskussion über die Saarfrage beizuspringen.
— Sie gehörte unserer Meinung nach zur Sache.
Wir haben in diesem grundsätzlichen Kampf der deutschen Bundesregierung in der Saarpolitik wieder und wieder folgendes erlebt: die französische Politik schafft durch Ignorierung der Rechtsverhältnisse politische Tatsachen zugunsten von Frankreich, die deutsche Regierung beantwortet diese Politik mit Rechtsverwahrungen und Protesten, die für sich berechtigt sind, aber natürlich die politischen Fakten nicht ändern.
— Ich sage Ihnen das gleich, warten Sie nur einen Augenblick; ich bin ja noch nicht fertig. — Aber die Bundesregierung hat damit nicht einmal das Ziel, das sie im Auge gehabt haben will, trotz der Schwierigkeiten mit Frankreich die europäische Idee vorwärtszutreiben, erreicht. Das wäre nur möglich gewesen, wenn die freiwillige Teilnahme an Institutionen wie dem Europarat und dem Schumanplan .— unter den bekannten Bedingungen — unterblieben wäre.
Dazu war nämlich niemand gezwungen. Eine Weigerung der deutschen Bundesregierung, diesen Institutionen beizutreten, hätte eine Möglichkeit bedeutet, den Charakter dieser Institutionen zu ändern und sie vielleicht zu Instrumenten einer echten politischen Einigung Europas zu machen.
Da diese Weigerung unterblieb, bestand für die andere Seite kein zureichender Grund, da sie aus politischem Machtbewußtsein die rechtlichen Gründe der deutschen Rechtsverwahrung ignorierte, ihre nationalen und wirtschaftlichen Sonderansprüche mit dem Grundsatz europäischer Gleichberechtigung und solidarischer Gemeinhaftung in Einklang zu bringen.
Ich möchte die Erinnerung an ein ähnliches Verhältnis auffrischen. Das ist der Streit zwischen Polen und Litauen über den Besitz der Stadt Wilna. Das Haager Schiedsgericht hat in diesem Falle für die Litauer entschieden, aber die Polen haben Wilna behalten. So ist das zynische Sprichwort entstanden: „Die Litauer haben recht, und die Polen haben Wilna." So könnte man auch sagen: Die Deutschen haben recht, und die Franzosen haben das Saargebiet.
Die französischen Saarpolitiker haben, wie es Herr Schuman verlangt hat, ihre Nerven behalten, vielleicht auch der Herr Bundeskanzler. Die Saarbevölkerung, soweit sie nicht separatistisch ist — und wir freuen uns. daß der Herr Bundeskanzler mit uns der Meinung ist, daß der größte Teil der Bevölkerung das heute nicht ist, weil sie von der Reaktion der Furcht geheilt ist —, wartet heute mit größter Ungeduld darauf, wie diese zerreißende Nervenprobe ausgeht. Wir möchten die Bundesregierung ernsthaft warnen, diese Politik des Nachgebens und der Auflockerung entscheidender Grundsätze deutscher Politik fortzusetzen. Es könnte sonst leicht geschehen, daß sie zwar die Nerven behält, aber die Saar verliert. Das würde sich auf die Frage der gesamtdeutschen Einheit in Freiheit erschreckend auswirken. Wer die deutsche
Einheit wirklich will, darf sie nicht der westeuropäischen Integration hintanstellen.
Denn diese Integration wird beim Verlust der deutschen Einheit alles mögliche sein, aber nicht europäisch.
Ich habe zum Schluß eine Frage. Der Herr Bundeskanzler sagt, die Entlassung des Beamten, von dem hier die Rede war, sei vorläufig und die Untersuchung darüber sei noch nicht abgeschlossen. Wir können uns kaum vorstellen, daß eine solche Untersuchung sehr lange dauern kann. Eigentlich braucht man nur den Angeklagten und den Vertreter der United Press zu fragen. Andere Möglichkeiten und andere Komplikationen können doch hier gar nicht vorliegen. Weshalb soll es also nicht möglich sein, hier das Verfahren zu beschleunigen?
Nunmehr möchte ich die Entschließung, die meine Fraktion dem Hause unterbreitet, verlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Das Saargebiet ist nach Völkerrecht deutsches Staatsgebiet.
2 Seine tatsächliche Abtrennung ist ohne Rechtstitel und gegen die Grundsätze der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechtes erfolgt.
3. Über deutsches Staatsgebiet kann Rechtens
nur durch das Gesamtvolk verfügt werden.
4. Eine gedeihliche Zusammenarbeit der Völker Europas kann nur auf die Achtung vor Recht und Freiheit des anderen gegründet werden.
4. Der Bundestag wird keiner Regelung zustimmen, die diesen Grundsätzen widerspricht.
Ich habe die Ehre, dem Herrn Präsidenten diese Entschließung zu überreichen, und bitte das Hohe Haus, sich ihr anzuschließen.
Der Antrag liegt dem Hause vor. Ich danke schön!
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und Herren! Herr Kollege Eichler hat wiederholt davon gesprochen, daß die Bundesregierung oder der Bundeskanzler die Europäisierung der Saar — nun, sagen wir mal — in Aussicht genommen habe. Ich möchte Herrn Kollegen Eichler bitten, das Stenogramm meiner Ausführungen nachzulesen; er wird darin folgenden Satz finden, der sehr genau überlegt ist:
Dementsprechend habe ich mit Herrn Schuman in London und in Paris Besprechungen geführt, die das Ziel hatten, zu untersuchen, welche Lösungsmöglichkeiten überhaupt bestünden. Bei diesen Besprechungen wurde auch die Möglichkeit der Schaffung eines europäischen Territoriums an der Saar erörtert, das Sitz der Hohen Behörde des Schumanplans würde.
Bitte, beachten Sie wohl, Herr Eichler: Ich habe nicht von einer Europäisierung des Saargebiets gesprochen,
sondern ich habe gesprochen von der Schaffung
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler!
Meine Damen und Herren! Vielleicht denken Sie mal über den Unterschied nach.
Dann möchte ich Herrn Kollegen Eichler doch noch folgendes sagen: Es ist richtig, daß in den Jahren 1945 bis 1947 Tatsachen geschaffen worden sind, mit denen wir uns unter keinen Umständen abfinden können. Aber, verehrter Herr Eichler, Tatsachen, die geschaffen sind, kann man nur in sehr mühsamer und geduldiger Arbeit wieder so zurechtbekommen, wie sie das deutsche Volk wünscht.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mayer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dem Herrn Bundeskanzler zunächst zu danken für die Entschiedenheit und die Klarheit, mit der er eine Auffassung hier vertreten hat, die der Auffassung meiner Freunde und, wie ich glaube, der Auffassung dieses Hauses und des deutschen Volkes entspricht
und mehr entspricht, auch Ihrer Auffassung mehr entspricht, als die Rede des Herrn Kollegen Eichler vermuten ließ.
Wir teilen mit dem Herrn Bundeskanzler die Enttäuschung darüber, daß das Verharren Frankreichs in einer sehr uneuropäischen Denkweise eine endgültige Regelung der Saarfrage zwischen den beiden Völkern noch nicht gestattet hat. Diese Übereinstimmung gestattet mir, mich kurz zu fassen.
Etwas anderes, was mich zur Kürze und zu einiger Zurückhaltung veranlaßt, ist das Wissen darum, das, glaube ich, auf allen Seiten des Hauses vorhanden ist, daß die Schicksalsfragen der Nation nicht durch Redeschlachten hier im Parlament entschieden werden,
das Wissen darum, daß durch solche Redeschlachten draußen in unserem Volk nur der Eindruck erweckt wird, als ob Außenpolitik für viele Mitglieder dieses Hauses so etwas wie ein Restaurationsbetrieb sei, in dem man von Zeit zu Zeit ramponiertes Parteiprestige wieder aufmöbele.
— Herr Kollege Mellies, trotz Ihrer Zurufe und
trotz der Pannen, die wir bisher erlebt haben, — —
— Das festzustellen sind Sie doch wohl nicht be-
rufen, Herr Kollege! — Trotz aller Pannen — —
Darf ich einen Augenblick unterbrechen, Herr Abgeordneter. Ich glaube, daß die Feststellung, daß ein Abgeordneter eine Panne sei, über die Grenzen der sachlichen Kritik hinausgeht.
Ich rufe Sie deswegen zur Ordnung, Herr Abgeordneter Marx.
Schönen Dank, Herr Präsident; es berührte mich nicht.
Ich wollte trotz dieser Pannen bei dieser Gelegenheit den Herrn Bundeskanzler erneut bitten und auch Sie, meine Herren von der Opposition, doch immer und immer wieder den Versuch zu erneuern, daß man in außenpolitischen Dingen zu einer Gemeinsamkeit gelangt, Sie beiderseits zu bitten, doch nicht immer Ziele und Motive zu verdächtigen, wenn es sich um Meinungsverschiedenheiten meinetwegen in der Taktik handelt,
vor allem dann nicht zu verdächtigen, wenn man selbst keinen anderen Weg weiß.
Sehr schön, Herr Kollege Eichler, ist das Zitat: Die Deutschen haben das Recht, und die Franzosen haben die Saar! Wie Sie den Tatbestand praktisch ändern wollen, haben Sie uns leider auch verschwiegen.
Die Auffassung, meine Herren, über das Saargebiet und das, was mit ihm zu geschehen hat, ist viel einheitlicher, als Sie vorhin den Eindruck zu erwecken versuchten. Sie ist einheitlich, wenn Sie die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers und Ihren Entschließungsantrag vergleichen, dem ich mit Freuden zustimmen werde,
so einheitlich, daß sich unsere Auffassungen eigentlich überhaupt nicht unterscheiden. Wir sind uns einig in der Auffassung, daß die Saar deutsch ist, und wir sind uns weiter darüber einig, daß an diesem Tatbestand alle einseitigen Akte, die mittlerweile vorgenommen worden sind, nichts geändert haben. Das deutsche Volk, vor allen Dingen das Volk an der Saar wird heute mit einer gewissen Beruhigung die Bestätigung erfahren haben, daß der Herr Bundeskanzler auch bei seinen Pariser Gesprächen von diesem Standpunkt nicht abgewichen ist. Was an der Saar in Übereinstimmung mit Potsdam und gegen Potsdam geschah, ist und bleibt vorläufig, bis Frankreich und Deutschland sich über eine endgültige Lösung geeinigt haben. Wir sind unbeschadet unserer Auffassung — mein Kollege Neumayer wird nachher noch einiges über die rechtliche Situation sagen —, daß der Wille der saarländischen Bevölkerung 1935 seinen auch heute noch gültigen Ausdruck gefunden hat, sehr wohl damit einverstanden, daß bei der Endlösung dieser Wille der saarländischen Bevölkerung respektiert wird.
Herr Hoffmann und seine Helfer und seine fremden Befehlsgeber berufen sich bei der Ausdeutung des Willens der Saarbevölkerung auf das, was 1947 dort geschah. Wenn damals außer fragwürdigen politischen und geschäftlichen Transaktionen an der Saar etwas Weiteres geschah, dann dies, daß man in der brutalsten Form einen sich verlassen fühlenden deutschen Volksteil vor die Alternative stellte, entweder zu verhungern oder auf die Pläne der Herren Grandval, Hoffmann und Kirn einzugehen. Was damals geschah, war keine Volksbefragung, sondern es war — ich glaube, das weiß man heute auch in der Welt — eine Erpressung. Es war die Frage: Wollt ihr Stillegung der Betriebe, wollt ihr Demontage der Betriebe oder wollt ihr die Kooperation mit Frankreich? Die Existenzangst der 900 000 Menschen an der Saar und der Hunger haben damals Herrn Hoffmann eine zweifelhafte Legitimation gegeben. Daß auch diese brüchige Vollmacht nicht mehr gilt, hat der Verlauf des Gewerkschaftskongresses an der Saar bewiesen. Was 1947 — man muß das sagen, und Kollege Eichler hat das vorhin schon in ähnlicher Form festgestellt — an der Saar geschah, unterschied sich nur in der Methode und im Umfang von dem, was im Osten geschah.
Der Herr Bundeskanzler hat uns nun berichtet, daß man in Paris darüber gesprochen habe, einen frei gewählten Landtag zu hören, nachdem eine deutsch-französische Vereinbarung über den endgültigen Status zustande gekommen sei. Ich glaube, der Herr Bundeskanzler ist sich mit uns darüber im klaren, daß ein Landtag, den wir als zu einer Mitwirkung legitimiert anerkennen sollten, nicht nur voraussetzt, daß etwa kurz vor dem Wahltermin das von Herrn Hoffmann neulich durchgepeitschte Parteiengesetz aufgehoben wird, sondern auch voraussetzt die sofortige Herstellung aller demokratischer Freiheiten, der Redefreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit zur Gründung und zur Wirksamkeit deutscher Parteien. Es muß der unmögliche Zustand beseitigt werden, daß der Verrat an Deutschland staatlich honoriert, gefördert wird und daß das Bekenntnis zu Deutschland unter Strafe gestellt wird. Es muß ein Zustand beseitigt werden, der seinen Ausdruck etwa darin findet, daß die Klageschrift der DPS nicht veröffentlicht werden durfte und beschlagnahmt wurde. DPS! Man hört jetzt wieder, die UPS habe einen Nationalismus züchten wollen und erstrebe eine deutsche Irredenta. Ob es einen deutschen Nationalismus an der Saar gibt, hängt nicht von der DPS und nicht von den Parteien dieses Hauses ab. Ob an der Saar sich ein deutscher Nationalismus in der Zukunft entfaltet, hängt einzig und allein von dem Verhalten Frankreichs und seiner Vertreter ab.
Bei der Prüfung der Legitimation eines künftigen
Saarparlaments ist nicht nur daran zu denken, daß
die formalen Voraussetzungen für eine demokratische Meinungsbildung und Meinungsäußerung geschaffen werden, sondern auch daran, daß sich die
abstimmungsberechtigte Bevölkerung in einer unerhörten wirtschaftlichen Abhängigkeit und unter
einem unvergleichlichen Druck befindet. Ein großer
Teil der Arbeiter und Angestellten bezieht seine
Löhne und Gehälter aus französischen Kassen oder
aus den Kassen französisch geleiteter Betriebe. Gewerbetreibende und Unternehmer sind abhängig
von der Kreditpolitik und von der Auftragsvergebung saarländischer Regierungsstellen. Wenn also
ein solcher Landtag — nicht zur Entscheidung —,
aber zur Mitwirkung berufen sein soll, dann ist unserer Meinung nach Voraussetzung, daß an der Saar sofort und nicht erst am Tage vor der Wahl der politische, der wirtschaftliche und der Gesinnungsterror verschwinden.
Das scheint uns im Interesse der Befriedung sehr viel wichtiger als etwa der Versuch, das umstrittene Ansehen des Herrn Grandval durch ein Zeitungsverbot zu schützen. Herr François-Poncet hat das Verbot dankenswerterweise oder erfreulicherweise aufgehoben
und hat uns damit der Verpflichtung enthoben, uns mit ihm auseinanderzusetzen. Er hatte es, worauf eine deutsche Zeitung verdienstvollerweise hingewiesen hat, ja auch nur aufrechterhalten können, wenn er sich zu unserem Standpunkt bekannt hatte, daß namlich das Saargebiet besetztes deutsches Land, Herr Grandval mithin Besatzungsangestellter ist, daß es an der Saar keine souverane Regierung gibt und mithin auch keinen Botschafter geben kann. Mein Optimismus reicht nicht so weit, um Herrn François-Poncet zu untersteilen, dab er etwa so gedacht hat, als er dieses unglückselige Verbot ausgesprochen hat. Mein Optimismus reicht aber immerhin dazu aus, um trotz des peinlichen Rückfalls in die Methoden von 1945/46 zu glauben, daß Herr François-Poncet genau wie wir ehrlich eine deutsch-französische Verständigung, daß er ein neues Europa will. Herr François-Poncet, dessen Klugheit und dessen Formengewandtheit wir alle kennen, weiß auch, daß diese Verstandigung nicht auf Paragraphen, vor allem nicht auf aufgezwungenen Paragraphen aufgebaut werden kann. Er weiß und muß wissen, daß sie abhangig ist von dem Willen und dem Glauben der Völker. Unser Glaube ist durch die Haltung Frankreichs und seiner Vertreter an der Saar immer und immer wieder und laufend erschüttert worden. Wenn in diesen Tagen eine große deutsche Zeitung — zugegeben, verdienstvollerweise — sich bemüht hat, die Gemüter abzuwiegeln, und gesagt hat, es gehöre sich auch nicht, daß man den diplomatischen Vertreter einer fremden Macht in seiner Ehre kränke, gut, dann soll sich dieser diplomatische Vertreter einer fremden Macht aber auch einigermaßen diplomatischer Formen befleißigen.
Von Herrn Grandval müssen wir feststellen, daß er das nicht tut, sondern daß er entweder in Erscheinung tritt als gewandter Geschäftsmann oder als Propagandist, dem das Ansehen des deutschen Parlaments, des deutschen Volkes und der deutschen Politiker ziemlich gleichgültig sind.
Wenn wir auf die Gefühle der französischen Öffentlichkeit Rücksicht nehmen sollen, und wir wollen das, dann dürfen wir erwarten, daß auch die Vertreter Frankreichs einigermaßen auf unsere Gefühle Rücksicht nehmen. Wir wollen mit aller Leidenschaft die Aussöhnung unserer Völker. Wir wollen Europa, wir wollen es ehrlich und wollen es mit der Bereitschaft, Frankreich in wirtschaftlichem Sinne an der Saar so weit als irgendwie möglich entgegenzukommen. Ich wiederhole, was ich vor einem Jahr gesagt habe: Wir können mit Frankreich reden über Kohle, über Eisen und über Stahl, aber wir können nicht mit ihm reden über die Überlassung deutscher Menschen!
Herr Bundeskanzler, Sie wissen und, bitte, lassen Sie es Ihre Gesprächspartner wissen: meine
Freunde, die Mehrheit dieses Hauses und, ich glaube, die Mehrheit unseres deutschen Volkes haben mit Ihnen den Weg nach Europa angetreten. Wir sind bereit, auf diesem Weg über Dornen und Gestrüpp und Hindernisse hinwegzuschreiten. Wir sind aber nicht bereit — und das muß die Welt wissen —, auf diesem Weg über 900 000 vergewaltigte deutsche Menschen und über ein widerrechtlich annektiertes deutsches Gebiet hinwegzuschreiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen einen Ausdruck des Bedauerns darüber stellen, daß die französische Regierung im Hinblick auf die Saar jetzt in einem Moment, in dem es um Sein und Nichtsein Europas geht, eine Diplomatie entfaltet hat, die man als eine Diplomatie der Steinzeit bezeichnen könnte. Ich möchte das Bedauern aber auch im Hinblick darauf ergänzen, daß die Opposition, indem sie diese Frage stets wieder auf die Tagesordnung dieses Hauses gebracht hat,
eine Politik der Deklamation und des Protestes befürwortet, die ich als eine Diplomatie der Versteinerung bezeichnen möchte. Damit kommen wir, nachdem die übereinstimmende Auffassung über Recht und Methode in dieser Frage hier im Bundestag immer wieder klar unterstrichen worden ist, praktisch nicht weiter. Ich werde etwas an das Sprichwort erinnert:
Willst Du des Lebens Unverstand mit Wehmut recht genießen,
so stelle Dich an diese Wand und trample mit den Füßen!
Ich sehe mich veranlaßt, auf Grund des Vorbringens des Herrn Kollegen Eichler und des Herrn Kollegen Mommer — ich hatte nicht die Absicht zu debattieren und zu polemisieren — zwei Punkte herauszustellen. Zunächst die Frage der Anerkennung. Herr Kollege Mommer hat sich da etwas vorsichtiger ausgedrückt und nur davon gesprochen, mit den praktischen Schritten der Bundesregierung sei man einer De-facto-Anerkennung der Regierung an der Saar nähergekommen. Herr Kollege Eichler dagegen hat sogar von einer völkerrechtlichen Anerkennung gesprochen. Ich möchte dazu doch eines feststellen. Was ist denn die von der Besatzungsmacht an der Saar eingesetzte Regierung? Sie ist eine Administration kraft Besatzungsrechts. Mehr ist sie nicht. Juristisch und praktisch ist es unmöglich, hier überhaupt einen Akt der Anerkennung zu vollziehen. Das ist rechtlich nicht möglich. Der deutschen Regierung wäre es, selbst wenn sie wollte, gar nicht möglich, hier einen Akt der Anerkennung zu setzen. Infolgedessen geht diese Polemik ins Leere. Damit daß ein völkerrechtlicher Anerkennungsakt unterstellt wird, gibt man höchstens der Gegenseite Argumente in die Hand, die sie nicht von uns geliefert zu bekommen braucht.
Der zweite Punkt ist, daß hier von einer Politik des Aber im Gegensatz zu einer Politik der Geradlinigkeit gesprochen worden ist, Diese Behauptung des Herrn Kollegen Eichler stellt die tatsächlichen Verhältnisse völlig auf den Kopf. Die deutsche Position an der Saar ist doch im Verhältnis zu den Jahren 1946/47 in der Verfechtung unseres Standpunktes unbestreitbar besser geworden. Wodurch ist sie besser geworden? Eben deswegen, weil wir in den Europarat hineingegangen sind,
weil wir mit über die Montan-Union verhandelt haben und ihr beigetreten sind und so überhaupt ein Instrument, um unser politisches Gewicht geltend zu machen, in die Hand bekommen haben.
Aber alles dies sind Fragen, die im Vorhof des Problems zu erörtern sind. Sie treffen gar nicht den Kern der Sache, wie nämlich praktisch etwas geändert werden kann, indem wir unseren guten und klaren Standpunkt des Rechts zur internationalen Anerkennung bringen. Hier bin ich veranlaßt, das zu wiederholen, was meine Fraktion in dieser Frage mit Eindeutigkeit als eine Politik der Geradlinigkeit vertreten hat.
Erstens: Wir sind nicht gewillt, der Abtrennung des deutschen Saargebiets zuzustimmen; ich stimme hier dem Kollegen Eichler zu. Es kann uns völlig gleichgültig sein, ob die Abtrennung in Form einer Annexion oder in der Form einer Separation stattfindet. Wir bleiben im gegenwärtigen Stadium auf dem klaren Boden stehen, daß die Saar ein Teil des Deutschen Reiches ist, war und nach unserem Wunsch und Willen bleiben soll;
denn es ist ein Land deutscher Sprache, deutscher Kultur, und deutschen Volkstums. Es ist ein deutsches Land, über alles Juristische, über alle politische Taktik hinaus. Das ist eine von Gott gegebene Tatsache. Es ist eine im Völkerrechtlichen und Politischen gewachsene Einsicht, daß man das Volkstum nicht dadurch seiner Seele, seines Wesens berauben darf, daß man es einer anderen politischen Staatsangehörigkeit und Organisation unterstellt. Das ist auch das Grundprinzip, das in der Atlantik-Charta zum Ausdruck gebracht worden ist. Meine politischen Freunde erkennen also auf keinen Fall das Recht der Annexion und auch nicht das Recht der Separation, in welcher Weise es auch geschehen möge, an.
Zweitens: Wir können uns auch nicht mit dem französischen Verlangen befreunden, daß die Saar wirtschaftlich in das französische Staatsgebiet eingegliedert werde. Denn das ist doch nichts anderes als eine Umschreibung, als eine Verlegenheitsausrede gegenüber dem völkerrechtlichen Prinzip — in den letzten 50 Jahren hat sich das Prinzip entwickelt —, das eine Annexion praktisch verbietet. Was wir wollen, was wir auch als eine Möglichkeit des Ausgleichs sehen — denn es geht uns sehr um den Ausgleich und um die Verständigung mit der französischen Republik —, ist, daß diese Wirtschaft, wie überhaupt alle europäische Wirtschaft, im Sinne des Schumanplans und im Sinne einer Weiterentwicklung dieser Politik in den großen zusammengefaßten europäischen Wirtschaftsraum eingegliedert werde. Nach dieser Konzeption soll es und kann es die Frage des Gewichtes der Nationalwirtschaften überhaupt gar nicht mehr geben. Wir sind der Auffassung, daß die Vereinigung Europas eine Frage von Sein oder Nichtsein für alle Zukunft ist. Wir glauben deshalb, daß nach diplomatischen Methoden gesucht werden muß, die die Saarfrage nicht zu einem blockierenden Tatbestand werden lassen.
Schließlich Verhandlungen. Was gibt es denn anderes in der Diplomatie, in der Auseinandersetzung zwischen Staaten, als den Weg der Verhandlungen zu gehen? Diese Verhandlungen haben ein großes und sehr wichtiges Ziel: daß es zur Entspannung zwischen unseren beiden Ländern kommt, daß sowohl wir als natürlich auch die französische Republik dazu beitragen und den guten Willen dazu bezeigen mögen, daß wir uns als befähigt beweisen, in Europa mit der Lösung einer solchen Frage in einer beide Teile befriedigenden Weise fertig zu werden. Deshalb ist es richtig, bereits vor einem Friedensvertrag die Lösung dieser Frage vorzunehmen, weil sie einen Beweisfall dafür bilden wird, wieweit die tatsächliche geistige, moralische und politische Entwicklung Europas gediehen ist; damit sich eine solide Basis der europäischen Vereinigung, die wir für den Frieden der Welt und für die Entwicklung der Zukunft für unerläßlich halten, als möglich erweist. Wir wollen keine Politik der Deklamation, sondern eine praktische Politik diplomatischer Auseinandersetzung, um diese Frage nicht rückwärts gewandt, sondern der Zukunft verpflichtet einer Lösung entgegenzuführen. Dazu wird es, da wir Schritt für Schritt vorzugehen haben, notwendig sein, zunächst in direkte Verhandlungen über den grundsätzlichen Tatbestand einzutreten, nämlich darüber, daß an der Saar ein normales politisches freiheitlichdemokratisches Leben möglich wird. Darum muß das Parteiengesetz vom 17. März dieses Jahres, das diesem Prinzip widerspricht, beseitigt werden. Ferner müssen Parteien entstehen können, die in ihrer politischen Meinungsäußerung vollkommen frei sind, so wie in jedem normalen demokratischen Staat.
Zu dem Antrag, den die sozialdemokratische Opposition hier eingebracht hat, habe ich einige Bemerkungen zu machen. Der Ausgangspunkt, der Geist und das Ziel dieses Antrags werden von uns geteilt und sind, soweit ich recht unterrichtet bin und die Debatten in diesem Hause seit dem Jahre 1950 in dieser Frage verfolgt habe, von uns immer geteilt worden. Ich habe aber — und ich bitte, mir das nicht zu verübeln — hinsichtlich der textlichen Formulierung einige Bedenken. Ich möchte sie nur andeuten.
In Punkt 2 wird von der „tatsächlichen Abtrennung" der Saar gesprochen. Ich halte dieses Zugeständnis, daß überhaupt eine De-facto-Abtrennung stattgefunden hat, für gefährlich. De facto ist dieses Gebiet nur von dem Gebiet der Bundesrepublik bzw. von dem Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz abgetrennt worden.
Es ist aber noch keineswegs vom Gebiet des Deutschen Reiches abgetrennt. Schon dieses De-facto-
Zugeständnis möchte ich nicht machen. Ich möchte mich hier nicht im einzelnen darüber auslassen — das wäre nicht gut —, welche weiteren Konsequenzen diese Feststellung nach meiner Ansicht hat.
Auch in Punkt 3 sehe ich eine Formulierung, die noch der Präzisierung bedarf.
Diesen Beschluß, der unserem einmütigen Willen in der Koalition und in der Opposition entspricht, halte ich für so wichtig, daß seine Formulierung von uns durchdiskutiert werden muß. Ich beantrage deshalb, die Entschließung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen, und betone ausdrücklich, daß diese Überweisung bezweckt, daß das, was dieser Antrag seinem Geiste nach zu erzielen sucht — ein Geist, den wir einmütig mit der Opposition teilen —, noch wirksamer, noch klarer und in der Formulierung von unserem gemeinsamen Willen getragen zur Geltung gebracht wird. Deshalb, nur deshalb, beantrage ich die Ausschußüberweisung.
Das Wort hat der Abgeordnete Pannenbecker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der Fraktion der Föderalistischen Union — Bayernpartei-Zentrum - habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Das Saargebiet ist unbestritten uraltes und ureigenstes deutsches Land. Das Territorium, das gegenwärtig mit dem Namen Saargebiet belegt wird, beschränkt sich nicht nur auf das Saargebiet im früheren geschichtlichen Umfang, sondern es umfaßt auch große von dem übrigen Deutschland, besonders von der bayerischen Pfalz losgerissene Gebiete.
Diese Ausweitung des Saargebiets erfolgte seinerzeit durch einseitigen und willkürlichen Akt der
Besatzungsmächte ohne Befragung der betroffenen Bevölkerung. Ein Gewaltregiment hat die Bevölkerung der demokratischen Freiheiten, Grundrechte und Einrichtungen beraubt. Unter dem Schutz der Besatzungsmacht wird an der Saar ein Regime aufrechterhalten, das am 30. Mai 1951 im Bundestag sogar der Herr Bundeskanzler, und zwar unter dem Beifall der Koalitionsparteien, als separatistisch gekennzeichnet hat.
Die New Yorker Außenministerkonferenz vom September 1951 hat klar und unzweideutig erklärt, daß die Bundesregierung die einzige berufene Repräsentantin Deutschlands sei; und dazu gehört auch das deutsche Saargebiet. In der Antwortnote der Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs auf die Saar-Note der Bundesregierung vom 30. Mai 1951 ist ohne Einschränkung versichert, daß die endgültige Regelung der Saarfrage erst im Friedensvertrag erfolgen dürfe oder, wie der französische Außenminister erklärt hat, in einem gleichartigen Vertrag.
Die Fraktion der Föderalistischen Union hält es daher für angebracht, daß unverzüglich alle auf die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Status an der Saar abzielenden Verhandlungen, auch wenn sie unter dem irreführenden Begriff der Europäisierung getarnt sind, eingestellt werden.
Es muß unter strenger Beachtung des unverbrüchlichen Grundsatzes des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung eine Lösung gefunden werden, die, wenn ich mich recht erinnere, der Herr Bundeskanzler vor einiger Zeit hier im Hause in sichere Aussicht gestellt hat. Wir hoffen, daß die französische Republik das demokratische Deutschland nicht schlechter behandelt als seinerzeit nach 1933 die Hitler-Regierung.
Meine politischen Freunde sind bereit, dem Entschließungsantrag der SPD zuzustimmen. Sollte das aber auf Schwierigkeiten stoßen, so sind sie auch bereit, dem Antrag des Herrn Kollegen von Merkatz zuzustimmen, den Antrag dem zuständigen Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Niebergall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer durch den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion endlich gezwungen werden soll, den Inhalt der Verhandlungen bekanntzugeben, die er in den Tagen vom 18. bis 20. März in Paris mit der französischen Regierung geführt hat. Einmal mehr stellen wir fest, daß Herr Adenauer seine alte Praxis fortsetzt, den Bundestag und das deutsche Volk über den Inhalt auch dieser Vereinbarungen mit Herrn Schuman im unklaren zu lassen. Das ganze deutsche Volk hat aber ein Recht darauf, zu wissen, was die Herren Adenauer und Schuman im März in Paris vereinbart haben.
Kein Deutscher kann sich mit der heutigen Erklärung des Bundeskanzlers zufriedengeben; denn diese Erklärung steht im diametralen Gegensatz zu den Tatsachen. Herr Dr. von Brentano hat am 3. April hier im Bundestag gesagt:
Wir glauben, daß nach den übereinstimmenden Erklärungen, die von den beiden Gesprächspartnern abgegeben worden sind, ja Klarheit darüber besteht, daß keinerlei Vereinbarungen getroffen worden sind.
Studieren Sie die heutige Presse! Heute wissen wir, daß trotz gegenteiliger Behauptungen des Herrn Dr. Adenauer in Paris bestimmte Vereinbarungen getroffen worden sind.
Vereinbart wurde die Bildung der Saarkommission, in der Herr Adenauer die Hoffmann-Regierung, diese separatistische landesverräterische Clique als gleichberechtigten Verhandlungspartner anerkannt hat.
Das ist die Fortsetzung dessen, was ich bereits bei der Debatte im Rahmen der Beratung des Schumanplans festgestellt habe, daß Herr Dr. Adenauer die Saar abgeschrieben hat. Das Triumphgeheul der Separatisten an der Saar über die Vereinbarung des Herrn Dr. Adenauer mit Schuman hinsichtlich der Saar zeigt die wahre Rolle des Herrn Dr. Adenauer.
Heute. besteht Herr Schuman auf der Einhaltung dieser Vereinbarung, und das von Adenauer seit den Pariser Verhandlungen dem deutschen Volk gegenüber betriebene Täuschungsmanöver ist zusammengebrochen.
Herr Abgeordneter Niebergall, „Täuschungsmanöver" ist eine Kritik, die über die sachliche Kritik hinausreicht. Ich rufe Sie zur Ordnung.
Herr Adenauer und Schuman haben in Paris die sogenannte Europäisierung des
Saargebiets vereinbart. Damit hat Herr Adenauer der Ausgliederung der deutschen Saar aus dem deutschen Staatsgefüge und der Unterstellung des Saargebiets unter die Kontrolle der Hohen Behörde des Schumanplans und der Europa-Armee zugestimmt.
Das Gerede von der sogenannten europäischen Mission des Saargebiets soll die Tatsache vertuschen, daß auf dem Rücken des deutschen und französischen Volks die Ausnützung des Rüstungspotentials an der Saar für die Kriegspläne der amerikanischen und der deutschen Imperialisten gesichert werden soll.
— Ja, „aha"; das ist nämlich des Pudels Kern! Für die Politik der amerikanischen Imperialisten ist das Saargebiet nur ein Faustpfand. Um die französischen Imperialisten an die amerikanischen Pläne zu binden, waren die USA-Imperialisten schon 1944 bereit, der Annexion des Saargebiets ihre Zustimmung zu geben. Seitdem der USA-Imperialismus den mit seiner Hilfe wieder erstarkten deutschen Imperialismus zu seinem Hauptverbündeten gemacht hat, hält er den deutschen Imperialisten die Kohle und den Stahl an der Saar als Lockmittel vor.
Entscheidend für die Beurteilung der derzeitigen Lage an der Saar ist, daß Herr Adenauer vorbehaltlos bereit ist, das Potential der Saar an Menschen und an Material für den amerikanischen Krieg einzusetzen. Diese Politik Adenauers steht im krassen Widerspruch zu den nationalen Interessen unseres Volkes und auch zu den Interessen des französischen Volkes. In Bonn, in Paris und in Saarbrücken wird die Politik nach dem Willen des USA-Imperialismus betrieben.
Dort, wo man den dritten Weltkrieg vorbereitet, drosselt man die demokratischen Rechte. Das geschieht an der Saar und das geschieht auch hier in Westdeutschland.
An der Saar wurden nicht nur Kommunisten ausgewiesen und verfolgt, sondern auch Sozialdemokraten, Katholiken und Parteilose. Alle fortschrittlichen Menschen sind dort fortgesetzt Verbotsmaßnahmen und Bespitzelungen ausgesetzt.
Und hier ist es nicht anders. Denn was bedeutet die Rede des Herrn Justizministers Dehler gegen die Gewerkschaften, gegen die Kriegsversehrten, was bedeutet das Verbot von Gewerkschaftsversammlungen, was bedeutet das Niederschlagen von Streikenden in Bocholt und das Anstrengen eines Prozesses gegen die Gewerkschaftler, was bedeutet die Aufhebung der Immunität des sozialdemokratischen Abgeordneten Markscheffel in Rheinland-Pfalz, und was bedeutet die Verweigerung von Lokalen für die roten Falken, um nur einige Beispiele zu nennen, was bedeuten die fortgesetzten antidemokratischen Maßnahmen gegen Friedenskämpfer und die Einleitung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die KPD auf Betreiben des Herrn Bundeszahntechnikers, Polizeiministers Dr. Lehr?
An der Saar soll diese antideutsche und antidemokratische Politik ihre derzeitige Krönung in den zwischen Adenauer und Schuman vereinbarten
Wahlen zum Landtag finden. Durch das kürzlich beschlossene Parteiengesetz sollen die deutschen Kräfte an der Saar politisch ausgeschaltet werden. Wie 1947 versucht die Separatistenclique, mit diesen Wahlen zum Landtag die von ihr geschaffenen völkerrechtswidrigen Zustände an der Saar zu legalisieren. Ich frage sie, Herr Mayer: wo waren Sie denn 1947, als es galt, im Saargebiet und außerhalb des Saargebiets gegen diese Zustände aufzutreten?
Damals haben Sie geschwiegen, weil das den Herren nicht erwünscht war, von denen Sie Ihre Anweisungen bekamen. Wir wenden uns mit aller Schärfe gegen den von Herrn Adenauer unternommenen Versuch, diesen Landtagswahlen an der Saar den Sinn einer Volksabstimmung für oder gegen den Anschluß zu geben. Der ganzen Welt ist bekannt, daß das Saargebiet unumstößlich ein Teil von Gesamtdeutschland ist.
Es gibt keinerlei internationales Abkommen, in dem die Abtrennung des Saargebiets vorgesehen ist. Im Potsdamer Abkommen wird das Saargebiet als zu Deutschland gehörig betrachtet. Es gibt also, Herr Bundeskanzler, ein Abkommen, auf das sich das deutsche Volk in der Saarfrage berufen kann, und die Sowjetunion war es, die mehrmals gegen die Abtrennung des Saargebiets ihre Stimme erhoben hat. Ferner war es die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die am 13. März 1951 in aller Schärfe die Meinung des deutschen Volkes hinsichtlich der Saar ausgedrückt hat.
Einzig die Kommunistische Partei an der Saar war es, die seit 1918 bis zum heutigen Tage den Kampf gegen den Separatismus, den Verrat an unserer Nation, an der Saar geführt hat. Ihr Vertreter war es, der im Landtag als einziger gegen die Verfassung mit der Präambel, die die Abtrennung des Saargebiets vorsieht, gestimmt hat.
Wir unterstreichen die Kritik des sozialdemokratischen Sprechers an den undemokratischen Zuständen an der Saar. Wir hätten es aber begrüßt, wenn man sich nicht nur von den Umtrieben des Herrn Hoffmann, des Herrn Wacker und des Herrn Kirn abgegrenzt hätte, sondern wenn man in aller Entschiedenheit zum Kampf aller patriotischen Kräfte hier und an der Saar gegen diese Zustände hier und an der Saar aufgerufen hätte. Das wäre eine befreiende Tat. Einzig und allein der Abschluß eines Friedensvertrages auf der Grundlage der Note der Sowjetunion bringt die vom deutschen Volk ersehnte Lösung: freie, geheime, allgemeine und demokratische Wahlen in ganz Deutschland einschließlich der Saar. Das ist der Wille der riesigen Mehrheit des Volkes an der Saar. Das fand seinen sichtbaren Ausdruck in dem Auftreten des neugewählten Vorsitzenden des Einheitsverbandes der Gewerkschaften, und es fand seinen Ausdruck auch in den Betrieben, in den Gewerkschaften und sonstigen Massenorganisationen und in der Erklärung der Leitung des Fußballverbandes.
Das beweisen auch die begeisterten Begrüßungsszenen um die Sportler des Saargebiets in Worms und Kaiserslautern.
Der Zustand hier und an der Saar kann von heute auf morgen geändert werden. Der Kriegskurs und der Generalvertrag können gestoppt wer-
den, wenn sich alle aufrechten deutschen Menschen und wenn sich insbesondere Sozialdemokraten und Kommunisten zum gemeinsamen Handeln zusammenschließen,
so wie es im Offenen Brief des Zentralkomitees
der SED vorgeschlagen wurde. Wir Kommunisten
haben unsere Stellungnahme, was das Saargebiet
betrifft, bereits auf unserem Parteitag 1951 klar
umrissen. Wir haben gesagt, daß ein Friedensvertrag alle Deutschen, ob an der Saar, an der Mosel,
am Rhein oder an der Spree, in einem souveränen
deutschen Staatsgebäude wiedervereinigen wird.
Damit wird das deutsche Volk von der Last der Besatzungskosten befreit. Unsere Fabriken könnten Stahl für den Aufbau unserer Städte, Schulen und Kulturstätten erzeugen. Unsere Bauern könnten frei von der Angst vor Beschlagnahme und Verwüstung ihrer Felder durch fremde Panzer in friedlicher Arbeit die Äcker zur Sicherung der Ernährung bestellen.
Deutsche Fabriken brauchten nicht mehr geschlossen zu werden, wir könnten Handel mit Ost und West treiben.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie bitten, zur Sache zu sprechen.
— Der Generalvertrag, das ist der Tod unserer Nation, die Zerstörung unserer Heimat, die Vernichtung unseres Volkes. Es gibt
nur eine Lösung auch für die Saar: das ist der Kampf um den Friedensvertrag und die Einheit unseres Vaterlandes.
Das Wort hat der Abgeordnete Neumayer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben aus berufenem Munde gehört, daß die Kommunistische Partei die Vorkämpferin für die freiheitlichen Rechte und für das Deutschtum an der Saar ist.
Wir würden uns freuen, wenn Sie auch dort, wo Sie die Herrschaft in Händen haben, nämlich in unserem ostdeutschen Vaterland, die gleichen Prinzipien walten lassen würden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Pfälzer in Ergänzung der Ausführungen meines Freundes Ernst Mayer noch einige wenige Worte sagen. Die Pfalz ist mit dem Saargebiet seit jeher wirtschaftlich auf das engste verbunden. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Pfalz und Saar sind mindestens ebenso stark wie die wirtschaftlichen Beziehungen, die- zwischen der Saar und Frankreich bestehen. Hinzu kommt, daß große Teile des pfälzischen Gebietes — ich erinnere nur an die Städte Homburg und St. Ingbert — heute zum Saargebiet gehören, daß auch Teile des Regierungsbezirks Trier heute dem Saargebiet eingegliedert sind.
Meine Damen und Herren, wie ist die Rechtslage? Nach dem Potsdamer Abkommen kann der Gebietsbestand Deutschlands nur durch einen Friedensvertrag geändert werden. Daraus ergibt sich folgendes: Erstens, das Saargebiet ist nach wie vor deutsches Land und gehört politisch zu Deutschland. Zweitens, es dürfen keine Tatbestände geschaffen werden, die einem Friedensvertrag vorgreifen, ihn also präjudizieren. Eine rechtswirksame Änderung dieses Rechtszustandes kann demnach nur auf vertraglichem Wege herbeigeführt werden, wobei der eine Vertragsteil Deutschland heißen muß. Eine Abtrennung der Saar von Deutschland, sei es in offener oder in versteckter Form, ist für uns überhaupt nicht diskutabel. Eigentlich spreche ich hiermit eine Selbstverständlichkeit aus, aber auch solche Selbstverständlichkeiten können in unseren turbulenten Zeiten nicht oft genug wiederholt werden. Man kann nicht über einen gemeinsamen Verteidigungsbeitrag verhandeln und gleichzeitig dem einen Partner ein lebenswichtiges Stück aus seinem Fleisch herausschneiden. Wenn man aber glauben sollte, der gegenwärtige faktische Zustand werde durch die Zeitdauer allmählich zur rechtlichen Anerkennung führen, so wäre dies der gleiche Irrtum, als wenn man sich zum Beispiel nach dem Jahre 1871 der Hoffnung hingegeben hätte, Frankreich könne und werde sich allmählich an die Loslösung Elsaß-Lothringens gewöhnen und sie verschmerzen. Die Geschichte hat uns eines anderen belehrt, und, meine Damen und Herren, man soll aus der Geschichte lernen, nicht ihre Fehler wiederholen. Es ist nicht Deutschland gewesen, das an der Saar solche Faits accomplis geschaffen hat.
Seitens der Opposition ist dem Herrn Bundeskanzler vorwurfsvoll erklärt worden, es müsse nun einmal mit der Politik des Nachgebens ein Ende haben. Wir haben durch den Herrn Bundeskanzler gehört, daß auch er im gegenwärtigen Zeitpunkt weitere Verhandlungen über eine Lösung der Saarfrage nicht für möglich hält und sie deshalb bis zum Friedensschluß zurückzustellen wünscht. Bedeutet dies ein Nachgeben, meine Damen und Herren, oder ist dies nicht viel mehr ein Zeichen dafür, daß man deutscherseits nicht gewillt ist, die Rechte aufzugeben, die uns zustehen?
Auch eine isolierte Europäisierung der Saar würde gleichfalls nach dem Potsdamer Abkommen einen unzulässigen Vorgriff auf eine Friedensregelung bedeuten. Auch sie stünde für uns außerhalb jeder Diskussionsmöglichkeit. Das Saargebiet hat sich im Jahre 1935 in rechtlich unwiderlegbarer Weise zu Deutschland bekannt, und zwar nicht weil, sondern obwohl Hitler damals Deutschland regierte. Eine nochmalige Abstimmung erscheint daher überflüssig und rechtlich nicht zu begründen. Wir berufen uns auf das primitivste Recht eines Volkes: Das, was deutsch ist, soll auch deutsch bleiben.
Wenn nun entgegen dem bereits ausgeübten Selbstbestimmungsrecht die Abtrennung der Saar betrieben worden ist, so ist das um so bedauerlicher, als solche Bestrebungen die Unterstützung gewisser Kreise eines Volkes gefunden haben, das sich durch seine staatenbildende Kraft am frühesten auf dem europäischen Kontinent zu einer Nation zusammengeschlossen hat, eines Volkes, das auf dem Gebiete der Rechtschöpfung und der Rechtsbildung geradezu als klassisch anzusprechen
ist und dessen revolutionärer Tat wir die Herausstellung der allgemeinen Menschenrechte verdanken.
Wir appellieren an dieses so oft gerühmte Rechtsgefühl des französischen Volkes. Man fragt sich, welche Interessen Frankreich an der Saar verfolgt. Sind es nur wirtschaftliche, oder aber sind es politische Interessen? Die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar wird man auf vertraglichem Boden regeln können. Hierin erblicken wir die Lösung des Saarproblems überhaupt. Wir unterstützen jede Politik des Kanzlers, die auf eine solche Regelung abzielt, wobei wir aber als selbstverständlich voraussetzen, daß dadurch nicht eine wirtschaftliche Eingliederung des Saargebiets in das französische Wirtschaftsgebiet erfolgt. Stehen aber politische Interessen im Vordergrund, so kann man sagen: wir kennen die Ressentiments, die Frankreich uns entgegenbringt. Aber — so muß man wohl fragen — kann die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland eine irgendwie geartete Gefahr für Frankreich bedeuten, in einem Zeitpunkt, da Deutschland sich zum Schumanplan bekannt und die gesamte deutsche Grundstoffindustrie einer supranationalen Kontrolle, auch seitens Frankreichs, unterstellt hat? Ich glaube, eine stärkere Sicherung für die Aufrechterhaltung des Friedens ist doch wohl nicht denkbar.
Glaubt man aber etwa, durch Parteienverbot oder durch das Verbot der „Deutschen Saar-
das Bekenntnis der Saar zum Mutterlande unterbinden zu können? Wir haben mit großer Befriedigung den ausgezeichnet und rechtlich unwiderlegbar begründeten Protest des Herrn Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz gegen das Verbot der „Deutschen Saarzeitung" zur Kenntnis genommen.
.)
Wir haben auch mit Befriedigung gehört, daß der Herr Hohe Kommissar von Frankreich dieses Verbot zurückgenommen hat. Aber sind solche Dinge wie dieses Verbot einer deutschen Zeitung an der Saar oder wie die neuerliche Entsendung des Herrn Grandval nach Saarbrücken oder wie die Debatte im französischen Senat oder wie die immer wieder von maßgebenden Stellen verkündete Absicht der Lostrennung der Saar geeignet, den Willen zur Integration Europas, zur Beteiligung Deutschlands an der Europaarmee in unserem Volke zu stärken?
Es läßt sich nicht verkennen, daß tiefe Bestürzung und Enttäuschung weite Kreise unserer Bevölkerung erfaßt haben. Dies gilt besonders auch für meine engere Heimat, die Pfalz, und für das ganze Land Rheinland-Pfalz, dem als Angrenzer die Verständigung mit Frankreich und die Integration Europas nicht nur politische Zielsetzung, sondern ebenso wie dem Herrn Bundeskanzler auch eine Herzenssache bedeuten.
Es wäre verhängnisvoll, wenn an Stelle dieses Willens zur Verständigung und zum Zusammenschluß, an Stelle dieser hochgespannten Hoffnungen und Erwartungen eine Depression, eine Lethargie, eine Apathie träten. Wenn in unserem Nachbarlande starke Ressentiments uns gegenüber bestehen, so konnten die jüngsten Ereignisse an der Saar wahrlich dazu führen, solche Ressentiments auch in unserem Volke zu wecken. Es gehört schon ein starker Glaube, ein starkes Vertrauen in das Recht und in den Sieg der Vernunft dazu, wenn wir uns trotz allem zu der bisher eingeschlagenen politischen Linie bekennen und uns nicht erschüttern lassen in der Überzeugung, daß sich der Geist der Verständigung und der Bereinigung bestehender Gegensätze durchsetzen wird, ein Geist, der vorwärts weist und der sich nicht durch die Schatten der Vergangenheit von dem Wege zur Schaffung eines geeinten Europas abdrängen läßt.
Wenn die Feststellung des englischen Historikers Toynbee richtig ist, daß die uns bekannten Kulturen durch eine Herausforderung entstanden sind, und wenn wir diesen Satz auch auf die Schaffung neuer geschichtlicher Tatbestände sinngemäß ausdehnen dürfen, so ist in der Bedrohung der auf Christentum und Antike beruhenden abendländischen Kultur eine solche Herausforderung zur Schaffung eines geeinten Europas zu erblicken. Wir sind bereit, diesen Weg weiterzugehen, solange er sich mit der deutschen Würde vereinbaren läßt, und unsere Hoffnung ist, daß die Geschichte nicht dereinst gezwungen sein möge, festzustellen, daß Europa scheiterte, weil man nicht vergessen konnte.
Das Wort hat der Abgeordnete von Thadden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat vorhin in seiner Rede angekündigt, daß sein Bestreben nach wie vor sei, möglichst bald eine „alle Teile befriedigende Lösung" der Saarfrage herbeizuführen. Er hat aber leider nicht einmal eine Andeutung gemacht, wie er sich denn nun diese alle befriedigende Lösung vorstellt.
Er hat aber gesagt, daß man — und das war wesentlich — in gewissen Kreisen Frankreichs an der Abtrennung des Saargebietes festhalte. Ich glaube, das ist eine Diminutivform. Es sind nicht „gewisse Kreise Frankreichs", sondern ich glaube, daß es die überwiegende Mehrheit Frankreichs ist, die den derzeitigen Zustand an der Saar aufrechterhalten möchte, die den Raub des Saargebiets anstrebt; es ist ein Frankreich, das froh ist, irgendwie noch einmal eine Gelegenheit bekommen zu haben, die Volksabstimmung von 1935 in ihrem Ergebnis durch brutale Macht rückgängig zu machen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, es gibt in der Saarfrage nur ein Entweder-Oder. Entweder erklärt Frankreich, daß es als Angehöriger der Siegermächte, als Siegermacht von uns das Saargebiet beansprucht und haben will und als Sieger vom Besiegten die Herausgabe dieses Territoriums verlangt. Ober aber, man anerkennt die Abstimmung von 1935, die als Konsequenz eines internationalen Abkommens durchgeführt wurde und das bekannte eindeutige Ergebnis hatte.
Eine Lösung, die die derzeitigen Verhältnisse an der Saar irgendwie anerkennt, ist für uns unmöglich. Der Herr Bundeskanzler sollte sich in Zukunft bei allen Verhandlungen um das Saargebiet immer wieder an die Erklärung erinnern, die er im vorigen März hier abgegeben hat. Die heutige Regierung an der Saar kann von uns nur als ein Interregnum betrachtet werden, das auf den
Spitzen französischer Bajonette 1945 dort aufgebaut worden ist
und Monsieur Hirsch nommé Grandval
kann von uns nicht einmal als ein Statthalter anerkannt werden.
— Meine Damen und Herren, ich hätte mir ja auch
eine wörtlich ausgearbeitete Rede hier mitnehmen
können, um sie abzuschnurren. So überlege ich mir
ohne Konzept jedes einzelne Wort besser vorher.
Meine Damen und Herren, ein letztes Wort noch. Wir hoffen,
daß der Herr Bundeskanzler in Paris keinerlei Anlaß zu der Auffassung gegeben hat, der Regierung Hoffmann komme auch nur 'der Schein eines Rechtstitels zu. Es handelt sich dort ausschließlich um eine Gruppe von Separatisten, die nicht einmal in Übereinstimmung mit dem Saarvolk, sondern in völligem Gegensatz zu diesem seit 1945 am laufenden Band deutsche Interessen verraten hat und hoffentlich eines Tages vom deutschen Volk dafür zur Rechenschaft gezogen werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege von Merkatz hat hier sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die sozialdemokratische Fraktion durch ihren Antrag diese Aussprache vor dem Plenum des Bundestags ausgelöst hat. Ich kann dieses Bedauern nicht teilen und verstehe es nicht. Wir haben uns heute mit einem Gebiet Deutschlands und einem Teil des deutschen Volkes beschäftigt, das unter den derzeit gegebenen Verhältnissen in seiner Heimat nicht die Möglichkeit hat, in eigener Sache frei zu sprechen. Ich glaube, es ist eine der ersten Aufgaben des Deutschen Bundestags, der hier im Namen des ganzen deutschen Volkes spricht, gerade für diesen Teil des deutschen Volkes die Sache der Freiheit und der Demokratie zu vertreten.
Die Aussprache und insbesondere die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers haben im übrigen ja wohl zur Genüge bewiesen, wie sachlich notwendig diese Aussprache war. Es mag sein, daß sie für die Mitglieder der Regierungskoalition heute besonders peinlich war.
Das bedauern wir. Aber solche Peinlichkeiten können sie sich ersparen, wenn sie eine bessere Politik treiben.
Denn, meine Damen und Herren, die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der Sache selbst ist absolut unbefriedigend.
Es gab nur noch ein unbefriedigenderes Ereignis
in dieser Diskussion; das war die Erklärung des
Sprechers der größten Fraktion des Bundestags,
daß sie auch mit dieser unbefriedigenden Erklärung des Herrn Bundeskanzlers völlig befriedigt sei.
Um was geht es hier, meine Damen und Herren? Wir haben die Aussprache nicht mutwillig vom Zaun gebrochen, sondern haben sie herbeigeführt, weil wir seit fast zwei Jahren gerade in bezug auf die Saarpolitik der Bundesregierung immer wieder erlebt haben, daß wir hier mit Versprechungen auf eine baldige, friedliche und für Deutschland akzeptable Lösung vertröstet worden sind und daß fast immer unmittelbar nach solchen Erklärungen des Herrn Budeskanzlers genau das Gegenteil eingetreten ist.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir hier vor anderthalb Jahren eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehabt haben, die Saarfrage werde bald im deutschen Sinne gelöst werden.
Wir haben eine zweite Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehabt, als wir hier über den Schumanplan beraten haben. Damals hat der Herr Bundeskanzler der Auffassung Ausdruck gegeben, daß das Inkrafttreten, daß die Annahme des Schumanplans durch die deutsche Bundesrepublik das Saarproblem sozusagen von selbst auflösen wird. Wir haben dann erlebt, daß sich der Herr Bundeskanzler mit besonderem Nachdruck und wiederholt auf den Briefwechsel zwischen ihm und dem Herrn französischen Außenminister vom 18. April 1951 berufen hat. Heute wissen wir, daß die beiden Briefschreiber in der Ausdeutung dieses Briefwechsels grundverschiedener Meinung sind.
Wir haben nach der Konferenz in London und in Paris am Ende des vorigen Jahres in der Öffentlichkeit — zwar nicht im Parlament, aber in der Öffentlichkeit — die Auffassung vertreten und von der Regierung unterstützt gesehen, daß die Besprechungen in London und Paris zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister Schuman endlich einen ernsthaften Versuch in Gang setzen, die Saarfrage einer befriedigenden Lösung näherzubringen.
Nun, meine Damen und Herren, das war vor drei Monaten! Heute hat sich der Herr Bundeskanzler zum erstenmal vor dem Parlament über diese Unterhaltungen geäußert. Sie müssen mir doch zugeben, daß die Informationen, die wir heute über das Resultat dieser Unterhaltungen bekommen haben, einfach deprimierend sind.
Bemerkenswert ist dabei außerdem, daß wir über den tatsächlichen Inhalt des Briefwechsels zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister, insbesondere auch über den Brief des Herrn Außenministers Schuman, der gestern in Bonn eingetroffen ist, nichts anderes wissen, als was uns in den dürftigen Angaben, die der Herr Bundeskanzler heute dem Parlament gemacht hat, gesagt worden ist. Ich glaube, es wäre ein Gebot der Achtung vor dem Parlament gewesen, wenn wir bei der heutigen Debatte durch die Bundesregierung den vollen Wortlaut dieses Briefwechsels zur Kenntnis bekommen hätten.
Nachdem sich jedesmal herausstellt, wenn der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister Schuman sich unterhalten und sich Briefe schreiben, daß sie 48 Stunden später völlig entgegengesetzter Meinung über den Inhalt dieser Unterhaltungen oder Briefe sind, ist es schon nützlich, daß wir wissen, was schwarz auf weiß in diesen Briefen in diesem konkreten Fall steht.
Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt. Mein Kollege Eichler hat hier in der Aussprache auf einen Tatbestand aufmerksam gemacht, den wir auch nicht so ohne weiteres untergehen lassen möchten, nämlich auf den Tatbestand, daß in der Pariser Sitzung des Ministerkomitees des Europarats das Zusatzprotokoll zu der Konvention über die Menschenrechte unterzeichnet wurde, und hat mit Recht die Frage aufgeworfen: Ist in Paris in dieser Sitzung, an der der Herr Bundeskanzler teilgenommen und in der er die Denkschrift der deutschen Bundesregierung über das Saargebiet zurückgezogen hat, das Zusatzprotokoll zur Konvention über die Menschenrechte auch von Herrn Hoffmann unterzeichnet worden, und hat der Herr Bundeskanzler wenigstens in der Weise, in der es. seinerzeit in Rom durch die Vertreter der deutschen Regierung geschehen ist, gegen diese Art von Anerkennung der Hoffmann-Regierung im Ministerrat protestiert, oder welche Schritte hat er unternommen? Wir möchten das sehr gern wissen, weil wir keinen rein theoretischen oder nutzlosen Streit darüber haben möchten, ob der Herr Bundeskanzler durch sein Verhalten in Paris, zum Beispiel beim Teetrinken mit Herrn Hoffmann, die Regierung Hoffmann de facto anerkannt hat. Wir möchten wissen, ob in diesem Falle, in dieser Institution Herr Hoffmann als vollberechtigtes Mitglied des Ministerrats unterzeichnet hat und wie sich der Vertreter der deutschen Bundesrepublik gegenüber diesem Tatbestand verhalten hat.
Wir sind noch nicht am Ende dieser Diskussion und möchten sie auf konkreten Unterlagen aufbauen. Wir möchten den Herrn Bundeskanzler bitten, uns dafür die nötigen Angaben so konkret als möglich zu machen. Denn, meine Damen und Herren, das bisherige Resultat der Saarpolitik der Bundesregierung seit 1950 ist nach den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers von heute absolut und eindeutig negativ.
Es ist ein völliges Fiasko.
Ich sage das hier, weil wir den Dingen ins Auge sehen müssen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erwiderung die Bemerkung gemacht, wir möchten doch auch zugeben, daß man Tatsachen nur sehr langsam und nur unter sehr großen Anstrengungen ändern kann. Einverstanden! Aber, meine Damen und Herren, der Effekt der Saarpolitik der Bundesregierung in den letzten anderthalb Jahren ist, daß auf der anderen Seite die französische Politik unentwegt neue Tatsachen zugunsten der französischen Position an der Saar geschaffen hat.
Die Frage ist, welche Konsequenzen wir aus der nun gegebenen Situation zu ziehen haben; und dazu möchte ich sagen, daß wir auch da von den Vorstellungen, die der Herr Bundeskanzler über seine weitere Politik in dieser Frage entwickelt hat, nicht befriedigt sind. Es ist die Frage, wie es nun nach dem Scheitern der direkten Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland mit der Denkschrift der Bundesregierung für den Ministerrat des Europarates steht. Nachdem auf einem anderen Wege eine Untersuchung der Zustände an der Saar und eine Demokratisierung der Zustände an der Saar nicht erreicht werden konnten, ist es die Pflicht der Bundesregierung, und zwar unsere Pflicht allein, an d e r Stelle die Zustände an der Saar zur Sprache zu bringen, an der wir nach dem Statut und nach den Grundsätzen des Europarates selbst die Möglichkeit haben, auf die Herbeiführung demokratischer Zustände in einem Gebiet, das ebenfalls dem Europarat angehört, zu drängen. Wir möchten nachdrücklich und sehr ernsthaft an die Regierung appellieren, diesen Schritt so bald und mit so großem Nachdruck als möglich zu unternehmen.
Das zweite: Der Herr Bundeskanzler hat in bezug auf seine weiteren Vorstellungen über die Saarpolitik lediglich in einem Punkt eine konkrete Angabe gemacht. Er hat die These vertreten, daß es an der Saar einen frei gewählten Landtag geben muß. Das ist absolut richtig; es ist eine gemeinsame Forderung, solange wir über diese Frage hier im Bundestag diskutieren. Aber, meine Damen und Herren, mit der Forderung der Bildung eines frei gewählten Landtages an der Saar und der Durchsetzung demokratischer Zustände an der Saar ist der Inhalt der deutschen Politik gegenüber dem Saargebiet in keiner Weise erschöpft. Es kommt nämlich darauf an, daß wir uns auch überlegen müssen, in welcher Form und mit welchen Mitteln und Methoden wir dahin kommen können, daß der unbestreitbare und für uns unaufgebbare Standpunkt des deutschen Volkes, daß die Saar ein Teil Deutschlands ist, trotz aller Schwierigkeiten realisiert wird. Denn wenn wir in dieser Richtung nicht mit aller Eindeutigkeit und aller Ernsthaftigkeit vorgehen, dann laufen wir Gefahr, daß die Politik der fertigen Tatsachen, die die französische Regierung seit 1945 an der Saar betreibt, schließlich einen Zustand schafft, bei dem die deutsche Position bei späteren Friedensverhandlungen ungleich schwieriger ist, als sie sein müßte.
In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Wort nötig. Wir sind davon überzeugt, daß dieses negative Resultat der Saarpolitik der Bundesregierung vermeidbar gewesen wäre, wenn die Außenpolitik der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren unter anderen Aspekten geführt worden wäre, als es tatsächlich der Fall ist.
Wir stehen hier nach den Erfahrungen mit dem Schumanplan, wo man uns angekündigt hat, durch den Abschluß des Schumanplan-Vertrages werde das Saarproblem gelöst, vor einem sehr ernsten Tatbestand. Die Annahme des Schumanplan-Vertrages in Frankreich und in Deutschland hat in keiner Weise dazu beigetragen, die Schwierigkeiten in bezug auf die Saarfrage zwischen den beiden Völkern zu lösen oder zu lockern. Im Gegenteil, wir haben gerade in den letzten Monaten eine ständig sich verstärkende Aktivität der französischen Politik an der Saar zur weiteren Untermauerung der französischen Position erlebt.
Wenn das der Preis oder einer der Preise der Politik einer Integration der Bundesrepublik in den Westen sein soll, dann stehen Sie alle vor der Frage, ob wir es vor dem deutschen Volke verant-
worten können, diese Preise von vornherein und à fonds perdu immer wieder zu -zahlen.
Sie haben heute erneut die in der letzten Zeit sehr beliebte Methode Ihrer Auseinandersetzung mit uns angewendet, nicht in der Sache zu diskutieren und Ihren Standpunkt im einzelnen zu vertreten, sondern uns zu fragen: Welche Lösung haben S i e ? Die nach unserer Auffassung vom Standpunkt des deutschen nationalen Interesses einzig mögliche Lösung liegt klar auf der Hand. Ehe die Bundesrepublik einen weiteren Schritt in der Richtung der Integration der Bundesrepublik unternimmt, insbesondere einen so entscheidenden Schritt wie z. B. die Teilnahme an dem europäischen Verteidigungsvertrag, kann sie nach den bisherigen Erfahrungen die Saarfrage nicht offenlassen.
Diese Frage muß zur Diskussion gestellt werden. Denn wenn Sie über diesem offenen Problem nun auch noch das Dach der westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft decken, nachdem schon das Dach des Schumanplans darüber gedeckt wurde, dann werden Sie erleben — und Sie haben die Erfahrungen seit der Unterzeichnung des Schumanplans bis heute —, daß das einzig sichere Resultat die unablässige weitere Schwächung der deutschen Position an der Saar ist.
Sie sagen immer wieder, daß der Abschnitt der europäischen Vertragsvereinbarungen der Abschnitt eines neuen Verhältnisses zwischen den Völkern in Westeuropa sei, nämlich die Periode der Partnerschaft. Dann wollen wir doch zunächst einmal mit dem französischen Verantwortlichen auf der Basis der Partnerschaft über diese Frage reden, ehe wir so weitgehende Verpflichtungen eingehen, die sich aus weiteren Verträgen ergeben. Hier stehen wir in der Tat nach dem bedrückenden Resultat der bisherigen Saarpolitik der Regierung, die auf Gutgläubigkeit und auf Vertröstungen aufgebaut war und die in allen Punkten gescheitert ist, vor der Notwendigkeit, in diesem Augenblick noch einmal klar und eindeutig zu erklären: die Position des Deutschen Bundestages und des deutschen Volkes in der Saarfrage kann nur die sein, daß das Saargebiet ein Teil Deutschlands und die Menschen an der Saar ein Teil des deutschen Volkes sind und daß, wenn wir Deutschland in eine höhere europäische Einheit auf der Basis der Partnerschaft integrieren, diesem neuen Verhältnis eine befriedigende Regelung dieser Frage auf der Grundlage des deutschen Standpunktes vorangehen muß. Denn wie soll nach Ihrer Vorstellung ohne die Schaffung einer solchen Vertrauensbasis eine europäische Gemeinschaft standhalten, wenn sie in eine wirkliche Bedrängnis in der Verteidigung ihrer Existenz kommt? Hier muß gehandelt werden, und zwar so, daß wir uns, und zwar alle Teile des deutschen Volkes, ohne solche Schmerzen und ohne solche Bedrückungen in die Gemeinschaft von freien Völkern einfügen können. Eine solche Entscheidung und eine solche Politik noch einmal zu dokumentieren, das ist der Sinn unseres Antrages, um dessen Annahme ich noch einmal bitten möchte.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete
Ollenhauer hat konkrete Beantwortung von an mich gestellten Fragen vermißt. Ich will ihm diese Antworten geben, soweit ich sie nicht bereits gegeben habe. Über die Unterredung, die ich mit Außenminister Schuman in London und in Paris gehabt habe, habe ich mich geäußert, indem ich erklärt habe, es sei ganz allgemein erörtert worden, welche Möglichkeiten zur Lösung des Konflikts überhaupt gegeben seien. Mehr ist nicht geschehen. Bei derselben Gelegenheit sind die Verhältnisse an der Saar zur Sprache gekommen, und es ist dann der Wunsch angenommen worden, den ich ausgesprochen habe, daß von französischen und deutschen Vertretern eine Untersuchung stattfinden solle.
Meine Damen und Herren, daß eine solche Untersuchung nicht möglich ist, ohne daß man mit Behörden an der Saar in Verbindung tritt, ist eine solche Selbstverständlichkeit,
daß darüber gar kein Wort zu verlieren ist.
Und ich möchte hier ausdrücklich betonen: als in diesem Saale die Frage der UNO-Kommission ausgiebig, und zwar in positivem Sinne, erörtert worden ist, hat niemand von der sozialdemokratischen Fraktion etwa erklärt: Aber diese UNO-Kommission würde dadurch, daß sie mit Vertretern der SED-Behörden in Verbindung tritt, diese Regierung anerkennen.
— Meine Damen und Herren, wenn man mal ein Wort sagt, das richtig, aber unangenehm ist, bekommt man den Zwischenruf „Demagogie".
Eine Fortsetzung — ich komme jetzt auf die Fragen, Herr Kollege Ollenhauer, die ich hier noch nicht erörtert habe — eine Fortsetzung der Untersuchung von Lösungsmöglichkeiten schien mir nach den Erklärungen, die kurz nach der Besprechung, die ich mit Herrn Außenminister Schuman in Paris gehabt habe, abgegeben wurden, nicht weiter möglich, und ich habe infolgedessen auch keine Verhandlungen mehr darüber geführt. Ich habe aber an Herrn Außenminister Schuman einen Brief geschrieben, ich hielte es für richtig, wenn diese Untersuchung an der Saar stattfände, und ich habe gefragt, ob die französische Regierung bereit sei, so wie ich mir das von uns aus dächte, drei Vertreter zu benennen. Darauf hat Herr Außenminister Schuman mir gestern geantwortet, die Untersuchung sei untrennbar verbunden mit einer Erörterung oder mit dem Finden einer Lösungsmöglichkeit des ganzen Konfliktes. Ich habe j a darauf auch heute hier schon die Antwort gegeben, Herr Kollege Ollenhauer, indem ich gesagt habe, daß mir nach diesen Erklärungen im französischen Senat eine Fortführung der Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland nicht möglich schien. Ich glaube, damit habe ich alles gesagt, was zu sagen ist, und völlige Klarheit darüber auch Ihnen gegeben.
— Meine Damen und Herren, wie es weitergeht,
wird gefragt. Sicher nicht mit Reden im Bundestag!
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler!
Meine Damen und Herren! Würden Sie mich einen Augenblick noch sprechen lassen!
Soweit ich dem habe folgen können, ist mir von kommunistischer Seite der Zuruf gemacht worden: Wie soll es weitergehen? — Und darauf habe ich — —
— verzeihen Sie, Herr Arndt, machen Sie sich bitte doch nicht identisch mit der kommunistischen Fraktion.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler!
Und damit — —
Jedesmal wenn — —
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler! Einwendungen gegen seine Rede können von der Tribüne aus gemacht werden.
Ich habe darauf dem kommunistischen Zwischenrufer, glaube ich, die Antwort gegeben, — –
— Meine Herren, darauf habe ich dem kommunistischen Zwischenrufer die Antwort gegeben, die ihm gebührt!
Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat dann weiter von mir eine Beantwortung der Frage, die, ich glaube, Herr Mommer schon gestellt hat - oder Herr Eichler, das weiß ich nicht mehr genau —, verlangt, wie die deutsche Bundesregierung oder wie der Vertreter der deutschen Bundesregierung, nämlich ich, mich gestellt hätte zu der Unterzeichnung des Zusatzprotokolls durch den Vertreter der Saar. Übrigens, ich vermeide den Ausdruck, den Herr Kollege Eichler gebraucht hat: Herr Ministerpräsident Hoffmann.
Ich glaube, daß den meisten — und ich kann das verstehen — Herren und Damen hier im Hause das Statut des Europarats nicht im einzelnen bekannt ist. Nach dem Statut des Europarats ist die Erörterung politischer Angelegenheit im Ministerrat ausgeschlossen. Es kann aber eine Erörterung dann stattfinden, wenn die Konvention über die Menschenrechte verletzt ist. Nun ist von seiten der Bundesregierung, als das Hauptprotokoll, die Hauptkonvention über die Menschenrechte, in Rom unterzeichnet wurde, ein ausdrücklicher Protest dagegen eingelegt worden, daß die Herren von der Saar mitunterzeichnen. Ich glaube, dieser ausdrückliche Protest hätte an sich schon genügt. Wir haben aber noch in ausdrücklicher Form schriftlich gegen jede Unterzeichnung von Konventionen durch die Herren von der Saar protestiert, und zwar sowohl am 31. Januar dieses Jahres wie auch noch einmal im April dieses Jahres.
Herr Abgeordneter Ollenhauer hat erklärt, der Mißerfolg der Bundesregierung oder des Bundeskanzlers — genauer ausgedrückt — in der Saarfrage sei eine Folge der allgemeinen Außenpolitik der Bundesregierung, und er hat damit nur die Verbindung hergestellt zu dem Vertrag über die europäische Verteidigungsgemeinschaft. Ich werde ihm heute auf diesem Wege nicht folgen. Aber das eine kann ich Ihnen sagen: ich werde mich freuen auf die Auseinandersetzung, 'die ich ja doch haben werde — das haben Sie ja angekündigt, Herr Kollege Ollenhauer —, über die Frage, ob diese Bundesregierung und die hinter ihr stehende Koalition Erfolge in der Außenpolitik gehabt haben oder nicht.
Wenn Herr Kollege Ollenhauer sagt, diese Mißerfolge in der Saarpolitik seien eine Folge der gesamten Außenpolitik, dann vermisse ich auch hier noch immer eine Erklärung des Sprechers der sozialdemokratischen Opposition, welche Außenpolitik e r denn geführt haben würde.
Ich meine, auf den Augenblick sollen wir warten, in dem von seiten des Sprechers der sozialdemokratischen Fraktion, wenn die Frage Generalvertrag und europäische Verteidigungsgemeinschaft hier zur Sprache kommt, uns erklärt wird, welche Außenpolitik seine Partei, falls sie in den vergangenen drei Jahren die Regierung geführt haben würde, eingeschlagen hätte.
Aber ich meine, wir sollten uns jetzt, bei Gelegenheit der Diskussion der Saarfrage, nicht ablenken lassen.
Eins möchte ich Ihnen auch noch sagen: die Saarfrage ist noch nicht gelöst.
— Nun, meine Damen und Herren, ich habe jetzt gedacht: noch nicht gelöst im französischen Sinne! Warten wir ab, wie die endgültige Lösung eines Tages werden wird!
Das eine möchte ich hier aber doch auch ausdrücklich feststellen.
— Sehen Sie, das war ein böser Zwischenruf, der da gemacht worden ist, meine Damen und Herren, denn unsere Reden sollen doch auch den Zweck haben, den Deutschen an der Saar die Hoffnung zu stärken, daß eines Tages doch eine zufriedenstellende Lösung herauskommt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Beratung abgeschlossen.
Vor der Abstimmung erteile ich das Wort dem Abgeordneten Freiherrn von Rechenberg zu einer persönlichen Bemerkung.
Meine Damen und Herren! Bei meinem „Zwiegespräch" vorhin mit Herrn Abgeordneten Eichler hat der Abgeordnete Mellies einen Zwischenruf gemacht, der lautete: „Es war eben" — gemeint war Mommer in Straßburg — „ein Sozialdemokrat, da gibt man alles preis!" Ich weiß nicht, mit welchem Recht Herr Abgeordneter Mellies sich erlaubt, mir zu unterstellen, daß ich nicht sachlich handle. Keiner der Herren der SPD, der je mit mir zu tun gehabt hat, wird mir vorwerfen können, daß ich jemals auch nur im geringsten irgend etwas getan hätte, was sie berechtigen könnte, zu glauben, daß das, was ich sage, vielleicht nicht richtig ist, aber nicht absolut meiner vollen und ehrlichen Überzeugung entspricht.
Im übrigen hat Herr Abgeordneter Eichler erklärt, ich hätte in Straßburg, als dem Abgeordneten Mommer vom Präsidenten Spaak das Wort entzogen worden sei, einen Zwischenruf gemacht oder dem Sinne nach gesagt: wir sind daran gar nicht interessiert, nämlich an der Saar. Herr Abgeordneter Eichler hat mich da doch gehört, und ich muß schon sagen: das ist doch immerhin ein —
– tolles Stück, ja! Denn was geschah wirklich? Wir berieten den MacKay-Plan, die neuen Satzungen, an deren Zustandekommen im Interesse einer vernünftigen Weiterentwicklung eines föderativen Europa wir größtes Interesse haben. Bei diesen Satzungsberatungen sprach der Abgeordnete Mommer zur Saarfrage. Präsident Spaak hat den Abgeordneten Mommer mehrmals gebeten, zur Sache zu sprechen, immer wieder vergeblich, und hat — ich habe mich als Deutscher nicht darüber gefreut — erstmals einem Abgeordneten und ausgerechnet
einem deutschen Abgeordneten schließlich das Wort entzogen. Er hat dabei etwa folgendes gesagt: „Ich habe jetzt eine unendliche Geduld gehabt. Ich habe Sie mehrmals ermahnt, und immer wieder kommen Sie zu dieser Geschichte" — zu der Saarfrage —, „obwohl Sie wissen, daß die Saarfrage nicht zur Debatte steht. Ich muß Ihnen daher das Wort entziehen. Wenn die deutsche Delegation beschlossen hat, die Saarfrage hier zu diskutieren, dann möge sie das auf ordnungsgemäßem Wege tun, dann möge sie hier einen Antrag einreichen." Darauf habe ich zur Freude aller anderen Abgeordneten dazwischengerufen: „Die deutsche Delegation hat einen solchen Antrag nicht beschlossen!" Und daraus macht der Abgeordnete Eichler, ich hätte gesagt, ich wäre an der Saar nicht interessiert. Das ist doch nun wirklich die Höhe!
– Da können Sie schreien! Ja, es ist unerhört, so etwas zu sagen!
Im übrigen: in welchen Widersprüchen bewegen Sie sich?! Mal bin ich der enragierteste Nationalist und dann der Internationalist, der die deutschen Belange nicht mehr kennt. Dieser lächerliche Widerspruch, —was soll ich denn eigentlich in Ihren Augen sein?
— Ich bin ein Gegner der SPD, jawohl! Ich will die Saar nicht verlieren, und wenn wir die Saar nicht verlieren wollen, dann darf man sich die Sache allerdings nicht so kindlich vorstellen — entschuldigen Sie, Herr Eichler — und sagen: ja, die französische Regierung, die hat eine klare, deutliche Linie gezeigt.
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort zu einer persönlichen Bemerkung!
Ja! Jedenfalls stelle ich vor dem Hause fest, daß die Auslegung, die Herr Abgeordneter Eichler meinen Worten gegeben hat, mit Wahrheit nichts zu tun hat.
Meine Damen und Herren, es ist mir mitgeteilt worden, daß im Hause während der Rede des Herrn Bundeskanzlers ein Zwischenruf gefallen sei: „Sie" -- also der Herr Bundeskanzler — „sind hitlerwürdig". Ich habe den Zwischenruf nicht gehört. Ich frage das Haus, ob jemand diesen Zwischenruf gemacht hat.
— Herr Abgeordneter Heiland, Sie bekennen sich zu diesem Zwischenruf?
— Ich halte diesen Zwischenruf für unparlamentarisch und rufe Sie daher zur Ordnung.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Das Wort zur Abstimmung hat Herr Abgeordneter Tillmanns.
Namens der Fraktionen der CDU/CSU, der FDP und der DP habe ich folgendes zu erklären. Diese Fraktionen sehen sich nicht in der Lage, dem Entschließungsentwurf der SPD Drucksache Nr. 3310 ihre Zustimmung zugeben.
Wir stellen daher in Abänderung dieses Entschließungsantrags folgenden Abänderungsantrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Das Saargebiet ist nach Völkerrecht deutsches Staatsgebiet.
2. Die gegenwärtigen Verhältnisse an der Saar sind ohne Rechtstitel und gegen die demokratischen Grundsätze des Selbstbestimmungsrechts herbeigeführt.
3. Über deutsches Staatsgebiet kann Rechtens nicht ohne deutsche Zustimmung verfügt werden.
4. Wir erstreben durch die Einigung Europas die Überwindung der nationalen Grenzen in gegenseitiger Achtung vor Recht und Freiheit.
Wir bitten das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren, wenn solche weittragenden Anträge gestellt werden, sollte es eigentlich eine gute Übung in diesem Hause sein, daß sie den Abgeordneten vorher schriftlich vorliegen. Es ist unmöglich, die Dinge so genau in ihrer ganzen Tragweite zu prüfen, wenn man sie nur einmal von dieser Stelle aus hört. Ich bitte deshalb, Herr Präsident, die Abstimmung über diesen Antrag auszusetzen, bis er schriftlich dem ganzen Hause vorliegt.
Ich glaube, daß dieses Verlangen gerechtfertigt ist. Wir setzen die Abstimmung über diesen Antrag aus, bis er dem Hause schriftlich vorliegt.
— Ich meine beide Anträge. Ich glaube aber, daß der eine schon verteilt ist.
Meine Damen und Herren, es wird mir eben gesagt, daß sich ein Abgeordneter zum Wort gemeldet habe, nachdem der Herr Bundeskanzler gesprochen habe. Ich habe das Haus nach der Rede des Herrn Bundeskanzlers gefragt, ob weitere Wortmeldungen vorlägen.
Es hat sich darauf niemand zum Wort gemeldet.
— Dann bitte ich um Entschuldigung, daß ich Sie übersehen habe. Ich eröffne die Aussprache wieder.
— Meine Damen und Herren, der Präsident kann sich auch einmal täuschen. Auch er kann sich einmal irren und eine Wortmeldung übersehen. Ist es so, dann ist es fair, sich zu korrigieren und das Wort zu erteilen.
— Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Renner.
Ich habe keine Veranlassung, den Herren Präsidenten zu unterstützen. Ich stelle hier fest, daß ich sofort, als der Herr Präsident die Feststellung gemacht hatte, daß sich — nach seiner Ansicht — niemand zu Wort gemeldet hat, zu ihm gegangen bin und ihn auf die Tatsache aufmerksam gemacht habe, daß aus unserer Fraktion zwei Abgeordnete durch Handaufheben und durch Zurufe ihren Willen bekundet haben, noch einmal zu sprechen!
Ich bitte, einem dieser Herren das Wort zu erteilen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fisch.
— Der Herr Bundeskanzler hat gesprochen, und damit laufen die Redezeiten wieder neu.
Meine Damen und Herren! Man muß dem Herrn Bundeskanzler dankbar sein, daß er mit solcher Offenheit heute über seine wirklichen Ziele und über seine insgeheim verfolgte Taktik Auskunft gegeben hat. Mir scheint, daß der Herr Bundeskanzler immer dann dazu gezwungen ist, die Wahrheit zu sagen, wenn er einmal ohne Konzept und ohne aufgesetzte Rede hier an diesem Pult steht.
Wir haben den Herrn Bundeskanzler gefragt, wie die Sache weitergehen soll, und darauf antwortete er diesem Hause: „Nicht durch Reden hier im Bundestag". Das sollte doch heißen, daß die Sache hinter dem Rücken des Bundestages weitergeführt werden soll,
gegen den Willen des Volkes, in Geheimverhandlungen, in Verhandlungen, die das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Ich möchte zu den tatsächlichen Feststellungen des Herrn Bundeskanzlers einige kurze Bemerkungen machen:
Erstens: Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß eine Untersuchung an der Saar nur möglich sei, wenn man sich mit den dortigen Behörden in Verbindung setze. Damit versuchte er zu rechtfertigen, daß er mit Herrn Schuman die Einsetzung einer Kommission beschlossen habe, in der die sogenannte Regierung Hoffmann an der Saar gleichberechtigtes Mitglied ist. Der Herr Bundeskanzler hat nicht abzustreiten gewagt, seine Zustimmung dazu gegeben zu haben, daß Herr Hoffmann als Chef einer Regierung dieser Kommission angehört. Er hat damit selbst unterstrichen, daß mit diesem Akt, mit diesem zweiseitig geheim abgeschlossenen Akt eine De-facto-Anerkennung der sogenannten Regierung Hoffmann an der Saar erfolgt ist.
Zweitens: Der Herr Bundeskanzler hat selbst erklärt, daß die sogenannte Untersuchung an der Saar — so, wie das der französische Außenminister vorschlägt — mit dem Versuch einer Lösung des ganzen Konflikts verbunden sein müsse. Damit gibt also der Sprecher der Bundesregierung zu, daß es sich gar nicht um die „Untersuchung" irgendwelcher Verhältnisse handelt, sondern um den Versuch, eine endgültige Lösung im Saargebiet im amerikanischen Sinne herbeizuführen. Das also ist der Sinn der Einsetzung dieser Kommission, und das ist der Sinn des Bekenntnisses zur sogenannten Europäisierung des Saargebiets.
Drittens: Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, es werde in der Art weitergehen, wie es durch den Briefwechsel mit dem französischen Außenminister dargelegt ist. Ich möchte hier eine Feststellung treffen. Der Herr Bundeskanzler hat in seinen ersten Ausführungen erklärt, die endgültige Regelung an der Saar werde durch den Friedensvertrag oder durch einen anderen gleichartigen Vertrag erfolgen. Was damit gemeint ist, hat der Vorsitzende einer der Regierungsparteien, der Herr Abgeordneter Euler, vor kurzem selbst gesagt. Es ist damit gemeint — und vom Herrn Bundeskanzler heute in diesem Sinne unterstrichen worden —, daß im kommenden Generalvertrag Abmachungen über die Regelung an der Saar im amerikanischen Sinne getroffen werden.
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß! Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich möchte sagen, daß auch diese Erklärung des Bundeskanzlers über eine Regelung an der Saar ohne Friedensvertrag, eine Regelung durch geheime Verhandlungen auf der Basis des Generalvertrags einen Beitrag mehr dazu darstellt, den Ausverkauf der Saar so durchzuführen, wie es die amerikanischen Kriegstreiber wollen. Aber dieser Versuch wird mißlingen, weil die Bevölkerung an der Saar selbst und mit ihr zusammen das ganze deutsche Volk diesem hochverräterischen Treiben ihr Nein entgegensetzen werden.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Meine Damen und Herren! Ich kann wohl davon ausgehen, daß der Antrag Drucksache Nr. 3236 durch die Regierungserklärung für erledigt angesehen wird, so daß nur noch die Abstimmung über die beiden Anträge übrigbleibt, die von der Koalition und von der Opposition gestellt worden sind. Die Abstimmung darüber wird ausgesetzt, bis beide Anträge schriftlich vorliegen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung vorläufig erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend GEMA .
Das Wort hat der Abgeordnete Muckermann.
Muckermann , Anfragender: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, Drucksache Nr. 3251, rückt ein Problem in das Rampenlicht dieses Hohen Hauses und damit der Öffentlichkeit, das in zunehmendem Maße, selbst in kleinen Dorfgemeinden unserer Bundesrepublik, Beunruhigung, j a man kann sagen, Empörung hervorruft. Viele Zuschriften an Abgeordnete dieses Hohen Hauses und persönliche Erfahrungen beweisen das. Das, was in einigen Briefen zum Ausdruck kommt, die in diesen Tagen in dieses Hohe Haus gelangt sind, trifft nicht die Bedeutung dieses Problems. Eine Drucksache, die das Präsidium der GEMA im Tagungsbüro für die einzelnen Mitglieder dieses Hauses hat auslegen lassen, wird wohl niemanden in Versuchung führen, sie als Annex zu unserer Großen Anfrage zu betrachten.
Außerdem ist folgendes Schreiben von der Vereinigung der Bühnenverleger und Bühnenvertriebe
e. V. an den Herrn Justizminister eingegangen: Der unterzeichnete Vorstand fühlt sich verpflichtet, seine schärfsten Bedenken und seine außerordentliche Besorgnis zu den Absichten und Tendenzen der Großen Anfrage der CDU-Fraktion zum Ausdruck zu bringen.
Ich halte dieses Schreiben für einen sehr kühnen Vorgriff. Wir wollen doch erst einmal abwarten, was überhaupt mit dieser Anfrage gemeint ist. Zweitens halte ich dieses Schreiben für einen sehr arroganten Vorgriff. Denn wenn eine Fraktion dieses Hohen Hauses — mag sein, welche es will — sich verpflichtet fühlt, irgendein Problem in diesem Hause anzuschneiden, läßt sie sich auch nicht durch Schreiben von irgendwelchen Verbänden daran hindern.
Im übrigen kann ich zum Inhalt dieser Schreiben nur sagen, daß niemand in diesem Hohen Hause die Absicht hat, die Interessen der Künstler, Verleger, Komponisten, Autoren und aller, die durch das Urheberrecht geschützt sind, auch nur irgendwie anzutasten. Der Sinn dieser Anfrage ist ein ganz anderer. Das Problem, das wir hier behandeln wollen, heißt: das musikalische Tantiemerecht in Deutschland und seine Auswirkungen. Zwei Parteien stehen hier einander gegenüber: die Urheber, d. h. die Autoren und Komponisten, und die weiten musikverbrauchenden Kreise der Bevölkerung. Ihr Verhältnis zueinander ist durch das sogenannte Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst vom 19. Juni 1901 geregelt. Dieses Gesetz gilt noch heute in der Fassung vom 22. Mai 1910. Der Unterschied zwischen der Fassung von 1901 und der von 1910 besteht hauptsächlich darin, daß die öffentliche Aufführung von Musikstücken grundsätzlich in jedem Falle von der Einwilligung des Urhebers abhängt und die Aufführung damit dem Urheber gegenüber gebührenpflichtig ist. Die eine Seite, die Autoren und die Komponisten, umfaßt inzwischen auch die Verleger, die Bearbeiter und die Textdichter. Sie gelten als Urheber und sollen gesetzlich geschützt werden. Auf der anderen Seite ist im Zeitalter der mechanisierten Musik der Kreis der Musikverbraucher wesentlich erweitert worden. So haben wir also auf der einen Seite die Musik liebende und dafür zahlende Bevölkerung und auf der anderen Seite die Musik spendende, die Tantieme empfangende Autorenschaft.
Daß dieses Urheberrechtsgesetz von 1901 bzw. von 1910 einer Überprüfung bedarf, steht wohl außer Frage. Es gilt aber noch und wirkt sich folgendermaßen aus. Seit 1913 ist jener Name aufgetaucht, der zur Zeit im Lande draußen wie ein Geßlerhut zu wirken scheint, nämlich GEMA, Genossenschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte. An ihre Stelle trat von 1933 bis
1945 die Stagma, die staatlich genehmigte Gesellschaft zur Verwertung musikalischer Aufführungsrechte, ein rechtsfähiger Verein kraft staatlicher Verleihung nach § 22 BGB. Vom 15. Februar 1934 bis 1945 galt die Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Vermittlung von Musikaufführungsrechten. Die Stagma erhielt das Einziehungsmonopol aus Aufführungsrechten.
Diese Tätigkeit der Stagma wurde durch die alliierte Kontrollbehörde am 24. August 1947 genehmigt. Nur der Name Stagma mußte wieder dem Namen GEMA weichen. In 23 Bezirksdirektionen wacht dieser Verein über die Musikverbraucherschaft. Es wurden schon bis 17 Millionen Mark im Jahr eingezogen. Zur Zeit betragen die Eingänge im Gebiet der Bundesrepublik etwa 10,5 Millionen DM pro Jahr. An erster Stelle steht der Rundfunk mit 4,5 Millionen DM, es folgen die gewerblichen Musikveranstalter, die Vereine, Varietés usw. mit 2 Millionen DM, dann die Phono-Industrie mit 1,5 Millionen DM, der Film mit 1,5 Millionen DM und schließlich die Veranstalter ernster Musik mit 600 000 DM. Von diesen Tantiemen erhalten die Komponisten 35 %, die Verleger 35 %, die Bearbeiter 10 % und die Textdichter 20 %. Hauptempfänger sind die Komponisten leichter Musik, vor allem die 200 bis 300 Schlagerkomponisten der Bundesrepublik mit jährlichem Einzeleinkommen bis zu 300 000 DM. Die ganze Situation ist heute so, daß man nicht nur von einem Schutz der Urheber sprechen kann, sondern bereits von einem Schutzbedürfnis der Musikverbraucher reden muß.
Von diesen Musikverbrauchern interessieren uns die 40 000 Vereine in besonderer Weise und unter ihnen wiederum besonders diejenigen, die kulturelle, volkserzieherische und jugenderzieherische Aufgaben haben. Es ist dabei die Beobachtung gemacht worden, daß das Urheberrechtsgesetz vielfach unklar ausgelegt wird. Mit aller Deutlichkeit muß darum vor allem auf den § 27 des Urheberrechtsgesetzes hingewiesen werden, der die Ausnahmebestimmungen enthält, d. h. diejenigen Fälle kennzeichnet, welche von der Tantiemepflicht ausgeschlossen sind. Dieser § 27 lautet:
Für öffentliche Aufführungen eines erschienenen Werkes der Tonkunst bedarf es der Einwilligung des Berechtigten nicht, wenn sie keinem gewerblichen Zwecke dienen und die Hörer ohne Entgelt zugelassen werden. Im übrigen sind solche Aufführungen ohne Einwilligung des Berechtigten zulässig:
1. wenn sie bei Volksfesten, mit Ausnahme der Musikfeste, stattfinden;
2. wenn der Ertrag ausschließlich für wohltätige Zwecke bestimmt ist und die Mitwirkenden keine Vergütung für ihre Tätigkeit erhalten;
3. wenn sie von Vereinen veranstaltet werden und nur die Mitglieder sowie die zu ihrem Hausstande gehörigen Personen als Hörer zugelassen werden.
Auf die bühnenmäßige Aufführung einer Oper oder eines sonstigen Werkes der Tonkunst, zu welchem ein Text gehört, finden diese Vorschriften keine Anwendung.
Im Sinne dieses § 27 muß gefordert werden, daß außer den Veranstaltungen für Kirchen und Schulen, die an sich tantiemefrei sind, erstens Veranstaltungen für die Jugend ebenfalls tantiemefrei bleiben, daß zweitens althergebrachte historische
Volksfeste wie Kirchweih- und Schützenfeste, als Volksfeste im Sinne des § 27 anzusehen und tantiemefrei sind, daß drittens Veranstaltungen kultureller und weltanschaulicher Vereine nach § 27 Abs. 1 Ziffer 3 zu behandeln sind, auch wenn Gäste und Freunde des Vereins an den Veranstaltungen teilnehmen. Ein Eintrittsgeld zur Deckung der Unkosten darf kein Hindernis sein, falls grundsätzlich kein gewerblicher Zweck verfolgt wird. Viertens: Betriebsveranstaltungen, Betriebsfeiern können in keinem Fall als Veranstaltungen gewertet werden, die einen gewerblichen Zweck verfolgen. Es steht darum durchaus nichts im Wege, daß sie ebenfalls unter den § 27 fallen. Die Legislative muß doch imstande sein, diese gerechten Forderungen baldmöglichst wirksam werden zu lassen, ohne dadurch die Interessen der Komponisten zu vernachlässigen.
Ein weiteres wesentliches Moment ist die Methode der Erfassung. Im allgemeinen bedient sich die GEMA dabei der sogenannten gemeindlichen Auskunft, d. h. die kommunalen Behörden, vor allem die Lustbarkeitssteuerbehörden usw., bei denen Veranstaltungen gemeldet werden, teilen gleichzeitig der GEMA mit, wann und wo musikverbrauchende Veranstaltungen stattfinden. Die Vereine empfinden aber diese Methode als Bespitzelung. Man muß eine neue Methode finden, die beiden Seiten gerecht wird.
Wie einzelne Vereine über dieses Problem und die Methode denken, mögen Sie aus einigen Zuschriften entnehmen. So schreibt z. B. ein großer Verband, der über 200 000 Mitglieder hat und auf kultureller Ebene in Deutschland arbeitet:
Zur Zeit machen die GEMA-Gebühren in weiten Bevölkerungskreisen viel von sich reden,
da die Gebührensätze der Gesellschaft wiederum
erhöht wurden.
Ich darf in Klammern hierbei bemerken, daß am 20. Februar 1952 in Hamburg ein Schiedsspruch ergangen ist, wodurch die GEMA-Gebühren für die Musik in Gaststätten und in Vereinen mit sofortiger Wirkung um 50 °/o erhöht werden. Die GEMA hatte das Vier- bis Sechzehnfache der Gebühren gefordert.
Die 50%ige Gebührenerhöhung auch für die Vereine ist trotz schärfsten Protests der Musikverbraucherorganisation erfolgt.
Der eben zitierte Verband fährt dann fort:
Eine grundsätzliche Änderung wäre im Interesse der gesamten Jugendarbeit und aller Jugendorganisationen dringend notwendig.
Ähnliche Schreiben liegen vor von Schützenvereinen und Schützenbruderschaften, die ebenfalls
durch diese Methoden der GEMA um ihre Existenz
gebracht werden.
Abschließend möchte ich zusammenfassend sagen, daß es notwendig ist, die Forderung, die ich eben aufgestellt habe, möglichst bald gesetzgeberisch zu verwirklichen. Ich glaube, daß alle durch dieses Problem Betroffenen auf die Antwort, die die Bundesregierung auf unsere drei Fragen erteilen wird, sehr gespannt sind.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Gesamtaussprachezeit von 60 Minuten vor. — Widerspruch wird nicht erhoben.
Ehe ich dem Herrn Minister das Wort erteile, möchte ich noch eine kurze Frage an das Haus
stellen. Ist das Haus damit einverstanden, daß wir die ausgesetzte Abstimmung über die beiden Anträge zu Punkt 1 der Tagesordnung um 17 Uhr 30 vornehmen?
Ich denke, daß Ihnen bis dahin die entsprechenden Anträge zugegangen sein werden.
— Ich würde 17 Uhr 30 vorschlagen. Mir ist gesagt worden, daß 18 Uhr für einige Damen und Herren keine bequeme Zeit sei.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann leider der Spannung, mit der der Herr Kollege Muckermann und angeblich nach seiner Meinung auch das Haus auf meine Antwort warten, nicht gerecht werden. Er hat an sich die Dinge, wenn auch von der einen Seite aus gesehen — aber man sieht ja im Leben alles subjektiv —, durchaus zutreffend dargelegt und besonders die Rechtslage, wie sie jetzt gegeben ist, geschildert. Die Bundesregierung kann daran an sich nichts ändern; denn die Entscheidung über die Ansprüche der GEMA obliegen dem Gericht, aber nicht der Bundesregierung oder einer Verwaltungsbehörde.
Ich werde gefragt, ob mir die Beschwerden über das Verhalten der GEMA bekannt sind. Ich möchte sagen, beinahe Tag für Tag laufen bei uns solche Beschwerden ein, und wer jemals an der Rechtsprechung draußen beteiligt war, weiß, wie häufig die Konflikte zwischen früher der „Stagma", jetzt der „GEMA" und irgendwelchen Musikverbrauchern die Gerichte beschäftigt haben. Wir haben nicht die Möglichkeit, in diese Rechtsbeziehungen unmittelbar einzuwirken. Die GEMA ist ein privater Verein.
Die gesetzlichen Vorschriften, die auch der Herr Abgeordnete Muckermann zutreffend wiedergegeben hat, die in der nationalsozialistischen Zeit die Möglichkeit des Eingreifens der staatlichen Stellen geschaffen hatten, sind zweifellos nicht mehr in Geltung. Wir haben also keine Chance, aktuell irgend etwas zu tun.
Wir waren aber nicht müßig; sondern wir haben die Frage, ob ein Gesetz über die Verwertungsgesellschaften auf dem Gebiete des Urheberrechts geschaffen werden soll, schon eingehend behandelt und sind zu einer Bejahung gekommen. Dieses Gesetz soll eine Staatsaufsicht über solche Verwertungsgesellschaften vorsehen. Ich habe dann bereits in meinem Ministerium im Januar dieses Jahres eine Zusammenkunft aller Beteiligten veranlaßt — besonders also auch der Vertreter der GEMA und der Vertreter der Kommunalbehörden — und habe eine Verständigung erzielt. Ich habe im Bundesanzeiger vom 15. Januar das Ergebnis dieser Zusammenkunft veröffentlicht. Vielleicht ist es das beste, ich gebe es Ihnen wieder:
Am 10. Januar 1952 fand im Bundesjustizministerium eine Besprechung über mehrere mit der GEMA .... zusammenhängende Fragen statt. An der Besprechung nahmen außer Vertretern der GEMA u. a. teil: Vertreter der Bundesministerien des Innern und für Wirtschaft, der Landesinnen- und Kultusministerien, des Deutschen Städtetags und des Deutschen Gemeindetages sowie des Polizeipräsidenten von Berlin. Es wurde der Absicht des
Bundesjustizministeriums zugestimmt, ein Gesetz über urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften in Verbindung mit der Urheberrechtsreform vorzubereiten. Die GEMA hat sich im Interesse eines vertrauensvollen Zusammenwirkens mit amtlichen Stellen für die Zeit bis zum Inkrafttreten eines solchen Gesetzes bereit erklärt, dem Bundesjustizministerium jede gewünschte Auskunft über ihre Geschäftsführung und Organisation zu erteilen und einen Vertreter des Ministeriums jeweils zu den Sitzungen ihrer Gesellschaftsorgane einzuladen. Auf Grund dessen haben die Vertreter der Spitzenverbände der Städte und Gemeinden in Aussicht genommen, die bisherige Auskunfterteilung gegenüber der GEMA gegen entsprechende Kostenerstattung beizubehalten. Verhandlungen mit dem Ziele einer endgültigen Regelung werden zwischen den kommunalen Spitzenverbänden und der GEMA demnächst aufgenommen werden. Das Bundesjustizministerium wird seine Befugnisse im engen Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium ausüben.
Ich glaube, man muß sagen, daß diese Vereinbarung der GEMA mit meinem Ministerium, mit den Kommunalbehörden und mit den interessierten Stellen durchaus fair und loyal ist. Ich habe die Möglichkeit, die Geschäftsgebarung der GEMA zu überwachen und zusammen mit dem Innenministerium dauernd Einfluß zu nehmen, also nach dem Rechten zu schauen.
Herr Kollege Muckermann hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich besonders jugendfördernde und landsmannschaftliche Vereine getroffen fühlen. Aber das kann man bei der augenblicklichen Rechtslage nicht der GEMA zur Last legen, sondern es beruht auf dem Urheberrecht, und es ist eine Frage, inwieweit wir hier eine Änderung durchzuführen haben. Damit rühre ich schon die Frage 2 der Großen Anfrage an:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung, dem Bundestag ein Gesetz zur Reform des Urheberrechts bzw. über urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften vorzulegen?
Eine Änderung des Urheberrechtsgesetzes ist von meinem Ministerium schon seit längerem vorbereitet. Wir haben eine Sachverständigenkommission gebildet, die ihre Arbeiten, wenigstens die vorbereitenden Arbeiten, im wesentlichen bereits abgeschlossen hat. Der Entwurf des neuen Urheberrechtsgesetzes wird jetzt in meinem Ministerium ausgearbeitet. Ich hoffe, ihn recht bald veröffentlichen und der Diskussion der Interessierten unterbreiten zu können.
Die vom Herrn Kollegen Muckermann angerührte Frage der Vertragshilfe, die von den kommunalen Stellen der GEMA gewährt wird, ist auch nicht ganz einfach. Sie wurde früher auf Grund eines Erlasses des Reichsministers für „Volksaufklärung und Propaganda" vom 5. Oktober 1936 gewährt. Diese Art der Vertragshilfe ist in der Praxis beibehalten worden. Die Bedenken, die dagegen geäußert werden, sind, glaube ich, nicht gerechtfertigt. Auf keinen Fall kann man behaupten, daß die Erteilung der Auskünfte durch die Vergnügungssteuerbehörden — das ist der übliche Weg — das Steuergeheimnis verletze; denn über den Ertrag der Musikveranstaltungen wird j a keine Auskunft gegeben, sondern ausschließlich über Zeit, Ort und Art dieser Veranstaltungen. Wollte man daran ernstlich Anstoß nehmen, so wäre erst die GEMA
genötigt, den Spitzelapparat aufzubauen, von dem Herr Kollege Muckermann spricht, und das wäre noch viel verhängnisvoller und würde vor allem natürlich einen nutzlosen Aufwand bedeuten, der sicherlich der Klärung der uns hier interessierenden Fragen im beiderseitigen Interesse nicht nützen würde.
Dann wird noch gefragt:
An welche internationalen Verpflichtungen ist die Regierung in bezug auf Urheberrechte gebunden?
Auf dem Gebiete des Urheberrechts bestehen mehrere internationale Abkommen und Verträge. Das wichtigste dieser Abkommen ist die am 2. Juni 1928 in Rom revidierte Berner Übereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst, der über vierzig europäische und außereuropäische Staaten angehören. Diese Übereinkunft ist am 26. Juni 1948 in Brüssel einer erneuten Revision unterzogen worden. Wir haben zwar an dieser Konferenz nicht teilgenommen, haben aber die Absicht, dieser Brüsseler Fassung der Übereinkunft nach Durchführung unserer Urheberrechtsreform beizutreten. Ein weiteres internationales Abkommen, an das wir gebunden sind, ist die Übereinkunft von Montevideo betreffend den Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 11. Januar 1889. Daneben bestehen verschiedene zweiseitige Verträge mit ausländischen Staaten über den gegenseitigen Schutz des Urheberrechts. Der wichtigste davon ist unser Übereinkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika über den gegenseitigen Schutz der Urheberrechte vom 15. Januar 1892. Die Weitergeltung dieses Übereinkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den
I) Vereinigten Staaten von Amerika ist nach dem Kriege von den Vereinigten Staaten ausdrücklich bestätigt worden.
Ich fasse also zusammen: Es wird von uns alles geschehen, um die Dinge in Oranung zu bringen. Wir werden mit möglichster Beschleunigung die Reform des Urheberrechts durchführen, und wir werden zusätzlich auch ein Gesetz über die Verwertungsgesellschaften auf dem Gebiete des Urheberrechts Ihnen vorlegen. Bis diese Gesetze in Kraft treten, haben wir auf jeden Fall eine Zwischenlösung getroffen, die nach meiner Meinung verhindern wird, daß sich die manchmal aufgetretenen Härten fortsetzen.
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Abgeordnete Ehren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage behandelt ein Problem, an dessen Lösung Millionen von Menschen in Deutschland interessiert sind. Ich gehe noch weiter und sage: Die gesamten deutschen Standes- und Kulturorganisationen und -verbände ohne Unterschied ihrer konfessionellen und politischen Einstellung verlangen vom Bundestag, daß er auf diesem Gebiete eine neue Rechtsordnung schafft. Der Herr Berichterstatter hat uns mit dem Kern des Problems bekanntgemacht. Zu der Anfrage hat eine Anzahl von Komponisten den Mitgliedern des Hauses ein Memorandum überreicht. Dort heißt es an einer Stelle:
Zwar gibt uns deutschen Komponisten das Gesetz Rechtsschutz, aber die Verwirklichung unserer Ansprüche stößt in der Öffentlichkeit bedauerlicherweise teilweise auf Schwierigkeiten.
Dazu möchte ich folgendes ausführen.
Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. Ich billige den deutschen Komponisten — und das spreche ich im Auftrage meiner Fraktion aus — ein Anrecht auf eine gerechte Vergütung ihrer künstlerischen Betätigung zu. Aber so, wie es heute praktiziert wird, geht es einfach nicht.
Nur ein Beispiel. Die Ostvertriebenen in Bottrop veranstalteten im vorigen Sommer ein Kinderfest für ihre Mitglieder. Es waren nur Mitglieder zugelassen. Eintritt wurde nicht erhoben. Die Stadtverwaltung hat angesichts des guten Zweckes die Vergnügungssteuer erlassen. Eine kleine Hauskapelle spielte zur Unterhaltung. Nach acht Tagen bekomme ich als Vorsitzender eine Rechnung von der GEMA über — ich will mich nicht ganz festlegen, glaube aber: 32 DM. Es ist sogar so, daß bei einzelnen Veranstaltungen nicht nur der Verein eine Rechnung bekommt, sondern wir haben Beweise dafür, daß die Kapelle eine Rechnung bekommt, daß der Wirt eine Rechnung bekommt, daß also drei oder mehr Parteien Rechnungen für eine einzige Veranstaltung zugesandt werden.
Meine sehr verehrten Anwesenden, so geht es einfach nicht! Das muß mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden.
Der Herr Minister hat uns einige Vorschläge gemacht. Er hat uns gesagt, daß demnächst ein Gesetz zur Herstellung oder zur Wahrung des Urheberrechtes eingebracht werden soll. Wir begrüßen das außerordentlich. Vielleicht kann ich heute schon ein paar Vorschläge für die Gestaltung oder für die Wahrung dieses Urheberrechtes machen. Der Komponist soll, wenn er ein Werk in Noten setzt, von dem Musikverlag sein Honorar erhalten, und er erhält es auch.
Jeder Musiker, der diese Noten erwirbt, zahlt dadurch einen Teil des Honorars. Es ist der gleiche Vorgang wie bei der Verlegung eines Buches. Der Verlag erwirbt das Manuskript und findet den Schriftsteller ab. Ebensowenig wie ein Autor von jedem Leser seines Buches noch Tantiemen verlangen kann,
ebensowenig kann meines Erachtens ein Komponist eine zehntausendfache Bezahlung verlangen,
wenn es sich um eine Laiendarbietung handelt, die nicht Erwerbszwecken dient. Wenn ich die Zahl der in Deutschland bestehenden Vereine hier anführe — sie wurde ja schon mit 40 000 beziffert —, dann ist die von mir genannte Zahl einer zehntausendfachen Bezahlung tatsächlich keine Übertreibung. Daß die Komponisten von Berufsmusikern, die gegen Bezahlung auftreten, von Theatern, von Konzertdirektionen besondere Tantiemen erhalten müssen, ist für uns ganz selbstverständlich und steht außer Debatte. Worauf es hier ankommt, ist, die großen Organisationen unseres Volkes, die gemeinnützigen Zwecken dienen, die unter großen Opfern Erziehungs- und Bildungsarbeit leisten, von einer unhaltbaren Fessel zu befreien.
Auch hierbei sollen die Komponisten nicht zu kurz kommen. Meinetwegen soll jeder Musiker, der auftritt, nachweisen, daß er Originalnoten er-
worben hat. Hier läßt sich ein Weg finden. Eine solche Regelung liegt meines Erachtens auch im Interesse der Komponisten. Der Zustand, daß Behörden und Verwaltungen eingespannt werden, um einer privaten Erwerbsorganisation zu ihrem Gelde zu verhelfen, ist meines Erachtens vollkommen unhaltbar.
Ich glaube, daß bei der von mir vorgeschlagenen Regelung die Komponisten besser wegkommen, als wenn sie eine eigene Organisation schaffen. Der Herr Minister meinte, dann würde eventuell diese große Spitzelorganisation erst aufkommen. Nein, ich bin anderer Auffassung über den Einsatz einer solchen Organisation, die notwendig wäre, um festzustellen, wo nun ein Kaninchenzuchtverein oder irgendein Kegelklub mal ein Lied in irgendeinem der zehntausend Dörfer gesungen hat.
Wenn diese Herren die Unterhaltung einer solchen Organisation selber bezahlen müßten, würden sie zu der Auffassung kommen, daß sie sich nicht lohnt. Ich glaube, wenn wir zu einer gesetzlichen Regelung kommen, die nicht den einzelnen Verein zwingt, in jedem Falle Honorar zu zahlen, sondern wenn das abgelöst würde, dann würden wir sowohl den Komponisten einen Dienst erweisen und darüber hinaus unsere große, blühende deutsche Vereinsorganisation von einer Fessel befreien, die für die heutigen Verhältnisse einfach nicht mehr tragbar ist.
Ich schlage vor, daß wir die Anfrage dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films überweisen und daß wir versuchen, möglichst schnell ein Gesetz zur Verwendung von Urheberrechten fertigzustellen und es dem Hause
möglichst bald zur Beschlußfassung vorzulegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Hennig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschwerden gegen die GEMA haben auch den kulturpolitischen Ausschuß und seinen Unterausschuß Kunst beschäftigt, und zwar an Hand wichtiger Petitionen, die uns vorgelegt worden sind. Ich möchte aber trotzdem etwas differenzieren und mich nicht so ohne weiteres den etwas temperamentvollen Ausführungen des Herrn Eh r en anschließen.
— Ja, Herr Kollege, Sie treffen weitgehend zu, soweit, wie der Herr Minister soeben bemerkt hat, die eine Seite in Frage kommt. Es ist gar kein Zweifel, daß es ungerecht ist, daß Vereine, die irgendwie volksbildend oder erziehend wirken, in dieser Weise belastet werden, wie es hier mit Recht kritisiert worden ist.
Aber das eigentliche Übel sitzt noch woanders. Ich darf, ohne zu wiederholen, das noch ergänzend hinzufügen. Besonders wird über die ungemeine Tarifspanne Klage geführt, deren sich die GEMA bedient. Man hört, daß für dieselbe Sache erst 360 Mark und dann 460 Mark gefordert worden sind. Man hat offenbar noch keinen Maßstab für eine gerechte Belastung gefunden. Es scheint da große Willkür zu herrschen.
Außerdem werden Beschwerden vorgebracht, daß
die GEMA zu bürokratisch aufgebaut sei. Ich kann
nicht sagen, daß ich das selber hätte prüfen können.
Aber vielleicht ist der Herr Minister mit den neuen Vereinbarungen imstande, da etwas hineinzuleuchten. Es wird z. B. behauptet, daß 31 % aller Einnahmen der GEMA für ihre eigene Verwaltung verbraucht würden, und zwar obwohl die GEMA die Amtshilfe in Anspruch nimmt, während doch die Amtshilfe eigentlich den größten Teil der Verwaltungsarbeit darstellen müßte, — nach Auffassung von uns Laien, die wir die Dinge nicht genau durchschauen. Hier wäre ein dankbares Feld der Nachprüfung für das Bundesjustizministerium gegeben.
Außerdem wird behauptet, daß in der Zentralverwaltung der GEMA allein 700 Menschen beschäftigt und sehr gut besoldet seien. Nun, wie gesagt, ich lasse dahingestellt, was daran zutreffend ist und wieweit das notwendig ist. Es ist ja mit Befriedigung von uns vernommen worden, daß der Herr Minister jetzt in der Lage ist, diese Verhältnisse kritisch aufzuklären. Meine Damen und Herren, es handelt sich noch um einen zweiten wichtigen Punkt: Die GEMA ist eine Art Monopolorganisation. Diese Monopolorganisation arbeitet wie schon gesagt, mit Amtshilfe der öffentlichen Körperschaften. Wenn sie das tut, dann hat sie auch besondere Verpflichtungen zu übernehmen. Als im Dritten Reich dieser Organisation die Monopolstellung zugestanden wurde, hat sie eine wichtige Auflage bekommen: das sogenannte ernste Drittel der Musik. Hier liegen die Dinge völlig anders als bei den Schlagerkomponisten. Wenn Herr Kollege Muckermann mit Recht gesagt hat, daß es Schlagerkomponisten gibt, die bis zu 300 000 Mark Jahreseinkommen beziehen, so ist die Lage auf dem Gebiet der ernsten Musik völlig umgekehrt. Einer der bedeutendsten Opernkomponisten Deutschlands war kürzlich hier im Hause und hat mir erzählt, für eine Aufführung seiner erfolgreichen Opern bekomme er 40 Mark,
wenn er sie dirigiert, bekommt er 1000 Mark. Das bloß mal zum Vergleich, wie man die schöpferischen Kräfte wirklich bewertet! Es wäre im Interesse der deutschen Kultur wirklich angebracht, wenn man einer Organisation, die eine solche Monopolstellung einnimmt und dazu noch Amtshilfe in Anspruch nimmt, die Auflage machte, dem ernsten Drittel der Musik wieder seine Rechte einzuräumen, damit von dorther die wirklich schöpferischen Kräfte, aus deren seelischer Substanz heraus wir leben, am Leben erhalten werden könnten, sonst könnte es passieren, daß in ein paar Jahren der letzte ernste Komponist verhungert ist.
Herr Eh r e n, ich möchte noch eine kleine Anmerkung machen zu dem Vorschlage, die Honorierung einfach den Verlegern und allen nachgeordneten Stellen zu überlassen. Das wird in der Praxis sehr schwer gehen. Soweit ich höre, sind gerade bei der ernsten Musik die Verleger genötigt, außerordentlich hohe Opfer zu bringen, um diese ernste Musik überhaupt herausbringen zu können. Ich höre von 30 000 Mark, die ein Verleger hat tatsächlich zuschießen müssen, damit ein großes musikalisches Werk der neueren Zeit erscheinen konnte. Das sind also Umstände, die das Justizministerium — ich bitte den Herrn Minister darum — sehr wohl miterwägen möge, wenn es an die Ausarbeitung des neuen Urheberrechts herangeht.
Ich hoffe auch, daß das Gesetz über die Verwertungsgesellschaften, das der Herr Justizminister in
Aussicht gestellt hat, diesem großen Urheberrechtsgesetz so weit vorausgeht, daß den Beschwerden, die gegen die GEMA vorgebracht worden sind, abgeholfen werden kann.
Zum Urheberrecht lassen Sie mich noch einige Randbemerkungen machen. Das Urheberrecht ist in seiner moralischen Bedeutung für die schöpferischen Kräfte des Geisteslebens selbstverständlich unbestritten. Das Urheberrecht, wie es heute noch gilt, hat sehr starke Schlagschatten. Z. B. ist ein Verleger verpflichtet, bei Verweigerung einer zweiten Auflage eines vergriffenen Werkes dem Dichter die Verlagsrechte zurückzugeben. Heute kann der Verleger, wenn er auch nur sechs oder sieben Exemplare in seinem Schrank zurückbehält, jederzeit nachweisen, daß das Werk noch nicht vergriffen ist und daß er es darum nicht nötig hat, die Verlagsrechte zurückzugeben. Es gibt viele markante Beispiele dieser Art, die ich mir und Ihnen erspare; sie müssen aber bei der Neubearbeitung des Urheberrechts berücksichtigt werden.
Meine Damen und Herren, ich sagte eben, es sei moralisch völlig unbestritten, daß ein Urheberrecht nötig sei und daß dieses Urheberrecht ein wirksames Mittel darstellt, den Autoren das Wenige zu sichern, was ihre Geistesarbeit einbringt. Aber die meisten von uns — und darum sage ich das von dieser Tribüne aus — ahnen gar nicht, welche wirtschaftlichen Werte hier in Frage stehen. Ich habe einmal den Versuch gemacht, feststellen zu lassen, was der eine Mann Goethe dem deutschen Volke wirtschaftlich eingebracht hat. Diese Feststellung ist natürlich unexakt. Ich habe mich daran gehalten, daß im Hochstift Goethehaus in Frankfurt 60 000 Bände sind. Wenn man annimmt, daß jedes Buch durchschnittlich mit 5000 Stück herauskommt und bei den heutigen Preisverhältnissen jeder solche Band ungefähr fünf Mark kostet, so macht das bei dem einen Goethe allein etwa 1,5 Milliarden DM aus. Das ist die wirtschaftliche Bedeutung unserer Dichter. Das bezieht sich nur auf das Schaffen Goethes. Rechnen Sie das nun einmal um auf das gesamte deutsche dichterische und musikalische Schaffen! Sie werden dann auf phantastische Zahlen kommen, die kein Mensch zu glauben geneigt ist, bis man es ihm vorrechnet.
— Sie verstehen: cum grano salis, meine Damen und Herren! Aber immerhin, wir wollen dessen eingedenk sein, daß wir die Frage der Neugestaltung des Urheberrechts nicht bloß um moralischer und geistiger Interessen willen außerordentlich ernst zu nehmen haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an die Debatte nur einige kurze Bemerkungen anknüpfen, weil sich alle, die in der Praxis des Rechts und des Kulturlebens stehen, im Laufe der Jahre sicherlich schon das eine oder andere Mal über GEMA oder STAGMA furchtbar geärgert haben.
Es handelt sich um die Verbreitung von Musik. Wir stellen das alte Busch-Wort voran: „Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden." Das Geräusch macht aber nicht der Urheber, sondern der reproduzierende Künstler. Wenn es sich um Schallplatten handelt, ist die Sache schnell erledigt: da wird das Urheberrecht durch den Fabrikanten abgegolten.
Es handelt sich also um die Reproduktion musikalischer Werke. Mein Herr Vorredner hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Oberbegriff „musikalische Werke" den denkbar weitesten Spielraum des Wertigen läßt von Beethovenschen oder Schubertschen Sinfonien bis zu den Schlagern jenes Herrn Herms Niels, der übrigens anders heißen soll. Aber das ist „musikalisches Werk", und überall daran gibt es musikalisches Urheberrecht.
Bedenken Sie nun bitte folgendes: Musikwerke werden verlegt, d. h. gedruckt. Je billiger und bösartiger der Schlager, um so leichter das Verlegen, je schwieriger und wertvoller das Werk, um so schwerer das Verlegen. Für die Reproduktion gelten aber für beide genau die gleichen Urheberschutzbestimmungen. Das halte ich für einen entscheidenden Fehler. Wir befinden bei dem Schlagerkomponisten uns nicht auf kulturellem Gebiet, sondern auf einem der niedrigsten Unterhaltungssektoren. Der Schlagerkomponist verdient schon sehr viel durch den Verkauf seiner gedruckten Schlagermelodien an Private. Der Komponist einer Sinfonie wird kaum einen Privatabnehmer finden. Ich meine daher, die Einziehung der Urhebertantieme bei Werken der Musik, die durch Reproduktion zum öffentlichen Vortrage kommen, sollte nur bei dem Künstler erfolgen, der das Musikstück reproduziert hat; denn dieser Künstler hat es j a in der Hand, einen Schlager durch sein schmissiges Spiel publik zu machen. An Wohltätigkeitsveranstaltungen dagegen, auf denen von einer kleinen Schar Musik ausübender Schüler ein Werk stümperhaft vorgetragen wird, ist der Schlagerkomponist so gut wie nicht interessiert.
Und nun ein Schlußwort. Die GEMA oder STAGMA hat sich zu einer bürokratischen Behörde schlimmster Sorte ausgewachsen.
Dieser Apparat gerade mit Kultur zusammen ist unausstehlich, ich spreche es offen aus.
Es kommt hinzu: Ein Verein, der meinetwegen für 500 Personen mit einem Festbeitrag von einer Mark ein Fest veranstaltet, ahnt gar nicht, was die Blechmusik da oben spielt; nachher erhält er eine Rechnung über 130 Mark, da ein moderner Schlager gespielt worden sei. Davon wußte der Verein bis dahin gar nichts. Das beste Abhilfemittel, das es dagegen gibt, ist folgendes: Bitte, graben Sie mal die alten schönen Revuemelodien der Jahrhundertwende wieder aus; die sind fünfzig Jahre alt, kosten nichts mehr und gehen uns alten Leuten bedeutend besser ein als das komische Jazzgezucke. Man kann sich also von Gebühren frei halten, wenn man an dem guten Alten sich den Geschmack bewahrt hat. Das ist meines Erachtens eines der besten Palliative gegen die heutige Musik, die viele von uns nicht immer schön finden.
Das Wort hat der Abgeordnete Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem, das die Große Anfrage der CDU/CSU berührt, hat draußen großes Interesse erregt, einmal bei der GEMA selbst, also denen, die betreut werden, zum anderen bei denen, die Beträge abführen müssen. Ich habe ein Schreiben von der GEMA selbst bekommen. Darin steht: Die GEMA hat 6000 Mitglieder im Bundesgebiet. Dazu
gehören die Komponisten, Textdichter und Musikverleger. Sie hat Gegenseitigkeitsverträge mit etwa 90 000 Ausländern abgeschlossen und beherrscht dadurch fast das gesamte Musikrepertoire der Welt.
Ich bin der Meinung, wir sollten nicht so lange warten, bis das Gesetz, das der Herr Minister uns ankündigt, kommt, sondern sollten die Frage, die tatsächlich wichtig ist, in den zuständigen Sachausschuß bringen. Ich möchte bitten, daß die CDU ihre Große Anfrage zu einem Antrag umändert, sonst können wir die Sache nicht im Ausschuß bearbeiten. Ich halte es nämlich für wichtig, daß das geschieht, damit wir beiden Seiten Rechnung tragen, einmal denen, die betreut werden, die fragen: Wieviel bekommen wir, was geht für die Geschäftsführung ab, wie ist es mit den internationalen Abschlüssen? Ich glaube, daß es nicht erst dann an der Zeit wäre, die Diskussion gründlich zu führen, sondern meine, daß wir im Ausschuß schon jetzt Vorarbeiten für ein Gesetz leisten können, das beiden Seiten gerecht wird.
Deshalb bitte ich die CDU, ihre Große Anfrage in einen Antrag umzuändern.
Das Wort hat der Abgeordnete Pelster.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich zu der Sache weiter nicht mehr äußern, möchte aber darauf hinweisen, daß die Art und Weise, wie man die Gebühren eintreibt, größte Verbitterung hervorgerufen hat. Für Jahre in die Vergangenheit zurückgreifend, will man auf einmal alles nacherheben, so daß das ganze Vereinsvermögen bei weitem nicht ausreicht, diese Gebührenforderung zu bezahlen. Hier muß von unserer Seite aus gefordert werden, daß schärfste Nachprüfung erfolgt. Ich möchte im Namen meiner Freunde, die den Antrag auch unterzeichnet haben, den Antrag stellen, die ganze Frage dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films zu überweisen und dort die nötigen Vorarbeiten durchzuführen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. — Meine Damen und Herren, Sie bringen mich mit diesem Antrag in Verlegenheit. Nach § 107 der Geschäftsordnung können bei Großen Anfragen Überweisungen an den Ausschuß nur erfolgen, wenn zu der Anfrage ein materieller Antrag gestellt ist; und der liegt nicht vor.
—Bitte, stellen Sie schnell einen Antrag.
Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich stelle den Antrag:
Die Bundesregierung wird beauftragt, noch in diesem Jahre einen Gesetzentwurf über urheberrechtliche Verwertungsgesellschaften vorzulegen.
Und dieser Antrag soll an den eben genannten Ausschuß und an den Urheberrechtsausschuß gehen?
— Also an den Ausschuß für Patentrecht und Urheberrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Kulturpolitik usw. als beteiligten Ausschuß. — Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wir gehen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung betreffend Verhandlungen über das Saargebiet, zurück und schreiten zur Abstimmung über die beiden vorliegenden Anträge.
— Es ist schon geklingelt.
Am weitesten geht nach meinem Dafürhalten der Antrag, den die SPD eingereicht hat.
Zur Abstimmung hat das Wort der Abgeordnete Mellies.
Namens der sozialdemokratischen Fraktion beantrage ich über die Entschließung Drucksache Nr. 3310 namentliche Abstimmung.
Es ist namentliche Abstimmung beantragt. Ich nehme an, daß der Antrag durch die ganze Fraktion unterstützt wird.
Ich bitte die Herren Schriftführer, mit den Urnen durch den Saal zu gehen.
— Zur Abstimmung?
— Wir sind bereits in der Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich bitte einen Augenblick um Ihr Gehör. Ich glaube, daß wir auch diesmal die Berliner Abgeordneten sich an der Abstimmung beteiligen lassen sollten. Da ihre Stimmen aber nicht gezählt werden können, schlage ich vor, daß die Berliner Damen und Herren ihre Stimme in einer besonderen Urne abgeben.
Haben sämtliche hier Anwesenden, die sich an der Abstimmung beteiligen wollen, ihre Stimme abgegeben? — Dann erkläre ich die Abstimmung für geschlossen. Ich bitte, die Stimmen auszuzählen.
Meine Damen und Herren, das Resultat*) der Abstimmung ist: Mit Ja haben gestimmt 142 Angehörige des Hauses, mit Nein 169; 18 haben sich enthalten. Insgesamt sind 329 Stimmen abgegeben worden. Von den Berliner Damen und Herren haben mit Ja gestimmt '7, mit Nein 5; enthalten haben sich 2, ungültig ist 1 Stimme, zusammen 15 Stimmen. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Ich komme damit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 3315.
— Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Tillmanns.
Namens der Antragsteller beantrage ich zu diesem Antrag Drucksache Nr. 3315 namentliche Abstimmung.
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Wehner.
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 8875.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion kann diesem Entschließungsantrag ihre Zustimmung nicht geben. Aus der Tatsache, daß der Punkt 5 des sozialdemokratischen Antrags, den Sie eben abgelehnt haben, in dieser Entschließung fehlt, in dem es hieß:
Der Bundestag wird keiner Regelung zustimmen, die diesen Grundsätzen widerspricht,
müssen wir sehen, daß Sie es auf eine Festlegung zur Regierungspolitik ankommen lassen wollen, deren verhängnisvolle Resultate wir gerade im Saargebiet sehen.
Der Punkt 3 Ihres Antrags läßt offen, was unter deutscher Zustimmung zu verstehen ist,
und der Punkt 4 schließt territoriale Veränderungen nicht aus. — Daß es Sie so erregt, zeigt wohl, daß es sich um keine einfache Sache für Sie handelt. — Die sozialdemokratische Fraktion lehnt deshalb Ihre Entschließung ab.
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunistische Bundestagsfraktion lehnt ebenfalls diese Entschließung der Koalitionsparteien ab.
Durch die Annahme dieser Entschließung soll dokumentiert werden, daß der Bundestag die Politik Adenauers an der Saar billigt. Diese Politik Adenauers an der Saar ist unseres Erachtens eine Preisgabe nationaler deutscher Interessen,
ist unseres Erachtens ein Verrat an den Interessen des gesamten deutschen Volkes.
Zu Punkt 3 des Antrags ist zu erklären: Nachdem der Herr Bundeskanzler heute hier ausgesprochen hat, daß er mit dem Abschluß eines Friedensvertrages oder eines gleichartigen Vertrages mit der Bundesregierung rechnet, ist damit für uns herausgestellt, daß es dem Herrn Bundeskanzler nicht darauf ankommt, den Abschluß eines Friedensvertrages mit Gesamtdeutschland herbeizuführen.
Außerdem sind wir der Auffassung, daß mit dem Punkt 4 die Europäisierung der Saar gebilligt werden soll. In dieser Europäisierung der Saar können wir nichts anderes erblicken als eine Herauslösung der deutschen Saar aus dem deutschen Staatsgefüge und als einen Verrat am Volk an der Saar.
Das Wort zur Abstimmung hat der Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich sehe mich veranlaßt, der
Auslegung, die der Herr Kollege Wehner unserem Entschließungsantrag gegeben hat, der als ein Änderungsantrag gedacht war, ausdrücklich zu widersprechen.
Die Prinzipien, die in beiden Anträgen zutage getreten sind,
werden von uns dem Sinne nach' voll geteilt und in unserem Antrag aufrechterhalten. Es ist mir lediglich nach der Auslegung, die der Herr Kollege Wehner unserem Antrag gegeben hat, ein sachlicher Unterschied aufgefallen, ein Unterschied in der Methode, wie man um diese nationalen Interessen praktisch ringen sollte. Das ist die sachliche Seite, und ich möchte mit aller Deutlichkeit die Unterstellungen, damit eine Politik der Verzichte zu befürworten, zurückweisen, die der Herr Sprecher der sozialdemokratischen Opposition unserer Formulierung gegeben hat.
Weitere Wortmeldungen zur Abstimmung liegen nicht vor. Die Abstimmung beginnt. Ich bitte die Herren Schriftführer, mit den Urnen durch den Saal zu gehen und die Stimmen einzusammeln. Ich bitte, daß die Berliner Damen und Herren auch diesmal wieder ihre Stimmen in die Berliner Urne legen.
Haben alle Mitglieder des Hauses ihre Stimme abgegeben? — Das scheint der Fall zu sein. Dann ist die Stimmabgabe geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Das Abstimungsergebnis*) ist folgendes: mit Ja haben gestimmt 191, mit Nein 135, enthalten 8. Es sind also insgesamt 334 Stimmen abgegeben worden. Damit ist der Antrag angenommen.
Von den Berliner Abgeordneten sind abgegeben: Ja-Stimmen 9, Nein-Stimmen 7.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes .
Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes will nicht eine grundsätzliche Reform unseres an sich bewährten Jugendgerichtsgesetzes bringen, sondern stellt sich lediglich das Ziel einer vorläufigen Anpassung des Jugendstrafrechts an die veränderten Verhältnisse unserer Zeit. Es gilt zunächst — —
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 8875.
Meine Damen und Herren, ich bitte, wieder Platz zu nehmen.
Es gilt zunächst, die Schlacken der nationalsozialisitischen Gedankengänge zu beseitigen – Dinge, die nicht ohne Bedeutung sind —, so, wenn wir es ablehnen, Kinder, Jugendliche unter 14 Jahren, vor den Strafrichter stellen zu lassen, oder wenn wir eine typisch nationalsozialistische Vorstellung, die des „jugendlichen Schwerverbrechers", beseitigen, die es gestattete, unter Gesichtspunkten typisch nationalsozialistischer Betrachtung Jugendliche unter das Erwachsenenstrafrecht zu stellen.
Wenn ich Ihnen den Hauptpunkt unseres Entwurfs vor Augen stelle, so möchte ich sagen: wir verfolgen vor allem den Zweck, den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht stärker herauszustellen. Hier ist vor allem eines bedeutsam: daß wir ein Mindestmaß, und zwar ein hohes Mindestmaß der Strafe festlegen. Wir schlagen vor, daß eine Jugendstrafe sechs Monate betragen muß, d. h. also, daß Straftaten, die diese Strafe nicht verdienen, nicht kriminell geahndet werden. Dieser Vorschlag gründet sich auf die Erfahrung, daß kurzfristige Freiheitsstrafen regelmäßig erzieherisch völlig wertlos, ja sogar meistens für den Jugendlichen schädlich sind. Mit den Grundsätzen der Reformbewegung in dieser Richtung halten wir es für richtig, im Bereich des Jugendstrafrechts mit den kurzfristigen Strafen Schluß zu machen und an ihre Stelle andere, erzieherisch wertvollere Maßnahmen zu setzen. Wir sind uns dabei durchaus bewußt, daß wir dadurch an den Jugendrichter sehr hohe Anforderungen stellen, die er wohl nur erfüllen kann, wenn er sich über den Sinn der jugendstrafrechtlichen Maßnahmen volle Klarheit verschafft und wenn er hohe persönliche Qualitätsforderungen erfüllt.
Wir wollen ihm nun auch besondere Instrumente an die Hand` geben, mit denen er diesen erzieherischen Aufgaben gerecht werden kann. Wir geben ihm ein umfassendes System der Bewährungshilfe, das sich besonders die günstigen Erfahrungen des Auslands in der Form der sogenannten probation zunutze macht. Die wesentlichen Rechtseinrichtungen, die wir ihm bieten wollen, sind die gerichtliche Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung und die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe, um in Freiheit nachhaltig auf einen straffällig gewordenen Jugendlichen einwirken zu können. Es ist eine Erfahrung, die gerade auch in den skandinavischen Staaten gemacht worden ist, daß die erzieherische Einwirkung auf Jugendliche in der Freiheit zu viel besseren Ergebnissen führt als ein Strafvollzug in einer geschlossenen Anstalt. Es wurden in vielen Staaten ganz überzeugende Ergebnisse erzielt, besonders in der Form einer Minderung der Gesamtkriminalität, aber auch in einer Senkung der Vollzugskosten. Um den Anschluß an diese fortschrittliche Rechtsentwicklung des Auslandes zu gewinnen, wollen wir den hauptamtlichen Bewährungshelfer schaffen, der unter Verantwortlichkeit gegenüber dem Richter die Aufgabe hat, den vorerst von einer Strafe verschonten Jugendlichen während einer Bewährungszeit in Freiheit zu überwachen und ihm helfend zur Seite zu stehen. Das ist der eine Teil der Reform, die wir Ihnen vorschlagen.
Daneben ist das Bedeutsame die besondere strafrechtliche Behandlung der 18- bis 21-jährigen, der, wie wir sie nennen. Heranwachsenden. Ich will mich auf die Umschreibung des Vorschlags beschränken, den unser Entwurf macht. Grundsätzlich soll der 18- bis 21-jährige dem Erwachsenenstrafrecht unterliegen. Nur unter besonderen Voraussetzungen — wenn er in seiner geistigen und sittlichen Entwicklung zurückgeblieben ist, wenn er also insoweit noch einem Jugendlichen gleichsteht, oder wenn seine Tat eine typische Jugendverfehlung ist — soll er einem Jugendlichen gleichgeachtet und ebenso wie dieser behandelt werden.
Eine weitere bedeutsame Änderung ist die Neuordnung der Jugendgerichtsverfassung, die ich Ihnen vorschlage, besonders die Beiziehung von Laien, die im Jugendgerichtsverfahren in besonderem Maße erforderlich sind.
Ich darf mich auf diese Andeutungen beschränken. Die Tendenz des Entwurfs — wenn ich sie in einen Satz fasse — ist der Dienst an unserer Jugend, an unserer Jugend, die in eine schwere Zeit hineingestellt worden ist. Wenn sie fehlt und wenn sie irrt, wollen wir ihr helfen, bevor wir sie richten.
Wir beginnen nunmehr mit der Aussprache im Rahmen der Redezeit von insgesamt 60 Minuten. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Änderung des Jugendgerichtsgesetzes von 1943 war unbedingt notwendig, einmal weil in diesem Gesetz noch ganz stark nationalsozialistisches Gedankengut verankert war, aber auch weil dieses Gesetz den psychologischen und pädagogischen Erkenntnissen unserer Zeit nicht mehr Rechnung trug und auch die Lebensverhältnisse, in denen unsere Jugendlichen herangewachsen sind, viel zu wenig berücksichtigte. Es ist allerdings außerordentlich bedauerlich, daß unsere Regierung uns in erster Linie eigentlich immer nur Gesetze mit Verbotstafeln und mit Strafbestimmungen vorlegt, statt dafür zu sorgen, daß unsere Jugend die normalen Umweltbedingungen und bessere Startmöglichkeiten fürs Leben bekommt.
Seit mehr als zwei Jahren ist im Bundestag von der Sozialdemokratischen Partei die Frage des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes angeschnitten worden; aber bis heute liegt uns noch kein Entwurf des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vor.
Mit Strafen und Verboten werden wir keine besseren Lebensverhältnisse für unsere Jugend schaffen und werden wir keine Hilfsstellungen leisten. Was wir der Jugend zugute kommen lassen müssen, ist eine Erziehungshilfe und sind Schutzmaßnahmen. Aber sind es denn Schutzmaßnahmen, wenn z. B. der Bundestag in seiner Mehrheit den Kündigungsschutz für die Jugendlichen ablehnt? Sind es Schutzmaßnahmen, wenn im Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit verboten wird, daß die Jugend sich herumtreibt, daß sie Gasthäuser besuchen darf, wenn nicht gleichzeitig dafür gesorgt wird, daß die jungen Menschen ausreichend Wohnraum zur Verfügung haben, daß sie Jugendheime haben, in denen sie sich aufhalten können, daß Bibliotheken und Erholungsstätten für sie geschaffen werden? Was nützt es, wenn wir z. B. ein Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit schaffen, das wohl gute Ansatzmöglichkeiten hat, wenn aber in der Praxis überhaupt
keine Voraussetzungen geschaffen werden, daß dieses Gesetz auch zu einer sinnvollen Auswirkung kommen kann? Kaum etwas Positives ist bisher für die Jugend in dieser Richtung geschaffen worden.
Nun werden Sie sagen: wir haben ja den Bundesjugendplan. Gewiß, dieser Bundesjugendplan ist im Bundestag feierlich verkündet worden; aber er hat kaum wesentlich zur Behebung der Jugendnot beigetragen. Wir stellen in der Praxis fest, daß die Jugendämter in der Einzelfürsorge sehr knauserig sind und daß auf der anderen Seite gerade in den letzten Wochen das Soforthilfeamt den Beschluß gefaßt hat, keine Lehrlingsbeihilfen mehr zu gewähren. Durch die starke Aufsplitterung im Bundesjugendplan konnten die einzelnen Aufgaben, deren Erfüllung zur Behebung der Not der berufs- und der arbeits- und der heimatlosen Jugend geplant war, auch nicht nur annähernd befriedigt werden.
Für die Jugend in unserer Bundesrepublik ist viel zuwenig getan worden, um die körperlichen und geistig-seelischen Schäden zu beheben und ihr einen guten Start ins Leben zu geben.
Nicht nur von der sozialpolitischen und von der fürsorgerischen Seite her ist zu wenig getan worden, sondern mancherorts ist von der schulpolitischen Seite her geradezu verantwortungslos gehandelt worden.
Der Landtag in meiner Heimat Südbaden hat auf Vorschlag der CDU-Regierung in den letzten Wochen ein Gesetz verabschiedet, nach dem die Volksschüler nach 71/2 Schuljahren aus der Volksschule entlassen werden.
Wir haben die Tatsache zu verzeichnen, daß dreizehnjährige Kinder aus der Schule entlassen werden und ins Erwerbsleben eintreten sollen. Diese Jugendlichen können keine Berufsausbildung antreten. Sie werden in den Fabriken nicht aufgenommen, weil die Arbeitgeber sich weigern, Kinder unter vierzehn Jahren einzustellen. Wir müssen gewissermaßen auf Grund dieses Schulgesetzes das Jugendschutzgesetz umgehen.
Wenn man bedenkt, daß diese Kinder teilweise nicht einmal eine geschlossene sechsjährige Schulausbildung haben, dann weiß man, welch ungeheurer Schaden dieser Jugend zugefügt worden ist.
Wenn die Schulärzte uns die Beweise erbringen, daß von den in diesem Jahr zur Schulentlassung gekommenen badischen Jugendlichen nur 29,6 0/0 voll berufsgeeignet sind, und wenn Kinder darunter sind, die ein Körpergewicht von 24 kg haben, dann weiß man nicht, ob die Regierung und die Abgeordneten, die dieses Gesetz beschlossen haben, die Verantwortung dafür tragen können, was in Südbaden geschehen ist.
Meines Erachtens sind diese Kinder auf ein Leben lang durch dieses Verhalten geschädigt worden.
Es ist eine soziale Verpflichtung eines jeden Menschen und im besonderen der politisch Verantwortlichen, die Lebenskraft des einzelnen Jugendlichen und der Jugend in der Gesamtheit zu schützen und sie zur besten Leistungsfähigkeit zu steigern. Auch die gesunde Jugend muß, wenn sie
einen vollen Lebensanspruch geltend machen will,
vor schweren Schäden behütet werden, die darin
bestehen können, daß sie zu früh einer allzu starken körperlichen und seelisch-geistigen Belastung
ausgesetzt wird. Die Jugend braucht, wenn sie
gesund und kräftig heranwachsen soll, einen Lebensraum, in dem sie vor Not, Gefahr und Überbeanspruchung gesichert ist. Diesen Raum zu
schaffen, ist unsere Aufgabe der Jugend gegenüber, die durch den Krieg und die Nachkriegszeit
in besonderem Maße geschädigt worden ist. Nur
wenn sie eine gute Entwicklungsmöglichkeit bekommt, wird sie eines Tages keine Hilfe mehr
brauchen, sondern dann wird sie als tragendes
Glied der Gemeinschaft und dem Staate ihre
eigene Lebenskraft zur Verfügung stellen können.
Wir alle, die wir im öffentlichen Leben stehen, sind an den sozialpädagogischen Auftrag unserer Jugend gegenüber gebunden, und ich glaube, daß dieser sozialpädagogische Auftrag schon 1923 im Reichsjugendwohlfahrtsgesetz fixiert worden ist; denn dort heißt es:
Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblich-seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit.
Wir können uns nicht deutlich genug die Frage vorlegen, ob wir dieser Verpflichtung nachgekommen sind.
Wir haben für die deutsche Jugend zu wenig getan. Vielerorts ist sogar ein völliges Versagen festzustellen. Es ist eine Verkennung der sozialpädagogischen Aufgabe der Jugend gegenüber, wenn z. B. vor einigen Wochen im Bundesrat der § 4 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes als Pflichtaufgabe abgelehnt worden ist.
Ich hoffe, daß der Bundestag, wenn wir zu diesem Gesetz Stellung nehmen, eine verständnisvollere Haltung der Jugend gegenüber zeigen wird.
In diesem Hause ist schon sehr oft von der Jugendnot gesprochen worden; aber ich glaube, es ist gerade im Zusammenhang mit dieser Gesetzesvorlage notwendig, daß einige Zahlen und einige Tatsachen erwähnt werden, die sehr wesentlich an der Jugendkriminalität schuld sind. Wir haben 51/2 Millionen Kinder, die 1945 die Heimat verloren haben. Wir haben im Bundesgebiet etwa 250 000 Vollwaisen. Wir haben etwa 1 250 000 Kinder, die den Vater verloren haben. Fast die Hälfte unserer Kinder lebt in unvollständigen Familien. Über die Zahl der arbeits- und berufslosen Jugendlichen ist hier schon sehr viel gesprochen worden, insbesondere auch über die Gefahren, denen die Jugendlichen ausgesetzt sind, die illegal aus der Ostzone kommen und völlig wurzellos hier in unserem Gebiet herumlaufen. Wenn Sie — immer im Hinblick auf das Gesetz, das uns vorliegt — bedenken, daß zahllose Jugendliche noch in Baracken und Flüchtlingslagern leben, und wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß wir im Bundesgebiet etwa drei Millionen Wohnungen zuwenig haben, dann brauchen wir uns nicht zu fragen, woher die gesteigerte Jugendkriminalität in den letzten Jahren gekommen ist. Ich brauche nicht zu betonen, welche menschliche und wirtschaftliche Not hinter den eben von mir vorgebrachten Tatsachen steckt. Es kommt noch dazu, daß die Jugend in den vergangenen Jahren keineswegs ein festgefügtes Werturteil
gehabt hat, daß sie in keinen festgefahrenen Geleisen ihren Lebensweg hat antreten können, sondern wir haben durch das Hereinströmen neuer Gedanken und neuer Sitten eine ganz starke Veränderung unserer gesellschaftlichen Struktur. In allen diesen unsicheren, leidvollen Verhältnissen wuchs unsere Jugend in den letzten Jahren heran, und wir als Erwachsene verlangen von ihr, daß sie ein normales Leben führen, daß sie die Gesetze achten soll. Statt dieser Jugend Wachstumsmöglichkeiten zu bieten, beschäftigen wir uns nun mit der Frage, wie wir diese doch zum großen Teil schuldlos schuldig gewordenen Jugendlichen strafen sollen.
Ich möchte noch einmal herausstellen, weshalb diese Jugendlichen in der überwiegenden Zahl kriminell geworden sind: einmal weil ihnen ein sittliches Wertungsvermögen fehlt, zum andern weil das Elternhaus versagt hat, weil die Gemeinschaft, weil der Staat versagt hat, aber auch weil infolge unserer Arbeitsweise die jungen Menschen keine innere Beziehung zur Arbeit gefunden haben. Gewiß, es wird auch in normalen Zeiten Gesetzesübertretungen geben; aber der größte Teil der Straftaten von Jugendlichen in den letzten Jahren ist auf die äußerst ungünstigen Umweltbedingungen zurückzuführen. Bei allen Verhandlungen, die vor Jugendrichtern geführt worden sind, hat sich immer wieder herausgestellt, daß diesen Gestrandeten die Liebe, das Verstandenwerden und die Geborgenheit gefehlt haben.
Da dies eine allgemeine Erkenntnis ist, müssen wir ihr in dem vorliegenden Entwurf Rechnung tragen. Wir haben als Erwachsene nicht das Recht, zu strafen, wenn wir nicht zuerst alle Möglichkeiten zur Erziehung ausgeschöpft haben.
Deshalb muß im Vordergrund des vorliegenden Gesetzes der Wille zur Erziehung stehen. Da weder das Jugendstrafrecht von 1923 noch das von 1943 den heutigen Anforderungen entspricht, ist diese Novelle erforderlich; denn die gesamte Reform wird ja noch geraume Zeit auf sich warten lassen.
Wir begrüßen es, daß in diesem Entwurf einige gute, fortschrittliche Ansätze enthalten sind, die uns allerdings nicht voll befriedigen, die aber gute Möglichkeiten für die Ausschußarbeit bieten.
Als wesentliche Neuregelungen sieht das Gesetz, wie auch der Herr Bundesjustizminister vorhin schon erwähnt hat, folgendes vor: einmal die Reinigung des Gesetzes von nationalsozialistischem Gedankengut, dann die Einbeziehung der Achtzehn- bis Einundzwanzigjährigen unter bestimmten Voraussetzungen, ferner die Neuordnung der Gerichtsverfassung unter Heranziehung des Laienelements, und schließlich — das ist ein ganz wesentlicher Teil des 'Gesetzes — werden die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung und die Aussetzung der Verhängung der Jugendstrafe eingeführt. Das Gesetz von 1943 ließ z. B. noch die Bestrafung der Zwölf- bis Vierzehnjährigen zu. Glücklicherweise sieht die Novelle diese Bestimmung nicht vor; denn es widerspricht doch einfach unserer Auffassung, daß man schulpflichtige Kinder vor einen Jugendrichter stellt. Wir begrüßen es sehr, daß die Achtzehn- bis Einundzwanzigjährigen in dieses Gesetz einbezogen werden können. Dem § 20 werden wir bei der Beratung ganz besondere Bedeutung beimessen.
Auch die Frage der Erhöhung der Mindeststrafe von drei Monaten auf sechs Monate wird eine entscheidende Debatte im Ausschuß auslösen. Auch hier muß der Gedanke der Erziehung bei allen Diskussionen im Vordergrund stehen.
Im Zusammenhang mit dem § 3 wird die Verantwortlichkeit des Jugendlichen behandelt. Es müssen Sicherungen eingebaut werden, daß der Jugendliche nur von qualifizierten Persönlichkeiten, die soziales Verständnis haben, beurteilt wird. Für die straffällig gewordenen Jugendlichen sieht das Gesetz Erziehungsmaßnahmen, Zuchtmittel — ein scheußliches Wort, das wir unbedingt ändern müssen —
und eine Jugendstrafe vor. Das sind alles bisher
schon bekannte Mittel der Jugendgerichtsbarkeit.
Neu hinzugekommen — und das ist eben ganz wesentlich — ist die Aussetzung der Jugendstrafe zur Bewährung. Diese Bewährung hat in anderen Ländern, z. B. in England, außerordentliche Erziehungserfolge erzielt, und ich glaube, daß dem auch hei uns sehr große Bedeutung beigemessen werden muß. Gerade in dieser Art der Erziehungsmaßnahmen sind gute pädagogische Ansatzpunkte geschaffen. Die Bewährungshilfe kann den Strafvollzug überflüssig machen und den Strafmakel ersparen, — ein wesentlicher Fortschritt gegenüber dem, was wir bisher in unserer Jugendgerichtsbarkeit kennen.
Die Gesetzesvorlage sieht in dem Zusammenhang vor, daß dem Jugendrichter ein Bewährungshelfer beigegeben wird, der nach einem Erziehungsplan, welcher vom Jugendrichter aufgestellt worden ist, dem Jugendlichen unmittelbare Erziehungshilfe leistet. Ob der Jugendhelfer der Justizbehörde oder dem Jugendamt angehören wird, ist in der Gesetzesvorlage offengelassen. Wir müssen auch hier im Ausschuß die beste Lösung im Interesse des Jugendlichen suchen und vermeiden, daß eine Zersplitterung der sozialpädagogischen Arbeit eintritt. Zwischen dem Jugendrichter und dem Jugendamt muß, wenn dem Jugendlichen wirklich geholfen werden soll, ein gutes Einvernehmen bestehen. Wir können in der Erziehungsarbeit keine Zersplitterung gebrauchen. Auch die Bewährungshilfe muß mehr sein als nur eine Überwachung des Jugendlichen durch den Bewährungshelfer.
In diesem Zusammenhang kann nicht stark genug betont werden, daß wir das lebendige Jugendamt brauchen, von dem auf der Tagung des Städtetages in Köln 1950 sehr eingehend gesprochen worden ist.
Die Frage des Jugendarrestes ist in den Fachkreisen umstritten und problematisch. Die Wirksamkeit dieser Strafe hängt sehr mit der Durchführung zusammen. Wir werden im Ausschuß genau prüfen, inwieweit gerade dies& Maßnahme im Interesse der Jugendlichen liegt und als Erziehungsmittel in Frage kommt.
Wir begrüßen die Einführung des Jugendschöffengerichts, vor allem auch, daß im Gesetz festgelegt wird, daß Männer und Frauen, die erzieherisch befähigt und in der Jugendarbeit erfahren sind, durch den Jugendwohlfahrtsausschuß vorgeschlagen werden sollen. So wie in diesem Falle, sollten wir auch die Zusammenarbeit zwischen Jugendgericht und Jugendamt an anderen Stellen verankern. Wir meinen, daß zum Beispiel die Jugendkammern nur Beschwerdeinstanzen sein sollten, damit der wirklich gute Jugendrichter an der Front bleibt. Aber ihm müssen dann eben Aufstiegsmöglichkeiten geschaffen werden, die er bis-
her nicht hat. Dieses Gesetz mit den Bewährungsmöglichkeiten für den Jugendlichen wird nur dann eine Erziehungshilfe sein, wenn wir den sozialen Jugendrichter bekommen, der mit viel Verständnis und einer guten Spezialausbildung an diese Arbeit geht. Der § 24 nimmt hierauf Bezug. Wir müssen im Ausschuß festlegen, daß die Ausbildung der Jugendrichter aufs beste durchgeführt wird, und müssen auch Stellen verantwortlich machen, die sich dieser Arbeit tatsächlich unterziehen.
Die Verbindung der Tätigkeit des Vormundschafts- und Jugendrichters muß festgelegt werden, denn nur so kann ein sinnvoller Erziehungsplan entworfen und durchgeführt werden.
Auch der Frage des Jugendstrafvollzugs muß bei der Bearbeitung dieses Gesetzes unsere besondere Aufmerksamkeit gelten, denn auf diesem Gebiet liegt noch sehr vieles im argen. Gedanken der Erziehung müssen im Vordergrund stehen und niemals die Gedanken der Vergeltung.
Wenn dieses Gesetz wirklich eine Hilfe für die gestrauchelte Jugend werden soll, dann dürfen wir uns nicht an die Einwände der Finanzminister halten. Den Jugendgerichten und den Jugendwohlfahrtsbehörden muß die Möglichkeit gegeben werden, dieses Gesetz mit den besten Voraussetzungen durchzuführen. Nicht eindringlich genug kann hervorgehoben werden, daß der Bund, die Länder und die Gemeinden neben dem Elternhaus unserer Jugend bessere Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten schaffen müssen, damit die Jugend mit dem vorliegenden Gesetz nicht in Berührung kommt. Wir, die wir im Ausschuß an diese Arbeit herangehen, werden — das darf ich für meine Fraktion sagen, und ich hoffe, daß das auch bei den anderen Fraktionen der Fall sein wird — mit großem Ernst und aller Verantwortung alles tun, damit dieses Gesetz wirklich eine Hilfe für die gestrauchelte Jugend wird.
Ich bitte deshalb, diese Gesetzesvorlage federführend dem Rechtsausschuß und dem Jugendfürsorge-Ausschuß zu überweisen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Es tut mir leid, daß ich meine Rede mit einem Bedauern anfangen muß, dem Bedauern darüber, daß Frau Kollegin Schanzenbach bei unserer ach so kurz bemessenen oder, besser gesagt, so ausgefüllten Zeit hier im Plenum die Zeit am Anfang ihrer Rede mit Angriffen gegen andere Gesetze ausgefüllt hat, die zum Teil bereits erlassen, zum Teil noch in der Beratung sind
und die mit dem zur Diskussion stehenden Jugendgerichtsgesetz gar nichts zu tun haben.
— Ich fühle mich aber trotzdem veranlaßt, ein paar Worte dazu zu sagen, Herr Kollege Mellies, weil nämlich der Eindruck erweckt werden könnte, daß von seiten der Bundesregierung und der Regierungsparteien in den ganzen Jahren nichts getan worden sei,
was in irgendeiner Weise der Jugend helfen sollte.
Und gerade die stellvertretende Vorsitzende des Jugendfürsorgeausschusses sollte wissen, wie wir uns um die Sache bemüht haben.
Darüber hinaus möchte ich einen Satz herausgreifen, der doch wohl im Hinblick auf dieses Gesetz gesprochen wurde, den Satz nämlich, daß wir schuldlos schuldig Gewordene strafen wollten. Wenn ein Gesetz geschaffen wurde, um Jugendlichen unter Berücksichtigung der schwierigen sozialen Verhältnisse der letzten 10 bis 15 Jahre zu helfen, dann ist es doch gewiß das vorliegende Jugendgerichtsgesetz. Ich finde, daß die Ausführungen, die Frau Kollegin Schanzenbach in der sachlichen Würdigung des vorliegenden Gesetzes gemacht hat, ihre ersten Ausführungen eigentlich Lügen gestraft haben.
(Abg. Frau Schanzenbach: Dann haben Sie den
ersten Teil meiner Rede nicht verstanden!)
— Ich glaube, Frau Schanzenbach, daß ich nicht gar so schwer von Begriff bin, daß ich Ihre Ausführungen nicht verstanden hätte. Oder sie waren eben etwas unklar oder für uns, die wir zuhörten, mißverständlich. Die Meinung war einheitlich.
— Ja, einheitlich auf unserer Seite und ganz sicherlich, glaube ich, auch auf der Ihrigen.
— Herr Kollege, wir wollen uns ja nicht darüber streiten. Ich meine aber, von „Einseitigkeit" würde ich an Ihrer Stelle nicht reden!
Eines jedenfalls ist sicher. Das vorliegende Gesetz ist in jeder Beziehung ein Gesetz, das zur Hilfe der Jugendlichen geschaffen worden ist. Wenn in einem Gesetz die schwierigen sozialen Umstände. die die Jugend vielleicht aus Unwissenheit, aus Mangel an Erziehung haben schuldig werden lassen, berücksichtigt werden, wenn irgendein Gesetz diesen jungen Menschen hilft, dann ist es das vorliegende. Auch wir begrüßen ebenso wie Sie das Erziehungsprinzip als leitenden Gedanken in diesem Gesetz.
— Ja, in Sachen der Erziehung sind wir, was dieses Gesetz anlangt, offenbar nicht so verschiedener Meinung, Frau Schanzenbach; aber bezüglich Ihrer nicht zur Sache gehörenden Vorrede sind wir verschiedener Meinung.
— Ich glaube nicht, aber lassen wir es dahingestellt. Wir werden im Ausschuß noch darüber diskutieren.
— Natürlich bei Jugendstraftaten. Aber haben denn Jugendliche bisher keine Straftaten begangen
und werden sie in Zukunft keine Straftaten begehen?
Nun sagen Sie mir doch bitte einmal, wann ist in diesem Gesetz überhaupt von Strafen die Rede? Doch nur in bezug auf besonders schwere Fälle. Aber in diesem Gesetz ist dem Jugendrichter und dem Jugendstaatsanwalt so viel Macht in die Hand gegeben, daß er nicht einmal genötigt ist, eine Anklage zu erheben oder irgendeine richtige Strafe zu beantragen bzw. zu verhängen, wenn von dem Jugendlichen eine strafbare Handlung begangen wurde, sofern ein Erziehungsmittel für ausreichend erachtet wird. Herr Kollege, Sie müssen doch ganz genau wissen, welche Möglichkeiten, dem Jugendlichen zu helfen, gerade auf Grund dieses Gesetzes den Richtern und den Staatsanwälten in die Hand gegeben werden.
— Ich brauche ja kein Kolloquium mit Ihnen über die einzelnen Fragen hier anzustellen. Aber so viel juristische Kenntnisse können Sie mir schon zutrauen, daß ich weiß, wann ein Richter ein Verfahren eröffnet und wann ein Staatsanwalt Anklage erhebt.
— Ihre Zwischenrufe sind doch töricht, entschuldigen Sie bitte!
Die Hilfe von seiten des Gerichts kann ja so weit gehen, daß sogar von verschiedenen Seiten der Vorwurf erhoben wurde, wir würden in diesem Gesetz Gedanken verankern, die die Humanität gegenüber den jungen Menschen irgendwie überspitzten. Demgegenüber sagen wir aber, daß gerade nach einer solch turbulenten Zeit, in der unsere Jugendlichen aufgewachsen sind, straffällige Jugendliche nur mit besonderer Liebe und mit Einfühlungsvermögen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden können.
Wir begrüßen darum die Maßnahmen, die hier getroffen sind, und wir begrüßen es vor allen Dingen auch, daß man die Heranwachsenden vom 18. bis zum 21. Jahre noch unter das Jugendgerichtsgesetz stellt, und daß man vor allen Dingen dem Jugendrichter die Entscheidung überläßt, ob er den Jugendlichen vom 18. bis zum 21. Lebensjahr nach Jugendrecht oder nach Erwachsenenrecht behandelt wissen will.
Wir wollen auch nicht vergessen, daß der Jugendliche, der in irgendeiner Weise gestrauchelt ist, eine Stütze haben muß. Darum erscheint uns die neue Einrichtung des Bewährungshelfers als eine außerordentlich glückliche Lösung.
Natürlich gebe ich Ihnen vollkommen recht, wenn Sie sagen, daß diese Bewährungshelfer auch ganz besonders gut ausgebildet werden müssen. Ich bin auch mit meinen Freunden der Meinung, daß die Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte in Anbetracht ihrer großen Machtbefugnisse eine besonders gründliche Ausbildung haben müssen. Man sollte vielleicht auch von seiten des Bundes an die Länder eine Empfehlung geben dergestalt, daß sie keine Mittel scheuen, um diese gute Ausbildung herbeizuführen und die Richter auch in psychotherapeutischer Beziehung auszubilden, damit sie
sich vielleicht noch etwas besser als bisher in die
Geisteshaltung Jugendlicher hineinfühlen können.
Aber, Frau Kollegin Schanzenbach, wenn Sie heute sagen, daß bei allen Jugendgerichtsverfahren, die stattgefunden haben, die Richter und Staatsanwälte keinerlei Verständnis für die Not und die Sorgen der Jugendlichen hatten
— bitte, ich habe mir notiert: es habe am nötigen Verständnis gefehlt, haben Sie gesagt —, dann muß ich Ihnen allerdings sagen, daß Sie sich auch da irren. Ich glaube, daß Sie dann nicht oft genug in die Verhandlungen hineingekommen sind, und bitte, daß Sie sich weiter informieren. Sehr viele Jugendliche, die etwas begangen haben, sind ja gar nicht vor den Strafrichter gekommen. In Kenntnis der Tatsache, daß es oft schon schlimm für einen Jugendlichen ist, vor dem Strafrichter zu stehen, hat man in Anbetracht der vorhandenen Erziehungsmöglichkeit den Verstoß des Jugendlichen mit einer Ermahnung als ausreichend abgegolten angesehen. Wir wollen doch auch dem, was bisher geschehen ist, in etwa Genüge tun.
Aber als Ganzes will ich im Namen meiner Fraktion eines sagen. Wir müssen dahin wirken, daß Jugendämter, Bewährungshelfer, die an den Jugendämtern und bei der Jugendgerichtshilfe tätig sind, und daß Richter und Staatsanwälte ganz besonders sorgfältig arbeiten, gerade im Hinblick auf unsere Jugend, die in diesen Dingen heute etwas labil und anfällig ist. Das beste Gesetz, der beste Wille nützen nichts, wenn die Menschen, die diese Arbeit vorzunehmen haben, nicht genügend ausgebildet und nicht genügend in ihrem Wissen fundiert sind. Ich glaube, daß es das beste ist, was wir an unseren Jugendlichen tun, wenn wir ihnen, wenn sie straffällig geworden sind, helfen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir uns viele Fälle von Alterskriminalität ersparen, wenn es uns gelingt, durch eine gute Strafrechtspflege straffällig gewordene Jugendliche auf den rechten Weg zu bringen, Jugendliche, die vielleicht durch eine ungerechte oder unsachgemäße Behandlung weiter abgeglitten wären.
Ich schließe mich dem Antrag von Frau Schanzenbach auf Überweisung dieses Gesetzes an den Rechts- und an den Jugendfürsorgeausschuß an.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der dem Jugendgericht zugrunde liegende Gedanke, den jugendlichen Gesetzesbrecher in besonders verständnisvoller Weise zu behandeln, ist in dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes berücksichtigt worden. Ohne Zweifel ist die Bestimmung darüber, bis zu welchem Alter der Gesetzesbrecher unter das Jugendgericht fallen soll, das Schwierige in dem Gesetz. Hierüber sind, glaube ich, die Meinungen in diesem Hohen Hause einheitlich; aber draußen — vor allen Dingen auch in Juristenkreisen — ist man da anderer Auffassung.
Die Schwierigkeit liegt ja vor allem darin, daß der Begriff der straffälligen Jugend sowohl nach der unteren wie nach der oberen Lebensstufe ausgedehnt werden kann. Es gibt Länder, in denen der Jugendliche schon mit zwölf Jahren straffällig
ist und die obere Grenze bei sechzehn Jahren liegt, während in Deutschland das Jugendgericht bisher für die Aburteilung strafbarer Handlungen der Jugendlichen von vierzehn bis achtzehn Jahren zuständig ist. Wenn der vorliegende Gesetzentwurf die Erfassung auch auf Erwachsene von achtzehn bis einundzwanzig Jahren ausdehnt, so scheint mir das insofern berechtigt zu sein, als durch die Zeitumstände des Krieges und der Nachkriegszeit die jungen Menschen so labil und zum Teil auch nicht reif geworden sind, daß es ein Unrecht wäre, sie unter ein Strafrecht für Erwachsene zu stellen. Sicherlich, meine Damen und Herren, sind aber auch jene Auffassungen nicht ganz außer acht zu lassen, die nach der andern Seite hin argumentieren und gerade wegen der Zeitumstände eine schärfere Erfassung des jugendlichen Gesetzesbrechers fordern. Wenn z. B. von sechzehn-, achtzehn- und zwanzigjährigen Jugendlichen auch bestialische Morde begangen werden, so müssen Sie verstehen, daß in der Öffentlichkeit vielleicht gefragt wird, ob solche Jugendlichen nicht aus Abschreckungsgründen unter die Strafe von Erwachsenen fallen müssen, und zwar auch deswegen, weil erwachsene Menschen ebensowenig wie jugendliche infolge der Verhältnisse geformt und gereift sein können.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf berücksichtigt — ich glaube, das darf man doch wohl sagen — in besonderer Weise die dem Jugendgerichtsgedanken innewohnenden Grundsätze, nämlich daß der jugendliche Rechtsbrecher ein Opfer der Verhältnisse ist und, wo es angebracht erscheint, statt Strafe zu erhalten, den besonderen Schutz und die besondere Fürsorge genießen muß. Es ist deshalb notwendig, daß die Vertrautheit mit den Problemen der Jugendwohlfahrt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Jugendrichter und die Jugendschöffen verlangt wird.
So wichtig der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes ist, um erstens Jugendliche bis unter einundzwanzig Jahren unter bestimmten Voraussetzungen durch das Jugendgericht aburteilen zu lassen, zweitens die Heranziehung eines Laienelements aus jenen Kreisen zu ermöglichen, die, in besonderer Weise mit dem Leben und der Umwelt des Jugendlichen vertraut, als Sachverständige gelten,. und drittens die Möglichkeit der Bewährung des Jugendlichen bei Aussetzung der Strafe oder bei Verhängung einer Jugendstrafe zu schaffen, so glaube ich doch, sagen zu sollen, daß die allgemeine Reform des Jugendstrafrechts nicht mehr allzulange auf sich warten lassen sollte. Insbesondere aber sollte die Notwendigkeit eines Bewahrungsgesetzes als weitere fürsorgerische Maßnahme gerade für jene straffälligen Jugendlichen gesehen werden, die in der Verbüßung ihrer Strafe weiterhin als labile und willensschwache Menschen für sich selbst und die Gemeinschaft eine dauernde Gefahr und Belastung darstellen.
Wenn wir so die gesamte Aufgabe für den gefährdeten und straffälligen Jugendlichen sehen, dann können wir, glaube ich, sagen, daß diese Gesetzesvorlage ein guter Beginn dafür ist, ihm zu helfen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Frau Dr. Ilk hat sich durch ihre Rede zur Verteidigung der Jugendpolitik der Regierung, glaube ich, nicht in eine gute Lage gebracht; denn man konnte dieser Rede wohl das klassische Zitat voranstellen: „Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überlaßt ihr ihn der Pein."
Man muß bei der Erörterung dieses Problems einmal untersuchen, aus welchen Ursachen heraus die Jugend in einem solchen Ausmaß straffällig geworden ist. Leider ist es mir im Rahmen der 5 Minuten Redezeit nicht möglich, ausführlich Stellung zu nehmen. Ich muß mich auf einige Fragen beschränken.
Die in dem Entwurf vorgesehene Unterstellung der Heranwachsenden unter das Reichsjugendgerichtsgesetz betrachten auch wir als einen Fortschritt gegenüber der Nazi-Gesetzgebung. Der Mangel liegt aber darin, daß bei der Ausübung verschiedener Funktionen die Jugendpflegeorganisationen und die Jugend selber ungenügend berücksichtigt worden sind. Das gilt auch z. B. in bezug auf den Bewährungshelfer, dessen Einschaltung beim Jugendrichter und bei verantwortlichen Organen in dem Entwurf vorgesehen ist. Wir sind der Auffassung, daß diese Funktion ohne Schwierigkeiten Jugendamtsausschüsse, Jugendorganisationen und Jugendpflegeorganisationen ausüben könnten. Damit wäre auch eine bessere Beratung und eine größere Hilfe für den jungen Menschen gewährleistet. Vor allem aber ist es notwendig, daß in der Jugendgerichtshilfe die Organisationen der Jugendpflege und der Jugend selber zur verantwortlichen Mitarbeit herangezogen werden.
In diesem Zusammenhang noch einige Bemerkungen darüber, welche Verhältnisse das Anwachsen der Kriminalität in einem solchen Maße verursachen. Ich möchte hier einen Bericht aus der „Welt" zitieren, worin gesagt wird, daß die Straffälligkeit der Jugend gegenüber 1933 um 87 % zugenommen hat, daß 64 419 Jugendliche unter achtzehn Jahren allein im Jahre 1950 vor Gericht gestanden haben und weitere 50 000 Jugendliche in Fürsorgeanstalten leben. Die meisten Menschen empfinden es bereits als eine Selbstverständlichkeit, wenn in den Zeitungen täglich Meldungen zu lesen sind, daß junge Menschen Raubüberfälle, Bandendiebstähle und solche Straftaten begehen. Das ist ein Zustand, mit dem sich der Bundestag und mit dem sich alle verantwortlichen Stellen und Organisationen sehr ernsthaft beschäftigen müssen. Wenn das geschieht, dann muß man sich Gedanken darüber machen, woher das kommt. Die Gründe liegen erstens in der Tatsache von Kriegen, zweitens in den Kriegsfolgen, drittens in den sozialen Verhältnissen und der Tatsache, daß keine ausreichende Hilfe zur Lösung des Jugendproblems da ist, viertens —
viertens und nicht zuletzt — und wir sind der Auffassung, daß das ein entscheidender Grund ist — in der amerikanischen Einfuhr von Gangsterfilmen, von Verbrecherfilmen, von allen diesen Literaturerzeugnissen, diesen Schunderzeugnissen, die dazu dienen, in der westdeutschen Jugend wieder den Trieb zum Verbrechen, zum Töten zu wecken, damit sie reif gemacht wird für die Selbstverständlichkeit des Kriegführens. Diese Dinge tragen wesentlich dazu bei, daß unsere jungen. Menschen auf einen solchen Weg gelangen. Die Lösung liegt
nicht in einem Schund- und Schmutzgesetz oder wie das heißen mag, sondern die Lösung liegt darin, daß der Bundestag, daß die Bundesregierung konsequent den Kampf gegen die Einfuhr solcher Erzeugnisse führen, konsequent auch dafür sich einsetzen, daß wertvolle Filme, wertvolle Literatur und wertvolle Erziehungsmöglichkeiten der Jugend gegeben werden.
Darüber hinaus ist es auch notwendig, daß der Strafvollzug endlich auf einer fortschrittlichen und wirklich humanen Basis aufgebaut wird,
damit nicht die Strafe die jungen Menschen noch weiter in die Kriminalität hineinführt.
— Ich werde bei der zweiten Lesung auf diese Dinge zurückkommen und Ihnen einiges erzählen, wie in der Deutschen Demokratischen Republik der Strafvollzug an jungen Menschen
in einer fortschrittlichen, wirklich humanen Weise geführt wird.
Zum Schluß möchte ich Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas sagen. Es ist auch notwendig, daß endlich Schluß gemacht wird mit der Praxis eines Herrn Dr. Lehr, daß junge Menschen, so z. B. die, die auf Helgoland die Fahne für Deutschland gehißt haben,
ohne Recht und Gesetz verhaftet und wochenlang in Gefängnissen behalten werden. Das ist die alte Nazipraxis, unter der wir ebenfalls als junge Menschen zu leiden hatten.
Das Wort hat der Abgeordnete Morgenthaler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war wirklich nicht meine Absicht, hier zu diesem Thema zu sprechen. Aber es wird mir gesagt, daß meine sehr geschätzte Landsmännin und Kollegin Frau Schanzenbach die badischen Schulverhältnisse, also die Verhältnisse unserer gemeinsamen Heimat, sehr, sehr in schwarz gemalt hat.
Nun ist es zwar richtig, daß in unserer schönen
badischen Heimat die CDU die Führung hat. Aber
es ist ebenso richtig, daß in dieser CDU-Regierung
und in den Stellen des Unterrichtsministeriums wie
in den übrigen Verwaltungsstellen die SPD außerordentlich starke und einflußreiche Leute sitzen hat.
Wenn also die Frau Kollegin Schanzenbach hier
die badischen Schulverhältnisse angreift, dann
greift sie damit auch all ihre Parteigenossen an,
die insbesondere im Unterrichtsministerium sitzen.
Nun hat anscheinend die Frau Kollegin Schanzenbach sich darüber aufgehalten und gesagt, daß
in Baden die Kinder mit 7 1/2 Jahren auf die Straße gesetzt wurden, daß ihnen sowieso viel Schule gefehlt hat.
— Nun, verehrter Herr Dr. Greve, ich glaube, die Verhältnisse in Baden doch zu kennen.
– Jawohl, da haben Sie vollständig recht!
— Das ist eine Selbstverständlichkeit gewesen nach dem, was Frau Schanzenbach gesagt hat; deswegen brauchen wir zwei uns über derartige Dinge nicht auseinanderzureden! — Baden gehört zu den Ländern, die früher Schulschluß an Ostern gehabt haben. Seinerzeit, als der Schulschluß ins Spätjahr verlegt wurde, mußte eben das achte Schuljahr noch ein halbes Jahr länger in der Schule bleiben; und als jetzt der Schulschluß allgemein im Bundesgebiet auf Ostern verlegt wurde, mußte wieder eine Lösung gesucht werden, um einen regelrechten Gang in der Schule und im Besuch der einzelnen Schuljahre zu ermöglichen. Es wäre unmöglich gewesen, Frau Schanzenbach, die Kinder des achten Schuljahrs noch bis zum Spätjahr als Klasse zu behalten, wenn gleichzeitig ein neues Schuljahr begonnen wird, wenn also gleichzeitig der neue erste Jahrgang in die Schule gehen muß. Es wäre völlig unmöglich gewesen, weil die Räume nicht da gewesen wären.
Im übrigen aber möchte ich sagen, daß die badischen Schulverhältnisse bestimmt nicht schlechter sind als diejenigen in den übrigen Bundesgebieten. Ich glaube, Frau Schanzenbach wird mir ein gewisses Urteil hier zugestehen. Wir sind auch in Baden bestrebt, in der Schule zu tun, was menschenmöglich ist, und ich darf ihr zur Beruhigung sagen, daß man auch in badischen Gemeinden und Städten jetzt versucht, das, was nicht hat geschehen können — das achte Schuljahr noch bis zum Spätjahr beizubehalten —, jetzt nachzuholen insofern, als Gemeinden und Städte nun darangehen, Schüler zu sammeln, die keine Lehrstellen haben, um sie aus eigenen Mitteln der Gemeinden und der Städte unterrichten zu lassen bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie dann irgendwo in eine Lehre eintreten können. So sehen tatsächlich die Verhältnisse in Baden aus, und ich möchte auch Frau Schanzenbach bitten, die Dinge hier so darzustellen, wie sie in Wirklichkeit sind. Also, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im „schwarzen" Baden gibt es eine gute Schule, genau wie in anderen Ländern.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich freue mich, daß der Herr Kollege Morgenthaler eine Unsachlichkeit aus den Ausführungen der Frau Schanzenbach hier schon richtiggestellt hat.
Frau Schanzenbach, ich knüpfe an den Schluß Ihrer Ausführungen an, wo Sie für sich und für Ihre Fraktionsmitglieder beteuert haben, daß Sie mit Verantwortung und Ernst in die Beratungen des Ausschusses über dieses Gesetz hineingehen wollten. Sie haben die Hoffnung ausgesprochen, daß auch wir das tun würden. Ich glaube, das brauchen Sie hier nicht zu versichern. Frau Schanzenbach, als Sie zu diesen Worten und zu den sachlichen Ausführungen über den vorliegenden Gesetzentwurf kamen, da waren Sie wieder Sie selbst. Da waren Sie diejenige, die wir kennen, eine sachliche Mitarbeiterin — ich bedaure, das jetzt hier in der Öffentlichkeit sagen zu müssen —, während Ihre Fraktion dann in der Öffentlichkeit von Ihrer Arbeit abrückt.
Sie haben heute — und damit unterstütze ich das, was Frau Ilk gesagt hat — an dem Gesetz zum Schutze der Jugend Kritik geübt. Sie haben es als ein Strafgesetz bezeichnet, obwohl Sie genau wissen, daß keine Strafbestimmung darin ist. Sie haben zu den Jugendfragen polemisch Stellung genommen. Das habe ich bedauert.
Das entspricht nicht Ihrer sonstigen Art, Frau Schanzenbach. Gestatten Sie mir, das zu sagen.
Wenn Sie in ernsthafter Form zu der Gefährdung unserer Jugend Stellung genommen haben, so unterstreichen wir das. Wir kennen Sie ja aus gemeinsamer Arbeit nicht nur in den Ausschüssen, sondern auch in den Arbeitskreisen, die Sie erwähnt haben. Ich bedaure, noch einmal sagen zu müssen, daß der Hauptteil Ihrer Ausführungen die Sachlichkeit vermissen ließ, die wir sonst an Ihnen gewöhnt sind, Frau Schanzenbach.
Nun zum Gesetz selbst. Ich werde nicht einmal so lange zu dem sachlichen Teil Stellung nehmen. Ich unterstreiche alles das, was von den Vorrednerinnen zu den Verbesserungen dieses Gesetzes gesagt worden ist. Ich bin mir darüber klar, daß wir über manche Dinge im Ausschuß diskutieren werden und daß wir gewiß zu einer Änderung des Wortes „Zuchtmittel" kommen werden. Ich begrüße, daß wir auch hier zu einer Reform kommen, um die auch Sie, Frau Schanzenbach, seit Jahren gerungen haben, die wir verlangt haben. Ich hoffe, daß wir, wenn wir im Jugendfürsorgeausschuß dieses Gesetz gemeinsam beraten, nicht nur eine einstimmige Annahme im Ausschuß erleben, sondern daß es dann der ernsthaften, verantwortungsbewußten Arbeit der Ausschußmitglieder der sozialdemokratischen Fraktion gelingt, ihre gesamte Fraktion hinter die Beschlüsse des Ausschusses zu bringen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf an den Ausschuß für
Rechtswesen und Verfassungsrecht als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge zu überweisen. Ich bitte diejenigen, die diesen Anträgen zustimmen, die Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; damit ist die Überweisung beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten .
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das Wort zur Begründung hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Bekämpung der Geschlechtskrankheiten, das ich heute im Bundestag einbringe, beschäftigt sich mit einer Materie, welche in die tiefsten menschlichen Beziehungen hineingreift. Sind Gesundheit und Krankheit an sich schon ein schwieriges Kapitel für die Gesetzgebung, so sind die Beziehungen der Geschlechter zueinander noch weniger für gesetzgeberische Eingriffe geeignet. Diese persönliche, menschliche Beziehung ist aber nicht nur eine Angelegenheit zwischen Mann und Frau, sondern sie wird wesentlich geformt und getragen durch die Struktur unserer Gesellschaft. Die Erschütterungen unseres Volkes durch den Krieg und durch die Wanderung sowie die Wandlung überlieferter sittlicher Begriffe haben zu Not und Unglück auch in diesen persönlichen Beziehungen geführt. Es besteht also eine Pflicht des Staates, sich mit den Fragen des Geschlechtslebens und der dadurch verbreiteten Krankheiten insoweit zu beschäftigen, als sie durch die soziale Lage hervorgerufen sind und für andere Menschen entstehen. Selbstverständlich ist es nicht leicht, einen so schwierigen menschlichen Tatbestand durch ein Gesetz erfolgreich zu regeln. Der Arzt und der Fürsorger gehen an eine solche Aufgabe von anderen Gesichtspunkten heran als der Jurist. Individuelles Eingehen auf die besondere Lage der Hilfesuchenden ist eine erste Pflicht des ärztlichen Helfers. Der Gesetzgeber muß sich demgegenüber an allgemeine Tatbestände und festgelegte Merkmale halten, um zu einer klaren Entscheidung zu kommen.
Das bisher bestehende Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 ist nach einer siebenjährigen Vorbereitungszeit entstanden. Es hat aber die eben von mir angedeuteten Schwierigkeiten auch nicht vollständig gemeistert, trotz der sieben Jahre Vorbereitungszeit, und es hat in den Katastrophenjahren von 1945 und folgenden versagt. An die Stelle seiner liberalen Bestimmungen sind scharfe Maßnahmen der Besatzungsbehörden mit harten Eingriffen auch in die persönliche Freiheit getreten. Diese schroffen Bestimmungen können wir heute nicht mehr aufrechterhalten. Einige Bundesländer haben durch neue Gesetze zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten diese Eingriffe der Besatzungsbehörden ersetzt. Aber auch diese Gesetze konnten nicht bei der Fassung von 1927 stehenbleiben, weil das Gesetz von 1927 nicht nur organisatorisch überholt, sondern in wesentlichen Punkten unzureichend ist.
Nun fordert der Beschluß dieses Hohen Hauses vom 2. Februar 1950 ein neues Gesetz auf der Grundlage des Gesetzes von 1927. Das kann aber nicht so verstanden werden, daß lediglich eine redaktionelle Änderung der Bestimmungen jenes Ge-
setzes erforderlich sei. Unter Beibehaltung der liberalen Grundhaltung müssen alle die Lücken ausgefüllt werden, die die erfolgreiche Anwendung des Gesetzes von 1927 in den Jahren 1945 bis 1948 unmöglich machten. Wir haben in dem vorliegenden Entwurf an der Respektierung der Persönlichkeit des Kranken festgehalten. Verzichtet wurde auf die immer wieder erhobene Forderung einer allgemeinen Meldepflicht sämtlicher Erkrankungen an Geschlechtskrankheiten, und beibehalten wurde das Verbot der Bordelle und jeglicher Reglementierung.
Bei der Bekämpfung einer Infektionskrankheit ist, seit wir Robert Kochs Institut haben, die Feststellung des Erregers, die Isolierung des Kranken und das Aufsuchen der Infektionsquellen das anerkannte Grundprinzip des Verfahrens. Die Besatzungsbehörden hatten versucht, danach zu handeln, und rücksichtslos in die Rechte der Persönlichkeit eingegriffen. Praktisch hat sich das nicht als erfolgreich erwiesen. Auf der anderen Seite berechtigt uns der tatsächliche Rückgang der Geschlechtskrankheiten auf 21,6 Krankmeldungen je 10 000 Einwohner — also eine niedrigere Zahl als 1934 — nicht dazu, den Dingen nun ihren Lauf zu lassen. Die moderne Behandlungsmethode bringt zwar eine rasche Heilung, aber dafür nehmen die wiederholten Infektionen leider zu. Wenn auch die Fülle von Schmutz der Nachkriegszeit rascher beseitigt wurde, als wir zu hoffen wagten, so bleiben doch in den Winkeln Gefahrenquellen, von denen ausgehend ein neuer Einbruch jederzeit erfolgen kann, und diese Herde zu beseitigen, ist eben die Pflicht des Staates.
Ich will es mir versagen, auf einzelne Gesichtspunkte dieses Gesetzes einzugehen. Ihnen, meine Damen und Herren, liegen der Gesetzestext und die Begründung vor. Nur die wichtigsten Probleme möchte ich eben kurz benennen.
Die Verpflichtung eines Kranken, sich behandeln zu lassen, kennt schon das Gesetz von 1927. Damals waren Syphilis und Tripper chronische Erkrankungen. Erfreulicherweise ist das heute nicht mehr der Fall. Wir können also die Pflicht zur Behandlung bis zu dem Zeitpunkt begrenzen, in dem eine Ansteckungsgefahr für andere Menschen nicht mehr besteht.
Die Suche nach der Infektionsquelle war in dem Gesetz von 1927 vernachlässigt. Wir mußten uns deshalb ausführlich damit befassen und standen dabei vor der Frage, durch Einfuhrung einer allgemeinen Meldepflicht die Voraussetzung zu schaffen, daß das Gesundheitsamt diese Infektionsquellenforschung ein für allemal übernimmt. Wir konnten uns aber zu einer solchen umfassenden Meldepflicht nicht entschließen, und so muß der behandelnde Arzt Hilfe leisten, Hilfe leisten bei der Suche nach der Infektionsquelle. Gerade diese Bestimmung, die den auf dem deutschen Ärztetag von 1950 in München ausgesprochenen Wünschen der Ärzteschaft auf Beteiligung an der Fürsorge entspricht, hat eine ganz falsche Deutung erfahren. Der behandelnde Arzt soll wahrhaftig nicht ein Organ oder der Büttel der Polizei werden, sondern er soll sich darauf besinnen, daß seine Aufgabe nicht am Rezept und am Mikroskop endet, daß er die Verpflichtung hat, auch in die tieferen Zusammenhänge einzudringen.
Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten kann nun einmal nicht nur durch Behandlung gelöst werden, sondern es bedarf der Fürsorge für den einzelnen Kranken und für die durch ihn gefährdeten Personen. Das gilt insbesondere von der Fürsorge für Jugendliche. Dieser Fürsorge haben wir einen breiten Raum in der Neufassung des Gesetzes eingeräumt.
Strafen kennt das Gesetz nur für Tatbestände, die die Gesundheit anderer Personen gefährden, also insbesonderer den Geschlechtsverkehr Kranker. Allerdings muß die Möglichkeit bleiben, die Durchführung der Vorschriften notfalls durch Verwaltungsmaßnahmen zu erzwingen. Aber auch die zwangsweise Behandlung der Kranken läßt sich als Ausnahmefall nicht vermeiden; sie war auch schon im Gesetz von 1927 vorgesehen. Die Vorschriften darüber wurden mit Art. 104 des Grundgesetzes in Übereinstimmung gebracht.
Es ist verständlich, daß ein solches Gesetz, das weltanschauliche Fragen berührt, in der Öffentlichkeit starken Widerhall findet und besonders von Ärzten mit Interesse erwartet wird. Nach der sorgfältigen Vorbereitung und der eingehenden Beratung mit Vertretern der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und den Präsidenten der westdeutschen Ärztekammern, die zu einer vollen Übereinstimmung und Billigung des vorgelegten Entwurfs geführt hatte, hat uns die scharfe öffentliche Ablehnung durch ein Mitglied des Präsidiums der westdeutschen Ärztekammern überrascht. Eine inzwischen erfolgte nochmalige Beratung mit den Vertretern der Ärzteschaft und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft konnte die aufgeworfenen Fragen bis auf wenige Punkte einwandfrei klären.
Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundesrat bedeutet insofern ein Novum, als der Bundesrat bei diesem Gesetzentwurf erstmalig von einer formalen Stellungnahme zu der Vorlage der Bundesregierung im Sinne des Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes Abstand genommen hat. Bei den Ausschußberatungen im Bundesrat ist eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht worden. Über diese hat aber das Plenum des Bundesrates nicht Beschluß gefaßt. Vielmehr hat das Plenum die Bundesregierung aufgefordert, einen neuen Entwurf vorzulegen. Nach reiflicher Überlegung im Kabinett sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß ein solches Verlangen über den im Grundgesetz gewollten Sinn des ersten Durchgangs von Gesetzesvorlagen im Bundesrat weit hinausgeht. Das würde u. a. auch dazu führen können, die der Bundesregierung zustehende Gesetzesinitiative einzuschränken, wodurch insbesondere die Gefahr entstehen könnte, daß Gesetzesvorlagen der Bundesregierung nicht mit der notwendigen Beschleunigung an den Bundestag herangebracht werden können. Es wäre aber sachlich nicht zu verantworten gewesen, die bereits allzu lange verzögerte Behandlung dieses Gesetzes im Bundestag erneut hinauszuschieben. Die Ausarbeitung des neuen Entwurfes hätte durch wiederum erforderlich werdende Verhandlungen mit allen beteiligten Stellen die Vorlage um weitere Monate verzögert. Um schließlich den sachlichen Wünschen des Bundesrates Rechnung zu tragen, hat die Regierung die Vorschläge des Bundesratsausschusses für innere Angelegenheiten und die sich teilweise widersprechenden Anträge der Länder dem Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf als Material beigegeben.
Es ist selbstverständlich, daß über bedeutsame Vorschriften einer Gesetzesvorlage, die den Versuch machen muß, sich mit Angelegenheiten der
allerpersönlichsten Lebenssphäre zu befassen, nicht unerhebliche Verschiedenheiten der Anschauungen bestehen. Ich darf namens der Bundesregierung dem Wunsche Ausdruck geben, daß Ihre Beratungen im Ausschuß über die großen Probleme, die dieses Gesetz aufwirft, zu einer allseitig befriedigenden Gestaltung des Gesetzes führen werden. Wir sind uns der Schwierigkeiten dieser großen Probleme durchaus bewußt. Wir haben versucht, sie in dem vorliegenden Entwurf unter voller Würdigung der menschlichen Freiheit und Ehrfurcht vor der Persönlichkeit zu lösen.
Das Wort hat als Bundesratsbevollmächtigter Herr Senator Klein.
Dr. Klein, Senator von Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens des Bundesrates habe ich eine Erklärung abzugeben. Der Herr Bundesinnenminister hat die Stellungnahme des Bundesrates dargestellt. In der Ihnen vorliegenden Drucksache finden Sie allerdings — anders, als es sonst üblich ist — keine ins einzelne gehenden Änderungsvorschläge des Bundesrates. Sie finden vielmehr Empfehlungen des Ausschusses für innere Angelegenheiten und des Rechtsausschusses des Bundesrates sowie Anträge der Länder Niedersachsen, Hamburg, Berlin und Rheinland-Pfalz, deren Wortlaut die Bundesregierung in der Drucksache wiedergegeben hat.
Nach eingehender Prüfung des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfs durch die zuständigen Ausschüsse hat sich der Bundesrat in seiner 76. Sitzung am 18. Januar dieses Jahres nicht entschließen können, den Entwurf im einzelnen zu beraten und ins einzelne gehende Empfehlungen zu beschließen, wie es sonst üblich ist. Der Bundesrat hat vielmehr beschlossen, den Entwurf mit den Beratungsergebnissen seiner Ausschüsse und den Zusatzanträgen der Länder der Bundesregierung als Material zur Neuvorlage des Entwurfs zurückzugeben. Die Bundesregierung hat diesem Wunsche des Bundesrates nicht Rechnung getragen, vielmehr den Entwurf ohne nochmalige Überarbeitung dem Bundestag mit den Anlagen zur Beschlußfassung vorgelegt. Die Stellungnahmen der einzelnen Ausschüsse sind selbstverständlich keine Stellungnahmen des Bundesrates, sie sind der Bundesregierung auch nicht im Sinne einer Stellungnahme des Bundesrates selbst zugeleitet worden.
Dieser Sachverhalt allein rechtfertigt noch nicht, daß ein Vertreter des Bundesrates bei der ersten Beratung des Entwurfs im Bundestag eine besondere Erklärung für den Bundesrat abgibt. Die Bundesregierung hat aber in ihrem Schreiben an den Präsidenten des Bundesrates vom 20. März 1952 und ebenso in dem Ihnen vorliegenden Schreiben an den Präsidenten des Bundestages vom selben Tage der Ansicht Ausdruck gegeben, daß das Verlangen nach Zurückziehung des Entwurfs und Zuleitung eines neuen Entwurfs an den Bundesrat mit dem Grundgesetz nicht in Einklang stehe. Gegenüber dieser Auffassung der Bundesregierung muß nachdrücklich betont werden, daß der Beschluß des Bundesrats vom 18. Januar die Stellungnahme des Bundesrats gemäß Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes enthält. In der Bestimmung des Inhalts und der Form einer Stellungnahme nach dieser Verfassungsbestimmung ist der Bundesrat völlig frei. Es kann keine Rede davon sein, daß dieser Beschluß des Bundesrats mit dem Grundgesetz nicht in Einklang steht. Diese Auffassung des Bundesrats ist bereits in der 81. Sitzung des
Bundesrats am 28. März nachdrücklich dargelegt worden. Mein Kollege Spiecker hat bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, daß der Bundesrat bei seinem Beschluß vom 18. Januar offenbar das Opfer der Mäßigung und des Taktes seines amtierenden Präsidenten geworden sei. Künftig müsse der Bundesrat vielleicht in entsprechenden Fällen unmißverständlich erklären, daß ihm ein Gesetzentwurf verfehlt, schlecht und unbrauchbar erscheint.
Diesen Feststellungen habe ich nichts hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Aussprache ein. Die Gesamtredezeit beträgt 60 Minuten.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von dem Herrn Minister des Innern gehört, wie es zu dem Gesetzentwurf gekommen ist. Schon damals, als wir die erste Sitzung im Gesundheitsausschuß darüber hatten, hat der Vertreter des Innenministeriums dargelegt, daß die sozialhygienische Fürsorge bei der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten mehr Erfolg gezeigt hat als das Eingreifen mit Polizeimaßnahmen. Ich schicke diese Bemerkungen meinen Ausführungen mit vollem Bedacht voraus.
Die Geschlechtskrankheiten gehören zu den ansteckenden Krankheiten. Schon aus diesem Grunde ist ihre Bekämpfung nach dem Grundgesetz eine Bundesangelegenheit. Zu den Ausführungen des Bundesrats ist zu sagen, daß, wenn wir die Drucksache durchlesen, wir nicht darauf stoßen, daß der Bundesrat starke sachliche Einwendungen gegen dieses Gesetz erhebt, sondern die Einwendungen des Bundesrats sind mehr äußerer Natur. Um so mehr hat uns die Stellungnahme des Bundesrats gewundert, dieses Gesetz noch einmal zurückzuweisen.
Wir begrüßen, daß das Gesetz nun dem Bundestag endlich vorliegt. Es hat lange gedauert, aber wir machen dafür nicht die Abteilung des Bundesinnenministeriums verantwortlich. Das demokratische Zusammenspiel der Kräfte bringt leider eine Verlangsamung der Gesetzgebung mit sich.
Es ist schon ausgeführt worden, daß nach dem Zusammenbruch die Zahl der Krankheitsfälle bei den Geschlechtskrankheiten rapide angestiegen ist und daß das Gesetz von 1927 nicht ausgereicht hat, um dem Ansturm zu begegnen. Von den Besatzungsmächten sind mehrere Direktiven erlassen worden. Mit der Wiederherstellung der Ordnung und mit dem Sich-Durchsetzen der Länderregierungen kam bald ein anderes Bild auf. Die Geschlechtskrankheiten gingen — auch infolge der guten Therapeutika — sehr stark zurück und haben heute einen solch niedrigen Stand erreicht, wie wir ihn nicht einmal vor dem Kriege hatten. Ja, wir dürfen hoffen, diese Krankheit in absehbarer Zeit überwunden zu haben, besonders wenn alle Kräfte — Arzt, Medizinalbehörde und Patient — vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Nun haben wir das Gesetz vor uns liegen. Ich möchte zwei Fragen von dem Gesetz beantwortet haben. Zuerst: was unterscheidet es von dem Gesetz aus dem Jahre 1927? Das Gesetz von 1927 hat einen beispielhaften Erfolg gehabt. Es gilt als ausgesprochen sozialhygienisches Gesetz, weil in diesem Gesetz zum ersten Mal von der polizeilichen
Registrierung und Zwangsüberwachung der Prostituierten zur gesundheitsfürsorgerischen Erfassung und Betreuung sowie der Förderung der ärztlichen Behandlung übergegangen worden ist. Die zweite Frage, die ich stellen möchte, lautet: Hat das neue Gesetz einen fürsorgerischen Charakter?
Zur ersten Frage. In nicht offiziellen populär-medizinischen Zeitungsartikeln wird von dem Gesetz als einem solchen gesprochen, das den Arzt als Erfüllungsgehilfen bezeichnet. Es wird zum Ausdruck gebracht, daß der Arzt der Büttel der Polizei sei. Gegen eine derartige Brunnenvergiftung muß hier offen Stellung genommen werden. Zeigt schon die ganze Vergangenheit, daß die Gesetzgeber den sozialhygienischen Maßnahmen einen unbedingten Vorzug vor polizeilichen Maßnahmen geben, so zeigt ein Vergleich mit dem Gesetz von 1927, daß nicht nur keine einzige polizeiliche Maßnahme verschärft, sondern daß mit weniger polizeilichen Maßnahmen gearbeitet wird.
Allerdings ist in diesem Gesetz dem Arzt eine Aufgabe neu zugeteilt. Nach den §§ 12 und 13 soll sich der Arzt um die Ermittlung der Ansteckungsquelle bemühen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist er dann allerdings gezwungen, dem Gesundheitsamt eine namentliche Meldung zu erstatten, nämlich wenn der Patient sich weigert, eine Kur an sich vornehmen zu lassen. Von dieser Pflicht möchte ich den Arzt im Interesse der Volksgesundheit nicht befreit sehen. Gerade wenn wir erkennen, daß einer solchen Krankheit nicht durch Zwang und Polizeimaßnahmen begegnet werden kann, sehen wir es als Pflicht des Arztes an, hier seinem Patienten fürsorgerisch nachzugehen. Es ist eine Aufgabe, die den Arzt — wenn richtig aufgefaßt — nicht erniedrigt, sondern das Vertrauensverhältnis des Patienten zu seinem Arzt nur verstärken kann. Im übrigen ist dieser Wunsch von den Ärzten auf dem Ärztetag 1950 selbst geäußert worden.
Noch eine Änderung bringt das neue Gesetz, nämlich, daß die Behandlung des Kranken pflichtgemäß fortgesetzt werden muß bis zur Beseitigung der Ansteckungsgefahr. Damit ist eine gewisse Kontrolle verbunden und bei Syphilis die Durchführung von Wiederholungskuren. Ferner ist ein Berufsverbot ausgesprochen worden, an dem das Land Niedersachsen starken Anstoß genommen hat. Doch wenn wir bedenken, daß eine solche Ansteckungsgefahr heute infolge der Penicillinbehandlung in einigen Tagen beseitigt werden kann, braucht uns das Berufsverbot nicht so zu schrecken.
Ferner wird verlangt, daß eine Frau, die schwanger ist und schon eine Syphilis durchgemacht hat, sich nochmals während der Schwangerschaft einer Vorbeugungskur unterzieht. Auch hierfür bringen wir Verständnis auf, wenn wir wissen, daß noch vier Jahre nach einer behandelten Syphilis eine Ansteckungsmöglichkeit für das zu erwartende Kind vorliegt. Hier sehen wir wieder, daß das Gesetz nicht so sehr an die Einzelperson, an den einzelnen Patienten denkt, sondern das Ganze im Auge hat.
Wenn wir jetzt die zweite Frage beantworten wollen, ob das Gesetz den von uns allen gewünschten sozialhygienischen Charakter hat, so können wir diese Frage bejahen. Weit stärker als im Gesetz von 1927 wird hier der fürsorgerische Charakter betont. Schon im § 2 spricht das Gesetz von der nachgehenden Fürsorge. Auch der zweite Absatz des § 3, der unter gewissen Umständen die
Einweisung zur Ansteckungsverhütung für erforderlich hält, scheint mir fürsorgerischen Charakter zu haben.
In besonderem Maße aber spricht der § 14 von einer weitgehenden Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsämtern und den Fürsorgeverbänden jeder Art. Hier sind den Fürsorge- und Jugendverbänden und der Freien Wohlfahrt große Aufgaben zugewiesen, und den Gemeinden wird es zur Pflicht gemacht, den Verbänden behilflich zu sein, indem Einrichtungen für gefährdete Personen geschaffen werden sollen, erforderlichenfalls aus öffentlichen Landesmitteln. Wer die Erfahrung auf dem Gebiete der Geschlechtskrankenfürsorge aus den 20er Jahren nach Erscheinen des Gesetzes von 1927 und weiterhin kennt, weiß, daß nichts so sehr zur Behebung der Not auf diesem Gebiet beigetragen hat, wie gerade das Vorhandensein von Vorasylen und Frauenheimen.
Dann möchte ich noch die §§ 6 und 7 erwähnen, um auch hier anzudeuten, daß in dem Gesetz versucht wird, familiengerecht zu denken und zu handeln. Das Gesetz wird j a im Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens beraten werden, und noch manche Wünsche — ich habe auch noch einige — werden dort besprochen und geklärt werden können. Einiges, was heute nicht im Gesetz steht, könnte vielleicht in die Durchführungsverordnung hereingenommen werden. Ich dachte da z. B. an den § 12 Abs. 2 Ziffer 2, wo die Rede von dem Verhältnis zwischen Minderjährigen und Erziehungsberechtigten ist.
Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt erwähnen, und zwar den Wunsch vieler Stellen — ich nenne den Akademikerinnenbund und das Land Berlin —, den § 17 des Gesetzes von 1927 wieder in dieses Gesetz hineinzubringen. Vom Ministerium wird auf die Eingaben, die in großer Zahl an uns alle und auch an das Ministerium gekommen sind, entgegnet, das Grundgesetz von heute mache eine Einführung dieses Paragraphen unnötig. Die Art. 11 und 13 des Grundgesetzes bestimmen die Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Im Gegensatz zur Rechtslage von 1927, die uns die Möglichkeit gab, auf dem Wege der polizeilichen Anordnung eine Wohnungsbeschränkung für Prostituierte auf bestimmte Häuser und bestimmte Wohnviertel zu erlassen, haben wir heute eine andere Rechtssituation. Das Grundgesetz verbietet eindeutig die Kasernierung. Außerdem gilt der im Jahre 1927 umgeschaffene § 361 Ziffer 6 a bis 6 c. Trotz dieser an sich klaren Rechtslage verstehen wir den Wunsch der Frauenverbände, einen solchen Paragraphen hier einzuführen, und meine Freunde und ich wünschen, daß dieser Frage im Ausschuß ganz besondere Beachtung geschenkt wird.
Im ganzen möchte ich sagen, daß das Gesetz, das ebensosehr den fürsorgerischen Charakter betont wie es den Ärzten eine große Vertrauensstellung einräumt, als ein gutes Gesetz bezeichnet werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bärsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die nach 1945 in verschiedenen deutschen Ländern auf der Basis des Besatzungsrechts geschaffenen Gesetze zur Bekämpfung der Ge-
schlechtskrankheiten haben das Reichsgesetz aus dem Jahre 1927 in diesen Ländern abgelöst. Sie sind charakterisiert durch ihren mehr oder weniger ausgeprägten Polizei- und Zwangscharakter und durch die rigorose Unterordnung individueller Belange unter die Forderungen des Staates und der Besatzungsmacht. Diese Gesetze und Verordnungen stellen heute einen Fremdkörper im Rechtsgebiet und -gefüge des Grundgesetzes dar. Deshalb und im Interesse der Rechtseinheit ist die Ablösung der nach 1945 geschaffenen Ländergesetze durch ein Bundesgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten erforderlich, das sich nach dem Willen des Bundestags im Rahmen des alten Reichsgesetzes halten soll.
Die Vorlage der Regierung hat wesentlich länger auf sich warten lassen, als notwendig erscheint und vom gesundheitspolitischen Standpunkt aus vertretbar ist. Leider wird das Hohe Haus auch nicht dadurch mit der Vorlage ausgesöhnt, daß man für sie das alte Sprichwort geltend machen könnte: „Was lange währt, wird gut". Das alte Reichsgesetz hat sich bewährt, wenn man den Erfolg in der Geschlechtskrankheitenbekämpfung nach 1927 zum Maßstab seiner Beurteilung nimmt. Die Geschlechtskrankheiten sind in den Jahren bis zum Beginn des Krieges so enorm abgesunken, daß z. B. in den Universitätskliniken große Schwierigkeiten bestanden, die Studierenden mit dem klinischen Bild frischer syphilitischer Infektionen des primären und sekundären Stadiums vertraut zu machen, ein ,.Übelstand", der dann allerdings während des Krieges und unmittelbar danach mehr als ausgeglichen wurde. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, daß das Gesetz der entscheidende oder gar alleinige Faktor für diesen Erfolg gewesen ist. Ohne die unermüdliche und aufopfernde Tätigkeit aller Diener an der Volksgesundheit müßte jedes, auch das beste Gesetz toter Buchstabe bleiben.
Der Beschluß des Bundestags, der die Regierung auffordert, ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten auf der Grundlage des alten Reichsgesetzes vorzulegen, kann nur so ausgelegt werden, daß der Gesetzgeber eine klare Distan- zierung von den augenblicklich geltenden besatzungsbedingten Rechtsverhältnissen und eine Hinwendung zu den alten bewährten Grundsätzen des früheren Reichsgesetzes wünscht. Daß dieser Wille des Gesetzgebers bei der Regierungsvorlage nur mangelhaft respektiert worden ist, liegt auf der Hand, und es wird Aufgabe der Ausschußberatungen sein müssen, den Regierungsentwurf in dieser Hinsicht einer aufmerksamen und kritischen Betrachtung und Umgestaltung zu unterwerfen. Selbstverständlich hat auch der Bundestag seinerzeit nicht daran gedacht, das alte Gesetz in Bausch und Bogen zu übernehmen ohne die Berücksichtigung entsprechender Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft und ohne Verwertung neuer Erfahrungen, nicht zuletzt auch auf den Gebieten der Psychologie und der Gesundheitsfürsorge im Speziellen.
Worum geht es bei diesem Gesetz? Gestatten Sie mir ein kurzes Wort über die Materie, mit der der Gesetzgeber hier befaßt wird. Geschlechtskrankheiten sind Infektionskrankheiten, die, von verschwindenden Ausnahmefällen abgesehen, durch den Geschlechtsverkehr übertragen werden und die unter besonderen äußeren und inneren Lebensumständen, in Zeiten gesellschaftlicher und sozialer Krisen, seuchenhaften Charakter annehmen können. Geschlechtskrankheiten haben die Volksgesundheit mehr geschädigt als vergleichbare andere Erkrankungen und tun das auch heute noch, wenn auch infolge der modernen Behandlungsmöglichkeiten ihre Spätschäden erheblich reduziert werden konnten. Die Geschlechtskrankheiten- unterscheiden sich von den meisten anderen Infektionskrankheiten vornehmlich durch vier Momente, wenn man die Frage unter dem Gesichtswinkel dieses Gesetzes sieht. Ihr Übertragungsmodus ist einfach und klar, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen. Die Übertragung einer Geschlechtskrankheit beruht weit mehr — um nicht zu sagen: fast ausschließlich — auf einem schuldhaften Verhalten des Überträgers, als das bei anderen Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Flecktyphus, Malaria usw. der Fall ist. Geschlechtskrankheiten sind nicht nur persönliches, sondern in vielen Fällen persönlichstes Schicksal, insofern nämlich, als ihr Erwerb sich innerhalb derjenigen Sphäre des menschlichen Lebens vollzieht, von der wir wohl alle der Meinung sind, daß ihr individueller Charakter am ausgeprägtesten ist. Dabei werden wir, wie ich hoffe, auch dahingehend einer Meinung sein, daß dieser Tatbestand bei der endgültigen Fassung des vorliegenden Gesetzes respektiert werden muß.
Geschlechtskrankheiten werden — ich möchte meinen, in sehr vielen Fällen zu Unrecht — als unmoralisch angesehen und führen deshalb bei ihrem Bekanntwerden häufig zu einer gesellschaftlichen Kompromittierung. Darin liegt eine enorme soziale Gefährdung desjenigen, der nicht in der Lage ist, das Geheimnis seiner Krankheit zu hüten.
Diese kurze Darstellung der wesentlichsten Gesichtspunkte zur Beurteilung einer gesetzlichen Regelung der Geschlechtskrankheitenbekämpfung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben will, zeigt, daß eine sorgfältige Abwägung der verschiedenen Rechtsgüter dringend nötig und bei einer vernünftigen Selbstbescheidung des Staates das gesundheitspolitische Ziel erreichbar ist, ohne die berechtigten persönlichen und sozialen Belange der vom Gesetz Betroffenen mehr als notwendig zu tangieren. Der Bundestag will ein Gesetz auf der Grundlage des alten Reichsgesetzes, weil er der Meinung ist, daß in diesem Gesetz die Interessen des einzelnen mit denen der Gesellschaft zu einem gesunden und vertretbaren Ausgleich gebracht worden sind: Worauf es also ankommt, ist die Wiederherstellung des früheren Grundsatzes in der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, nicht mehr als nötig in die private Sphäre des einzelnen Staatsbürgers einzugreifen und diese Sphäre nur insoweit einzuengen, als es ein berechtigtes Interesse der Gesellschaft erforderlich macht. Dabei muß das bedrohte Rechtsgut der Gesellschaft in seiner Größenordnung und Bedeutung die staatliche Intervention in die persönliche Freiheitssphäre rechtfertigen, und der staatliche Eingriff in das private Leben des einzelnen Bürgers muß der Sache angemessen sein.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle ein Wort über das grundsätzliche Problem, das das vorliegende Gesetz vor uns als Gesetzgeber aufwirft und das dieses Gesetz über den Rahmen der Gesundheitspolitik im engeren Sinne hinaushebt. Das wird ohne weiteres klar, wenn man sich den § 2 des Gesetzes näher ansieht, in dem die Grundrechte der Artikel 2 und 12 zum Zwecke der Durchführung des Gesetzes eingeschränkt werden sollen und müssen. Angesichts der Tatsache, daß der Verfassungsgesetzgeber im Grundgesetz die menschlichen Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht
verankert und damit ihrer Bedeutung für die demokratische Ordnung Rechnung getragen hat, stellt sich dieser Paragraph und damit das Gesetz überhaupt als ein Gesetzgebungsakt von außerordentlich allgemein-politischer Bedeutung dar. Keine demokratische Gemeinschaft ist auf die Dauer lebensfähig, in der der einzelne einer zügellosen, durch keinerlei geschriebenes oder ungeschriebenes Gesetz eingeschränkten Freiheit, auch auf Kosten der übrigen Mitglieder dieser Gemeinschaft, leben kann. Ebensowenig aber ist die Demokratie möglich in einer Gesellschaft, in der das Staatswohl und das Staatsinteresse oberste oder gar ausschließliche Richtlinie der Politik sind. Die Demokratie macht einen echten und gesunden Ausgleich dieser nicht selten antagonistischen Interessen zwischen Staatsbürger und Staat notwendig und lebt von diesem permanent schöpferischen Konflikt. Die Freiheit des einzelnen muß ihre natürliche Grenze dort finden, wo sie zu Lasten und auf Kosten anderer oder aller geht. Mit anderen Worten: der Staat soll und darf die als Grundrecht verfassungsrechtlich garantierte persönliche Freiheit seiner Bürger einschränken, wo ihre uneingeschränkte Aufrechterhaltung die berechtigten Interessen anderer Staatsbürger oder der Gesellschaft insgesamt schädigen würde oder zu schädigen droht. Ich möchte meinen, daß in der Balance dieses natürlichen Interessengegensatzes ein wesentliches, wenn nicht überhaupt das eigentliche Problem der Demokratie liegt.
Im totalitären Staat existiert dieses Problem nicht, weil er praktisch nur ein Interesse, das Staatsinteresse kennt und rücksichtslos durchsetzt. Die Demokratie kann auf die Dauer nicht von Untertanen leben, die sich willenlos der Allmacht des Staates unterwerfen oder von der obrigkeitlichen Gewalt dazu gezwungen werden. Sie verlangt Staatsbürger, die bei allem notwendigen und gesunden Gemeinsinn jederzeit bereit sind, ihre Rechts- und Freiheitssphäre gegen jeden sittlich und verfassungsrechtlich unzulässigen oder auch ungerechtfertigten Übergriff des Staates zu verteidigen.
Sie mögen vielleicht der Meinung sein, daß die Ausführlichkeit dieser Ausführungen in keinem rechten Verhältnis zur Sache steht,
der Frage nämlich, inwieweit wir als Gesetzgeber der Gesundheitsverwaltung das Recht einräumen sollen und wollen, Geschlechtskrankheiten als eine die Ordnung und gesundheitliche Sicherheit der Gesellschaft betreffende Sache anzusehen und insoweit sich in die private Sphäre des einzelnen Staatsbürgers einzumischen. „Wer ist schon geschlechtskrank", können Sie vielleicht sagen, oder: „Dieses Gesetz eignet sich zuallerletzt, um grundsätzliche Rechtsprobleme unserer Gesellschaftsordnung zu erörtern". Ich möchte hingegen solcherlei Einwände in zweierlei Hinsicht zurückweisen. Die Stärke und Gerechtigkeit einer Rechtsordnung zeigt sich nicht gegenüber dem gesellschaftlich Starken und Mächtigen, sondern in erster Linie in der Sicherung der Gleichheit vor dem Gesetz und vor der Verfassung auch des letzten Bettlers in dieser Gesellschaft. Es besteht immer die Gefahr der Ausnahmegesetze für Bevölkerungsgruppen, die sich gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung in einer schwachen Position befinden. Ich glaube, daß die Entwicklung und Aufrechterhaltung des Rechts- und Freiheitsbewußtseins der Staatsbürger überall und in jedem Fall vordringlich ist und von der Sache unabhängig sein sollte und nicht relativiert werden darf. Es gibt nur einen einzigen zuverlässigen Damm gegen den totalitären Staat und seine Gesellschaftsauffassung, der in diesem freiheitlichen Selbstbewußtsein rechtlich denkender und dem Recht verpflichteter Staatsbürger besteht. .Man darf dieses freiheitliche Selbstbewußtsein nicht um der Zweckmäßigkeit oder Opportunität willen aushöhlen und im gegebenen Zeitpunkt verlangen wollen, daß dieser Staatsbürger der Belastungsprobe in der Auseinandersetzung mit einer totalitären Weltanschauung standhält.
Die Demokratie hat ihren Preis, und dieser Preis besteht eben darin, daß man häufig unter dem Gesichtswinkel der Zweckmäßigkeit auf das Maximale verzichten muß, um das Existenzminimum demokratischen Lebensgefühls nicht zu unterschreiten.
Schließlich und endlich sollten wir uns bei diesem Gesetz der Tatsache bewußt sein, daß noch beträchtliche Ruinen einer zusammengebrochenen Staats- und Gesellschaftsordnung und eines undemokratischen Lebensgefühls in Deutschland abgebaut werden müssen, auch im Bewußtsein der Menschen und vor allem im Bewußtsein der staatlichen Bürokratie, wenn der Neubau unseres demokratischen Staates erfolgversprechend sein soll. Damit wir uns hier recht verstehen: es soll nicht einem ohnmächtigen Staat das Wort geredet werden, jenem Zerrbild der Demokratie in der Vorstellungswelt der Antidemokraten, in dem die Gesellschaft schutzlos den asozialen Instinkten gesellschaftsfeindlicher Elemente ausgeliefert ist. Es soll vielmehr das staatspolitische Grundproblem der vorliegenden gesetzgeberischen Aufgabe verdeutlicht und dabei darauf hingewiesen werden, daß die größere Gefahr in der Überbetonung der Staatsraison besteht und daß diese Gefahr um so größer ist, je mehr wir den Interessenkonflikt zwischen Individuum und Staat mit reinem Zweckmäßigkeitsdenken lösen wollen.
Die Grundtendenz des alten Reichsgesetzes bestand darin, jeden Geschlechtskranken, der sich gegenüber seinen Mitmenschen die durch seine Krankheit gebotene Zurückhaltung auferlegt und seiner Behandlungspflicht nachkommt, ungeschoren zu lassen, d. h. von jeder Meldepflicht und Kontrolle seiner Erkrankung, geschweige denn der Zwangshospitalisierung auszunehmen, weil insoweit ein gesellschaftliches Schutzbedürfnis nicht gegeben ist.
Dieser Grundsatz war gut, demokratisch und erfolgreich. Wir glauben, daß er auch heute die Richtschnur unseres gesetzgeberischen Handelns sein und bleiben muß.
Wie aber sieht demgegenüber die Regierungsvorlage aus? Sie unterscheidet sich bei näherer Betrachtung in sehr vielen Punkten und sehr wesentlich von dem alten Reichsgesetz und weicht dabei nicht nur im einzelnen und Organisatorisch-Technischen, sondern auch im Allgemein- und Gesundheitspolitischen davon ab. Es ,soll anerkannt werden, daß die Regierungsvorlage in mancher Beziehung in positiver Weise über das alte Gesetz hinaus entwickelt worden ist durch Ergänzung, Er-
weiterung und Verbesserung und die Hereinnahme neuer Aufgaben unter Berücksichtigung der Forschungsergebnisse und sonstiger Erfahrungstatsachen der letzten Jahrzehnte. Andererseits muß jedoch eindeutig festgestellt werden, daß der Entwurf in seinem Kern einen freiheitlich-demokratischen Geist vermissen läßt und mehr und schärfer reglementieren, registrieren und subordinieren will, als wir dies für notwendig, nützlich und vertretbar halten, und daß er mit der einen oder andern neuen Aufgabenstellung über das Mögliche hinausgeht.
Es ist hier keine Gelegenheit zur Einzelberatung des Gesetzes gegeben. Ich muß mir aber trotzdem gestatten, in groben Zügen auf einige der wesentlichsten Veränderungen hinzuweisen, soweit sie die grundsätzliche Problematik der Materie betreffen und den Willen des Gesetzgebers in erheblichem Maße verletzen. Die Schwerpunkte dieses Gesetzes liegen in den §§ 3 und 12, in denen einmal die gesetzliche Behandlungspflicht statuiert wird und Möglichkeiten geschaffen sind, um gegebenenfalls diese Behandlung zu erzwingen, und in denen andererseits das Problem der namentlichen Meldung oder der Anzeigepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt behandelt ist. Nach diesem Gesetz wird die Gesundheitsbehörde ermächtigt, jeden Geschlechtskranken in ein Krankenhaus zur Behandlung einzuweisen, wenn sie der Meinung ist, daß das zur Verhütung der Ansteckung o der zur Behandlung erforderlich erscheint. Das bedeutet gegenüber dem früheren Gesetz eine ungeheure Erweiterung. In dem früheren Gesetz war nämlich diese Möglichkeit durch zwei Dinge ganz entscheidend eingeengt: einmal dadurch, daß es sich um eine mit Ansteckungsgefahr verbundene Geschlechtskrankheit handeln mußte, zum andern dadurch, daß der Patient dringend verdächtig sein mußte, die Geschlechtskrankheit weiterzuverbreiten. Das neue Gesetz ermöglicht dem Gesundheitsamt die Einweisung in ein geeignetes Krankenhaus. Das alte sprach nur von einem Krankenhaus. Wer Gelegenheit gehabt hat, während des Krieges die Ritterburgen unseligen Angedenkens und nach dem Kriege die geschlossenen Anstalten kennenzulernen, der wird verstehen, welch enorme Tragweite die Ausweitung des alten Gesetzes in dieser zweierlei Hinsicht hat.
Oder nehmen Sie den § 12 der Vorlage. Da wird die Anzeigepflicht gegenüber dem alten Reichsgesetz auf Jugendliche unter 18 Jahren ausgedehnt, wenn man sie dann auch im folgenden Absatz wieder etwas einschränken will, und auf alle diejenigen, die nicht bereit oder in der Lage sind, ihr Privatleben uneingeschränkt dem Arzt zu offenbaren oder denen es nicht gelingt, dem Arzt die eigenen Angaben ausreichend glaubhaft zu machen. Man muß sich diesen letzten Passus einmal in die Praxis übertragen vorstellen, um zu erkennen, in welch eine ohnmächtige und würdelose Abhängigkeit der Patient gegenüber einem Arzt geraten kann. Praktisch wird damit die an sich unumstritten notwendige und mögliche Forschung nach der Ansteckungsquelle und eventuellen Kontaktinfektionen mit einer Art Erpressungsmöglichkeit gekoppelt. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, welches Interesse der Patient an der Geheimhaltung seiner Erkrankung hat und verständlicherweise haben muß und daß die Geheimhaltung eben nur dann wirklich gesichert ist, wenn Arzt und Patient als einzige durch dieses Geheimnis verbunden sind. Ich möchte auch die Meinung vertreten, daß die generelle Verpflichtung des Arztes zur Information des Erziehungsberechtigten im Falle einer venerischen Erkrankung eines jungen Menschen von nahezu 18 Jahren nicht in allen Fällen gut und begründet ist. Man muß immer bedenken, daß das Bekanntwerden der Erkrankung für den Betroffenen die erheblichsten sozialen Folgen nach sich ziehen kann, und man sollte die Abdichtungsmöglichkeit eines größeren Personenkreises, dem bei der Meldung an das Gesundheitsamt oder der Einschaltung anderer Behörden ein solches Geheimnis anvertraut wird, ohne daß die Mitwisser sich in jedem Falle über den Wert des ihnen anvertrauten Rechtsgutes in vollem Maße klar sind, nicht allzu hoch einschätzen.
Darf ich Sie auf den Ablauf Ihrer Redezeit aufmerksam machen, Herr Abgeordneter Dr. Bärsch.
Weit mehr persönliche Tragik und unverdiente Schicksale solcher fahrlässigen oder gar böswilligen Indiskretionen umgeben uns, als sich der Laie das vorstellen kann. Denn der Geschlechtskranke, der durch eine Indiskretion von welcher Seite auch immer seine Stellung verloren hat, der von seiner Umgebung wie ein räudiges Schaf angesehen und gemieden wird, wird sich hüten, sein Schicksal einer noch größeren Öffentlichkeit zu offenbaren oder dagegen anzukämpfen, um es nicht noch mehr zu erschweren.
Eine weitere gefährliche Ausdehnung der Anzeigepflicht ist in § 13 Abs. 2 der Vorlage gegeben, auf Grund dessen das Gesundheitsamt zur Nachforschung der Aussage eines angesteckten Geschlechtskranken dessen namentliche Meldung vom Arzt verlangen kann. Auch hier wieder eine Generalermächtigung der Behörde, die mit anderen Generalermächtigungen der Gesundheitsverwaltung theoretisch zumindest die Möglichkeit gibt, für jeden Fall einer Geschlechtskrankheit die namentliche Meldepflicht und Hospitalisierung anzuordnen.
Ich bedauere, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ich infolge der vorgeschrittenen Zeit gezwungen bin, auf weitere Ausführungen, die ich für außerordentlich wichtig halte, zu verzichten. Ich bin nicht in der Lage gewesen, im Rahmen dieser wenigen Minuten alle auch nur wesentlichen Fragen aufzuwerfen, die die Vorlage dem Gesetzgeber stellt. Ich mußte mich vielmehr darauf be-. schränken, grundsätzlichen Problemstellungen nachzugehen und deutlich zu machen, daß das Gesetz nach unserer Ansicht einer sehr eingehenden, sorgfältigen und kritischen Bearbeitung im Ausschuß bedarf, wenn es zu dem werden soll, was sich, wie ich glaube, der Bundestag seinerzeit vorgestellt hat, als er die Regierung beauftragte, ein Gesetz auf der Grundlage des alten Reichsgesetzes vorzulegen.
Meine Damen und Herren, ich hatte mir abgewöhnt, diesen Hinweis zu geben; aber nachdem unser Kollege Ritzel einen so ausgezeichneten Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geschrieben hat, von dem ich hoffe, daß Sie alle ihn inzwischen erworben haben, darf ich Sie bitten, doch gelegentlich die Anmerkung zu § 37 der Geschäftsordnung sich wieder einmal durchzusehen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Notwendigkeit des vorliegenden Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist unbestritten. Noch immer sind die Geschlechtskrankheiten in ihren Folgen für den einzelnen Menschen, die Familie und den Staat von großem Schaden. Das Gesetz hat auch der Forderung nach solchen Bestimmungen Rechnung getragen, die ein schnelles Zugreifen möglich machen, z. B. in bezug auf die Behandlung der Gonorrhöe, die heute nach den neuesten medizinischen Möglichkeiten nur ein bis drei Tage erfordert. Zur Behebung der körperlichen Schäden durch eine rasche Behandlung der Erkrankten und zum Schutz der Gesunden gilt es aber nicht nur, die Infektionsquellen zu erfassen, sondern sich auch mit den seelischen und sozialen Nöten zu bschäftigen, die heute ebenso den Nährboden für Geschlechtskrankheiten bilden, wie schon dargestellt worden ist. Das Gesetz muß deshalb auch die soziale und Gefährdetenfürsorge neben der Gesundheitsfürsorge als eine wichtige Aufgabe zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sehen.
Der Wunsch der Fürsorge ist es deshalb immer gewesen, die Befugnisse des Gesundheitsamtes zu erweitern und auszubauen, um eine starke fürsorgerische und sozialpädagogische Erfassung der Geschlechtskranken, insbesondere der Minderjährigen, zu ermöglichen. Dieser Gedanke scheint mir im Gesetz nicht genügend berücksichtigt zu sein.
Im Gegensatz zu Frau Kollegin Dr. St einbi ß bin ich der Meinung, daß sogar die Ansatzpunkte einer fürsorgerischen Erfassung von den Gesunheitsämtern auf den Arzt verlagert worden sind, und zwar in einer Weise, aus der es mir unmöglich erscheint, daß der Arzt die im Gesetz vorgesehenen Befugnisse wahrnehmen kann. Den Ärzten werden im Gesetz sehr weitgehende Aufgaben nicht nur hinsichtlich der Heilung, sondern auch bezüglich der seelischen und fürsorgerischen Betreuung zugewiesen.
Manche dieser in den §§ 11 und 12 angeführten Aufgaben des Arztes sollten, so scheint mir, besser dem Gesundheitsamt übertragen werden, vor allem bei Minderjährigen. Es ist für den Arzt sehr schwer, die Lebensweise oder die allgemeinen Lebensumstände der Erkrankten festzustellen, die häufig durch ihren Lebenswandel — den Gesundheitsämtern und Fürsorgestellen ohne weiteres bekannt sind. Ich halte diese Aufgabe mit dem Wesen des Arztberufes auch wenig vereinbar.
Die Eltern oder Erziehungsberechtigten eines Minderjährigen aufzuklären, sollte ebenfalls Aufgabe des Gesundheitsamtes bleiben, denn die ärztliche Aufklärung allein nutzt wenig, wenn nicht die nachgehende Fürsorge hinzukommt.
Wer die heutige Praxis der Ärzte und andererseits die Arbeit in der Gefährdetenfürsorge kennt, weiß, daß der Arzt, wenn er diese Arbeit gewissenhaft durchführen will, dann eine Fürsorgerin einstellen muß. Deshalb scheint es mir auch im Interesse der Geschlechtskranken sinnvoller zu sein, diese Aufgabe von den Stellen ausführen zu lassen, die die besseren Voraussetzungen dafür haben, nämlich von den Gesundheitsämtern. Diese haben nach § 14 auch die Aufgabe, in Verbindung mit den Jugendämtern, Fürsorgeverbänden und der freien Wohlfahrtspflege die soziale und erzieherische Betreuung der Gefährdeten zu übernehmen, um sie in das Arbeits- und Gemeinschaftsleben wieder einzugliedern.
Damit sie ihre Aufgaben gut durchführen können, sollten diese Organe auch hinsichtlich der in § 15 vorgesehenen Maßnahmen in ihrem Aufgabenbereich festgelegt werden. Es scheint mir dabei richtiger und zweckmäßiger zu sein, die in § 15 vorgesehenen geeigneten Maßnahmen der Gesundheitsämter in großen Zügen im Gesetz zu nennen oder vom Bundesinnenministerium festzulegen, um eine einheitliche Erfassung der Geschlechtskranken und eine gute fürsorgerische Betreuung zu erreichen.
Damit neben den gesundheitlichen auch die fürsorgerischen Aufgaben zum Besten der Geschlechtskranken im Gesetz entsprechend berücksichtigt werden, stelle ich den Antrag, den vorliegenden Gesetzentwurf außer an den Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens auch an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge zu überweisen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Herr Minister hat bei der Einbringung des Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten mit Recht darauf hingewiesen, wie groß die Schwierigkeiten und wie vielgestaltig die Probleme sind, die dieses große gesundheitspolitische Gesetz beinhaltet. Das gilt nicht nur für das Gesetz. sondern auch für die Diskussion hier im Plenum. Ich bin der Auffassung, daß sogar die Zeit nach den Trümmerhaufen des letzten Krieges noch kaum gekommen ist, um in der richtigen Atmosphäre die großen — auch ethischen — Nöte, die mit der Lösung dieser Gesundheitsprobleme zusammenhängen, jetzt schon richtig anzupacken. Trotzdem begrüßt auch meine Fraktion diesen Versuch, zu einer bundeseinheitlichen Lösung der Probleme zu kommen, und zwar vor allen Dingen deshalb, um die Polizeigesetze der einzelnen Länder und der Besatzungsmacht abzulösen. Wir wissen aber, daß erst die Wiederherstellung von Gesundheit und Ordnung, die Schaffung von Wohnungen und echten Heimaten sowie eine wahrhafte Jugendhilfe dazu beitragen werden, mit der Seßhaftmachung auch wieder Wege echter fürsorgerischer Arbeit für die Lösung dieser schweren Gesundheitsprobleme zu finden.
Dieses Gesetz sollte besser nicht durch Vorlesungen der Ärzte hier im Plenum, sondern durch eine verantwortungsbewußte Arbeit in den Ausschüssen bis ins einzelne sehr gründlich diskutiert werden. Wir wollen deshalb auch nicht zu den einzelnen Punkten hier Stellung nehmen. sondern ich möchte namens meiner politischen Freunde, der Fraktion der Deutschen Partei, nur erklären, daß wir eine Gesundheitspolitik und damit auch eine Gesetzgebung zu diesem Problem wünschen, die von jedem staatlichen Zwang frei ist, die den Arzt nicht zum Staatsanwalt oder zum bezahlten Kriminalbeamten macht, die vielmehr dafür sorgt, daß Arzt und Fürsorger mit helfenden und heilenden Händen eingreifen, damit die nötige Fürsorge- und Frziehungsaufgabe so gelöst wird, daß in der Ausschußarbeit dieses Gesetz eine Veränderung erfährt, eine Veränderung im Sinne einer echten Synthese zwischen der zwar notwendigen staatlichen Maßnahme der Seuchenbekämpfung und der
echten erzieherischen Fürsorge- und sozialhyienischen Aufgabe, die dieses Gesetz zu erfüllen hat!
Die Probleme der §§ 9 und 17 sind hier schon angedeutet worden. Sie werden uns im Ausschuß noch mancherlei schwierige Diskussionen bringen. Ich möchte auch nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß auch die Frage der Kostenträger und der Kostenerstattung durchaus nicht vollkommen und nicht eindeutig gelöst ist.
Was die Vorlesung des Sprechers der SPD angeht, so werde ich persönlich — und sicher viele Kollegen in diesem Hause — mich gern der Auffassung über die demokratischen Freiheiten und die Grenzen der staatlichen Aufgabenstellung erinnern, wenn es einmal auch bei anderen sozialpolitischen Problemen — nicht nur bei diesem Gesetz — um diese Fragestellung gehen wird.
Wir werden im Ausschuß in aller Verantwortung an diesem Gesetz mitarbeiten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.
Meine Damen und Herren! Der Kollege Bärsch hat schon mit dem Rotstift an dem Gesetz gearbeitet. Ich werde mir nur noch erlauben, drei Federstriche am Rande anzubringen; mehr würden die Arbeit ungenügend erscheinen lassen. Die Geschäftsordnung zwingt uns aber, jedes von der Regierung vorgelegte Gesetz dem Ausschuß zu überweisen. Das Gesetz von 1927 war ein vorzügliches Gesetz.
Das ist nicht richtig, Herr Abgeordneter.
Wir können das Gesetz nach der Geschäftsordnung in erster Lesung nicht ablehnen, Herr Kollege Mellies!
Sie brauchen es aber nicht zu überweisen, Herr Abgeordneter.
Wir könnten es sofort in zweiter und dritter Lesung behandeln, aber das ist nicht geplant.
Meine Damen und Herren, das alte Gesetz von 1927 war ein vorzügliches Gesetz. Ein derartiges Gesetz ist dann leistungsfähig, wenn es den Kranken so schnell wie möglich zum Arzt bringt. Zur Verstopfung der Infektionsquelle gehört, daß schnell und rasch behandelt wird, ehe weitere Ansteckungen erfolgen. Ein Gesetz, das diesen Weg versperrt, ist ein schlechtes Gesetz. Es gibt ein Beispiel dafür, daß man das erstrebte Ziel mittels Strafandrohung nicht erreichen kann. Es gab einmal einen sehr ehrenwerten Divisionskommandeur, der wollte sich auch an der löblichen Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten beteiligen. Er gab einen Divisionsbefehl heraus, daß jeder mit zehn Tagen geschärften Arrest zu bestrafen sei, der den Beischlaf ausübe. Meine Damen *und Herren, die Folgen dieser Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten waren katastrophal. Der Infizierte riskierte nach der Krankmeldung die Eintragung in das Truppenkrankenbuch und dann die zehn Tage „Dicken". Ehe er das auf sich nahm, versuchte er mit Hufsalbe und Lanolin sein Gebresten zu heilen, bis seine Erkrankung unheilbar geworden war und er weitere Ansteckungen zustande gebracht hatte.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, einmal in das Gesetz hineinzusehen. Sie finden dort so etwas ähnliches wie diesen Divisionsbefehl. Er stammt nicht von der Bundesregierung. Das Bundesministerium des Innern hat aber vergessen, eine typisch nationalsozialistische Bestimmung, die in dieses Gesetz — ich glaube im Jahre 1941 — eingefügt worden war, wieder auszurotten. Nehmen Sie den § 6. Da steht unter anderem — ich ziehe zusammen wegen meiner acht Minuten Redezeit —:
Wer geschlechtskrank ist oder zu irgendeiner Zeit geschlechtskrank war, ist verpflichtet, sich unmittelbar vor Bestellung des Aufgebots zur Eheschließung ... untersuchen zu lassen ...
Wer gegen diese Vorschriften ... verstößt, ... wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren .. . bestraft.
Und dann kommt der entscheidende Absatz 4:
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.
Hier endete im alten Gesetz der Paragraph. Das war also ein Antragsdelikt. Nur der Geschädigte, der Infizierte, hatte das Recht, von der Möglichkeit der Klage Gebrauch zu machen. Nun hat die nationalsozialistische Regierung folgenden Satz eingefügt: „Den Antrag kann auch das Gesundheitsamt stellen". Das bedeutet, daß jeder Geschlechtskranke gezwungen werden kann, in der Öffentlichkeit als Zeuge aufzutreten, denn als ' Zeuge kommt er auf alle Fälle in jenes Verfahren hinein, das das Gesundheitsamt veranlaßt. Damit ist das zu respektierende Einzelschicksal der Öffentlichkeit preisgegeben.
Man höre doch auf, bei der Behandlung der Geschlechtskrankheiten zu moralisieren und mit irgendwelchen Hintergedanken zu sagen, daß das eine Lustseuche, eine Strafe Gottes sei. Ich denke nicht daran, mich hier verleiten zu lassen, zu diskutieren, ob etwa der außereheliche Beischlaf eine läßliche oder eine Todsünde sei. Das ist nicht meine Sache. Ich habe als Sozialhygieniker nur ganz nüchtern und wertfrei festzustellen: entgegen unseren Sittengesetzen ist der außereheliche Beischlaf im Volke sehr beliebt. Das Delikt und auch die Infektion ist so häufig, daß wir von der nüchternen Tatsache auszugehen haben, daß Hunderttausende solche Fälle dauernd in die Problematik dieses Gesetzes hineinführen. Die Schuld des Kranken ist seine private Schuld, und wir haben sie nicht dadurch zu vergrößern, daß wir sie ohne Not in die Öffentlichkeit hineinbringen lassen. Wir haben die Pflicht, das Beicht- und Berufsgeheimnis zu respektieren. Unterlassen wir diese Pflicht, dann hindern wir die Kranken am Aufsuchen des Arztes. Dieser Paragraph aus der nationalsozialistischen Zeit steht noch in dem Gesetzentwurf, den der Herr Minister vorhin sehr wohlwollend liberal genannt hat. Ich kann mich seiner Beurteilung nicht anschließen.
Der Herr Minister hat gesagt, daß die Ärzteschaft mit dem Gesetz bis auf einige Punkte zufrieden sei. Diese Punkte sind aber entscheidend. Das alte Gesetz war deshalb so gut, weil es auf einer Zusammenarbeit zwischen der Gesundheitsbehörde
und der Ärzteschaft basierte, auf der alten Tradition des gemeinsamen Entschlusses, der gemeinsamen Beratung. Der heutige Gesetzentwurf kennt in § 17 gegen Verstöße der Ärzte merkwürdigerweise ein sogenanntes Zwangsgeld. Ja, meine Damen und Herren, der Mann, der den Entwurf geschaffen hat, hat sogar vergessen, daß es in der Bundesrepublik ein Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gibt. Was stellt man sich unter einer segensreichen Zusammenarbeit zwischen Arzt und Gesundheitsbeamten vor, wenn der eine das Recht hat, über den andern ein Zwangsgeld zu verhängen?! Allein daran würde die Durchführung dieses Gesetzes scheitern.
In dem Gesetz stehen aber noch ganz tolle Dinge. Darf ich Sie bitten, den § 5 Abs. 2 aufzuschlagen. Darin steht:
Die Landesregierung kann anordnen, daß bestimmte Personengruppen, insbesondere solche, deren Beruf eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sie und für andere mit sich bringt, auf syphilitische Serumreaktionen ihres Blutes zu untersuchen sind. Die Kosten werden aus öffentlichen Mitteln getragen.
In § 17 Abs. 2 steht, daß diese Personen zwangsvorgeführt werden können. Nun bitte ich einmal zu überlegen: Wer ist denn eine gefährdete Personengruppe? — Wir! Krankenpflegepersonal, Krankenschwestern, Hebammen, Ärzte. Jeder Amtsarzt, der auf die Idee kommt, daß wir im Augenblick gefährdet seien, kann uns mit Gewalt vorführen lassen, heute die Chirurgen einer Großstadt
— Frau Kollegin Steinbiß, hier steht es, Sie haben das überlesen —,
morgen die Hebammen, übermorgen einen Orden der Vinzentinerinnen, der auf einer chirurgischen Abteilung arbeitet, nacheinander, Hand in Hand, vom Polizeisergeanten vorführen lassen auf das Kreisgesundheitsamt! Und das nennt man ein liberales Gesetz, meine Damen und Herren, ein liberales Gesetz, auf einen Kollektivverdacht hin einem Beamten das Recht in die Hand zu geben, polizeilich ganze Gruppen vorzuführen; ein liberales Gesetz?!
Nun, man wird diesen Gesetzentwurf in Ordnung bringen müssen.
Herr Minister, darf ich vielleicht eine Empfehlung aussprechen. Derartige Pannen in der Gesetzgebung würden nicht passieren, wenn man nach der Gewohnheit vieler deutscher Bundes- und Landesministerien mit den zur Zeit verantwortlichen Koalitionsparteien vor der Herausgabe eines Gesetzentwurfs ein planendes Gespräch unter Ihrem Vorsitz, Herr Minister, und in Anwesenheit der Referenten führte. Damit könnte man einmal derartige Dinge verhindern, zum andern hätte man auch jene Panne verhüten können, die auf dem deutschen Chirurgenkongreß in München eingetreten ist und die eine Blamage Deutschlands in der Welt bedeutet hat. Vor dieser bedeutenden wissenschaftlichen Gesellschaft und in Gegenwart Hunderter namhafter Wissenschaftler von Kapstadt bis Singapur mußte es uns passieren, daß mit einem Protestakt, einem turbulenten Protestakt gegen das Blutspendegesetz Ihres Hauses von der deutschen Ärzteschaft protestiert wurde. Das hätte man im
Interesse des Ansehens der deutschen Gesundheitspolitik und dieser freiheitlichen Republik bei Anwendung einer anderen Arbeitsmethode verhindern können.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen des Herrn Vertreters des Bundesrats nötigen mich doch zu einer Erklärung.
Der Herr Vertreter des Bundesrats hat aus den Verhandlungen über die Verabschiedung des Gesetzes zitiert, daß man es nur der weisen Mäßigung seines Präsidenten zuzuschreiben habe, wenn eben nur in der Form, wie geschehen, verfahren worden ist. Nun, meine Damen und Herren, der Herr Vertreter des Bundesrats verdankt es auch der weisen Mäßigung der Bundesregierung, daß ich mich bei der Begründung der Gesetzesvorlage über die Rechtsfrage zwischen Bundesrat und Bundestag und Bundesregierung so ausgedrückt habe, wie es geschehen ist.
Ich darf aber hier doch einmal eindeutig klarstellen, daß das Recht aus Art. 76 den Bundesrat lediglich berechtigt, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Tut er das nicht, so begibt er sich seines Rechts. Nimmt er aber keine Stellung, sondern gibt das Material, das in seinen Ausschußberatungen entstanden ist, der Bundesregierung mit der Auflage, nun eine neue Vorlage zu bringen, so überschreitet er eindeutig die Befugnisse, die ihm die Verfassung gibt. Ich muß das schon aus dem Grunde erwähnen, weil hier nicht nur die Rechte der Regierung, sondern auch die des Hohen Hauses verletzt werden; denn damit ist die Möglichkeit geschaffen, die Frist von drei Wochen willkürlich zu verlängern, und damit ist die Möglichkeit gegeben, der Bundesregierung den Weg zum Bundestag zu versperren. In Wahrung der Rechte der Bundesregierung weise ich deshalb die Rechtsauffassung, die hier vertreten ist, als irrig zurück.
Herr Dr. Becker, wünschen Sie, noch das Wort zu nehmen? Die Redezeit Ihrer Fraktion war verbraucht. Wünscht der Bundestag, nach dieser Erklärung, die ja mit dem Gesetz nichts zu tun hat, sondern nur die verfassungsrechtliche Frage behandelt, die Besprechung noch einmal zu eröffnen?
Zur Geschäftsordnung hat das Wort Herr Dr. Becker.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Geschäftsordnung bestimmt meines Erachtens zweifelsfrei, daß, wenn die Regierung am Schluß der Debatte das Wort ergriffen hat, die Debatte wieder eröffnet ist. Ob die Regierung 4u der Materie des Gesetzes gesprochen oder eine damit in Verbindung stehende staatsrechtliche Frage erörtert hat. ist für die Anwendung dieser Bestimmung der Geschäftsordnung
meiner Ansicht nach gleichgültig. Ich halte also meine Wortmeldung aufrecht.
Meine Damen und Herren, es scheint mir das Verfahren abzukürzen, wenn wir die Inanspruchnahme von einem Viertel der Redezeit, d. h. insgesamt für alle Fraktionen 15 Minuten, konzedieren und nicht lange Geschäftsordnungsdebatten darüber führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker. Auf Sie, Herr Dr. Becker, entfallen 2 Minuten.
Ich schließe mich — und ich glaube, ich darf im Namen aller Abgeordneten dieses Hauses sprechen — dem Protest des Herrn Ministers gegenüber der Auffassung des Vertreters des Bundesrats an. Der Bundesrat hat nicht mehr Rechte, als ihm in der Verfassung konzediert sind. Der Bundesrat ist lediglich ein Oberhaus. Als wir im Parlamentarischen Rat diesen Bundesrat schufen, lag die Entscheidung bei uns, bei den Freien Demokraten. Es stand zur Frage, ob Bundesrat oder Senat; und es stand zur Frage, ob Vetorecht oder Mitbestimmungsrecht. Wir haben erklärt: Senat mit Mitbestimmung, Bundesrat nur mit Veto. Infolgedessen hat der Bundesrat nur ein Veto, abgesehen von dem Fall der später durch ein Kompromiß hinzugefügten Finanzgesetze, wo er das Zustimmungsrecht hat. Hat er also nur das Veto, dann kann er nicht auf dem Umweg über Art. 76 des Grundgesetzes, indem er der Bundesregierung die Zensur gibt: Die Gesetzesvorlage war schlecht, ich gebe sie dir deshalb zurück, sich den Weg zu einer Ablehnung des Gesetzes verschaffen. Er kann die Note „Ungenügend" schreiben, aber er kann niemals sagen: Der Schüler hat seine Aufgabe nochmal zu machen. Deshalb protestieren wir dagegen. In diesem Verfahren liegt eine Anmaßung von Rechten, die mit dem Wortlaut, dem Sinn und der von mir geschilderten Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes in Widerspruch steht.
Das parlamentarische Kontrollrecht über die Regierung steht nur diesem Hohen Hause und nicht dem Bundesrat zu.
— Deshalb spreche ich ja, Herr Kollege Mellies. Wir Freien Demokraten sind uns schon dessen bewußt.
Wenn im übrigen hier gesagt worden ist, daß es nur der weisen Mäßigung des Bundesrates zu verdanken sei, daß die Zensur nicht noch schlimmer ausgefallen sei, dann begnüge ich mich für heute damit, diese Bemerkung niedriger zu hängen.
Ich habe nicht den Eindruck, daß weitere Redner die weiteren 13 Minuten der Redezeit in Anspruch nehmen wollen.
Der Vertreter des Bundesrats, Herr Senator Klein, wünscht, das Wort zu nehmen.
Dr. Klein, Senator von Berlin: Meine Damen und Herren! Die Einwendungen des Bundesrats gehen nicht dahin, daß die Bundesregierung nicht berechtigt sei, die Vorlage an den Bundestag zu geben und ihre Auffassung darzulegen. Die Einwendungen des Bundesrats gehen vielmehr dahin, es sei nicht richtig, daß der Bundesrat keine Stellung genommen habe. Der Bundesrat hat Stellung genommen, und zwar im Rahmen der Verfassung. Er hat gesagt, die Bundesregierung möge dieses Gesetz neu bearbeiten. Die Bundesregierung braucht das nicht zu tun. Die Bundesregierung kann ihre Stellungnahme zu dieser ablehnenden Haltung des Bundesrats darlegen. Aber was der Bundesrat getan hat, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Damit scheint die Debatte wieder abgeschlossen zu sein. Ich schließe die Besprechung.
Erstens ist die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen als federführenden Ausschuß beantragt worden. Das dürfte die geschlossene Meinung des Hauses sein.
Frau Abgeordnete Wessel hat die Überweisung an den Ausschuß für öffentliche Fürsorge beantragt. — Herr Abgeordneter Dr. Hammer, wünschen Sie, zu der Ausschußüberweisung zu sprechen?
— Die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen ist erfolgt. Ich darf die Damen und Herren, die für die Überweisung an den Ausschuß für öffentliche Fürsorge sind, bitten, die Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erstere war die Mehrheit; die Überweisung an diesen Ausschuß als mitberatenden Ausschuß ist erfolgt.
— Ich habe mir bereits wiederholt gestattet, darauf hinzuweisen, daß die Überweisung an den Ausschuß für Gesundheitswesen als federführenden Ausschuß gebilligt worden und erfolgt ist. An den Ausschuß für öffentliche Fürsorge ist die Vorlage zur Mitberatung überwiesen worden.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens (Nr. 3259 der Drucksachen).
Berichterstatterin ist Frau Abgeordnete Dr. Steinbiß.
Meine Damen und Herren, darf ich vor dieser Berichterstattung die Frage stellen: Wie wünschen Sie den Abend weiter zu gestalten?
Also zunächst hat Frau Abgeordnete Steinbiß das Wort. Ich werde dann auf die Frage der Gestaltung des Abends zurückkommen und bitte, sich darüber zweckdienliche Gedanken zu machen.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens hat zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln Stellung genommen und legt Ihnen den Gesetzentwurf in leicht veränderter Fassung zur Beschlußfassung vor. Es ist die Drucksache Nr. 2818.
Aus kriegsbedingten Gründen wurden in den Jahren 1939 und 1941 verschiedene Arzneien und Arzneistoffe durch Polizeiverordnung rezeptpflichtig gemacht. Es handelte sich in der Hauptsache um Leberpräparate und um Jodverbindungen, ferner um weibliche Geschlechtshormone. Durch die Rezeptpflicht wollte man vor allem eine Einschränkung des Verbrauchs erreichen, weil die Rohstoffe zur Herstellung der Arzneien nur oder fast nur aus dem Ausland zu bekommen waren. Bei den Hormonpräparaten führte noch der Gesichtspunkt zur Rezeptpflicht, daß man aus bevölkerungspolitischen Gründen eine Verhütung oder eine Unterbrechung von Schwangerschaften durch diese Mittel unterbinden und erschweren wollte.
Es wird Ihnen, meine Herren und Damen, verständlich sein, daß wir heute Ausnahmebestimmungen auf gesundheitlichem Gebiete nicht mehr wollen, wo sie nicht unbedingt nötig sind. Der Gesundheitspolitische Ausschuß hat darum dem Grundgedanken des Gesetzes einstimmig zugestimmt. Die Beschränkungen der Abgabe von Leberpräparaten und der Herstellung von Jodverbindungen fallen vollkommen fort; beide Stoffe sind in ihren Arzneien in den Apotheken frei erhältlich. Hierauf bezieht sich der erste Abschnitt des § 1. Die Nummer 2 des § 1 im ursprünglichen Gesetzentwurf wird vom Ausschuß dahingehend eingeschränkt, daß nur Chinin freigegeben wird und damit auch frei verkäuflich ist. Wir haben einen neuen Paragraphen eingeführt, der als § 1 a in der Ihnen vorliegenden Drucksache erscheint. Es ist darin die Rede von den weiblichen Geschlechtshormonen. Der Paragraph besagt, daß die weiblichen Geschlechtshormone soweit freigegeben werden sollen, als sie einmal zur Herstellung von kosmetischen Mitteln und zum anderen zur Zubereitung von Geflügelfutter verwandt werden. Anderweitige Verwendung von weiblichen Geschlechtshormonen möchte der Ausschuß rezeptpflichtig halten. Wenn wir auch im Ausschuß der Ansicht waren, daß weibliche Geschlechtshormone nicht zur Abtreibung geeignet sind, so glaubten wir doch dem Bedenken des Bundesrats zustimmen zu sollen, der aus gesundheitlichen Rücksichten und gesundheitspolitischen Erwägungen die weiblichen Geschlechtshormone soweit unter Rezepturpflicht halten will, als sie nicht für die obengenannten Ausnahmen Verwendung finden. Der Ausschuß hält die Anfertigung eines Rezepts für Sexualhormone nicht für so erschwerend für den Patienten, als daß er nicht jedem, wenn auch schwach begründeten gesundheitspolitischen Bedenken Rechnung tragen möchte.
Der Ausschuß hat die Ihnen vorliegende Drucksache einstimmig angenommen, und ich möchte das Hohe Haus bitten, dem Gesetz in dieser Form seine Zustimmung zu geben.
Ich habe nun noch den Antrag anzufügen — und ich hoffe, Sie geben mir auch dazu Ihre Zustimmung —, daß ein § 2 a eingefügt wird, der die Berlin-Klausel in der uns bekannten Form bringt, d. h.:
Dieses Gesetz gilt auch im Lande Berlin, sobald es gemäß Art. 87 Abs. 2 seiner Verfassung die Anwendung dieses Gesetzes beschlossen hat.
Ich bitte das Hohe Haus um Zustimmung.
Meine Damen und Herren, ich rufe zur Einzelbesprechung § 1 auf. Darf ich die Mitglieder des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens bitten, sich freundlichst zu erinnern, ob die Polizeiverordnung vom 13. März 1941 wirklich einen § 1 a gehabt hat. Es ist nämlich eine Frage, ob das hier nicht irrtümlich gedruckt ist. — Falls hier ein sachlicher Irrtum vorliegt, meine Damen und Herren, sind Sie einverstanden, daß das berichtigt wird, damit es mit dem wirklichen Sachverhalt bezüglich des Inhalts der Polizeiverordnung in Übereinstimmung gebracht wird. Dann brauche ich im Augenblick nicht darauf zurückzukommen.
Zu § 1 keine Wortmeldungen, zu § 1 a und § 2 ebenfalls nicht. —
Zu § 1: Der Text ist richtig! —
Zu Einleitung und Überschrift ebenfalls keine Wortmeldungen.
Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 1, 1 a, 2, der Einleitung und Überschrift des Gesetzes zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; das ist angenommen.
Eine Einzelbesprechung in der
dritten Beratung
entfällt, eine Gesamtbesprechung ebenfalls nach Vorschlag des Ältestenrats.
Ich komme zur Schlußabstimmung über das Gesetz über die Aufhebung einiger Polizeiverordnungen auf dem Gebiet des Verkehrs mit Arzneimitteln. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. — Das ist einstimmig; damit ist das Gesetz in der Schlußabstimmung angenommen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit die Punkte 6, 7 und 8 auf morgen zu vertagen und freundlichst damit einverstanden zu sein, daß die
Wahl der Vertreter und Stellvertreter der
Bundesrepublik Deutschland zur Beratenden Versammlung des Europarats
entsprechend dem Ihnen vorliegenden interfraktionellen Antrag Drucksache Nr. 3311 jetzt noch vorgenommen wird, da die Angelegenheit eilt. Ich bitte die Damen und Herren, die dem gemeinsamen Antrage der Fraktionen zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Gegen wenige Stimmen angenommen.
Ich darf die Herren Abgeordneten Dr. Reismann, Dr. Ott, Dr. Decker und Genossen fragen, ob sie
der Auffassung sind, daß der Antrag Drucksache Nr. 2940 sich damit erledigt hat.
— Herr Dr. Decker ist dieser Meinung.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ,
und bitte die Damen und Herren, die der Überweisung dieses Sammelantrages zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. — Das ist die Mehrheit; das ist angenommen.
Damit sind wir am Schluß der Sitzung. Wir sehen vor, daß wir die Punkte 6, 7 und 8 der heutigen Tagesordnung zu Beginn der morgigen Tagesordnung
nach der Fragestunde vornehmen. Ich berufe die 206. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 24. April, 13 Uhr 30, und schließe die 205. Sitzung.