Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege von Merkatz hat hier sein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß die sozialdemokratische Fraktion durch ihren Antrag diese Aussprache vor dem Plenum des Bundestags ausgelöst hat. Ich kann dieses Bedauern nicht teilen und verstehe es nicht. Wir haben uns heute mit einem Gebiet Deutschlands und einem Teil des deutschen Volkes beschäftigt, das unter den derzeit gegebenen Verhältnissen in seiner Heimat nicht die Möglichkeit hat, in eigener Sache frei zu sprechen. Ich glaube, es ist eine der ersten Aufgaben des Deutschen Bundestags, der hier im Namen des ganzen deutschen Volkes spricht, gerade für diesen Teil des deutschen Volkes die Sache der Freiheit und der Demokratie zu vertreten.
Die Aussprache und insbesondere die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers haben im übrigen ja wohl zur Genüge bewiesen, wie sachlich notwendig diese Aussprache war. Es mag sein, daß sie für die Mitglieder der Regierungskoalition heute besonders peinlich war.
Das bedauern wir. Aber solche Peinlichkeiten können sie sich ersparen, wenn sie eine bessere Politik treiben.
Denn, meine Damen und Herren, die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers in der Sache selbst ist absolut unbefriedigend.
Es gab nur noch ein unbefriedigenderes Ereignis
in dieser Diskussion; das war die Erklärung des
Sprechers der größten Fraktion des Bundestags,
daß sie auch mit dieser unbefriedigenden Erklärung des Herrn Bundeskanzlers völlig befriedigt sei.
Um was geht es hier, meine Damen und Herren? Wir haben die Aussprache nicht mutwillig vom Zaun gebrochen, sondern haben sie herbeigeführt, weil wir seit fast zwei Jahren gerade in bezug auf die Saarpolitik der Bundesregierung immer wieder erlebt haben, daß wir hier mit Versprechungen auf eine baldige, friedliche und für Deutschland akzeptable Lösung vertröstet worden sind und daß fast immer unmittelbar nach solchen Erklärungen des Herrn Budeskanzlers genau das Gegenteil eingetreten ist.
Ich darf Sie daran erinnern, daß wir hier vor anderthalb Jahren eine Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehabt haben, die Saarfrage werde bald im deutschen Sinne gelöst werden.
Wir haben eine zweite Erklärung des Herrn Bundeskanzlers gehabt, als wir hier über den Schumanplan beraten haben. Damals hat der Herr Bundeskanzler der Auffassung Ausdruck gegeben, daß das Inkrafttreten, daß die Annahme des Schumanplans durch die deutsche Bundesrepublik das Saarproblem sozusagen von selbst auflösen wird. Wir haben dann erlebt, daß sich der Herr Bundeskanzler mit besonderem Nachdruck und wiederholt auf den Briefwechsel zwischen ihm und dem Herrn französischen Außenminister vom 18. April 1951 berufen hat. Heute wissen wir, daß die beiden Briefschreiber in der Ausdeutung dieses Briefwechsels grundverschiedener Meinung sind.
Wir haben nach der Konferenz in London und in Paris am Ende des vorigen Jahres in der Öffentlichkeit — zwar nicht im Parlament, aber in der Öffentlichkeit — die Auffassung vertreten und von der Regierung unterstützt gesehen, daß die Besprechungen in London und Paris zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister Schuman endlich einen ernsthaften Versuch in Gang setzen, die Saarfrage einer befriedigenden Lösung näherzubringen.
Nun, meine Damen und Herren, das war vor drei Monaten! Heute hat sich der Herr Bundeskanzler zum erstenmal vor dem Parlament über diese Unterhaltungen geäußert. Sie müssen mir doch zugeben, daß die Informationen, die wir heute über das Resultat dieser Unterhaltungen bekommen haben, einfach deprimierend sind.
Bemerkenswert ist dabei außerdem, daß wir über den tatsächlichen Inhalt des Briefwechsels zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Herrn Außenminister, insbesondere auch über den Brief des Herrn Außenministers Schuman, der gestern in Bonn eingetroffen ist, nichts anderes wissen, als was uns in den dürftigen Angaben, die der Herr Bundeskanzler heute dem Parlament gemacht hat, gesagt worden ist. Ich glaube, es wäre ein Gebot der Achtung vor dem Parlament gewesen, wenn wir bei der heutigen Debatte durch die Bundesregierung den vollen Wortlaut dieses Briefwechsels zur Kenntnis bekommen hätten.
Nachdem sich jedesmal herausstellt, wenn der Herr Bundeskanzler und der Herr Außenminister Schuman sich unterhalten und sich Briefe schreiben, daß sie 48 Stunden später völlig entgegengesetzter Meinung über den Inhalt dieser Unterhaltungen oder Briefe sind, ist es schon nützlich, daß wir wissen, was schwarz auf weiß in diesen Briefen in diesem konkreten Fall steht.
Meine Damen und Herren, ein anderer Punkt. Mein Kollege Eichler hat hier in der Aussprache auf einen Tatbestand aufmerksam gemacht, den wir auch nicht so ohne weiteres untergehen lassen möchten, nämlich auf den Tatbestand, daß in der Pariser Sitzung des Ministerkomitees des Europarats das Zusatzprotokoll zu der Konvention über die Menschenrechte unterzeichnet wurde, und hat mit Recht die Frage aufgeworfen: Ist in Paris in dieser Sitzung, an der der Herr Bundeskanzler teilgenommen und in der er die Denkschrift der deutschen Bundesregierung über das Saargebiet zurückgezogen hat, das Zusatzprotokoll zur Konvention über die Menschenrechte auch von Herrn Hoffmann unterzeichnet worden, und hat der Herr Bundeskanzler wenigstens in der Weise, in der es. seinerzeit in Rom durch die Vertreter der deutschen Regierung geschehen ist, gegen diese Art von Anerkennung der Hoffmann-Regierung im Ministerrat protestiert, oder welche Schritte hat er unternommen? Wir möchten das sehr gern wissen, weil wir keinen rein theoretischen oder nutzlosen Streit darüber haben möchten, ob der Herr Bundeskanzler durch sein Verhalten in Paris, zum Beispiel beim Teetrinken mit Herrn Hoffmann, die Regierung Hoffmann de facto anerkannt hat. Wir möchten wissen, ob in diesem Falle, in dieser Institution Herr Hoffmann als vollberechtigtes Mitglied des Ministerrats unterzeichnet hat und wie sich der Vertreter der deutschen Bundesrepublik gegenüber diesem Tatbestand verhalten hat.
Wir sind noch nicht am Ende dieser Diskussion und möchten sie auf konkreten Unterlagen aufbauen. Wir möchten den Herrn Bundeskanzler bitten, uns dafür die nötigen Angaben so konkret als möglich zu machen. Denn, meine Damen und Herren, das bisherige Resultat der Saarpolitik der Bundesregierung seit 1950 ist nach den Erklärungen des Herrn Bundeskanzlers von heute absolut und eindeutig negativ.
Es ist ein völliges Fiasko.
Ich sage das hier, weil wir den Dingen ins Auge sehen müssen.
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erwiderung die Bemerkung gemacht, wir möchten doch auch zugeben, daß man Tatsachen nur sehr langsam und nur unter sehr großen Anstrengungen ändern kann. Einverstanden! Aber, meine Damen und Herren, der Effekt der Saarpolitik der Bundesregierung in den letzten anderthalb Jahren ist, daß auf der anderen Seite die französische Politik unentwegt neue Tatsachen zugunsten der französischen Position an der Saar geschaffen hat.
Die Frage ist, welche Konsequenzen wir aus der nun gegebenen Situation zu ziehen haben; und dazu möchte ich sagen, daß wir auch da von den Vorstellungen, die der Herr Bundeskanzler über seine weitere Politik in dieser Frage entwickelt hat, nicht befriedigt sind. Es ist die Frage, wie es nun nach dem Scheitern der direkten Verhandlungen zwischen Frankreich und Deutschland mit der Denkschrift der Bundesregierung für den Ministerrat des Europarates steht. Nachdem auf einem anderen Wege eine Untersuchung der Zustände an der Saar und eine Demokratisierung der Zustände an der Saar nicht erreicht werden konnten, ist es die Pflicht der Bundesregierung, und zwar unsere Pflicht allein, an d e r Stelle die Zustände an der Saar zur Sprache zu bringen, an der wir nach dem Statut und nach den Grundsätzen des Europarates selbst die Möglichkeit haben, auf die Herbeiführung demokratischer Zustände in einem Gebiet, das ebenfalls dem Europarat angehört, zu drängen. Wir möchten nachdrücklich und sehr ernsthaft an die Regierung appellieren, diesen Schritt so bald und mit so großem Nachdruck als möglich zu unternehmen.
Das zweite: Der Herr Bundeskanzler hat in bezug auf seine weiteren Vorstellungen über die Saarpolitik lediglich in einem Punkt eine konkrete Angabe gemacht. Er hat die These vertreten, daß es an der Saar einen frei gewählten Landtag geben muß. Das ist absolut richtig; es ist eine gemeinsame Forderung, solange wir über diese Frage hier im Bundestag diskutieren. Aber, meine Damen und Herren, mit der Forderung der Bildung eines frei gewählten Landtages an der Saar und der Durchsetzung demokratischer Zustände an der Saar ist der Inhalt der deutschen Politik gegenüber dem Saargebiet in keiner Weise erschöpft. Es kommt nämlich darauf an, daß wir uns auch überlegen müssen, in welcher Form und mit welchen Mitteln und Methoden wir dahin kommen können, daß der unbestreitbare und für uns unaufgebbare Standpunkt des deutschen Volkes, daß die Saar ein Teil Deutschlands ist, trotz aller Schwierigkeiten realisiert wird. Denn wenn wir in dieser Richtung nicht mit aller Eindeutigkeit und aller Ernsthaftigkeit vorgehen, dann laufen wir Gefahr, daß die Politik der fertigen Tatsachen, die die französische Regierung seit 1945 an der Saar betreibt, schließlich einen Zustand schafft, bei dem die deutsche Position bei späteren Friedensverhandlungen ungleich schwieriger ist, als sie sein müßte.
In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Wort nötig. Wir sind davon überzeugt, daß dieses negative Resultat der Saarpolitik der Bundesregierung vermeidbar gewesen wäre, wenn die Außenpolitik der Bundesregierung in den letzten zwei Jahren unter anderen Aspekten geführt worden wäre, als es tatsächlich der Fall ist.
Wir stehen hier nach den Erfahrungen mit dem Schumanplan, wo man uns angekündigt hat, durch den Abschluß des Schumanplan-Vertrages werde das Saarproblem gelöst, vor einem sehr ernsten Tatbestand. Die Annahme des Schumanplan-Vertrages in Frankreich und in Deutschland hat in keiner Weise dazu beigetragen, die Schwierigkeiten in bezug auf die Saarfrage zwischen den beiden Völkern zu lösen oder zu lockern. Im Gegenteil, wir haben gerade in den letzten Monaten eine ständig sich verstärkende Aktivität der französischen Politik an der Saar zur weiteren Untermauerung der französischen Position erlebt.
Wenn das der Preis oder einer der Preise der Politik einer Integration der Bundesrepublik in den Westen sein soll, dann stehen Sie alle vor der Frage, ob wir es vor dem deutschen Volke verant-
worten können, diese Preise von vornherein und à fonds perdu immer wieder zu -zahlen.
Sie haben heute erneut die in der letzten Zeit sehr beliebte Methode Ihrer Auseinandersetzung mit uns angewendet, nicht in der Sache zu diskutieren und Ihren Standpunkt im einzelnen zu vertreten, sondern uns zu fragen: Welche Lösung haben S i e ? Die nach unserer Auffassung vom Standpunkt des deutschen nationalen Interesses einzig mögliche Lösung liegt klar auf der Hand. Ehe die Bundesrepublik einen weiteren Schritt in der Richtung der Integration der Bundesrepublik unternimmt, insbesondere einen so entscheidenden Schritt wie z. B. die Teilnahme an dem europäischen Verteidigungsvertrag, kann sie nach den bisherigen Erfahrungen die Saarfrage nicht offenlassen.
Diese Frage muß zur Diskussion gestellt werden. Denn wenn Sie über diesem offenen Problem nun auch noch das Dach der westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft decken, nachdem schon das Dach des Schumanplans darüber gedeckt wurde, dann werden Sie erleben — und Sie haben die Erfahrungen seit der Unterzeichnung des Schumanplans bis heute —, daß das einzig sichere Resultat die unablässige weitere Schwächung der deutschen Position an der Saar ist.
Sie sagen immer wieder, daß der Abschnitt der europäischen Vertragsvereinbarungen der Abschnitt eines neuen Verhältnisses zwischen den Völkern in Westeuropa sei, nämlich die Periode der Partnerschaft. Dann wollen wir doch zunächst einmal mit dem französischen Verantwortlichen auf der Basis der Partnerschaft über diese Frage reden, ehe wir so weitgehende Verpflichtungen eingehen, die sich aus weiteren Verträgen ergeben. Hier stehen wir in der Tat nach dem bedrückenden Resultat der bisherigen Saarpolitik der Regierung, die auf Gutgläubigkeit und auf Vertröstungen aufgebaut war und die in allen Punkten gescheitert ist, vor der Notwendigkeit, in diesem Augenblick noch einmal klar und eindeutig zu erklären: die Position des Deutschen Bundestages und des deutschen Volkes in der Saarfrage kann nur die sein, daß das Saargebiet ein Teil Deutschlands und die Menschen an der Saar ein Teil des deutschen Volkes sind und daß, wenn wir Deutschland in eine höhere europäische Einheit auf der Basis der Partnerschaft integrieren, diesem neuen Verhältnis eine befriedigende Regelung dieser Frage auf der Grundlage des deutschen Standpunktes vorangehen muß. Denn wie soll nach Ihrer Vorstellung ohne die Schaffung einer solchen Vertrauensbasis eine europäische Gemeinschaft standhalten, wenn sie in eine wirkliche Bedrängnis in der Verteidigung ihrer Existenz kommt? Hier muß gehandelt werden, und zwar so, daß wir uns, und zwar alle Teile des deutschen Volkes, ohne solche Schmerzen und ohne solche Bedrückungen in die Gemeinschaft von freien Völkern einfügen können. Eine solche Entscheidung und eine solche Politik noch einmal zu dokumentieren, das ist der Sinn unseres Antrages, um dessen Annahme ich noch einmal bitten möchte.