Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz zur Bekämpung der Geschlechtskrankheiten, das ich heute im Bundestag einbringe, beschäftigt sich mit einer Materie, welche in die tiefsten menschlichen Beziehungen hineingreift. Sind Gesundheit und Krankheit an sich schon ein schwieriges Kapitel für die Gesetzgebung, so sind die Beziehungen der Geschlechter zueinander noch weniger für gesetzgeberische Eingriffe geeignet. Diese persönliche, menschliche Beziehung ist aber nicht nur eine Angelegenheit zwischen Mann und Frau, sondern sie wird wesentlich geformt und getragen durch die Struktur unserer Gesellschaft. Die Erschütterungen unseres Volkes durch den Krieg und durch die Wanderung sowie die Wandlung überlieferter sittlicher Begriffe haben zu Not und Unglück auch in diesen persönlichen Beziehungen geführt. Es besteht also eine Pflicht des Staates, sich mit den Fragen des Geschlechtslebens und der dadurch verbreiteten Krankheiten insoweit zu beschäftigen, als sie durch die soziale Lage hervorgerufen sind und für andere Menschen entstehen. Selbstverständlich ist es nicht leicht, einen so schwierigen menschlichen Tatbestand durch ein Gesetz erfolgreich zu regeln. Der Arzt und der Fürsorger gehen an eine solche Aufgabe von anderen Gesichtspunkten heran als der Jurist. Individuelles Eingehen auf die besondere Lage der Hilfesuchenden ist eine erste Pflicht des ärztlichen Helfers. Der Gesetzgeber muß sich demgegenüber an allgemeine Tatbestände und festgelegte Merkmale halten, um zu einer klaren Entscheidung zu kommen.
Das bisher bestehende Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von 1927 ist nach einer siebenjährigen Vorbereitungszeit entstanden. Es hat aber die eben von mir angedeuteten Schwierigkeiten auch nicht vollständig gemeistert, trotz der sieben Jahre Vorbereitungszeit, und es hat in den Katastrophenjahren von 1945 und folgenden versagt. An die Stelle seiner liberalen Bestimmungen sind scharfe Maßnahmen der Besatzungsbehörden mit harten Eingriffen auch in die persönliche Freiheit getreten. Diese schroffen Bestimmungen können wir heute nicht mehr aufrechterhalten. Einige Bundesländer haben durch neue Gesetze zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten diese Eingriffe der Besatzungsbehörden ersetzt. Aber auch diese Gesetze konnten nicht bei der Fassung von 1927 stehenbleiben, weil das Gesetz von 1927 nicht nur organisatorisch überholt, sondern in wesentlichen Punkten unzureichend ist.
Nun fordert der Beschluß dieses Hohen Hauses vom 2. Februar 1950 ein neues Gesetz auf der Grundlage des Gesetzes von 1927. Das kann aber nicht so verstanden werden, daß lediglich eine redaktionelle Änderung der Bestimmungen jenes Ge-
setzes erforderlich sei. Unter Beibehaltung der liberalen Grundhaltung müssen alle die Lücken ausgefüllt werden, die die erfolgreiche Anwendung des Gesetzes von 1927 in den Jahren 1945 bis 1948 unmöglich machten. Wir haben in dem vorliegenden Entwurf an der Respektierung der Persönlichkeit des Kranken festgehalten. Verzichtet wurde auf die immer wieder erhobene Forderung einer allgemeinen Meldepflicht sämtlicher Erkrankungen an Geschlechtskrankheiten, und beibehalten wurde das Verbot der Bordelle und jeglicher Reglementierung.
Bei der Bekämpfung einer Infektionskrankheit ist, seit wir Robert Kochs Institut haben, die Feststellung des Erregers, die Isolierung des Kranken und das Aufsuchen der Infektionsquellen das anerkannte Grundprinzip des Verfahrens. Die Besatzungsbehörden hatten versucht, danach zu handeln, und rücksichtslos in die Rechte der Persönlichkeit eingegriffen. Praktisch hat sich das nicht als erfolgreich erwiesen. Auf der anderen Seite berechtigt uns der tatsächliche Rückgang der Geschlechtskrankheiten auf 21,6 Krankmeldungen je 10 000 Einwohner — also eine niedrigere Zahl als 1934 — nicht dazu, den Dingen nun ihren Lauf zu lassen. Die moderne Behandlungsmethode bringt zwar eine rasche Heilung, aber dafür nehmen die wiederholten Infektionen leider zu. Wenn auch die Fülle von Schmutz der Nachkriegszeit rascher beseitigt wurde, als wir zu hoffen wagten, so bleiben doch in den Winkeln Gefahrenquellen, von denen ausgehend ein neuer Einbruch jederzeit erfolgen kann, und diese Herde zu beseitigen, ist eben die Pflicht des Staates.
Ich will es mir versagen, auf einzelne Gesichtspunkte dieses Gesetzes einzugehen. Ihnen, meine Damen und Herren, liegen der Gesetzestext und die Begründung vor. Nur die wichtigsten Probleme möchte ich eben kurz benennen.
Die Verpflichtung eines Kranken, sich behandeln zu lassen, kennt schon das Gesetz von 1927. Damals waren Syphilis und Tripper chronische Erkrankungen. Erfreulicherweise ist das heute nicht mehr der Fall. Wir können also die Pflicht zur Behandlung bis zu dem Zeitpunkt begrenzen, in dem eine Ansteckungsgefahr für andere Menschen nicht mehr besteht.
Die Suche nach der Infektionsquelle war in dem Gesetz von 1927 vernachlässigt. Wir mußten uns deshalb ausführlich damit befassen und standen dabei vor der Frage, durch Einfuhrung einer allgemeinen Meldepflicht die Voraussetzung zu schaffen, daß das Gesundheitsamt diese Infektionsquellenforschung ein für allemal übernimmt. Wir konnten uns aber zu einer solchen umfassenden Meldepflicht nicht entschließen, und so muß der behandelnde Arzt Hilfe leisten, Hilfe leisten bei der Suche nach der Infektionsquelle. Gerade diese Bestimmung, die den auf dem deutschen Ärztetag von 1950 in München ausgesprochenen Wünschen der Ärzteschaft auf Beteiligung an der Fürsorge entspricht, hat eine ganz falsche Deutung erfahren. Der behandelnde Arzt soll wahrhaftig nicht ein Organ oder der Büttel der Polizei werden, sondern er soll sich darauf besinnen, daß seine Aufgabe nicht am Rezept und am Mikroskop endet, daß er die Verpflichtung hat, auch in die tieferen Zusammenhänge einzudringen.
Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten kann nun einmal nicht nur durch Behandlung gelöst werden, sondern es bedarf der Fürsorge für den einzelnen Kranken und für die durch ihn gefährdeten Personen. Das gilt insbesondere von der Fürsorge für Jugendliche. Dieser Fürsorge haben wir einen breiten Raum in der Neufassung des Gesetzes eingeräumt.
Strafen kennt das Gesetz nur für Tatbestände, die die Gesundheit anderer Personen gefährden, also insbesonderer den Geschlechtsverkehr Kranker. Allerdings muß die Möglichkeit bleiben, die Durchführung der Vorschriften notfalls durch Verwaltungsmaßnahmen zu erzwingen. Aber auch die zwangsweise Behandlung der Kranken läßt sich als Ausnahmefall nicht vermeiden; sie war auch schon im Gesetz von 1927 vorgesehen. Die Vorschriften darüber wurden mit Art. 104 des Grundgesetzes in Übereinstimmung gebracht.
Es ist verständlich, daß ein solches Gesetz, das weltanschauliche Fragen berührt, in der Öffentlichkeit starken Widerhall findet und besonders von Ärzten mit Interesse erwartet wird. Nach der sorgfältigen Vorbereitung und der eingehenden Beratung mit Vertretern der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft und den Präsidenten der westdeutschen Ärztekammern, die zu einer vollen Übereinstimmung und Billigung des vorgelegten Entwurfs geführt hatte, hat uns die scharfe öffentliche Ablehnung durch ein Mitglied des Präsidiums der westdeutschen Ärztekammern überrascht. Eine inzwischen erfolgte nochmalige Beratung mit den Vertretern der Ärzteschaft und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft konnte die aufgeworfenen Fragen bis auf wenige Punkte einwandfrei klären.
Die Behandlung des Gesetzentwurfs im Bundesrat bedeutet insofern ein Novum, als der Bundesrat bei diesem Gesetzentwurf erstmalig von einer formalen Stellungnahme zu der Vorlage der Bundesregierung im Sinne des Art. 76 Abs. 2 des Grundgesetzes Abstand genommen hat. Bei den Ausschußberatungen im Bundesrat ist eine ganze Reihe von Änderungsvorschlägen gemacht worden. Über diese hat aber das Plenum des Bundesrates nicht Beschluß gefaßt. Vielmehr hat das Plenum die Bundesregierung aufgefordert, einen neuen Entwurf vorzulegen. Nach reiflicher Überlegung im Kabinett sind wir zu der Überzeugung gekommen, daß ein solches Verlangen über den im Grundgesetz gewollten Sinn des ersten Durchgangs von Gesetzesvorlagen im Bundesrat weit hinausgeht. Das würde u. a. auch dazu führen können, die der Bundesregierung zustehende Gesetzesinitiative einzuschränken, wodurch insbesondere die Gefahr entstehen könnte, daß Gesetzesvorlagen der Bundesregierung nicht mit der notwendigen Beschleunigung an den Bundestag herangebracht werden können. Es wäre aber sachlich nicht zu verantworten gewesen, die bereits allzu lange verzögerte Behandlung dieses Gesetzes im Bundestag erneut hinauszuschieben. Die Ausarbeitung des neuen Entwurfes hätte durch wiederum erforderlich werdende Verhandlungen mit allen beteiligten Stellen die Vorlage um weitere Monate verzögert. Um schließlich den sachlichen Wünschen des Bundesrates Rechnung zu tragen, hat die Regierung die Vorschläge des Bundesratsausschusses für innere Angelegenheiten und die sich teilweise widersprechenden Anträge der Länder dem Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf als Material beigegeben.
Es ist selbstverständlich, daß über bedeutsame Vorschriften einer Gesetzesvorlage, die den Versuch machen muß, sich mit Angelegenheiten der
allerpersönlichsten Lebenssphäre zu befassen, nicht unerhebliche Verschiedenheiten der Anschauungen bestehen. Ich darf namens der Bundesregierung dem Wunsche Ausdruck geben, daß Ihre Beratungen im Ausschuß über die großen Probleme, die dieses Gesetz aufwirft, zu einer allseitig befriedigenden Gestaltung des Gesetzes führen werden. Wir sind uns der Schwierigkeiten dieser großen Probleme durchaus bewußt. Wir haben versucht, sie in dem vorliegenden Entwurf unter voller Würdigung der menschlichen Freiheit und Ehrfurcht vor der Persönlichkeit zu lösen.