Rede von
Dr.
Hans-Joachim
von
Merkatz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte an den Anfang meiner Ausführungen einen Ausdruck des Bedauerns darüber stellen, daß die französische Regierung im Hinblick auf die Saar jetzt in einem Moment, in dem es um Sein und Nichtsein Europas geht, eine Diplomatie entfaltet hat, die man als eine Diplomatie der Steinzeit bezeichnen könnte. Ich möchte das Bedauern aber auch im Hinblick darauf ergänzen, daß die Opposition, indem sie diese Frage stets wieder auf die Tagesordnung dieses Hauses gebracht hat,
eine Politik der Deklamation und des Protestes befürwortet, die ich als eine Diplomatie der Versteinerung bezeichnen möchte. Damit kommen wir, nachdem die übereinstimmende Auffassung über Recht und Methode in dieser Frage hier im Bundestag immer wieder klar unterstrichen worden ist, praktisch nicht weiter. Ich werde etwas an das Sprichwort erinnert:
Willst Du des Lebens Unverstand mit Wehmut recht genießen,
so stelle Dich an diese Wand und trample mit den Füßen!
Ich sehe mich veranlaßt, auf Grund des Vorbringens des Herrn Kollegen Eichler und des Herrn Kollegen Mommer — ich hatte nicht die Absicht zu debattieren und zu polemisieren — zwei Punkte herauszustellen. Zunächst die Frage der Anerkennung. Herr Kollege Mommer hat sich da etwas vorsichtiger ausgedrückt und nur davon gesprochen, mit den praktischen Schritten der Bundesregierung sei man einer De-facto-Anerkennung der Regierung an der Saar nähergekommen. Herr Kollege Eichler dagegen hat sogar von einer völkerrechtlichen Anerkennung gesprochen. Ich möchte dazu doch eines feststellen. Was ist denn die von der Besatzungsmacht an der Saar eingesetzte Regierung? Sie ist eine Administration kraft Besatzungsrechts. Mehr ist sie nicht. Juristisch und praktisch ist es unmöglich, hier überhaupt einen Akt der Anerkennung zu vollziehen. Das ist rechtlich nicht möglich. Der deutschen Regierung wäre es, selbst wenn sie wollte, gar nicht möglich, hier einen Akt der Anerkennung zu setzen. Infolgedessen geht diese Polemik ins Leere. Damit daß ein völkerrechtlicher Anerkennungsakt unterstellt wird, gibt man höchstens der Gegenseite Argumente in die Hand, die sie nicht von uns geliefert zu bekommen braucht.
Der zweite Punkt ist, daß hier von einer Politik des Aber im Gegensatz zu einer Politik der Geradlinigkeit gesprochen worden ist, Diese Behauptung des Herrn Kollegen Eichler stellt die tatsächlichen Verhältnisse völlig auf den Kopf. Die deutsche Position an der Saar ist doch im Verhältnis zu den Jahren 1946/47 in der Verfechtung unseres Standpunktes unbestreitbar besser geworden. Wodurch ist sie besser geworden? Eben deswegen, weil wir in den Europarat hineingegangen sind,
weil wir mit über die Montan-Union verhandelt haben und ihr beigetreten sind und so überhaupt ein Instrument, um unser politisches Gewicht geltend zu machen, in die Hand bekommen haben.
Aber alles dies sind Fragen, die im Vorhof des Problems zu erörtern sind. Sie treffen gar nicht den Kern der Sache, wie nämlich praktisch etwas geändert werden kann, indem wir unseren guten und klaren Standpunkt des Rechts zur internationalen Anerkennung bringen. Hier bin ich veranlaßt, das zu wiederholen, was meine Fraktion in dieser Frage mit Eindeutigkeit als eine Politik der Geradlinigkeit vertreten hat.
Erstens: Wir sind nicht gewillt, der Abtrennung des deutschen Saargebiets zuzustimmen; ich stimme hier dem Kollegen Eichler zu. Es kann uns völlig gleichgültig sein, ob die Abtrennung in Form einer Annexion oder in der Form einer Separation stattfindet. Wir bleiben im gegenwärtigen Stadium auf dem klaren Boden stehen, daß die Saar ein Teil des Deutschen Reiches ist, war und nach unserem Wunsch und Willen bleiben soll;
denn es ist ein Land deutscher Sprache, deutscher Kultur, und deutschen Volkstums. Es ist ein deutsches Land, über alles Juristische, über alle politische Taktik hinaus. Das ist eine von Gott gegebene Tatsache. Es ist eine im Völkerrechtlichen und Politischen gewachsene Einsicht, daß man das Volkstum nicht dadurch seiner Seele, seines Wesens berauben darf, daß man es einer anderen politischen Staatsangehörigkeit und Organisation unterstellt. Das ist auch das Grundprinzip, das in der Atlantik-Charta zum Ausdruck gebracht worden ist. Meine politischen Freunde erkennen also auf keinen Fall das Recht der Annexion und auch nicht das Recht der Separation, in welcher Weise es auch geschehen möge, an.
Zweitens: Wir können uns auch nicht mit dem französischen Verlangen befreunden, daß die Saar wirtschaftlich in das französische Staatsgebiet eingegliedert werde. Denn das ist doch nichts anderes als eine Umschreibung, als eine Verlegenheitsausrede gegenüber dem völkerrechtlichen Prinzip — in den letzten 50 Jahren hat sich das Prinzip entwickelt —, das eine Annexion praktisch verbietet. Was wir wollen, was wir auch als eine Möglichkeit des Ausgleichs sehen — denn es geht uns sehr um den Ausgleich und um die Verständigung mit der französischen Republik —, ist, daß diese Wirtschaft, wie überhaupt alle europäische Wirtschaft, im Sinne des Schumanplans und im Sinne einer Weiterentwicklung dieser Politik in den großen zusammengefaßten europäischen Wirtschaftsraum eingegliedert werde. Nach dieser Konzeption soll es und kann es die Frage des Gewichtes der Nationalwirtschaften überhaupt gar nicht mehr geben. Wir sind der Auffassung, daß die Vereinigung Europas eine Frage von Sein oder Nichtsein für alle Zukunft ist. Wir glauben deshalb, daß nach diplomatischen Methoden gesucht werden muß, die die Saarfrage nicht zu einem blockierenden Tatbestand werden lassen.
Schließlich Verhandlungen. Was gibt es denn anderes in der Diplomatie, in der Auseinandersetzung zwischen Staaten, als den Weg der Verhandlungen zu gehen? Diese Verhandlungen haben ein großes und sehr wichtiges Ziel: daß es zur Entspannung zwischen unseren beiden Ländern kommt, daß sowohl wir als natürlich auch die französische Republik dazu beitragen und den guten Willen dazu bezeigen mögen, daß wir uns als befähigt beweisen, in Europa mit der Lösung einer solchen Frage in einer beide Teile befriedigenden Weise fertig zu werden. Deshalb ist es richtig, bereits vor einem Friedensvertrag die Lösung dieser Frage vorzunehmen, weil sie einen Beweisfall dafür bilden wird, wieweit die tatsächliche geistige, moralische und politische Entwicklung Europas gediehen ist; damit sich eine solide Basis der europäischen Vereinigung, die wir für den Frieden der Welt und für die Entwicklung der Zukunft für unerläßlich halten, als möglich erweist. Wir wollen keine Politik der Deklamation, sondern eine praktische Politik diplomatischer Auseinandersetzung, um diese Frage nicht rückwärts gewandt, sondern der Zukunft verpflichtet einer Lösung entgegenzuführen. Dazu wird es, da wir Schritt für Schritt vorzugehen haben, notwendig sein, zunächst in direkte Verhandlungen über den grundsätzlichen Tatbestand einzutreten, nämlich darüber, daß an der Saar ein normales politisches freiheitlichdemokratisches Leben möglich wird. Darum muß das Parteiengesetz vom 17. März dieses Jahres, das diesem Prinzip widerspricht, beseitigt werden. Ferner müssen Parteien entstehen können, die in ihrer politischen Meinungsäußerung vollkommen frei sind, so wie in jedem normalen demokratischen Staat.
Zu dem Antrag, den die sozialdemokratische Opposition hier eingebracht hat, habe ich einige Bemerkungen zu machen. Der Ausgangspunkt, der Geist und das Ziel dieses Antrags werden von uns geteilt und sind, soweit ich recht unterrichtet bin und die Debatten in diesem Hause seit dem Jahre 1950 in dieser Frage verfolgt habe, von uns immer geteilt worden. Ich habe aber — und ich bitte, mir das nicht zu verübeln — hinsichtlich der textlichen Formulierung einige Bedenken. Ich möchte sie nur andeuten.
In Punkt 2 wird von der „tatsächlichen Abtrennung" der Saar gesprochen. Ich halte dieses Zugeständnis, daß überhaupt eine De-facto-Abtrennung stattgefunden hat, für gefährlich. De facto ist dieses Gebiet nur von dem Gebiet der Bundesrepublik bzw. von dem Gebiet des Landes Rheinland-Pfalz abgetrennt worden.
Es ist aber noch keineswegs vom Gebiet des Deutschen Reiches abgetrennt. Schon dieses De-facto-
Zugeständnis möchte ich nicht machen. Ich möchte mich hier nicht im einzelnen darüber auslassen — das wäre nicht gut —, welche weiteren Konsequenzen diese Feststellung nach meiner Ansicht hat.
Auch in Punkt 3 sehe ich eine Formulierung, die noch der Präzisierung bedarf.
Diesen Beschluß, der unserem einmütigen Willen in der Koalition und in der Opposition entspricht, halte ich für so wichtig, daß seine Formulierung von uns durchdiskutiert werden muß. Ich beantrage deshalb, die Entschließung der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen, und betone ausdrücklich, daß diese Überweisung bezweckt, daß das, was dieser Antrag seinem Geiste nach zu erzielen sucht — ein Geist, den wir einmütig mit der Opposition teilen —, noch wirksamer, noch klarer und in der Formulierung von unserem gemeinsamen Willen getragen zur Geltung gebracht wird. Deshalb, nur deshalb, beantrage ich die Ausschußüberweisung.