Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Die Notwendigkeit des vorliegenden Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist unbestritten. Noch immer sind die Geschlechtskrankheiten in ihren Folgen für den einzelnen Menschen, die Familie und den Staat von großem Schaden. Das Gesetz hat auch der Forderung nach solchen Bestimmungen Rechnung getragen, die ein schnelles Zugreifen möglich machen, z. B. in bezug auf die Behandlung der Gonorrhöe, die heute nach den neuesten medizinischen Möglichkeiten nur ein bis drei Tage erfordert. Zur Behebung der körperlichen Schäden durch eine rasche Behandlung der Erkrankten und zum Schutz der Gesunden gilt es aber nicht nur, die Infektionsquellen zu erfassen, sondern sich auch mit den seelischen und sozialen Nöten zu bschäftigen, die heute ebenso den Nährboden für Geschlechtskrankheiten bilden, wie schon dargestellt worden ist. Das Gesetz muß deshalb auch die soziale und Gefährdetenfürsorge neben der Gesundheitsfürsorge als eine wichtige Aufgabe zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten sehen.
Der Wunsch der Fürsorge ist es deshalb immer gewesen, die Befugnisse des Gesundheitsamtes zu erweitern und auszubauen, um eine starke fürsorgerische und sozialpädagogische Erfassung der Geschlechtskranken, insbesondere der Minderjährigen, zu ermöglichen. Dieser Gedanke scheint mir im Gesetz nicht genügend berücksichtigt zu sein.
Im Gegensatz zu Frau Kollegin Dr. St einbi ß bin ich der Meinung, daß sogar die Ansatzpunkte einer fürsorgerischen Erfassung von den Gesunheitsämtern auf den Arzt verlagert worden sind, und zwar in einer Weise, aus der es mir unmöglich erscheint, daß der Arzt die im Gesetz vorgesehenen Befugnisse wahrnehmen kann. Den Ärzten werden im Gesetz sehr weitgehende Aufgaben nicht nur hinsichtlich der Heilung, sondern auch bezüglich der seelischen und fürsorgerischen Betreuung zugewiesen.
Manche dieser in den §§ 11 und 12 angeführten Aufgaben des Arztes sollten, so scheint mir, besser dem Gesundheitsamt übertragen werden, vor allem bei Minderjährigen. Es ist für den Arzt sehr schwer, die Lebensweise oder die allgemeinen Lebensumstände der Erkrankten festzustellen, die häufig durch ihren Lebenswandel — den Gesundheitsämtern und Fürsorgestellen ohne weiteres bekannt sind. Ich halte diese Aufgabe mit dem Wesen des Arztberufes auch wenig vereinbar.
Die Eltern oder Erziehungsberechtigten eines Minderjährigen aufzuklären, sollte ebenfalls Aufgabe des Gesundheitsamtes bleiben, denn die ärztliche Aufklärung allein nutzt wenig, wenn nicht die nachgehende Fürsorge hinzukommt.
Wer die heutige Praxis der Ärzte und andererseits die Arbeit in der Gefährdetenfürsorge kennt, weiß, daß der Arzt, wenn er diese Arbeit gewissenhaft durchführen will, dann eine Fürsorgerin einstellen muß. Deshalb scheint es mir auch im Interesse der Geschlechtskranken sinnvoller zu sein, diese Aufgabe von den Stellen ausführen zu lassen, die die besseren Voraussetzungen dafür haben, nämlich von den Gesundheitsämtern. Diese haben nach § 14 auch die Aufgabe, in Verbindung mit den Jugendämtern, Fürsorgeverbänden und der freien Wohlfahrtspflege die soziale und erzieherische Betreuung der Gefährdeten zu übernehmen, um sie in das Arbeits- und Gemeinschaftsleben wieder einzugliedern.
Damit sie ihre Aufgaben gut durchführen können, sollten diese Organe auch hinsichtlich der in § 15 vorgesehenen Maßnahmen in ihrem Aufgabenbereich festgelegt werden. Es scheint mir dabei richtiger und zweckmäßiger zu sein, die in § 15 vorgesehenen geeigneten Maßnahmen der Gesundheitsämter in großen Zügen im Gesetz zu nennen oder vom Bundesinnenministerium festzulegen, um eine einheitliche Erfassung der Geschlechtskranken und eine gute fürsorgerische Betreuung zu erreichen.
Damit neben den gesundheitlichen auch die fürsorgerischen Aufgaben zum Besten der Geschlechtskranken im Gesetz entsprechend berücksichtigt werden, stelle ich den Antrag, den vorliegenden Gesetzentwurf außer an den Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens auch an den Ausschuß für Fragen der öffentlichen Fürsorge zu überweisen.