Nach den Erklärungen der Alliierten vom 5. Juni 1945 hat Deutschland nicht aufgehört, als Staat nach dem Gebietsstand vom 31. Dezember 1937 zu bestehen. Das Grundgesetz ... ist zwar nur von dem deutschen Volke in elf Ländern geschaffen worden; das deutsche Volk .. hat aber zugleich für die Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Die Bundesregierung ... ist daher befugt und verpflichtet, die deutschen Rechte ... insgesamt zu wahren.
Der zweite Punkt, worüber Einigkeit herrschte, war die grundsätzliche Haltung zur Saarpolitik Frankreichs. Darüber sagte der Herr Bundeskanzler in derselben Rede: dieser Saarkomplex ist aber auch deswegen von einer außerordentlich großen Bedeutung, weil, wenn diese Sache so bleibt, das Vertrauen in die Erklärungen der Westalliierten innerhalb der deutschen Bevölkerung aufs schwerste geschädigt wird. Und er fuhr fort: Die Überschrift der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" „Die Entscheidung über die Saar — gegen Europa" scheint mir in kurzen und präzisen Worten das zusammenzufassen, was über die ganze Angelegenheit zu sagen ist.
Nun, meine Damen und Herren, in der Tat konnte der europäischen Idee vom freiwilligen Zusammenschluß der Völker zu einer solidarischen Schicksalsgemeinschaft unter dem Abbau der nationalen Souveränitätsansprüche und der wirtschaftlichen Autarkiebestrebungen nichts grundsätzlicher entgegenstehen als die Behandlung des Saargebiets durch Frankreich. Nichts konnte den Glauben an demokratische Freiheitsbegriffe, an einen demokratischen Aufbau Europas mehr erschüttern als die Behandlung des Saargebiets in dem innerdemokratischen oder sagen wir: inner-antidemokratischen Aufbau dieses Landes.
Nun muß man auf eines achten. Der Herr Bundeskanzler hatte damals schon zwei grundsätzlich verschiedene politische Seelen in seiner Brust. Am 30. Mai 1951 — über ein Jahr später — sprach er wieder über die Saar, und hier entwickelte er die Theorie eines „aber", von dem wir glauben, daß es die deutsche Regierung ständig gehindert hat, der geradlinigen Politik Frankreichs eine ebenso gradlinige Abwehr entgegenzusetzen. Herr Dr. Adenauer sagte damals wörtlich:
Ich habe aber damals keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Saarfrage unter keinen Umständen zu einer Störung der Bemühungen, zwischen Deutschland und Frankreich gute Beziehungen herzustellen, und damit zu einer Erschwerung des Aufbaues von Westeuropa führen dürfte. ... So unangenehm und so störend die von mir eingangs erwähnten Vorfälle sind, so sind sie doch letzten Endes zeit-und personenbedingt; sie geben aber keine Veranlassung, von der Linie ... der entscheidenden Politik der Integration Europas ... abzugehen.
Auf diesen Grundsatz, glaube ich, baute der Herr Bundeskanzler seine Saarpolitik wie auch seine übrige Europapolitik, soweit sie den Westen angeht, auf. Was er kurz vorher noch selber als gegen Europa gerichtet angesehen und öffentlich ausgesprochen hatte, wurde in dieser grundsätzlichen Betrachtung eine unvermeidliche, wenn
auch störende Tatsache, die vom Wege zum europäischen Endziel einer westeuropäischen Integration nicht ablenken dürfte.
Deshalb wurde gegen die fünf Konventionen eine Rechtsverwahrung eingelegt, die selbstverständlich in Ordnung war und der der Bundestag zugestimmt hat. Aber zunächst blieb es dabei.
Dann kam der Eintritt Deutschlands in den Europarat. Da ist eben vom Herrn Bundeskanzler gesagt worden, die Streitigkeiten im Europarat seien nicht zu bewältigen, und deshalb sei die Anregung an ihn ergangen, ob man nicht etwas in dieser Richtung unternehmen könnte. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, diese Streitigkeiten, die ja keine bloßen Wortklaubereien und kein Streit um Kleinigkeiten sind, hätte man vor der Einrichtung des Europarates, v o r dem deutschen Eintritt in den Europarat klären sollen. Dann könnte man heute dort vernünftige Arbeit leisten.
Als der Europarat gegründet wurde, wies die Opposition hier an dieser Stelle darauf hin, daß man fn Frankreich die Tatsache, daß Deutschland die Einladung, dem Europarat beizutreten, gleichzeitig mit der Einladung der Saarbevölkerung annahm, so auslegen würde, als wenn Deutschland de facto die Saarregierung anerkannt hätte. In der Tat hat Herr Schuman am 20. Februar 1951 diese Tatsache der deutschen Regierung und den Deutschen im Europarat unterstellt.
— Darüber haben wir schon so oft geredet, warum wir das getan haben, Herr von Rechenberg. Wir können doch nicht alle ollen Kamellen immer wieder neu auftischen, nur weil Sie gerade Lust dazu haben.
Nun kam der Schumanplan. Hier reiften nicht alle Blütenträume der französischen Saarpolitik; wohl aber wurde eine Teilnahme saarländischer Delegierter in die beratende Versammlung des Schumanplans, wenn auch auf Kosten der Anzahl französischer Teilnehmer, zugelassen, und der Landtag von Saarbrücken mußte dem Vertrag zustimmen. Zwar wurde in einem Briefwechsel zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem französischen Außenminister bestätigt, daß in bezug auf die Saarfrage jede Regierung ihren eigenen Standpunkt beibehielte und daß der Friedensvertrag die letzte Entscheidung zu treffen hätte; aber politisch war wieder Frankreich einen Schritt weitergekommen. Und inzwischen sind die Methoden des Polizeistaats im Saargebiet nicht abgebaut worden.
Wir haben bereits vor zwei Jahren angeregt, daß der Ministerausschuß des Europarats den demokratischen bzw. den innerstaatlichen Aufbau des Saargebiets untersuchen sollte. Der Bundeskanzler hat vor gut einem halben Jahr an dieser Stelle zugesagt, dieser Anregung zu folgen. Die Denkschrift, die dem Ministerrat eingereicht worden ist, hat der Herr Bundeskanzler hier erörtert. Ich kann mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen. Nun tagte am 19. März der Ministerrat. Herr Grandval hatte — das ist bereits erwähnt worden — zwei Stunden vorher in einer außerordentlich provozierenden Rede davor gewarnt, die Dinge zu diskutieren, weil sonst das zarte Gefüge des Schumanplans torpediert würde. Der Bundeskanzler kam in die Sitzung und gab beim Aufruf der Tagesordnung folgende Erklärung ab; diese Erklärung steht im Bundesanzeiger Nr. 67 vom 4. April 1952, wird also, glaube ich, von allen Mitgliedern der Regierungskoalitionsparteien als authentisch angesehen werden:
Zwischen dem französischen Außenminister und dem Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sind Besprechungen eingeleitet worden, um schon vor Abschluß des Friedensvertrags oder eines diesem gleichen Vertrags zu einer Ordnung der Saarfrage zu gelangen. Diese Ordnung bedarf der Zustimmung der beiden anderen westalliierten Mächte, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. Sie bedarf ferner der Zustimmung der Saarbevölkerung durch den neu zu wählenden Landtag. Vertreter der französischen Regierung und der Regierung der Bundesrepublik sollen sofort zusammentreten, um mit Vertretern der Saarregierung
zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Durchführung freier demokratischer Wahlen zum nächsten Landtag gegeben sind.
Nun, meine Damen und Herren, der Ministerpräsident Hoffmann erklärte dazu, daß er damit einverstanden sei und diesen Vorschlag seiner Regierung unterbreiten werde, und daß er hoffe, diese werde darauf eingehen.
Damit hat der Herr Bundeskanzler nach der Auffassung der Opposition die wichtigste Möglichkeit für die öffentliche Aufdeckung des Polizeiregimes an der Saar preisgegeben und seine dem Bundestag hier gegebene feierliche Zusage einfach beiseite geschoben. Aber das ist nicht einmal das Bedeutsamste! Wichtig ist, daß er dabei seine eigenen, hier verkündeten Grundsätze außer acht gelassen hat. Denn, ob Saarregierung anerkannt oder nicht, jedenfalls in den Augen des französischen Volkes und in den Handlungen der französischen Regierungsmänner gilt es wieder als eine Tatsache, daß man in bezug auf die De-facto-Nötigungen der Deutschen zur Anerkennung politischer Tatsachen einen Schritt weitergekommen ist.
Schließlich: die Durchführung freier Wahlen für den nächsten Landtag. Die Zustimmung zur Dreierkommission — gar nicht davon zu reden, daß ihr das Recht bestritten wurde, mehr zu tun, als Vorschläge zu machen — ist, wenn sie so zusammengesetzt wird, wie man es aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers herauslesen kann, wirklich eine De-facto-Anerkennung. Die Saarregierung hat in dieser Frage mitzureden, ist also ein Bestandteil der völkerrechtlichen Entscheidungsmaschinerie. Mir scheint, darüber kann man doch einfach nicht streiten, wenn man nicht um Worte herumklauben will.
Es hat sich — und das kommt dazu, wenn man darüber spricht, wie dieser Landtag frei gewählt werden soll — im Saargebiet bisher doch nichts geändert. Jeder wird sich denken können, daß Herrn Grandval, der ja bereits Erfahrungen hat, wieviel leichter es ist, 40 Abgeordnete einzuschüchtern und unter Druck zu setzen als eine ganze Wählerschaft, all denen seine guten oder sagen wir lieber: seine schlechten Dienste zur Verfügung
stellen wird, die dieser Dienste bedürfen. Aber selbst wenn der kommende Landtag völlig frei nach demokratischen Prinzipien gewählt werden sollte, ist er noch immer kein Partner zur Herbeiführung einer neuen Ordnung, was immer man sich unter dieser neuen Ordnung vorstellen sollte, die schon vor einem Friedensvertrag das endgültige Schicksal des Saargebiets bestimmen soll. Über das Verbleiben der Saar bei Deutschland entscheidet nicht ein Landtag, weder ein frei gewählter noch ein unfreier Landtag. Es ist überhaupt keine Funktion eines Landtags, darüber zu bestimmen, wo das Gebiet bleiben soll, dessen Volk er repräsentiert.
Jede in einem Friedensvertrag — vielleicht! — vorgenommene Gebietsveränderung selbst bedarf dann noch der Zustimmung des davon betroffenen Volkes.
Das war, wie wir bisher gesehen haben, auch die Auffassung der Bundesregierung. Uns scheint, sie hat mit der Zustimmung zu der Dreierkommission und zu der geplanten Funktionsübertragung an den Saarbrücker Landtag diese Grundsätze über Bord geworfen.
Was die neue Ordnung selber angeht, so haben wir wenig mehr gehört, als daß es eine Art von europäisiertem Saargebiet sein soll; und ich kann mir nicht denken, daß der Herr Bundeskanzler es für eine Erläuterung gehalten hat, als er sagte, das solle sich darin zeigen, daß die Hohe Behörde des Schumanplans nach Saarbrücken gelegt werden solle. Man wird doch nicht annehmen können, daß, falls das etwa nicht geschieht und sie nach Brüssel verlegt wird, das eine Europäisierung Belgiens bedeuten würde.
Was immer nun auch die neue Ordnung und die Europäisierung des Saargebiets bedeuten soll — wir glauben eins: Keiner der an diesen Aussprachen teilnehmenden Franzosen hat weder vorher noch nachher, keine parlamentarische Institution der Republik hat sich mit irgendwelchen Plänen über das Saargebiet einverstanden erklärt, die die Aufhebung der faktisch erzwungenen Autonomie des Saargebiets bedeuten. Darüber, glaube ich, sollte jeder sich klar sein. Ob de facto oder de jure — in Verhandlungen mit heutigen französischen Saarpolitikern wird über die Autonomie der Saar nicht mehr gesprochen werden können. Herr Schuman hat in seinem Bericht über die Verhandlungen mit dem Herrn Bundeskanzler erklärt: „Wir haben nichts aufgegeben. Die mit der Untersuchung beauftragten Personen der Dreierkommission werden keine Vollmachten haben, selbst Entscheidungen zu treffen."
Und nun, meine Damen und Herren: zur Kritik einer solchen Politik haben wir einen Kronzeugen, und diesmal wieder den Herrn Bundeskanzler selber. Er hat auf die Frage, die in ähnlicher Richtung ging, einmal geantwortet, und zwar hier im Bundestag am 30. Mai 1951:
Auf die Frage: „Warum soll ein selbständiger Saarstaat geschaffen werden?", gibt es keine Antwort, wenn die Elemente dieser Antwort nicht in den Vorstellungen einer Vergangenheit wurzeln, in denen man sich gegenseitig Landgebiete abnahm oder sich durch Puffer-und Satellitenstaaten schützen zu müssen glaubte. Das habe ich vom europäischen Standpunkt aus gesagt.
Vom deutschen Standpunkt aus ist folgendes zu sagen. Ob das Saargebiet von Frankreich annektiert oder ob es zu einem zweiten Luxemburg gemacht wird, ist von unserem deutschen Standpunkt aus gesehen gleichgültig.
Von unserem Standpunkt aus gesehen ist es immer nur die Separation, die Losreißung von Deutschland; und die Saarpolitiker, die sich für diese Lösung stark machen, können sich nicht darüber beklagen, wenn die Verfechter einer solchen Separation in unseren Augen als Separatisten gelten!
Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, es ist klar: auch die „Europäisierung" heißt nichts weiter als Separierung. Wir können also die Gleichsetzung, die der Herr Bundeskanzler am 30. Mai 1951 vorgenommen hat, um einen Punkt erweitern; wir können sagen: Ob Annexion, ob Luxemburgerei, ob Europäisierung — es handelt sich um Separierung,
und wer sich für sie einsetzt, darf sich nicht wundern — wie der Herr Bundeskanzler gesagt hat —, daß man ihn für einen Separatisten hält.
Hier, meine Damen und Herren, scheint uns, muß Farbe bekannt werden, ob der Grundsatz: „Kein deutsches Land geht heraus aus Deutschland ohne die dafür vorgesehene Prozedur" der überragende ist oder ob das Verhältnis zu Frankreich das Überragende ist und alles andere nur als eine peinliche und beschämende, aber immerhin zu ertragende Tatsache angesehen wird. Das muß einmal klar entschieden werden, welcher Grundsatz hier der überragende ist.
Wir möchten bei dieser Gelegenheit dem Herrn Bundeskanzler gleich eine Frage stellen. Im Ministerausschuß ist jetzt auch über das Zusatzprotokoll zu der Konvention über die Menschenrechte, die im Europarat angenommen worden ist, verhandelt worden. Wenn wir nicht irren, war auch der Herr Hoffmann dabei und hat das Protokoll unterzeichnet. Wir wüßten gern von dem Herrn Bundeskanzler, ob das so ist, und wenn das so ist, ob er dagegen etwas unternommen hat, und ob, wenn er nichts dagegen unternommen hat, es dafür hinreichende Gründe gibt, die uns hier mitzuteilen er dann geneigt sein sollte.
An dieser Stelle, meine Damen und Herren, ist es, glaube ich, wichtig, auch die Konsequenzen dieser Politik für die gesamtdeutsche Einheit einmal darzustellen. Auch hierzu einfach drei Zeugen, ohne jede Theorie. Herr Holzapfel erklärte in Detmold der Sache nach — ich habe das Zitat nicht wörtlich hier —: „Es ist unmöglich, das Saargebiet aufzugeben und den Anspruch auf die Ostgebiete aufrechtzuerhalten." Der Herr Bundeskanzler erklärte am 4. März 1950: „Wenn das, was im Westen geschieht, geduldet oder sanktioniert wird — wo in aller Welt wird man dann gegenüber Polen noch etwas sagen können wegen der Oder-Neiße-Linie?
Und daher ist diese Angelegenheit auch für das Verhältnis der Westalliierten gegenüber Sowjetrußland eine Frage von eminenter politischer Bedeutung."
Und der Herr Präsident Löbe erklärte hier im Bundestag am 13. Juni 1950, als man in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik die Oder-Neiße-Linie als neue Friedensgrenze anerkannt hatte:
Die Regelung . . . aller Grenzfragen . . ., der östlichen wie der westlichen, kann nur durch einen Friedensvertrag erfolgen . . . Niemand hat das Recht, aus eigener Machtvollkommenheit Land und Leute preiszugeben oder eine Politik des Verzichts zu treiben.
Diese feierliche Erklärung ehrte der Bundestag durch Aufstehen von den Plätzen .und durch eine Unterbrechung der Sitzung um eine Viertelstunde, um die Bedeutung dieser Erklärung zu unterstreichen.
Nun, meine Damen und Herren: wir sind deshalb der Meinung, der Herr Bundeskanzler hat mit seiner Saarpolitik, wie wir oft vorausgesagt haben, Schiffbruch erlitten.
Er hat es heute eigentlich auch so in dürren Worten dargesellt — nicht mit genau den gleichen Worten, aber der Sache nach ganz gewiß. Wenn er hier offen erklärt, er habe jetzt, nachdem er mit Herrn Schuman verhandelt habe, erfahren, daß der europäische Gedanke noch nicht genügend verbreitet sei, so scheint mir diese Erkenntnis doch etwas reichlich spät zu kommen. Und wenn er jetzt sagt, er trete ein für die demokratischen Freiheiten im Saargebiet, so glauben wir ihm das natürlich; aber um so unverständlicher ist doch, daß er das hier sagen muß. Hier bedroht ja keiner die demokratischen Freiheiten im Saargebiet!
Hier sitzen ja nicht die Leute, die das tun. Die sind im Europarat zu fassen, da kann man mit ihnen sprechen; da ist auch eine Chance der neutralen Diskussion.
Der Herr Bundeskanzler — —
— Der sitzt im Ministerausschuß, wo das vorgebracht werden kann. Und damit Sie sich auch beruhigen, Herr Hasemann: als mein Kollege Roth, ebenso wie mein Kollege Mommer, im Europarat über die Saar sprach, hat ihm der Präsident Spaak
— dem das höchst unangenehm war; er hätte den Redner keineswegs zu unterbrechen brauchen, es wurde über weniger wichtige Dinge länger geredet — das Wort entzogen. Und es war, glaube ich, der Kollege von Rechenberg — aber ich will mich darauf nicht festlegen —, der gesagt hat: „Wir sind daran auch gar nicht interessiert."
— Aber, Herr von Rechenberg, wenn Ihnen daran gelegen war, hatten Sie doch keinerlei Anlaß, dem Präsidenten Spaak in der Unterdrückung einer Diskussion über die Saarfrage beizuspringen.
— Sie gehörte unserer Meinung nach zur Sache.
Wir haben in diesem grundsätzlichen Kampf der deutschen Bundesregierung in der Saarpolitik wieder und wieder folgendes erlebt: die französische Politik schafft durch Ignorierung der Rechtsverhältnisse politische Tatsachen zugunsten von Frankreich, die deutsche Regierung beantwortet diese Politik mit Rechtsverwahrungen und Protesten, die für sich berechtigt sind, aber natürlich die politischen Fakten nicht ändern.
— Ich sage Ihnen das gleich, warten Sie nur einen Augenblick; ich bin ja noch nicht fertig. — Aber die Bundesregierung hat damit nicht einmal das Ziel, das sie im Auge gehabt haben will, trotz der Schwierigkeiten mit Frankreich die europäische Idee vorwärtszutreiben, erreicht. Das wäre nur möglich gewesen, wenn die freiwillige Teilnahme an Institutionen wie dem Europarat und dem Schumanplan .— unter den bekannten Bedingungen — unterblieben wäre.
Dazu war nämlich niemand gezwungen. Eine Weigerung der deutschen Bundesregierung, diesen Institutionen beizutreten, hätte eine Möglichkeit bedeutet, den Charakter dieser Institutionen zu ändern und sie vielleicht zu Instrumenten einer echten politischen Einigung Europas zu machen.
Da diese Weigerung unterblieb, bestand für die andere Seite kein zureichender Grund, da sie aus politischem Machtbewußtsein die rechtlichen Gründe der deutschen Rechtsverwahrung ignorierte, ihre nationalen und wirtschaftlichen Sonderansprüche mit dem Grundsatz europäischer Gleichberechtigung und solidarischer Gemeinhaftung in Einklang zu bringen.
Ich möchte die Erinnerung an ein ähnliches Verhältnis auffrischen. Das ist der Streit zwischen Polen und Litauen über den Besitz der Stadt Wilna. Das Haager Schiedsgericht hat in diesem Falle für die Litauer entschieden, aber die Polen haben Wilna behalten. So ist das zynische Sprichwort entstanden: „Die Litauer haben recht, und die Polen haben Wilna." So könnte man auch sagen: Die Deutschen haben recht, und die Franzosen haben das Saargebiet.
Die französischen Saarpolitiker haben, wie es Herr Schuman verlangt hat, ihre Nerven behalten, vielleicht auch der Herr Bundeskanzler. Die Saarbevölkerung, soweit sie nicht separatistisch ist — und wir freuen uns. daß der Herr Bundeskanzler mit uns der Meinung ist, daß der größte Teil der Bevölkerung das heute nicht ist, weil sie von der Reaktion der Furcht geheilt ist —, wartet heute mit größter Ungeduld darauf, wie diese zerreißende Nervenprobe ausgeht. Wir möchten die Bundesregierung ernsthaft warnen, diese Politik des Nachgebens und der Auflockerung entscheidender Grundsätze deutscher Politik fortzusetzen. Es könnte sonst leicht geschehen, daß sie zwar die Nerven behält, aber die Saar verliert. Das würde sich auf die Frage der gesamtdeutschen Einheit in Freiheit erschreckend auswirken. Wer die deutsche
Einheit wirklich will, darf sie nicht der westeuropäischen Integration hintanstellen.
Denn diese Integration wird beim Verlust der deutschen Einheit alles mögliche sein, aber nicht europäisch.
Ich habe zum Schluß eine Frage. Der Herr Bundeskanzler sagt, die Entlassung des Beamten, von dem hier die Rede war, sei vorläufig und die Untersuchung darüber sei noch nicht abgeschlossen. Wir können uns kaum vorstellen, daß eine solche Untersuchung sehr lange dauern kann. Eigentlich braucht man nur den Angeklagten und den Vertreter der United Press zu fragen. Andere Möglichkeiten und andere Komplikationen können doch hier gar nicht vorliegen. Weshalb soll es also nicht möglich sein, hier das Verfahren zu beschleunigen?
Nunmehr möchte ich die Entschließung, die meine Fraktion dem Hause unterbreitet, verlesen:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Das Saargebiet ist nach Völkerrecht deutsches Staatsgebiet.
2 Seine tatsächliche Abtrennung ist ohne Rechtstitel und gegen die Grundsätze der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechtes erfolgt.
3. Über deutsches Staatsgebiet kann Rechtens
nur durch das Gesamtvolk verfügt werden.
4. Eine gedeihliche Zusammenarbeit der Völker Europas kann nur auf die Achtung vor Recht und Freiheit des anderen gegründet werden.
4. Der Bundestag wird keiner Regelung zustimmen, die diesen Grundsätzen widerspricht.
Ich habe die Ehre, dem Herrn Präsidenten diese Entschließung zu überreichen, und bitte das Hohe Haus, sich ihr anzuschließen.