Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beschwerdeschritt der Bundesregierung beim Europarat über die undemokratischen Verhältnisse an der Saar entsprach einem einmütigen Auftrag des Deutschen Bundestages. Heute haben wir hier darüber zu sprechen, wie dieser Auftrag durchgeführt wurde und was aus den Hoffnungen geworden ist, die das deutsche Volk und insbesondere das deutsche Volk an der Saar auf diesen Schritt gesetzt hat. Es ist uns wenig bekanntgeworden über das, was in Paris zwischen dem 18. und 20. März geschehen ist, gar nichts über die eigentlichen Verhandlungen, und die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor dem Ministerrat am 20. März abgegeben hat, kennen wir aus einer Rückübersetzung im Bundesanzeiger, Rückübersetzung aus dem Französischen, und dieser französische Text war eine offiziöse Übersetzung des deutschen Textes der Rede des Herrn Bundeskanzlers vor dem Ministerrat. In der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor dem Ministerrat abgegeben hat, lesen wir, daß zwischen dem Bundeskanzler und dem französischen Außenminister Besprechungen stattgefunden haben bzw. eingeleitet worden sind, um schon vor dem Friedensvertrag oder einem gleichartigen Vertrag zu einer Ordnung der Saarfrage zu gelangen. Wegen der Erfolgsaussichten, die der Herr Bundeskanzler diesen Verhandlungen glaubte zusprechen zu können, erklärte er sich bereit, keine weiteren Ausführungen zu der Beschwerdeschrift, die er früher überreicht hatte, zu machen.
Da ist nun die Frage: um welche Ordnung handelt es sich, die an der Saar geschaffen werden soll? Der Herr Bundeskanzler hat sich seit diesem 20. März dazu nicht näher geäußert. Vor der Auslandspresse hat er am 25. März gesagt, es müsse „eine Lösung im europäischen Geiste" gefunden werden. Was darunter zu verstehen sei, hat er uns nicht mitgeteilt. Aber Herr Schuman, Herr Grand-val und Herr Hoffmann haben gleich nach den Verhandlungen gesagt, man habe die Europäisierung des Saargebiets ins Auge gefaßt. Diese Idee der Europäisierung kommt von den Separatisten an der Saar. Sie glauben, daß diese häßliche separatistische Politik sich in europäischem Gewande vielleicht besser verteidigen lasse als in dem Gewande der angeblichen Autonomie.
Was unter Europäisierung zu verstehen ist, hat Herr Außenminister Schuman am 24. März vor der Presse in Paris etwa so definiert: Europäisierung der Saar heißt: Wirtschaftsunion mit Frankreich plus Autonomie d. h. Lostrennung von Deutschland minus französischer Vertretung der Auslandsinteressen der Saar; diese Auslandsinteressen sollten in Zukunft nach diesem Plan von einer europäischen Behörde übernommen werden. In dieser Europäisierung steckt so sehr das Kernstück der bisherigen französischen Saarpolitik, daß Herr
Schuman am 21. März, am Tage nach der Besprechung in Paris, vor dem Rat der Republik erklären konnte: „Wir können hinsichtlich der Dauerhaftigkeit der Beziehungen zwischen der Saar und Frankreich und insbesondere ihrer Auswirkung auf die Kohle- und Stahlunion ganz unbesorgt sein. Wir beharren fest auf unserer Position: französisch-saarländische Wirtschaftsunion und politische Abtrennung der Saar von Deutschland". — Diese Auffassung wurde bekräftigt in einer Entschließung des Rates der Republik anläßlich der Ratifikation des Schumanplans. Diese Entschließung beruhte auf einer Wiederholung jener Grundsätze durch den Ministerpräsidenten und den Außenminister vor dem Rat der Republik.
Gegenüber dieser eindeutigen Beibehaltung der bisherigen französischen Linie in der Saarpolitik spricht der Herr Bundeskanzler in seiner Erklärung vor dem Ministerrat von „erfolgversprechenden Verhandlungen". Nun, dieses Reden von „erfolgversprechenden Verhandlungen" zusammen mit dem hartnäckigen Schweigen des Herrn Bundeskanzlers seit dem 20. März und zusammen mit dem Triumphgeschrei des Herrn Grandval und der Separatisten an der Saar läßt nur einen Schluß zu, den Schluß nämlich, daß der Herr Bundeskanzler bereit ist, von der früheren Linie in der Saarpolitik abzugehen und das Saargebiet aufzugeben, und daß er bereit ist, mit dem schönen Wort „Europäisierung" der Tat der rechtlosen Siegerpolitik, der faktischen Annexion des Saargebiets durch Frankreich, jetzt seine Zustimmung zu geben.
— Wir hoffen, daß das aufgeklärt wird.
Zu dieser Frage der Europäisierung gehört die Frage des Sitzes der kommenden europäischen Behörden. Für die Beurteilung des Standpunktes des Herrn Bundeskanzlers wird es sehr wichtig sein, wie er folgende Fragen beantwortet: Wohin soll nach seiner Meinung der Sitz der Montanbehörde kommen? Wohin soll der Sitz der Behörden der geplanten Verteidigungsgemeinschaft kommen? Diesen Sitz nach Saarbrücken zu verlegen, ist eine Hoffnung des Herrn Hoffmann. Die Separatisten an der Saar sind sich bewußt, daß die Verlegung europäischer Behörden nach Saarbrücken eine gewaltige Stärkung ihrer politischen Position bedeuten würde. Wir erwarten deshalb, daß der Herr Bundeskanzler auf diese Fragen gleich eine Antwort gibt.
Ich komme zu einem andern Punkte der Erklärung vor dem Ministerrat. In der Erklärung wird gesagt, daß die Ordnung, die an der Saar geschaffen werden solle, u. a. auch vom Landtag bestätigt werden müsse. Über die Kompetenzen eines Landtages in diesen Dingen hat der Herr Bundeskanzler vor zwei Jahren sehr viel anders gedacht. In der Saardenkschrift der Bundesregierung vom März 1950 lesen wir:
Die Bundesregierung muß ebenfalls grundsätzlich darauf bestehen, daß jedes im Saargebiet einzurichtende Sonderregime zum Gegenstand einer echten Volksbefragung gemacht wird.
Das Abgehen von diesem Standpunkt ist gleichzeitig das Übergehen auf den französischen Standpunkt.
Dieser französische Standpunkt war bisher: ein Landtag kann staats- und völkerrechtliche Entscheidungen an der Saar treffen. Auf Grund dieser französischen These behauptet man, der Landtag in Saarbrücken habe 1947 jener Präambel zustimmen können, durch die das Saargebiet von Deutschland politisch getrennt und wirtschaftlich Frankreich einverleibt wurde. Nach der französischen These über die Kompetenzen eines Landtags soll der Landtag auch in Zukunft dekorative Änderungen an diesem separatistischen Statut des Saargebiets vornehmen können.
Gerade dieser Übergang auf die französische These hat an der Saar selbst größte Beunruhigung hervorgerufen. In einem Telegramm der Vertreter der verbotenen Demokratischen Partei des Saargebiets und der um Genehmigung eingekommenen Parteien der CDU und der Deutschen Sozialdemokratischen Partei an der Saar an die Fraktionen des Bundestags lesen wir:
Die Entscheidung über das künftige Schicksal der Saar darf keinem Saarlandtag überlassen werden.
Nun, der Herr Bundeskanzler sagt: es handelt sich ja nicht um einen Landtag wie bisher, sondern es ist ein neuer und frei gewählter Landtag. Die Wahlen sollen nach unseren Informationen Ende September stattfinden. Das sind nur wenige Monate bis dahin, bis dahin sind es aber sieben Jahre der einseitigen französischen Propaganda und des einseitigen französischen Druckes auf die Saarbevölkerung. Glaubt man, daß man die Wirkung dieses Druckes in wenigen Monaten wieder gutmachen könnte, selbst wenn jetzt Freiheit an der Saar herrschte?
Aber wie steht es denn mit dieser Hypothese des „wenn es Freiheit gäbe", wie steht es mit der Zulassung freier Parteien? Erinnern wir uns an einen Brief des Herrn Außenministers Schuman vom 9. Mai 1951! Dieser Brief veranlaßte das Verbot der Demokratischen Partei des Saargebiets, und zwar ausdrücklich mit der Begründung, daß diese Partei es wagte, mit der Präambel der Verfassung und der darin ausgesprochenen Separation tabula rasa zu machen. Dieser Standpunkt des Herrn Außenministers Schuman ist in dem Parteiengesetz gesetzlich verankert worden, das Herr Grandval von seinem Landtag drei Tage vor den Pariser Besprechungen hat verabschieden lassen. Das Gesetz sagt eindeutig: Es wird keine Duldung von Parteien außerhalb der Anerkennung der Präambel geben. Und Herr Grandval — mit seiner bekannten diplomatischen Finesse — hat zwei Stunden vor dem Zusammentritt des Ministerrats gesagt: „Jede Propaganda für Deutschland ist an der Saar verfassungswidrig und verboten." Herr Schuman hat das am 24., also nach den Verhandlungen, bekräftigt und gesagt: „Allein das saarländische Gesetz wird die Bedingungen bestimmen, unter denen diese Wahlen stattfinden können." Dieses Gesetz, von dem ich schon sprach, ist am 4. April im Amtsblatt erschienen und hat damit Rechtskraft erlangt. Damit können die Wahlen nur nach diesem Gesetz stattfinden.
Ein Wort zu dem Problem der Pressefreiheit. Jeder von uns weiß, daß freie Parteien ohne freie Presse lahm sind und nicht agieren können. An der Saar besteht nach wie vor der Lizenzzwang. Wir haben nur einige wenige stramm auf die separatistische Politik eingeschworene Blätter an der Saar. Was da in bezug auf eine Änderung zu erhoffen wäre, das hat uns doch das Verbot der
Deutschen Saarzeitung am Ostersamstag klargemacht. Diese Polizeiaktion gegen eine im Bundesgebiet erscheinende Zeitung ist auf Veranlassung der Pariser Regierung erfolgt. Auch sie zeigt deutlich, welches der politische Wille in Paris in bezug auf die Pressefreiheit an der Saar ist. Es handelt sich nicht darum, die Pressefreiheit, die wir hier im Bundesgebiet kennen, auf das Saargebiet auszudehnen; es handelt sich höchstens darum, die Knebelung der Presse, die es im Saargebiet gibt, auf die Bundesrepublik auszudehnen und dabei die französische Zone, die wir tot glaubten, wieder auferstehen zu lassen. Ich habe keine Zeit, auf die übrigen Aspekte dieses Verbotes einzugehen.
Trotz dieser offenbaren Weiterführung der bisherigen französischen Politik in allen Punkten soll eine Kommission zusammentreten, die — nach der Verlautbarung — prüfen soll, ob Voraussetzungen für freie Wahlen an der Saar gegeben sind. Nun, diese Kommission ist doch von vornherein ein Nonsens, denn es fehlt ihr der gemeinsame Maßstab dafür, was als Freiheit zu definieren wäre. Die Franzosen behaupten — und natürlich auch ihre Nachbeter, die Separatisten an der Saar —: Freiheit ist das, was man im Rahmen der Verfassung einschließlich der Präambel tut. Wir meinen, daß die Freiheit gerade einschließt, daß die Präambel, die unter den bekannten Umständen zustande gekommen ist, natürlich diskutiert und ihre Beseitigung angestrebt werden darf. Solange man sich darüber nicht geeinigt hat, hat eine solche Kommission natürlich überhaupt keinen Sinn. Es hat — in diesem Zusammenhang — auch wenig Sinn, darüber zu streiten, ob es sich um eine Zweieroder ob es sich um eine Dreierkommission handelt. Vielleicht hat man ins Auge gefaßt, daß diese Kommission selbst definieren soll, was unter Freiheit zu verstehen sei. Was man da erwarten könnte, hat Herr Schuman vor der Presse am 24. März gesagt. Er hat erklärt: wenn eine Abstimmung zwischen den Dreien — „Drei" groß geschrieben, Herr Bundeskanzler, auch im französischen Text! — zu machen wäre, so hätte nicht Deutschland die meisten Chancen.
Wir müssen daraus schließen, daß die Saar, d. h. die Saarregierung und ihre Vertreter in dieser Kommission Sitz und Stimme haben. Der Text Ihrer Erklärung, Herr Bundeskanzler, entkräftet diese Auffassung nicht. Nach Ihnen hat im Ministerrat der Herr Hoffmann aus Saarbrücken gesprochen. Er hat von Verhandlungen zwischen den drei gleichgeordneten Regierungen gesprochen, und Sie haben dem nicht widersprochen, was auch immer Sie später in Briefen an Herrn Außenminister Schuman haben schreiben mögen.
Was eine solche Kommission politisch bedeutet, kann ich Ihnen durch eine kleine Transposition klarmachen. Stellen Sie sich vor, wir lassen die undemokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone durch eine Dreierkommission untersuchen, die aus Vertretern der Regierungen in Moskau, in Pankow und in Bonn zusammengesetzt ist! Jeder von Ihnen würde sagen, das ist eine absurde Kommission, und in dieser Kommission würde Herr Grotewohl anerkannt oder zumindest hoffähig gemacht. — Das Bulletin der Bundesregierung schrieb am 22. März, daß dieser Kommission eine ähnliche Bedeutung zukomme wie der UNO-Kommission, jeder UNO-Kommission, die die Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone und im übrigen Deutschland untersuchen soll. Vergleichen Sie doch, meine Damen und Herren, die neutrale Zusammensetzung dieser Kommission, die Arbeitsmethoden dieser Kommission, die Definition der Aufgaben und der Kompetenzen dieser Kommission mit dies er eigenartigen Dreierkommission aus Paris! Wenn Sie das tun, dann können Sie den ganzen, auch technisch-handwerklichen Tiefstand der deutschen Außenpolitik erkennen und mit dem Finger fühlen.
In diesem Zusammenhang muß ich eine Bemerkung zu einer Personalfrage machen. Kurz vor der Abreise nach Paris entließ der Herr Bundeskanzler wegen einer angeblichen Indiskretion den Saarreferenten des Auswärtigen Amts
— ich komme gleich zum Schluß —,