Rede von
Helene
Wessel
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der dem Jugendgericht zugrunde liegende Gedanke, den jugendlichen Gesetzesbrecher in besonders verständnisvoller Weise zu behandeln, ist in dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes berücksichtigt worden. Ohne Zweifel ist die Bestimmung darüber, bis zu welchem Alter der Gesetzesbrecher unter das Jugendgericht fallen soll, das Schwierige in dem Gesetz. Hierüber sind, glaube ich, die Meinungen in diesem Hohen Hause einheitlich; aber draußen — vor allen Dingen auch in Juristenkreisen — ist man da anderer Auffassung.
Die Schwierigkeit liegt ja vor allem darin, daß der Begriff der straffälligen Jugend sowohl nach der unteren wie nach der oberen Lebensstufe ausgedehnt werden kann. Es gibt Länder, in denen der Jugendliche schon mit zwölf Jahren straffällig
ist und die obere Grenze bei sechzehn Jahren liegt, während in Deutschland das Jugendgericht bisher für die Aburteilung strafbarer Handlungen der Jugendlichen von vierzehn bis achtzehn Jahren zuständig ist. Wenn der vorliegende Gesetzentwurf die Erfassung auch auf Erwachsene von achtzehn bis einundzwanzig Jahren ausdehnt, so scheint mir das insofern berechtigt zu sein, als durch die Zeitumstände des Krieges und der Nachkriegszeit die jungen Menschen so labil und zum Teil auch nicht reif geworden sind, daß es ein Unrecht wäre, sie unter ein Strafrecht für Erwachsene zu stellen. Sicherlich, meine Damen und Herren, sind aber auch jene Auffassungen nicht ganz außer acht zu lassen, die nach der andern Seite hin argumentieren und gerade wegen der Zeitumstände eine schärfere Erfassung des jugendlichen Gesetzesbrechers fordern. Wenn z. B. von sechzehn-, achtzehn- und zwanzigjährigen Jugendlichen auch bestialische Morde begangen werden, so müssen Sie verstehen, daß in der Öffentlichkeit vielleicht gefragt wird, ob solche Jugendlichen nicht aus Abschreckungsgründen unter die Strafe von Erwachsenen fallen müssen, und zwar auch deswegen, weil erwachsene Menschen ebensowenig wie jugendliche infolge der Verhältnisse geformt und gereift sein können.
Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf berücksichtigt — ich glaube, das darf man doch wohl sagen — in besonderer Weise die dem Jugendgerichtsgedanken innewohnenden Grundsätze, nämlich daß der jugendliche Rechtsbrecher ein Opfer der Verhältnisse ist und, wo es angebracht erscheint, statt Strafe zu erhalten, den besonderen Schutz und die besondere Fürsorge genießen muß. Es ist deshalb notwendig, daß die Vertrautheit mit den Problemen der Jugendwohlfahrt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Jugendrichter und die Jugendschöffen verlangt wird.
So wichtig der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes ist, um erstens Jugendliche bis unter einundzwanzig Jahren unter bestimmten Voraussetzungen durch das Jugendgericht aburteilen zu lassen, zweitens die Heranziehung eines Laienelements aus jenen Kreisen zu ermöglichen, die, in besonderer Weise mit dem Leben und der Umwelt des Jugendlichen vertraut, als Sachverständige gelten,. und drittens die Möglichkeit der Bewährung des Jugendlichen bei Aussetzung der Strafe oder bei Verhängung einer Jugendstrafe zu schaffen, so glaube ich doch, sagen zu sollen, daß die allgemeine Reform des Jugendstrafrechts nicht mehr allzulange auf sich warten lassen sollte. Insbesondere aber sollte die Notwendigkeit eines Bewahrungsgesetzes als weitere fürsorgerische Maßnahme gerade für jene straffälligen Jugendlichen gesehen werden, die in der Verbüßung ihrer Strafe weiterhin als labile und willensschwache Menschen für sich selbst und die Gemeinschaft eine dauernde Gefahr und Belastung darstellen.
Wenn wir so die gesamte Aufgabe für den gefährdeten und straffälligen Jugendlichen sehen, dann können wir, glaube ich, sagen, daß diese Gesetzesvorlage ein guter Beginn dafür ist, ihm zu helfen.