Rede von
Dr.
Fritz
Neumayer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben soeben aus berufenem Munde gehört, daß die Kommunistische Partei die Vorkämpferin für die freiheitlichen Rechte und für das Deutschtum an der Saar ist.
Wir würden uns freuen, wenn Sie auch dort, wo Sie die Herrschaft in Händen haben, nämlich in unserem ostdeutschen Vaterland, die gleichen Prinzipien walten lassen würden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Pfälzer in Ergänzung der Ausführungen meines Freundes Ernst Mayer noch einige wenige Worte sagen. Die Pfalz ist mit dem Saargebiet seit jeher wirtschaftlich auf das engste verbunden. Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Pfalz und Saar sind mindestens ebenso stark wie die wirtschaftlichen Beziehungen, die- zwischen der Saar und Frankreich bestehen. Hinzu kommt, daß große Teile des pfälzischen Gebietes — ich erinnere nur an die Städte Homburg und St. Ingbert — heute zum Saargebiet gehören, daß auch Teile des Regierungsbezirks Trier heute dem Saargebiet eingegliedert sind.
Meine Damen und Herren, wie ist die Rechtslage? Nach dem Potsdamer Abkommen kann der Gebietsbestand Deutschlands nur durch einen Friedensvertrag geändert werden. Daraus ergibt sich folgendes: Erstens, das Saargebiet ist nach wie vor deutsches Land und gehört politisch zu Deutschland. Zweitens, es dürfen keine Tatbestände geschaffen werden, die einem Friedensvertrag vorgreifen, ihn also präjudizieren. Eine rechtswirksame Änderung dieses Rechtszustandes kann demnach nur auf vertraglichem Wege herbeigeführt werden, wobei der eine Vertragsteil Deutschland heißen muß. Eine Abtrennung der Saar von Deutschland, sei es in offener oder in versteckter Form, ist für uns überhaupt nicht diskutabel. Eigentlich spreche ich hiermit eine Selbstverständlichkeit aus, aber auch solche Selbstverständlichkeiten können in unseren turbulenten Zeiten nicht oft genug wiederholt werden. Man kann nicht über einen gemeinsamen Verteidigungsbeitrag verhandeln und gleichzeitig dem einen Partner ein lebenswichtiges Stück aus seinem Fleisch herausschneiden. Wenn man aber glauben sollte, der gegenwärtige faktische Zustand werde durch die Zeitdauer allmählich zur rechtlichen Anerkennung führen, so wäre dies der gleiche Irrtum, als wenn man sich zum Beispiel nach dem Jahre 1871 der Hoffnung hingegeben hätte, Frankreich könne und werde sich allmählich an die Loslösung Elsaß-Lothringens gewöhnen und sie verschmerzen. Die Geschichte hat uns eines anderen belehrt, und, meine Damen und Herren, man soll aus der Geschichte lernen, nicht ihre Fehler wiederholen. Es ist nicht Deutschland gewesen, das an der Saar solche Faits accomplis geschaffen hat.
Seitens der Opposition ist dem Herrn Bundeskanzler vorwurfsvoll erklärt worden, es müsse nun einmal mit der Politik des Nachgebens ein Ende haben. Wir haben durch den Herrn Bundeskanzler gehört, daß auch er im gegenwärtigen Zeitpunkt weitere Verhandlungen über eine Lösung der Saarfrage nicht für möglich hält und sie deshalb bis zum Friedensschluß zurückzustellen wünscht. Bedeutet dies ein Nachgeben, meine Damen und Herren, oder ist dies nicht viel mehr ein Zeichen dafür, daß man deutscherseits nicht gewillt ist, die Rechte aufzugeben, die uns zustehen?
Auch eine isolierte Europäisierung der Saar würde gleichfalls nach dem Potsdamer Abkommen einen unzulässigen Vorgriff auf eine Friedensregelung bedeuten. Auch sie stünde für uns außerhalb jeder Diskussionsmöglichkeit. Das Saargebiet hat sich im Jahre 1935 in rechtlich unwiderlegbarer Weise zu Deutschland bekannt, und zwar nicht weil, sondern obwohl Hitler damals Deutschland regierte. Eine nochmalige Abstimmung erscheint daher überflüssig und rechtlich nicht zu begründen. Wir berufen uns auf das primitivste Recht eines Volkes: Das, was deutsch ist, soll auch deutsch bleiben.
Wenn nun entgegen dem bereits ausgeübten Selbstbestimmungsrecht die Abtrennung der Saar betrieben worden ist, so ist das um so bedauerlicher, als solche Bestrebungen die Unterstützung gewisser Kreise eines Volkes gefunden haben, das sich durch seine staatenbildende Kraft am frühesten auf dem europäischen Kontinent zu einer Nation zusammengeschlossen hat, eines Volkes, das auf dem Gebiete der Rechtschöpfung und der Rechtsbildung geradezu als klassisch anzusprechen
ist und dessen revolutionärer Tat wir die Herausstellung der allgemeinen Menschenrechte verdanken.
Wir appellieren an dieses so oft gerühmte Rechtsgefühl des französischen Volkes. Man fragt sich, welche Interessen Frankreich an der Saar verfolgt. Sind es nur wirtschaftliche, oder aber sind es politische Interessen? Die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an der Saar wird man auf vertraglichem Boden regeln können. Hierin erblicken wir die Lösung des Saarproblems überhaupt. Wir unterstützen jede Politik des Kanzlers, die auf eine solche Regelung abzielt, wobei wir aber als selbstverständlich voraussetzen, daß dadurch nicht eine wirtschaftliche Eingliederung des Saargebiets in das französische Wirtschaftsgebiet erfolgt. Stehen aber politische Interessen im Vordergrund, so kann man sagen: wir kennen die Ressentiments, die Frankreich uns entgegenbringt. Aber — so muß man wohl fragen — kann die Zugehörigkeit der Saar zu Deutschland eine irgendwie geartete Gefahr für Frankreich bedeuten, in einem Zeitpunkt, da Deutschland sich zum Schumanplan bekannt und die gesamte deutsche Grundstoffindustrie einer supranationalen Kontrolle, auch seitens Frankreichs, unterstellt hat? Ich glaube, eine stärkere Sicherung für die Aufrechterhaltung des Friedens ist doch wohl nicht denkbar.
Glaubt man aber etwa, durch Parteienverbot oder durch das Verbot der „Deutschen Saar-
das Bekenntnis der Saar zum Mutterlande unterbinden zu können? Wir haben mit großer Befriedigung den ausgezeichnet und rechtlich unwiderlegbar begründeten Protest des Herrn Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz gegen das Verbot der „Deutschen Saarzeitung" zur Kenntnis genommen.
.)
Wir haben auch mit Befriedigung gehört, daß der Herr Hohe Kommissar von Frankreich dieses Verbot zurückgenommen hat. Aber sind solche Dinge wie dieses Verbot einer deutschen Zeitung an der Saar oder wie die neuerliche Entsendung des Herrn Grandval nach Saarbrücken oder wie die Debatte im französischen Senat oder wie die immer wieder von maßgebenden Stellen verkündete Absicht der Lostrennung der Saar geeignet, den Willen zur Integration Europas, zur Beteiligung Deutschlands an der Europaarmee in unserem Volke zu stärken?
Es läßt sich nicht verkennen, daß tiefe Bestürzung und Enttäuschung weite Kreise unserer Bevölkerung erfaßt haben. Dies gilt besonders auch für meine engere Heimat, die Pfalz, und für das ganze Land Rheinland-Pfalz, dem als Angrenzer die Verständigung mit Frankreich und die Integration Europas nicht nur politische Zielsetzung, sondern ebenso wie dem Herrn Bundeskanzler auch eine Herzenssache bedeuten.
Es wäre verhängnisvoll, wenn an Stelle dieses Willens zur Verständigung und zum Zusammenschluß, an Stelle dieser hochgespannten Hoffnungen und Erwartungen eine Depression, eine Lethargie, eine Apathie träten. Wenn in unserem Nachbarlande starke Ressentiments uns gegenüber bestehen, so konnten die jüngsten Ereignisse an der Saar wahrlich dazu führen, solche Ressentiments auch in unserem Volke zu wecken. Es gehört schon ein starker Glaube, ein starkes Vertrauen in das Recht und in den Sieg der Vernunft dazu, wenn wir uns trotz allem zu der bisher eingeschlagenen politischen Linie bekennen und uns nicht erschüttern lassen in der Überzeugung, daß sich der Geist der Verständigung und der Bereinigung bestehender Gegensätze durchsetzen wird, ein Geist, der vorwärts weist und der sich nicht durch die Schatten der Vergangenheit von dem Wege zur Schaffung eines geeinten Europas abdrängen läßt.
Wenn die Feststellung des englischen Historikers Toynbee richtig ist, daß die uns bekannten Kulturen durch eine Herausforderung entstanden sind, und wenn wir diesen Satz auch auf die Schaffung neuer geschichtlicher Tatbestände sinngemäß ausdehnen dürfen, so ist in der Bedrohung der auf Christentum und Antike beruhenden abendländischen Kultur eine solche Herausforderung zur Schaffung eines geeinten Europas zu erblicken. Wir sind bereit, diesen Weg weiterzugehen, solange er sich mit der deutschen Würde vereinbaren läßt, und unsere Hoffnung ist, daß die Geschichte nicht dereinst gezwungen sein möge, festzustellen, daß Europa scheiterte, weil man nicht vergessen konnte.