Wir könnten es sofort in zweiter und dritter Lesung behandeln, aber das ist nicht geplant.
Meine Damen und Herren, das alte Gesetz von 1927 war ein vorzügliches Gesetz. Ein derartiges Gesetz ist dann leistungsfähig, wenn es den Kranken so schnell wie möglich zum Arzt bringt. Zur Verstopfung der Infektionsquelle gehört, daß schnell und rasch behandelt wird, ehe weitere Ansteckungen erfolgen. Ein Gesetz, das diesen Weg versperrt, ist ein schlechtes Gesetz. Es gibt ein Beispiel dafür, daß man das erstrebte Ziel mittels Strafandrohung nicht erreichen kann. Es gab einmal einen sehr ehrenwerten Divisionskommandeur, der wollte sich auch an der löblichen Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten beteiligen. Er gab einen Divisionsbefehl heraus, daß jeder mit zehn Tagen geschärften Arrest zu bestrafen sei, der den Beischlaf ausübe. Meine Damen *und Herren, die Folgen dieser Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten waren katastrophal. Der Infizierte riskierte nach der Krankmeldung die Eintragung in das Truppenkrankenbuch und dann die zehn Tage „Dicken". Ehe er das auf sich nahm, versuchte er mit Hufsalbe und Lanolin sein Gebresten zu heilen, bis seine Erkrankung unheilbar geworden war und er weitere Ansteckungen zustande gebracht hatte.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, einmal in das Gesetz hineinzusehen. Sie finden dort so etwas ähnliches wie diesen Divisionsbefehl. Er stammt nicht von der Bundesregierung. Das Bundesministerium des Innern hat aber vergessen, eine typisch nationalsozialistische Bestimmung, die in dieses Gesetz — ich glaube im Jahre 1941 — eingefügt worden war, wieder auszurotten. Nehmen Sie den § 6. Da steht unter anderem — ich ziehe zusammen wegen meiner acht Minuten Redezeit —:
Wer geschlechtskrank ist oder zu irgendeiner Zeit geschlechtskrank war, ist verpflichtet, sich unmittelbar vor Bestellung des Aufgebots zur Eheschließung ... untersuchen zu lassen ...
Wer gegen diese Vorschriften ... verstößt, ... wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren .. . bestraft.
Und dann kommt der entscheidende Absatz 4:
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein.
Hier endete im alten Gesetz der Paragraph. Das war also ein Antragsdelikt. Nur der Geschädigte, der Infizierte, hatte das Recht, von der Möglichkeit der Klage Gebrauch zu machen. Nun hat die nationalsozialistische Regierung folgenden Satz eingefügt: „Den Antrag kann auch das Gesundheitsamt stellen". Das bedeutet, daß jeder Geschlechtskranke gezwungen werden kann, in der Öffentlichkeit als Zeuge aufzutreten, denn als ' Zeuge kommt er auf alle Fälle in jenes Verfahren hinein, das das Gesundheitsamt veranlaßt. Damit ist das zu respektierende Einzelschicksal der Öffentlichkeit preisgegeben.
Man höre doch auf, bei der Behandlung der Geschlechtskrankheiten zu moralisieren und mit irgendwelchen Hintergedanken zu sagen, daß das eine Lustseuche, eine Strafe Gottes sei. Ich denke nicht daran, mich hier verleiten zu lassen, zu diskutieren, ob etwa der außereheliche Beischlaf eine läßliche oder eine Todsünde sei. Das ist nicht meine Sache. Ich habe als Sozialhygieniker nur ganz nüchtern und wertfrei festzustellen: entgegen unseren Sittengesetzen ist der außereheliche Beischlaf im Volke sehr beliebt. Das Delikt und auch die Infektion ist so häufig, daß wir von der nüchternen Tatsache auszugehen haben, daß Hunderttausende solche Fälle dauernd in die Problematik dieses Gesetzes hineinführen. Die Schuld des Kranken ist seine private Schuld, und wir haben sie nicht dadurch zu vergrößern, daß wir sie ohne Not in die Öffentlichkeit hineinbringen lassen. Wir haben die Pflicht, das Beicht- und Berufsgeheimnis zu respektieren. Unterlassen wir diese Pflicht, dann hindern wir die Kranken am Aufsuchen des Arztes. Dieser Paragraph aus der nationalsozialistischen Zeit steht noch in dem Gesetzentwurf, den der Herr Minister vorhin sehr wohlwollend liberal genannt hat. Ich kann mich seiner Beurteilung nicht anschließen.
Der Herr Minister hat gesagt, daß die Ärzteschaft mit dem Gesetz bis auf einige Punkte zufrieden sei. Diese Punkte sind aber entscheidend. Das alte Gesetz war deshalb so gut, weil es auf einer Zusammenarbeit zwischen der Gesundheitsbehörde
und der Ärzteschaft basierte, auf der alten Tradition des gemeinsamen Entschlusses, der gemeinsamen Beratung. Der heutige Gesetzentwurf kennt in § 17 gegen Verstöße der Ärzte merkwürdigerweise ein sogenanntes Zwangsgeld. Ja, meine Damen und Herren, der Mann, der den Entwurf geschaffen hat, hat sogar vergessen, daß es in der Bundesrepublik ein Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gibt. Was stellt man sich unter einer segensreichen Zusammenarbeit zwischen Arzt und Gesundheitsbeamten vor, wenn der eine das Recht hat, über den andern ein Zwangsgeld zu verhängen?! Allein daran würde die Durchführung dieses Gesetzes scheitern.
In dem Gesetz stehen aber noch ganz tolle Dinge. Darf ich Sie bitten, den § 5 Abs. 2 aufzuschlagen. Darin steht:
Die Landesregierung kann anordnen, daß bestimmte Personengruppen, insbesondere solche, deren Beruf eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sie und für andere mit sich bringt, auf syphilitische Serumreaktionen ihres Blutes zu untersuchen sind. Die Kosten werden aus öffentlichen Mitteln getragen.
In § 17 Abs. 2 steht, daß diese Personen zwangsvorgeführt werden können. Nun bitte ich einmal zu überlegen: Wer ist denn eine gefährdete Personengruppe? — Wir! Krankenpflegepersonal, Krankenschwestern, Hebammen, Ärzte. Jeder Amtsarzt, der auf die Idee kommt, daß wir im Augenblick gefährdet seien, kann uns mit Gewalt vorführen lassen, heute die Chirurgen einer Großstadt
— Frau Kollegin Steinbiß, hier steht es, Sie haben das überlesen —,
morgen die Hebammen, übermorgen einen Orden der Vinzentinerinnen, der auf einer chirurgischen Abteilung arbeitet, nacheinander, Hand in Hand, vom Polizeisergeanten vorführen lassen auf das Kreisgesundheitsamt! Und das nennt man ein liberales Gesetz, meine Damen und Herren, ein liberales Gesetz, auf einen Kollektivverdacht hin einem Beamten das Recht in die Hand zu geben, polizeilich ganze Gruppen vorzuführen; ein liberales Gesetz?!
Nun, man wird diesen Gesetzentwurf in Ordnung bringen müssen.
Herr Minister, darf ich vielleicht eine Empfehlung aussprechen. Derartige Pannen in der Gesetzgebung würden nicht passieren, wenn man nach der Gewohnheit vieler deutscher Bundes- und Landesministerien mit den zur Zeit verantwortlichen Koalitionsparteien vor der Herausgabe eines Gesetzentwurfs ein planendes Gespräch unter Ihrem Vorsitz, Herr Minister, und in Anwesenheit der Referenten führte. Damit könnte man einmal derartige Dinge verhindern, zum andern hätte man auch jene Panne verhüten können, die auf dem deutschen Chirurgenkongreß in München eingetreten ist und die eine Blamage Deutschlands in der Welt bedeutet hat. Vor dieser bedeutenden wissenschaftlichen Gesellschaft und in Gegenwart Hunderter namhafter Wissenschaftler von Kapstadt bis Singapur mußte es uns passieren, daß mit einem Protestakt, einem turbulenten Protestakt gegen das Blutspendegesetz Ihres Hauses von der deutschen Ärzteschaft protestiert wurde. Das hätte man im
Interesse des Ansehens der deutschen Gesundheitspolitik und dieser freiheitlichen Republik bei Anwendung einer anderen Arbeitsmethode verhindern können.