Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von dem Herrn Minister des Innern gehört, wie es zu dem Gesetzentwurf gekommen ist. Schon damals, als wir die erste Sitzung im Gesundheitsausschuß darüber hatten, hat der Vertreter des Innenministeriums dargelegt, daß die sozialhygienische Fürsorge bei der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten mehr Erfolg gezeigt hat als das Eingreifen mit Polizeimaßnahmen. Ich schicke diese Bemerkungen meinen Ausführungen mit vollem Bedacht voraus.
Die Geschlechtskrankheiten gehören zu den ansteckenden Krankheiten. Schon aus diesem Grunde ist ihre Bekämpfung nach dem Grundgesetz eine Bundesangelegenheit. Zu den Ausführungen des Bundesrats ist zu sagen, daß, wenn wir die Drucksache durchlesen, wir nicht darauf stoßen, daß der Bundesrat starke sachliche Einwendungen gegen dieses Gesetz erhebt, sondern die Einwendungen des Bundesrats sind mehr äußerer Natur. Um so mehr hat uns die Stellungnahme des Bundesrats gewundert, dieses Gesetz noch einmal zurückzuweisen.
Wir begrüßen, daß das Gesetz nun dem Bundestag endlich vorliegt. Es hat lange gedauert, aber wir machen dafür nicht die Abteilung des Bundesinnenministeriums verantwortlich. Das demokratische Zusammenspiel der Kräfte bringt leider eine Verlangsamung der Gesetzgebung mit sich.
Es ist schon ausgeführt worden, daß nach dem Zusammenbruch die Zahl der Krankheitsfälle bei den Geschlechtskrankheiten rapide angestiegen ist und daß das Gesetz von 1927 nicht ausgereicht hat, um dem Ansturm zu begegnen. Von den Besatzungsmächten sind mehrere Direktiven erlassen worden. Mit der Wiederherstellung der Ordnung und mit dem Sich-Durchsetzen der Länderregierungen kam bald ein anderes Bild auf. Die Geschlechtskrankheiten gingen — auch infolge der guten Therapeutika — sehr stark zurück und haben heute einen solch niedrigen Stand erreicht, wie wir ihn nicht einmal vor dem Kriege hatten. Ja, wir dürfen hoffen, diese Krankheit in absehbarer Zeit überwunden zu haben, besonders wenn alle Kräfte — Arzt, Medizinalbehörde und Patient — vertrauensvoll zusammenarbeiten.
Nun haben wir das Gesetz vor uns liegen. Ich möchte zwei Fragen von dem Gesetz beantwortet haben. Zuerst: was unterscheidet es von dem Gesetz aus dem Jahre 1927? Das Gesetz von 1927 hat einen beispielhaften Erfolg gehabt. Es gilt als ausgesprochen sozialhygienisches Gesetz, weil in diesem Gesetz zum ersten Mal von der polizeilichen
Registrierung und Zwangsüberwachung der Prostituierten zur gesundheitsfürsorgerischen Erfassung und Betreuung sowie der Förderung der ärztlichen Behandlung übergegangen worden ist. Die zweite Frage, die ich stellen möchte, lautet: Hat das neue Gesetz einen fürsorgerischen Charakter?
Zur ersten Frage. In nicht offiziellen populär-medizinischen Zeitungsartikeln wird von dem Gesetz als einem solchen gesprochen, das den Arzt als Erfüllungsgehilfen bezeichnet. Es wird zum Ausdruck gebracht, daß der Arzt der Büttel der Polizei sei. Gegen eine derartige Brunnenvergiftung muß hier offen Stellung genommen werden. Zeigt schon die ganze Vergangenheit, daß die Gesetzgeber den sozialhygienischen Maßnahmen einen unbedingten Vorzug vor polizeilichen Maßnahmen geben, so zeigt ein Vergleich mit dem Gesetz von 1927, daß nicht nur keine einzige polizeiliche Maßnahme verschärft, sondern daß mit weniger polizeilichen Maßnahmen gearbeitet wird.
Allerdings ist in diesem Gesetz dem Arzt eine Aufgabe neu zugeteilt. Nach den §§ 12 und 13 soll sich der Arzt um die Ermittlung der Ansteckungsquelle bemühen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist er dann allerdings gezwungen, dem Gesundheitsamt eine namentliche Meldung zu erstatten, nämlich wenn der Patient sich weigert, eine Kur an sich vornehmen zu lassen. Von dieser Pflicht möchte ich den Arzt im Interesse der Volksgesundheit nicht befreit sehen. Gerade wenn wir erkennen, daß einer solchen Krankheit nicht durch Zwang und Polizeimaßnahmen begegnet werden kann, sehen wir es als Pflicht des Arztes an, hier seinem Patienten fürsorgerisch nachzugehen. Es ist eine Aufgabe, die den Arzt — wenn richtig aufgefaßt — nicht erniedrigt, sondern das Vertrauensverhältnis des Patienten zu seinem Arzt nur verstärken kann. Im übrigen ist dieser Wunsch von den Ärzten auf dem Ärztetag 1950 selbst geäußert worden.
Noch eine Änderung bringt das neue Gesetz, nämlich, daß die Behandlung des Kranken pflichtgemäß fortgesetzt werden muß bis zur Beseitigung der Ansteckungsgefahr. Damit ist eine gewisse Kontrolle verbunden und bei Syphilis die Durchführung von Wiederholungskuren. Ferner ist ein Berufsverbot ausgesprochen worden, an dem das Land Niedersachsen starken Anstoß genommen hat. Doch wenn wir bedenken, daß eine solche Ansteckungsgefahr heute infolge der Penicillinbehandlung in einigen Tagen beseitigt werden kann, braucht uns das Berufsverbot nicht so zu schrecken.
Ferner wird verlangt, daß eine Frau, die schwanger ist und schon eine Syphilis durchgemacht hat, sich nochmals während der Schwangerschaft einer Vorbeugungskur unterzieht. Auch hierfür bringen wir Verständnis auf, wenn wir wissen, daß noch vier Jahre nach einer behandelten Syphilis eine Ansteckungsmöglichkeit für das zu erwartende Kind vorliegt. Hier sehen wir wieder, daß das Gesetz nicht so sehr an die Einzelperson, an den einzelnen Patienten denkt, sondern das Ganze im Auge hat.
Wenn wir jetzt die zweite Frage beantworten wollen, ob das Gesetz den von uns allen gewünschten sozialhygienischen Charakter hat, so können wir diese Frage bejahen. Weit stärker als im Gesetz von 1927 wird hier der fürsorgerische Charakter betont. Schon im § 2 spricht das Gesetz von der nachgehenden Fürsorge. Auch der zweite Absatz des § 3, der unter gewissen Umständen die
Einweisung zur Ansteckungsverhütung für erforderlich hält, scheint mir fürsorgerischen Charakter zu haben.
In besonderem Maße aber spricht der § 14 von einer weitgehenden Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitsämtern und den Fürsorgeverbänden jeder Art. Hier sind den Fürsorge- und Jugendverbänden und der Freien Wohlfahrt große Aufgaben zugewiesen, und den Gemeinden wird es zur Pflicht gemacht, den Verbänden behilflich zu sein, indem Einrichtungen für gefährdete Personen geschaffen werden sollen, erforderlichenfalls aus öffentlichen Landesmitteln. Wer die Erfahrung auf dem Gebiete der Geschlechtskrankenfürsorge aus den 20er Jahren nach Erscheinen des Gesetzes von 1927 und weiterhin kennt, weiß, daß nichts so sehr zur Behebung der Not auf diesem Gebiet beigetragen hat, wie gerade das Vorhandensein von Vorasylen und Frauenheimen.
Dann möchte ich noch die §§ 6 und 7 erwähnen, um auch hier anzudeuten, daß in dem Gesetz versucht wird, familiengerecht zu denken und zu handeln. Das Gesetz wird j a im Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens beraten werden, und noch manche Wünsche — ich habe auch noch einige — werden dort besprochen und geklärt werden können. Einiges, was heute nicht im Gesetz steht, könnte vielleicht in die Durchführungsverordnung hereingenommen werden. Ich dachte da z. B. an den § 12 Abs. 2 Ziffer 2, wo die Rede von dem Verhältnis zwischen Minderjährigen und Erziehungsberechtigten ist.
Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt erwähnen, und zwar den Wunsch vieler Stellen — ich nenne den Akademikerinnenbund und das Land Berlin —, den § 17 des Gesetzes von 1927 wieder in dieses Gesetz hineinzubringen. Vom Ministerium wird auf die Eingaben, die in großer Zahl an uns alle und auch an das Ministerium gekommen sind, entgegnet, das Grundgesetz von heute mache eine Einführung dieses Paragraphen unnötig. Die Art. 11 und 13 des Grundgesetzes bestimmen die Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet und die Unverletzlichkeit der Wohnung. Im Gegensatz zur Rechtslage von 1927, die uns die Möglichkeit gab, auf dem Wege der polizeilichen Anordnung eine Wohnungsbeschränkung für Prostituierte auf bestimmte Häuser und bestimmte Wohnviertel zu erlassen, haben wir heute eine andere Rechtssituation. Das Grundgesetz verbietet eindeutig die Kasernierung. Außerdem gilt der im Jahre 1927 umgeschaffene § 361 Ziffer 6 a bis 6 c. Trotz dieser an sich klaren Rechtslage verstehen wir den Wunsch der Frauenverbände, einen solchen Paragraphen hier einzuführen, und meine Freunde und ich wünschen, daß dieser Frage im Ausschuß ganz besondere Beachtung geschenkt wird.
Im ganzen möchte ich sagen, daß das Gesetz, das ebensosehr den fürsorgerischen Charakter betont wie es den Ärzten eine große Vertrauensstellung einräumt, als ein gutes Gesetz bezeichnet werden kann.