Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Bitte nehmen Sie Platz.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta-gesordnung eintreten, haben wir einige bedeutsame Ge-burtstage zu würdigen, die in den letzten Tagen stattge-funden haben. Vizepräsidentin Ulla Schmidt hat ihren65. Geburtstag gefeiert,
der Kollege Hans-Christian Ströbele seinen 75. Ge-burtstag
und der Kollege Christoph Strässer ebenfalls seinen65. Geburtstag. Ihnen allen die geballten guten Wünschedes ganzen Hauses für die nächsten Jahre.
Vor Eintritt in die Tagesordnung müssen wir auchnoch eine Wahl durchführen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für das Kuratorium der Stif-tung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ denKollegen Sven-Christian Kindler als stellvertretendesMitglied für den ausgeschieden Kollegen Jerzy Montagzu wählen. Sind Sie mit diesem Vorschlag einverstan-den? – Das ist offensichtlich der Fall. Damit ist der Kol-lege Kindler als stellvertretendes Mitglied des Kurato-riums gewählt.Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver-fahrenErgänzung zu TOP VIIIBeratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2013– Einzelplan 20 –Drucksache 18/1560Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-spracheErgänzung zu TOP IXBeratung der Zweiten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit derWahl zum 18. Deutschen Bundestag am22. September 2013Drucksache 18/1710Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-gen – soweit erforderlich – abgewichen werden.Darüber hinaus mache ich auf eine nachträglicheAusschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktlisteaufmerksam:Der am 5. Juni 2014 überwiesene nach-folgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Sportaus-schuss zur Mitberatung überwiesenwerden:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
Drucksache 18/1558Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussSportausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Ernährung und LandwirtschaftAusschuss für GesundheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GOSind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –Das ist offensichtlich der Fall. Dann können wir so ver-fahren.
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-nungspunkt II – fort:a) Zweite Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes überdie Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksachen 18/700, 18/702b) Beratung der Beschlussempfehlung des Haus-haltsausschusses zu der Unter-richtung durch die BundesregierungFinanzplan des Bundes 2013 bis 2017Drucksachen 17/14301, 18/1026Dazu rufe ich Tagesordnungspunkt II.14 auf:Einzelplan 09Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-gieDrucksachen 18/1009, 18/1023Berichterstatter sind die Abgeordneten Thomas Jurk,Andreas Mattfeldt, Roland Claus und Anja Hajduk.Zu diesem Einzelplan liegt ein Änderungsantrag derFraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll dieAussprache 125 Minuten dauern. – Auch dazu sehe ichkeinen Widerspruch. Dann verfahren wir so.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demKollegen Roland Claus.
Guten Morgen, Herr Präsident! Guten Morgen, liebeKolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst dieBundeskanzlerin als Kronzeugin bemühen. Sie hat in dergestrigen Aussprache gesagt: Haushaltspolitik ist nurdann gute Haushaltspolitik, wenn sie auch vorausschau-ende Haushaltspolitik ist. – Sie hat das ein bisschen bü-rokratischer gesagt; aber im Kern trifft das zu. Das führtmich zu einer ausdrücklichen Aufforderung an Bundes-minister Gabriel, in diesem Fall als Bundesenergiemi-nister, und an die Koalitionsfraktionen. Diese lautet:Stoppen Sie die antiparlamentarische Attacke beim Er-neuerbare-Energien-Gesetz!
Dieses Gesetz soll morgen abschließend beraten werden.Am Dienstag haben Sie durch die Vorlage eines 200-sei-tigen Änderungsantrages gewissermaßen die Geschäfts-grundlage, die wir bisher hatten, verlassen. So kann manmit dem Parlament nicht umgehen. Lassen Sie sich dasgesagt sein.
Herr Bundesminister Gabriel, wir sind uns bei einerganzen Reihe von parlamentarischen Treffen begegnet,bei denen Sie vor Vertretern der Wirtschaft und des öf-fentlichen Lebens über das Erneuerbare-Energien-Ge-setz gesprochen haben. Dabei haben Sie immer und im-mer wieder betont, das alles sei mit der EU-Kommissionabgestimmt. Sie waren über alle Zweifel erhaben undhaben das, wie ich fand, auch ziemlich glaubwürdig vor-getragen.
Und nun 200 Seiten Änderungsantrag. Ich sage Ihnen ei-nes, liebe Kolleginnen und Kollegen von der GroßenKoalition:
Sie können die Opposition natürlich überstimmen. WennSie das hier betreiben, ist das die Entmündigung Ihrerselbst. Sie entmündigen sich selbst am meisten durchdiesen Vorgang. Das müssen Sie sich sagen lassen.
Herr Bundesminister, Sie müssen ja erwidern. Ichbitte Sie ausdrücklich: Kommen Sie uns nicht mit derAusrede, das Gesetz sei ja jetzt in der Hand des Bundes-tages und Sie hätten damit quasi nichts mehr zu tun. Esist ja nun völlig unbestritten, dass diese 200 Seiten ebennicht aus der Mitte des Parlaments, sondern aus IhremHause kommen. Deshalb müssen Sie sie auch verant-worten. Wir sagen Ihnen: Leiten Sie ein ordnungsgemä-ßes, geregeltes parlamentarisches Verfahren ein undnicht so einen Überfall, wie Sie ihn hier vorhaben.
Sie haben ja selbst die Bedenken, die von Ihrem eige-nen Haus und von der Bundesnetzagentur vorgetragenwurden, ignoriert. Darüber kann man nicht so einfachhinweggehen. Ich sage das deshalb, weil dieses Gesetznatürlich auch enorme Auswirkungen auf die ostdeut-sche Wirtschaft hat, die ja einen besonders hohen Anteilan erneuerbaren Energien vorzuweisen und mit diesenAuswirkungen umzugehen hat.Ich komme nun zum zentralen Problem des Bundes-haushaltes für das Jahr 2014. Das zentrale Problem desWirtschaftsetats heißt: Es ist ein Viermonatshaushalt.Wir haben nur eine Frist von August bis November, umdie in diesen Haushalt eingestellten investiven Vorhabentatsächlich zu realisieren und zu finanzieren. Das ist füralle Etats ein Problem, aber für den Wirtschaftsetat na-türlich ein besonderes. Nun pflegen Sie ja mit IhremHaushalt insbesondere staatsnahe Monopolisten, alsoGroßunternehmen, die durch gute Verbindungen zu denMinisterien sehr wohl in der Lage sein werden, dieseMittel rechtzeitig abzurufen. Um die Luft- und Raum-fahrtindustrie muss ich mir da keine Sorgen machen,aber gerade der Mittelstand in Gestalt vieler Kleinunter-nehmen wird große Probleme haben, in diesen vier Mo-
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Roland Claus
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naten an die bereitgestellten Mittel zu kommen. Deshalbfrage ich Sie an dieser Stelle auch: Welche Vorsorge ha-ben Sie getroffen, damit die im Zentralen Innovations-programm Mittelstand eingestellten Mittel dann auchwirklich abgerufen werden können?
Ich will das noch einmal an einem Beispiel verdeutli-chen. Für die Subventionierung von Luft- und Raum-fahrt haben Sie etwa 1,5 Milliarden Euro in den Etat ein-gestellt, für die Mittelstandsunterstützung nur etwa einDrittel davon, also 500 Millionen Euro. Das ist natürlichviel zu wenig. Deshalb ist es wichtig, dass das, was ein-gestellt ist, auch tatsächlich abgerufen und ausgegebenwird.
Bundesminister Gabriel hat am 10. April 2014 bei derEinbringung seines Etats hier gesagt: „Wir sind einLand, das nicht über Reindustrialisierung reden muss.“Im Vergleich zu Großbritannien hat er damit ja nicht un-recht.
Aber nun wurde vor zwei Tagen im Bundeswirtschafts-ministerium der sogenannte Atlas der Industrialisierungder Neuen Bundesländer vorgestellt. Wenn man diesenAtlas auf eine Deutschlandkarte überträgt, dann bildetsich bei allen wesentlichen wirtschaftlichen Fakten nachwie vor die DDR-Karte ab. Es gibt keine einzige Kon-zernzentrale im Osten. Wir haben einen hohen Anteilvon Beschäftigten im Niedriglohnsektor. Wenn Sie sichinsbesondere die kunststoffverarbeitende Industrie inSachsen und Thüringen anschauen, dann werden Siefeststellen, dass wir einen hohen Anteil von Zeit- undLeiharbeit haben, der doppelt so hoch wie im Bundes-durchschnitt ist. Wir haben unzureichendes Potenzial inForschung und Entwicklung.
– Na ja, wenn die Probleme die gleichen bleiben, mussdie Kritik die gleiche bleiben, Herr Kollege. So ist dasnun mal. Was denken Sie denn?
Wir werden doch deshalb nicht verstummen.
D
„Wir brauchen eine auf Ost-
deutschland ausgerichtete Industriepolitik.“ Das ist ja
durchaus richtig. Aber genau das findet sich in diesem
Haushalt nicht wieder. Darauf bezieht sich unsere Kritik.
Ich habe in der ersten Lesung die Gemeinschaftsauf-
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“
angesprochen. Ich habe gesagt: Das ist ein richtiges In-
strument. Hierfür müssen wir mehr tun. – Da hat mir der
Kollege Hubertus Heil mit einem Zwischenruf Hoffnung
gemacht. Er hat nämlich gerufen: Diese Aufgabe ver-
stärken wir. – Das habe ich mir gemerkt. Ich habe mir
das Ganze noch einmal angeschaut und herausgefunden,
wie diese Verstärkung konkret aussah: Statt 593 Millio-
nen Euro wurden 596 Millionen Euro bereit gestellt. Das
ist eine Steigerung um 0,5 Prozent, mein Kollege
Hubertus Heil. Eine tolle Verstärkung, kann man dazu
nur sagen. Das ist doch keine vernünftige Wirtschafts-
politik.
Meine Damen und Herren, auch dieser Etat beweist:
Wir haben es zu tun mit einem Haushalt der sozialen
Spaltung, mit einem Haushalt der Zukunftsunfähigkeit
und mit einem Haushalt, durch den der Osten weiter ab-
gehängt wird. Deshalb können Sie mit der Zustimmung
der Linken zu diesem Etat nicht rechnen.
Machen Sie sich auf den Weg! Bessern Sie sich, und
bringen Sie endlich Ihre Hausaufgaben zu Ende!
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Jurk für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich wollte eingangs eigentlich noch-mal zum Mittelvolumen des Einzelplans 09 sprechen,aber Kollege Claus, Sie haben etwas gesagt, was ichunbedingt widerlegen muss. Sie sind auf die Novellie-rung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes eingegangen,da muss ich Sie schon mal fragen: Welchen Popanzbauen Sie hier eigentlich auf? Wenn wir über 204 Seitensprechen, dann sprechen wir über eine Synopse zumEEG.
Und Änderungen machen einen Bruchteil dieses Geset-zes aus, und sie sind in diesen Vorlagen deutlich hervor-gehoben.
Wollen Sie sich eingestehen, dass Sie mit diesen Än-derungen nicht umgehen können? Es ist doch so wichtig,dass die Menschen in diesem Land, Unternehmen undPrivatpersonen, Klarheit über die Änderungen bekom-men. Dringend notwendig ist auch, dass beispielsweisedie Besondere Ausgleichsregelung durchgesetzt werdenkann und dass die entsprechenden Bescheide verschicktwerden können.
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Thomas Jurk
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Diejenigen, die sich heute hier beschweren, solltenvielleicht einmal mit ihren Abgeordneten im Europäi-schen Parlament reden und sie fragen, was sich die EU-Kommission dort geleistet hat.
Ich will mich auf diese Debatte gar nicht tiefer einlassen.Für mich ist jedoch unerklärlich, dass binnen kurzer Zeitständig neue Verhandlungspositionen aufgemacht wer-den, die uns und insbesondere der Bundesregierung dasAgieren erschweren.
– Sie können gern eine Zwischenfrage stellen.Zum Einzelplan 09. Ich stelle zunächst einmal fest:Dieser Einzelplan wächst auf, und zwar um rund1,3 Milliarden Euro auf nunmehr 7,4 Milliarden Euro.Das resultiert insbesondere aus Zuständigkeitsverlage-rungen und neuen Aufgaben, verbunden mit mehr Geldfür Personal.Trotz allem, was mein Vorredner gerade gesagt hat,sehe ich in diesem Haushalt drei Schwerpunkte realisiert,Stichpunkte: Innovation, Investition und Mittelstand. Da-bei setzen wir durchaus Bewährtes fort. Kollege Claus, esist doch so, dass insbesondere die GemeinschaftsaufgabeGRW und das Förderprogramm ZIM durch Verpflich-tungsermächtigungen, die wir im Haushaltsausschussgemeinsam beschlossen haben, fortgeführt werden kön-nen. Ich glaube, das ist gut und wichtig, um das Förder-verfahren zügig fortführen zu können.
Nachdem ich als Neuling in diesem Haus die Debatteder letzten Tage verfolgt habe, will ich eines einmal fest-stellen: Politik und insbesondere Wirtschaftsförderungerschöpfen sich nicht im Geldausgeben.
Es kommt immer darauf an, wie sinnvoll man Geld ein-setzt. Insbesondere bei der Wirtschaftsförderung ist esmir wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir mit öffent-lichem Kapital private Investitionen anstoßen wollen.Hier geht es mir insbesondere um die Hebelwirkung.Wir alle müssen uns doch um die wirtschaftliche Ent-wicklung in diesem Land Gedanken machen; denn wirwissen, dass sie die Basis für künftige Steuereinnahmenist und dafür, dass wir ab dem Jahr 2015 einen Haushaltmit einer schwarzen Null abschließen können.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir in diesem Land dierichtigen Rahmenbedingungen setzten, auf die sich In-dustrie, Gewerbe und Handwerk verlassen können.Für mich ist auch wichtig, dass eine gerechte Wettbe-werbsordnung herrscht. Da haben wir im nachgeordne-ten Bereich des Bundeswirtschaftsministeriums eine Be-hörde – das Bundeskartellamt –, und diese sorgt aktuellbeispielsweise für Mehreinnahmen in dreistelliger Mil-lionenhöhe. Diese Behörde ist erfolgreich Kartellabspra-chen nachgegangen. Rechtskräftig ist bereits ein Be-scheid gegen die Zuckerindustrie über 280 MillionenEuro. Auch die Bierbrauer sind zur Kasse gebeten wor-den – das ist noch nicht rechtskräftig – mit einem Be-scheid über 231 Millionen Euro. Ich finde es gut, dass esin unserem Land Behörden gibt, die für eine gerechteund faire Wettbewerbsordnung eintreten. Ich glaube, dassind wir den Menschen in unserem Land schuldig.Während der Haushaltsberatungen kam immer wiederder Ruf nach mehr Personal. Dazu will ich ausdrücklichsagen, dass insbesondere die Novellierung des Gesetzesgegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Kronzeu-genregelung dazu beigetragen hat, dass das Bundeskar-tellamt ein schärferes Schwert in die Hand bekommenhat.Nachdem ich während der ersten Lesung hier Kritikan der Mittelausstattung der Beauftragten für die neuenBundesländer geäußert habe, haben wir es gemeinsam– da schließe ich die Opposition gern ein – im Haus-haltsausschuss geschafft, dass wir mehr Geld bereitstel-len können. Insbesondere haben wir 5 Millionen Eurofür die „Germany Trade & Invest“ – Aktivitäten Ost – si-cherstellen können, und 1 Million Euro werden wir fürProjekte der Investorenwerbung über die Wirtschaftsför-dergesellschaften der Länder bereitstellen können.Bei allen positiven Entwicklungen – Kollege Claus,da sind wir nicht so weit auseinander – stellen wir nachder Vorlage des Industrieatlas durch Frau Gleicke fest,dass der Industriebesatz im Osten noch ein ganzes Stückgeringer ist als im Westen – trotz aller positiven Ent-wicklungen. Wir haben momentan einen Industrieanteilvon 16 Prozent. Der gesamtdeutsche Durchschnitt be-trägt 23 Prozent. Die EU stellt sich übrigens eine Grö-ßenordnung von 20 Prozent vor. Das heißt, hier habenwir nach wie vor Handlungsbedarf. Deshalb ist es wich-tig, dass es gezielte Investitionsförderung für den Ostengibt.
Für die Umsetzung der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes treffen wir die nötige Vorsorge. Esgibt mehr Stellen beim Bundeswirtschaftsministerium,bei der BAFA und bei der Bundesnetzagentur. Das istnotwendig.
– Herr Kollege, auch Sie können eine Zwischenfragestellen, wenn Sie etwas sagen wollen.Das Stellenplus ist notwendig, um die Aufgabenerfül-lung insbesondere bei der Besonderen Ausgleichsrege-lung sicherzustellen.
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– Sie müssen sich wirklich einmal darüber klar werden,was Sie wollen.
Bundesminister Gabriel hat bereits die Überprüfungaller Förderprogramme in seinem Haus angekündigt.Das haben wir ausdrücklich begrüßt.Ich will deutlich sagen, dass es für die Arbeit desHaushaltsausschusses, aber natürlich auch für die desgesamten Parlaments wichtig wäre, dass wir auch schonzu den Haushaltsberatungen 2015, also im kommendenHerbst, erste valide Ergebnisse dieser Überprüfung, ins-besondere für den Energiebereich, vorgelegt bekommen.Hier möchte ich das Stichwort „Energieeffizienz“ nocheinmal in den Raum stellen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, uns liegtsehr daran, dass der Kraftakt Energiewende gelingt.Dazu müssen wir in verschiedenen Bereichen durch ge-zielte Förderung partiell Unterstützung leisten.Wir haben noch zwei Baustellen, die deutlich ma-chen, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben. Ich nenneda den EKF, den Energie- und Klimafonds, und seineZukunft, und ich nenne die globale Minderausgabe, diedas Ministerium durchaus in erheblicher Weise bedrückt.Wir haben jetzt noch ein halbes Jahr Zeit zum Geld-ausgeben. Ich glaube, es sind gute Ausgaben, die wirheute beschließen können. Dann können wir uns ab demHerbst dem Haushalt 2015 widmen. Ich sehe sehr guteGründe dafür, heute diesem Haushaltsplan entschlossenzuzustimmen, und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Anja Hajduk für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kollegen! Die wirtschaftliche Lage in Deutsch-land ist im Moment durch eine positive Reallohnent-wicklung gekennzeichnet. Es gibt einen insgesamtdurchaus positiven Trend beim Geschäftsklimaindex.Wir haben gute Steuereinnahmen. Wir haben ein sehrhohes Beschäftigungsniveau. Angesichts dessen darfman sich schon die Frage stellen: Was machen wir ei-gentlich bei dieser ausgesprochen guten Basis, bei die-sem Potenzial, um uns auf die Herausforderungen, dievor uns liegen, die insbesondere vor Deutschland liegen,vorzubereiten?Auf die Frage „Was machen Sie?“ muss ich eingangsfeststellen: Auf die unmittelbar vor uns liegende demo-grafische Veränderung, die sich leider schon im Fach-kräftemangel ausdrückt, reagieren Sie mit einer kontra-produktiven Rente ab 63. Es gibt noch eine durchausgroße Herausforderung. In den letzten 40 Jahren habenwir nicht nur eine Menge Schulden gemacht, die wir ein-grenzen müssen, sondern wir haben auch unsere Infra-struktur auf Verschleiß gefahren. Darauf antworten Siemit einer sinkenden Investitionsquote. Das sind zweiganz grobe Gründe dafür, dass man sagen kann: Auf diewirtschaftlichen, aber auch auf die gesellschaftlichenHerausforderungen reagiert diese Große Koalition nurmit langweiligen Kompromissen, aber sie nutzt nicht dieMöglichkeiten, die die Potenziale dieser Gesellschaftbieten.
Herr Gabriel, das hätte Sie eigentlich antreiben müssen,diese Tendenzen anders zu beeinflussen.Aber schauen wir einmal genauer auf den Wirt-schaftsetat im engeren Sinne. Das Wirtschaftsministe-rium – Kollege Jurk hat darauf hingewiesen – ist einMinisterium, das fördert. Es soll durch Förderinstru-mente Innovationen unterstützen. Aber wenn wir schonSteuermittel in die Hand nehmen, dann muss das auchzielgenau sein, dann müssen wir sicher sein, dass Mit-nahmeeffekte verhindert werden. Deswegen sind wir da-von überzeugt, Herr Gabriel, dass es wichtig ist – dasfordern wir auch –, dass Sie in Ihrem Ministerium end-lich eine einheitliche Mittelstandsdefinition umsetzen.Es geht bei Ihnen nämlich lustig durcheinander. Wirwollen, dass Sie die Definition der EU-Kommission nut-zen – 249 Beschäftigte und 50 Millionen Euro Jahres-umsatz – und sie nicht beliebig ausweiten. Ich erwähnedas, weil Herr Jurk von der Hebelwirkung von Wirt-schaftsförderinstrumenten gesprochen hat.Schauen wir uns einmal an, was wir fördern. Wir för-dern kleine und mittlere Unternehmen im Bereich zivileLuft- und Raumfahrt mit gerade einmal 4 Prozent. Wirfördern kleine und mittlere Unternehmen im Bereichneue Verkehrstechnologien mit gerade einmal 12 Pro-zent. Herr Minister, wo ist eigentlich Ihr Einfluss? Washaben Sie in den letzten Monaten getan, um zu errei-chen, dass wir eine zielgenauere und bessere Wirt-schaftsförderung durchführen,
die Innovationen freisetzt und verhindert, dass großeUnternehmen Mitnahmeeffekte einstecken? Subventio-nierung von Tiefseebergbau und anderen Dingen könnenwir uns auch schenken. Wir Grünen sehen das nicht ein-seitig. Wir beantragen, die Fördermittel für das Pro-gramm ZIM zu erhöhen. Aber Sie lehnen sich zurückund ruhen sich aus auf einer schlechten und ungenauenWirtschaftsförderung Ihres Vorgängers.
Kommen wir zum Bereich Energie. Ich sagte es schonin der ersten Lesung: Der schlafende Riese Energieeffi-zienz bleibt in Ihrem Haushalt ein Zwerg, Herr Minister,und – das muss ich auch den Fraktionen sagen – leiderauch nach den Haushaltsberatungen. Dabei sind wir uns
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Anja Hajduk
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doch einig: Eine Steigerung der Energieeffizienz verrin-gert die Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Ener-gieträgern. Sie senkt auch Energiekosten, über die wirhier so viel reden. Der Minister scheint diese Einschät-zung auch zu teilen. So schreibt er zusammen mit FrauHendricks an die EU, dass Deutschland sich verpflichtetfühlt, die Einhaltung des Einsparziels von minus 20 Pro-zent bei der Energieeffizienz durchsetzen zu wollen.Aber diese Erkenntnis findet sich in keiner Weise in Ih-rem Haushalt wieder. Im Gegenteil: Sie kürzen die ent-sprechenden Programme. Sie schreiben Briefe. Aber Ih-ren geschriebenen Worten folgen keine Taten.
Deutschland riskiert sogar ein Vertragsverletzungsver-fahren bei der Energieeffizienz. Das ist eine Blamage fürSie, Herr Minister.Unsere grüne Antwort darauf ist ein 3 Milliarden star-ker Energieeinsparfonds. Es ist wichtig, dass wir Ener-giestandards für Geräte und Gebäude haben. Das ist allesnicht neu. Es muss finanzielle Anreize, marktwirtschaft-liche Instrumente geben. Auch für qualifizierte Beratungund Information von Unternehmen und Verbrauchernmuss gesorgt sein. Wir schlagen einen solchen Fondsvor, selbstverständlich gegenfinanziert. Der wäre auchökonomisch für unsere Wirtschaft mit einer nachhaltigenPerspektive die richtige und sinnvolle Antwort.
Herr Minister, ich möchte nicht vorwegnehmen, waswir morgen zum Thema erneuerbare Energien und denentsprechenden neuen Regelungen diskutieren. Es warsicherlich keine Glanzleistung, in welche Wirren Sie die-ses Parlament angesichts des Verfahrens gestürzt haben.Aber ich möchte noch einmal auf zwei Punkte eingehen.Erster Punkt: Industrieausnahmen. Seien Sie gewissund nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir Grünen dasThema differenziert angehen. Wir wissen um den Wertder Arbeitsplätze in Deutschland. Wir kennen auch dieProblematik, dass die Energiewende ein negatives Imagebekommt, wenn Arbeitsplätze nicht ausreichend ge-schützt werden.
In den Haushaltsberatungen habe ich Sie eingehend ge-fragt. Wir haben leider keine Antwort darauf bekommen,ob es durch die Ausnahmeregelungen eine Doppelförde-rung geben wird. Diese würde dadurch zustande kom-men, dass wir nicht nur umfangreiche EEG-Ausnahmenhaben, sondern Sie zusätzlich einen neuen Strompreis-kompensationsfonds von 350 Millionen Euro – das sind22 Prozent des Energie- und Klimafonds – vorsehen. IhrStaatssekretär konnte nicht plausibel machen, wie ausge-schlossen werden soll, dass Unternehmen doppelt entlas-tet werden.
Ein zweiter Punkt: Herr Minister, ich muss noch ein-mal darauf kommen. Sie haben sich hier vor einiger Zeitsehr über meinen Kollegen Oliver Krischer empört, alser Sie damit konfrontiert hat, dass Waffenhersteller inder Liste der stromkosten- oder handelsintensiven Bran-chen stehen, die unter die Besondere Ausgleichsrege-lung fallen. Sie haben sich empört, hier werde die Un-wahrheit gesagt, weil Sie ja schließlich sagen könnten:Wenn eine Branche erwähnt sei, heiße das nicht, dass dieUnternehmen von dieser Ausnahme Gebrauch machenkönnen. – Die Antwort Ihres eigenen Staatssekretärs aufmeine Frage im Haushaltsausschuss war: Die Handelsin-tensität – ein Kriterium – ist schon per se abgeprüft,wenn die Branche in der Liste steht, und wenn ein Unter-nehmen das Kriterium der Stromkostenintensität erfüllt,hat man keine Chance, etwa einen Waffenhersteller vondieser Ausnahmeregelung auszunehmen. – Angesichtsdes Vorwurfs, den Sie meinem Kollegen Krischer ge-macht haben, müssten Sie hier eine Garantieerklärungabgeben, dass Sie die Waffenhersteller doch von der Re-gelung ausnehmen können.
Rechtlich können Sie es nicht. Insofern gilt: Die Aus-nahmen – so schwer sie auch zu verhandeln sind – sindim Hinblick auf Zielgenauigkeit und damit auch Ange-messenheit leider nicht überzeugend.
Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter HerrMinister! Meine sehr geehrten Damen und Herren! HerrClaus, wir wollen heute den vorausschauenden Etat desBundeswirtschaftsministeriums mit einem Gesamtvolu-men von 7,4 Milliarden Euro beschließen. Dabei blickenwir – auch wenn eben ein anderer Eindruck erwecktworden ist – auf recht ruhige parlamentarische Beratun-gen zurück. Sie waren nicht nur von einer verlässlichenZusammenarbeit mit dem Ministerium geprägt; auch derMinister selbst und sein Staatssekretär, Herr Dr. Sontowski,haben dazu beigetragen. Ganz besonders möchte ichmich an dieser Stelle bei den Mitarbeitern des Haushalts-referates bedanken, die mit enormem Arbeitseinsatz zumErfolg der Haushaltsberatungen beigetragen haben. Er-wähnen möchte ich auch die gute sachliche und vor al-lem menschlich angenehme Zusammenarbeit mit denKollegen aller Fraktionen.Meine Damen und Herren, wir von der Koalition ha-ben uns erlaubt, ein paar Verbesserungen am Entwurfdes Haushalts von Herrn Minister Gabriel vorzunehmen.So haben wir beispielsweise den Finanzierungsbeitragfür Projekte des Forschungsverbunds „Maritime Sicher-heit“ dauerhaft fixiert. Damit sorgen wir dafür, dass zu-mindest das Bundeswirtschaftsministerium weiterhin dieseinerzeit zugesagten 3 Millionen Euro dafür zur Verfü-gung stellt. Diese Projekte sind für die Sicherheit in
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Andreas Mattfeldt
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Nord- und Ostsee, ganz besonders aber in ausgewählteninternationalen Gewässern von enormer Bedeutung.
Ich habe eingangs von einer guten Zusammenarbeitmit dem Ministerium und mit Ihnen, Herr Gabriel, ge-sprochen. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Sie,Herr Gabriel, und ich gerade in unserer niedersächsi-schen Zeit nicht immer auf der gleichen Seite des Ti-sches gesessen haben. Heute hingegen sind wir uns dan-kenswerterweise, nicht nur was den Etat angeht, einig;ich freue mich – sehr viele wissen, dass ich für diesesThema besonders sensibilisiert bin –, dass wir uns hin-sichtlich einer sicheren Erdgasförderung und Geother-mie, die zu einem großen Teil in Ihr Ressort fallen, zu-mindest erheblich angenähert haben.Herr Minister, es ist kein Geheimnis, dass ich Ihr Ent-gegenkommen beim Bergschadensrecht sehr begrüße.Mittlerweile ist wohl bewiesen, dass ErdgasförderungErdbeben auslöst. Ihre Ankündigung, meine Forderun-gen nach einer Beweislastumkehr zugunsten der Erdbe-bengeschädigten umzusetzen und die Bergschadensver-mutung explizit auch auf die Erdgasförderung undGeothermie zu beziehen,
hat mich – ich darf das sagen – sehr positiv überrascht.Ich hoffe, dass wir uns auch bei der Aufbereitung desgiftigen Lagerstättenwassers einig werden.
– Herr Krischer, Sie können eine Frage stellen. Wir er-klären das nachher. Hören Sie vielleicht einmal zu.Änderungen zugunsten einer sicheren Erdgasförde-rung und Geothermie müssen selbstverständlich mit Än-derungen im Wasserhaushaltsgesetz einhergehen, für dasdie Kollegin Hendricks zuständig ist. Es darf eben nichtnur, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, das soge-nannte Fracking im Schiefergas betreffen – nur darüberdiskutieren Sie von den Grünen. Nein, ich sage hierdeutlich: Auch die konventionelle Erdgasförderung isthier mit einzubeziehen.
Sie findet bereits seit mehreren Jahrzehnten auch unterEinsatz der Frackingtechnologie statt. Auch hier brau-chen wir Regelungen zum Schutz von Mensch und Um-welt.
Ich weiß, Herr Minister, dass Ihr Parteifreund in Nie-dersachsen, Wirtschaftsminister Lies, und vor allen Din-gen – das geht an die Adresse der Grünen – der grüneUmweltminister Wenzel das natürlich ganz anders se-hen.
Als Betroffener sage ich Ihnen, dass es auch im Bereichder konventionellen Erdgasförderung – Herr Krischer,das möchten Sie nicht hören – in Niedersachsen in derjüngeren Vergangenheit zu großen Verschmutzungen ge-kommen ist.
Erst kürzlich wieder, in der vergangenen Woche, gab eseine erhebliche Quecksilberverseuchung des Erdbodensmit einer zigfachen Grenzwertüberschreitung. Die Land-wirte dort sind sensibilisiert.
Ich sage auch in aller Deutlichkeit, dass diese mittler-weile immer wieder auftretenden Fälle nicht mehr pas-sieren dürfen. Deshalb fordere ich, viel konkreter, als Siedas in Ihrer grünen Partei machen, mit sehr vielen Uni-onskollegen ein Verbot des Verpressens des giftigen La-gerstättenwassers. Wir fordern ungiftige Frackfluide, wirfordern eine verpflichtende Umweltverträglichkeitsprü-fung, inklusive Vetorecht für die zuständigen Wasser-behörden, und wir fordern eine Beweislastumkehr imBergschadensrecht.
All diese Fragen gilt es durch das Ressort des Wirt-schaftsministeriums und durch die heute zur Verfügunggestellten Haushaltsmittel in klugen Gesetzes- bzw. Ver-ordnungsentwürfen zur Regelung für eine sichere Erd-gasförderung abzuarbeiten, damit die Menschen wiederVertrauen in die heimische Erdgasförderung, die ja be-kanntlich eine große wirtschaftliche Bedeutung für unserLand hat, bekommen. Mich jedenfalls, Herr MinisterGabriel, als Ihren Haushälter finden Sie an Ihrer Seite.Sehr begrüßt habe ich auch die Tatsache, dass IhrHaus nun, entgegen den ersten Antworten aus IhremMinisterium, die ich hier im Plenum in einer der vergan-genen Fragestunden erhalten habe, doch noch eine au-ßenwirtschaftliche Prüfung des Verkaufes der RWE/Deaan einen russischen Oligarchen eingeleitet hat.
Ich halte den Verkauf vor dem Hintergrund der ak-tuellen Debatte um die Versorgungssicherheit für nichtvereinbar mit deutschen Interessen. Ich sage deutlich:Wir können nicht auf der einen Seite darüber diskutie-ren, wie wir russisches Gas ersetzen können, und auf deranderen Seite tatenlos zusehen, dass in diesen mit Russ-land schwierigen Zeiten die Geschicke eines deutschenUnternehmens, das bei uns in Deutschland Erdgas för-dert, sich weltweit Vorkommen gesichert hat und da-
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rüber hinaus zahlreiche Gasspeicher betreibt, in russi-sche Hände gelegt werden.
Meine Damen und Herren, auch wenn viele im Zugeder Ukraine-Krise schon ein Einbrechen unserer Wirt-schaft befürchteten, so ist es zurzeit so, dass sich diedeutsche Wirtschaft weiter im Aufschwung befindet.Verglichen mit dem Wachstum der Weltwirtschaft – in-sofern, Frau Hajduk, haben wir nicht alles falsch ge-macht –
ist die Entwicklung der deutschen Wirtschaft erheblichpositiver. Auch die Erholung im Euro-Raum ist weiterfragil. Sie kommt zwar voran, aber von einer Entwar-nung oder von einem Ende der Verschuldungskrise undderen Ursachen im Euro-Raum möchte zumindest ichnoch nicht sprechen.Als Halbfranzose bin ich natürlich oft in Frankreichund verfolge die Lage dort selbstverständlich sehr auf-merksam. Dort ist die Wirtschaftskrise noch sehr deut-lich für die Menschen, auch in meiner Familie, und vorallem in den Unternehmen spürbar. Erst im April diesesJahres ist die Arbeitslosigkeit in Frankreich auf ein Re-kordhoch gestiegen. Das zeigt mir ganz persönlich, dassrein sozialistische Ideen zur Bewältigung einer Wirt-schaftskrise für die Menschen nur Nachteile bringen.Deshalb ist und war der deutsche Weg, der die Hand-schrift unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt,der richtige, um derartige Krisen dauerhaft zu bewälti-gen. Ich warne eindringlich vor einem Aufweichen derStabilitätskriterien.
Unser deutscher wirtschaftlicher Erfolg basiert nichtzuletzt auf einem sehr gut aufgestellten Mittelstand, dasist richtig. Der Mittelstand ist stark und wird in dennächsten Jahren hoffentlich noch weiter gestärkt. Hierfürgilt es auch mit diesem Haushalt die Rahmenbedingun-gen zu schaffen.Eben ist das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-stand, kurz ZIM, genannt worden. Dieses Programm hateinen kontinuierlichen Mittelanstieg zu verzeichnen, soauch in diesem Jahr: Rund 513 Millionen Euro sind es2014, und das sind 3 Millionen Euro mehr als im vergan-genen Jahr. Dieses Programm unterstützt mit einem sehrunbürokratischen Angebot – das sage ich auch als Mit-telständler – die forschenden Mittelstandsunternehmen.Gerade der Mittelstand spielt in unserer heutigen For-schungslandschaft eine enorm wichtige Rolle. In unse-rem rohstoffarmen Land ist die Forschung ein wichtigesStandbein unserer Wirtschaft. Nicht zuletzt deshalb hatdiese Große Koalition in den Verhandlungen zum Koali-tionsvertrag zusätzlich 3 Milliarden Euro für Forschungvorgesehen. Nach meinem Dafürhalten ist es sehr wich-tig, dass von diesen Geldern auch der Etat des Bundes-wirtschaftsministeriums profitiert. Hier denke ich an dieForschung im Luft- und Raumfahrtbereich, auch wennSie das kritisieren. Ganz besonders denke ich aber anForschungsvorhaben der mittelständischen Industrie inden verschiedensten Bereichen.
Dabei ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass das Geld, mitdem wir vom Bund Projekte fördern, zu einem Zuwachsbzw. zu einer Sicherung von Arbeitsplätzen in den unter-stützten Unternehmen führt. Deshalb begrüße ich essehr, dass das Wirtschaftsministerium über eine fortlau-fende Kontrolle die Erfolge dieses Programms misst.Wir stehen kurz vor dem Beginn der Beratungen fürden kommenden Bundeshaushalt. Frau Hajduk, ich sageIhnen zu, dass wir Koalitionshaushälter im Zuge dieserBeratungen sorgfältig prüfen werden – das habe ich imAusschuss schon gesagt –, ob der Mittelansatz für dasZIM angepasst werden muss. Dieses Programm mussmöglicherweise mit mehr Geldern als bisher ausgestattetwerden.Wenn Unternehmen forschen, dann dient das uns al-len. Wir müssen aber darauf achten, dass die Produktebis zur Marktreife entwickelt und dann auch vertriebenwerden können. Das heißt, wir müssen den Unterneh-men auch dann zur Seite stehen, wenn es zum Beispielum Patentanmeldungen geht. Deshalb freue ich mich,dass der Bundeswirtschaftsminister 17,1 Millionen Eurofür die Patentinitiative SIGNO bereitgestellt hat.Deutschland muss offen bleiben für Investitionen undneue Technologien. Es muss auch offen bleiben fürGroßprojekte und große Unternehmen; denn auch dieseUnternehmen sind – auch das mögen Sie nicht gerne hö-ren – Standbeine der Versorgung und Grund dafür, dassDeutschland besser dasteht als manch andere europäi-sche Nationen.In diesem Zusammenhang denke ich auch an dieLuft- und Raumfahrtindustrie. Natürlich erhält sie mitinsgesamt 1,4 Milliarden Euro eine erhebliche Summe.Ich sage hier: Die deutsche Luft- und Raumfahrtindus-trie spielt aufgrund ihrer internationalen Technologie-führerschaft eine führende Rolle; sie hat weltweit Erfolg.Somit ist sie ein erheblicher Wachstumsmotor für diedeutsche Wirtschaft. 105 000 Menschen waren 2013 indiesem Bereich beschäftigt. Das entspricht im Vergleichzu 2005 einem Anstieg um 24 000 Arbeitsplätze. Ichverrate doch kein Geheimnis, wenn ich sage, dass uns,der Unionsfraktion, die Luft- und Raumfahrtindustriesehr am Herzen liegt. Sie liegt uns nicht zu Unrecht amHerzen. Das wird deutlich, wenn man auf die Beschäfti-gungszuwachszahlen und die Erfolge blickt. Gerade des-halb ist es von strategischer Bedeutung, Herr Gabriel,wie sich Deutschland auf der anberaumten Ministerrats-konferenz Ende dieses Jahres hierzu aufstellt. Ganz kon-kret müssen wir uns die Frage stellen: Will Europa wei-terhin einen Zugang zum All, oder bedienen wir unsTrägerraketen Dritter? Für mich ist die Antwort klar: Ich
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3839
Andreas Mattfeldt
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bekenne mich ganz klar zum europäischen Raumfahrt-programm.
Noch ein Wort zum Stellenplan – ich muss das sa-gen –: Wir haben im Haushaltsausschuss der Schaffungvon zahlreichen neuen Stellen im Wirtschaftsministe-rium zugestimmt. Knapp 100 neue Stellen werden dortentstehen, um die Umsetzung des reformierten EEGdurchzuführen. Ich gehe davon aus, dass in Verbindungmit der von uns morgen zu beschließenden EEG-Novelledie Energiewende zu einem Erfolg geführt wird. HerrMinister, ich sage aber auch: Angesichts dieser Großzü-gigkeit beim Stellenaufwuchs ist der Erfolgsdruck natür-lich enorm.
Wir wissen alle, dass wir mit einem enormen Kraftaktdie Umsetzung der Energiewende stemmen müssen.Neue Stromleitungen müssen gebaut und bei der Förde-rung des Bereichs der erneuerbaren Energien müssenneue Wege gegangen werden. Wir als Koalitionshaus-hälter von CDU/CSU und SPD stellen uns dieser He-rausforderung. Wir werden die Energiewende in denkommenden Jahren erfolgreich umsetzen. Dies wird einzentrales, wahrscheinlich das zentrale Projekt dieser Le-gislaturperiode sein. Lassen Sie uns das gemeinsam an-packen. Ich werbe dafür, dass wir alle mit breiter Mehr-heit diesem Haushalt zustimmen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun der Bundesminister für Wirtschaft
und Energie, Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zuerst ein paar Bemerkungen zu den
Fragen bzw. zu der Kritik des Kollegen von der Linken
und der Kollegin von den Grünen sagen.
– Doch, so viel Fairness muss sein. – Sie haben zuerst
kritisiert, dass wir ein umfangreiches Änderungspaket
zum EEG eingebracht hätten. Ich finde, ehrlich gesagt,
das Lesen von fünf Seiten, auf denen präzise steht, wo-
rum es bei den Änderungen geht, ist keine intellektuelle
Überforderung.
– Ist doch gut! Ihr habt doch morgen noch eine Gelegen-
heit, zu schimpfen.
Aber das Ergebnis ist: Es geht um fünf Seiten, die erklä-
ren, was gesetzestechnisch in einer Synopse umgesetzt
wurde, wo ganz häufig „Der Text bleibt unverändert“
steht. Daraus machen Sie einen Riesenpopanz.
Viel wichtiger wäre, dass Sie sich beide mit der Frage
auseinandersetzen, ob wir eigentlich diese Querinterven-
tion der Europäischen Union nicht im Gesetz hätten be-
antworten sollen. Sie setzen sich gar nicht mit dem In-
halt auseinander.
Ich kenne die Position der Linkspartei dazu nicht, aber
eigentlich müssten die Grünen der Bundesregierung sa-
gen: Es ist richtig, dass Sie sich weigern, Stromimporte
nach Deutschland von der EEG-Umlage zu befreien. Sie
wissen doch, dass Teile der Kommission seit Jahren das
Ziel haben, nationale Fördersysteme wie das EEG zu
zerstören.
Dies ist – das wissen Sie doch – ein weiterer Angriff in
dieser Richtung. Das hat die Kommission am 17. Juni
und am 22. Juni gemacht, nachdem wir sechs Monate
von der Kommission – –
– Herr Krischer, ich weiß ja, dass es mit dem Zuhören
bei Ihnen schwierig ist.
Trotzdem bin ich aber wirklich ganz ruhig. Ich will nur
versuchen, zu erklären, dass ich glaube, dass Sie darüber
froh sein müssen,
dass wir diesen Angriff zur Zerstörung des EEG nicht
mitmachen, Herr Krischer.
Herr Minister, der Kollege Schlecht würde Ihnendazu gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie diezu?
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3840 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
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Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Selbstverständlich, gerne.
Herr Minister, in der Stuttgarter Zeitung steht heute
die Meldung, dass EU-Kommissar Günther Oettinger
verlautbart hat, dass der Streit zwischen Brüssel und
Berlin in dieser Woche nicht mehr beigelegt werden
kann. Wenn das so stimmt, wie wollen Sie dann guten
Gewissens morgen eine entsprechende Gesetzesverein-
barung hier durch das Parlament bringen? Das ist doch
abenteuerlich – ganz abgesehen von dem Schweinsga-
lopp, der hier kritisiert worden ist. Aber rein sachlich:
Sie wollen morgen etwas beschließen, obwohl im
Grunde die Inhalte noch gar nicht ausverhandelt sind.
Das ist doch wirklich abenteuerlich.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Herr Kollege, es gibt bei der Frage, ob der Deutsche
Bundestag oder die Koalitionsfraktionen einen Angriff
der EU zur Zerstörung des EEG zulassen sollen, keine
Verhandlungsmöglichkeit.
Wir sagen hier im Deutschen Bundestag und gegen-
über der Kommission, dass wir die Position der Kom-
mission für rechtswidrig halten und dass wir deshalb bei
der Position bleiben, die wir jetzt im Gesetzentwurf so-
zusagen noch einmal hervorgehoben haben. Das ist im
Wesentlichen die Änderung. Es gibt bezüglich der Frage
der Möglichkeit der Förderung erneuerbarer Energien in
Deutschland nichts zu verhandeln.
Herr Kollege, ich verstehe es deswegen nicht, dass
Sie angeblich Zeit zur Beratung dieser Frage brauchen.
Wenn Sie dafür Zeit brauchen, halten Sie die Zerstörung
des EEG für denkbar und möglicherweise sinnvoll. Das
unterscheidet uns ganz erheblich.
Bezüglich des zweiten Punktes gehe ich eigentlich
davon aus, dass uns die Grünen – auch da kenne ich die
Position der Linkspartei nicht – unterstützen und dem
Änderungsantrag zustimmen. Frau Hajduk, die Kommis-
sion hat am 17. und 22. Juni erstmals mitgeteilt, dass sie
Bestandsanlagen mit 100 Prozent Eigenstrom belegen
will. Insofern müssen Sie sich entscheiden, ob Sie diese
Position richtig oder falsch finden. Ich habe Sie so ver-
standen, dass Sie die Industriestrukturen in Deutschland
nicht infrage stellen wollen. Dann können Sie das kurz-
fristige Einbringen eines Änderungsantrages, mit dem
wir abwehren können, was da kommt, doch nicht als
Schweinsgalopp und Überforderung des Parlaments ver-
urteilen.
Frau Hajduk, damit stellen Sie Ihr Licht derart unter den
Scheffel, dass jeder weiß, dass es dabei nur um Klamauk
geht und nicht um Beurteilung der Sache selbst.
Darf der Herr Krischer jetzt noch einmal eine Zwi-
schenfrage stellen?
Aber dann würde ich es auch wirklich gerne dabei be-
lassen; denn wir müssen uns entweder darauf verständi-
gen, dass wir die Redezeiten, die wir beschlossen haben,
einhalten oder dass wir – was natürlich auch eine denk-
bare Alternative ist – den jeweiligen Minister zu einer
Fragestunde nötigen; dann muss aber eine Reihe der
Wortmeldungen zurückgenommen werden, die in dem
Rahmen, den wir beschlossen haben, zeitlich nicht zu
bewerkstelligen wären – das wäre die Konsequenz.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Darf ich nur anmerken, Herr Präsident: Ich würde
mich gar nicht genötigt fühlen.
Das leuchtet mir sofort ein. – Also, darf der Kollege
Krischer jetzt die Zwischenfrage stellen?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Ja, sicher.
Bitte schön, Herr Krischer.
– Sie wissen, dass Sie mich da sofort an Ihrer Seite ha-
ben, aber das gilt im Rahmen der Beschlüsse, die dieses
Parlament selber trifft, und wir haben gerade einen ge-
troffen.
Herr Kauder, Sie sollten still sein!Herr Gabriel, ich habe das so wahrgenommen, dassdiese Koalition sich mindestens seit drei Wochen um dasThema EEG-Umlage auf Eigenstrom – man kann auchsagen: Sonnensteuer – streitet,
dass Sie keine einheitliche Linie gefunden haben, dasswir wöchentlich, täglich andere Positionen gehört haben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3841
Oliver Krischer
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Jetzt schieben Sie diesen Streit auf die EU-Kommis-sion, bauen darum einen Popanz auf und erzählen unsurplötzlich, die EU-Kommission mache das ThemaEEG-Umlage auf Eigenstrom zum Problem, deshalbmüsse eine Änderung vorgelegt werden – eine Ände-rung, die Sie beantragt haben und die so aussieht, dasszwar jeder 40 Prozent EEG-Umlage auf Eigenstrom zah-len soll, aber über das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzder Satz für die Industrie – und nur für die Industrie! –wieder auf 15 Prozent reduziert werden soll. Also, wenndas die Politik der EU-Kommission sein sollte, dann ver-kaufen Sie die EU-Kommission für dumm. Ich glaubeeher, dass das ein billiger großkoalitionärer Kompromissist, um den Streit um die EEG-Umlage auf Eigenstrom,die Sonnensteuer, zu lösen; darum geht es.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Herr Krischer, Sie erhalten nachher einen Ausdruckmeiner Antwort auf den Kollegen und meiner Ansprachean Frau Hajduk; lesen Sie das im Protokoll noch einmalnach. Ich habe nämlich gesagt, dass vor wenigen Tagender Angriff der Kommission auf die Bestandsanlagen er-folgt ist, dass wir sie mit 100 Prozent EEG-Umlage bele-gen sollen.Worüber Sie eben geredet haben, betrifft die Neuanla-gen. Darüber habe ich gar nicht im Zusammenhang mitder Kommission gesprochen.
– Herr Krischer, ich antworte jetzt auf Ihre Frage. Ichweiß, dass das ganz doll wehtut.
Aber wenn Sie mich fragen, kann ich nichts anderes tun,als Ihnen den Sachverhalt zu erläutern. Ich habe hier ge-genüber Frau Hajduk – nachzulesen im Wortprotokollmeiner Rede von vor drei, vier Minuten – erklärt: DieKommission hat am 17. und am 22. Juni zum ersten Maldie Forderung aufgestellt, Bestandsanlagen mit 100 Pro-zent EEG-Umlage zu belegen. – Das kann eigentlich,wenn ich Frau Hajduk ernst nehme in ihrem Bemühen,Industriestrukturen in Deutschland zu erhalten, nicht ak-zeptiert werden.Sie haben eine Frage zu einem ganz anderen Sachver-halt gestellt. Da geht es um die Frage: Wie gehen wir mitdem Eigenstrom um, der durch Neuanlagen erzeugtwird? – Niemand bestreitet, dass darüber eine Debatte inder Koalition geführt wurde. Niemand bestreitet, dassdie Koalition – nicht völlig unabhängig von den Hinwei-sen der Brüsseler, dass man, das wissen wir übrigensschon länger, nicht akzeptieren könne, dass zwei unter-schiedliche Fördersätze gewählt werden – sich erst,wenn ich mich daran richtig erinnere, Montagabend ver-ständigt hat. Das hat niemand bestritten. Das ist übrigensauch kein ungewöhnlicher Vorgang. Warten Sie einmalab, wenn Sie morgen hier einen Geschäftsordnungsan-trag oder Ähnliches stellen zur Frage der Einmaligkeitdieses Vorgangs, was es da alles für Vorgängerverhaltengibt!
– Nein, das nicht; aber es macht ein bisschen das Theaterdeutlich, das hier aufgeführt wird.
Herr Krischer, ich bitte Sie nur um eines: Machen Siedas, was ich mit Ihnen mache: Ich höre immer genau zu,was Sie sagen. Das wäre auch umgekehrt ein ganz gutesVerfahren und ersparte uns die Beantwortung solcherZwischenfragen.
Frau Hajduk, ich werde Ihnen morgen auch nochmalserläutern – notfalls auch schriftlich –, warum wir natür-lich nicht die Absicht haben, Waffenexporte von derEEG-Umlage zu befreien.
– Auch das werden wir Ihnen mitteilen.
Nun zu den Fragen, die vorhin zu den kleinen undmittelständischen Unternehmen und zur Luft- undRaumfahrt gestellt worden sind. Denjenigen, die sichüber die Luft- und Raumfahrtförderung beschweren,möchte ich sagen: Herr Mattfeldt hat, wie ich finde, mitBlick auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes undEuropas bei diesen Technologien die richtige Antwortgegeben. Was glauben Sie eigentlich, wie viele mittel-ständische Zulieferer davon abhängig sind, dass Airbusein erfolgreiches Unternehmen ist und im Bereich derLuft- und Raumfahrt vorankommt? Dieses Unternehmenhat doch nicht nur ein großes Werk in Toulouse und einpaar kleine Werke im übrigen Europa, sondern es gehtauch um Tausende von Zulieferern, die von dem, waswir in der Luft- und Raumfahrtforschung tun, profitie-ren.Sie haben natürlich recht, dass der Industriebesatz inOstdeutschland absolut nicht zufriedenstellend ist. Dasist eine Entwicklung, der wir entgegenzusteuern versu-chen – das sollten Sie sagen –, indem wir die Mittel fürdie Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalenWirtschaftsstruktur“ anheben. Wir haben mit den Koali-tionsfraktionen übrigens verabredet, dass sie weiter stei-gen werden. Bis zu 80 Prozent dieser Mittel – ich habeFrau Gleicke danach gefragt – fließen in den Osten. Ichfinde, Sie sollten sagen, dass dies eine der Maßnahmenist, die wir ergreifen.
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3842 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Ich glaube, auch mindestens 40 Prozent der Mittel desZIM fließen nach Ostdeutschland.
– Oder sogar 60 Prozent. – Wir stellen also einen erheb-lichen Anteil der Mittel für Ostdeutschland zur Verfü-gung.Frau Hajduk, was ich überhaupt nicht nachvollziehenkann, ist Ihre Definition von Mittelstand. Sie sagen, wirsollen die europäische Definition heranziehen: bis zu249 Beschäftigte. Was unsere Volkswirtschaft so starkmacht, ist aber, dass es in diesem Land im Unterschiedzu Resteuropa einen außerordentlich starken und inter-national aufgestellten Mittelstand gibt.
Wollen Sie ernsthaft, dass man ein Unternehmen mit300, 400 oder 500 Beschäftigten nicht mehr fördern darf,weil die Schwelle bei 249 Beschäftigten liegt? Das istdoch nicht sinnvoll. Wir müssen uns fragen: Was zeich-net unsere Volkswirtschaft in besonderem Maße aus?Anders als der Mittelstand in Frankreich ist unser Mittel-stand eben nicht klein und nicht national, sondern relativstark, relativ groß und international aufgestellt. Dabeimuss es auch bleiben.
Insofern: Es gibt hinreichend viele Themen, über die wirnoch miteinander zu reden haben; keine Frage.Lassen Sie mich wenigstens ein paar Minuten auf dieHerausforderungen eingehen, die trotz der sehr gutenwirtschaftlichen Entwicklung, die Frau Hajduk beschrie-ben hat, aus meiner Sicht auf uns zukommen. Ich glaube,der Grund für die gute Entwicklung liegt vor allen Din-gen darin, dass wir unfassbar innovative und flexibleUnternehmen und hochqualifizierte Beschäftigte haben,die den Aufschwung erarbeiten. Es ist ja nicht die Poli-tik, die das tut, sondern es sind die Menschen, die Unter-nehmen, die Kreativen, die Forscher und die Entwickler,die den Aufschwung in diesem Land ermöglicht haben.Aber man darf sich, glaube ich, nicht täuschen: Esgibt natürlich auch eine ganze Reihe von Herausforde-rungen, und es stellt sich die Frage, ob wir diesen derzeitguten Zustand erhalten können. Dazu zählen innenpoliti-sche Herausforderungen – da hat Frau Hajduk völligrecht – wie die Investitionen; ich glaube, Sie haben die-ses Thema auch angesprochen. Die Nettoinvestitionenunserer Wirtschaft in unserem Land sind zu niedrig, so-wohl die Investitionen in die öffentliche Infrastruktur alsauch die privaten Ausrüstungsinvestitionen. Aber, FrauHajduk, wenn Sie fragen: „Wie gehen wir mit der gutenSituation um?“, dann dürfen Sie nicht verschweigen:9 Milliarden Euro investiert diese Koalition in Bildung,Forschung und Entwicklung
und 5 Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur.Was tun wir angesichts der guten Entwicklung noch?Wir sorgen für ausgeglichene Haushalte. Was kann manfür dieses Land eigentlich Besseres tun, als dafür zu sor-gen, dass wir solide Finanzen haben, sodass auch beisteigenden Zinsen nicht immer mehr Steuergelder fürSchulden ausgegeben werden müssen? Das ist Zukunfts-vorsorge. Da kann man doch nicht sagen, das sei nichts.
Eine weitere Herausforderung ist die Gewinnung vonFachkräftenachwuchs. Immer noch schließen mehr als50 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrundkeine duale Berufsausbildung und kein Hochschulstu-dium ab. Hier haben wir ein Riesenpotenzial, das wir he-ben müssen. Wir dürfen nicht nur über die Frage disku-tieren: Wen holen wir aus dem Ausland? Wir müssenauch dafür sorgen, dass wir die jungen Leute im eigenenLand vernünftig qualifizieren.
Deswegen ist es richtig, dass der Bund die Länder ent-lastet. Aber wir wollen, dass die Länder diese Entlastungnutzen, um in Bildung zu investieren; das ist dabei dasEntscheidende.
Eine weitere Herausforderung ist die Infrastruktur.Zwei Drittel der öffentlichen Infrastrukturinvestitionentätigen die Kommunen.
– Na klar, gucken Sie mal nach: Zwei Drittel der öffent-lichen Investitionen sind kommunale Investitionen undkeine Investitionen der Länder oder des Bundes.
Was haben wir beim letzten Mal, noch in der altenKoalition, gemacht? Durch die Übernahme der Grund-sicherung im Alter haben wir im Vermittlungsausschussfür eine Entlastung von 4,5 Milliarden Euro gesorgt. Diejetzige Koalition hat verabredet, im Sommer mit demBundesteilhabegesetz noch einmal eine Entlastung von5 Milliarden Euro pro Jahr zu schaffen, und im Vorgriffdarauf entlasten wir die Kommunen in den Haushalten2015 und 2016 nochmals jeweils um 1 Milliarde Euro.Das ist die reale Förderung von öffentlicher Infrastrukturund Investitionen
und nicht nur eine Förderung in Reden.Ich glaube, dass das nicht reicht; das ist keine Frage.Die Debatte wird aber weniger darüber geführt werden,welche öffentlichen Investitionen wir noch tätigen, son-dern darüber, wie wir privates Kapital für Investitionenund die öffentliche Infrastruktur mobilisieren können. Esgibt Geld genug, aber es fließt nicht in die Realwirt-schaft und auch nicht in die Infrastruktur. Darüber habenwir zu reden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3843
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Daneben haben wir natürlich auch über das ThemaEnergie zu sprechen, und zwar nicht nur in Bezug aufdas EEG, aber das werden wir morgen ja noch ausführ-lich tun.Meine Damen und Herren, die größte Sorge ist nachwie vor die weitere europäische Entwicklung. Ichglaube, dass wir uns alle miteinander einig sind, dass Eu-ropa neben vielen anderen Ländern der Welt fürDeutschland natürlich von großer Bedeutung ist; dennwir werden es nur schaffen, unsere ökonomische Stärkeaufrechtzuerhalten, wenn es anderen in Europa auch gutgeht. Es ist ja nicht so, dass Deutschland der Lastesel derEuropäischen Union ist, sondern wir sind die großenProfiteure der Europäischen Union; denn man wird nichtExporteuropameister und Exportweltmeister, ohne dassandere Menschen die Produkte kaufen. Deswegen gehtes auch darum, dafür zu sorgen, dass es diesen Men-schen so gut geht, dass sie sich unsere Produkte leistenkönnen.Wir haben gesehen, dass die Europawahl fatale Er-gebnisse gebracht hat. Es kann uns nicht gleichgültigsein, was in Ländern wie Frankreich passiert. Es kannuns nicht gleichgültig sein, dass in Frankreich eine popu-listische Partei wie die Front National immer stärkerwird und eine Antieuropäerin, Frau Le Pen, die Chancehat, nächste französische Präsidentin zu werden.Wir müssen uns hier darüber im Klaren sein: Damitdiese Länder aus der Strukturkrise herauskommen, sindStrukturreformen notwendig. Wer sich diesen dauerhaftverweigert, der wird am Ende keinen Erfolg haben. Ichglaube, dass Deutschland das beste Beispiel dafür ist.Was immer man von der Agenda 2010 halten mag, einesist, glaube ich, unbestritten: Sie hat in weiten Teilen ei-nen großen Einfluss auf die gute wirtschaftliche Ent-wicklung unseres Landes gehabt.
Wahr ist aber auch, dass Deutschland zum gleichenZeitpunkt, 2003, die Defizitkriterien der EuropäischenUnion gebrochen hat, was vielfach kritisiert wurde.Hätte Deutschland damals aber neben den harten Refor-men aufgrund der Agenda 2010 auch noch 20 MilliardenEuro einsparen müssen, dann wäre das Ergebnis dochnicht gewesen, dass sich die Agenda durchgesetzt hätte,sondern ich bin mir sicher, dass sie dann überhaupt nichtzustande gekommen wäre. Eines geht nämlich nicht:Wenn man Reformen macht, kann man nicht zeitgleichauf Investitionen verzichten. Das funktioniert nicht. Re-formen und Investitionen gehören zusammen. Deswegenheißt der Pakt übrigens nicht Stabilitätspakt, sondernStabilitäts- und Wachstumspakt.Ich glaube, dass man an diesem Beispiel schön sehenkann, wo der Unterschied zwischen Deutschland undFrankreich ist. Frankreich hat die Defizitkriterien zumgleichen Zeitpunkt auch gebrochen, aber es hat sich keinReformprogramm auferlegt, sondern einfach so weiter-gemacht wie bisher. Das ist der große Unterschied zwi-schen Deutschland und Frankreich.Im Umkehrschluss bedeutet das – das hat die Bundes-kanzlerin in der Generaldebatte gestern zu Recht nocheinmal gesagt –: Niemand, auch nicht in der SPD, willden Stabilitäts- und Wachstumspakt angreifen. Wir wol-len ihn auch nicht kreativ umdefinieren oder die Defizit-kriterien aufweichen. Darum geht es nicht. Der Paktsteht, und ich bin froh, dass das in Europa inzwischenalle – jedenfalls in meiner Parteifamilie – akzeptiert ha-ben.Innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes gibtes aber eben eine Vielzahl von Möglichkeiten, dafür zusorgen, dass Reformen mit Investitionen Hand in Handgehen können. Wenn der italienische Staat 15 MilliardenEuro aus Fonds der EU nicht abrufen kann, weil er nichtkofinanzieren kann, da er sonst die Defizitkriterien nichterfüllen würde, dann frage ich: Warum ist es nicht mög-lich, die 15 Milliarden Euro aus den Fonds auszuzahlenund auf die Kofinanzierung durch den italienischen Staatzu verzichten? Warum schaffen wir nicht solche Flexibi-litäten?Das erwarte ich von der nächsten Kommission. WerReformen macht, muss Luft zum Atmen für Investitio-nen und Wachstum haben. Ich erwarte aber nicht eineirgendwie ideologisch geprägte Debatte um den Sta-bilitäts- und Wachstumspakt. Ohne nachhaltige Struktur-reformen gibt es kein Wachstum, aber ohne Wachstums-impulse wirken nachhaltige Strukturreformen eben auchnicht. Das ist die Diskussion, die wir in Europa führenmüssen.
Ich bin sicher, dass man das deutsche Beispiel von 2003offensiv verkaufen kann. Aber die eigentlich schwierigeDebatte ist: Was eigentlich sind die notwendigen Struk-turreformen? Das ist die entscheidende Debatte. Da darfniemand der Härte der Diskussion ausweichen; das müs-sen alle wissen.Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir nocheine Menge Arbeit vor uns haben. Aber auch Deutsch-land wird seine gute wirtschaftliche Entwicklung nichtbeibehalten, wenn es uns nicht gelingt, Europa zu stabili-sieren: ökonomisch, aber auch politisch und kulturell. Esist – da hat die Kanzlerin recht – das größte Projekt, daswir geerbt haben. Es gibt eine Menge zu tun, damit wirin den nächsten Jahren dieses Erbe in Europa nicht ver-spielen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun der Kollege Michael Schlecht für
die Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Herr Minister, da Sie eine Erfolgsbilanz der deutschenWirtschaftspolitik aufgemacht haben, ist das Erste, wor-auf man Sie in dieser Debatte hinweisen müsste, dass
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3844 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Michael Schlecht
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wir bei den Löhnen nach wie vor eine vollkommen de-saströse Entwicklung haben,
dass heute die Löhne trotz einer leichten Verbesserung inden letzten Jahren nach wie vor um 3,6 Prozent niedrigersind als im Jahr 2000. Das heißt, ein Durchschnittsver-diener verdient heute preisbereinigt deutlich weniger alsim Jahr 2000;
denn mit der gesamten Politik der Agenda 2010 sind dieHandlungsmöglichkeiten der Gewerkschaften massivunterminiert worden.Es ist erfreulich, dass Sie nächste Woche den Entwurfeines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie vorle-gen werden. Wir werden dann allerdings sehen, ob diedarin enthaltenen Regelungen nicht nur in extrem ho-möopathischer Weise wirken werden.Ich möchte gerne noch auf einen anderen Punkt – ichhabe ja nicht so viel Redezeit – eingehen.
Die Situation heute ist Folgende: Die Infrastruktur inDeutschland verrottet. Die Hälfte der Brücken inDeutschland ist marode. Die Zahl der Schlaglöcher aufden Straßen steigt. Bereits heute sprechen Gerichte Au-tofahrern Schadensersatz zu, wenn durch das Holperndurch die Schlaglöcher Schäden entstanden sind. An denHochschulen fällt der Putz von der Decke usw. usw. Sielassen die Infrastruktur Deutschlands faktisch vergam-meln. Dafür sind die Regierungen der letzten zehn biszwölf Jahre verantwortlich. Was hier geschehen ist, istwirklich skandalös.
Es wurde in den letzten zehn Jahren auf Teufel kommraus gekürzt, um so gleichzeitig Reichen und Vermögen-den 500 Milliarden Euro zu schenken. Hätten wir nochheute die Steuergesetzgebung von Helmut Kohl, dannhätte es eine ganz andere Entwicklung gegeben. Seit2003 sind die öffentlichen Investitionen viel zu niedrig,um den Verschleiß der Infrastruktur auszugleichen. Dasgibt es in keinem anderen europäischen Land, nur inDeutschland, vollkommen desaströs. Das Land wird fak-tisch abgebaut und nicht aufgebaut.
Neben dem Thema Infrastruktur gibt es einen weite-ren Skandal, und zwar im Dienstleistungsbereich: DerAusbau von Krippen und Kindertagesstätten reicht beiweitem nicht aus. In der Bildung wird verstärkt gekürzt,statt mehr Geld einzusetzen. Es gibt einen guten Grund,warum in diesen Tagen wieder zu Bildungsstreiks aufge-rufen wird und die jungen Leute sich wehren. Dafürkann man ihnen nur viel Mut und Erfolg wünschen.
In den Krankenhäusern gibt es zu wenig Pflegeperso-nal. Die Länder alleine können den Unterhalt überhauptnicht stemmen. Ältere Menschen in Heimen werden zuoft schlecht betreut. Es reicht häufig nur noch für dieSatt-und-sauber-Pflege. Auch das ist in so einem reichenLand wie diesem schlichtweg menschenunwürdig undein Skandal.
Die jetzige Regierung ändert an dieser Politik nichts.Haushaltskonsolidierung über alles – das ist zurzeitgroße Mode und die Devise in Deutschland. Das istfalsch. Dabei ginge es auch anders, auch ohne neueSchulden zu machen: Man müsste sich nur einmal dazuentschließen, Reiche und Superreiche wieder stärker zubesteuern, zumindest die Steuern auf das Niveau der Re-gierungszeit Helmut Kohls anzuheben. Insoweit bin ichfast ein Fan des Altbundeskanzlers.
Aber wir sind der Auffassung: Man müsste mehr ma-chen.Die Linke hat ein steuerpolitisches Konzept, mit demdie staatlichen Einnahmen um 180 Milliarden Euro proJahr erhöht werden könnten. Der wichtigste Baustein istdie Wiedereinführung einer Vermögensteuer, mit derwirklich Reiche mit ihrem Vermögen deutlich zur Be-steuerung herangezogen werden. Wir wollen die Millio-närssteuer. Das heißt, alle Menschen, die weniger als1 Million Euro besitzen, werden davon nicht betroffensein. Man könnte einmal eine Umfrage machen, wer indiesem Hohen Hause davon betroffen wäre.Die Linke will das Vermögen besteuern. Die Millio-närssteuer würde vor allen Dingen für die Länder einedeutliche Verbesserung bedeuten. Denn die Vermögen-steuer ist eine Steuer, die vor allem den Ländern zufließt.Die Länder hätten die Möglichkeit, in dem Bereich Bil-dung und dem Bereich Soziales vieles voranzubringen.Sie hätten vor allen Dingen auch die Möglichkeit, dieZuweisungen an die Kommunen wieder deutlich auszu-weiten. Denn die Kommunen sind in der Tat das großeProblem.Herr Gabriel, ich will auf einen Punkt hinweisen: DieKommunen tragen als öffentliche Auftraggeber nichtmehr zwei Drittel der Investitionen, sondern nur noch50 Prozent,
gerade deshalb, weil in den letzten zehn Jahren die Si-tuation durch Kürzungen bei den Kommunen und ver-schiedene andere Ursachen, die ich jetzt nicht ausführenkann, so desaströs geworden ist. Die Kommunen, in de-nen lebensnah entschieden werden kann, was für dieBürgerinnen und Bürger sinnvoll ist, müssen durch Zu-weisungen insbesondere aus den Ländern und andereMaßnahmen wieder deutlich mehr Geld bekommen, da-mit dort wieder die Investitionsquoten steigen und 60 bis70 Prozent der Investitionen in den Kommunen ent-schieden werden können.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3845
Michael Schlecht
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Um all diese Missstände bei der Infrastruktur, aberauch gerade im sozialen Bereich auf Bund-, Länder- undGemeindeebene anzugehen, plädieren wir dafür, ein um-fassendes nationales Zukunftsprogramm aufzulegen.Wir wollen ein Zukunftsprogramm in einer Größenord-nung von 100 Milliarden Euro jährlich für Bund, Länderund Kommunen. Das muss man abstimmen.Wir sind für dieses sozial-ökologische Zukunftspro-gramm, um die öffentlichen Investitionen in Bildung,Bauten, Verkehr und vor allem auch in die Energie-wende zu erhöhen. Es müssen mehr staatliche Gelder indie Energiewende fließen. Alleine dafür sollte ungefährdie Hälfte der Mittel, also 50 Milliarden Euro, aufge-wendet werden. Die übrigen 50 Milliarden Euro müsstenin Bildung, Erziehung und die Pflege älterer Menschenfließen.Wenn man das machen würde, dann hätte man dieChance – Sie halten sich ja immer die Erfolge am Ar-beitsmarkt zugute; diese „Erfolge“ bestehen im Regelfallnur in der Ausweitung der Prekarisierung –, mit einemsolchen Zukunftsprogramm 2 Millionen Arbeitsplätzezu schaffen, und zwar anständige Arbeitsplätze: tariflichabgesicherte Vollzeitarbeitsplätze, von denen man lebenkann, statt Arbeitsplätze in Hunger- und Niedriglohnbe-reichen, die in den letzten Jahren so schrecklich grassie-ren.Wenn man von staatlicher Seite den Hungerkurs derletzten zehn Jahre zurücknimmt – auf das daneben beste-hende Lohnproblem kann ich jetzt nicht weiter einge-hen – und ein Zukunftsprogramm auflegt, dann wäre dasein wichtiger Schritt, um den verhängnisvollen Außen-handelsüberschuss Deutschlands abzubauen. Wir wür-den die Binnennachfrage stärken und die Möglichkeitschaffen, dass andere Länder, die heute unter der Über-macht Deutschlands leiden, verstärkt nach Deutschlandexportieren. Wir hätten auch die Möglichkeit, dass Ar-beitsleistung, die heute dem Exportsektor zugutekommt,für die Binnenwirtschaft eingesetzt wird.Insoweit wäre das auch ein Beitrag, um die Euro-Krise an den Wurzeln zu packen, indem der Außenhan-delsüberschuss verringert und am besten auf null ge-bracht wird.
Herr Kollege.
Ich bin fertig.
Danke schön.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Michael Fuchs das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will als Al-lererstes betonen, dass es uns richtig gut geht. Nach dem,was Herr Kollege Schlecht eben von sich gegeben hat,kann es einem ja schlecht werden. So schlecht geht esdiesem Land Gott sei Dank nicht.
Es geht Deutschland so gut wie nie. Wir haben – ne-benbei – die allerhöchsten Steuereinnahmen, die diesesLand jemals gehabt hat. Die Länder haben die höchstenEinnahmen, die sie jemals gehabt haben. Das sollten wirnicht einfach wegdiskutieren. Das ist schließlich ein Er-folg.
42 Millionen Menschen in Deutschland haben Be-schäftigung. Eine solch hohe Beschäftigtenzahl hat esnoch nie gegeben. Es gibt fast 30 Millionen sozialversi-cherungspflichtig Beschäftigte. Auch das hatten wirnoch nie. Die Zahl der arbeitslosen Menschen nähertsich 2,5 Millionen. So niedrig war die Arbeitslosigkeitnach der Wiedervereinigung Deutschlands noch nie. Wirhaben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit zu verzeich-nen. In vielen Regionen Deutschlands gibt es kaum nochJugendliche, die in Ausbildungsverhältnisse gebrachtwerden können.
Auch das hat es noch nicht gegeben. Vergleichen Sie daseinmal mit der Jugendarbeitslosigkeit in allen andereneuropäischen Ländern! Vergleichen Sie bitte einmal dasLohnniveau Deutschlands mit dem in allen andereneuropäischen Ländern! Dann sehen Sie, wie gut esDeutschland geht. Nur, Sie können und wollen das nichtzur Kenntnis nehmen, weil es nicht in Ihre kommunisti-sche Ideologie hineinpasst.
Wir stehen vor großen, heftigen Aufgaben. Diese ge-hen wir gemeinsam an. Wir wollen den Bundeshaushaltzum ersten Mal nach langer Zeit wieder ausgleichen.Seit 46 Jahren war der Bundeshaushalt nie ausgeglichen.Der Letzte, der das geschafft hat, war Franz Josef Strauß1969.
Ältere Menschen wie ich können sich noch daran erin-nern.
Aber die meisten, die hier sitzen, können das nicht mehr.Unser Ziel muss wieder sein, ausgeglichene Haushalteaufzustellen. Wir müssen endlich wieder in der Lagesein, Zukunft zu gestalten, und dürfen die Last der Zin-sen und Zinseszinsen, die unsere Kinder und Kindeskin-der zu zahlen haben, nicht weiter erhöhen. Das ist Auf-gabe dieser Regierung. Das haben wir uns gemeinsamvorgenommen. Wir wollen das alles ohne Steuererhö-
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Dr. Michael Fuchs
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hungen erreichen. Das kann man einfach machen, wieSie es wollen, und die Steuern erhöhen. Aber das bringtgar nichts. Sie sehen es ja: Dort, wo die Steuern zu hochsind, sind die Unternehmen weg. Das können Sie in vie-len Ländern beobachten.Wir wollen des Weiteren unsere internationale Wett-bewerbsfähigkeit stärken; das ist unsere Aufgabe. Dasist nicht einfach. Die gesamte Europäische Union musswettbewerbsfähiger werden. Dabei müssen wir aufpas-sen, dass wir nicht zu viel ausgeben und dass zusätzlicheSozialleistungen zuallererst gegenfinanziert sein müs-sen. In dieser Hinsicht sind wir in dieser Legislatur-periode noch ein klein bisschen auf dem falschen Weg.Aber ich gehe davon aus, dass sich das jetzt ändert.
Wir haben es geschafft, Europa zu stabilisieren. HerrMinister, ich bin Ihnen dankbar für das, was Sie eben ge-sagt haben, nämlich dass es kein Rütteln an diesem Sta-bilitätspakt geben darf.
Der Euro ist stabil. Er liegt im Verhältnis zum Dollarmomentan bei 1,36. Mittlerweile hören wir von unserenexportstarken Firmen, die in den Dollarbereich exportie-ren, hin und wieder die Bemerkung, der Euro-Kurskönnte ein bisschen niedriger sein, weil es dann einfa-cher ist. Nein, der Euro ist stabil, weil wir einen Stabili-tätspakt und eine Europäische Zentralbank haben, diedafür sorgt, dass die Stabilitätskriterien eingehalten wer-den. Man kann über den berühmten Satz von HerrnDraghi „Whatever it takes“ nachdenken und sich fragen,ob das der richtige Weg ist, nämlich bei der Übernahmevon Schulden quasi alles möglich zu machen. Das mussvielleicht noch ein Stück weit korrigiert werden. Aberwir sind jetzt auf einem stabilen Weg in Europa, undauch die meisten Länder haben es kapiert.Die Programmlösungen, die wir für die einzelnenLänder gefunden haben, nämlich Leistungen nur dann zugewähren, wenn die Länder entsprechende Vorleistun-gen erbracht haben, sind richtig. Das sieht man schon da-ran, dass die meisten Länder mittlerweile aus den Hilfs-programmen heraus sind; Irland ist heraus, Spanien istheraus. Ob eine Steuersenkung zu diesem Zeitpunktrichtig ist, wird sich zeigen. Auf jeden Fall darf eineSteuersenkung nicht zu einer höheren Neuverschuldungführen; das muss jeder beachten. Auch Griechenland istschon ein gutes Stück weitergekommen. Aber es hatnoch einen langen Weg zu gehen; denn eine schwarzeNull, die sich ohne Berücksichtigung des Zinsbereichsergibt, reicht sicherlich à la longue nicht aus. Eines stehtfest: Könnte man mit Staatsausgaben auf Pump Wachs-tum kaufen, wäre Griechenland sicherlich die wachs-tumsstärkste Nation Europas. Ginge die Gleichung„Mehr Schulden gleich mehr Wachstum“ auf, dann wäreItalien die Lokomotive und nicht das Schlusslicht derWährungsunion. Dann wären wir das Schlusslicht. Wirsind es aber nicht. Wir sind tatsächlich die Nation inEuropa, die das größte Wachstum zu verzeichnen hat.Unser Wachstum wird am Ende des Jahres wahrschein-lich bei 2,5 Prozent liegen. Für eine reife Volkswirt-schaft eine Erfolgsstory!
Deswegen dürfen wir auch nicht in alte Denkmusterverfallen und glauben, dass wir das in irgendeiner Weiseverändern könnten. Nein, wir müssen dafür sorgen, dassdieses Wachstum stabil bleibt und dass die Haushalte inallen europäischen Staaten ausgeglichen werden. Ich binder Bundeskanzlerin ausgesprochen dankbar dafür, dasssie diese Politik so weiterführt.Eines muss uns in Deutschland besonders bewusstsein: Deutschland ist das Land, das am stärksten vomEuro profitiert. Kein anderes Land hat so viele Vorteiledurch den Euro gehabt wie wir, und zwar deswegen,weil wir über viele Jahre eine stabile Währung mit einerextrem niedrigen Inflationsrate haben.
Das heißt für uns, dass auch das Geld unserer Bürgerin-nen und Bürger sicher ist. Das sollte eigentlich jederwissen.Stellen Sie sich bitte einfach einmal vor, wir hättenbesonders zu den Zeiten, als die Finanzkrise 2008 und2009 tobte, den Euro nicht gehabt, sondern wir hättendie D-Mark gehabt. Wir hätten es mit Aufwertungsten-denzen zu tun bekommen, wie sie die Schweiz schmerz-voll gespürt hat. Dann wäre es mit Deutschland als Ex-portweltmeister ganz schnell zu Ende. Deswegen sindwir froh, dass wir den Euro haben. Wenn irgendwelchekruden Parteien propagieren, den Euro wieder abzu-schaffen, dann haben die anscheinend nicht verstanden,wovon Deutschland profitiert hat.
Wir müssen das Wachstum in Europa stärken, aberwir müssen auch das Wachstum in der Welt stärken. Ichbin froh, dass die Wirtschaft hierzulande so wächst, wiesie es tut, aber wir müssen uns darum kümmern, dass dasauch so bleibt. Deswegen, Herr Minister, sehe ich schondie Notwendigkeit, dass wir uns sehr stark dafür enga-gieren, dass die Doha-Runde weitergeführt wird unddass die Welthandelsrunden weitergeführt werden. Amliebsten sind mir natürlich multilaterale Vereinbarungen,nicht bilaterale; denn multilaterale Vereinbarungen sindgerade für unsere mittelständische Wirtschaft, die Sieeben angesprochen haben, wesentlich besser, weil diemittelständische Wirtschaft sich nicht riesige Anwalts-stäbe leisten kann, die sich mit den Regeln und Normenin jedem einzelnen Land beschäftigen. Ich würde Sie bit-ten, dass wir uns in den nächsten Wochen und Monaten– wir haben, wenn das EEG morgen verabschiedet ist,wieder ein bisschen mehr Zeit, auch einmal etwas ande-res zu tun – etwas mehr mit den multilateralen Handels-
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systemen beschäftigen. Bali war ein guter Ansatz. Dermuss weitergeführt werden. Ich könnte mir vorstellen,dass wir unsere Hausaufgaben gut erledigen.Wir müssen uns aber auch dafür einsetzen, dass dasTTIP, das transatlantische Partnership-Agreement, um-gesetzt wird, dass es vorankommt. Wenn wir es schaffen,hier ein Abkommen auszuhandeln, dann werden dieNormen, die zwischen den USA und Europa gelten,Weltgeltung haben. Wir alle wissen, dass die Amerika-ner zurzeit auch über ein transpazifisches Abkommenverhandeln. Wer als Erster fertig ist, der setzt die Nor-men. Wenn die Amerikaner zuerst mit den pazifischenLändern die Normen gesetzt haben, werden sie sie mituns nicht noch einmal ändern, sondern sagen: Dannnehmt doch bitte die Normen, die wir mit den pazifi-schen Ländern vereinbart haben. – Das darf nicht derFall sein. Ich bin dafür, dass wir schnell machen und da-für sorgen, möglichst zügig dieses transatlantische Part-nership-Agreement umzusetzen. Daran müssen wir allearbeiten.Es darf nicht sein, dass mit einem wenig verständli-chen Antiamerikanismus gearbeitet wird. Das stört michganz gewaltig; denn das ist nicht richtig und nicht inOrdnung. Jeder von uns kann sich darüber ärgern, dasses die NSA gibt. Aber glaubt denn irgendjemand vonuns, dass die Russen nicht mindestens das Gleiche tun?Oder glaubt denn irgendjemand von uns, dass die Chine-sen nicht mindestens das Gleiche tun? Und kein Menschredet darüber.
– Dass Sie, Herr Hofreiter, das nicht verstehen, kann ichverstehen,
weil das Ihrem Weltbild nicht entspricht.
Ich sage Ihnen eines: Dieser Antiamerikanismus musszurückgewiesen werden. Das TTIP ist eine Chance füruns alle, engere Wirtschaftsbeziehungen mit Amerika zubekommen und dadurch größere Chancen zu erhalten.
Darf der Kollege Ernst eine Zwischenfrage stellen?
Die muss ich nicht ernst nehmen, aber mache ich.
Na ja. – Es empfiehlt sich eigentlich, nur dann eine
Zwischenfrage zuzulassen, wenn man auch beabsichtigt,
sie ernst zu nehmen, Herr Kollege.
Wir schauen einmal.
Herr Präsident, ich danke Ihnen für diesen Hinweis. –
Sie haben sich gerade dahin gehend geäußert, dass es
sich bei denjenigen, die Kritik am transatlantischen Han-
delsabkommen üben, um Antiamerikanismus handeln
würde. Wie stellen Sie sich denn zu der Aussage unseres
Wirtschaftsministers, der insbesondere den Investoren-
schutz, der die Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland und übrigens auch Rechtsordnungen ande-
rer Staaten in Europa mehr oder weniger außer Kraft set-
zen würde, durchaus kritisch sieht?
Er hat auf einer Veranstaltung, bei der ich selber war, ge-
sagt, dass zwischen Partnern, Deutschland, Europa und
Amerika, bei denen es funktionierende Rechtssysteme
gibt, kein besonderer Investorenschutz mit einer beson-
deren Gerichtsbarkeit notwendig ist. Sehen Sie das ähn-
lich? Wenn Sie das ähnlich sehen würden, würde das ja
eher eine Kritik an diesem Handelsabkommen und nicht
einen Antiamerikanismus bedeuten. Oder wollen Sie un-
serem Wirtschaftsminister Antiamerikanismus unterstel-
len?
Erstens. Das werde ich nicht tun.Zweitens. Dieses Abkommen ist, wie Sie wissen,noch nicht endverhandelt. Dass man beim Thema Inves-torenschutz durchaus anderer Meinung sein kann, halteich für völlig in Ordnung. Wir werden ja noch weiterverhandeln. Ich habe nur gesagt, dass wir dieses Abkom-men möglichst zügig zu Ende verhandeln sollten. Daranwerden wir alle arbeiten und in der nächsten Zeit hof-fentlich weiterkommen.Es kann nicht sein, dass wir uns ausschließlich überChlorhühnchen oder Ähnliches unterhalten. Dazu hat esvor kurzem diverse Untersuchungen gegeben, die besa-gen, dass das sowieso eine Fehlinformation gewesen ist.
Ich will nur herausgreifen, dass wir darüber diskutieren,ob Blinklichter rot oder gelb sind. Allein solche Han-delshemmnisse führen dazu, dass die Automobilindus-trie in großem Stil zusätzliches Geld investieren muss,wenn sie Autos nach Amerika exportieren will. Dasmuss geändert werden. Dafür ist ein solches Abkommenda. Wir müssen gemeinsam mit den Amerikanern dierichtigen Normen setzen. Ich glaube, wir sind auf einemguten Weg.Meine Damen und Herren, über die Energiepolitikwerden wir morgen diskutieren. Deswegen werde ichnicht näher darauf eingehen. Eines steht für mich fest:
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Dr. Michael Fuchs
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Ich habe Verständnis dafür, das die Opposition Schwie-rigkeiten damit hat, dass diverse Punkte nun schnell erle-digt werden müssen. Der Minister hat aber eben völligzu Recht erklärt, dass es keine Alternative dazu gab. Wiralle müssen wissen: Steht das Gesetz nicht am 1. Augustim Gesetzblatt, dann hat die deutsche Wirtschaft ein rie-sengroßes Problem, weil das BAFA keine Bescheinigun-gen mehr ausstellen darf.
Das darf nicht passieren. Ich möchte die deutsche Wirt-schaft schonen. Es muss die deutsche Wirtschaft auch imnächsten Jahr Anträge zur EEG-Befreiung stellen kön-nen. Dafür ist es dringend notwendig, dass das Gesetzmorgen durch den Deutschen Bundestag kommt. Wirwerden das hinbekommen. Ich bin allen, die daran betei-ligt waren, sehr dankbar.Wir wissen, dass es ein erster Schritt ist, es ist ein ers-tes EEG-Reformgesetz. Aber nach der Reform ist vorder Reform. Wir müssen das Strommarktdesign ange-hen,
wir müssen die Ausschreibung bei erneuerbaren Ener-gien organisieren, wir brauchen einen Energieeffizienz-Aktionsplan. Ich bin mir mit Frau Hajduk darin einig,dass wir noch einiges zu tun haben.
Das ist eine große Aufgabe, die vor uns liegt. Ich gehedavon aus, dass wir sie gemeinsam angehen werden, undfreue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Dieter Janecek das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Dr. Fuchs, ichfreue mich, dass es Ihnen so gut geht. Der Energiewendegeht es nicht so gut. Das hat auch damit zu tun, MinisterGabriel, was Sie in den letzten Wochen und Monaten ge-macht haben. Man kann es natürlich auch mit Humornehmen, dass Sie sich hier als Fels in der Brandung hin-stellen, während wir im Bundestag in der parlamentari-schen Beratung das größte Chaos erleben, das wir in denletzten Jahren erlebt haben.
– Da kann noch mehr kommen, sagen Sie? Da bin ichaber gespannt.Als Wirtschaftsminister ist man auch dafür da, Inves-titionen anzuregen. Die Wahrheit ist aber doch: Was Siein den letzten Monaten gemacht haben, ist, Investitionenin Milliardenhöhe auf Halde zu legen. Allein in meinerHeimatregion Niederbayern sind in diesem Jahr inWindkraft 100 Millionen Euro nicht investiert worden.Das ist doch die Wahrheit, was die Energiewende an-geht: Das ist Abbruchstimmung, nicht Aufbruchstim-mung.
Mit Verlässlichkeit hat das gar nichts zu tun.Wir reden hier auch über Gründungsdynamik. Sie sel-ber haben jetzt einen Gründungsmonitor für die Erneuer-baren herausgegeben. Die Zahl der Gründungen hat sichverdreifacht. Ob das bei dieser Politik so weitergeht, da-rauf bin ich ja sehr gespannt. Wenn man dann den Haus-halt anschaut, stellt man fest, dass 20 Prozent Ihres Etatsfür die Steinkohleförderung vorgesehen sind. Sie strei-chen bei der Effizienz. Sie tun nichts beim Breitbandaus-bau. Da wäre 1 Milliarde Euro nicht schlecht gewesen,liebe SPD.
Sie tun nichts bei der steuerlichen Forschungsförderung.Da fehlt es doch. Da fehlt es doch wirklich, was dasThema Innovation angeht.Jetzt kommen wir einmal zu der Frage nach Zukunfts-trends im Haushalt. Wir müssen ja über den Tellerrandhinausschauen. Schauen wir einmal, was die Welt somacht: Google baut das selbstfahrende Auto, Teslamacht das elektrische Fahren attraktiv, und wir inDeutschland kriegen die Nationale Plattform Elektromo-bilität nicht auf die Reihe. Es kann doch nicht sein, dasswir bei so einem zentralen Zukunftsthema nicht voran-kommen.
In Bezug auf das Thema Digitalwirtschaft, MinisterGabriel, habe ich registriert, dass Sie nach vorne gehenwollen und dass Sie erkannt haben, dass die Venture-Ca-pital-Bedingungen verbessert werden müssen. Wir wa-ren ja mit einigen Mitgliedern des Ausschusses DigitaleAgenda und des Wirtschaftsausschusses im Silicon Val-ley. Dort hat jedes Unternehmen 32-mal so viel Kapitalzur Verfügung wie in Deutschland. Das müssen wir jetztnicht ausgleichen, aber es wäre nicht schlecht, ein biss-chen näher an diesen Wert heranzukommen.Wir müssen eines verstehen: Die Wertschöpfungsket-ten verschieben sich: von der Hardware zur Software.Industrie 4.0 wird ein großes Leitthema. Das ist nicht nurein Thema für Fachpolitiker, sondern das muss auch einThema für den Wirtschaftsausschuss werden. Deswegennoch einmal: Breitband ist ja ein wichtiges Thema – dieMilliarde wäre ganz gut; die könnten wir gebrauchen –,aber es geht eben nicht nur um technologische Innova-tion, sondern es geht auch um soziale Innovation. DieCrowdfunding-Szene hier in Berlin ist sehr stark gewor-den. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Auch dieSharing-Plattformen – ich war jetzt in San Francisco undSeoul, den beiden führenden Städten der Welt, die die
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Dieter Janecek
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Ökonomie des Teilens vorantreiben – sind ein Thema,bei dem nichts getan wird und bei dem wir wirklich ein-mal in die Offensive gehen müssten, um auch die digita-len Potenziale auszuschöpfen.
In diesem Sinne glaube ich wirklich: Es geht darum,dass wir nicht die Vergangenheit verteidigen. Ich habeübrigens Ihren Beitrag in der FAZ, den Sie zur digitalenÖkonomie geschrieben haben, sehr stark so gelesen, dassSie die Deutschland AG gegen die Internetfirmen ausden USA verteidigen wollen. Aber so wird der Wegnicht gehen.
– Ich habe den so gelesen, und viele andere haben den sogelesen. – So wird das nicht gehen. Am Ende müssenSie gestalten. Wir arbeiten ja zusammen. Ich meine, dasIndustriewerk in Michigan machen Siemens und Googleja zusammen, Ford 4.0 sozusagen. Es geht wirklich auchum Kooperation und darum, nach vorne zu denken. DasGanze funktioniert doch nur, wenn Nachhaltigkeit, Ener-gieeffizienz und Ressourcenschonung im Vordergrundstehen. Das tun sie nicht. Dazu fehlen die Ansätze imHaushalt. Da müssen wir hinkommen. Ich bitte Sie herz-lich, dass wir in diesem Bereich an die Spitze kommen;denn da liegt unsere Marktführerschaft auf der Welt. Damüssen wir etwas tun.Danke schön.
Wolfgang Tiefensee ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Will man die Wirtschaftskraft eines Landesmessen, will man sich über Wirtschaft streiten und überdas, was die Politik beizutragen hat, um die Wirtschaftvoranzubringen, dann kann man die Zahlen der Wirt-schaftsinstitute zurate ziehen oder zu den Unternehme-rinnen und Unternehmern, den Arbeitnehmern, den Ge-werkschaften gehen und fragen: Wie sieht es aus?Wir haben jetzt von der Opposition gehört, nament-lich von Ihnen, Herr Claus, dass alles ziemlich düsteraussieht. Herr Schlecht hat die wirtschaftliche Lage unddie Situation auf dem Arbeitsmarkt als negativ undschlecht dargestellt.
Ich möchte am Anfang ganz gerne einmal ein paarZahlen ins Gedächtnis rufen, die das widerlegen.Schauen wir auf die Entwicklung des Bruttoinlandspro-dukts. Wir verzeichnen in diesem Jahr wahrscheinlichein BIP-Wachstum von 2 Prozent, für das nächste Jahrsind 2,2 Prozent prognostiziert. Herr Claus, wenn wirimmer wieder nur Ost und West vergleichen und damitletztlich die positive Entwicklung der letzten Jahre undJahrzehnte schlechtmachen, dann nehmen wir geradeden Menschen aus Ostdeutschland Motivation undSchub.
Es geht darum, dass wir nicht nur Ost und West mitei-nander vergleichen, sondern uns mit Blick auf das Brut-toinlandsprodukt einmal die einzelnen Bundesländer an-sehen. Herr Claus, da wird Ihnen auffallen, dasszwischen den westdeutschen und den ostdeutschen Bun-desländern eben nicht mehr die Lücke von vor zehn Jah-ren besteht, sondern dass Sachsen und Thüringen mitt-lerweile zu Schleswig-Holstein aufgeschlossen haben.Schauen wir uns einmal die Arbeitslosenquote an.Wie oft haben wir früher davon gesprochen, dass sie imOsten deutlich höher ist als in Westdeutschland, nämlichdoppelt so hoch? Was können wir jetzt für Mai 2014feststellen? In ganz Deutschland beträgt die Arbeitslo-senquote 6,6 Prozent, in Westdeutschland etwa 5,8 Pro-zent, in Ostdeutschland 9,7 Prozent. Herr Claus, in denletzen zehn Jahren hat sich die Arbeitslosigkeit – nichtnur in meiner Heimatstadt – halbiert. Man muss einmaldeutlich sagen: Das ist nicht zuletzt das Ergebnis desAufbaus Ost – Ärmelaufkrempeln im Osten, Solidaritätdurch den Westen – und eben auch einer beherzten Poli-tik, nicht zuletzt hier im Bundestag. Wer das ver-schweigt, der sagt eben nur die Hälfte der Wahrheit.
Die vorliegenden Zahlen sagen auch etwas über dieSchwierigkeiten und Defizite, die wir noch zu beseitigenhaben. Dabei ist einmal die Frage der Investitionsquotezu betrachten. Sie ist in den letzten 15 Jahren – 1999 lagsie bei etwa 20 Prozent – leider auf 17 Prozent gefallen.Aber es zeichnet sich ab, dass die Politik der letztenJahre greift. Das Rheinisch-Westfälische Institut fürWirtschaftsforschung, RWI, prognostiziert für das lau-fende Jahr ungefähr 4,9 Prozent mehr Anlageinvestitio-nen und für das nächste Jahr ungefähr 4,5 Prozent mehrAnlageinvestitionen. Noch viel wichtiger ist: Die Aus-rüstungsinvestitionen, also die Investitionen in Maschi-nen, werden in diesem Jahr um etwa 6 Prozent und imnächsten Jahr um etwa 8 Prozent steigen. Das heißt, indem Bereich, in dem es für uns dringend nötig ist, findetein Aufwuchs statt, nämlich bei den Investitionen in An-lagen und Ausrüstung. Das ist ein Ergebnis kluger Poli-tik der Unternehmen, aber eben auch der politischenRahmenbedingungen.
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3850 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Wolfgang Tiefensee
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Das eine ist, die Statistiken zu bemühen; das andereist, zu den Unternehmerinnen und Unternehmern zu ge-hen. Traut man einer Umfrage, die der Bundesverbandmittelständische Wirtschaft gerade durchgeführt hat, sogibt es einige schwerwiegende Probleme in den Unter-nehmen, die wir im Blick behalten müssen. Der Fach-kräftemangel auf dem Arbeitsmarkt ist bereits mehrfachangesprochen worden. Was Frau Ministerin Nahlesmacht, was der Wirtschaftsminister tut, was die Fami-lienministerin in Angriff genommen hat, das alles sindBausteine zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Fami-lie und Beruf. Wir möchten, dass Schulabbrechern einezweite Chance gegeben wird, dass Arbeitslose wiederberufstätig werden, dass mehr Ältere in den Arbeits-markt integriert sind. Schließlich müssen wir darübernachdenken, wie wir ausländische Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmer, die in Europa, aber auch anderswoleben, nach Deutschland holen. Das ist eine unserer we-sentlichen Herausforderungen. Diese Bundesregierungund namentlich der Wirtschaftsminister verschreibensich ihrer Bewältigung.
Außerdem geht es darum, in die Infrastruktur zu in-vestieren. Wenn die Mittel für die Kommunen einenAufwuchs von 6 Milliarden Euro erfahren, wenn wir9 Milliarden Euro in Bildung investieren, wenn wir mehrMittel für die Wirtschaftsförderprogramme zur Verfü-gung stellen – für ZIM 513 Millionen Euro, ein deutli-cher Posten im Etat, und für GRW reichliche 580 Millio-nen Euro; also ebenfalls ein namhafter Posten im Etat –,dann leisten wir einen Beitrag dazu, dass in Deutschlandinsgesamt mehr investiert wird, dass geforscht wird unddass Innovationen stattfinden. Darauf ist der Mittelstand– und nicht nur er – in den nächsten Jahren angewiesen.Die Bundesregierung stellt die Weichen richtig.
Neben der Verbesserung der Infrastruktur und derFörderung von Innovationen ist das Thema Energie eindrittes wichtiges Thema. Wir werden morgen ausführ-lich darüber debattieren. Das, was hier seitens der Oppo-sition gemacht wird, nämlich die Energiewendeschlechtzureden, führt gerade nicht dazu, dass in denkommenden Jahren mehr Investitionen getätigt werden.
Ein Investitionsprogramm ist auch, Herr Hofreiter, dassDeutschland als führende Nation auf diesem Gebiet neueProdukte, neue Technologien im Bereich der erneuerba-ren Energien nicht nur ausprobiert, sondern auch markt-fähig macht. Das ist ein Investitionsprogramm par excel-lence. Wir werden morgen die Weichen dafür stellen,dass das Ganze auch gelingt.
Etwas anderes, was im Bereich der Energiewendewichtig ist, sind natürlich die Energiekosten, die nichtzuletzt den Mittelstand belasten. Mit dem „Erneuerbare-Energien-Gesetz 2.0“ stellen wir morgen die Weichendafür, dass der Anstieg der EEG-Umlage gedämpft wird,dass Planungssicherheit besteht, dass sich die Unterneh-men auch in der Zukunft auf unsere Entscheidungen ver-lassen können. Das ist eine richtige Weichenstellung.Aus diesem Grund sage ich an die Opposition gerich-tet: Mäßigen Sie sich in Ihrer Kritik! Schauen Sie auf dieFakten! Hören Sie auf das, was Unternehmerinnen undUnternehmer sagen! Sie werden feststellen, auch im eu-ropäischen Kontext: Deutschland geht es gut. Dazu trägtdie Politik nicht unbeträchtlich bei.Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-
Schröter für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Deutschlands Zukunft gestalten“, das ist derTitel des Koalitionsvertrags der Regierungsparteien.Dann nehmen wir die Bundesregierung einmal beimWort!In den Bereichen erneuerbare Energien, Energiefor-schung und Steigerung der Energieeffizienz soll der Um-stieg auf eine saubere und bezahlbare Energieversorgungin die Wege geleitet werden. Nun hat sich Rot-Schwarzgerade beim Thema Energieeffizienz einiges vorgenom-men. Die Versprechungen der Großen Koalition lesensich gar nicht so schlecht. Da steht auf Seite 37 der Ko-alitionsvereinbarung:Die Senkung des Energieverbrauchs durch mehrEnergieeffizienz muss als zentraler Bestandteil derEnergiewende mehr Gewicht erhalten.Da sagen wir: Bravo! Richtig! Das wollen wir auch. –Sogar von der Effizienz als zweite Säule der Energie-wende ist die Rede. Unter einer Säule versteht man mei-nes Erachtens etwas wirklich Großes. Wenn ich dannaber sehe, was die Bundesregierung im Einzelplan 09,Kapitel „Energie und Nachhaltigkeit“, vorhat – es gibtso gut wie keine neuen Mittel und weiter das alte Pro-gramm –, dann erkenne ich da keine tragende Säule, son-dern eher lahme Gäule.
Ich sage Ihnen: Kommen Sie endlich einmal auf Trab!Wenn nur darauf gewartet wird, dass Häuslebauer undWirtschaft von ganz alleine in eine ressourcensparendeZukunft investieren, dann können wir die Energiewendevergessen; das ist einfach so.Jetzt kann man natürlich argumentieren wie Sie: DieHaushaltsmittel reichen aus. – Das Beispiel „energeti-sche Gebäudesanierung“ zeigt aber perfekt, wie die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3851
Eva Bulling-Schröter
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Energiewende nicht angegangen werden darf. Wie beider Ökostrom-Novelle, die Sie durchs Parlament peit-schen – ich muss sagen: das ist ein wirklich unwürdigesSchauspiel – und mit der Sie das EEG in der alten Formbeerdigen, so setzen Sie auch bei der Energieeffizienzblindlings auf den Markt. Bis 2050 80 Prozent des Pri-märenergieeinsatzes im Gebäudebereich einzusparen, istmit einem Weiter-so leider nicht machbar.Wir haben es bei der Gebäudeeffizienz ganz klar miteinem Versagen des Marktes zu tun. Das ist kein offenesGeheimnis; das ist Erkenntnis, und zwar nicht nur beider Opposition, meine Damen und Herren. Sogar die ei-genen Leute treten der Bundeskanzlerin und ihren Mi-nistern auf die Füße, wie zum Beispiel Stephan Kohler,Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur, die im-merhin zur Hälfte staatlich finanziert ist. Er hat einenBrandbrief an Frau Merkel geschrieben, und ich unter-stütze das. Das Handelsblatt zitiert, für ihn sei es „kaumverständlich“, dass die Quote bei der energetischen Mo-dernisierung seit Jahren bei mickrigen 1 Prozent sta-gniert und dass die Regierung die Hände weiter in denSchoß legt.Auch wir fragen uns natürlich: Warum passiert daüberhaupt nichts? Ich kann nur sagen: Meiner Meinungnach fehlt hier der politische Wille zur Gestaltung. DerMarkt richtet es eben nicht; das wissen wir.
Wenn Sie so weitermachen, dann verschenken Sie dieZukunft auf Kosten von Klima und Infrastruktur.
Ich sage Ihnen: Gerade im Bereich Klima halte ich dasfür absolut unverantwortlich.
Dabei ist Energieeffizienz der ungehobene Schatz derEnergiewende. Für ein Gelingen der Energiewende istder Gebäudebereich der zentrale Faktor; das erzählen Sieuns auch immer wieder. Über ein Drittel des Energiebe-darfs in Deutschland wird für Heizen und Warmwasserverwendet. Da wäre ein Rieseneinsparpotenzial. 2 bis4 Prozent aller Häuser und Wohnungen in Deutschlandmüssten im Jahr modernisiert werden. Wir brauchen alsoeine Verdoppelung der dafür vorgesehenen Mittel. DasMarktpotenzial für Wohngebäude und Nichtwohnge-bäude wird auf jährlich 66 Milliarden Euro geschätzt;das ist ein riesiger Jobmotor. Mit den 1,8 MilliardenEuro im Haushalt schafft man das selbstgesteckte Zielvon 2 Prozent jedenfalls nicht; das sagen alle Experten.Die Energiewende im Gebäudebereich haben Siefahrlässig verpennt, meine Damen und Herren. Wir for-dern Sie auf, jetzt etwas zu tun.
Wir fordern die Auflösung des Energie- und Klima-fonds. Das empfiehlt auch der Bundesrechnungshof,nachdem der Emissionshandel als marktbasiertes Ele-ment zur CO2-Reduzierung grandios gescheitert ist. Dievorhandenen 1,1 Milliarden Euro für Gebäudesanierungwollen wir aus diesem Fonds in den Haushalt überführenund die Mittel auf insgesamt 5 Milliarden Euro aufsto-cken. Nur so kann es gehen. Das wäre ein klares Signal.So fördert man Investitionen, und so schafft man auchAkzeptanz für die Energiewende. Die Menschen müssensehen, wofür die Mittel verwendet werden.An diesem Anspruch – so habe ich das Gefühl –scheint die Bundesregierung zunehmend zu scheitern,auch beim EEG. Wir haben dazu schon viel gesagt. Wirwerden morgen weiter darüber diskutieren. Ich glaube inBezug auf die Verhandlungen mit der EU-Kommission,Herr Gabriel: Sie wollen hier katholischer sein als derPapst.
Sie wollen die Marktliberalisierung auf Teufel kommraus. – Das ist mein Gefühl.
„Deutschlands Zukunft verwalten“ – und das auchnoch schlecht – wäre eindeutig der bessere Titel für IhreKoalitionsvereinbarung.
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Joachim
Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirberaten in dieser Woche den neunten Bundeshaushalt,der von einer unionsgeführten Bundesregierung seit2005 aufgestellt wird. Man kann in der Tat sagen, dassdas eine Erfolgsgeschichte ist.
– Sie können ruhig lachen. Seit Sie nicht mehr dabeisind, ist es eine Erfolgsgeschichte. – Die Aussichten sindsonnig. Deutschland wird in diesem Jahr ein Wirt-schaftswachstum von – es wurde gerade nach oben kor-rigiert; ein halbes Jahr ist ja bereits um – wahrscheinlichüber 2 Prozent erreichen; 2015 wird es voraussichtlichbei 2,2 Prozent liegen. Der Arbeitsmarkt – auch das istheute bereits angeklungen – bleibt dynamisch. Bei denBeschäftigtenzahlen jagen wir von einem Allzeithochzum nächsten: Wir haben fast 43 Millionen Erwerbstä-tige, und zwar entgegen anderslautenden Unkenrufenvon den Linken – es war ja klar; die kommen immer –
Metadaten/Kopzeile:
3852 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Dr. Joachim Pfeiffer
(C)
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sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das sindmehr als 3 Millionen sozialversicherungspflichtig Be-schäftigte mehr als 2005, als die Union die Regierungübernommen hat.Dass dies so ist, hat vor allem damit zu tun, dass wirsolide gewirtschaftet haben, dass der Bundeshaushaltheute so solide aufgestellt ist wie schon lange nichtmehr. Die Wirtschaft gedeiht eben am besten, wenn sieverlässliche Rahmenbedingungen und genug Freiheit zurkreativen Entfaltung hat. Deshalb möchte ich zu Beginnmeiner Ausführungen das Thema Staatsquote, das früherhäufig diskutiert wurde, ansprechen. Sie ist nämlich einMaß dafür, wie es um diese Freiheit steht. Bei der Staats-quote gilt, anders als bei Wachstum und Beschäftigung:weniger ist mehr. Je niedriger die Ausgaben der öffentli-chen Haushalte sind, umso positiver ist es; denn umsoweniger mischt sich der Staat in die Wirtschaftsprozesseein. Weniger staatliche Steuerung bedeutet mehr Frei-raum für Wachstum, Innovation und Beschäftigung.
Die Staatsquote sinkt; Wachstum, Beschäftigung undWettbewerbsfähigkeit steigen. Wir haben heute inDeutschland eine Staatsquote von unter 45 Prozent, mitweiter sinkender Tendenz. Ende der 90er-Jahre lag siebei über 50 Prozent. In der Krise ist sie temporär wiederetwas nach oben gegangen und auf über 48 Prozent an-gestiegen, und zwar durch die Konjunkturpakete undden Einbruch im privaten Bereich, den wir 2008, 2009und Anfang 2010 erlebt haben. Aber jetzt stimmt dieRichtung wieder.Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt signifikant,dass die Lage in den Ländern, in denen die Staatsquotehoch ist, nämlich in Frankreich mit 57 Prozent, in Italienmit über 51 Prozent und in Griechenland mit immernoch über 50 Prozent – dort waren es ja einmal fast60 Prozent –, weitaus schlechter ist als bei uns. Dasheißt, der Weg, den wir in Deutschland eingeschlagenhaben, ist auch der richtige Weg – das ist keine Besserwis-serei oder Arroganz; das ist unsere eigene Erfahrung – fürEuropa. Das ist verschiedentlich angeklungen; auch derWirtschaftsminister hat das vorhin angesprochen. AnKonsolidieren und Wachsen werden wir auch in Europanicht vorbeikommen. Insofern ist schon die Diskussionüber die Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstums-paktes gefährlich; denn das sendet falsche Signale aus.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist flexibel ge-nug. Frankreich und Italien haben jetzt mehr Zeit für dieUmsetzung bekommen. Diese Flexibilität gilt es zu nut-zen. Aber es muss natürlich schon mit Strukturreformenbegonnen werden. Frankreich ist leider immer noch sehrzögerlich.
Wenn man weniger schnell in die falsche Richtung geht,dann geht man immer noch in die falsche Richtung. Manmuss in die richtige Richtung gehen. Es sind entspre-chende Strukturreformen an den Märkten vorzunehmen,am Arbeitsmarkt und auch an den Gütermärkten, damites in die richtige Richtung geht und mittelständische Un-ternehmen eine Chance bekommen und Innovationengefördert werden. Wir dürfen insofern nicht den Zeige-finger erheben, sondern müssen mit Überzeugungsarbeitin Europa dafür werben und demonstrieren, dass der beiuns eingeschlagene Weg auch für den Rest Europas derrichtige ist.
Aber auch wir sollten uns keinesfalls auf unseren Lor-beeren ausruhen; denn es gilt ganz klar: Wer nicht immerbesser wird, hört auf, gut zu sein. – Deshalb müssenauch wir weitere Schritte unternehmen.Da wir über den Haushalt sprechen, will ich hier fest-halten: Den eingeschlagenen Weg – Konsolidieren undWachsen – gilt es auch bei uns weiterzugehen, insbeson-dere was die Maastricht-Kriterien angeht. Wir haben esin den vergangenen vier, fünf Jahren geschafft, denHaushalt mehr oder weniger stabil zu halten; das Volu-men ist dieses Jahr sogar geringer als im letzten Jahr.Das heißt, wir müssen keine schmerzhaften Einschnittevornehmen, können es uns aber – bei anhaltendemWachstum im privaten Sektor und einem starken Bin-nenkonsum, der mittlerweile eine mindestens genausowichtige Säule des Wachstums ist wie der Export –gleichzeitig erlauben, das Staatsdefizit zu drücken. DieVerschuldung liegt bei uns bereits deutlich unter 80 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts, und wir werden in die-ser Legislaturperiode eine Verschuldung unter 70 Pro-zent des Bruttoinlandsprodukts erreichen. Ziel ist, in dernächsten Legislatur eine Verschuldung von 60 Prozentdes Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. Das ist der rich-tige Weg für Deutschland; das ist auch der richtige Wegfür Europa.
Wir investieren in Bildung und Forschung. 2014 ste-hen 14 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zurVerfügung. Das ist fast doppelt so viel wie 2005, als wirdie Regierung übernommen haben; damals waren es7,5 Milliarden Euro. Von den im Koalitionsvertrag ver-einbarten zusätzlichen 9 Milliarden Euro für Bildungund Forschung – der Wirtschaftsminister hat es vorhinangesprochen – fließen 5 Milliarden Euro in Schulenund Hochschulen, 1 Milliarde Euro in den Kitaausbauund 3 Milliarden Euro in den Bereich „Forschung undEntwicklung“. Das Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts für Forschung und Entwicklung aufzuwenden,wird damit dauerhaft gesichert.Mit neuen Impulsen wird das Zentrale Innovations-programm Mittelstand, das hervorragend läuft und daswir auch mit diesem Haushalt weiter stabilisiert haben,damit möglichst alle sinnvollen Projekte gefördert wer-den können, auf höchstem Niveau mit 500 MillionenEuro fortgeführt. Ich will wiederholen, was der KollegeMattfeldt vorhin gesagt hat –: Aus Sicht der Union istdas ZIM das zentrale Förderinstrument für den Mittel-stand, für Innovationen, für Anwendungsorientierung.
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Dr. Joachim Pfeiffer
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Sollte sich erweisen, dass wir die Mittel noch erhöhenmüssen, dann werden wir dies im Haushalt 2015 und da-rüber hinaus berücksichtigen; denn die Mittel sind dortgut angelegt.
Wir investieren auch in den Ausbau der Infrastruktur,nicht nur im Bereich der Verkehrswege – dafür stellt derBundeshaushalt 5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung –,sondern auch im Bereich der Breitbandinfrastruktur, undzwar intelligent, nämlich nicht nur durch Steuer- undHaushaltsmittel, sondern auch durch die Digitale Divi-dende II. Hier müssen auch die Länder mitmachen. Ichdenke, wir sind da auf einem guten Weg. Wir nutzennicht mehr benötigte Frequenzen für den Breitbandaus-bau, damit über Funk neben Kabel und anderen Breit-bandinfrastrukturen neue Wege ermöglicht werden. Mitdem eingenommenen Geld beschleunigen wir den Breit-bandausbau, der dringend notwendig ist.
Fakt ist – auch das ist vorhin angeklungen –: Wir ha-ben einen Investitionsstau, den wir nicht nur mit öffentli-chen Mitteln, weder auf Bundes- noch auf Länder- oderkommunaler Ebene, beheben können. Vielmehr müssenwir uns ganz genau anschauen, warum nicht nur bei denenergieintensiven Unternehmen die Abschreibungen hö-her sind als die Investitionen, warum also – auf gutDeutsch – eine Deindustrialisierung stattfindet, warumwir von der Substanz leben, auch im Verkehrsinfrastruk-turbereich. Die ganze Welt will im Moment in Deutsch-land investieren, aus Sicherheitsgründen und auch weildie Rahmenbedingungen attraktiv und verlässlich sind.Wir müssen deshalb das Modell der Public-private-Part-nership so organisieren, dass das Geld, das nachDeutschland will, auch nach Deutschland fließen kann.
Herr Kollege!
Wir müssen uns im steuerlichen Bereich – Stichwort
„kalte Progression“ oder in Bezug auf die Abschrei-
bungsbedingungen – entsprechend ausrichten.
Herr Präsident, es gäbe in der Tat noch viele Punkte
zu nennen.
Das habe ich mir gedacht, jawohl.
Diese werden wir in der morgigen Debatte über den
Energiebereich diskutieren bzw. bleiben anderen Wirt-
schaftsdebatten, zum Beispiel über Fachkräfte, Wachs-
tum, Gründungsfinanzierung oder Freihandel, vorbehal-
ten.
Ich komme zum Schluss. Mit dem vorliegenden
Haushalt, den wir heute diskutieren und morgen verab-
schieden, schaffen wir mehr Wirtschaftswachstum, för-
dern Innovationen und erfolgreiches Unternehmertum
und stärken die Fachkräftegewinnung. Damit werden
wir unserer Verantwortung für Deutschland und für
Europa gerecht.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort erhält nun die Kollegin Julia Verlinden für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren!Besonders wichtig ist mir, dass wir unsere Finanzender nächsten Generation geordnet übergeben, dasswir die Energiewende zum Erfolg führen …Das sagte Frau Bundeskanzlerin Merkel in ihrer diesjäh-rigen Neujahrsansprache.
Das ist, wie ich finde, ein frommer Wunsch; denn IhreRegierungsrealität sieht ganz anders aus.
Sie fahren die Energiewende an die Wand, Frau Merkel,und Ihre Haushaltspolitik ist unsolide und zukunftsver-gessen.
Schauen wir doch einmal ganz genau hin. Fließt dasGeld eigentlich für oder gegen die Energiewende? Wo-hin fließt das Geld, und wo fehlt Geld für die Energie-wende?Herr Gabriel behauptet ja, die Energieeffizienz sei diezweite Säule der Energiewende. Ich sage Ihnen, wiediese Säule bei Ihnen aussieht: Sie ist schmal, brüchigund innen hohl. Bei der Energieeffizienz kündigen Siean, versprechen etwas und halten Sonntagsreden. Aberwenn wir einmal etwas Konkretes über Ihre Pläne erfah-ren, dann stellen wir fest: Sie schreiben ein paar alte Pro-gramme neu zusammen und rechnen sich die Ergebnisseschön. Die andere Säule der Energiewende, die erneuer-baren Energien, sägen Sie mit der EEG-Novelle geradeab. Ich sage es einmal so: Ein Haus, auch ein Ministe-rium, kann nicht auf zwei kaputten Säulen stehen.
Sie reden von Energiewende. Herr Tiefensee hat be-hauptet, wir redeten sie schlecht. Im Gegenteil: Wir wol-len die Energiewende, aber wir wollen sie auch wirklich.
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3854 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Dr. Julia Verlinden
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Ich erlebe bei der Regierung keinen politischen Mut fürzukunftsfähige Entscheidungen für Energieeffizienz underneuerbare Energien. Geld wollen Sie auch nicht dafürausgeben. Sie haben stattdessen umso mehr Geld für dieKohle. Für die Steinkohleförderung und -stilllegungwollen Sie dieses Jahr immer noch 1,3 Milliarden Euroausgeben.
Sie fördern fleißig die Energie von gestern. So ist es.Hinzu kommen die indirekten staatlichen Förderun-gen in Form von Steuererleichterungen und Ausnahme-regelungen im Energiesektor. Das Umweltbundesamt hatausgerechnet, dass im Jahr 2010 allein im Bereich derEnergiebereitstellung und -nutzung mehr als 21 Milliar-den Euro umweltschädliche Subventionen flossen. Diebesondere Ausgleichsregelung für die Industrie beimEEG macht nur einen Teil aus. Hinzu kommen Begünsti-gungen für die Braunkohlewirtschaft, Energiesteuerver-günstigungen für Kohle, kostenfreie Zuteilung von CO2-Zertifikaten und, und, und. Das ist ein unhaltbarer Zu-stand.
Das sind 21 Milliarden Euro für ökologisch schädli-che Subventionen allein im Energiesektor. Hinzu kom-men noch hohe Subventionen im Verkehrssektor wiezum Beispiel die Privilegierung von schweren Dienstwa-gen oder die milliardenschwere Bevorzugung des Flug-verkehrs gegenüber der Bahn. Mit diesen Anreizen ge-lingt die Energiewende im Verkehrsbereich wohl kaum.Das Umweltbundesamt berechnet für das Jahr 2010insgesamt 51,5 Milliarden Euro ökologisch schädlicherSubventionen – allein im Bundeshaushalt; das muss manhinzufügen. Diese Ausgaben sind für die Energiewendeund den Klimaschutz kontraproduktiv und müssen kon-sequent reduziert werden;
denn ökologisch schädliches Verhalten darf nicht nochfinanziell belohnt werden. Stattdessen sollten wir in dieZukunft investieren. Aber die 3 Milliarden Euro, die wirfür unseren grünen Energiesparfonds vorschlagen, wol-len Sie nicht zur Verfügung stellen, Herr Gabriel. Daransieht man, wo Ihre Prioritäten liegen: Kohle für dieKohle.
Durch unser Konzept eines Energiesparfonds – FrauHajduk hat schon darauf hingewiesen – würden wir un-abhängiger von fossilen Brennstoffen werden. In unsererVolkswirtschaft würde Geld, das bisher noch in Energie-importe fließt und das Klima anheizt, in Zukunft wiederfür andere Dinge zur Verfügung stehen. Aber offensicht-lich sind Ihnen die Energieträger von gestern viel mehrwert als die Energieeinsparung, die technologische Inno-vation und der Klimaschutz von morgen. Das lässt dochtief blicken.
Wenn Sie die Energiewende wirklich wollen, dannstimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu. Unterstüt-zen Sie damit zum Beispiel die Aufstockung des so wich-tigen KfW-Gebäudesanierungsprogramms auf 2 Milliar-den Euro, und stimmen Sie für unseren Antrag zumgrünen Klimaschutzhaushalt!Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Marcus
Held das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! UnsererWirtschaft in Deutschland geht es gut. Das kann man sa-gen, wenn man sich die Situation im Jahr 2014 ansieht.Dafür sind viele verantwortlich: verantwortungsbe-wusste Unternehmerinnen und Unternehmer, motivierteund engagierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,aber auch mutige Entscheiderinnen und Entscheider aufder politischen Ebene, die für zukunftsorientierte Wei-chenstellungen in der Wirtschaftspolitik gesorgt habenund auch in der Gegenwart sorgen.Vergleicht man die Situation in vielen Ländern Euro-pas mit der in Deutschland, so kann man heute sagen:Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
Die SPD stand bereits in der Zeit von 1998 bis 2005mit der Agenda 2010 für eine Politik mit Weitblick. Vondiesem Weitblick profitieren wir noch heute, in der Ge-genwart. Die Verantwortlichen in europäischen Ländernwie beispielsweise Frankreich werden dort gegenwärtigfür Massenarbeitslosigkeit und fehlendes Wirtschafts-wachstum verantwortlich gemacht, obwohl ihre Vorgän-ger in den zurückliegenden 20 Jahren hätten handelnmüssen, dies aber nicht getan haben. Auch und geradeim Interesse der deutschen Wirtschaft als Exportmeisterund der Arbeitsplätze hier müssen wir die Länder unter-stützen, die jetzt bereit sind, zukunftsorientierte Refor-men auf den Weg zu bringen.
Die von den europäischen Sozialdemokraten am letz-ten Wochenende in Paris angestoßene Diskussion unddie damit verbundenen Vorschläge unseres MinistersSigmar Gabriel sind sinnvoll. Sie stellen einen Weg dar,wie wir den radikalen politischen Auswüchsen in leiderviel zu vielen europäischen Nachbarländern endlich be-gegnen können. Wir müssen ihnen begegnen, meine Da-men und Herren, weil diese politischen Auswüchsedurch wirtschaftlichen Niedergang, Massenarbeitslosig-keit und Perspektivlosigkeit bei den Jugendlichen verur-sacht worden sind. Wir müssen dem entgegentreten,wenn wir es mit Frieden, Freiheit und Wohlstand in ganzEuropa ernst meinen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3855
Marcus Held
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Wir als SPD-Bundestagsfraktion stehen zu Deutsch-land als Industrienation. Wir wollen die Bundesregie-rung und unseren Minister Sigmar Gabriel dabei unter-stützen, wenn er neue wirtschaftliche Akzente setzt,nachdem das Wirtschaftsministerium in der zurücklie-genden Legislaturperiode bekanntlich eher ein Schatten-dasein führte. Wir tun dies mit der Reform des EEG, in-dem wir die im internationalen Wettbewerb stehendenIndustriebetriebe auch in Zukunft vor zusätzlichen Um-lagen schützen und damit viele Hunderttausende wich-tige Arbeitsplätze hier in Deutschland sicherstellen undfür die Zukunft erhalten.
Wir tun dies aber auch als Bundesregierung, wenn esum die Stärkung des Handwerks und des Mittelstandesgeht. Wir wollen dem Fachkräftemangel begegnen undgerade jüngere Menschen für eine Ausbildung im Hand-werk begeistern. Hier müssen wir auch das Bewusstseinin der Gesellschaft verändern und den Wert des Hand-werks sowie die Bedeutung der Handwerksberufe in derGesellschaft herausstellen.
Auch müssen wir die wachsende Bürokratie bekämpfenund endlich dafür sorgen, dass sich junge Handwerks-meister um ihre Kunden kümmern können und nicht denganzen Tag Formulare ausfüllen müssen, meine Damenund Herren.
Wir wollen neue Wirtschaftszweige erschließen, diein Deutschland bisher leider viel zu wenig Beachtunggefunden haben, so zum Beispiel den Bereich des Tou-rismus. Meine Damen und Herren, ich komme aus derwunderschönen Region Rheinhessen in Rheinland-Pfalz,wo mit Worms als eine der ältesten Städte in Deutsch-land Historie greifbar wird und mit den Nibelungen-Festspielen ein bundesweit einzigartiges kulturellesHighlight existiert,
wo mit Oppenheim und der weltbekannten Weinlage„Krötenbrunnen“, Herr Kauder, ein Aushängeschild be-steht, das seit Jahrzehnten für exzellente Rebsäfte steht,und wo mit der typischen rheinhessischen Hügelland-schaft rund um Alzey eine einzigartige Landschaft zumVerweilen und Entspannen einlädt. Solche wunder-schöne Regionen gibt es in ganz Deutschland.
Diese Regionen müssen wir touristisch fördern und ge-meinsam im In- und Ausland – europaweit und interna-tional – dafür werben, um zusätzliche innovative, mo-derne Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür wollen wir unseinsetzen.
In der derzeitigen Niedrigzinsphase muss es möglichsein, dafür zu sorgen, für solche neuen wirtschaftlichenAnsätze günstige Kredite zur Verfügung zu stellen.Die Niedrigzinsphase stellt uns aber auch vor Pro-bleme, so beispielsweise bei der Altersvorsorge. Die Al-tersvorsorge für zwei Generationen ist in Gefahr. Hiermüssen wir gemeinsame Kraftanstrengungen unterneh-men und nach neuen Rezepten suchen, damit es inDeutschland wieder wie früher heißen kann: Unser Zielist Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Deshalbfordere ich Banken, Versicherungen und natürlich auchdie Wirtschaft und die Politik auf, gemeinsam nachneuen Produkten zu suchen, diese in den kommendenJahren zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen.Möglich wird dies mit einer starken deutschen Wirt-schaft im Rücken sein, die zusammen mit den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern entsprechende Finanz-mittel erwirtschaften kann und auch in ZukunftInnovation und soziale Gerechtigkeit verbindet.Für Innovation und soziale Gerechtigkeit stehen wir,meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir müssenauch in den kommenden Jahren dafür sorgen, dass Ent-scheidungen in Deutschland im Konsens getroffen wer-den, im Konsens zwischen Arbeiternehmern, Arbeitge-bern und Politik. Dann bin ich mir auch sehr sicher, dasswir weiterhin positiv gestimmt sein können, wenn es umdie Zukunft der Wirtschaft in Deutschland geht.Deshalb sollten wir dem heute vorgelegten Haushalts-entwurf zustimmen.Herzlichen Dank.
Das war die erste Rede des Kollegen Marcus Held.
Herr Kollege, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu die-
ser ersten Rede.
Als nächster Redner hat der Kollege Peter Ramsauer
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Deutschland ist die fünftgrößte Volkswirt-schaft der Welt. Alles, was damit zusammenhängt, wasuns dazu gemacht hat, ist schon vielfach gepriesen wor-den: Rekordbeschäftigung, Rekordtiefstand bei derArbeitslosigkeit, großartige Wachstumserwartungen,Nullverschuldung, Rekordsteuereinnahmen, dass wirWachstumslokomotive und Stabilitätsanker in Europasind, all das ist wahr. Aber so eindrucksvoll diese Bilanzauch ist, so wenig dürfen wir uns damit zufriedengebenund so wenig dürfen wir uns darauf ausruhen.
Ja, wir sind die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt.Wahr ist aber auch, dass unser Anteil an der Weltwirt-schaft im Jahr 2005 noch bei 4,6 Prozent lag, während erderzeit bei 3,7 Prozent liegt. Allein diese Zahlen ver-deutlichen, dass sich gewisse Relationen verschieben.
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3856 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Dr. Peter Ramsauer
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Deswegen müssen wir alles dafür tun, dass wir den Vor-sprung, den wir gerade in Europa haben, sichern. EineSelbstermahnung darf hier auch sein: Wir dürfen unsauch nicht in einer großkoalitionären Selbstzufriedenheitergehen. Nein, wir müssen alles tun, um unsere Wettbe-werbsfähigkeit zu sichern, und alles unterlassen, wasdiesem Ziel entgegensteht, liebe Kolleginnen und Kolle-gen.
Mir ist dies sehr deutlich geworden, als ich vor eini-gen Monaten meinen Antrittsbesuch als Vorsitzender desAusschusses für Wirtschaft und Energie des DeutschenBundestags bei meinem Pendant in der französischenAssemblée nationale, beim Vorsitzenden des dortigenWirtschaftsausschusses, gemacht habe. Er hat zu mirFolgendes gesagt: Unsere französische Bitte an euchDeutsche ist, dass ihr weitermacht – er hat immer gesagt:Continuez! –
bei der Erhöhung der Energiekosten, macht bitte weiterbei der Erhöhung eurer Arbeitskosten, und macht bitteweiter bei der Erhöhung eurer Sozialkosten! – Ich habemich gefragt: Was will er mir damit sagen? – Dann kamdie Begründung, er hat gesagt: Dadurch schmälert ihrDeutschen eure Wettbewerbsfähigkeit, und wir Franzo-sen brauchen uns nicht mehr so anzustrengen, um miteuch mithalten zu können.
– Das war kein kluger Mann, sagen Sie. Also, das warein Sozialist.
Aber er hat gesagt, er sei von der Rocard-Sorte, also– wer das noch weiß – ein anständiger Sozialdemokrat,würden wir auf Deutsch sagen.
Das gibt einem natürlich zu denken. Wir werden inder nächsten Woche die Mindestlohngesetzgebung ab-schließen. Wir haben das Rentenpaket abgeschlossen.Ich muss sagen: Aus wirtschaftlicher Sicht gehen wirhier an die alleräußerste Grenze dessen, was die Wirt-schaft verkraften kann, liebe Kolleginnen und Kollegen.Wir können es uns nicht leisten – so viel sei schon jetztgesagt –, mit der Mindestlohngesetzgebung einen Lohn-kostenschub auszulösen.
Das wird die deutsche Wirtschaft nicht ohne Weiteresund nicht ohne Folgen verkraften. Es ist völlig klar, dassdurch eine solche Mindestlohngesetzgebung ein Druckvon unten auf das gesamte Lohngefüge ausgeübt wird;das ist vollkommen klar.
Wir dürfen auch keinen Einheitsbrei bei der Lohnfin-dung erzeugen. Wichtig ist für uns das Primat der Tarif-partnerschaft. Die Tarifautonomie darf nicht angetastetwerden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein anderer Punkt,den auch Kollege Wolfgang Tiefensee schon angespro-chen hat – wir müssen uns viel intensiver damit aus-einandersetzen, und mir bereitet das Sorge –, ist dieFrage der Investitionen sowohl im öffentlichen Bereichals auch im Bereich der Privatwirtschaft. Wir alle wis-sen: Investitionen sind der Treibstoff für Wachstum, fürWertschöpfung, für Arbeitsplätze und für Wohlstand.Wir haben, was die deutsche Investitionsquote im welt-weiten Vergleich anbelangt – Kollege WolfgangTiefensee hat es gesagt –, in der Tat ganz erheblichenNachholbedarf. Wenn man sich die Zahlen ansieht, stelltman fest: 1998 lag die Investitionsquote im damaligenBundeshaushalt noch bei 12,8 Prozent. Im Haushalt die-ses Jahres liegt sie, wenn man den ESM herausrechnet,was man natürlich fairerweise tun muss, bei 8,6 Prozent,und bis 2018 fällt sie auf 8,3 Prozent.
Wenn man sich das ansieht, kommt man natürlich zudem Ergebnis: Relativ investieren wir viel zu viel in denunproduktiven Teil unserer Volkswirtschaft und immernoch viel zu wenig in den produktiven Teil unsererVolkswirtschaft.
Wir können auf Dauer nicht von der Substanz leben.Aber es geht nicht nur um den öffentlichen Bereich.Was mindestens genauso viel zu denken gibt, ist die Tat-sache, dass im privatwirtschaftlichen Bereich leider im-mer weniger investiert worden ist. Wenn man sich bei-spielsweise die energieintensiven Branchen ansieht– über sie haben wir in den letzten Wochen und Tagenim Zusammenhang mit der Novellierung des Erneuer-bare-Energien-Gesetzes sehr viel gesprochen –, stelltman fest: Die energieintensiven Branchen können ihrenKapitalstock nicht mehr halten, weil ihre Investitionengeringer sind als ihre Abschreibungen. Wenn man es ein-mal kaufmännisch betrachtet: Die energieintensivenBranchen investieren nur noch 85 Prozent ihrer Ab-schreibungen neu. Eigentlich müssten es deutlich über100 Prozent sein, weil die Reinvestition wegen der In-vestitionskosten nach Wiederbeschaffungskosten immerüber der finanzbuchhalterischen Abschreibung liegenmuss; so ist das nun einmal. Es gibt also ein ganz großesLoch zwischen dem, was abgeschrieben wird, und dem,was reinvestiert wird. Es muss für uns ein lautes Alarm-signal sein, dass dies so ist. Dahinter verbirgt sich einschleichender Prozess der Abwanderung aus Deutsch-land in andere Länder.Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Au-ßenhandelspolitik; sie kam in dieser Debatte bisher et-was zu kurz. Wir wissen, dass es aus manchen Ländern,auch in der EU, in der Euro-Zone, vonseiten mancher In-
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Dr. Peter Ramsauer
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stitutionen, aber auch vonseiten der Linken in diesemHause die Forderung gibt, Deutschland müsse seinenAußenhandelsüberschuss abbauen.
Eine solche Forderung ist kompletter ökonomischer Un-fug.
Selbst wenn wir dies täten, würde dies nie die strukturel-len Probleme in den jeweils betroffenen schwachen Län-dern in der Euro-Zone lösen. Es kann und darf nichtunser Ansinnen sein, dass Deutschland seine Wettbe-werbsfähigkeit um den Preis ausgeglichener Leistungs-bilanzen innerhalb des Euro-Raumes aufgibt. Das dürfenwir niemals tun.
Deshalb lautet mein Credo: Nicht der Bessere – nichtwir – hat sich an den Schlechteren und Schwächeren zuorientieren, sondern bitte gefälligst umgekehrt!
Herr Kollege Ramsauer, lassen Sie eine Zwischen-
frage von Herrn Ernst zu?
Gerne.
Herzlichen Dank. – Meine Frage ist sehr einfach. Sie
haben gerade gesagt, der Abbau des Außenhandelsüber-
schusses wäre falsch und geradezu katastrophal. Jetzt
haben wir nach wie vor ein gültiges Gesetz, das sich Sta-
bilitätsgesetz nennt. In diesem Stabilitätsgesetz ist als
Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik von ausgeglichenen
Handelsbilanzen, also ausgeglichenen Verhältnissen zum
Ausland die Rede. Wollen Sie mit Ihrer Aussage den
Deutschen Bundestag und die eigene Regierung auffor-
dern, sich künftig nicht mehr an dieses Gesetz zu halten,
das ja ausgeglichene Handelsbilanzen vorschreibt?
Lieber Kollege Ernst, wir mögen uns persönlich jasehr gerne.
Man kann aus dieser Frage ableiten, dass Sie im RahmenIhrer gewerkschaftlichen Ausbildung auch Wirtschafts-kunde belegt hatten und dort etwas über das magischeViereck gelernt haben, welches bekanntermaßen im Sta-bilitätsgesetz verankert ist.Wir haben hier aber auch gelernt, dass die vier Zieledes magischen Vierecks – es gibt neben dem außenwirt-schaftlichen Gleichgewicht ja noch drei weitere Ziele –höchstens wirtschaftstheoretisch gleichzeitig erreichtwerden können und dass es dazwischen immer gewisseSchwankungen gibt. Ohne diesen Außenhandelsüber-schuss – ich halte meine Antwort kurz, obwohl ich jetztgerne eine kleine Vorlesung über Volkswirtschaft undStabilitätstheorie halten würde – würden wir die anderendrei Ecken dieses magischen Vierecks in höchstemMaße gefährden. Deswegen bedaure ich diesen Zustandnicht, sondern ich freue mich darüber, dass es so ist.Überall, wo man in der Welt hinkommt – wir warenkürzlich miteinander irgendwo – –
– Vielen Dank, lieber Herr Gabriel. China ist auch ir-gendwo.
Spaß beiseite. Wir waren zusammen in China. Das,was wir dort gehört haben, bestätigt sich an allen Eckenund Enden. Neulich in Korea, Bernd Westphal, habenwir es wieder gehört: Das, was von uns aus Deutschlanddorthin exportiert wird, erfreut sich dort allergrößer Be-liebtheit, nach dem Motto: Was aus Deutschland kommt,ist nicht nur „Made in Germany“ – das ist ein Markenbe-griff in der ganzen Welt –, sondern überzeugt auch durchQualität und Zuverlässigkeit. Wenn wir dadurch einenAußenhandels- und einen Leistungsbilanzüberschuss ha-ben, dann soll uns das recht sein.
Zu den Verhandlungen über das Freihandelsabkom-men zwischen der Europäischen Union und den Verei-nigten Staaten – auch das ist schon kurz angesprochenworden –: Ja, wir wissen, es gibt hierüber starke Debat-ten in allen Lagern der Gesellschaft. In diesen Debattenkommt mir aber viel zu kurz, dass auch einmal die Chan-cen herausgestellt werden, die dieses TransatlantischeFreihandelsabkommen in sich birgt. Wir wollen von un-seren Standards im Umweltbereich, im Sozialbereich, imGesundheitsbereich usw. ja nicht weg. Aber glaubt dennjemand von uns, dass aufstrebende Volkswirtschaftenwie Indien, Brasilien und China mit ihren riesigen Wirt-schaftsräumen darauf warten, bis wir Europäer uns ein-mal bequemen, unsere Standards global zu setzen? Nein,das tun sie nicht. Deswegen müssen wir zusammen mitden Vereinigten Staaten – einen besseren Partner als dieVereinigten Staaten kann ich mir hier nicht vorstellen –die Kraft und die Fähigkeit aufbringen, in diesem Frei-handelsabkommen global die Standards zu setzen, diewir haben wollen. Genau darin liegen die großartigenChancen, und die dürfen wir nicht vertun.
Ein Allerletztes zum Export: Der InterministerielleAusschuss für Exportkreditgarantien hat beschlossen,dass zukünftig keine Garantien des Bundes für den Ex-port von Anlagen zur nuklearen Stromerzeugung über-nommen werden sollen, und zwar mit der Begründung,dass diese fehlende Deckung Folge des Atomausstiegsist. Was ich nicht will, ist, dass wir uns, wenn wir 2022
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3858 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Dr. Peter Ramsauer
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alle Atomanlagen abgeschaltet haben werden und dieseAnlagen dann auseinanderbauen, die einzelnen Teileverwerten und lagern müssen, das Know-how für kern-technische Fragen aus Frankreich, Japan oder China zu-rückholen müssen. Deswegen halte ich diesen Teil derExportpolitik im Hinblick auf Garantien für einen Feh-ler. Wir müssen alles daransetzen, dass wir dieses Wis-sen im Lande behalten. Dazu gehört auch, dass wir unsvornehmen, alles für unsere Wettbewerbsfähigkeit zu tunund – noch einmal – alles zu unterlassen, was ihr entge-gensteht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Andreas Lämmel.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Als Vorwort ist festzustellen: Der Haushaltsplandes Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie istauch 2014 solide finanziert. Er setzt auf Investitionenund Innovationen. Insofern steht er in der Kontinuitätder letzten Jahre. Wir alle können diesem Haushalt mitgutem Gewissen zustimmen.Nun wurde in der Diskussion um diesen Haushalt im-mer wieder das Thema Luft- und Raumfahrt erwähnt,das einen großen Teil der Ausgaben für Forschung undTechnologie subsumiert. Natürlich muss man sagen: DasBundeswirtschaftsministerium ist kein Luft- und Raum-fahrtministerium. Deswegen muss man sehen, dass dieAusgewogenheit bei der Technologieförderung gewahrtbleibt; denn es gibt weitere Technologiefelder, die ge-nauso innovativ und genauso wichtig für die Zukunft un-seres Landes sind.Es hat auf der europäischen Ebene im letzten JahrEmpfehlungen der „High-Level Group“ zur Weiterent-wicklung der Schlüsseltechnologien gegeben, also derMikroelektronik, der Nanotechnologien und zweier wei-terer Technologien. Man kann anhand der Mikroelektro-nik sehen, dass in Europa 200 000 Arbeitsplätze direktan dieser Branche hängen und knapp 1 Million Arbeits-plätze indirekt mit ihr verbunden sind.Die IT-Industrie und die Forschung und Entwicklungin diesem Bereich gewinnen immer mehr an Bedeutung.Das hängt ganz einfach mit der nächsten industriellenRevolution zusammen, wenn ich es einmal so sagendarf, die vor der Türe steht. Das ist die sogenannte In-dustrie 4.0, wie sie heute modern wie beim Internet be-zeichnet wird.Wenn man einen Blick zurück wirft, erkennt man,dass die Industrie 3.0 ein technologischer Schritt gewe-sen ist, bei dem es um die Digitalisierung der Industrieund um den Einsatz von Informations- und Kommunika-tionstechnologien ging. Diese Entwicklung hat Europaim Wesentlichen verschlafen. Die Folgen davon sindjetzt, dass die Amerikaner und die Asiaten mit ihrenübermächtigen Konzernen die Märkte dominieren. BeimEintritt in die Industrie 4.0 haben wir jetzt die großeChance, dass Europa und damit Deutschland an derSpitze mitmarschieren. Diese Chance müssen wir ergrei-fen. Letztendlich geht es darum, den Kampf um die in-dustrielle Produktion im 21. Jahrhundert zu gewinnen.Das wurde auch von der Bundesregierung frühzeitigerkannt. Man muss dafür nur einen Blick in die High-tech-Strategie werfen, die schon vor Jahren entworfenwurde. Darin kann man sehen, dass Deutschland zumLeitmarkt für internetbasierte Technologien für die in-dustrielle Produktion – das ist praktisch der Schritt in dieIndustrie 4.0 – werden soll. Diese Industrie 4.0 ist ebennicht mehr nur Sache des Wirtschaftsministeriums, son-dern das ist mittlerweile zur Querschnittsaufgabe derganzen Bundesregierung geworden. Es geht letztlich umdie Vernetzung der Industrie. Dafür braucht man denBreitbandausbau. Man braucht schnelle und leistungsfä-hige Netze, um den Schritt zur Industrie 4.0 zu ermögli-chen, einen entsprechenden Rechtsrahmen und einen ho-hen Standard in den Informationstechnologien. Diesalles können wir in Deutschland und in Europa gut.Das Bundeswirtschaftsministerium hat schon aufdiese technologische Entwicklung reagiert. Vielleicht istdas den Grünen entgangen, sonst wären sie sicherlichdarauf eingegangen. Es gibt ein neues Förderprogramm,das sich „Autonomik für Industrie 4.0“ nennt. NormaleBürger verstehen die Begriffe aus der Industrie 4.0 wahr-scheinlich nicht; man muss deshalb eine Übersetzungmitliefern. Bei dem Programm Autonomik 4.0 geht esgenau darum, den Weg in die Industrie 4.0 zu beschrei-ten. Es sind schon 14 Verbundprojekte aus diesem neuenFörderprogramm genehmigt worden. Seitens des Bun-deswirtschaftsministeriums werden 40 Millionen Eurobereitgestellt, um diese Projekte voranzubringen. Wei-tere 40 Millionen müssen übrigens die Industriepartnerselbst dafür aufbringen.Meine Damen und Herren, was ist die nächste indus-trielle Revolution, an der wir gemeinsam arbeiten? Dasist im Prinzip ein Verbund aus intelligenten Komponen-ten. Früher hat die Maschine gedacht. In der Industrie4.0 denkt nicht nur die Maschine, sondern es denkt sozu-sagen auch das Werkstück mit: Es gibt Befehle, wie esbearbeitet werden möchte und was daraus entstehen soll.Wenn wir als Politiker angehalten sind, mittel- undlangfristig zu denken, heißt das für uns: Industrie 4.0muss in den nächsten Jahren im Mittelpunkt unsererÜberlegungen stehen. Deswegen finde ich es zum Bei-spiel gut, dass das Bundesforschungsministerium nächsteWoche eine erste Mikroelektronikstrategie für Deutsch-land in Brüssel präsentieren wird. Das ist aus meinerSicht ein erster Schritt in diese Richtung. Ich denke, HerrMinister, wir werden in den nächsten Monaten darüberdiskutieren müssen, wie wir in Deutschland und natür-lich auch in Europa – das wird Deutschland nicht alleineleisten können – in diesen Schlüsseltechnologien zu ei-ner Gesamtstrategie kommen können, um den Märktenin Asien und Nordamerika Paroli zu bieten.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3859
Andreas G. Lämmel
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Die Energiepolitik ist ein ganz wichtiger Bereich fürdie Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschenIndustrie. Aber der Blick in die Zukunft, das heißt dasUmsetzen von Konzepten für die Industrie 4.0, ist min-destens genauso wichtig. Denn wenn dieser Zug an unsvorbeifährt, dann müssen wir nicht mehr solche Debat-ten führen, weil dann die Wertschöpfung abwandernwird und die Sicherung des Wohlstands in Deutschlandinfrage gestellt wird.Ich hoffe, dass wir nach der Verabschiedung desHaushaltes 2014 über die Eckpunkte 2015 und auch überdie mittelfristige Entwicklung des Haushaltes des Bun-deswirtschaftsministeriums diskutieren. Ich bin mir si-cher, dass wir gemeinsam eine Strategie entwickeln, umuns den Herausforderungen stellen zu können.Vielen Dank.
Zum Schluss dieser Debatte hat jetzt die Kollegin
Daniela Ludwig das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir haben sehr viel über unterschiedlichste Wirt-schaftsbranchen gehört, die für die Bundesrepubliküberlebensnotwendig sind und deren Funktionieren fürdie Bundesrepublik lebensnotwendig ist. Ein Bereichwurde dankenswerterweise von dem Kollegen Held– leider nur von ihm – erwähnt. Es ist jetzt meine Auf-gabe, eine der wichtigsten Branchen mit einer Wert-schöpfung von 100 Milliarden Euro im Jahr und fast3 Millionen Beschäftigten in Deutschland ein bisschenin den Fokus zu rücken. Das ist der Tourismus in unse-rem Land, der sehr, sehr wichtig ist.
Die 3 Millionen Beschäftigten in diesem Bereich sindüberwiegend in kleinen und mittleren Unternehmen tä-tig. Das ist deshalb von Bedeutung, weil diese kleinenund mittleren Unternehmen nicht einfach auswandernkönnen, wenn wir Rahmenbedingungen schaffen, dienicht gut sind. Sie sind uns sozusagen ausgeliefert.Umso wichtiger ist, dass wir von bundespolitischer Seitedie Rahmenbedingungen für unsere deutsche Tourismus-branche so gut wie möglich halten.Die Bundesregierung wird noch in dieser Legislatur-periode – ich denke, in Kürze, Herr Minister; so sind wirjedenfalls im Ausschuss verblieben – ein Konzept fürden Kulturtourismus auflegen. Sie werden sich denken:Warum ist das so wichtig? Wir sind doch im Städtetou-rismus führend in Europa. – Ja, das sind wir. Wenn wiraber schon einmal die Touristen in unseren Städten ha-ben – kein anderes Land in Europa hat so viele kulturellwertvolle Stätten wie Deutschland –, sollten wir dieChance nutzen und sie aus unseren Städten in die ländli-chen Regionen locken; denn auch dort verbirgt sich nochsehr viel Wertschöpfung. Da können wir noch etwas tun.Gerade Regionen, die wirtschaftlich nicht so stark aufge-stellt sind, wohl aber über wertvolle Landschaften verfü-gen, müssen wir die Chance eröffnen, noch mehr Touris-mus zu ermöglichen. Ich bin sehr dankbar, dass wir diesin Zusammenarbeit mit dem dafür zuständigen Bundes-wirtschaftsministerium tun werden.
Es gibt allerdings Bausteine, die für das Funktionie-ren des Tourismus unerlässlich sind. Ganz oben stehteine nachhaltige Entwicklung des Tourismus. Umwelt-verträglichkeit wird auch in Zukunft ein großes Stich-wort sein. Natürlich kommen die Menschen auch zu uns,um Natur zu genießen. Wenn wir die Natur schädigen,der Flächenverbrauch zu hoch ist und das Wasser in un-seren Seen nicht mehr die wünschenswerte Qualität hat,dann wird der Tourismus sehr bald sterben.Ein weiteres Thema ist – darüber debattieren wir sehroft – die Erreichbarkeit unserer touristischen Regionen.Wie gesagt, die Städte sind relativ gut erreichbar. Willman aber darüber hinaus irgendwohin, wird es schwie-rig, egal welchen Verkehrsträger man nimmt. Das heißt,wir werden beim Erstellen des neuen Bundesverkehrs-wegeplans darauf achten müssen, dass touristisch wert-volle Regionen nach wie vor mit unterschiedlichen Ver-kehrsträgern erreicht werden können. Das ist eine ganzgroße Herausforderung, der wir uns zu stellen haben.
Natürlich spielt es eine Rolle, ob WLAN in der jewei-ligen Tourismusregion nutzbar ist. Weiterhin spielt eseine große Rolle, ob die Verkehrsträger, die Hotels unddie touristischen Angebote barrierefrei sind. Wir wollenFamilien und älteren Menschen Reisen ermöglichen.Wir wollen im Tourismus aber auch Inklusion fördern;denn behinderte Menschen haben das gleiche Recht wiewir nicht so stark Gehandicapten, dorthin zu reisen, wo-hin sie wollen. Auch hier gibt es große Herausforderun-gen, deren Bewältigung wir von Bundesseite mit derSetzung entsprechender Rahmenbedingungen erfolg-reich begleiten können.
Ein weiterer Punkt ist der Fachkräftebedarf. Wir allehaben den Anspruch, in unserem Urlaub oder zum Bei-spiel heute Abend, wenn wir frei haben und Fußballschauen,
von motiviertem, gut ausgebildetem Personal unterstütztzu werden. Da spielt die Entlohnung natürlich eineRolle. Des Weiteren muss wahrscheinlich das Berufsbildin der Gastronomie deutlich überarbeitet werden. Fürmich spielt allerdings die Frage nach der Anerkennungdie größte Rolle: Wie gehen wir mit den Menschen um,die im Dienstleistungsbereich arbeiten? Schätzen wir es,
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3860 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Daniela Ludwig
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dass sie gut ausgebildet und freundlich sind und dass sieunser Land bei ausländischen Touristen repräsentieren?Ich glaube, hier haben wir noch ein Stück weit Nachhol-bedarf, für dessen Deckung ich hier werben möchte.Auch das ist eine Aufgabe, der wir uns stellen müssen.
Zuletzt möchte ich der Deutschen Zentrale für Touris-mus herzlich danken. Sie ist sozusagen unser Werbe-fachmann im Ausland und unterstützt die BewerbungDeutschlands überall dort, wo wir wahrgenommen wer-den. Wir sind davon abhängig, dass die Menschen zu unskommen. Die DZT plant die Errichtung eines Büros inBrasilien erst im Jahr 2017. Im Moment haben wir einenanderen Werbeträger in Brasilien. Das ist unsere deut-sche Nationalmannschaft.
Bevor die DZT es macht, machen es hoffentlich unsereFußballer heute Abend.Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Vergessen Siemir den Tourismus nicht!Vielen herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 09
– Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – in der
Ausschussfassung. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zu-
erst abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag
auf Drucksache 18/1854? – Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke. Wer stimmt dagegen? – Die Koalitionsfraktio-
nen. Wer enthält sich? – Niemand. Damit ist der Ände-
rungsantrag mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
plan 09 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? –
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. Wer enthält sich? –
Niemand. Damit ist der Einzelplan 09 mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt II.15 auf:
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und For-
schung
Drucksachen 18/1020, 18/1023
Die Berichterstattung haben die Abgeordneten Swen
Schulz, Anette Hübinger, Roland Claus und Ekin
Deligöz.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Ent-
schließungsantrag eingebracht, über den wir am Freitag
nach der Schlussabstimmung abstimmen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat
Roland Claus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! FrauBundesministerin, ich will einmal mit der Frage begin-nen: Was ist das Besondere an diesem Etat, über den wirjetzt reden? Wenn man wie ich im Haushaltsausschussdie Etats fast aller Bundesministerien bearbeitet hat,kann man einen Vergleich ziehen. Ich weiß natürlich,dass jeder Etat für sich zu Recht in Anspruch nimmt,einzigartig zu sein;
aber das Besondere an diesem Etat ist, dass das Bundes-ministerium für Bildung und Forschung relativ wenigverwalten muss und sehr viel zu verteilen hat.Es ist also ein Etat der Förderprogramme und derFinanzierung außeruniversitärer Forschung. Das erklärtauch, warum es bei diesem Etat recht häufig ein hohesMaß an Gemeinsamkeit im Parlament gibt und sehr vieleEntscheidungen über Maßnahmen getroffen werden, diedurchaus von der Gesamtheit des Parlaments unterstütztwerden.
Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Niemand im Bun-destag hat die Absicht, etwas gegen Bildung und Geldfür gute Bildung zu sagen.
Aber leider muss man zuweilen auch über schlechte Bil-dungspolitik und schlechten Umgang mit Geld für For-schung und Bildung reden.
Frau Ministerin, ich weiß noch nicht, was Sie heutesagen werden, aber ich habe Sie ja schon oft gehört. Siemachen Ihren Erfolg, den Sie hier erklären, immer undimmer wieder daran fest, wie viele Mittel Sie auf denWeg gebracht haben. Das, finde ich, ist Ihr Problem. Da-bei kommen Sie ja noch gut weg. Entscheidend ist aberdoch nicht die Frage, wie viele Mittel man in das Systemgegeben hat, sondern entscheidend ist: Was ist dabei he-rausgekommen? Was ist erreicht worden? Welche gesell-schaftlichen Veränderungen sind erzielt worden? Dasieht die Bilanz natürlich anders aus.
– Danke für den Zwischenruf. – Wer sich mit Milliardenfür die Bildung schmückt, der darf über ein gescheitertesBildungssystem nicht schweigen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3861
Roland Claus
(C)
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So wie der Bundeshaushalt insgesamt ein Haushaltder sozialen Spaltung ist, so setzt sich die soziale Spal-tung im Bildungswesen fort. Die soziale Stellung vonKindern und Jugendlichen entscheidet leider maßgeblichüber deren Bildungsweg. Ich sage Ihnen: Das muss end-lich in einer gemeinschaftlichen Aufgabe überwundenwerden.
16 verschiedene Schulsysteme in Deutschland sind nichtzukunftsfähig. Die gehören allenfalls ins Museum.
Jetzt stehen wir wieder vor einem neuen Schuljahr.Wir merken wieder mit aller Deutlichkeit gerade imWesten und im Süden der Republik, dass ein mangelhaf-tes Schulhortnetz das Problem mit sich bringt, dass inder Regel junge Frauen aus der Erwerbsarbeit gedrängtwerden, mindestens aber in ihren Aufstiegschancen be-hindert werden. Das ist anachronistisch. Das gehört ver-hindert.
Da ist es angebracht, zu sagen, dass die Bundesrepublikbei der Ausgestaltung der deutschen Einheit leider nichtin der Lage war, fortschrittliche Erfahrungen aus demBildungswesen, aber auch aus dem Gesundheitswesender DDR zu übernehmen. Ich sage Ihnen: Für diese Er-kenntnis bekommen Sie heute auch in Bayern Zustim-mung.
Gleich wird Frau Bundesministerin Wanka die vielenbegrüßenswerten Aufwüchse, die für diese Legislaturvorgesehen sind, vorstellen. Aber trotz all dieser um-fangreichen Förderprogramme ist BundesministerinWanka eigentlich die Verliererin der Haushaltsberatun-gen.
– Das kann ich mir vorstellen.
Das will ich kurz erklären. Als wir im April über denEtat gesprochen haben, sind Sie noch davon ausgegan-gen, dass die 500 Millionen Euro, die für den Einstieg indie Unterstützung der Länder in den Bereichen Kita,Schule und Hochschule vorgesehen waren, beim Bun-desfinanzministerium gewissermaßen nur geparkt sind,Ihnen aber zur Verfügung stehen. Bei der Konsolidie-rung in der letzten Nacht der Haushaltsberatungen sindSie hinsichtlich dieser Erwartung enttäuscht worden.Jetzt können Sie diese Situation nicht nachträglichschönreden; denn wir haben sehr wohl gemerkt, wie dieKolleginnen und Kollegen aus Ihrem Ministerium umdiesen Posten gekämpft haben.
– Sie sind im Jahr 2014 an mehreren Stellen enttäuschtworden, gehen aber wie selbstverständlich davon aus,dass das 2015 alles wieder hereinkommt. Darüber wer-den wir im September reden.
Durch die Minderausgabe von 400 Millionen Euro,ein gigantischer Betrag, den das Ministerium im Laufedes Haushaltsjahres einzusparen hat, sind Sie mit einerschwierigen Aufgabe belastet. Eine solche Minderausga-benfestlegung stellt immer auch eine große Verführungdar, nämlich die vorhandenen Fördermittel nicht konse-quent abzufinanzieren, sondern möglichst etwas davonstehen zu lassen. Sie treten natürlich die Flucht nachvorne an und erklären uns, das werde im Jahr 2015 allesbesser. Das werden wir dann sehen.Wenn man sich anschaut, welchen Weg die Förder-mittel des Bundesministeriums nehmen, dann stellt manfest, dass es zwei große Geldströme aus Berlin gibt: Dereine geht von Berlin nach München und der andere vonBerlin nach Köln/Bonn. Verteilungsgerechtigkeit siehtnach unserer Auffassung anders aus.
Frau Ministerin, Sie haben in diesem Jahr beim Etat2014 die Kabinettsdisziplin leider über Ihre Ressortver-antwortung gestellt.
Das muss beim Etat 2015 deutlich anders werden.Es geht auch nicht, dass bei einer BAföG-Reform, dieja begrüßenswert ist, die Abgeordneten des Bundestagesvom Handeln der Exekutive erfahren; schließlich geht esdoch darum, das Parlamentsrecht gerade hinsichtlich desHaushaltes auszuüben.
Wir können aus vielen Fehlern des Jahres 2014 ler-nen. Das beginnt damit, Frau Ministerin, dass Sie dieseFehler bitte nicht auch noch zu Tugenden erklären.Herzlichen Dank.
Anette Hübinger hat als nächste Rednerin das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! LiebeKolleginnen und Kollegen! Ich stelle die gute Botschaftan den Anfang meiner Rede. Sie lautet: Bildung und
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3862 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Anette Hübinger
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Forschung haben, wie schon in den vergangenen Jahren,auch in dieser Koalition Priorität.
In der Bereinigungssitzung hat die Koalition den Haus-halt des Ministeriums für Bildung und Forschung umweitere 85 Millionen Euro auf mehr als 14 Milliar-den Euro erhöht. Damit erhöhen wir ihn zum neuntenMal in Folge und erreichen einen Höchststand. DiesenWeg wollen wir auch in den nächsten Jahren weiter-gehen.Es ist aber auch ein ganz besonderes Signal an Eltern,junge Auszubildende und Studierende, aber auch in dieForschungs- und Wissenschaftslandschaft hinein, dassDeutschland auf diesem schon vor Jahren eingeschlage-nen Weg, Bildung und Forschung in das Zentrum zustellen, weiter vorangeht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zuden Vorstellungen des Kollegen Claus werden wir diesenWeg weiter verfolgen; denn im Koalitionsvertrag habenwir festgelegt, dass 9 Milliarden Euro zusätzlich – haus-halterisch allerdings erst ab 2015; die 85 Millionen Euroin diesem Jahr zählen nicht dazu – in den Bildungsbe-reich fließen werden.
Für den Bund war ganz besonders wichtig, dass Inno-vation und Forschung auf solide Füße gestellt werden.Dafür haben wir 3 Milliarden Euro zur Verfügung ge-stellt. Diesbezüglich werden wir insbesondere drei Maß-nahmen ergreifen: Wir stärken die außeruniversitärenForschungseinrichtungen. Wir werden aber auch dieWeiterentwicklung der Exzellenzinitiative und den Paktfür Forschung und Innovation finanzieren.Für die Länder war ganz besonders wichtig, dass imZusammenhang mit den immer weiter steigenden Aus-gaben im Bildungsbereich eine Entlastung erfolgt. Dashaben wir dadurch bewerkstelligt, dass der Bund dieLänder auf Dauer – nicht nur bezogen auf diese Legisla-turperiode – von den Belastungen beim BAföG befreit.Das bedeutet für den Bund Mehrausgaben von ungefähr1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Wir haben in dieser Legis-laturperiode auch 1 Milliarde Euro zur Verfügung ge-stellt, um weiterhin den Krippen- und Kitaausbau voran-treiben zu können. Das heißt, dass der Ausbau desBetreuungsangebotes in Deutschland jetzt zügig voran-gehen kann. Die durch die Entlastung der Länder freiwerdenden Mittel sollen auch weiterhin im Schul- undHochschulbereich eingesetzt werden. Das haben dieLänder fest zugesagt.
Ich muss sagen: Das ist eine sehr kluge Entscheidung derLänder; denn es gibt keinen Bereich, in dem Investitio-nen eine so hohe Rendite bringen und so nachhaltig sind,wie bei der Bildung. Deswegen kann man sie für dieseEntscheidung nur loben. Wir vom Haushaltsausschusswerden allerdings auch ein Auge darauf haben, dass diesso geschieht und dass es weiter in den richtigen Berei-chen umgesetzt wird.
Denn aus unserer Sicht ist wichtig, dass das Geld in die-sem Bereich bleibt, damit das 10-Prozent-Ziel, das wiruns einmal selbst gesetzt haben, also 10 Prozent desBruttoinlandsprodukts in Forschung und Bildung zu in-vestieren, auch erreicht werden kann.Auch wenn die 9 Milliarden Euro in diesem Jahr nochnicht wirksam werden, muss ich dem Vorwurf von HerrnClaus widersprechen, dass wir hier einfach Bildungsaus-gaben wegstreichen; denn dass die 500 Millionen Euroerst einmal geparkt waren, war eine reine Vorsorgemaß-nahme des Bundesministeriums der Finanzen. Dafür istes da, und dazu ist es auch verpflichtet. Das heißt abernicht, dass die Politik sich nicht anders entscheidenkann. Die Politik hat sich entschieden, mit der Bereitstel-lung der 9 Milliarden Euro erst ab 2015 zu starten. Dabeiwird jeder Cent – darauf werden wir auch vonseiten desBundes achten – in Bildung und Forschung investiertwerden, und zwar im Laufe dieser Legislaturperiode.Herr Claus, da können Sie also ganz beruhigt sein: Wirwerden bei Bildung und Forschung nicht kürzen.
Aber eine ordnungsgemäße Haushaltsführung bedeu-tet auch, dass wir die Mittel so einstellen, dass sie abflie-ßen können. Wir verabschieden jetzt den Haushalt 2014.Wir haben ein halbes Jahr Umsetzungszeit für die Pro-jektierung, die Ausschreibung, das Auswahlverfahrenund den Mittelabfluss. Das alles ist in einer dreifachenMillionenhöhe eigentlich gar nicht seriös zu bewerkstel-ligen. Wir haben gemeinsam mit den Fachpolitikern denEinzelplan 30 in einigen Punkten so verändert, dass erdem Koalitionsvertrag mehr entspricht, und zwar dort,wo wir es für relevant halten. Wir haben bei dieser Nach-justierung auch das halbe Jahr Haushaltsvollzug berück-sichtigt, genauso wie unsere Eigenverpflichtung, dieNettokreditaufnahme nicht zu steigern, sondern bei6,5 Milliarden Euro zu belassen.Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ei-nige Punkte nennen. Leider ist der Hauptberichterstatter,Herr Schulz, heute aufgrund einer Trauerfeier nicht an-wesend. Ich gehe davon aus, dass Herr Heil noch mehrPunkte als ich benennen wird.Wir haben inhaltlich nachjustiert, zum Beispiel beider Berufsorientierung während der Schulzeit. Erforder-lich ist nämlich eine gute Beratung von Schülerinnenund Schülern, sei es im Hinblick auf eine duale berufli-che Ausbildung oder im Hinblick auf ein Studium. BeideAusbildungsgänge sind für uns gleichwertig. Durch diegroße Durchlässigkeit der einzelnen Ausbildungswegeeröffnen wir jungen Menschen gute Chancen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3863
Anette Hübinger
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Deshalb wurde der Titel „Maßnahmen zur Verbesserungder Berufsorientierung“ um 10 Millionen Euro erhöht; erumfasst jetzt 75 Millionen Euro.Des Weiteren brauchen junge Menschen in einer glo-balisierten Welt die Möglichkeit, Erfahrungen im Aus-land zu sammeln. Deutschland braucht die Erfahrungenund die Kompetenz junger Leute, um in allen gesell-schaftlichen Bereichen – auch in Wirtschaft und Wissen-schaft – im globalen Wettbewerb in einer immer engerzusammenwachsenden Welt vorankommen zu können.Wir haben mit dem DAAD und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung zwei weltweit renommierte Institu-tionen. Auch deren Etat haben wir um 10 Millionen Euroerhöht. Damit haben wir eine haushalterisch gute Grund-lage für ihre so wichtigen Aufgaben geschaffen.
Wir stärken den Bereich „Weiterbildung und lebens-langes Lernen“ durch zusätzliche 3 Millionen Euro. Dassoll auch der Alphabetisierungsstrategie zugutekommen.Wir erhöhen aber auch den Ansatz für die Beratung überdie Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikatio-nen, und wir stärken die Aufstiegsstipendien. Wir tundies, weil wir allen Menschen in Deutschland Bildungs-chancen und Zukunftsperspektiven eröffnen wollen.Im Forschungsbereich Gesundheit stoßen wir eineWirkstoffinitiative an, die sich auf Multiresistenz undSepsis im Bereich der Antibiotika fokussiert. Außerdembringen wir ein Forschungsnetzwerk „Kinder- und Ju-gendgesundheit“ auf den Weg. Die Forschung über Si-cherheit im IT-Bereich stärken wir durch die Aufstockungder zur Verfügung gestellten Mittel um 2 MillionenEuro. Wir stärken aber auch die Forschung an Fachhoch-schulen durch zusätzliche Mittel in Höhe von 2 Millio-nen Euro.Neben diesen besonderen Akzenten reagieren wir mitdem Haushaltsplan für Bildung und Forschung auch aufnicht vorhersehbare Mehrausgaben beim BAföG undbeim Rückbau und der Stilllegung kerntechnischer Ver-suchs- und Demonstrationsanlagen. Die Mehrausgabenbeim BAföG in Höhe von 37 Millionen Euro konnten in-nerhalb des Haushaltes gegenfinanziert werden, wäh-rend wir 85 Millionen Euro für Rückbau und Stilllegungder kerntechnischen Forschungsanlagen als zusätzlicheMehrausgaben in den Haushalt eingestellt haben. Dasstärkt den Forschungsbereich natürlich ganz besonders.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf zumSchluss noch ein Wort des Dankes sagen. Mein Dankgilt meinem Mitberichterstatter, Herrn Claus, meinerMitberichterstatterin, Frau Deligöz, und insbesondereunserem Hauptberichterstatter, Herrn Schulz. In meinenDank schließe ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterdes Ausschusses und des Ministeriums ein. Ich danke fürdie gute Zusammenarbeit. Ich glaube, Herr Schulz hatunsere Arbeit bei dieser wichtigen Aufgabe wunderbarkoordiniert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit und verabschiedemich mit dem Hinweis: Bildung und Forschung haben inDeutschland weiterhin Vorfahrt. Herzlichen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus gegebenem An-
lass möchte ich Sie jetzt alle bitten, sich etwas stärker an
die Redezeit zu halten. Wir alle haben miteinander ver-
abredet, dass wir heute pünktlich Schluss machen. Das
werden wir nicht erreichen, wenn es uns nicht besser ge-
lingt, der Vorgabe zu folgen.
Ich spreche also eine Mahnung an alle aus, sich an ihre
Redezeiten zu halten. Ich weiß, ermahnt fühlen sich
wahrscheinlich diejenigen, die sich sowieso an die Rede-
zeit halten werden. Ich bitte einfach um Verständnis.
Die Kollegin Deligöz hat jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Hinter uns liegen in der Tat sehr intensive Haushaltsbe-ratungen über den Bildungs- und Forschungsetat. In die-sem Etat geht es ja auch richtig um etwas. Wenn wirüber Bildung, Forschung und Wissenschaft reden, gehtes um nicht weniger als um die Zukunft dieses Landesund die Antworten auf die wichtigsten Fragen unsererZeit, zum Beispiel die Veränderungen unserer Demogra-fiestruktur, die wirtschaftliche Zukunft Deutschlandsund vor allem die Chancen- und Teilhabegerechtigkeit indiesem Land.
Von daher schließe ich mich dem Dank an SwenSchulz an, der mit seinen kritischen Fragen die Bericht-erstattergespräche wirklich sehr belebt hat. Leider kanner heute aus persönlichen Gründen nicht dabei sein.Aber diesen Dank richtet die SPD ihm sicherlich gernaus.
Aber – jetzt kommt das große Aber –: Der Einzelplan30 ist leider ein Einzelplan im Wartestand. 6-plus-3-Mil-liarden-Paket, das klingt gut; es ist aber ein einziges Rät-sel, und es wirft, ehrlich gesagt, mehr Fragen auf, als esAntworten gibt. Ein paar dieser Fragen will ich formu-lieren.Was geschieht zum Beispiel mit den Wissenschafts-pakten? Eine richtige Antwort darauf haben Sie nicht.Frau Kollegin Hübinger, Sie haben das sehr gut gemachtmit dem detaillierten Darstellen von kleineren Beträgen.Aber wir brauchen auch den großen Wurf.
Da reichen diese kleinen Beträge leider nicht aus. Daranmüssen wir arbeiten, wenn wir die Dinge wirklich verän-
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3864 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Ekin Deligöz
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dern und gestalten wollen und nicht nur eine Anpassungbeim Status quo vornehmen wollen.
Wie wird die Grundgesetzänderung zur Kooperationzwischen Bund und Ländern im Wissenschaftsbereich inZukunft aussehen? Was passiert mit den Schulen? Dasist eine große offene Frage. Daran müssen wir alle ge-meinsam arbeiten, weil da in der Tat Bund und Länder– da sind auch die Grünen mit beteiligt – gefragt sind.Offene Fragen gibt es auch im Kitabereich. Sie habengesagt: 1 Milliarde Euro werden investiert. Ich habeheute eine Antwort vom Ministerium zum Bereich desEinzelplans 17 bekommen. Die bestätigt: Es ist nicht1 Milliarde, die investiert wird. 450 Millionen Euro da-von sind bereits zugesagt und bewilligt. Das sind alteMittel. Es kommen als frisches Geld lediglich 550 Mil-lionen Euro dazu,
aber die sind nicht einmal verbindlich zugesagt. Sie kön-nen nicht von zusätzlich 1 Milliarde Euro reden! HörenSie auf, von zusätzlichen Mitteln in der Höhe zu reden!
Sie tricksen. Sie täuschen. Es sind gerade einmal550 Millionen Euro, und die sind noch nicht einmal ver-bindlich.Jetzt komme ich zu der halben Milliarde für Bil-dungsinvestitionen. Wo ist denn eigentlich die zugesagtehalbe Milliarde? Ich kann mich noch daran erinnern,dass Sie, Frau Ministerin, im Berichterstattergesprächsehr zuversichtlich waren, dass das Geld in Ihrem Haus-halt noch draufkommt. Dann waren die Mittel da, dannwaren sie woanders, plötzlich waren sie weg, dann wa-ren sie verschollen, und jetzt sind sie verschoben. Wasdenn nun? Das Geld ist de facto nicht da. Wenn mandann noch bedenkt, dass Sie eigentlich eine globaleMehrausgabe von 410 Millionen Euro zu erbringen ha-ben, dann erkennt man: Sie haben de facto Kürzungen inIhrem Haushalt.Sie können noch sagen: Bei den kleineren Projektenhaben wir draufgeschlagen. – Aber wenn man das ge-genrechnet, kommt unter dem Strich immer noch weni-ger heraus, und zwar so wenig, dass sogar der Bundes-rechnungshof die hohe globale Mehrausgabe in diesemHaushalt kritisiert, und das findet schon selten genugstatt. Das sollte Ihnen wirklich zu denken geben.
Was wir dringend brauchen, ist frisches Geld in diesemEtat, und nichts anderes. Das können wir nicht schön-rechnen.Jetzt stelle ich noch eine andere Frage: Wie will dieBundesregierung sicherstellen, dass die Länder die freigewordenen Mittel, die sie aus dem BAföG-Deal zurVerfügung haben, auch tatsächlich für Bildung und Wis-senschaft ausgeben?
– Jetzt weisen Sie auf die Grünen hin. Auf diesen Zwi-schenruf habe ich, ehrlich gesagt, gehofft. Ich gebe Ih-nen ein paar schöne Beispiele: Rheinland-Pfalz will dieMittel in Inklusion in der Bildung und in die Hochschu-len stecken. In Hessen kommt ein Sonderfonds Hoch-schulen. In Niedersachsen wird die dritte Krippenkraftfinanziert.
Ich finde, dass auch frühkindliche Bildung Bildung ist,selbst wenn Sie das in Zweifel ziehen.
Die grün-mitregierten Länder handeln. Sie sagen zu,und sie tun etwas.
– Ich traue meinen grünen Politikern. Ich traue IhrenPolitikern aber überhaupt nicht.
Dazu gebe ich Ihnen auch zwei Beispiele. In Bayern undin Brandenburg wurden von den Grünen zwei Anträgeeingebracht.
– Frau Präsidentin, das lasten Sie mir aber nicht an, dassdie mich hier übertönen wollen. Ich rede!
Da haben Sie recht. Das sollen Sie auch.
Die Konsequenz war: Die Anträge mit der Forderung,das Geld verbindlich für Bildung und Wissenschaft aus-zugeben, wurden von Ihnen abgelehnt. Deshalb traue ichIhren Leuten nicht, meinen Leuten aber sehr wohl. – Dasist die Antwort auf Ihren Zwischenruf.
– Herr Kollege, Sie können gern eine Frage stellen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3865
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Frau Kollegin Deligöz, lassen Sie eine Frage des Kol-
legen Karamba Diaby zu?
Ja, selbstverständlich.
Liebe Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass die Aussage nicht stimmt? Sie sagen, Sie
trauen den grünen Politikerinnen und Politikern auf Lan-
desebene, den anderen nicht. Sind Sie bereit, zur Kennt-
nis zu nehmen, dass das Land Sachsen-Anhalt entschie-
den hat
– das ist eine sehr gute Frage, Steffi Lemke –, dass
30 Millionen Euro, die für Sachsen-Anhalt jetzt infrage
kommen, wie verbindlich zugesagt wurde, im Bereich
Bildung
– Frau Lemke, lassen Sie mich jetzt einmal zu Ende re-
den; dann können Sie weitere Zwischenrufe machen –
eingesetzt werden? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu
nehmen?
Herr Kollege, ich finde, aus Ihrer Frage spricht einegewisse Unsicherheit.
Sie müssen immer wieder betonnen, wohin noch einpaar Mittel fließen, um sich sicher zu fühlen. Ich sage Ih-nen eines: Die Debatte im Haushaltsausschuss hat es ge-zeigt – letztendlich wird es auch diese Debatte zeigen –,dass Sie sich unter dem Strich eigentlich unsicher sind.Sie sind sich deshalb unsicher, weil Sie nämlich mitver-antwortlich sind für dieses Chaos, das Sie verursachen.
Wenn Sie sich wirklich für Bildung einsetzen wollen:Warum haben Sie dann nicht mehr verbindliche Zusagenzur Verwendung der Mittel verlangt? Das hätten Siedoch tun können. Anstatt dass sich die Parteichefs derKoalition irgendwo in einem Hinterzimmer in einerNacht-und-Nebel-Aktion zusammensetzen, hätten Siemit allen Ländern reden können. Sie hätten die Verant-wortung dafür übernehmen können und die Bildungs-politik dieses Landes mitgestalten können. Stattdessenmüssen Sie jetzt bitten und betteln und auf das PrinzipHoffnung setzen, dass das Geld dort ankommt, wo es be-nötigt wird. Ich weiß nicht, ob das die beste Art ist. Aberich sage Ihnen: Wir können es besser. Auch Sie wissen,dass wir es besser können.
Das Schlimmste ist vor allem, dass Sie auf die Kon-trollmöglichkeiten für diese Finanzmittel verzichten. DieMöglichkeit könnten wir haben. Der Kollege Schulz– das ist seine Leistung –
hat dafür gesorgt, dass es einen Monitoring-Bericht gibt.Das muss man hier sagen. Sie haben ihn übrigens auchgegen Kollegen der CDU/CSU durchgesetzt. Aber seienSie doch ehrlich: Er ist ein zahnloser Tiger. Der Berichtzeigt vielleicht auf, was passiert ist und was nicht. Wirbrauchen aber schon vorher eine Steuerung und eine ver-bindliche Vereinbarung, sodass wir uns darauf verlassenkönnen.Die nächste Frage kommt sogleich. Was passiert mitdem BAföG? Sie verschieben die Erhöhung unter demStrich auf das Ende der Wahlperiode. Es werden zweiJahrgänge von Studierenden keinen Cent mehr bekom-men. Jetzt haben wir die meisten Studierenden, und jetztbrauchen die Studierenden das Geld und nicht nur leereVersprechen. Das hat etwas mit fairen und gerechtenStudienbedingungen in diesem Land zu tun.
Ein ganz kleines Beispiel: Aufstiegsstipendium. Hierwird die Bewilligung des Büchergeldes für Studierende,die nach der Berufsausbildung an die Uni kommen, an-ders gehandhabt als für Studierende, die nach dem Abi-tur ihr Studium aufnehmen. Dies anzugleichen, würdegerade einmal 8 Millionen Euro kosten. Sie finden esgut; die Ministerin findet es gut; alle finden es gut. AberSie machen es nicht. Hier wünschte ich mir etwas mehrBodenständigkeit und Anerkennung der Lebensleistungder Menschen, die nach der Berufsausbildung eineHochschule besuchen. Warum tun Sie sich hier soschwer damit, genau diese Gerechtigkeit herzustellen?Unser Antrag dazu lag Ihnen vor.
Das, was mir am meisten Sorgen macht, sind die ex-plodierenden Kosten für den Rückbau der nuklearen An-lagen. Das werden Mehrkosten in dreistelliger Millio-nenhöhe sein, die auf diesen Haushalt zukommen. Hierschließe ich mich dem Kollegen Claus an: VerteidigenSie Ihren Haushalt, Frau Ministerin. Wir stehen auf IhrerSeite. Es kann nicht sein, dass die Entsorgung des Atom-schrotts zulasten von Studierenden, Wissenschaftlern,Forschung, Schulen und Schülern finanziert wird. Eskann nicht sein, dass Sie die Kosten der Vergangenheitgegenfinanzieren, indem Sie bei den Ausgaben für In-vestitionen in die Zukunft kürzen. Das kann nicht sein.Das ist keine nachhaltige Politik.
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Ekin Deligöz
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Diese Verantwortung müssen Sie übernehmen. Hiergeht es darum, dass Sie tatsächlich Ihren eigenen Haus-halt verteidigen und nicht nur die Politik der Vorgänger-regierung.Um zu erfahren, was die Entsorgung des Atommüllskostet, haben wir eine Anfrage an Ihr Haus gestellt. Ichweiß inzwischen aus internen Quellen, dass die Antwortschon geschrieben wurde, wir sie aber nicht bekommen.Entweder wollen Sie nicht, können nicht oder trauensich nicht. Egal wie die Antwort lautet, Sie müssen frü-her oder später offenlegen, worüber wir hier eigentlichreden, damit wir endlich Transparenz und Klarheit ha-ben. Trauen Sie sich, damit Sie am Ende nicht allein aufden Kosten sitzen bleiben, was vor allem zulasten derSchüler und Universitäten gehen würde. Frau Ministerin,ich wünschte mir etwas mehr Engagement von IhrerSeite.
Ein Fazit: Dieser Etat kann nicht alles gewesen sein,liebe Kolleginnen und Kollegen. Es ist eine Herausfor-derung, dass wir Investitionen in diesem Bereich tätigenmüssen. Das heißt übrigens auch, dass wir frisches Geldin die Hand nehmen und nicht nur herumtricksen. FrauMinisterin, wir unterstützen Sie dabei, aber Sie müssenauch etwas tun.
Als nächster Redner hat der Kollege Hubertus Heil
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Ich werte es als gutes Omen, dass in der Zeit, inder wir diesen Haushalt beraten, die frühere MinisterinBulmahn hier präsidiert. Da wir hier über Traditionenauch in der Haushaltspolitik reden, will ich die Gelegen-heit nutzen, darauf hinzuweisen, dass wir es in den letz-ten 15 Jahren in einer Tradition wechselnder Regierun-gen – von Rot-Grün über die Große Koalition undSchwarz-Gelb bis heute – hinbekommen haben, bei allenProblemen, die wir nach wie vor haben, die Dinge zumBesseren zu bewegen.Ich will es an dieser Stelle einmal sagen: EdelgardBulmahn hat diese Entwicklung in Zeiten eingeleitet, indenen in Deutschland im Bereich der Bildung zum Bei-spiel über den Pisa-Schock gesprochen wurde. Manch-mal braucht man einen Schock, aber vor allen Dingendarf man dann nicht gelähmt sein; man muss anpacken.Insofern möchte ich mich ganz herzlich bei EdelgardBulmahn bedanken; denn vieles, was wir heute diskutie-ren und fortsetzen – der Pakt für Forschung und Innova-tion zum Beispiel –, stammt aus ihrer Amtszeit.
Jetzt ist Frau Wanka Ministerin,
und wir wollen zusammenarbeiten, damit wir die Dingeweiter nach vorne bringen. Ich will sagen, dass sich dieGeschäftsgrundlage bei der zweiten und dritten Lesungdieses Haushaltes gegenüber der ersten Lesung verän-dert hat, nicht nur aufgrund der Arbeit der Haushälter,denen ich ganz herzlich danke, sondern auch, weil wirIhnen, Frau Deligöz, jetzt Fragen beantworten können,deren Beantwortung in der ersten Lesung zugegebener-maßen noch offen war, weil etwa die Frage, wie mit dem6-plus-3-Milliarden-Paket umgegangen werden soll,noch zu besprechen war.Ich finde es aber in Ordnung, dass man es sorgfältigmiteinander bespricht, damit man das Richtige tut. DieseFragen sind jetzt geklärt. Ich will deshalb versuchen,eine Reihe der Fragen, die Sie gestellt haben, in meinemRedebeitrag zu beantworten. Vielleicht passt Ihnen nichtjede Antwort; aber ich finde, Sie haben das Recht aufeine Antwort.Die erste Frage ist: Welche Ziele verfolgen wir aufBundesebene im Bereich der Bildungs-, der Wissen-schafts- und der Forschungspolitik? Aus sozialdemo-kratischer Sicht kann ich sagen – daran lassen wir unsmessen –, dass das Thema der Verbesserung der Chan-cengleichheit im Bereich der Bildung für uns eineToppriorität bleibt; es ist der Maßstab für all das, waswir im Bereich der Bildung voranbringen.
Es ist eine Frage, die etwas mit einer Wertehaltung,mit einer Überzeugung und mit unserem Menschenbildzu tun hat. Unser Menschenbild ist: Wir wollen, dass dasLeben für die Menschen offen ist. Wir wollen nicht, dassHerkunft, Hautfarbe oder Geschlecht die Menschen nachihrer Geburt auf ihre Verhältnisse festnagelt, sonderndass Menschen ihren eigenen Lebensweg gehen könnenund sie, wenn Sie so wollen, ein Stück weit Autor ihreseigenen Lebensweges sein können. Dabei ist der ge-rechte und chancengleiche Zugang zu Bildung auf allenStufen der Bildungskette ein zentraler Punkt.Das heißt in diesem Zusammenhang konkret, dass wiruns im Bereich der Allianz für Aus- und Weiterbildungengagieren wollen, weil wir in diesem Bereich erleben,dass Chancengleichheit – Herr Minister Gabriel hat vor-hin beim Bereich Wirtschaft darauf hingewiesen, dassdie Hälfte der Jugendlichen mit Migrationshintergrundin Deutschland keine anständige Chance auf eine beruf-liche Erstausbildung hat – nicht nur eine Frage der Ge-rechtigkeit ist, sondern in Zeiten des Fachkräftemangelsauch eine Frage der ökonomischen Vernunft.Es ist erst vor kurzer Zeit im öffentlichen Bewusst-sein angekommen – es ist Gott sei Dank auch in den Re-den der meisten Kolleginnen und Kollegen, die sich mitBildung beschäftigen, deutlich geworden –, welchenWert die duale Berufsausbildung in Deutschland hat. Esist gut, dass wir dort in der Koalition gemeinsam mit derAllianz für Aus- und Weiterbildung einen Schwerpunktsetzen werden:
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Hubertus Heil
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bei der beruflichen Bildung und der Ausweitung vonBildungsketten. Das haben wir uns auf die Fahnen ge-schrieben.Zum Thema Chancengleichheit gehört aber auch,dass wir uns um diejenigen kümmern, die beispielsweiseeine Chance verpasst haben, Stichwort: Alphabetisie-rung. Wir haben in dieser reichen Gesellschaft einegroße Zahl von Analphabeten. Ich bin den Haushälterndankbar, dass sie sich auf den Weg gemacht haben, beimThema Alphabetisierungsinitiative nach vorne zu kom-men. Die ernüchternde Zahl ist: Es gibt in Deutschlandnach wie vor 7,5 Millionen funktionale Analphabeten.Lesen und schreiben zu können, meine Damen und Her-ren, ist nicht nur eine Kulturtechnik, sondern ist auch imdigitalen Zeitalter nach wie vor eine Voraussetzung zurTeilhabe am gesellschaftlichen Leben;
wir wollen diese Teilhabe für alle in diesem Land er-möglichen.Frau Kollegin Deligöz, zum Thema Chancengleich-heit gehört auch das Thema BAföG. Wir haben uns zwi-schen Bund und Ländern darauf verständigt, dass derBund zukünftig, ab 1. Januar 2015, die Finanzierung desBAföG vollständig übernehmen wird. Ich will sagen:Das halte ich aus mehrerlei Gründen für richtig. Es istunter anderem richtig, weil wir den deutschen Bundes-ländern damit jährlich einen Spielraum von ungefähr1,2 Milliarden Euro verschaffen, um gezielt in die Schu-len, aber auch in die frühkindliche Bildung und in Hoch-schulen investieren zu können. Wir als Bundespolitikermüssen zu Recht alle miteinander darauf achten, ob unsdas gelingt oder ob das Geld irgendwo versickert.Ich will eines sagen: Den Ländern darf man nicht miteiner Misstrauenskultur begegnen.
In den Bundesländern gibt es unterschiedliche Parteien-konstellationen und auch unterschiedliche Erfahrungen,ganz klar, aber der Druck, in dem Bereich frühkindlicheBildung und Hochschule etwas zu machen, ist in jedemBundesland sehr groß. Deshalb vertraue ich darauf, dassdas, was die Ministerpräsidenten zugesagt haben, auchumgesetzt wird und dass das Geld dort auch ankommt.Wir müssen miteinander darauf achten.
Das Kooperationsverbot besteht noch, aber ich sageIhnen: Der Weg einer dauerhaften Entlastung der Länderist der richtige. Eine dauerhafte Entlastung ist wichtig,damit es in den Ländern nicht für vier Jahre zu einerKurzatmigkeit kommt. Wir brauchen dauerhafte Spiel-räume, auch unter den Bedingungen der Schulden-bremse, um mehr in Bildung vor Ort investieren zu kön-nen. Ich halte das für den richtigen Weg.Ich halte es auch aus der Sicht des Bundes für denrichtigen Weg. Ich könnte sagen: Wir müssen jetzt mehrGeld aufwenden. Aber dadurch wird das unwürdige Ge-zerre zwischen Bund und Ländern um eine BAföG-Er-höhung endlich aufhören, und wir als Bundespolitikerkönnen endlich unseren Beitrag zur Chancengerechtig-keit im Bereich BAföG leisten.
– Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, eine Frage zu stellen,wenn die Präsidentin das erlaubt.
Ich erlaube das selbstverständlich. – Herr Gehring.
Vielen Dank, Herr Heil. – Halten wir fest: Die Ren-
tenreform kommt sofort, die Entlastung beim BAföG
aber erst zum 1. Januar 2015. Der Bund übernimmt dann
100 Prozent der Kosten; das stimmt. Das heißt aber, dass
sich der Bund nicht länger hinter den Ländern verste-
cken kann.
Richtig!
Sie müssen dem Parlament und der Öffentlichkeitaber erklären, wieso die BAföG-Novelle erst zum Win-tersemester 2016/2017 kommen soll. Das bedeutet, dassdie Studierenden in den nächsten zweieinhalb Jahrenkeine BAföG-Erhöhung bekommen. Wenn man dasdurchrechnet – von der letzten BAföG-Novelle und -Er-höhung bis heute –, dann stellt man fest: Mit den500 Millionen Euro, die Frau Wanka für die BAföG-No-velle vorsieht, wird noch nicht einmal die Inflationsrateausgeglichen.
Das bedeutet, Sie können die Sätze nicht anständig er-höhen, und Sie erhöhen sie erst in zweieinhalb Jahren. –Warum? Wieso kommt die BAföG-Novelle nicht vor-her? Ihnen liegen Berichte vor, aus denen hervorgeht,wie dringend notwendig das wäre.
Erklären Sie dem Parlament, warum die Studierendenzweieinhalb Jahre auf eine BAföG-Erhöhung wartenmüssen. Das ist unverständlich. Der Bund kann sich nunnicht mehr hinter den Ländern verstecken.
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Lieber Herr Gehring, ich will Ihre Frage gerne beant-worten, aber zuvor habe ich eine herzliche Bitte. Wirkönnen über vieles reden, aber in der rhetorischen Ein-leitung Ihrer Frage die Rentner gegen die Studierendenauszuspielen, das ist nicht in Ordnung.
– Das hat er sehr wohl gemacht. – Sie kritisieren, dasswir die Lebensleistung von Müttern bei der Kindererzie-hung besser berücksichtigen, und spielen das gegen dieStudierenden aus. Das ist doch nicht in Ordnung.
Jetzt zum sachlichen Teil Ihrer Frage. Ich gebe zu: Ichhätte mir eine BAföG-Reform, was die Erhöhung derSätze betrifft, früher gewünscht, zum Wintersemesterdes kommenden Jahres wäre das technisch möglich ge-wesen. Aber wir haben uns anders verständigt.
– Ganz ruhig.
Jetzt müssen wir uns auf das Machbare konzentrieren.Noch einmal: Ich hätte mir das früher gewünscht, aberdas hat etwas mit Spielräumen zu tun, die natürlich ersteinmal geschaffen werden müssen. Ich sage Ihnen abereines: Wir alle in diesem Parlament – die Sozialdemo-kraten und, ich hoffe, auch unser Koalitionspartner –müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die anstehendeBAföG-Reform kein Reförmchen, sondern strukturellund in Bezug auf das Volumen eine substanzielleBAföG-Reform wird, um die Bildungschancen zu ver-bessern.
Das betrifft die Sätze, das betrifft die Freibeträge, dasbetrifft die strukturellen Fragen, nicht nur beim Über-gang vom Bachelor zum Master. Wir werden eine ganzeMenge Arbeit vor uns haben.Als Sozialdemokrat – wir stehen in der Tradition vonWilly Brandt, der das BAföG in den frühen 70er-Jahreneingeführt hat – kann ich Ihnen versichern: Das BAföGist uns ein Herzensanliegen. Wir werden dafür sorgen,dass die soziale Situation von Studierenden im Interessedes Bildungserfolgs verbessert wird. Das kommt jetztein paar Semester später, aber es wird substanziell sein.Darauf können Sie sich verlassen.
Ich habe schon etwas zum Thema Chancengleichheitgesagt. Ich will aber auch etwas zu dem zweiten Schwer-punkt des Haushaltes sagen: Wir streben eine stärkereNeuorientierung der Wissenschaftspolitik des Bundesan, weg von kurzatmigen Strohfeuerprogrammen hin zulängeren Linien mit dem Ziel einer Grundfinanzierung.Deshalb ist es richtig, Frau Ministerin, dass wir uns nachintensiven Auseinandersetzungen darauf verständigt ha-ben, dass wir das Kooperationsverbot, zumindest für denBereich der Hochschulen in Deutschland, brechen. Ichbleibe dabei: Langfristig muss das gesamte Koopera-tionsverbot fallen. Ich glaube, das ist richtig.
Ich nehme zur Kenntnis, dass das in der jetzigen Si-tuation ob der Mehrheitsverhältnisse nicht vollständigmöglich ist. Dass wir aber zumindest einen Schritt vo-rangehen, indem wir den in Verfassungsrecht gegosse-nen Irrtum der letzten Föderalismuskommission korri-gieren und mit einer Änderung des Artikels 91 b desGrundgesetzes dafür sorgen, dass Kooperationen im Be-reich der Hochschulen möglich sind, ist die gute Nach-richt.Zur Beruhigung kann ich sagen – Frau Deligöz, wennSie zuhören wollen; Sie haben die Frage gestellt, wanndas kommt und wie das aussehen wird –: Wir haben unsgestern auf Bundesebene auf einen Formulierungsvor-schlag für die Grundgesetzänderung verständigt. Es wirdnoch eine Ressortabstimmung geben; das ist ganz klar.Weil das eine Verfassungsänderung ist, muss man sorg-fältig vorgehen. Es wird auch mit den Ländern gespro-chen werden. Meine Bitte ist: Nutzen Sie die Möglich-keiten, die Sie haben, und helfen Sie mit, dass dasKooperationsverbot im Bereich der Hochschulen fällt.Überfrachten Sie diese Debatte nicht mit anderen Punk-ten; denn wir müssen schleunigst für bessere Perspekti-ven an den Hochschulen in Deutschland sorgen. In die-sem Bereich gibt es verdammt viel zu tun.Wir werden die Pakte fortsetzen – das ist gar keineFrage –, aber wir müssen auch neue Instrumente schaf-fen, beispielsweise in Bezug auf den wissenschaftlichenNachwuchs. Diesbezüglich können wir auch ohneGrundgesetzänderung einiges tun; das werden wir übri-gens auch tun. Ich nenne das Wissenschaftszeitvertrags-gesetz, das wir ändern werden, um den Missbrauch vonBefristungen in diesem Bereich zurückzudrängen undklare Perspektiven und Karrierewege zu eröffnen.Ich glaube, wir müssen neue Formen der Kooperationzwischen Bund und Ländern finden. Wir können dieseFormen aber nur finden, wenn wir die Verfassung an die-sem Punkt korrigieren. Im Bundestag gibt es dafür eineentsprechende Mehrheit. Wir brauchen diese Mehrheitaber auch im Bundesrat. Dort stehen Bündnis 90/DieGrünen mit in der Verantwortung. Meine herzliche Bittean Sie lautet deshalb: Wirken Sie daran mit! Das giltauch für die Linkspartei in Brandenburg.
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Hubertus Heil
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Der dritte Schwerpunkt dieses Haushalts ist die inno-vative Forschungspolitik, die wir in diesem Land betrei-ben wollen und die gesellschaftlichen Wandel und tech-nologischen Fortschritt positiv miteinander verbindet.Beides, technischer Fortschritt und gesellschaftlicherWandel, sind wichtig, um zu gestalten. Dafür brauchenwir eine ambitionierte Forschungspolitik in diesemLand. Innovation und Teilhabe sind zwei Seiten dersel-ben Medaille. Die spannende Frage ist nicht, ob wir dasGefühl haben, dass unsere Forschungslandschaft schlech-ter geworden ist. Unsere Forschungslandschaft ist nichtschlechter geworden. Wenn man im Ausland unterwegsist, stellt man fest, dass es viele gibt, die uns um unsereWissenschaftsorganisationen und unsere großen For-schungsorganisationen regelrecht beneiden.
In vielen Ländern werden sie kopiert. Im Bereich der au-ßeruniversitären Forschung sind wir exzellent aufge-stellt.Im Bereich der Hochschulen müssen wir darauf ach-ten, dass Forschung und Lehre gestärkt werden. DieHochschulen sind im Wissenschaftssystem zu stärken.Wir müssen diesbezüglich, genau wie im Bereich derBildung und der Lehre, darauf achten, dass es eine För-derung sowohl in der Breite als auch in der Spitze gibt.Wir müssen auch im Bereich der Forschung auf Spitzen-förderung setzen, dürfen die Breitenförderung aber nichtvernachlässigen. Deshalb wollen und werden wir in die-ser Koalition beispielsweise darauf achten, dass die For-schung an Fachhochschulen in Deutschland gestärktwird. Das ist in vielen Bereichen von struktureller Be-deutung.Deshalb müssen wir – Stichwort: Validierungsfor-schung – darauf achten, dass wir die richtigen Instru-menten und Ideen haben, um aus Erkenntnissen Pro-dukte, Verfahren und Dienstleistungen in diesem Landzu entwickeln.
Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass nicht nur in denBereichen der Grundlagenforschung und der anwen-dungsorientierten Forschung gut gearbeitet wird, sondernauch dafür, dass es zu Ausgründungen aus Universitäten– Stichworte: Existenzgründungen und Wachstumsfinan-zierung – kommt.
Wenn wir die Chance der Digitalisierung im interna-tionalen Wettbewerb nutzen wollen, dann brauchen wirnicht nur eine Breitbandinfrastruktur, sondern wir brau-chen als Industrienation auch die kleinen technologiege-triebenen Unternehmen, die unseren großen und mittel-ständischen Unternehmen helfen können, diesen Wegerfolgreich zu beschreiten. Diesen Weg wollen wir ge-hen, weil Innovationen uns nach vorne bringen. Wirhaben in diesem Land relativ wenige Rohstoffe und Bo-denschätze. Die Rohstoffe, die wir haben, sind in denKöpfen, manchmal auch in den Herzen. Wir wollendurch die Art und Weise, wie wir hier Politik machen– das bildet der Haushalt ab –, dazu beitragen.Frau Wanka, wir freuen uns jetzt, nachdem wir in Sa-chen Bildung und Wissenschaft keine leichte Zeit in die-ser Koalition hinter uns haben – das galt insbesonderefür den Zeitraum, als die Frage des 6-plus-3-Milliarden-Euro-Pakets noch nicht hinreichend geklärt war –, aufdie Umsetzung. Ich glaube, wir werden gemeinsam zuguten Lösungen kommen. Manchmal wird es Auseinan-dersetzungen geben, auch in dieser Koalition. Das istganz normal. Auseinandersetzungen gab es in Koalitio-nen immer.Am Ende zählt Folgendes: Wir wollen Chancen-gleichheit in diesem Land befördern, wir wollen dasWissenschaftssystem modernisieren, wir wollen die be-rufliche Erstausbildung stärken, und wir wollen Innova-tionen in Gesellschaft und Wirtschaft vorantreiben.Wenn uns das gelingt, dann wird in dieser Legislaturpe-riode die Erfolgsgeschichte im Bereich Bildung und For-schung, die Edelgard Bulmahn begonnen hat, fortge-schrieben. Darauf können wir am Ende stolz sein.Herzlichen Dank.
Jetzt hat die Bundesministerin für Bildung und For-schung, Frau Professor Dr. Wanka, das Wort.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es istschon interessant, dass in den Redebeiträgen der Opposi-tion auf das Wesentliche – nämlich was mit den vielenMilliarden gemacht wird – nicht eingegangen wurde.
Ich will noch einmal rekapitulieren: Im Dezembergab es mit dem Koalitionsvertrag das gute Signal, dassBildung und Forschung eindeutig Priorität haben. Dasbezieht sich nicht nur auf den Inhalt bzw. darauf, wasman alles machen will. Vielmehr sind von den 23 Mil-liarden Euro 9 Milliarden Euro – das ist mehr als einDrittel und mehr, als für die Verkehrsinfrastruktur undfür vieles andere vorgesehen ist – für diesen Bereich vor-gesehen.Wir haben die mittelfristige Finanzplanung. Die Mit-tel, die für den Hochschulpakt II in dieser Phase notwen-dig sind – also über 6 Milliarden Euro –, sind darinschon enthalten. Der Pakt für Forschung und Innovation,so wie er ausverhandelt war, war Bestandteil des Finanz-plans. Alles, was wir für die Exzellenzinitiative in dieserLegislatur benötigen, stand ebenfalls schon im Plan. Zuall dem kam dieser Betrag in Milliardenhöhe hinzu.Von diesen 9 Milliarden Euro entfallen 6 MilliardenEuro auf die Entlastung der Länder, damit sie die Aufga-ben, für die sie originär zuständig sind, in diesem Be-
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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reich erfüllen können. Über die Frage, wie man dasmacht, musste diskutiert werden. Die Vorstellung derLänder – egal welcher Couleur – war klar: Den Minister-präsidenten ging es als Allererstes um Umsatzsteuer-punkte, um nichts anderes. Das war sozusagen die Aus-gangsposition.Was haben wir erreicht, und was ist in Bezug aufdiese 9 Milliarden Euro der Stand? Frau Deligöz, Siewissen doch genau, dass die Situation jetzt nicht mehrunklar ist, wie es noch – Herr Heil hat darauf hingewie-sen – während der ersten Haushaltsverhandlungen derFall war. Damals war noch nichts entschieden. Im De-zember waren von den 9 Milliarden Euro 1,5 MilliardenEuro für Forschung vorgesehen. Jetzt sind es 3 Milliar-den Euro.
Das heißt, dass wir das 3-Prozent-Ziel von der öffentli-chen Seite her schaffen können.Herr Claus, Sie erwähnten den Begriff „Bilanz“. Wirhaben eine herausragende Bilanz vorzuweisen; denn imBereich Forschung und Entwicklung sind wir eine Spit-zennation geworden. Unser Wohlstand hat da seine Wur-zeln. Unsere Stellung als Spitzennation ist jetzt auch zu-künftig gesichert.Von den 6 Milliarden Euro zur Entlastung der Länderentfallen 5 Milliarden Euro auf den Bereich Schulen undHochschulen.
– Nein, mit Zweckbindung. Lesen bildet! – Mit diesen5 Milliarden Euro wird zum einen der Hochschulpakt IIIfinanziert, der ab 2016 startet. Er konnte noch nicht inder mittelfristigen Finanzplanung enthalten sein, weilüber ihn erst noch verhandelt wird. Es wurde nach demStand gefragt. Frau Deligöz, ich habe im Ausschuss ge-sagt, dass die Verhandlungen laufen. Ich glaube, vorges-tern fand wieder eine Verhandlungsrunde statt. Wirwollen im Oktober mit dem Pakt für Forschung undInnovation sowie mit dem Hochschulpakt III in dieGWK gehen und im Dezember mit den Ministerpräsi-denten darüber reden. Es besteht also Klarheit, was diepraktische Umsetzung angeht.
Ich komme zum Hochschulpakt III. Herr Claus, Siesprachen von der DDR. Da haben wir eine gemeinsame– –
– Jedenfalls haben wir da einmal gewohnt – zusammen.
– In diesem Land!
Da gibt es keine gemeinsame Erinnerung; denn wir ha-ben, glaube ich, sehr unterschiedliche Sozialisationen.Eines ist klar: In der ehemaligen DDR war es nicht so,dass man wie heutzutage vielen jungen Leuten die Mög-lichkeit des Studierens einräumte. Nein, das war ganzstark beschränkt. 10 Prozent, 12 Prozent der jungenLeute durften studieren. Bei uns ist es schon anders. Wasdas Thema „Bildungsgerechtigkeit und Chancen füralle“ angeht, wurde mit dem Hochschulpakt da schon ei-niges erreicht.Herr Heil, über biografische Dinge – auch über dieFrage, wann was stattfand – können wir gerne reden.Frau Bulmahn, ich war als damalige Landesministerin2006 an den Verhandlungen beteiligt, die in Dresden undan anderer Stelle stattfanden. Das ist aber, glaube ich,unwichtig. Wichtig ist, dass diese Aufgabe – damals hatkeiner vermutet, dass wir es hinbekommen – gelöstwurde.Der Hochschulpakt III ist gesichert. Im Koalitions-vertrag stand – weil dieser Punkt ein Riesenproblem ge-worden war –: Wir wollen die Grundfinanzierung derHochschulen unterstützen bzw. in die Grundfinanzie-rung einsteigen. – Bildung fällt unter die Kulturhoheitder Länder. Sie sind also für die Grundfinanzierung derHochschulen zuständig. Das funktionierte nicht so gut inden letzten Jahren. Oft wurden Tarifaufwüchse nicht ge-zahlt, oder es gab zu geringe Steigerungen. In manchenLändern funktionierte es zwar sehr gut. Insgesamt abergab es Verwerfungen. Im außeruniversitären Bereich sahes hingegen gut aus. Deswegen wollten wir den Einstiegin die Grundfinanzierung der Länder.Darauf folgt nun die Entscheidung, die jetzt in derDiskussion ist: Ab 1. Januar 2015 trägt der Bund dieBAföG-Kosten zu 100 Prozent. Das heißt, ab 1. Januar2015 fließen rund 1,2 Milliarden Euro an die Länder,und das nicht nur nächstes und übernächstes Jahr undnicht nur in dieser Legislaturperiode, in der dadurch ins-gesamt 3,5 Milliarden Euro zusammenkommen, sondernauch darüber hinaus, für immer. Das heißt, allein in dernächsten Legislaturperiode sind den Ländern schon ein-mal mehr als 4,7 Milliarden Euro als Entlastung sicher.Wir haben vereinbart, dass die Länder sich dazu ver-pflichten, dieses Geld für Bildung auszugeben, fürHochschulen und Schulen. Auch eine vierte Kitakraftwäre kein Problem. Wenn eine Landesregierung das ver-spricht, muss sie das allerdings auch entsprechend finan-zieren, und sie darf nicht den Hochschulen die Mittelvorenthalten.
Ich kann mir schon vorstellen, dass sich die Länderjetzt fragen: Was kann man mit diesem Geld machen?Man kann – das war ein Problem, das uns alle beschäf-tigt hat – unbefristete Stellen für Nachwuchswissen-schaftler einrichten. Man kann, wenn man es will, Schul-sozialarbeit davon bezahlen, und zwar dauerhaft. Mankann sich auch überlegen, wie man die Ganztagsschuleninhaltlich und kulturell organisiert, man kann dafür Stel-len schaffen. Diese Freiheit haben die Länder.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3871
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Ich bin ein überzeugter Föderalist, auch weil ich – dashabe ich nicht vergessen – einmal Landesministerin war.Ich glaube, dass man vor Ort, in den Ländern, ganz un-terschiedliche Situationen hat. Wie man die Mittel zwi-schen Hochschulen und Schulen aufteilt – ob man nunsagt, wie in Sachsen-Anhalt, Hälfte/Hälfte, oder, wie inSachsen, zwei Drittel/ein Drittel oder anders –, das bleibtden Ländern überlassen. Ob wir das von Berlin aus sooberschlau alles besser wissen können, das weiß ichnicht.Natürlich muss man schauen: Wird das auch wirklichrealisiert? Ich habe allerdings die Illusion verloren, FrauBulmahn, dass man auf den Cent genau kontrollierenkann, was mit dem Bundesgeld passiert. Das ist nichtmöglich. Da ist auch ein Stück Vertrauen nötig. Ichglaube, Herr Scholz hat in der Diskussion darauf hinge-wiesen, dass alle Länder Geld für diesen Bereich brau-chen. Warum sollen sie es jetzt dafür nicht zusätzlicheinsetzen?Vor der Wahl hat sich die CDU/CSU für eine Grund-gesetzänderung ausgesprochen. Im Koalitionsvertragvon Ende November/Anfang Dezember war dann keineGrundgesetzänderung vorgesehen. Die Wissenschafts-szene war enttäuscht, sie hatte immer gehofft, dass dieseGrundgesetzänderung nach der Wahl doch noch kommt.Doch dann stand davon nichts im Koalitionsvertrag, weilwir uns an der Stelle nicht verständigen konnten. Jetzthaben wir erreicht, dass Artikel 91 b Grundgesetz fürden Wissenschaftsbereich geändert wird. Das ist großar-tig.
Das wird auf Dauer wirken.Lieber Herr Heil, jetzt muss ich Sie als Koalitions-partner korrigieren – damit sich kein falscher Eindruckfestsetzt –: Mit dem, was wir jetzt machen, nehmen wirkeine Korrektur vor an dem, was wir 2006 verabschiedethaben. Die Grundgesetzlage war vorher so, dass Koope-ration nur im außeruniversitären Wissenschaftsbereichvorgesehen war.
– Schauen Sie doch im Text nach! – 2006 ist eingefügtworden, dass Bund und Länder auch im Bereich derHochschulen kooperieren können. Das war vorher garnicht vorgesehen. Es gibt jetzt so viel Kooperation wienoch nie, Milliardensummen sind neu im System. Aber– das ist entscheidend – es gibt bisher keine unbefristeteund keine institutionelle Kooperation. Das wollen wirjetzt ändern.
Wie gesagt: Wir können überhaupt erst seit 2006 koope-rieren.Meine Damen und Herren, Frau Deligöz, Sie müssenmich nicht auffordern, da etwas zu tun – wir haben da et-was getan, wir haben nur nicht über jeden WasserstandZwischenbericht erstattet; das wäre ein bisschen kompli-ziert gewesen. Das Ergebnis, das wir jetzt erzielt haben,ist viel mehr als das, was wir im Dezember hatten, vorallen Dingen unbefristet. Darauf warten die Hochschu-len und zum Teil auch die Schulen: unbefristete Stellen.Diese wird es jetzt geben.Da einige das kleinreden werden und weiter von ma-roden Schulen und anderem sprechen werden, will ichdazu nur eine Zahl nennen: Für alle Hochschulen derBundesrepublik Deutschland geben die BundesländerJahr für Jahr in Summe rund 20 Milliarden Euro aus. Dalegt der Bund jetzt jährlich 1,2 Milliarden Euro drauf.
Das sind 6 Prozent Steigerung ad hoc, auf Dauer. Das isteine großartige Leistung, die uns auch richtig etwas kos-tet. Das ist kein kleines Paket, das ist ein entscheidenderAufwuchs. Ich finde es schade, dass die Opposition keinWort darüber verliert, sondern nur über kleinere Sachenspricht.
Meine Damen und Herren, es geht nicht nur darum,wie viel Geld man zur Verfügung hat. Ich spreche ja im-mer ein bisschen schnell; deswegen sage ich noch ein-mal ganz langsam: Man kann sich die Haushaltsvorlage,die in die Diskussion eingebracht wurde, anschauen;man kann sie in der Druckfassung nachlesen. In dieserHaushaltsvorlage stehen die Summen für den Einzel-plan, für den ich verantwortlich bin. Aus diesem Einzel-plan wurde kein einziger Euro weggenommen – keineinziger –, aber es sind 85 Millionen Euro dazugekom-men. Es gibt in meinem Einzelplan keine Kürzung. Auchwenn Ihnen das rhetorisch gefällt: Es ist nicht so. Mitdem Geld, über das der Finanzminister verfügt, werdenwir ab Januar nächsten Jahres die Ausgaben für dasBAföG übernehmen. Das wird, wenn die entsprechendeGesetze verabschiedet sind, definitiv geschehen.Meine Damen und Herren, es geht nicht immer nurum Geld, sondern es geht auch darum, was man mit demGeld macht. Was die Forschung angeht, ist die Hightech-Strategie in diesem ersten halben Jahr ein wichtigesThema. Wir als Bundesregierung werden die Weiterent-wicklung der Hightech-Strategie in Bälde im Kabinettkommunizieren und sie dann auch allen Beteiligten vor-stellen.Wir alle wissen, dass wir im Hochschulbereich ganzviel getan und Milliarden Euro investiert haben. Jetztmüssen wir gut aufpassen, um zu verhindern, dass imBereich der dualen Ausbildung ein Ungleichgewicht ent-steht, das sich zum Teil schon andeutet. Deswegen brin-gen wir die Initiative „Chance Beruf“ auf den Weg. Jetztist nicht die Zeit, sie inhaltlich vorzustellen. Ich lade Sieganz herzlich für nächsten Dienstag ein, wenn wir diesesProgramm verkünden. Dabei geht es auch darum, Ange-bote für alle Bundesländer zu machen. Aus den BAföG-Mitteln könnten die Länder, wenn sie wollten, schonjetzt Geld für die berufliche Bildung in der Schule undfür individuelle Beratung bereitstellen.
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3872 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Das, was Sie, Herr Claus, zur Bilanz gesagt haben,empfand ich als störend. Ich meine, den Stand, den wirheute in der Welt haben, hatten wir vor 10 oder 13 Jah-ren nicht. Unsere hohe Wettbewerbsfähigkeit hängt ganzentscheidend mit diesem Etat zusammen. Dass wir in ei-ner guten Tradition stehen – die erste Grundgesetzände-rung fand 2006 statt, die nächste nehmen wir in diesemJahr vor –, auch was die Prioritätensetzung anbetrifft, istganz entscheidend. Wir wollen international wettbe-werbsfähig sein, und wir wollen in Deutschland nochmehr Bildungsgerechtigkeit.Danke.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Nicole Gohlke
das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Kolleginnen undKollegen! Wir nehmen zur Kenntnis: Die Große Koali-tion versucht, sich für einen Aufbruch in der Bildung zufeiern, und hat angekündigt, 6 Milliarden Euro für Bil-dung und 3 Milliarden Euro für Forschung zur Verfü-gung zu stellen.
Ob das wirklich schon ein Aufbruch ist, da kann man si-cherlich geteilter Meinung sein,
wenn man sich die krassen Mängel vor Augen führt, dieim Bildungsbereich – von der Kita über die Hochschulebis hin zur Weiterbildung – bestehen, und angesichts derviel höheren Summen, die bei Bund, Ländern und Kom-munen eigentlich nötig wären.Aber selbst dann, wenn man sich darüber freuenwollte:
In dem Haushalt, der heute vorliegt, findet sich nichtsdavon wieder. Sie können hier lediglich – das sagen Sieja selber – Ankündigungen feiern, aber eben keine realenZahlen. Es ist schon erstaunlich, wie oft, wie lange undbei wie vielen Haushaltstiteln Sie diese Ankündigungenfeiern. Man hat das Gefühl: Das Geld wird immer mehr.Ihrem Finanzminister ist aber in letzter Minute einge-fallen, dass er ja noch Haushaltslöcher stopfen muss. Siekönnen versuchen, das anders zu bezeichnen; aber genaudas ist da geschehen.
Wo holt er sich das Geld?
Das Geld holt er sich nicht etwa über die Besteuerungvon Vermögen und großen Einkommen; das wäre ja einekreative Antwort. Nein, er nimmt einfach die 500 Mil-lionen Euro aus dem Bildungsetat, mit denen FrauWanka in diesem Jahr zaghaft anfangen wollte, ein paarihrer Versprechen einzulösen, und man hört noch nichteinmal einen Aufschrei aus dem Bildungsministerium.
Der Kollege Rossmann hat ja kürzlich in einem Inter-view gesagt, es sei vor allem als ein starkes symboli-sches Zeichen zu verstehen, dass diese 500 MillionenEuro für das laufende Haushaltsjahr verbucht wurden;Frau Wanka nannte das gerade ein „Signal“. Abgesehendavon, dass Symbolik und Signale allein eben nicht aus-reichen, um die Bildungsmisere in der Republik zu behe-ben, frage ich mich schon: Welches Symbol ist das denndann, wenn Union und SPD den Mittelaufwuchs beinächster Gelegenheit zurücknehmen und das Geld ge-wissermaßen für die Haushaltssanierung verwenden?Zwischen den großen Worten von der Bildungsrepublikund dem Haushalt der Großen Koalition klafft auf jedenFall mehr als nur eine Lücke.
Reine Symbolpolitik ist leider auch die BAföG-Poli-tik der Großen Koalition. Den Studierenden muss eswirklich schon zu den Ohren herauskommen: schon wie-der eine Verschleppung, diesmal bis zum Wintersemes-ter 2016/2017. Erst nach sechs Jahren, also nach zweivollen Generationen von Bachelor-Studierenden, soll eswieder eine BAföG-Erhöhung geben.
Dabei hatte die Bundesregierung doch immer behauptet,die BAföG-Erhöhung würde an den Ländern scheitern.Jetzt ist das endlich geklärt: Der Bund will die Finanzie-rung des BAföG voll übernehmen, um dann aber die Er-höhung auf die lange Bank zu schieben.Viel dürfen die Studierenden dann auch nicht erwar-ten. Die von Ihnen geplanten Gelder werden doch nie-mals für eine substanzielle Erhöhung reichen. Der DGBsagt, dass eine erst im Jahr 2016 durchgeführte BAföG-Erhöhung eigentlich 15 Prozent umfassen müsste, wollteman die Preisentwicklung der letzten Jahre ausgleichen.
Das ist eine Forderung, die aus den Reihen der Koalitionals weltfremd bezeichnet wird.Dabei kommt diese Zahl ganz einfach zustande. Dazumuss man einfach einmal die Lebenssituation der Stu-dierenden zur Grundlage nehmen. Ein Beispiel: Zurzeitsind im BAföG-Satz 224 Euro für Wohnkosten vorgese-hen. Die Realität ist aber, dass Studierende in Hamburgim Schnitt monatlich 351 Euro an Miete zahlen. In Mün-chen und in Köln sind es 358 bzw. 359 Euro. Sie zahlenalso im Schnitt über 130 Euro mehr, als im BAföG-Satzdafür vorgesehen ist.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3873
Nicole Gohlke
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Man muss ganz klar sagen: Eine BAföG-Erhöhungum mindestens 10 Prozent, die die Gewerkschaften, dieStudierendenvertretungen und eben auch die Linke for-dern, ist nicht weltfremd. Das ist angesichts dieser Situa-tion realistisch. Weltfremd ist, ehrlich gesagt, dass dieseRegierung nicht zur Kenntnis nimmt, was an den Hoch-schulen und auf dem Wohnungsmarkt los ist. Ihre Politikbesteht darin, die Wirklichkeit zu ignorieren. Hauptsa-che, Sie bekommen Ihren knappen Bildungshaushaltschöngeredet und schöngerechnet!
Realitätsfern geht es bei den Berechnungen der Gro-ßen Koalition weiter. Man kann es ja schon fast als Tra-dition bezeichnen, dass sich die Bundesregierung bei derZahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger im-mer wieder verrechnet. Sie haben gerade eben die letzteZahl nach oben korrigieren müssen, und schon wiederliegt Ihr Haushaltsansatz für die Jahre 2013 und 2014mit über 70 000 Studienanfängern unter den Berechnun-gen der Kultusministerkonferenz.Die 6 500 Euro, die Sie im Hochschulpakt pro Studi-enplatz veranschlagt haben, reichen auch nicht, um dieSituation in der Lehre zu verbessern. 2008 lagen die rea-len Kosten pro Studienplatz schon bei über 7 000 Euro,und darin sind zum Beispiel die Investitionen in Ge-bäude noch gar nicht eingerechnet.Dass Ihnen nicht an einer soliden Grundfinanzierungder Hochschulen und schon gar nicht der anderen Bil-dungseinrichtungen gelegen ist, ist mit dem Vorschlagzur Änderung des Kooperationsverbotes klar geworden.Als hätte es die Diskussion der letzten zwei Jahre garnicht gegeben, will man sich weiterhin darauf beschrän-ken, Forschung und Lehre nur dann zu fördern, wenn esvon überregionaler Bedeutung ist und alle Länder zu-stimmen, sprich: Freie Fahrt für die Eliteförderung, undbeim Rest kann sich der Bund weiterhin aus der Verant-wortung stehlen.Davon, das Kooperationsverbot für den gesamten Bil-dungsbereich aufzuheben, sodass auch die Kitas und dieschulische Bildung davon profitieren könnten, will FrauWanka offensichtlich gar nichts wissen. Man darf jetztwirklich auf die Nachbesserungen gespannt sein, die dieSPD angekündigt hat. Ich hoffe, wir werden sie zu Ge-sicht bekommen. Vielleicht sollten Sie in der Koalitionsolche wichtigen Vorhaben aber erst einmal gemeinsambesprechen, bevor die Vorschläge auf den Tisch gelegtwerden.
Kolleginnen und Kollegen, die Linke bleibt dabei:Die Grundfinanzierung der Bildung, der Wissenschaftund der Forschung muss durch ein Zusammenwirkenvon Bund und Ländern gesichert werden. Der Wettbe-werbsföderalismus gehört endlich beendet.
Die unterschiedlichen Bildungsbereiche – die frühkindli-che Bildung, die schulische Bildung und die hochschuli-sche Bildung – dürfen nicht mit dem Argument derknappen Kassen gegeneinander ausgespielt werden. AlleBereiche sind gleichermaßen wichtig.
Aus dem unsäglichen Kooperationsverbot muss end-lich ein Kooperationsgebot werden. Das wäre tatsächlichmal ein echter Aufbruch in der Bildungspolitik.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege René Röspel das
Wort.
Wertes Präsidium! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Zunächst, liebe Nicole Gohlke, herzlichenGlückwunsch nachträglich zur Geburt des Kindes. Wirwünschen der jungen Familie alles Gute.
Kritik kann ich Ihnen trotzdem nicht ersparen, auchwenn ich jetzt nicht auf alle Punkte eingehen will. DasMärchen von den 500 Millionen Euro, die angeblich imHaushalt von Herrn Bundesfinanzminister Schäuble ver-schwunden sein und nie wieder für Bildung und For-schung zur Verfügung stehen sollen, ist einfach falsch.Das ist wie mit einem Auto, das man erst vor einemHaus parkt, um dann mit ihm, wenn man es nicht fürlange Fahrten braucht, eine Runde um den Block zu dre-hen. Es ist gerade nicht zu sehen, aber es kommt wieder.
Diese 500 Millionen Euro bleiben bestehen. Sie sind Teilder 9 Milliarden Euro, die wir in dieser Regierung fürBildung und Forschung zusätzlich zur Verfügung stellen,und das ist auch gut so.
Wenn Sie in das Plenarprotokoll zur Einbringung desletzten schwarz-gelben Haushalts, des Haushalts derVorgängerregierung, gucken,
dann sehen Sie, dass ich damals in meiner Haushaltsredeangesichts der Löcher, die sich dort auftaten – man-gelnde Ausfinanzierung der Zukunft, globale Minder-ausgaben –, gesagt habe, dass man fast versucht sei, zusagen: Vielleicht muss Schwarz-Gelb doch noch ein Jahrweiterregieren, um die Suppe auszulöffeln, die es sicheingebrockt hat. Jetzt sitzen wir mit am Kabinettstisch.Ich habe extra einen Löffel mitgebracht. Falls noch Be-darf besteht, diese kalte Suppe auszulöffeln, stehen wirals SPD gern zur Verfügung.
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René Röspel
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Über zusätzliche Mittel, um das zu finanzieren, wasnoch nicht ausfinanziert ist – es gibt Risiken, was denHochschulpakt anbelangt; das ist definitiv –, werden wirreden. Das wird nicht aus den zusätzlichen 9 MilliardenEuro für Bildung und Forschung zu finanzieren sein.Aber sprechen Sie uns als SPD – das gilt für alle Fraktio-nen – gerne an. Wir sind diejenigen, die solide finanzie-ren und auch Spielräume für Forschung und Bildung er-öffnen und das in den letzten Jahren auch getan haben.Ich will das anhand eines Beispiels in Erinnerung ru-fen, weil es dazugehört, bestimmte Dinge nicht zu ver-gessen. In der letzten Großen Koalition war es die SPD,die im Jahre 2006 dazu beigetragen hat – sie konnte end-lich die Union davon überzeugen –, die Eigenheimzu-lage abzuschaffen. Das Geld, das wir in den letzten Jah-ren dafür ausgegeben haben, fällt ja nicht vom Himmel.2005 hatte Bundesfinanzminister Schäuble noch 10 Mil-liarden Euro jährlich für die Eigenheimzulage zahlenmüssen. Dieser Betrag ist dadurch abgeschmolzen, dasswir die Zulage schrittweise abgeschafft haben. Im letz-ten Jahr mussten dafür nur noch 500 Millionen Euro,eine halbe Milliarde Euro, ausgegeben werden.Den Weg des Geldes, das der Finanzminister in denletzten Jahren nicht hat auszahlen müssen, kann manzwar nicht nachverfolgen, aber in der Bilanz, so heißt es,hat dieses Geld Spielräume eröffnet, die Sie in der letz-ten Regierungskoalition richtigerweise genutzt haben,um mehr in Bildung und Forschung zu investieren. Dasist gut so. – Sagen Sie uns also Bescheid, wenn Sie je-manden brauchen, um die Suppe auszulöffeln: Die SPDsteht zur Verfügung. Wir haben die entsprechenden Kon-zepte und wollen hier auch weiterhin gestalten.
Wir sitzen jetzt mit am Tisch der Regierung. Ich binsehr froh, dass wir in den Koalitionsverhandlungen6 Milliarden Euro plus 3 Milliarden Euro für den Be-reich Bildung und Forschung ausverhandelt haben. Die-ses Geld steht nicht nur für Maßnahmen des Bundes zurVerfügung, sondern ein Großteil davon fließt an die Län-der, weil wir die Länder bei den Aufgaben Bildung undForschung, etwa beim Erhalt von Kindertagesstätten,entlasten wollen.Das bedeutet – ich habe das einmal für unser Bundes-land, für Nordrhein-Westfalen, ausrechnen lassen –, dassdadurch, dass der Bund im nächsten Jahr den BAföG-Anteil komplett übernehmen wird – Frau MinisterinWanka und Hubertus Heil haben das eben schon gesagt –,den Ländern jedes Jahr 1,17 Milliarden Euro zusätzlichzur Verfügung stehen. Für Nordrhein-Westfalen heißtdas, dass es jedes Jahr über 280 Millionen Euro mehrverfügen kann. Das ist für dieses Land wie für alle ande-ren Bundesländer eine große Erleichterung, weil sie dieHauptlast bzw. die Hauptfreude an der Bildungsfinanzie-rung tragen. Wenn man aber bedenkt, dass Nordrhein-Westfalen zum Beispiel in den nächsten fünf Jahren al-lein 175 Millionen Euro für Inklusion aufwenden wird,dann sieht man, dass das Geld insgesamt schon relativknapp ist und es mehr werden könnte.Wichtig ist deswegen der zweite Schritt, den wir auchgegangen sind, nämlich eine Grundgesetzänderung vor-zuschlagen, sodass eine veränderte Grundfinanzierungder Hochschulen erlaubt wäre. Dabei ist ein wesentlicherPunkt zu beachten: Die unterschiedlichen Verantwortun-gen, die unterschiedlichen Lasten, die die einzelnen Län-der tragen, müssen berücksichtigt werden. Ich will dasan einem Beispiel klarmachen; denn nicht alle Länderverhalten sich gleich.Schauen wir uns einmal die Zahl der Studierendenpro Einwohner in einem Bundesland an. Dabei stelltman fest, dass pro 100 Einwohner in Nordrhein-Westfa-len 3,6 Menschen studieren, während – ich habe das ein-mal wahllos herausgegriffen – in Bayern oder Sachsen,Herr Kretschmer, jeweils 2,7 Menschen studieren. EinBlick auf die Abiturientenzahlen zeigt ein ähnliches Ver-hältnis.Nun kann man nicht sagen, dass die Menschen inBayern oder Sachsen dümmer wären.
– Nein, das sage ich ausdrücklich nicht. – Aber festzu-stellen ist, dass in Bayern weniger Menschen Abitur ma-chen und dass in Nordrhein-Westfalen mehr Menschenstudieren. Das ist erst einmal ein Fakt.Diese besondere Anstrengung der Länder muss manberücksichtigen und sagen: Die Länder machen nicht al-les gleich; diejenigen, die sich besonders anstrengen, be-kommen einen besonderen Zuschlag. – Erst dann wirddie Sache gerecht. Das müssen wir auch bei der Grund-finanzierung der Hochschulen hinbekommen.Wir glauben, dass das nur der erste Schritt ist. Wenneine Große Koalition die Möglichkeit hat, Großes zu tun,dann sollte sie das auch umsetzen. Im Bereich der Bil-dung müsste die Möglichkeit ausgeweitet werden, dassder Bund Kommunen und Ländern Geld zur Verfügungstellt.Frau Gohlke weiß sicherlich: Sie bekommt jetzt Kin-dergeld. Sie könnte auch Elterngeld beantragen. DasKindergeld ist eine Bundesleistung. Die zweite Bundes-leistung ist übrigens der Kinderfreibetrag. Je mehr einMensch verdient, desto lukrativer wird der Freibetrag.Das müssten wir eigentlich abschaffen. Das werden wirin den nächsten Koalitionsverhandlungen auch festle-gen. Es kann nicht sein, dass jemand, der viel Geld ver-dient, über Kinderfreibeträge für sein Kind mehr be-kommt als andere.
Kommt ein Kind in den Kindergarten, muss man inder Regel Gebühren zahlen. Diese zieht die Kommuneein. Sie sind unterschiedlich gestaffelt. Arme Kommu-nen müssen von den Eltern mehr Geld einfordern.Reiche Kommunen können es sich leisten, ganz auf El-ternbeiträge zu verzichten. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel die wichtige Maßnahme um-gesetzt, das dritte Kindergartenjahr gänzlich freizustel-
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René Röspel
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len, und Rheinland-Pfalz hat Kindergartengebühren ganzabgeschafft.Kommt ein Kind in die Schule, wird der Lehrer vomLand bezahlt, das Schulgebäude und der Hausmeistervon der Stadt. Wenn eine Kommune arm ist, sehen dieSchulen schlechter aus; wenn eine Kommune reich ist,sehen die Schulen besser aus. Insgesamt bedeutet das:Eigentlich muss der Bund mehr Verantwortung tragenkönnen, um im Bereich Bildung tätig zu werden.
Man kann das weiter ausdifferenzieren: Die Hoch-schulen werden von den Ländern getragen. Macht einKind eine Berufsausbildung, ist es eine Mischung ausBundes- und Landeszuständigkeit. Das kann es nichtsein. Wir wollen, dass der Bund im Bildungsbereich er-weiterte Möglichkeiten der Finanzierung hat. Das isteine Frage der Gerechtigkeit. Wir werden das weiterver-folgen.
Was den letzten Bereich, die Forschung, angeht, binich sehr zufrieden. Wir werden 3 Milliarden Euro mehrfür Forschung zur Verfügung stellen. Was uns in denletzten Jahren vorangebracht hat, ist der Pakt für For-schung und Innovation – die Frau Präsidentin ist die Ur-heberin dieses Paktes –, durch den sich seit 2005 allewissenschaftlichen Organisationen in Deutschland da-rauf verlassen können, jedes Jahr mehr Geld zu bekom-men. Das ist gut so. Es hat uns als Wissenschafts- undForschungsstandort weitergebracht. In einem nächstenSchritt haben wir die Verantwortung, die Beschäftigtenin solchen Forschungseinrichtungen und Hochschulenbesserzustellen. Das ist uns ein wichtiges Anliegen.Wir werden auch auf die großen Fragen der Zukunfteine Antwort finden müssen. Angesichts der Tatsache,wie unfriedlich diese Welt ist, ist es beispielsweise gut,dass wir 1 Million Euro für Friedens- und Konfliktfor-schung zur Verfügung stellen; das könnte aber nochmehr werden. Im Hinblick auf die Frage, wie Menschenkünftig arbeiten wollen, ist es gut, dass wir uns stärkermit dem Bereich Arbeitsforschung auseinandersetzen.Abschließend darf ich Ernst Ulrich von Weizsäckernachträglich zu seinem gestrigen 75. Geburtstag herzlichgratulieren. Er hat gestern ein Symposium zum ThemaNachhaltigkeit durchgeführt, an dem viele internationaleExperten teilgenommen haben. Ich freue mich, dassauch das Theodor-Heuss-Gymnasium in Hagen mit einerSchulklasse vertreten war.Ein Ergebnis war: Die zentrale Frage im Zusammen-hang mit der Generationengerechtigkeit ist nicht derSchuldenberg, sondern die Frage, wie wir unseren Plane-ten künftigen Generationen hinterlassen und ob diese dieMöglichkeit haben, auf ihm zu leben, wenn wir ihn aus-plündern und Energie verbrauchen. Deswegen müssenund werden wir mehr für Energie- und Klimaforschungtun. Das ist die Verantwortung dieser und künftiger Re-gierungen, und der werden wir auch nachkommen.Vielen Dank.
Als nächster Redner hat Özcan Mutlu das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen undKollegen! Als ich vor über 20 Jahren begann, mich bil-dungspolitisch zu engagieren, ging es mir vor allem umeines: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit inder Bildung. Gute Bildung ist das Fundament der Demo-kratie, und sie hält unsere Gesellschaft zusammen.Aber sehr bald zeigten uns viele Studien wie IGLUund PISA, wie groß der Handlungsbedarf in diesem Be-reich in der Bundesrepublik Deutschland war, ist und– das kann ich nach der heutigen Debatte sagen – wahr-scheinlich weiterhin bleiben wird. All diese Studien ha-ben uns regelmäßig die erheblichen Defizite hinsichtlichder Leistungsfähigkeit und der Gerechtigkeit unseresBildungssystems attestiert.Auch PISA 2012 und der erst kürzlich veröffentlichtenationale Bildungsbericht zeigen: Von einer umfassen-den Chancen- und Teilhabegerechtigkeit für alle Kinderund Jugendlichen in unserem Land kann keine Redesein, liebe SPD,
und das in einem Land, dessen Bundeskanzlerin sichgerne mit dem Etikett „Bildungsrepublik“ schmückt, dieaber einer Regierung vorsteht, die noch immer viel zuwenig in Bildung und Wissenschaft investiert.Dass der Bildungsetat von großen Kürzungen ver-schont wurde, ist sicherlich zu begrüßen.
Aber das reicht nicht. Priorität für die Bildung sieht an-ders aus, liebe Kollegin Hübinger. Dass Ihnen nicht vielan der Zukunft unserer Jugend liegt,
sieht man auch daran, dass Sie keinen Mut haben, dasleidige Kooperationsverbot vollständig abzuschaffen,
statt es immer nur zu beklagen, liebe Kolleginnen undKollegen von der SPD. Sicherlich ist es zu begrüßen,dass Sie unser Land wenigstens von dem unsinnigen Ko-operationsverbot in der Wissenschaft erlösen.
Das ist ein längst überfälliger Schritt. Aber das kann nurein erster Schritt sein.Sie haben als GroKo 2006 dieses unsinnige Koopera-tionsverbot eingeführt. Sie sind als Große Koalition inder Pflicht – dazu haben Sie nun die Chance –, dieses
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Özcan Mutlu
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Kooperationsverbot, das nachweislich schädlich ist, ab-zuschaffen, lieber Kollege Heil.
Sie sollten nicht nur davon reden, sondern auch handeln.Das ist das Gebot der Stunde. Sie sind schließlich in derRegierungsverantwortung und dürfen nicht nur reden,sondern müssen auch liefern.
Lieber Kollege Heil, bringen Sie Ihren Koalitionspartnerauf die richtige Spur, weg vom Verbot, hin zu einem Ge-bot der Kooperation in Wissenschaft und Bildung! Denndas ist das Fundament für die spätere Karriere von Ju-gendlichen.
Wenn Sie ein Haus bauen, dann fangen Sie auch nichtmit dem Verlegen der Dachziegeln an, sondern Sie legenerst einmal das Fundament, wie der ehemalige Bundes-präsident Johannes Rau zu Recht festgestellt hat. IhrHaus „Bildungsrepublik“ ist deshalb eine Fehlkonstruk-tion. Zwar ist dieses Haus nicht vom Einsturz bedroht,aber es hat massive Baumängel. Sie brauchen daher ei-nen neuen Bauplan für das Haus der ganzheitlichen Bil-dung, einen Bauplan, der eine Qualitätsoffensive für dieKitas vorsieht, einen Bauplan, der ein neues Ganztags-schulprogramm auflegt sowie die Inklusion und dieSchulsozialarbeit endlich absichert, einen Bauplan, derden Jugendlichen einen wirklichen Übergang von derSchule in die Ausbildung ermöglicht. Das Fundamentunserer Wissensgesellschaft ist nämlich eine gute Allge-meinbildung für alle Schülerinnen und Schüler, unab-hängig von Herkunft, Hautfarbe und sozialer Lage. Siesind in der Pflicht, zu liefern, und dürfen nicht nur im-mer wieder die Willy Brandt’sche SPD zitieren.
Wer von dieser Großen Koalition große Taten erwar-tet, wird angesichts Ihres Bildungshaushalts und Ihressturen Festhaltens am Kooperationsverbot in der Bil-dung eines Besseren belehrt. Der basarreife Handel umdie Verteilung der Bildungsmittel bis zur letzten Minutehat uns deutlich gezeigt, wie wackelig Ihr Haus ist. Ausdiesem Grund werden wir, Bündnis 90/Die Grünen, Ih-rem Haushaltsentwurf nicht zustimmen. Wir können nuran Ihre Vernunft appellieren: Stimmen Sie unserem Ent-schließungsantrag zu, damit es den Kindern und Jugend-lichen in dieser Republik besser geht und es nicht nochschlimmer wird!
Als nächster Redner hat der Kollege Michael
Kretschmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kollegen von der SPD! Lieber RenéRöspel, Sie müssen mit uns keine kalte Suppe auslöffelnund auch keine bitteren Pillen schlucken. Wir nehmenSie mit und ermöglichen es Ihnen, sich an einem großenErfolgsmodell zu beteiligen. Daran können sich übrigensauch alle anderen hier im Parlament und in den Ländernbeteiligen, wenn es darum geht, Bildung und Wissen-schaft voranzubringen und unseren Beitrag für eine guteWelt zu leisten.
Dafür haben wir den Haushalt des Bundesministe-riums für Bildung und Forschung noch einmal um85 Millionen Euro verbessert. Das ist keine Selbstver-ständlichkeit. Das ist ein klares Signal, dass das Parla-ment, der Haushaltsgesetzgeber, hier einen großenSchwerpunkt sieht. Wie unsere Bundesforschungsminis-terin bereits gesagt hat, sehen die Bundesregierung unddie Koalition das genauso. In den letzten zehn Jahrenwurden die Mittel für diesen Haushalt fast verdoppelt.Sie belaufen sich nun auf über 14 Milliarden Euro, einegewaltige Zahl.
In dieser Legislaturperiode werden es insgesamt 9 Mil-liarden Euro mehr sein, die wir in diesem Bereich inves-tieren.Die Zahlen sind sicherlich beeindruckend. Aber nochbeeindruckender ist, was mit dem Geld passiert. Wirlösen damit die Zukunftsfragen dieser Zeit. Wir sorgendafür, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeitbehält; denn wir können unseren Wohlstand in Deutsch-land nur erhalten, wenn wir besser und schneller sind alsandere Regionen. Die großen Zukunftsfragen, vor denenwir in Deutschland stehen, stellen sich zum großen Teilauch weltweit und in Europa.Es stellt sich die Frage der Energie- und Wasser-versorgung. Dabei geht es zum einen darum, wie inDeutschland die Energiewende gelingen kann, ob esvielleicht alternative Systeme gibt, um Energie einzu-sparen. Das bedarf einer großen Anstrengung, und dafürleisten wir einen substanziellen Beitrag, übrigens auch inZusammenarbeit mit den anderen Ressorts.
Weltweit stellt sich zum anderen die Frage der Was-serversorgung. Der fehlende Zugang zur Wasserversor-gung ist eine große Bedrohung für den Frieden auf derWelt. Wir leisten in Deutschland mit unserem Haushaltfür Bildung und Forschung unseren Beitrag zur Lösungder globalen Probleme. Darauf können wir alle mitei-nander stolz sein.
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Michael Kretschmer
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Junge Wissenschaftler in der Bundesrepublik Deutsch-land sind begeistert, dass sie von uns die Möglichkeit be-kommen, an der Lösung dieser Probleme mitzuarbeiten.Eine weitere Herausforderung ist die Digitalisierung.Auf der einen Seite haben wir die technische Frage: Wiewirkt sich die Digitalisierung auf den Bereich der Ge-sundheit aus? Wie kann die Digitalisierung in den Berei-chen der Bildung und der inneren Sicherheit helfen? Aufder andere Seite lautet die gesellschaftliche Frage: Wasbedeutet das für unser Zusammenleben? Wie könnenwir die strukturellen Nachteile, die wir in Deutschlandhaben, weil wir nicht so schnell waren und die großenKonzerne in anderen Ländern sind, korrigieren? Wiekönnen wir Industrie 4.0 und anderes zum Erfolg brin-gen? Daran arbeiten wir.
Wir arbeiten daran, Mobilität neu zu organisieren.Hier in Deutschland arbeiten wir an intelligenten Syste-men, zum Beispiel an Fahrerassistenzsystemen. Welt-weit bemühen wir uns zudem, dass der CO2-Ausstoß re-duziert wird. Auch damit leisten wir einen Beitrag zumKlimaschutz.
Wir leisten mit unserem Haushalt in Höhe von14,4 Milliarden Euro einen Beitrag dazu, dass der demo-grafische Wandel, der sich in Deutschland vollzieht – ervollzieht sich auch in der übrigen Welt, aber unter ande-ren Vorzeichen –, ebenfalls in vernünftigen und geordne-ten Bahnen verläuft. Wir sorgen dafür, dass die Pro-bleme abgefedert werden und man vielleicht aus demdemografischen Wandel auch Chancen entwickeln kann.Wir engagieren uns in einem ganz erheblichen Maßedafür – da sind wir sehr erfolgreich –, dass wir die gro-ßen Volkskrankheiten Demenz, Alzheimer, Krebs undandere in den Griff bekommen. Das führt dazu, dassdiese Krankheiten nicht mehr Angst in der Bevölkerungerzeugen und nicht mehr als Seuchen wahrgenommenwerden.All das sind tolle Projekte, die wir mit diesem Haus-halt voranbringen. Wir tun das, wie ich finde, auf sehrinnovative Art und Weise. Es gilt, an dieser Stelle einenDank an die Führung des Hauses, aber auch an die vielenMitarbeiter des Bundesministeriums für Bildung undForschung und der Projektträger, die jeden Tag einen tol-len Job machen, auszusprechen. Herzlichen Dank dafür,meine Damen und Herren!
Innovationsförderung zu organisieren, ist nicht etwasAlltägliches, es ist kein normales Geschäft, sondern manmuss sich permanent neu erfinden, Innovationen undneue Entwicklungen aufnehmen. Das ist keine Selbst-verständlichkeit. Wir haben mit dem Agendaprozesseine neue Form, Projekte auf den Weg zu bringen, An-wender, Wissenschaftler und Politik, auch Nichtregie-rungsorganisationen, einzubeziehen. Wir werden beiProjekten wie der Zukunftsstadt oder der Forschung fürNachhaltigkeit innovative Instrumente ausprobieren. Ichglaube, dass sie auch bei dem Transfer von Wissen sehrhilfreich sein können.Das, was wir als Haushaltsgesetzgeber und was dieDeutschen erwarten, ist, dass das Wissen, das wir mitden vielen Milliarden Euro generieren, am Ende zuneuen Produkten und Dienstleistungen führt.
Wie schwierig es ist, das Wissen zur Anwendung zubringen, kann man über die letzten Jahre und Jahrzehntesehen. Es reicht nicht, in der Grundlagenforschung einErgebnis zu erzielen oder etwas zu entdecken; der An-wender, der ein konkretes Problem hat, braucht keine ab-strakte Lösung, sondern eine konkrete. Deswegen stelltsich in diesem Bereich die Frage: Wie kommen wir zurAnwendung? Das ist ein großer Schwerpunkt unsererArbeit in der nächsten Zeit. Die Hightech-Strategie, de-ren nächste Stufe wir auf den Weg bringen, wird da ei-nen Schwerpunkt haben.Durch die Grundgesetzänderung, die ansteht – sie hatin der Tat eine völlig neue, noch nie da gewesene Quali-tät –,
sorgen wir dafür, dass das Wissenschaftssystem zu-kunftsfähig wird; das haben wir schon gehört. Aber dasgeht nur dann, meine Damen und Herren, wenn sich alleAkteure, also auch die Länder, weiter in der Verantwor-tung sehen und wir das gemeinsam tun. Das ist auch un-sere Erwartung. Wir wollen auch weiterhin nicht einfachGeld an die Länder geben, sondern wollen ein gemeinsa-mes Ziel verfolgen: die Zukunftsaufgaben lösen. Deswe-gen engagieren wir uns in diesem Bereich.
Für all das, was wir vorhaben, brauchen wir klugeKöpfe. Die neue Initiative „Chance Beruf“, die in dernächsten Woche vorgestellt werden soll, ist genau derrichtige Weg, Frau Bundesministerin. Wir brauchen einebessere Berufsorientierung, und zwar in allen Schulfor-men, auch im Gymnasium.
Ich sage bewusst: Wir brauchen im Gymnasium aucheine Berufsorientierung, nicht nur eine Studienorientie-rung; denn es muss darum gehen, dass die jungen Leuteherausfinden, was aus ihnen werden soll. Wenn es einStudium ist, dann ist das gut, aber das ist nicht derSelbstzweck. Es geht darum, dass junge Leute einen Be-ruf ergreifen, der sie ausfüllt und der etwas dazu beiträgt,dass unser Land Deutschland weiter vorankommt. Da-rum muss es gehen. Deswegen: Weiter so in diesem Be-reich!
Wir haben mit dem Haushalt auch die Chance, denQualitätspakt Lehre, den wir in der vergangenen Legis-laturperiode aufgesetzt haben, jetzt starten zu können.
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3878 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Michael Kretschmer
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Das ist wichtig. Gute Lehrer sind das eigentliche Er-folgsmoment im schulischen System. Gute Lehrer sor-gen auch für gute Ergebnisse ihrer Schülerinnen undSchüler. Deswegen engagieren wir uns in diesem Be-reich.
Wir haben mit dem Hochschulpakt etwas Einzigarti-ges getan, wir haben nämlich mehreren Hunderttausendjungen Leuten mit Bundesgeld ein Studium ermöglicht.Das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir haben diesenBetrag immer wieder aufgestockt, je nachdem, wie dieSituation war. Das ist Ergebnis unserer Politik, auf daswir stolz sein können. Ich denke, das sollte man an die-ser Stelle sagen.
All das ist auf einem soliden Haushalt gebaut. Auchdarauf muss man stolz sein und das an dieser Stelle ein-mal sagen. Alle Länder rings um uns herum kürzen ihreAusgaben vor allen Dingen im Bereich Bildung und For-schung. Wir legen immer wieder etwas drauf. Das kön-nen wir nur, weil wir einen soliden Haushalt haben. Ichfinde, man muss allen in Bezug auf Forschung und Ent-wicklung immer wieder sagen, auch manchen in denBundesländern: Zukunftsausgaben auf Kredit, das istnicht das Richtige. Es muss beides zusammengehen: einsolider Haushalt und Zukunftsausgaben. Genau das tunwir in dieser Koalition.
Danke, Herr Kollege Kretschmer. – Ihnen allen von
meiner Seite einen schönen guten Tag. Der nächste Red-
ner in dieser Debatte ist Dr. Ernst Dieter Rossmann für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich komme ohne Löffel, nur mit ein paar Gedanken. Dererste Gedanke knüpft an das an, womit KollegeKretschmer eben endete. Eigentlich hatte die Debatte,die wir heute zum Einzelplan 30 führen, ihren Vorlauf inder gestrigen großen Aussprache durch die Bundeskanz-lerin und die gestrigen Redner. Der Vizekanzler undWirtschaftsminister hat das heute fortgesetzt. Wir wollenerreichen, dass 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürForschung ausgegeben werden. Wir dürfen nicht verges-sen, dass in Griechenland aktuell nur 0,6 Prozent fürForschung eingesetzt werden können. Mit Blick auf einegemeinsame Initiative für Europa bedarf es Gedankendazu, was wir nicht nur als Vorbild vermitteln können,sondern wie wir Ländern von Griechenland über Italien,Spanien, Portugal und andere ermöglichen können, nichtnur zu sparen, sondern auch nachhaltig etwas aufzu-bauen. Diese müssen auch in unserem Verantwortungs-bereich für Forschung und Bildung in der Solidarität mitden europäischen Ländern weiterentwickelt werden.Mein Appell, meine Bitte ist: Wir dürfen uns nicht zueng machen. Wir waren schon einmal weiter. Das gehtbis hin zu Projektbonds, die von der Bundeskanzlerin indie Diskussion gebracht worden sind und Zukunftsinves-titionen befördern sollten. Ich will das nur deshalb anspre-chen, weil der Stolz, den wir hinsichtlich der Ausgabenfür Forschung in Höhe von 3 Prozent des Bruttoinlands-produkts haben, ein Stolz sein sollte, den auch andereLänder entwickeln können und müssen.Der zweite Gedanke. Ja, wir sind mit 6 MilliardenEuro und 3 Milliarden Euro in guter Vorlage. Trotzdemmuss ich einen Fraktionsvorsitzenden aus einem Bun-desland zitieren, der dazu nüchtern am 24. Juni festge-stellt hat:Wir kommen leider nicht umhin, Teile des Geldes– aus der BAföG-Umfinanzierung –für die Konsolidierung des Landeshaushalts zu ver-wenden.
– Das war der CDU-Fraktionsvorsitzende des Saarlan-des. – Dazu sagt man nicht „Pfui“, sondern man mussanerkennen, dass es in Bundesländern Haushaltsnotla-gen gibt. Hier dürfen wir nicht zu kurz denken, sondernmüssen angesichts der Haushaltsnotlagen dafür sorgen,dass die Bildungspolitiker mit in die Finanzkommissionkommen, die über die Finanzbeziehungen zwischenBund und Ländern und zwischen den Ländern unter-einander mit Perspektive 2019 berät. Dann kann es in al-len Bundesländern in Zukunft heißen: Ja, wir haben eineklare Priorität für Bildung und Forschung und könnendas verlässlich mitfinanzieren.
– Ich schelte doch gar nicht das Saarland, FrauHübinger, ich gebe nur wieder, was der Fraktionsvorsit-zende des Saarlandes gesagt hat. – Hier sollten wir Soli-darität gegenüber den einzelnen Bundesländern entwi-ckeln.Damit komme ich zum dritten Gedanken. Der Bundkann aktuell sehr verlässlich agieren. Er muss das auchzu seinem Markenzeichen machen in Bezug auf die gro-ßen Gestaltungsblöcke, die wir zusammen mit den Län-dern finanzieren oder jetzt sogar alleine schultern: dasBAföG, die Hochschulpakte, die Exzellenzinitiative, denPakt für Forschung und Innovation und auch den Quali-tätspakt Lehre, jetzt noch ergänzt um die Qualitätsinitia-tive Lehrerbildung.Ich will in diesem Zusammenhang etwas aufnehmen,wozu der Kollege Kretschmer bei der ersten Lesung voreinigen Wochen schon etwas gesagt hat: Beim Pakt fürForschung und Innovation sollen es 3 Prozent mehr sein,verlässlich. – Wir setzen hinzu: Verlässlichkeit heißt dannauch, sehr bald – von uns aus sofort – zu signalisieren:über fünf Jahre.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3879
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Denn mit den fünf Jahren stellt sich die Verlässlichkeitein, die die Forschungsorganisationen erwarten.Der vierte Gedanke: Ja, wir sollen dort nichts schön-reden, wo wir tatsächlich in einer gewissen Phase desÜbergangs sind, obwohl nach unserer Wahrnehmung derHaushalt 2014 schon ein guter Haushalt ist. Dennoch ister ein gewisser Haushalt des Übergangs. Der Haushalt2015 wird es auch noch sein. Am Ende wird man ja se-hen, ob sich in den Haushalten 2016 und 2017 das neueGestaltungsfeld, das eröffnet worden ist, dann tatsäch-lich auch in solchen zusätzlichen Schwerpunkten undAkzentuierungen, wie Sie, Herr Kretschmer, sie eben an-gesprochen haben, wiederfindet: in einer erweitertenWissenschaftsarchitektur, in einer noch stärker auf Welt-verantwortung ausgerichteten Programmstrukturierung.Man wird sehen, ob auch ein paar der Akzente aufge-nommen werden, die wir jetzt schon mit den bescheide-nen Mitteln, Frau Hübinger, von 75 Millionen Euro, diewir als selbstbewusste Parlamentarier umgeschichtet ha-ben, und 85 Millionen Euro, die Sie als selbstbewussteHaushälter dazu erkämpft haben, setzen.Für uns ist es wichtig, dass wir, um es jetzt im Kon-trast zu sagen, bei der Unterstützung für alle Leistungs-komponenten die Grundbildung nicht vergessen und dieBalance zwischen Leistung und Grundbildung – Alpha-betisierung – halten.Für uns ist es wichtig, dass wir dort, wo wir selbstver-ständlich sagen, dass jeder junge Mensch eine gute be-rufliche Erstausbildung bekommen soll, die Balance hal-ten und dass es eine zweite und dritte Chance gebenmuss. Deshalb: nicht nur Berufsorientierung, sondernauch Ausbildungsassistenz.Für uns ist es wichtig, dass wir dort, wo wir sagen,dass wir die MINT-Fächer stärken müssen, weil sie inno-vationsträchtig sind, nicht vergessen, dass in Sachen IT-Innovation die Ingenieurleistung das eine ist und die Ar-beitsplätze das andere sind. Deshalb muss die Dienstleis-tungsforschung zur Arbeitsforschung hinzukommen.
Herr Kollege.
Um noch einen letzten Gedanken zu nennen: Für uns
ist es auch wichtig, dass wir die kleinen Akzente zusam-
men weitertragen. Das mit der Friedensforschung ist ein
ganz kleiner Betrag. Es zeigt trotzdem, dass diese Koali-
tion voneinander und miteinander lernen kann. Deshalb
freuen wir uns auf diesen Haushalt und auf eine gute Le-
gislaturperiode. All die Kritiker werden sich in 2016 und
2017 an das erinnern, was wir jetzt gesagt haben. Dort
wird es einen signifikanten neuen Aufbruch – haushalte-
risch auch dokumentiert – geben.
Herr Kollege.
Er zeigt: Bildung und Forschung veranlassen immer
wieder zu neuem Aufbruch in Deutschland.
Danke.
Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der De-
batte: Katrin Albsteiger für die CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Endlich Schluss mit Schul-denmacherei! Unter diesem Motto steht der eingebrachteHaushalt im Haushaltsjahr 2014. Der Haushalt 2014 iststrukturell ausgeglichen. Der Bund wird ab dem Jahr2015 keine neuen Schulden mehr aufnehmen.
Genau das haben wir in den vergangenen Tagen beidieser Haushaltsdebatte schon des Öfteren gehört, aberes ist eine so große Zäsur, dass ich sagen muss: Mankann es nicht oft genug sagen, und es ist auch wirklichschön, es immer wieder zu hören. Mit diesem Haushaltendet nach Jahrzehnten endlich die fatale Kultur der Ver-schuldung, die immer, aber auch wirklich immer, zulas-ten der jungen Generation geht.
Damit geht der Bund – aufpassen! – jetzt den bayeri-schen Weg, was mich als CSU-Abgeordnete wirklichsehr stolz macht.
Das ist ein historischer Erfolg dieser Großen Koalitionvon CDU, CSU und SPD.
Wie sich die Zeiten doch ändern! Es gab schließlichauch Jahre – vor einigen Jahren war das noch der Fall –,in denen der Bildungs- und Forschungsetat, sagen wir,eher etwas stiefmütterlich behandelt wurde.
Inzwischen ist es aber so, dass sich dieser Umstandglücklicherweise geändert hat. Somit sind wir nun in derLage, zum neunten Mal in Folge einen historischenHöchststand dieses Etats zu präsentieren, nämlich erst-mals von 14 Milliarden Euro. Das ist schon etwas.Seit 2005, als Annette Schavan Bildungsministerinin unserem Land wurde – ihr folgte Frau ProfessorWanka –, haben wir wirklich einiges erreicht.
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3880 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Katrin Albsteiger
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Seit 2005 konnten wir diesen Haushalt um sage undschreibe 87 Prozent steigern. Hinter diesem Riesenplussteht ein Riesenkraftakt.
Vergleicht man diesen Etat mit denen anderer Ressorts– wir haben mittlerweile viele Haushaltsdebatten gehört –,muss man schon sagen, dass der Bildungshaushalt, der in-zwischen der fünftstärkste Etat des Bundeshaushalts ist,schon ein Alleinstellungsmerkmal aufweist. Damit istdie Priorität von Bildung und Forschung erneut doku-mentiert, und das wie bereits in den Jahren zuvor.In diesem Zusammenhang möchte ich an ein Zitatvon John F. Kennedy erinnern – einige werden es ken-nen; denn es steht an einer Wand des Bildungsministeri-ums –:Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bil-dung: keine Bildung.Der Koalitionsvertrag unserer Parteien ist im Geistedieses Zitats verfasst worden. Der Haushalt 2014 ist alsetwas in die Zukunft Gerichtetes und natürlich als Ge-samtprojekt dieser Legislaturperiode anzusehen. DerHaushalt 2014 ist praktisch ein Startschuss für all das,was noch kommt.Ich gebe zu: Es gibt auch kritische Stimmen; wir ha-ben sie auch heute schon des Öfteren gehört. Sie wurdenseitens der Opposition hier laut. Man kritisierte nachdem Motto: Ihr hättet noch mehr Geld für Bildung undForschung ausgeben können. Als Bildungs- und For-schungspolitikerin glaube ich sagen zu können: Es gibtkeinen unter uns, der sagen würde: Nein danke; wir ha-ben genug; gebt das Geld doch anderen Ressorts; eswurde schon genug für Bildung und Forschung getan.Natürlich wollen wir alle unseren Weg weitergehen,und natürlich wollen wir immer mehr Geld für Bildungund Forschung. Dies muss aber haushalterisch verant-wortlich und generationengerecht geschehen. UnserenKritikern möchte ich an dieser Stelle etwas entgegenhal-ten. Wenn man beispielsweise einen Studenten fragt:„Möchtest du, dass an deiner Universität mehr Geld in-vestiert wird?“, dann sagt er selbstverständlich Ja. Wennman ihm für die Dauer seines Studiums ein zusätzlicheskostenloses Mensaessen anbietet, dann wird er wahr-scheinlich ebenfalls nicht Nein sagen.
Beispielsweise größere Hörsäle, längere Bibliotheksöff-nungszeiten – bis zu 24 Stunden, auch an Sonntagen –,mehr Exemplare der besonders begehrten Bücher in denBibliotheken, modernere CIP-Pools und Weiteres, jaklar, all das wollen Studenten haben. Es ist ja auchgrundsätzlich gut, das zu fordern.Erklärt man allerdings klugen Studenten wie diesem,wie viel das alles kostet – schließlich müssen die Verbes-serungen jedem Studenten gleichermaßen zugutekom-men –, wird er zu Recht ins Grübeln kommen. UnsereAufgabe als verantwortungsvolle Bildungspolitiker ist,dass wir uns ernsthaft Gedanken darüber machen, wieviel wir tatsächlich bezahlen können. Unser besondererDank gilt unserer Ministerin Professor Wanka, aber auchallen anderen Haushältern, die es tatsächlich geschaffthaben, die Bildungs- und Forschungspolitik erneut zustärken und dennoch einen ausgeglichenen Gesamthaus-halt zu präsentieren.
Wenn das alles so einfach wäre, wenn man es so ein-fach hätte machen können, dann wäre es sicherlichschon früher umgesetzt worden. Was hier geleistet wor-den ist, war ein Riesenkraftakt, und den muss man alssolchen zur Kenntnis nehmen.In den nächsten Jahren kommen auf Bund und Ländereine große Verantwortung und große Aufgaben zu.Selbstverständlich werden wir diese Aufgaben erfüllen.Gerade das 3-Prozent-Ziel im Forschungsbereich darfnatürlich nicht aufgegeben werden, sondern es mussganz klar auch in der Zukunft verfolgt werden. Deswe-gen werden wir in den nächsten Jahren rund 3 MilliardenEuro mehr in Forschung und Entwicklung investieren.Auch das ist eine Investition in die junge Generation.Denn nichts wirkt so stark in die Zukunft wie Forschung,Innovation und Entwicklung.Ich möchte an dieser Stelle einen letzten Gedankenanbringen. Wie wir schon gehört haben, hat der Bund dieLänder beim BAföG um 1,17 Milliarden Euro pro Jahrentlastet.
Das ist insgesamt schon ein großer Batzen. Die Länderhaben sich verpflichtet, ihre frei werdenden Mittel tat-sächlich in die Bildung zu investieren. Das ist gut so. Ichhoffe und glaube, dass sie es auch tatsächlich tun wer-den. Diesen Vertrauensvorschuss muss ich ihnen einfachgeben; sonst könnte ich nicht mehr gut schlafen.Selbstverständlich haben die Länder die Möglichkeit,weiter in den BAföG-Bereich zu investieren und sich andessen Weiterentwicklung zu beteiligen. Wir planen eineBAföG-Reform, die nicht nur auf eine Erhöhung der Be-darfssätze und der Freibeträge abzielt, die vielmehr auchstrukturelle und organisatorische Änderungen anstrebt.Es wäre doch durchaus sinnvoll, wenn sich die Länderfrühzeitig für eine bessere personelle Ausstattung derBAföG-Ämter oder für eine flächendeckende Möglich-keit der Onlineantragstellung einsetzen könnten. Daswürde die BAföG-Verfahren in unserem Land beschleu-nigen und den Studenten tatsächlich helfen.
Hier sind die Länder nicht aus der Verantwortung entlas-sen. Sie haben nach wie vor genügend Möglichkeiten,sich in dem Bereich genauso zu engagieren, wie wir estun.Meine abschließende Bewertung zum Haushalt. Sostelle ich mir das vor: keine Scheuklappen, das Gesamt-
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Katrin Albsteiger
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bild im Auge behalten. Beste Bildung und verantwor-tungsvolle Haushaltspolitik – das ist der Bildungshaus-halt 2014.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der
Debatte ist Martin Rabanus für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Am Ende einer solchen Debatte will ich für mich einfachnoch einmal ein bisschen Bilanz ziehen in der Frage,was die Punkte sind, die von besonderer Bedeutung sind.Bildung und Forschung ist einer der wesentlichenSchwerpunkte dieser Koalition.
Das ist schon gesagt worden, aber das ist auch am Endeder Debatte noch einmal festzuhalten.
Wir haben mit den 6 plus 3 Milliarden Euro von den23 Milliarden Euro, die die Koalition in den kommendenJahren insgesamt zusätzlich ausgeben wird, den wesent-lichen finanziellen Schwerpunkt im Bildungsbereich,und das ist gut so.Im Bildungsbereich ist das zum größeren Teil eineEntlastung der Länder. Es ist schon gesagt worden: Wirmüssen sehr darauf achten, sehr genau gucken, dass dieMittel auch komplett im Bildungsbereich in den Ländernankommen. Ich verstehe an der Stelle, Frau KolleginDeligöz, nicht so ganz, warum Sie eine Lanze für Hessenbrechen. Das ist ja ganz schön mit dem Fonds für dieHochschulfinanzierung, den man da machen will.
– Das ist allerdings der BAföG-Teil, nicht? – Zu den an-deren Teilen, die Entlastungswirkung entfalten, die auchTeil der Vereinbarung sind, hört man von der hessischenSeite aber überhaupt nichts. Da bin ich sehr gespannt, obdas vielleicht noch ergänzt wird.
Wichtig ist auch: Die Pakte werden fortgesetzt. Dasist ebenfalls hinreichend deutlich gemacht worden.Bildung und Forschung, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, sind – das ist in der Tat die feste Überzeugung derSPD – der Schlüssel für die Zukunft unseres Landes, so-wohl gesamtgesellschaftlich wie aber auch individuell;
da geht es um das Thema Chancengleichheit, um dasThema Bildungsgerechtigkeit. Natürlich ist es notwen-dig, einen möglichst guten Abschluss, eine möglichstgute Bildung zu haben, um sich auf dem Arbeitsmarkt sopositionieren und platzieren zu können, dass man einauch ökonomisch selbstbestimmtes Leben führen undTeilhabe für sich persönlich sicherstellen kann.Der gesamtgesellschaftliche Aspekt ist natürlich auchund gerade in Zeiten des demografischen Wandels vonbesonderer Bedeutung – ich nenne einmal das Stichwort„Fachkräftesicherung“ –, aber auch vor dem Hintergrundvon Industrie 4.0 und all dem, was das am Ende des Ta-ges für die Arbeitswelt bedeutet, was Veränderungenvon Arbeitsprozessen, Arbeitszeiten, Qualifikationsan-forderungen angeht, und was das natürlich auch für Bil-dungssysteme bedeutet.Bildung und Forschung, das ist also das zentrale Zu-kunftsfeld. Ich bin der festen Überzeugung, dass es not-wendig sein wird, alle Begabungspotenziale zu heben,übrigens unabhängig von der Frage, ob die sich nun imakademischen Bereich oder im Bereich der beruflichen,der dualen Bildung entfalten.
Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir eine echteGleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bil-dung hinbekommen. Wir brauchen, was das angeht, keinEntweder-oder – jeder Zungenschlag in dieser Richtungist falsch –; wir brauchen ein Sowohl-als-auch.Deswegen ist es auch ganz wichtig, dass die Koalitionsich darauf verständigt hat, den einen Teil, der mindes-tens in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht nichtgar so deutlich geworden ist, über die Allianz für Aus-und Weiterbildung noch einmal besonders prominent zustärken.
Hubertus Heil ist darauf vorhin schon eingegangen, aberich will das an der Stelle ausdrücklich unterstreichen:Wir brauchen diese Allianz, nicht nur gesellschaftlich.Es gilt, das auch thematisch breit aufzustellen: Berufs-orientierung an der Schule und, ja, ausdrücklich auch amGymnasium.
Berufsorientierung ist nicht nur eine Aufgabe vonHaupt-, Real- und Gesamtschulen, sondern auch und vorallen Dingen von Gymnasien. Das muss curricular breitverankert werden und darf nicht nur laufen im Sinnevon: Wir machen mal einen Ausflug zum Berufsinfor-mationszentrum, und das war’s dann.
Das ist mehr als nur eine Bitte. Es ist eine Herausforde-rung für die Länder, weil sie das in den Schulen entspre-chend umsetzen müssen.
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3882 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Martin Rabanus
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Neben der Berufsorientierung liegt mir besonders dieFrage der Aufstiegsförderung am Herzen. Sie beginntfür mich bei der großen Zahl junger Menschen unter30 Jahren, die über keinen formalen Berufsabschlussverfügen, und hört nicht beim Thema Meister-BAföG,also der Aufstiegsfortbildungsförderung, auf. Über dieseThemen müssen wir im Zusammenhang mit der be-schlossenen BAföG-Reform in den kommenden Jahrenreden.
Insgesamt, glaube ich, kann man angesichts der ver-schiedenen Aspekte, die schon genannt worden sind, undder parlamentarischen bzw. koalitionären Duftmarken,die der Haushalt 2014 trägt, sagen: Es ist ein Anfang ge-macht. Weitere Schritte stehen uns ab September in denHaushaltsberatungen für 2015 bevor. Ich glaube, dasswir die wesentlichen Linien fortsetzen werden, dass wirandere Spielräume bekommen werden.Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Imletzten halben Jahr haben viele neue Abgeordnete, zu de-nen auch ich gehöre, sich ein wenig orientiert und ihreRolle im parlamentarischen Geschäft gefunden.
Und die Redezeit eingehalten.
Das Gleiche gilt für die Koalition insgesamt auch. Ich
finde, wir haben uns im letzten halben Jahr ganz gut ge-
funden. Liebe Frau Ministerin Wanka – das ist keine
Drohung, sondern ein Versprechen –, wir werden das
auch entsprechend entfalten.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Als letzter Redner in der De-
batte hat das Wort Trankred Schipanski für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner darf ichdie Take-home Message für den Einzelplan 30 austeilen.Wir haben heute gehört: keine Kürzungen, Aufwüchseund hohe Priorität in der Bundesregierung. Wir erinnernuns an die gestrige Generaldebatte. Unsere Bundeskanz-lerin hat in ihrer Rede als Erstes den Einzelplan 30 er-wähnt mit den Messages: keine Kürzungen, Aufwüchse,BAföG-Reform, Kooperationsverbot. Das waren dieStichworte. Ich denke, das ist die richtige Priorität.
Als letzter Redner der Debatte darf ich natürlich einbisschen auf meine Vorredner reagieren. Ich fange mitdem Kollegen Claus an. Ich war ganz überrascht, Sie ha-ben gut angefangen: Wir gestalten in diesem Haushalt.Wir haben viele Mittel. Wir hätten ein hohes Maß an Ge-meinsamkeiten in diesem Bereich. – Als ich mir danndie Änderungsanträge ansah, die die Linken eingebrachthaben, dachte ich, ich bin in einem falschen Film. Siehaben geschrieben: Deutschlandstipendium, Exzellenz-initiative, Qualitätspakt Lehre, Hightech-Strategie müs-sen abgeschafft werden. Alles muss um 40 MillionenEuro gekürzt werden. Gleichzeitig haben Sie Ausgaben-vorschläge in Höhe von 5,2 Milliarden Euro gemacht.Davon waren 4,4 Milliarden Euro nicht gegenfinanziert.Lieber Herr Claus, das, was die Linken hier vortragen,ist unseriös und irreal.
Wenn Sie, Herr Kollege, von Verteilungsungerechtig-keit zwischen den Bundesländern sprechen und hier be-haupten, nach München und nach Köln/Bonn flössendurch diesen Haushalt wesentlich mehr Mittel und dieswürde noch gesteuert, dann finde ich das schon aller-hand. Wenn Sie in den Haushaltsentwurf schauen – wirhaben viele Kolleginnen und Kollegen aus den neuenBundesländern in diesem Ausschuss –, so finden Sie denTitel „Innovationsförderung in den neuen Ländern“, denwir mit fantastischen 100 Millionen Euro unterlegt ha-ben. Wir haben einen Zuwachs von 27 Millionen Europro Jahr. Es ist ein wichtiges Signal, dass wir diese Mit-tel gesamtdeutsch verteilen. Ich finde es nicht schön, beidiesem Haushalt Ost und West gegeneinander auszuspie-len.
Frau Gohlke, schön, dass Sie wieder da sind. Ich freuemich immer wieder über Ihre Reden. Es geht immerrecht zügig. Heute sprachen Sie von Symbolen und Si-gnalen. – Wir werden in diesem Hause die BAföG-Reform diskutieren. Wir werden den Ausbau der Koope-rationskultur diskutieren. Ich werde Sie mit einer Signal-fanfare wecken, und dann können Sie Ihre Argumenteentsprechend vortragen.
Das ist noch nicht Thema des Haushalts 2014.
Die Kollegen von den Grünen haben Angst, dass dieBAföG-Entlastung nicht bei den Ländern bzw. bei denHochschulen und den Schulen ankommt. Wir haben eineZusage von den Ländern – wir haben viele Juristen unteruns – und wissen: Pacta sunt servanda. Kollege Heil hatgesagt, dass wir den Ländern gegenüber ein gesundesMisstrauen haben. Daher setzen wir uns als Koalitiondafür ein, dass wir ein Monitoring institutionalisieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3883
Tankred Schipanski
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Der Haushaltsausschuss des Bundestages muss auch inden nächsten Jahren die Möglichkeit haben, in die Lan-deshaushalte zu schauen und zu prüfen, ob das Geldauch wirklich da ankommt. Der Rechnungsprüfungsaus-schuss wird, denke ich, gemeinsam mit dem BMBF prü-fen, welche Controllinginstrumente da zur Verfügungstehen.Redner der SPD und auch der Grünen haben hierheute das Thema Kooperationsverbot angesprochen, ins-besondere Kollege Heil. Schon gestern in der Generalde-batte haben wir Kollegen Oppermann dazu gehört. VonHerrn Rossmann konnten wir dazu etwas in der Zeitunglesen. Ich kann nur sagen: Das ist das falsche Wording;es geht um eine Kooperationskultur.
Angesichts der gegenwärtigen Verfassungslage
ist es schon sehr erstaunlich, wo der Bund schon heuteim Zuständigkeitsbereich der Länder investiert. Ich darfIhnen einmal die Zahlen in Erinnerung rufen: Wir stellen2,7 Milliarden Euro für die Exzellenzinitiative in denJahren 2011 bis 2017 bereit, über 7 Milliarden Euro fürdie erste Säule des Hochschulpakts in den Jahren 2011bis 2015, noch einmal 2,7 Milliarden Euro für die zweitePhase von 2016 bis 2018. Wir haben für die zweite Säuledes Hochschulpakts 1,6 Milliarden Euro bis 2015 einge-plant, Stichwort: DFG-Overhead. Wir stellen für denQualitätspakt Lehre in den Jahren 2011 bis 2020 Bun-desmittel in Höhe von insgesamt rund 2 Milliarden Eurozu Verfügung. Wir haben einen Pakt für Forschung undInnovation; das 3-Prozent-Ziel ist schon angesprochenworden. Hier kann ich nur von einer Kooperationskultursprechen.
Weil wir parteiübergreifend festgestellt haben, dasswir die Hochschulen stärken müssen, haben wir schonvor Jahren vorgeschlagen, Artikel 91 b Grundgesetz zuändern. Ich freue mich, dass es jetzt in der Großen Koali-tion gelingt, den breiten gesellschaftlichen Konsens auf-zugreifen und jeweils die Zweidrittelmehrheit im Bun-desrat und im Bundestag zu erreichen, die wir benötigen.Der Textentwurf steht. Ich freue mich sehr, dass wir dieKooperationskultur ausbauen und Artikel 91 b ändern.
Ich höre jetzt immer die Forderung nach einer Koope-ration im Schulbereich. Ich darf an dieser Stelle klarstel-len, dass die Schulen zum Kernbereich der Zuständigkeitder Länder gehören. Wir haben schon oft Defizite ange-mahnt, auch in der letzten Legislatur. Wir haben gesagt:Liebe Länder, wir übernehmen als Bund gerne die Koor-dinierung, weil wir da durchaus Defizite sehen. – DieKMK hat das regelmäßig mit herben Worten abgelehnt.Wie wollen Sie da denn bei den Kultusministern und denKollegen in den Landtagen eine Mehrheit für eine Ko-operation erreichen, die noch ein ganzes Stück über eineKoordinierung hinausgeht? – Das ist völlig realitätsfern.Unser Fraktionsvorsitzender sagt immer: Politik beginntmit dem Betrachten der Wirklichkeit. –
Wir haben da keinen breiten Konsens mit den Ländern.Daher ist unser Vorschlag zur Änderung des Arti-kels 91 b genau der richtige.
Wir haben immer gesagt – dazu haben wir die KMKmehrfach aufgefordert –: Liebe Kollegen, löst das übereinen Staatsvertrag! – Wir haben beim Rundfunkstaats-vertrag die besten Erfahrungen damit gemacht, es ver-bindlich, transparent und gut niederzuschreiben. Wirwarten nun, was die KMK hier vorlegt, was die Bundes-länder vorlegen. Am Bund liegt es nicht.
Stichwort: Grundfinanzierung der Hochschulen; Kol-lege Röspel hat es angesprochen. Auch hier können wirim Hinblick auf den Koalitionsvertrag sagen: Verspre-chen gehalten! Die Ministerin hat es gesagt: Wir habenfür die Entlastung der Länder beim BAföG gesorgt.
Sie können jetzt das Geld in die Grundfinanzierung derHochschulen stecken; das haben wir geschafft. Sehrschön!
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Wir halten Ver-sprechen. Wir setzen aber auch neue Akzente. MeineKollegin Anette Hübinger hat die Änderungsanträge an-gesprochen, die wir in das parlamentarische Verfahreneingebracht haben. Ich denke hier an DAAD, AvH – plus10 Millionen Euro –, Aufstiegsstipendien, Berufsorien-tierungsprogramme – sie wurden mehrmals angespro-chen und beklatscht –, Weiterbildung und lebenslangesLernen, IT-Sicherheitsforschung und Produktions- undDienstleistungsforschung; überall da gibt es Aufwüchse,sogar beim Thema „Forschung an Fachhochschulen“.Obgleich es hier einen Aufwuchs gibt, muss ich sagen:Wenn wir die Forschung an Hochschulen stärken, stelltdas nicht die kooperative Promotion infrage.Michael Kretschmer hat gezeigt, welche beeindru-ckenden Erfolge wir in der Gesundheitsforschung haben.Hier liegt der Schwerpunkt darauf, die Gesundheitsfor-schung auszubauen und ein Forschungsnetzwerk fürKinder- und Jugendkrankheiten zu entwickeln.
Meine Damen und Herren, wir sehen: Die Bildungs-republik Deutschland lebt, das Haus steht. Lieber HerrMutlu, Sie haben vorhin erzählt, Sie hätten nur einenBauplan. Die Architektur steht aber schon. Ich heiße Siein unserem Haus, in der Bildungsrepublik Deutschland
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3884 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Tankred Schipanski
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willkommen. Mit diesem Haushalt bringen wir Qualitätin diese Republik.Vielen Dank.
Vielen Dank für diese Fanfare, Herr Kollege. – Ichschließe damit die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-plan 30 – Bundesministerium für Bildung und For-schung – in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-plan 30 ist angenommen mit den Stimmen der Unionund der SPD bei Gegenstimmen von Linken und Bünd-nis 90/Die Grünen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte VIII a bis c sowieZusatzpunkt 1 auf:VIII a) Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzeszur Änderung des WeingesetzesDrucksache 18/1780Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaftb) Beratung des Antrags der AbgeordnetenSylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, AnnalenaBaerbock, weiterer Abgeordneter und derFraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Bad Bank für Atom – Rückstellun-gen der Atomwirtschaft in öffentlich-rechtlichem Fonds sicherstellenDrucksache 18/1465Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit Haushaltsausschussc) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-desregierungBericht der Bundesregierung nach Arti-kel 5 des Gesetzes zur Regelung von De-Mail-Diensten und zur Änderung weite-rer VorschriftenDrucksache 17/10720Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaZP 1 Beratung des Antrags des Präsidenten des Bun-desrechnungshofesRechnung des Bundesrechnungshofes für dasHaushaltsjahr 2013– Einzelplan 20 –Drucksache 18/1560Überweisungsvorschlag:HaushaltsausschussEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen andie in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zuüberweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/1465, Ta-gesordnungspunkt VIII b, soll federführend beim Aus-schuss für Wirtschaft und Energie beraten werden. SindSie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sinddie Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte IX a bis g sowieZusatzpunkt 2 auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese-hen ist.Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-titionsausschusses.Liebe Gäste auf den Tribünen, es tut mir leid, ichkann Ihnen nicht sagen, worum es da im Einzelnen geht,das würde definitiv zu lang dauern. Aber vertrauen Sieden Abgeordneten, sie wissen, worüber sie abstimmen.Tagesordnungspunkt IX a:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 60 zu PetitionenDrucksache 18/1632Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-tungen? – Damit ist die Sammelübersicht 60 angenom-men.Tagesordnungspunkt IX b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 61 zu PetitionenDrucksache 18/1633Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 61 ist angenommen mitden Stimmen der Union und der SPD bei Gegenstimmender Linksfraktion und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen.Tagesordnungspunkt IX c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 62 zu PetitionenDrucksache 18/1634
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3885
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 62 ist mit den Stimmen al-ler Fraktionen angenommen.Tagesordnungspunkt IX d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 63 zu PetitionenDrucksache 18/1635Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 63 ist angenommen: Zu-stimmung von Union, SPD und Linkspartei bei Gegen-stimmen von Bündnis 90/Die Grünen.Tagesordnungspunkt IX e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 64 zu PetitionenDrucksache 18/1636Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 64 ist angenommen: Zu-stimmung von Union und SPD, Gegenstimmen Bündnis90/Die Grünen, Enthaltung Linkspartei.Tagesordnungspunkt IX f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 65 zu PetitionenDrucksache 18/1637Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 65 ist angenommen: Zu-stimmung von Union, SPD, Bündnis 90/Die Grünen,Gegenstimmen von der Linken.Tagesordnungspunkt IX g:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 66 zu PetitionenDrucksache 18/1638Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Sammelübersicht 66 ist angenommen mitden Stimmen von Union, von SPD, dagegen gestimmthaben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke.Zusatzpunkt 2:Beratung der Zweiten Beschlussempfehlung desWahlprüfungsausschusseszu Einsprüchen gegen die Gültigkeit derWahl zum 18. Deutschen Bundestag am22. September 2013Drucksache 18/1710Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-genprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlungist mit den Stimmen aller Fraktionen angenommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.16 auf:a) Einzelplan 07Bundesministerium der Justiz und für Ver-braucherschutzDrucksachen 18/1007, 18/1023Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Tobias Lindner,Klaus-Dieter Gröhler, Dennis Rohde und Roland Claus.b) Einzelplan 19BundesverfassungsgerichtDrucksache 18/1017Berichterstattung: Abgeordnete Carsten Körber,Dennis Rohde, Dr. Dietmar Bartsch und ManuelSarrazin.Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag derFraktion Die Linke vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre undsehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort anHalina Wawzyniak für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Ich will die Debatte nutzen, um über einaktuelles, ein angekündigtes und ein unterlassenes Vor-haben aus dem Bereich des Ministeriums der Justiz undfür Verbraucherschutz zu reden.Die Mietpreisbremse ist in aller Munde. Wir Linkensagen: „Sie ist ein Bremschen“, weil sie auf fünf Jahrebefristet ist und die Länder zuvor Gebiete mit einem an-gespannten Wohnungsmarkt festlegen müssen. DieGrenze, nach der der Mietpreis bei Wiedervermietung10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegendarf, finden wir falsch. Wir müssen an dieser Stelle abereinsehen, dass die SPD das bereits im Wahlprogrammgefordert hat und dafür auch die eine oder andereStimme bekommen hat. Was wir nicht verstehen, ist, wa-rum die Kriterien für den Mietspiegel nicht angepasstwerden. Es bleibt dabei, dass lediglich die Mieten derletzten vier Jahre berücksichtigt werden. Die Ausnah-men von der Mietpreisbremse, zum Beispiel die Erstver-mietung, sind auch nicht nachvollziehbar.Was aus meiner Sicht völlig inakzeptabel ist, ist dieStreichung des § 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuch. DieserParagraf sieht sinngemäß vor, dass ordnungswidrig han-delt, wer vorsätzlich oder fahrlässig für die Vermietungvon Wohnräumen unangemessen hohes Entgelt verlangt.Dieser Verstoß kann nach § 5 Wirtschaftsstrafgesetzbuchmit 50 000 Euro Geldbuße bestraft werden. Das betrifftnatürlich auch Unternehmen, also Aktiengesellschaftenund GmbHs. Sie wollen mit der Mietpreisbremse den § 5Wirtschaftsstrafgesetzbuch streichen und verweisen aufdas normale Strafgesetzbuch. Das bedeutet aber, dass dieBremse am Ende sogar leerläuft; denn Unternehmensind als juristische Form kein Strafrechtssubjekt. Sie
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3886 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Halina Wawzyniak
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können nicht angeklagt und sie können nicht verurteiltwerden. Insofern müssten Sie, wenn Sie ehrlich sind, sa-gen: Wir führen zwar eine Mietpreisbremse ein, aber Siekönnen dagegen nur vorgehen, wenn Sie einen privatenVermieter haben. An die großen Konzerne kommen Siedamit nicht heran. Deswegen finde ich: Passen Sie § 5Wirtschaftsstrafgesetzbuch an die Mietpreisbremse an,und streichen Sie ihn bitte nicht.
Ein zweiter Punkt im Zusammenhang mit dem ThemaMieten: Die Bundesimmobilienanstalt ist im Moment inaller Munde. Der Kollege Luczak von der CDU hat ges-tern gefordert, dass Wohnungen nicht zum Höchstpreisverkauft werden. Die Forderung ist richtig; aber eskommt nicht darauf an, zu fordern, sondern darauf, zuhandeln. Das Höchstpreisgebot wird aber – das habenSie im Koalitionsvertrag vereinbart – nur ausgeschlossenfür Konversionsflächen. Natürlich ist es derzeit so, dassnach der Bundeshaushaltsordnung zum Höchstpreis ver-kauft werden muss. Das bedeutet aber, dass kommunaleUnternehmen und gemeinwirtschaftliche Unternehmenausgeschlossen sind. Sie können bundeseigenes Eigen-tum an Wohnungen und Grundstücken nicht kaufen, unddas, obwohl wir Artikel 14 Grundgesetz haben, der be-sagt, dass Eigentum zugleich auch dem Allgemeinwohldienen soll. Deswegen meine dringende Aufforderung:Lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir Artikel 14Grundgesetz und die Bundeshaushaltsordnung in Über-einstimmung miteinander bringen können, damit Woh-nungen und Grundstücke der Bundesimmobilienanstaltauch an kommunale und gemeinwirtschaftliche Unter-nehmen verkauft werden können, wenn sie verkauft wer-den sollen.
Ich komme zu einem angekündigten Vorhaben: Amletzten Freitag kam der Referentenentwurf zur SED-Op-ferrente auf unseren Tisch. Wir finden es ausgesprochenrichtig und gut, dass Sie den Betrag um 50 Euro erhöhenwollen, können aber nicht verstehen, warum das immernoch als soziale Ausgleichsleistung ausgestaltet ist. DieBetroffenen müssen Einkommensnachweise vorlegen.Nur wenn sie ein entsprechendes Einkommen haben,kommen sie in den Genuss der SED-Opferrente. Das istnicht akzeptabel. Wir wollen, dass alle Betroffenen ein-kommensunabhängig eine SED-Opferrente bekommen.Wir bitten Sie darum, zu prüfen, ob Sie den Anwen-dungsbereich der SED-Opferrente nicht erweitern kön-nen. Was ist mit Opfern von Versetzungsmaßnahmen?Was ist mit Jugendlichen, die 1973 bei den Weltfestspie-len nach einem völlig absurden Paragrafen wegen „aso-zialen Verhaltens“ verurteilt wurden? Bitte prüfen Sie,ob Sie den Kreis der Anspruchsberechtigten an dieserStelle nicht erweitern können.
Nun komme ich zu einem unterlassenen Vorhaben.Ich habe mittlerweile gelesen, dass Sie, Herr Minister,das Leistungsschutzrecht für Presseverlage verschärfenwollen. Ich sage Ihnen: Das ist der falsche Weg. Der ein-fachste und günstigste Weg wäre, ein Gesetz zu machen,in dem steht, dass dieses Gesetz aufgehoben ist. Es istschon ein wenig absurd, dass diejenigen, die in Suchma-schinen gelistet werden, zahlen sollen. Wenn die Such-maschine die Aufnahme verweigert, wird die Suchma-schine verklagt, weil die Verlage nicht aufgenommenwurden. Das Leistungsschutzrecht war falsch und bleibtfalsch. Deswegen sollten Sie es einfach aufheben.Wenn wir schon dabei sind: Sie haben eine indirekteVerantwortung für Verwertungsgesellschaften; denn Siehaben die Rechtsaufsicht über das Marken- und Patent-amt. Insofern ist unser Vorschlag, sich einmal an das Ur-heberwahrnehmungsgesetz heranzutrauen und für Ver-wertungsgesellschaften zum Beispiel verbindlichedemokratische Binnenstrukturen festzulegen. Es solltefestgelegt werden, dass die Tarifverträge, bevor sie imGesetzesblatt veröffentlicht werden, von den Aufsichts-behörden geprüft und genehmigt werden. Dieses Pro-blem kennen wir nicht erst seit der Debatte um dieGEMA vor einem oder vor zwei Jahren.Wir haben jetzt das Problem mit dem Tarifvertrag derVG Medien, wo es auch wieder um das Leistungsschutz-recht geht. Nach meiner ersten Durchsicht habe ich fest-gestellt, dass dieser Tarifvertrag überhaupt nicht mit demLeistungsschutzrecht – so, wie Sie es beschlossen ha-ben – in Übereinstimmung zu bringen ist. Wir finden esim Übrigen falsch, weil zum Beispiel die Frage der Gel-tungsdauer überhaupt nicht geklärt ist.Ich komme – ich will hier nicht ganz ohne Lob weg-gehen – zum letzten Punkt. Ich freue mich, dass Sie dieKommission zur Neuformulierung der Tötungsdelikteeingerichtet haben, habe aber die Bitte: Verstecken Siedas bitte nicht auf Ihrer Website. Das ist eine gute Sache.Sie können mit unserer Unterstützung rechnen. MachenSie das doch etwas prominenter.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner in der
Debatte ist Dennis Rohde für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrBundesminister Maas! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Frau Wawzyniak, ein beruhigendes Wort vor-weg: Die Mietpreisbremse wird kommen, und sie wirdauch wirken. Dafür werden wir Sozialdemokraten in Zu-kunft sorgen.
Der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz undfür Verbraucherschutz steht. Das ist ein guter Haushaltgeworden. Er legt den Grundstein für eine lebendige undaktive Rechtspolitik – eine Politik, die weitsichtig aufPrävention statt auf eine veraltete Law-and-Order-Stra-tegie setzt. Wir reden über einen Haushalt, der auch aufdem Gebiet der Verbraucherpolitik für bessere Informa-tion und größeren Schutz der Verbraucher steht, stattdiese auf immer komplizierter werdenden Märkten al-
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Dennis Rohde
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leinzulassen. Genau in diesem Lichte haben wir im par-lamentarischen Verfahren den Haushalt verändert.Der Finanzmarktwächter wird noch im Jahr 2014 miteiner Anschubfinanzierung von 2,5 Millionen Euro ein-geführt. Das wird ganz erhebliche positive Auswirkun-gen auf den Verbraucherschutz haben. Das begrüßen wirSozialdemokraten ganz ausdrücklich.
Mit dem Finanzmarktwächter wollen wir verhindern,dass Kleinanleger durch riskante Angebote ihre Erspar-nisse verlieren – so wie zum Beispiel im Fall Prokon, wonunmehr 75 000 Menschen um insgesamt 1,4 MilliardenEuro bangen. Der Finanzmarktwächter wird dabei eineSchnittstelle zwischen dem Verbraucher auf der einenSeite und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht, der BaFin, auf der anderen Seite.Das Gesamtkonzept „Finanzmarktwächter“ bedeutet:Wir werden ausgewählte Verbraucherzentralen speziali-sieren und ausrüsten. Dort werden die Beobachtungenund die Beschwerden der Verbraucher entgegengenom-men. Sie werten sie aus, schaffen ein Bild des Marktesund spüren so Gefahren auf. Die Ergebnisse gibt der Fi-nanzmarktwächter an die BaFin weiter, die dann notfallstätig werden kann, indem sie riskante oder irreführendeAngebote verbietet oder einschränkt.Wir wollen, dass unlautere Angebote schneller ent-deckt und vom Markt genommen werden, und zwar ambesten noch, bevor die ersten Menschen ihre Ersparnisseverlieren. Damit schließen wir eine Lücke im Verbrau-cherschutz auf dem Finanzmarkt. Denn um Kleinanlegerzu schützen, bedarf es einer großen Nähe zum Finanz-markt. Diese Nähe kann die BaFin als Aufsichtsbehördegar nicht leisten. Wir wollen damit genau die Menschenerreichen, die zu Verbraucherzentralen gehen, wenn siesich Sorgen machen oder sich geprellt sehen. Das sinddiejenigen, die beim Frühstück nicht die Financial Timesoder das Handelsblatt, sondern ihre lokale Tageszeitunglesen. Das sind diejenigen, für die in den letzten Jahrenviel zu wenig Politik gemacht worden ist.Ich sage ganz offen: Es war kein einfacher Weg bishierhin. Wir Sozialdemokraten haben uns schon in derletzten Legislaturperiode gemeinsam mit den Verbrau-cherzentralen für den Marktwächter starkgemacht.Schwarz-Gelb hat unseren Antrag dazu noch im Juni2013 abgelehnt. Ich freue mich daher umso mehr, dasswir ohne die FDP in diesem Parlament endlich eineMehrheit für unser Anliegen gefunden haben.
Ich finde auch, dass man sein Licht nicht unter denScheffel stellen muss, und sage ganz klar: Das ist ein Er-folg der SPD und zeigt, dass sich Beharrlichkeit aus-zahlt. Dass wir Sozialdemokraten uns hier durchgesetzthaben, bedeutet eine deutliche Verbesserung in der Auf-sicht über das für Verbraucher oft riskante und undurch-sichtige Marktgeschehen. Das ist ein großer Schritt indie richtige Richtung. Es gilt aber auch: Wir sind nochnicht fertig. Die eingestellten 2,5 Millionen Euro sindeben nur eine Anschubfinanzierung. Wir werden dahersicherstellen, dass die Finanzierung in zukünftigenHaushalten verstetigt wird.Für mehr Transparenz und Kompetenz im Verbrau-cherschutz sorgen wir auch, indem wir einen Sachver-ständigenrat für Verbraucherfragen einrichten werden.Künftig wird es ein Expertengremium geben, das diePolitik in Verbraucherfragen berät, aber auch im Sinneder Verbraucher fordern und kritisieren kann. Die dafürnötigen Planstellen haben wir im Haushalt 2014 einge-stellt. Das ist ebenso wie die Einführung des Markt-wächters ein klares Signal dafür, dass wir es mit demwirtschaftlichen Schutz der Verbraucher ernst meinen.
Darüber hinaus ist das Gros der 650 Millionen Euroim Haushalt des BMJV langfristig gebunden. Bei einemPersonalkostenanteil von 66 Prozent und vielen flexibili-sierten Mitteln sprechen wir zu großen Teilen von einemVerwaltungshaushalt, und das ist auch gut so. Denn einevernünftige finanzielle Ausstattung unserer obersten Ge-richte und unserer juristischen Einrichtungen ist dasGrundgerüst unserer Gewaltenteilung und damit unseresRechtsstaates.Unsere Justiz muss handlungsfähig sein. Dies giltauch und gerade mit Blick auf den Schrecken und dasLeid, das die Mitglieder des NSU verbreitet haben. Undja: Der Prozess schlug sich auch in den Verhandlungenum den Haushalt des BMJV nieder. Um Haft- und Ver-fahrenskosten erstatten zu können, mussten wir denHaushaltsansatz des Generalbundesanwaltes um zusätz-liche 5 Millionen Euro für die Aufklärung von rassisti-schen und menschenverachtenden Taten aufstocken.
Das Ziel unserer Gesellschaft muss es sein, durchAufklärung bzw. Prävention verbrecherische Taten garnicht erst entstehen zu lassen. Wir haben hier im Hauseund in der Gesellschaft in den letzten Monaten vermehrteine Debatte über die Strafbarkeit und den Strafrahmenvon Taten mit pädophilem Hintergrund geführt. Das isteine wichtige Diskussion.Genauso wichtig ist auch, dass wir Menschen dieChance geben, sich in eine Therapie zu begeben. Wirwollen und müssen insbesondere Männern mit pädophi-len Neigungen niedrigschwellige professionelle Hilfenanbieten, damit sie lernen, mit ihren Trieben umzugehen,nicht straffällig werden und keine Kinder in Gefahr brin-gen. Daher werden wir die Fördermittel für die Koor-dinierung des Projekts „Prävention von sexuellem Kin-desmissbrauch im Dunkelfeld“ an der Berliner Charitéaufstocken. „Prävention vor Repression“ muss gerade indiesem Bereich das eindringliche Credo sein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die GroßeKoalition verlangt uns Sozialdemokraten aber auchKompromisse ab.
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Dennis Rohde
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Das ist nicht immer einfach. Viele von uns haben inder vorletzten Sitzungswoche zur Abstimmung über dieFrage des Adoptionsrechts gleichgeschlechtlicher Le-benspartnerschaften entweder eine persönliche Erklä-rung abgegeben oder mit viel Unwohlsein über den Än-derungsantrag der Grünen abgestimmt. Wir wissen: Dasses noch keine volle rechtliche Gleichstellung gibt, istnicht mehr zeitgemäß. Wir Sozialdemokraten werdenweiterhin dafür kämpfen.
Umso wichtiger ist es aber heute, dass wir derBundesstiftung Magnus Hirschfeld mehr finanziellenSpielraum geben. Wir werden das Stiftungskapital um1,75 Millionen Euro aufstocken und damit sicherstellen,dass die Stiftung ihre gesellschaftliche Aufklärungsar-beit fortsetzen kann. Wie bitter nötig das manchmal ist,haben die Diskussionen in der vergangenen Zeit leiderdeutlich gezeigt.Sehr geehrte Damen und Herren, es weht ein frischerWind in der Rechts- und Verbraucherpolitik. Wir räumenmit dem, was unter Schwarz-Gelb liegen geblieben ist,auf. Wir wollen eine Rechtspolitik, die nicht zaghaft blo-ckiert, sondern aktiv die Spielregeln unserer Gesell-schaft gestaltet, eine Politik, die das Heft in die Handnimmt, statt sich in einer im Wandel begriffenen Ver-braucherwelt treiben zu lassen. Wir reden nicht nur vomSchutz der Verbraucher, sondern wir richten auch unserpolitisches Handeln danach aus. Mit diesem Haushaltgehen wir einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu unse-rem Ziel.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in derDebatte: Dr. Tobias Lindner für Bündnis 90/Die Grünen.
Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Zu Beginn meiner Ausführungenmöchte ich mich als Hauptberichterstatter für diesen Etatbei den Kollegen Rohde, Gröhler und Claus für die kon-struktiven und, wie ich fand, auch kollegialen Beratun-gen bedanken. Uns ist es gelungen, gemeinsam Ände-rungen an diesem Haushaltsentwurf – mein Vorrednerhat das Stiftungskapital der Magnus-Hirschfeld-Stiftunggerade angesprochen – zu realisieren. Bedanken möchteich mich auch beim Ministerium für eine Vorbereitungund Durchführung dieser Haushaltsberatungen, diedurchaus beispielgebend für andere Ressorts hätten seinkönnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht nurüber einen neuen Haushalt, sondern wir reden auch überein neues Ministerium: über das Bundesministerium derJustiz und für Verbraucherschutz. Natürlich muss mansich da fragen: Passt dieser neue Haushalt zu diesemneuen Ministerium? Passen 640 Millionen Euro und einhoher Personalkostenanteil zu den Aufgaben, die im Be-reich des Verbraucherschutzes vor uns liegen? Da ist dieAntwort meiner Fraktion: Leider passt dieser Haushaltnicht dazu.Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.Sie haben über den Marktwächter gesprochen. Da willich den Kolleginnen und Kollegen von der SPD schonzurufen: Uns Grüne braucht man in dieser Frage nichtkatholisch zu machen. Im Gegenteil, wir sind froh, dassdie Große Koalition eine Forderung, die wir seit Jahrenerheben, in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat.Wir hätten uns durchaus vorstellen können – das habenwir im Haushaltsausschuss auch beantragt –, dass mannicht mit nur einem Marktwächter, sondern mit beidenbeginnt. Denn ich glaube, die Menschen in diesem Landerwarten die Einführung dieser wichtigen Institution.Gerade im Bereich der digitalen Welt und der digitalenGeschäftsmodelle ist ein Marktwächter dringend not-wendig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ähnlich geht es mir im Hinblick auf den Sachverstän-digenrat für Verbraucherfragen. Ich finde, ein solcherSachverständigenrat ist eine durchaus überlegenswerte,gute Sache. Aber ich will nicht, dass er zu einem nettenKaffeekränzchen oder zu einer hohlen Institution ver-kommt. Wenn man nur eine B-3-Stelle schafft und da-raus verwaltungstechnisch eine One-Man-Show macht,dann habe ich zumindest Zweifel, ob ein solcher Sach-verständigenrat am Ende wirklich die Schlagkraft unddie Beratungskompetenz hat, die wir uns eigentlich allewünschen würden.Lassen Sie mich einen letzten Punkt erwähnen, aufden mein Vorredner nicht eingegangen ist, der sich aberauch im Koalitionsvertrag wiederfindet: den Zuschussan die Verbraucherzentrale Bundesverband. Liebe Kolle-ginnen und Kollegen, wenn wir im Rahmen der Verbrau-cherpolitik davon reden, dass die Verbraucherinnen undVerbraucher in diesem Land eine schlagkräftige Lobbybrauchen, wenn wir über selbstbestimmten Konsum undselbstbestimmtes Verbraucherverhalten reden, dannbraucht man, wenn man an Begriffe wie „Marktmacht“denkt, auch eine angemessene Ausstattung der Verbrau-cherzentrale. Hier haben wir im Rahmen der Beratungeneinen Änderungsantrag eingebracht, der, wie so viele,leider von dieser Koalition abgelehnt wurde. Das istschade für die Verbraucherinnen und Verbraucher in die-sem Land.
Im Hinblick auf die Anträge, die wir eingebracht ha-ben, wird uns gern der Vorwurf gemacht: Ihr Grüne habtdas doch gar nicht gegenfinanziert. – Ich will den Men-schen in diesem Land sagen: Wir machen eines grundle-gend anders als diese Koalition. Wir kompensieren dieMittel nicht in den gleichen Etatplänen, sondern wir sa-gen zum Beispiel: Wir geben weniger Geld für die Ver-teidigung aus, damit mehr Geld für Bildung und For-schung und mehr Geld für die Verbraucherpolitik zurVerfügung steht. – Wenn Sie am Ende des morgigen Ta-ges einen Strich unter unsere Anträge ziehen, werden Sie
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Dr. Tobias Lindner
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erkennen: Wir bleiben bei einer Nettokreditaufnahmevon 6,5 Millionen Euro, genau wie diese Große Koali-tion. Aber es gelingt uns eben, andere Schwerpunkte zusetzen.Ein letzter Punkt, über den Sie sich Gedanken machensollten. Wenn Sie in Ihrem Koalitionsvertrag beschlie-ßen, ein neues Ministerium zu schaffen, und hinein-schreiben: „Wir müssen Mittel aus dem eigenen Einzel-plan kompensieren“, dem Herrn Bundesminister abernur ein Drittel der Mittel für den Verbraucherschutz zurVerfügung stellen, dann werden Sie auch in den folgen-den Jahren nicht viel in Sachen Verbraucherschutz bewe-gen können. Denken Sie über diesen Denkfehler nocheinmal nach, meine Damen und Herren; denn sonst seheich für die kommenden Jahre schwarz.Ich danke Ihnen.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner in der De-
batte: Klaus-Dieter Gröhler für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Herr MinisterMaas! Meine sehr geehrten Gäste! Liebe Kollegen!
– Ja, man muss ja immer noch etwas draufpacken.
Die Frau Bundeskanzlerin hat gestern bei der Debatteüber ihren Einzelplan den Mitgliedern des Haushaltsaus-schusses für die engagierten Beratungen des Entwurfsgedankt, mein Fraktionsvorsitzender Volker Kauder hatsich beim kleineren Koalitionspartner für das konstruk-tive Zusammenwirken bedankt, und der Fraktionsvorsit-zende der Sozialdemokraten bedankte sich wiederum beider CDU/CSU-Fraktion.Hier will ich gerne weitermachen; der KollegeLindner hat den Ball diesbezüglich ja schon ein kleinwenig ins Feld gebracht. Auch ich möchte mich bei ihmals Hauptberichterstatter für den Einzelplan 07 bedan-ken. Ich darf sagen: Über Fraktionsgrenzen hinweg,ohne dass wir sie verwischt haben, hatten wir zwischenallen Berichterstattern eine, wie ich meine, sehr ange-nehme Kooperation.Ganz besonders wichtig ist es mir aber, mich bei denMitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu bedanken, undzwar nicht nur bei denen, die im Bundesjustizministe-rium für den Haushalt zuständig sind, sondern auch beiden Kolleginnen und Kollegen aus dem Finanzministe-rium und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern imHaushaltsausschuss des Deutschen Bundestages und inden Fraktionen; denn seien wir einmal ganz ehrlich: Wirals Parlamentarier könnten dieses hohe Recht – dasBudgetrecht, das wichtigste Recht des Hauses – garnicht tatsächlich ausüben, wenn es nicht eine großeSchar von fleißigen Mitarbeitern gäbe.Man könnte jetzt sagen: Sie verdienen ein bisschenmehr als den zukünftigen Mindestlohn. Das ist zwarrichtig, aber ich finde trotzdem, dass man ihre Arbeit andieser Stelle würdigen sollte, weil es manchmal bis tiefin die Nacht geht, und wir alle wissen ja, dass das Anse-hen des öffentlichen Dienstes draußen häufig nicht sehrgut ist. Insofern sage ich Ihnen ein herzliches Danke-schön.
Meine Damen und Herren, der Einzelplan 07, überden ich hier sprechen möchte, ist in der Tat etwas spe-ziell. Die Größenordnung dieses Etats entspricht unge-fähr der Portokasse im Sozialetat. 648 Millionen Eurobezogen auf fast 300 Milliarden Euro im gesamten Bun-deshaushalt: Das ist schon ziemlich übersichtlich. Be-sonders auffällig ist dieser Etat natürlich auch durchseinen hohen Deckungsgrad. Immerhin nimmt der Bun-desjustizminister 465 Millionen Euro ein. Ganz beson-ders wird der Einzelplan aber dadurch, dass die Opposi-tion im Vergleich zu anderen Etats fast gar nichts an ihmauszusetzen hat.Bei einem so kleinen Haushalt kommt man natürlichschnell in die Versuchung, zu sagen, an der einen oderanderen Stelle wolle man mehr draufpacken. Ich sageaber: Auch wenn der Haushalt noch so klein ist: JedenEuro, den wir ausgeben, haben wir vorher durch Einnah-men des Staates – in erster Linie durch Steuern – erlangt,und deshalb ist es unsere Verpflichtung, ordentlich zuprüfen, ob es tatsächlich sinnvoll und notwendig ist, ander einen oder anderen Stelle etwas draufzulegen. – Ichkomme gleich noch einmal zu den Anträgen der Opposi-tionsfraktionen, die wir dementsprechend abgelehnt ha-ben.Wir Haushälter haben uns am Machbaren statt amWünschenswerten orientiert und uns auch bei diesemEinzelplan von dem Ziel leiten lassen, dass die Neuver-schuldung gering sein muss. Gestern und heute gab esden einen oder anderen, der das Ziel der Absenkung derNeuverschuldung und das Ziel einer Neuverschuldungvon null wieder infrage gestellt hat. Ich kann als Mit-glied des Haushaltsausschusses für die CDU/CSU-Frak-tion aber nur sagen: Es ist ein richtiges politisches Ziel,einen strukturell ausgeglichenen Bundeshaushalt zu ver-abschieden, wie wir das morgen tun werden. Ebensorichtig ist es, dass wir nach der Sommerpause einenHaushaltsentwurf beraten, der als Erster seit langer Zeitwieder völlig ohne Neuverschuldung auskommen wird.„Schluss mit Schulden“, hat vorhin eine meiner Kol-leginnen gesagt. Ich finde, das ist ein sehr guter Sloganfür die Zukunft. Er macht das griffig und prägnant.
Ich bin mir sicher, dass das Zeichen, dass wir keineSchulden mehr machen wollen, von den Menschen ver-standen wird. Der Staat bescheidet sich. Das ist eine Zei-
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Klaus-Dieter Gröhler
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tenwende, die viele vor einigen Jahren noch gar nicht fürvorstellbar gehalten haben. Das erfordert aber natürlichauch eine hohe Disziplin bei der Haushaltsplanaufstel-lung.Der eine oder andere Redner hat ja betont, dass es fürkommende Generationen wichtig ist, keine neuen Schul-den zu machen. Ich will aber auch sagen: Auch für dieheutige Generation ist das wichtig.Ich als Berliner Abgeordneter komme aus einemLand, das in den letzten Jahren sehr viele Schulden– insgesamt 60 Milliarden Euro – aufgetürmt hat, bissich endlich auch in Berlin eine Große Koalition ent-schlossen hat, damit nicht weiterzumachen.
Ich habe gelernt, meine liebe Kollegin – Sie wissen dasals Berlinerin sicherlich auch –, was es bedeutet, wennein Landeshaushalt nur noch aus Sozialausgaben unddem Schuldendienst besteht, wenn man nur noch damitbeschäftigt ist, Kredite zurückzuzahlen, Zinsen zu zah-len und wieder neue Kredite aufzunehmen. Dann kannman sich irgendwann politisch gar nicht mehr bewegen.In diese Situation soll und will der Bund nicht kommen.Deshalb ist es wichtig, dass wir uns mit zusätzlichenAusgaben zurückhalten. Dementsprechend ist es auchwichtig, dass wir nicht immer allen Wünschen nachkom-men.Der von der Bundesregierung vorgelegte Etatentwurffür den Einzelplan 07 war so gut, dass wir an ihm fastnichts ändern mussten. Wir haben den Etatansatz ledig-lich um 1 Prozent im Zuge der Haushaltsberatungen an-gehoben und sind dem Struck’schen Gesetz, nach demkein Gesetzentwurf das Haus so verlässt, wie er hinein-gekommen ist, auch an dieser Stelle nachgekommen.Die Anhebung erfolgte – darauf hat bereits mein Ko-alitionskollege Rohde hingewiesen –, um die im Koali-tionsvertrag verabredeten Verbesserungen im Verbrau-cherschutz zu finanzieren. 2,5 Millionen Euro haben wirzusätzlich eingestellt, um den Aufbau der Marktwächter-funktion für den Finanzmarkt zu ermöglichen. Diese zu-sätzlichen Mittel im Haushalt sind folgerichtig, um denvon den Bundesministern Wolfgang Schäuble und HeikoMaas gemeinsam vorgestellten Aktionsplan der Bundes-regierung zum Verbraucherschutz im Finanzmarkt aufden Weg zu bringen.Durch die zusätzlichen Mittel werden die bestehen-den Verbraucherzentralen mit einer Marktwächterfunk-tion beauftragt. Neben dem Maßnahmenpaket für einenbesseren Schutz von Kleinanlegern und einer Stärkungder Verbraucherrechte bei Bankdienstleistungen – Stich-wort: Girokonto garantiert für jeden – ist die Beobach-tung der Finanzmärkte durch die Verbraucherzentraleneine weitere wichtige Säule dieses Aktionsplans. DieBürgerinnen und Bürger haben bereits jetzt ein großesVertrauen in die Verbraucherzentralen. 2,5 MillionenMal im Jahr wenden sie sich mit unterschiedlichen An-liegen an sie. Deshalb ist es richtig, den Verbraucherzen-tralen diese Aufgabe zu übertragen und dementspre-chend die Anschubfinanzierung auf den Weg zu bringen.Grüne und Linke haben sich nun in den Haushaltsbe-ratungen mit Änderungsanträgen überboten. Na klar:Mehr Geld für Verbraucherschutz kommt draußen in denWahlkreisen gut an. Damit kann man hausieren gehen.
Aber man sollte vielleicht auch ein Stück realistischsein, lieber Herr Kollege Dr. Lindner. Der Haushaltsplan2014 tritt Anfang Juli in Kraft. Das heißt, wir habennoch ein gutes halbes Jahr, um diese Anschubfinanzie-rung tatsächlich auf den Weg zu bringen. Da sind dievon Ihnen geforderten 10 Millionen Euro gar nicht se-riös zu verausgaben. Deshalb sage ich den Kollegen vonder Grünen-Fraktion: Das war ein Schaufensterantrag.So haben wir als Große Koalition ihn im Ausschuss auchbehandelt und entsprechend abgelehnt.
Lassen Sie mich zu einem anderen Aspekt des Etatskommen, auf den ich hinweisen möchte. Aus dem Etatdes Bundesministeriums erhält die Stiftung für interna-tionale rechtliche Zusammenarbeit, kurz IRZ, Mittel.Wir haben gestern mit großer Freude zustimmend zurKenntnis genommen, dass Litauen den Euro einführenwird. Jetzt wird mich der eine oder andere fragen: Washat die IRZ mit der Einführung des Euro in Litauen zutun? Eine ganze Menge. Die Stiftung hat Litauen, nach-dem das Land seine Souveränität wiedererlangt hat, überzehn Jahre juristisch beraten und auf dem Weg nachWesten in Sachen Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaftund Demokratie begleitet. Dementsprechend hat die IRZeinen ganz wesentlichen Anteil daran, dass in Litauendie Voraussetzungen für die Einführung des Euro er-reicht worden sind.Auch so verstehe ich die größere VerantwortungDeutschlands in der Welt, die unser Bundespräsident zuRecht eingefordert hat: Die IRZ ist nicht nur in Litauenaktiv gewesen. Sie ist es in Südosteuropa, und sie ist esdarüber hinaus im arabischen Raum. Wir haben für denHaushalt 2015 zum Beispiel zu prüfen, ob wir die Gelderfür diese wichtige Einrichtung nicht noch ein Stück weiterhöhen.Das gilt auch für das Bundespatentamt, dessen Ar-beitsabläufe sowie sachliche und personelle Ausstattungwir kritisch werden überprüfen müssen, weil die Bear-beitungszeiten für Patentanmeldungen einfach zu langsind. Nun werden mir vielleicht Kollegen der Oppositiongleich sagen: Warum habt ihr dann nicht unserem Antragfür mehr Geld und mehr Personal im Bundespatentamtzugestimmt? Das kann ich Ihnen sagen: weil auch dieserAntrag ein Stück unseriös war.
Sie haben einfach versucht, das Füllhorn des Bundesauszuschütten, ohne mit dem Bundespatentamt tatsäch-lich zu klären: Wo liegen denn die Probleme?
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Klaus-Dieter Gröhler
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Es ist nicht immer nur damit getan, einfach zusätzli-ches Geld irgendwo hineinzupumpen, sondern mansollte vor Ort schauen, wie es tatsächlich eingesetztwird. Ebenso werden wir für den Haushalt 2015 prüfenmüssen, ob der gesteigerte Ansatz für das Netzwerk ge-gen Kindesmissbrauch weiter erhöht werden muss.Dieser Haushaltsentwurf, so wie er jetzt aus demHaushaltsausschuss kommt, ist ein guter. Ich kann nurempfehlen, ihm zuzustimmen, sowohl was den Einzel-plan 07 als auch den Gesamtetat angeht.Ich bedanke mich ganz herzlich für die Aufmerksam-keit.
Danke schön, sehr geschätzter Herr Kollege. – Jetzt
hat Bundesminister Heiko Maas das Wort.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Sehr geehrte, geschätzte, liebe Präsidentin!
Oh, jetzt geht es aber ab.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Für nachfolgende Redner wird es jetzt schwierig. –Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wichtigs-ten Steuermittel der Politik sind sicherlich zum einen dieGesetze, zum anderen aber auch das Geld. Vor allen Din-gen um Letzteres geht es heute. Eine kluge Politik muss,wie ich finde, mit beidem sparsam umgehen.Herr Gröhler hat gesagt, dass der Haushalt des Justiz-und Verbraucherschutzministeriums im Vergleich zu demanderer Ressorts einer Portokasse gleicht. Das ist sicher-lich richtig, Herr Gröhler. Aber wir haben gemeinsamdafür gesorgt, mit dem Haushalt des Justiz- und Verbrau-cherministeriums zu zeigen, wie viel Sinnvolles man auseiner Portokasse finanzieren kann. Ich finde, dem wer-den wir gerecht.Meine Damen und Herren, in Deutschland gelten zur-zeit 1 681 Bundesgesetze und 2 711 Bundesverordnun-gen. Viele sagen, das sei mehr als genug. Tatsächlichmüssen wir uns immer intensiv darüber Gedanken ma-chen, wo es sinnvoll und notwendig ist, Sachverhalteoder Probleme mit Gesetzen zu ändern bzw. zu lösen.Aber es gibt sicherlich auch Dinge, bei denen es ganz,ganz notwendig ist, gesetzgeberische Vorhaben auf denWeg zu bringen. Das war und ist so bei der Sukzessiv-adoption, der heiß diskutierten Mietpreisbremse, der Frau-enquote für die Aufsichtsräte, den gesetzlichen Refor-men im Nachgang zum NSU-Untersuchungsausschussund vor allen Dingen auch beim Gesetz gegen sexuellenMissbrauch und Kinderpornografie.Das alles sind Themen, bei denen es Handlungsbedarfvonseiten des Gesetzgebers gab und gibt. Gerade dasGesetz gegen sexuellen Missbrauch und Kinderporno-grafie zeigt das ganz besonders. Wir ändern die Verjäh-rung beim sexuellen Missbrauch. Sie setzt erst mit dem30. Lebensjahr ein, weil viele, die sexuell missbrauchtworden sind, erst sehr spät darüber reden können undwir nicht wollen, dass die Täter ungeschoren davonkom-men.Wir ändern die Vorschriften zum sexuellen Miss-brauch von Schutzbefohlenen, weil es keinen Unter-schied machen darf, ob jemand Lehrer oder Hilfslehrerist, wie es in einem Gerichtsurteil in Koblenz festgestelltworden ist. Wir wollen auch den Handel von Nacktbil-dern mit strafrechtlichen Mitteln verfolgen. Denn wirfinden, unbefugt hergestellten Nacktbildern, die vertrie-ben und verkauft werden, liegt ein Missbrauch von Kin-dern zugrunde, und dies wollen wir unter Strafe stellen.
Neben dem, was wir gesetzgeberisch auf den Wegbringen, ist es aber oftmals auch notwendig, Geld, daszur Verfügung steht, so einzusetzen, dass mögliche Ge-setzesverstöße gar nicht erst entstehen. Der sexuelleMissbrauch von Kindern ist ein ganz besonders schreck-liches Verbrechen. Wir wollen alle, dass Kinder bessergeschützt werden, und wir wollen vor allem dafür sor-gen, dass es gar nicht erst zu solchen Taten kommt. Dasschaffen wir nicht mit dem Strafgesetzbuch allein. Be-dauerlicherweise sind veränderte bzw. verschärfte Ge-setze oder höhere Strafen nicht immer geeignet, Strafta-ten zu verhindern. Sie können aber ein Bestandteil derMaßnahmen dagegen sein.Deshalb haben wir uns ganz besonders damit ausei-nandergesetzt, Maßnahmen zu fördern, die dazu führensollen, dass Taten erst gar nicht begangen werden. Be-reits seit 2008 fördert das Bundesjustizministerium dasProjekt „Kein Täter werden“ der Berliner Charité. Eshilft Männern mit pädophilen Neigungen, dass aus ihrensexuellen Fantasien keine Straftaten werden.Die Nachfrage nach dieser Hilfe ist groß, und sie wirdimmer größer. Es gibt inzwischen in weiteren siebenStädten in Deutschland ähnliche Projekte. Mit demHaushalt, den Sie, meine Damen und Herren, heute be-schließen, weiten wir die Förderung dieses Projektesganz maßgeblich aus. Wir erhöhen die Mittel um 40 Pro-zent im Vergleich zum Vorjahr. Ich finde, das ist einesehr gute und wichtige Entscheidung. Denn mit diesemGeld schützen wir Kinder mehr, als wir es oftmals mitgeänderten Gesetzen tun können, meine sehr verehrtenDamen und Herren.
Auch in der Verbraucherpolitik, um die sich das frü-here BMJ nun ebenfalls kümmert, geht es nicht alleineum Vorschriften oder Verbote. Laisser-faire oder staatli-che Zwangsbeglückung – das sind immer die Alternati-
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Bundesminister Heiko Maas
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ven, und es sind oftmals auch Alternativen von gestern,weil eine moderne Verbraucherpolitik ganz anders aus-sieht. Die Menschen sollen die Freiheit haben, selbst dierichtige Entscheidung für sich zu treffen. Aber da reichtes oft nicht aus, nur das Ideal des mündigen Verbrau-chers zu bemühen. Der Staat muss auch dort, wo erkann, etwas dafür tun, dass die Menschen diese Freiheitnutzen können. Viele Verbraucherinnen und Verbrauchersind heutzutage auf den Finanzmärkten unterwegs. Aberohne ausreichende Kenntnisse – teilweise glaubt man,dass ein BWL-Studium vonnöten ist – finden sich vieledort nicht zurecht. Wenn es um die Altersvorsorge oderum Vermögensbildung geht, dann kann man sich heutzu-tage kaum einen Fehltritt leisten. Eine falsche Entschei-dung lässt sich selten rückgängig machen und kann fürden Einzelnen und seine Familie verheerende Folgen ha-ben.Die Menschen brauchen – darum geht es uns in einermodernen Verbraucherpolitik – verlässliche Informatio-nen und klare Orientierung. Aus diesem Grund sollendie Verbraucherorganisationen, wie bereits mehrfach an-gesprochen, künftig zu Marktwächtern werden. Die Ver-braucherorganisationen erfahren durch ihre Beratungsar-beit als Allererste, wo Fehlentwicklungen stattfinden.Dann sollen sie bei den Behörden auch Alarm schlagenkönnen und Verbraucherinnen und Verbraucher darüberinformieren, wo es falsche Fünfziger oder schwarzeSchafe gibt. 2,5 Millionen Euro sind zusätzlich in diesenHaushalt gekommen, damit wir den Aufbau der soge-nannten Marktwächter – konkret: der Finanzmarktwäch-ter – in Angriff nehmen können. Das ist eine wichtigeEntscheidung. Damit wird ein wichtiges Projekt endlichanlaufen können.Ich danke allen ganz herzlich, die das möglich ge-macht haben, ganz besonders den Berichterstattern fürden Justizhaushalt, Dennis Rohde und Klaus-DieterGröhler, aber auch, meine Damen und Herren, der Oppo-sition, Herrn Dr. Tobias Lindner und Roland Claus.Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön dafür!
Wenn wir über Gleichberechtigung und den Kampfgegen Diskriminierung reden, dann hat das sicherlichauch eine rechtliche Dimension. Mit der Sukzessivadop-tion für Lebenspartnerschaften sind wir auch hier einenwesentlichen Schritt weitergekommen. Eine toleranteGesellschaft, in der alle Menschen akzeptiert werden,und zwar so, wie sie sind oder sein wollen, entsteht aberletztlich nicht nur per Gesetz. Toleranz kann man ebennicht verordnen – aber man kann sie fördern. Eine ganzwichtige Institution, die das tut, ist die schon erwähnteBundesstiftung Magnus Hirschfeld. Diese Stiftung leidetgenauso wie viele andere unter den niedrigen Zinsen.Um hier zu helfen, wird mit diesem Bundeshaushalt dasStiftungskapital um 1,75 Millionen Euro erhöht. Da-durch kann die Stiftung ihre wichtige Arbeit ausweiten.Dies zeigt erneut: Es muss nicht immer ein Gesetzsein. Auch durch den klugen Einsatz der zur Verfügungstehenden Mittel können wir eine gute und vernünftigePolitik machen. Auf jeden Fall werden wir im Bundes-ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz durchdiesen Haushalt in die Lage versetzt, genau dies zu tun.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, lieber Heiko Maas. – Nächster Redner
in der Debatte: Roland Claus für die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerKollege Gröhler hat aufgefordert, hier immer noch einendraufzupacken. Der Justizminister war der Meinung,dass es nach seiner Anrede für den nächsten Rednerschwierig sei, das noch zu toppen.
Herr Minister, Sie unterliegen hier einem Justizirrtum,wenn auch einem geringfügigen; denn mir fällt es über-haupt nicht schwer, hier etwas draufzupacken. Sie allehaben die reale Möglichkeit, den Verbraucherschutz zustärken und im Etat etwas draufzupacken, wenn Sie un-serem Änderungsantrag zustimmen. Dann haben Sie realetwas getan und nicht nur etwas aus dem Sprüchebeuteldraufgepackt.
Die gute Nachricht zuerst: Der Justizhaushalt ist einerder wenigen Etats, die im Laufe der Haushaltsberatun-gen etwas besser wurden. Gut geworden ist er nochnicht. Immerhin ist er so klein, dass das Bundesfinanz-ministerium gar nicht erst Begehrlichkeiten entwickelte,den Etat zu kürzen.Der Finanzmarktwächter wird eingeführt. Das habenmehrere beantragt, auch die Linken. Ich habe den Antragschon erwähnt. Die Übermacht – das muss man sichwirklich eingestehen – der Anbieter von sogenannten Fi-nanzprodukten wird davon aber nicht berührt. Aber we-nigstens wird ein Problem öffentlich gemacht. Ich habemir einmal die Mühe gemacht, die zwei Zahlen ins Ver-hältnis zu setzen, die 2,5 Millionen Euro, die wir für dieVerbraucherschützer jetzt einstellen wollen, zu demGeld, über das die sogenannten Schattenbanken verfü-gen. Das sind über 50 Billionen Euro. Es kommt also zueinem Verhältnis der Verbraucher zu denen, zu denen siein Konkurrenz treten, von 1 : 20 Millionen. Die Über-macht der Finanzmärkte beträgt immer noch 20 Millio-nen gegenüber den Verbraucherschützern. Das nur, da-mit wir uns keine Illusionen machen.Nun kursiert ein neuer Begriff, der Begriff „Geier-fonds“. Sie haben richtig gehört: Geierfonds, benanntnach dem Greifvogel oder Raubvogel. Diese Fonds be-treiben nach ihrer Philosophie vorrangig den Ankauf vonWertpapieren angeschlagener Herausgeber. Das könnenUnternehmen sein, das können aber auch Staaten sein.Gegenwärtig ist Argentinien von einem dieser Geier-
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Roland Claus
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fonds erheblich bedroht, so bedroht, dass die argentini-sche Regierung sich entschlossen hat, auch in Europagroße Anzeigen zu schalten.Dazu muss man sagen: Auch noch so tapfere Verbrau-cherschützerinnen und Verbraucherschützer werden dieGeierfonds nicht stoppen, aber sie setzen wenigstens einZeichen von Gegenwehr, und das ist gut so. Sie in derBundesregierung wollen die Schattenbanken und Hedge-fonds irgendwie kontrollieren. Ich kann Ihnen dazu nursagen: Das wird nicht funktionieren. Solche Unterneh-men, solche dubiosen Institutionen gehören abgeschafft.Es reicht nicht, sich das Ziel zu setzen, sie zu kontrollie-ren.Die Linke wird immer dabei sein, wenn es um mehrVerbraucherschutz geht. Wir müssen Sie dennoch auf einKuriosum aufmerksam machen. Wir haben jetzt einBundesministerium der Justiz und für Verbraucher-schutz, und wir haben ein Bundesamt für Verbraucher-schutz. Das Kuriose ist – das wissen Sie –, dass das Bun-desamt in einem anderen Ministerium angesiedelt ist,und nicht in dem gleichnamigen Bundesministerium.Positiv finden wir die Entwicklung, dass auf Be-schluss der Verbraucherschutzminister der Länder es nunendlich eine Initiative zur Deckelung der Dispozinsengibt, also dass man sich dagegen wehrt, dass Bankensich quasi für 0 Prozent Zinsen Geld leihen und Dispo-zinsen von über 10 Prozent von den Leuten verlangen.Daran kann man sehen, Herr Minister: Links wirkt, nochmehr links würde noch mehr wirken.
Das besondere Interesse der Opposition an einerauskömmlichen Finanzierung der Bundesgerichtsbar-keit hatte ich bereits erklärt.Nun zum Patent- und Markenamt. Unser Vorschlagdazu ist schon zitiert worden. Hier ist die Koalition nochein bisschen uneinsichtig. Als wir das, lieber KollegeGröhler, in der 16. Wahlperiode schon einmal zum Er-folg gebracht haben, sind wir selbstverständlich als Be-richterstatter mit anderen Sachkundigen mehrfach inMünchen gewesen und haben uns genau angeschaut, anwelcher Stelle Personalmittel und an welcher Stelle Mit-tel für Sachkosten oder IT-Kosten zu erhöhen sind. Dannhat das auch geklappt. Ich bin mir sicher: Das wird auchwieder klappen. Ich kann Ihnen noch eine Brücke bauen.Die Linke wird in der ihr bekannten Bescheidenheit Ih-nen in Sachen Urheberschaft nicht im Wege stehen unddiese nicht so laut hinausposaunen. Setzen Sie die Vor-schläge um. Das wäre wichtiger, als jetzt darüber zu tö-nen.
Sie denken an Ihre Redezeit, in aller Bescheidenheit?
In aller Bescheidenheit komme ich damit zum Ende. –
Wir wünschen uns natürlich ein selbstbewusstes Verfas-
sungsministerium. Das braucht nicht nur die Koalition,
das braucht auch die Opposition.
In diesem Sinne: Gutes Zusammenwirken!
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin:
Elisabeth Winkelmeier-Becker für die Union.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Zuhö-rer! Der Haushalt, über den wir in dieser Woche spre-chen, ist sehr erfreulich. Seit meiner Kindheit ist das dererste ausgeglichene Haushalt. Jeder Politikbereich leistetseinen Beitrag dazu, darunter auch unserer. Der Haushaltunseres Ministeriums zeichnet sich zum einen dadurchaus, dass er der kleinste ist, zum anderen dadurch, dasser die höchste Deckungsquote hat. Auch in dieser Hin-sicht ist er ein Vorbild; andere Ressorts können ja einmalversuchen, an unsere Quoten heranzukommen. Die Größeunseres Haushaltes steht aber natürlich in keinem Verhält-nis zur wahren Bedeutung unseres Politikbereichs; dasmuss man hier einmal sagen. Das zeigt, dass es in der Tatnicht immer nur auf das zur Verfügung stehende Geldankommt, wenn es darum geht, gute Politik zu machen.Wenn ich Schülergruppen erkläre, was Politik macht,dann nenne ich zwei Punkte: Der eine wesentliche Punktvon Politik ist, zu entscheiden, woher wir das Geld be-kommen und wofür wir es ausgeben, von wem wir Steu-ern einnehmen und was uns so wichtig ist, dass wir dafürGeld ausgeben. Der andere wesentliche Punkt ist, wel-che Regeln wir für das Zusammenleben der Menschenuntereinander oder für das Verhältnis der Bürger zumStaat aufstellen. Das ist nichts, was kostet, aber etwas,das gut austariert und gerecht gestaltet werden muss.Das ist unsere Aufgabe. Das ist die Domäne der Rechts-politik. Wir kommen also mit wenig Geld aus, um guteund auch weitreichende Politik zu machen.Unser Haus und unser Haushalt müssen gewährleis-ten, dass die Justiz funktioniert. Das gilt auch für dieobersten Bundesgerichte. Ich nutze hier die Gelegenheit,um der neuen Präsidentin des BGH, die in den vergange-nen Tagen ihre Urkunde erhalten hat und ihre Aufgabeab Juli wahrnehmen wird, zu gratulieren und eineglückliche Hand zu wünschen für ihre wichtige Auf-gabe an der Spitze der ordentlichen Gerichtsbarkeit inDeutschland. Also: Herzlichen Glückwunsch, FrauBettina Limperg, als neue BGH-Präsidentin und hoffent-lich starke Frau in einer Führungsposition in Deutsch-land.
In diesem Zusammenhang ein Punkt, der haushaltsre-levant sein kann. Wir haben als Gesetzgeber vor dreiJahren völlig zu Recht ein Rechtsmittel gegen Zurück-weisungsbeschlüsse in der Berufung nach § 522 ZPOeingeführt. Das hat zu deutlich mehr Aufwand geführt.Es gab viele zusätzliche Nichtzulassungsbeschwerdenbeim BGH. Wir müssen uns genauer anschauen, wie wirdem begegnen können, damit die Rechtsprechung am
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BGH nicht darunter leidet, dass wir mit unserer Maß-nahme dazu beigetragen haben, dass die Fallzahlen sehrgestiegen sind.Den größten Aufwuchs in unserem Bereich hat derVerbraucherschutz; darauf komme ich gleich zurück.Wir werden dort neue Strukturen schaffen und werdendas finanziell unterlegen.Vor allem gibt uns die Haushaltsdebatte die Gelegen-heit, um einige Punkte generell anzusprechen und auf ei-nige Vorhaben einzugehen; meine Vorredner haben dasja schon getan.Ich möchte mit einem Thema anfangen, das mir be-sonders am Herzen liegt, und auf Papst Franziskus ver-weisen. Er hat nämlich in dieser Woche in Süditalien derMafia für ihre kriminellen Machenschaften im organi-sierten Verbrechen die Exkommunikation angedroht.Nun ist die Exkommunikation sicherlich das Monopoldes Papstes, aber auch wir können etwas tun, um ma-fiöse Strukturen, die bei uns existieren, trockenzulegenund zu bekämpfen. Da sehe ich unsere dringende Auf-gabe, und zwar vor allem im Bereich Menschenhandelund Zwangsprostitution.Es ist schwer auszuhalten, dass viel Zeit ins Land ge-gangen ist, seit wir dieses Problem erkannt haben undimmer wieder mit Vorschlägen kommen, um das sicher-lich nicht einfache Regelwerk, dessen Ausarbeitung wirzu leisten haben, dann doch endlich auf den Weg zubringen. Wir müssen rasch gegen Menschenhandel undZwangsprostitution vorgehen und beides konsequent be-kämpfen.
Es darf nicht sein und es betrübt mich wirklich, dassgerade in Deutschland dieses Feld für die Hintermännerso lukrativ ist. Das müssen wir bekämpfen. Diesem Ge-schäftsmodell muss mit verschiedenen Maßnahmen derBoden entzogen werden. Ich denke, wir müssen zu einerbehördlichen Erlaubnispflicht kommen. Wir müssenbessere Kontrollbefugnisse haben. Wir müssen klarstel-len, dass es kein Weisungsrecht von Zuhältern gibt unddass diese den Prostituierten bei ihrer Berufsausübungkeine Einzelheiten vorgeben können. Das muss klarge-stellt werden. Das darf es nicht geben.
Auch an die Freier wollen wir heran, an die, die wis-sentlich und willentlich ausnutzen, dass eine Frau zu se-xuellen Handlungen gezwungen und missbraucht wird.Da muss auch das Strafrecht nachjustiert werden. Natür-lich brauchen wir dazu auch klare Maßstäbe. An derStelle bestehen Schutzlücken, die wir schließen müssen.Genauso müssen wir uns aber auch mit Ausstiegshilfenund einer Verbesserung des Aufenthaltsrechts beschäfti-gen. Wir müssen das alles konsequent aus dem Blick-winkel der Opfer von Menschenhandel betrachten undzügig angehen.
Ich muss sagen: Der Zeitplan, der bisher zu diesemwichtigen Projekt vorgelegt worden ist, erscheint mirnoch nicht ambitioniert genug. Lassen Sie uns dasschneller umsetzen, und lassen Sie uns andere Dinge, dievielleicht nicht so wichtig sind, so weit auch zurückstel-len. Ich denke da auch an die Reform der Gesetzgebungzu Mord und Totschlag. Das ist sicherlich sinnvoll, abervielleicht nicht so dringlich.
Ich möchte eingehen auf die schon angesprocheneMietpreisbremse. Ich sage und verspreche: Sie kommt,und sie wird gut.
Wir werden dafür sorgen, dass sie funktioniert. Wir wis-sen: Es ist für Menschen, gerade in Regionen, wo dieMieten sehr schnell steigen, schwierig, einen Wohnungs-wechsel zu finanzieren. Dieses Problem müssen wir an-gehen, aber wir müssen es an der Wurzel packen. Wirwissen: Die Mietpreisbremse ist ein Instrument, das dieSymptome bekämpft. Wurzel des Übels steigender Mie-ten ist dagegen die angespannte Lage auf dem Woh-nungsmarkt, die Tatsache, dass zu wenig Wohnraum zurVerfügung steht. Deshalb muss jede Landesregierung,die sagt: „Wir haben hier einen angespannten Wohnungs-markt, deshalb brauchen wir die Mietpreisbremse“, über-legen, wie denn bei auslaufender Mietpreisbremse einZustand erreicht werden kann, bei dem der Wohnungs-markt besser und entspannter ist und bei dem es mehrAngebot gibt. Für uns ist ganz klar: Das eine muss mitdem anderen verbunden werden. Wer sagt, dass wir eineMietpreisbremse brauchen, der muss auch sagen, mitwelchen Maßnahmen er die Ursachen für steigende Mie-ten bekämpfen will. Schließlich müssen wir dafür sor-gen, dass die Mietpreisbremse auch praktikabel ist.Wenn Mieter und Vermieter ihre Vereinbarungen an ei-ner Vergleichsmiete ausrichten sollen, dann muss auchirgendwo klar und einfach definiert sein, was diese Ver-gleichsmiete ist, sonst treiben wir die Parteien nur vorGericht, in teure und ungewisse Verfahren. Damit ist amEnde niemandem gedient, weder den Mietern noch denVermietern. Deshalb muss in das Gesetz eine klare Re-gelung dazu aufgenommen werden, was der Vergleichs-maßstab ist und wie er ermittelt und definiert werdenkann.Meine Damen und Herren, die Union steht für einemittelstandsfreundliche Rechtspolitik. Wir haben imKoalitionsvertrag etliche Punkte dazu vereinbart, ins-besondere wollen wir im Insolvenzrecht Änderungenherbeiführen. Wir brauchen mehr Planungssicherheit fürdiejenigen, die einem Vertragspartner auch in einerschwierigen Situation zum Beispiel Zahlungsaufschubgeben, die sich auf Ratenzahlungen einlassen. Das wol-len wir doch, weil damit häufig auch eine Durststreckeüberwunden werden kann und sich der Vertragspartnerwieder fängt. Das darf aber nicht dazu führen, dass manbis zu zehn Jahre später noch damit rechnen muss, dassdiese Zahlungen angefochten werden können. Hier brau-chen wir mehr Sicherheit für die Geschäftspartner. Die
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jetzige Regelung ist schädlich. Erwünschtes Verhaltenwird nicht praktiziert; das darf nicht riskiert werden.Schon in der nächsten Woche finden die zweite unddritte Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämp-fung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr statt. DieVerabschiedung dieses Gesetzesentwurfs ist ein wichti-ger Beitrag dazu, die Zahlungsmoral zu stärken. Diesstärkt auch die Liquidität der mittelständischen Betriebe.Sie müssen nämlich schnell an ihr Geld kommen, umnicht auf Zwischenfinanzierungen angewiesen zu sein.So können Insolvenzen in diesem Bereich vermiedenwerden.Ministerin Schwesig und Minister Maas werden dem-nächst einen Gesetzentwurf zur Frauenquote vorlegen.Ich darf sagen, dass ich mich sehr darüber freue, dass wirdas jetzt auf den Weg bringen.
Wir werden dafür sorgen, dass dieses Gesetz so ausge-staltet wird, dass die Betriebe damit umgehen können.
Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit?
Wir dürfen die Unternehmen bei dem notwendigen
Wandel nicht überfordern. Wir regeln die Einführung der
Frauenquote so, dass sie beherrschbar ist. In ein paar
Jahren sollten sich alle fragen: Wo war dabei eigentlich
das Problem?
Ich überlasse es meiner lieben Kollegin Mechthild
Heil, Ausführungen zur Verbraucherpolitik zu machen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die nächste Rednerin
in dieser Debatte ist Nicole Maisch für Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister, in Ihrer Antrittsrede beim Verbraucher-zentrale Bundesverband haben Sie gesagt – ich zitiere –:Ich bin mir sicher, dass wir … mehr für den Ver-braucherschutz tun können, wenn die Zuständigkei-ten nicht länger gespalten sind, sondern wennName und Gesetzgebungskompetenz endlich zu-sammenpassen.Wahre Worte! Leider sieht die schwarz-rote Regierungs-praxis etwas anders aus: Die Verbraucherpolitik ist zer-pflückter als je zuvor. Ein Großteil des Geldes und rele-vante Zuständigkeiten, zum Beispiel für Ernährung oderfür den gesundheitlichen Verbraucherschutz, sind in derHand des Bundeslandwirtschaftsministeriums geblieben.Da hat die Union klug verhandelt. Ob das aber für dieVerbraucherpolitik sinnvoll war, sei einmal dahinge-stellt. Bei anderen verbraucherrelevanten Themen wieTelekommunikation, Finanzmarktregulierung und Kar-tellrecht ressortieren die Zuständigkeiten weiterhin beiIhren Kabinettskollegen, und Sie dürfen nur Hinweisegeben. Auch hier suggeriert der Titel „Verbraucher-schutzministerium“ mehr als das, was wirklich dahinter-steht.Wenn wir uns diesen Haushalt anschauen, stellen wirfest, dass der wirtschaftliche Verbraucherschutz, also IhrKernbereich – er gehört Ihnen quasi allein –, unterfinan-ziert ist. Daran ändern auch die genannten 2,5 MillionenEuro für den Finanzmarktwächter, die die Koalitions-fraktionen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf dieSchnelle zusammengekratzt haben, nicht viel. Wir be-grüßen es natürlich, dass Sie in die Finanzierung desMarktwächters einsteigen; das ist ein sinnvolles Projekt.Aber ein solches Projekt braucht langfristige Planungs-sicherheit. Warum? Wir brauchen für den Finanzmarkt-wächter die Köpfe, die sich auf den Finanzmärkten ambesten auskennen. Wenn langfristig überhaupt nicht ge-sichert ist, wie die Finanzierung dieses Projektes weiter-geht, wenn es keine institutionelle Förderung gibt, wennvonseiten der Union immer wieder Bedenken geäußertwerden, ob dieses Projekt überhaupt sinnvoll ist, dannfragt man sich doch, wie man so die besten Köpfe fürden Marktwächter gewinnen kann.
Dieser Marktwächter kann aber nur eine Komponenteeiner verbrauchergerechten Neuordnung der Finanz-märkte sein. Herr Maas, wir erwarten von Ihnen, dassSie bei der Regulierung des Grauen Kapitalmarkts mehrliefern als das dürre Eckpunktepapierchen, das Sie zu-sammen mit dem Finanzminister präsentiert haben. DassProkon jetzt nicht mehr in den Medien ist, heißt dochnicht, dass das Thema „Grauer Kapitalmarkt“ an Brisanzverloren hat.Wir hoffen, dass Sie bei der Finanzmarktregulierungin Zukunft mehr Durchsetzungskraft beweisen als beidem Rettungspaketchen, das Sie für die Lebensversiche-rer geschnürt haben. Hier haben Sie zulasten der Anlege-rinnen und Anleger, der Versicherten, die Versicherungs-unternehmen sanieren wollen, und das finden wir nichtgut. Ich sage das gerade vor dem Hintergrund, dass derKollege Rohde so rührend eine Lanze für die Kleinanle-ger gebrochen hat. Beim Thema Lebensversicherung tunSie das Gegenteil von dem, was Sie hier vorgetragen ha-ben.
Meine Damen und Herren, ich möchte zur Kernfragefür die deutsche und europäische Verbraucherpolitik inden nächsten Monaten kommen. Das sind sicher die Ver-handlungen zum Transatlantischen Freihandelsabkom-men. Wir haben in der Debatte zur Agrarpolitik von Ih-rem Kollegen Minister Schmidt nur Beschwichtigendesgehört. Auch von Ihnen liest man in Interviews immer,dass das Allzweckkampagnengeflügel, das Chlorhühn-
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Nicole Maisch
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chen, nicht kommen soll. Das haben Sie in der Frankfur-ter Allgemeinen Sonntagszeitung mitgeteilt. Ich findeaber, man muss ein bisschen tiefer in die Debatte einstei-gen als nur mit solchen Überschriften. Man kann es nichtbei dem Chlorhühnchen belassen, sondern muss sagen:Leute, es geht um viel grundsätzlichere Dinge, und zwarum Investor-Staat-Schiedsgerichte und um eine der öf-fentlichen Sphäre entzogene regulatorische Zusammen-arbeit.
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Gerne.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bei den Worten „tiefer
in die Debatte einsteigen“ habe ich mich doch veranlasst
gesehen, eine Zwischenfrage zu stellen.
Wir haben jetzt seit über einer Stunde eine, wie ich
finde, sehr wichtige und auch interessante Debatte. Der
Bundesminister ist da, der Staatssekretär ist da, der ge-
samte Ausschuss ist da; ich vermisse nur die Vorsitzende
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, Frau
Künast. Das empfinde ich als unbefriedigend. Ich weiß
nicht, ob Sie diesen Eindruck teilen.
Das möchte ich Sie zumindest gern fragen.
Ich persönlich kenne den Terminkalender von Frau
Künast nicht. Ich kann mir vorstellen, dass sie heute
beim Deutschen Anwaltstag ist, der übrigens mehrere
Tage dauert. Dazu haben wir als Ausschussmitglieder
alle eine Einladung bekommen. Wir haben allerdings
Prioritäten gesetzt und gesagt: Der Haushalt, der einmal
im Jahr behandelt wird, gerade der Haushalt für Justiz
und Verbraucherschutz, ist so wichtig, dass wir heute
nicht zum Anwaltstag fahren. – Stimmen Sie mir zu,
dass die Vorsitzende des Ausschusses bei dieser so wich-
tigen Debatte, die Sie angesprochen haben, offensicht-
lich ganz andere Prioritäten setzt?
Herr Kollege, in meiner Fraktion bin ich zuständig für
die Themen Tierschutz und Verbraucherpolitik. Das
heißt, alles von der Kastration von Schweinen bis hin zur
Frage der Rechtssicherheit von Handy-Apps fällt in
meine Zuständigkeit.
Die Führung des Kalenders des Ausschusses für Ver-
braucherschutz, das heißt die Termine von Frau Künast,
gehört allerdings nicht in meine Zuständigkeit.
Jenseits Ihrer Frage nach dem Terminkalender war ich
dabei – –
Erlauben Sie noch eine Bemerkung, Frau Kollegin?
Bitte.
Vielen Dank, Frau Kollegin Maisch. – Würden Sie
mir recht geben darin, dass es natürlich entsprechend ge-
würdigt werden muss, wenn der Deutsche Anwaltverein,
der den Deutschen Anwaltstag ausrichtet, die Vorsit-
zende des Rechtsausschusses des Deutschen Bundesta-
ges bittet, bei seiner Festveranstaltung einen Vortrag zu
halten und ein Grußwort zu sprechen?
Frau Keul, Ihnen stimme ich eigentlich fast immer zu.
Also: Ja.
Aber kommen wir zurück zum Thema meiner Rede,
zum Freihandelsabkommen. Bei TTIP geht es um Inves-
tor-Staat-Schiedsgerichte und um regulatorische Zusam-
menarbeit. Ich finde, hier ist der Verbraucherschutzminis-
ter gefragt. Bei solchen Investor-Staat-Streitigkeiten geht
es darum, dass zukünftige Verbraucherschutzgesetzge-
bung immer unter dem Damoklesschwert stattfindet,
dass die Bundesrepublik vor außerstaatlichen, demokra-
tisch nicht legitimierten Gerichten auf Schadensersatz
verklagt wird. Die Chefin der europäischen Verbraucher-
schutzverbände hat das so formuliert:
You have the right to regulate, but you have to pay
for it!
Ich finde, genau das muss ein Verbraucherschutzminister
verhindern. Es kann doch nicht sein, dass in Zukunft na-
tionale Anbauverbote für Genmais, die Wasserversor-
gung in öffentlicher Hand, das Fracking-Gesetz, das Ihre
Ministerkollegen planen, oder strengere europäische Da-
tenschutzregeln vor demokratisch nicht legitimierten
Gerichtshöfen als Handelshemmnisse beklagt werden.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Ende kommen.
Ich finde, als Verbraucherschutz- und Justizministerist Ihre vornehmste Aufgabe: Verhindern Sie so etwas!Stellen Sie sich quer, wenn das Abkommen einen sol-chen Weg nimmt!
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Danke, Frau Kollegin. – Ich bitte Sie wirklich, auf die
Redezeit zu achten. Das richtet sich an alle.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Eva Högl für
die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Man kann Bundesminister Maas in kei-ner Weise vorwerfen, er würde nicht handeln, Frau Kol-legin. Bundesminister Maas ist ein überaus aktiver Jus-tizminister.
Wenn diese Debatte und dieser Haushalt eines zeigen,liebe Kolleginnen und Kollegen, dann das – das möchteich ganz deutlich sagen –: Es gibt wieder Rechtspolitik.Wir machen engagierte Rechtspolitik. Schon im erstenhalben Jahr seiner Amtszeit als Justizminister hat er we-sentliche Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht.
Wir machen eine Rechtspolitik, die sich darin versteht,dass sie gestaltet und nicht verwaltet, blockiert und ver-hindert. Das war leider in der letzten Legislaturperiodeso. Deswegen sage ich am Anfang noch einmal ganzdeutlich: Es macht jetzt richtig Spaß, Rechtspolitik zumachen.
Ich möchte auch zu den Themen Kinderpornografieund Pädophilie – diese sind uns allen unangenehm – vo-rausschicken, dass der Bundesjustizminister hier sofortgehandelt hat. Nachdem wir im Deutschen Bundestagdarüber debattiert hatten, dass wir Gesetzeslücken imSexualstrafrecht haben, hat Heiko Maas einen Gesetz-entwurf erarbeitet und vorgelegt, der der Klarstellungdient und deutlich macht, dass die Herstellung und Ver-breitung von kinderpornografischen Bildern – unabhän-gig von den Kategorien I oder II – unter Strafe gestelltwird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dasshier das Strafrecht nicht alles ist. Aber in diesem Bereichist es wichtig, strafrechtlich tätig zu werden und entspre-chende Vorschläge vorzulegen. Ich erwähne noch ein-mal, was in der Debatte heute bereits gesagt worden ist,was man aber nicht oft genug erwähnen kann: Bei denThemen Kinderpornografie und Pädophilie kommt esdarauf an, frühzeitig tätig zu werden. Es ist wichtig, prä-ventiv zu agieren, damit es gar nicht erst zu Übergriffenauf Kinder und Jugendliche kommt. Auch wenn Kinderund Jugendliche auf Bildern sind, die nicht strafbar sind,weil wir es so entschieden haben, so steckt dahinter im-mer eine Zwangslage.
Dagegen wollen wir vorgehen. Deswegen ist es gut, dassim Haushaltsausschuss erreicht worden ist, dass die Mit-tel für das Präventionsprojekt Dunkelfeld um 40 Pro-zent, um 150 000 Euro, aufgestockt werden. Das magwenig klingen, aber es ist für diesen Bereich sehr viel.
Diesen Ansatz – Veränderungen im Strafrecht dort, wowir Graubereiche haben und Regelungslücken feststellen,in Kombination mit Opferschutz und Prävention – werdenwir in der Rechtspolitik fortführen. Dafür gibt es einweiteres Beispiel, das Sie, Frau Kollegin Winkelmeier-Becker, schon angesprochen haben, nämlich das Thema„Menschenhandel und Prostitution“. Auch hierzu hat derBundesjustizminister einen Gesetzentwurf vorgelegt, derdie von uns vorgeschlagenen Maßnahmen beinhaltet,wie wir die Richtlinie zum Menschenhandel umsetzenund wo wir das Strafrecht notwendigerweise verschär-fen. Wir haben auch im Koalitionsvertrag niedergelegt,dass wir die Täter wirksam bestrafen wollen. Das ist einganz entscheidender Gesichtspunkt. Ich will an dieserStelle ganz kurz anmerken, dass wir das schuldhafte Ver-zögern im Zeitplan nicht zu verantworten haben; denndie Richtlinie ist seit über einem Jahr verfristet. Das gehtauf Ihr Konto; aber wir machen das jetzt gemeinsam gutund richtig.Ich erwähne einen weiteren Gesichtspunkt, der mirsehr wichtig ist, Stichwort „NSU“. Wir haben uns imDeutschen Bundestag verpflichtet, die Empfehlungendes NSU-Untersuchungsausschusses zügig umzusetzen.Auch hier herzlichen Dank an das Bundesjustizministe-rium, das sofort einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, denwir jetzt weiter beraten.Ein wichtiger Punkt ist die Stärkung des Generalbun-desanwalts. Wir haben im Untersuchungsausschuss he-rausgefunden, dass es richtig und wichtig ist, dass derGeneralbundesanwalt Ermittlungsverfahren an sich zie-hen kann, wenn sie von überwiegender Bedeutung sind,wenn es entweder Straftaten mit länderübergreifendemCharakter sind, wie bei der Mordserie des NSU, oderwenn es Kompetenzkonflikte zwischen den Bundeslän-dern gibt. Wir sind nicht der Auffassung, dass auf Bun-desebene alles besser gemacht werden kann; aber in sol-chen Fällen wollen wir den Generalbundesanwaltunterstützen. Deswegen begrüße ich nicht nur diesenGesetzentwurf, sondern auch, dass der Generalbundes-anwalt dafür mehr Mittel bekommt. Das hat der Haus-haltsausschuss ebenfalls beschlossen. Herzlichen Dankdafür! Ich sage aber auch in Richtung des Generalbun-desanwaltes: Wir erwarten dann auch ein entsprechendesTätigwerden bzw. eine entsprechende Aktivität; dennwir sind der Auffassung, dass die wichtigen Ermittlungs-verfahren an dieser Stelle geführt werden müssen.Mit der Rechtspolitik greifen wir nicht nur Miss-stände auf, sondern verändern auch unsere Gesellschaft.Wir haben die Gleichstellung von Schwulen und Lesbenauf unserer Agenda. Wir haben dazu schon wichtige Be-schlüsse gefasst, sowohl im Steuerrecht als auch bezüg-
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Dr. Eva Högl
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lich der Sukzessivadoption. Die Frauenqoute ist bereitserwähnt worden. Auch sie wird unsere Gesellschaft aus-drücklich verändern; das begrüßen wir. Ich freue michnatürlich, dass wir das in der Großen Koalition gemein-sam machen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir reagieren auch auf Missstände. Wir habenaktuell einen Missstand – das ist ein wichtiges Thema –im Bereich des Mietrechts. Insofern ist es wichtig, dasswir dieses Thema ganz oben auf unsere Agenda gesetzthaben. In Meseberg ist beschlossen worden, dass die Re-form des Mietrechts ein prioritäres Vorhaben ist. Es istauch vereinbart, dass das Mietrechtsänderungsgesetzzum 1. Januar 2015 in Kraft treten soll. Ich möchtegerne, dass wir die unterschiedlichen Auffassungendazu, die wir im Detail haben, nicht über die Presse aus-tauschen, sondern uns ruhig und vernünftig zusammen-setzen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir die ausstehen-den Detailfragen in der Großen Koalition noch klärenwerden und dann endlich das umsetzen, was wir uns vor-genommen haben, nämlich die vielen Mieterinnen undMieter davor zu schützen, dass sie, wenn sie eine neueWohnung mieten wollen, vor exorbitant hohen Miet-preiserhöhungen stehen, die sie nicht mehr bezahlenkönnen; als Abgeordnete von Berlin-Mitte weiß ich, wo-von ich rede. Das ist ein wichtiges Gesetzesvorhaben.Deswegen appelliere ich an uns alle gemeinsam, das aufden Weg zu bringen und im Interesse vieler Bürgerinnenund Bürger auf die Missstände zu reagieren.
Frau Kollegin!
Herzlichen Dank, liebe Frau Präsidentin. – Ich
komme zum Ende und sage: So machen wir weiter.
Vielen Dank.
Danke, Frau Högl. – Nächste Rednerin in der Debatte
ist Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Justizminis-ter, die Kollegin Wawzyniak hat mit einem Lob geendet.Ich will mit einem Lob beginnen, und zwar für die Ver-längerung der Hemmung der Verjährung bei sexuellemKindesmissbrauch auf das 30. Lebensjahr. Das begrüßeich ausdrücklich. Das ist echter Opferschutz; denn vorAbschluss ihrer Therapie haben die Opfer oft keine Ge-legenheit, in irgendeiner Weise Rechtsmaßnahmen zu er-greifen. Insofern haben Sie an dieser Stelle unsere volleUnterstützung.Aber keine Sorge: So geht es nicht weiter.
Denn ansonsten ist der Aufschlag aus Ihrem Haus zumThema Kinderpornografie ziemlich danebengegangen.
Sie wollten doch angeblich diejenigen bestrafen, die sichim Internet Kindernacktbilder kaufen oder diese tau-schen. Nach dem jetzt vorliegenden Referentenentwurfwären das fast die einzigen, die sich nach wie vor nichtstrafbar machen, dafür aber fast alle anderen. Jedes bloß-stellende Foto. – Ja, meine Güte! Haben Sie schon ein-mal gesehen, wie viele Bilder von Betrunkenen sich inden sozialen Netzwerken befinden und wie viele peinli-che Videos auf YouTube? – Damit können Sie dieStaatsanwaltschaften wirklich lahmlegen und die halbeRepublik einbuchten.
Auch die Intention spielt bei Ihrem Entwurf keine Rolle.Was ist denn, wenn ich das Opfer einer Gewalttat foto-grafiere oder filme, um diesem anschließend Beweisma-terial zur Verfügung zu stellen? Alles strafbar?
Bei der Jugendpornografie ist vorgesehen, die Herstel-lung einer Aufnahme strafbar zu machen, völlig unab-hängig davon, ob eine Verbreitung beabsichtigt ist odereine Einwilligung vorliegt. Wir halten also 17-Jährigefür reif genug, mit Volljährigen sexuell zu verkehren,aber wenn sie sich dabei fotografieren lassen, wollen wirdas bestrafen? – Das kann doch nicht ernsthaft so ge-meint sein. Auch hier muss es doch wohl auf die unbe-fugte Verbreitung ankommen. Da muss also noch einigeskorrigiert werden.Außerdem sollten die präventiven Maßnahmen zumKinderschutz jenseits des Strafrechts nicht aus demBlick geraten, wie etwa das erfolgreiche Projekt der Ber-liner Charité „Kein Täter werden“. Es ist gut, dass fürdieses Projekt Haushaltsmittel zur Verfügung gestelltwerden; auch das begrüßen wir ausdrücklich.Neben dem Sexualstrafrecht hat uns im Justizbereichim letzten Halbjahr auch die Praxis der Geheimdienstenicht unerheblich beschäftigt. Erfreulicherweise hat sichder Generalbundesanwalt jetzt doch noch zu kleinerenErmittlungen durchringen können. Das ist schon deswe-gen erfreulich, weil wir uns als Konsequenz aus demNSU-Verfahren einvernehmlich vorgenommen haben,dessen Kompetenzen zu stärken. Das Geschrei der Groß-koalitionäre war allerdings beeindruckend, als wir Grüneauf das gesetzliche Weisungsrecht des Justizministershinwiesen. Ein „krudes Rechtsstaatsverständnis“ wurdeuns vorgeworfen, nur weil wir das Gesetz zitiert haben,wonach dem Bundesjustizminister die Dienstaufsichtüber den Generalbundesanwalt zusteht. Können wir jetztalso davon ausgehen, dass Sie kurzfristig mit IhrerMehrheit das Weisungsrecht vollständig abschaffen wer-den? Da bin ich ja einmal gespannt. Soll das auch fürden Generalbundesanwalt gelten, der als politischer Be-amter jederzeit in den Ruhestand versetzt werden kann?Meinen Sie ernsthaft, dass dieser politische Beamte, der
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Katja Keul
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ja auch Zeitung liest, nicht beeinflusst davon ist, wiesich die Regierung gegenüber den Vereinigten Staateneinlässt? Angeblich hätten wir Grüne ihn in unzulässigerWeise beeinflusst, indem wir ihn nach den Gründen sei-ner Entscheidung gefragt haben. Ehrlich gesagt: Das istin meinen Augen ein eher merkwürdiges Rechtsstaats-verständnis.
Die völlige Einbindung der Staatsanwaltschaft in diedritte Gewalt und ihre völlige Gleichsetzung mit denRichterinnen und Richtern halte ich jedenfalls für nichtangebracht. Die Staatsanwaltschaft handelt im straf-rechtlichen Ermittlungsverfahren klassisch gewaltaus-übend und ist damit auch Teil der Exekutive. Ich rate da-her zu sorgfältiger Prüfung, damit wir nicht über das Zielhinausschießen. Ihren Vorschlägen sehe ich mit Interesseentgegen.Zuletzt noch ein paar Worte zu Ihrem neuesten Ent-wurf, zur Einführung der Frauenquote. Wenn 40 Prozentschon ein Kompromiss sind, dann sind 30 Prozent ein-fach zu kurz gesprungen.
Außerdem ist der Anwendungsbereich mit gerade ein-mal 100 Unternehmen viel zu eng. Die Einbeziehung desBundesgremiengesetzes ist wiederum richtig; es fehltaber eine Vorgabe zur geschlechtergerechten Besetzungvon Führungspositionen.
Frau Kollegin, die Redezeit!
Sie haben aber Glück; denn wir Grüne haben wieder
einmal an alles gedacht. – Das Einzige, was wir nicht ge-
nug haben, ist Redezeit. – Wir werden Ihnen in der
nächsten Woche unseren Gesetzentwurf zur Frauenquote
vorstellen, von dem Sie dann ja noch einiges überneh-
men können.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Keul. – Nächster Redner
in der Debatte ist Dr. Stephan Harbarth für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Keul, dasvon Ihnen angesprochene Problem hat eine tiefere Ursa-che: Sie haben als Grüne genug Redezeit; Sie haben nurnicht genug Stimmen. Deshalb haben Sie hier nicht län-ger sprechen können.
Wir freuen uns, dass wir heute über einen ganz her-vorragenden Bundeshaushalt diskutieren können. Vielefinanzielle Aspekte sind bereits angesprochen worden.Zu einer Haushaltsdebatte gehört aber auch, dass dieRechts- und Verbraucherschutzpolitik in einem breiterenSinne aufgegriffen wird. Wir haben in der Großen Koali-tion schon viele Projekte in guter Zusammenarbeit mitden sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen aufden Weg gebracht. Einige Projekte sind schon umge-setzt. Das, was noch aussteht, werden wir in dieser Le-gislaturperiode gut abarbeiten.Das gilt etwa – Frau Kollegin Högl, ich komme aufdas zurück, was Frau Winkelmeier-Becker bereits ausge-führt hatte – für das Thema Mietpreisbremse. Es wirdeine Mietpreisbremse geben. Für uns ist allerdings wich-tig, dass sie in die richtige Richtung wirkt. KollegeClaus hat heute gesagt: Links wirkt. –
Das will ich gar nicht in Abrede stellen; aber meistens istdie Wirkung so, dass die Kennziffern, die hoch sein soll-ten, niedrig sind, und die, die niedrig sein sollten, hochsind. So stellen wir uns das nicht vor. Wir wollen eineMietpreisbremse, über die man nicht sagt: Was ist dabloß angerichtet worden?In einem sind wir uns einig: Im Kern geht es nicht umdie Einführung einer Mietpreisbremse, sondern darum,dass Wohnraum in Deutschland bezahlbar bleibt. DamitWohnraum in Deutschland bezahlbar bleibt, werden wirregulatorische Eingriffe vornehmen. Damit Wohnraumin Deutschland bezahlbar bleibt, müssen aber auch dierichtigen Weichenstellungen vorgenommen werden, unddie besten Weichenstellungen sind immer die, die Neu-bauaktivitäten und die Sanierung von alten Gebäudenbegünstigen und ermöglichen.
Dazu gehört auch eine intelligente Stadt-Land-Politik.Es ist kein Zustand, dass in einzelnen Städten die Miet-preise explodieren und gleichzeitig 30 oder 40 Kilome-ter weiter die vorhandene Wohnsubstanz verrottet undzugrunde geht. Wenn dann beispielsweise der stellvertre-tende baden-württembergische Ministerpräsident HerrSchmid von der SPD erklärt, es sei nicht schlimm, wennim Schwarzwald einzelne Täler zuwachsen,
dann hat das natürlich unmittelbare Auswirkungen aufdieses Thema. Freiburg im Breisgau etwa ist eine derStädte in Deutschland mit den höchsten Mieten. Es istkein Zukunftskonzept, zu sagen: Wir lassen dieSchwarzwaldtäler zuwachsen. Die Menschen sollen rausaus den ländlichen Räumen, und dann müssen wirschauen, wie wir die Entwicklung in den großen Städtenhinbekommen. – Ich bin der Meinung, wir brauchen einePolitik, die die ländlichen Räume so stärkt, dass die dort
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Dr. Stephan Harbarth
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vorhandene Bausubstanz aus ökologischen Gründen,aber auch aus volkswirtschaftlichen Gründen auch zu-künftig genutzt werden kann.
Wir haben viele Themen, über die man heute ausgie-big diskutieren könnte. Viele Themen sind schon ange-sprochen worden. Ich will ein Thema kurz anreißen, dasin der Debatte bisher keine Beachtung gefunden hat. Dasist das Thema der Europäischen Privatgesellschaft. Da-mit sind wir in der letzten Legislaturperiode leider nichtso vorangekommen, wie ich mir das gewünscht habe.Ich hoffe, dass wir das in dieser Legislaturperiode bessermachen. Ich glaube, wir sind in diesem Haus größten-teils der Auffassung, dass wir eine Europa-GmbH fürunsere mittelständischen Betriebe brauchen. Dem Kon-zept, das die Kommission jetzt zur sogenannten Einper-sonengesellschaft vorgelegt hat, können wir uns nichtanschließen. Umso wichtiger ist es aber, dass wir endlichbei der Europäischen Privatgesellschaft vorankommen,damit wir nicht eines Tages seitens der EuropäischenUnion mit Konsequenzen konfrontiert werden, die wirnicht haben möchten.Zum Thema „Zwangsprostitution und Menschenhan-del“ möchte ich nur eine persönliche Bitte an den Minis-ter richten: Machen Sie dieses Thema zu Ihrem ThemaNummer eins hinsichtlich der Geschwindigkeit, in derÄnderungen herbeigeführt werden. Wenn wir uns vorAugen führen, dass es in Europa 900 000 Zwangsprosti-tuierte gibt – so lautet die geschätzte Zahl –, dann kön-nen wir uns, glaube ich, ein bisschen ausmalen, wie vielLeid das für Menschen jeden einzelnen Tag bedeutet,auch in Deutschland. Das ist aus meiner Sicht wirklichein Projekt, bei dem es darauf ankommt, früh zu han-deln, weil an jedem einzelnen Tag im Grunde eine mo-derne Form der Sklaverei in diesem Land praktiziertwird. Da müssen wir dringend Abhilfe schaffen. LassenSie uns nicht nur eine gute Lösung finden, sondern las-sen Sie uns auch möglichst rasch eine gute Lösung fin-den – im Interesse der Menschenwürde der betroffenenPersonen.
Das Thema TTIP ist angesprochen worden. Auchdazu einige Bemerkungen: Ich würde mir wünschen,dass eine Debatte über TTIP, in der man berechtigter-weise irgendwann auch über Genmais, Fracking, Chlor-hühnchen und anderes sprechen kann, mit der großenChance beginnt, die ein solches Freihandelsabkommenzwischen Europa und Amerika für dieses Land und die-sen Kontinent darstellt. Das ist eine epochale Herausfor-derung, der wir uns im Interesse nachfolgender Genera-tionen und im Interesse der Arbeitsplätze stellen müssen.Wenn wir über Europa diskutieren, dann sagen wir im-mer: Wir dürfen über Europa nicht auf der Ebene vonÖlkännchen, Energiesparlampen und dergleichen disku-tieren. Ich habe wirklich die große Bitte an Sie: Disku-tieren Sie auch über TTIP nicht allein auf der Ebene vonFracking, von Genmais und von Chlorhühnchen, son-dern betten Sie es in einen größeren Kontext ein! Dashat, glaube ich, dieses epochale Werk verdient.
Ich komme auf die Punkte zurück, die Sie, Frau Keul,angesprochen haben. Ich glaube, es ist ganz gut, dass wirheute die Rechtspolitik insgesamt beleuchten. Es ist aberauch gut, wenn wir uns vergegenwärtigen, wie die Ar-beit im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzläuft. Dazu muss ich Ihnen im Namen meiner FraktionFolgendes sagen: Die Art und Weise des Umgangs, denEinzelne aus Ihrer Fraktion – das ist kein Vorwurf an diegesamte Fraktion – mit dem Generalbundesanwalt prak-tiziert haben, ist skandalös und inakzeptabel. Es ist völ-lig legitim, einem Generalbundesanwalt Fragen zu stel-len und mit einem Generalbundesanwalt eine sachlicheDiskussion zu führen. Darum ging es aber nicht, sondernes ging schon im Vorfeld der Vorladung des Generalbun-desanwalts vor den Rechtsausschuss darum, eine Hexen-jagd auf ihn zu eröffnen. Herr Ströbele hat erklärt, manmüsse sich den Generalbundesanwalt zur Brust nehmen.Das ist nicht unser Verständnis von einem unabhängigenErmittlungsverfahren in diesem Land.
Ich darf Ihnen vorlesen, was Ihre Kollegin Hönlingerin der letzten Legislaturperiode hier im Bundestag er-klärt hat – Zitat –:Insbesondere das einzelfallbezogene Weisungsrechtder Politik gegenüber der Staatsanwaltschaft sollteabgeschafft werden.
Es darf nicht sein, dass aus politischen Gründen Er-mittlungen gegen einzelne Personen blockiert oderforciert werden können.
Dazu kann ich in der Tat nur sagen: Hört! Hört!Es ist völlig in Ordnung, dass man Diskussionenführt. Wenn Sie sich gegen eine Einflussnahme der Poli-tik auf Staatsanwälte in allen Fällen wenden, ist es abernicht in Ordnung, dass die Grünen-Bundestagsfraktiondie einzige Instanz sein soll, die in der Lage ist, dem Ge-neralbundesanwalt in diesem Land zu erklären, was ergefälligst zu tun und zu lassen hat. So wird es nicht funk-tionieren. Ich möchte Sie wirklich bitten, diese Verhal-tensweisen Einzelner in ihrer Fraktion zu stoppen undnicht zur Blaupause für zukünftige Aktionen zu machen.Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Nächste Rednerin in der De-batte ist Elvira Drobinski-Weiß. – Ich wünsche Ihnennoch einen schönen Tag.
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber auch
liebe Zuhörerinnen und Zuschauer auf den Tribünen!
Verbraucherpolitik, Verbraucherschutz ist tatsächlich im
Justizministerium angekommen. Man sieht das auch
oben auf der Anzeigetafel. Bei unserer letzten Debatte
hat das noch gefehlt.
Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-
schutz hat hier bereits etliche Initiativen genannt. Dafür
bin ich Ihnen, Herr Minister, sehr dankbar. Das Budget
ist kleiner geworden, was natürlich auch damit zu tun
hat, dass knapp 26 Millionen Euro aus dem Bereich des
Einzelplanes 10 des Ministeriums für Ernährung und
Landwirtschaft in den Einzelplan 07 des Ministeriums
für Justiz und den Verbraucherschutz lediglich wechsel-
ten. Hier ist also – Portokasse hin oder her – die Grund-
lage gegeben. Ich denke, dass sich das, was hier schon
auf den Weg gebracht worden ist, sehen lassen kann.
Dennoch bräuchten wir sehr viel mehr. Wir müssen
der zunehmenden Bedeutung des wirtschaftlichen Ver-
braucherschutzes, der in diesen Einzelplan fällt, sehr viel
stärker gerecht werden. Ein Großteil des Geldes ist noch
für Zuschüsse an die Vertretungen der Verbraucher und
die Stiftung Warentest sowie für die Information der
Verbraucherinnen und Verbraucher gebunden. Daran
wollen wir auch nicht rütteln.
In einer zunehmend komplexeren Welt wächst die
Unsicherheit der Konsumenten in vielen Bereichen des
täglichen Lebens. Dem müssen und dem wollen wir ent-
gegenwirken. Unsere Forderung, ausgewählte Verbrau-
cherzentralen in den Bereichen „Finanzen“ und „digitale
Welt“ – das wurde hier unter dem Stichwort „Markt-
wächter“ heute schon mehrfach angesprochen – zu stär-
ken, konnten wir im Koalitionsvertrag verankern. Sie
sollen zukünftig Verbraucherbeschwerden in diesen Be-
reichen systematisch erfassen, Missstände an die zustän-
dige Aufsicht melden und dabei helfen, die Rechte der
Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn nötig, auch
rechtlich durchzusetzen.
Aber wie so oft, für Verbesserungen genügen gute
Ideen und Konzepte allein nicht. Nötig ist auch Geld.
Deshalb ist es in meinen Augen besonders erfreulich,
dass es gelungen ist, bereits im Haushaltsplan für dieses
Jahr für das Projekt der Finanzmarktwächter die benö-
tigte Anschubfinanzierung bereitzustellen. Auch hier
sage ich Dank an den Haushälter der SPD-Fraktion,
Dennis Rohde. Er geht aber auch an die Kolleginnen und
Kollegen aus den anderen Fraktionen.
Ebenfalls auf unser Drängen hin im Koalitionsvertrag
verankert und bereits im Haushalt 2014 manifestiert ist
der Sachverständigenrat für Verbraucherfragen. Sechs
Planstellen werden noch in diesem Jahr geschaffen. Herr
Dr. Lindner, lassen Sie diesen Sachverständigenrat sich
erst einmal etablieren, bevor Sie ihn kritisieren. Ich
denke, er soll erst einmal seine Arbeit aufnehmen.
Er ist die Voraussetzung dafür, dass Experten und Wis-
senschaftler möglichst zeitnah die Situation der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher begutachten und auch die
Bundesregierung bei ihrer Arbeit beraten können. Au-
ßerdem soll der Sachverständigenrat auch Vorschläge
zur Forschungsförderung erarbeiten. Das ist, wie ich
finde, ein guter Anfang. Doch wir werden darauf achten,
dass diese guten Projekte im Haushalt 2015 und in den
folgenden Jahren verstetigt und erweitert werden.
Wir brauchen 2015 weitere Mittel für einen Markt-
wächter, der sich um die digitale Welt kümmert. In die-
sem sich unübersichtlich und schnell entwickelnden
Marktbereich müssen wir, denke ich, die Nutzerinnen
und Nutzer – die auch Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sind – wirksam schützen. Parallel dazu und um die
Chancen der Digitalisierung zu nutzen, aber die Verbrau-
cher nicht gleichzeitig gläsern werden zu lassen, müssen
wir mehr Gelder in die Forschung rund um den digitalen
Wandel investieren.
Beispielsweise fördert ja das Bundesministerium für
Bildung und Forschung das „Forum Privatheit – selbst-
bestimmtes Leben in der digitalen Welt“, in dem inter-
disziplinär zu diesen Fragen geforscht wird. Es wäre
doch sicherlich sinnvoll, vonseiten des BMJV einen Fo-
kus darauf zu legen, das vielleicht miteinander zu ma-
chen.
Wichtig ist mir auch noch ein Hinweis auf die euro-
päische Dimension des Verbraucherschutzes. Ich halte es
auch für wichtig, dass wir das Netzwerk der europäi-
schen Verbraucherzentralen im Blick haben. Hier leistet
anerkanntermaßen das Zentrum für Europäischen Ver-
braucherschutz in Kehl – dies liegt an der französischen
Grenze in der Nähe von Straßburg – seit Jahren hervor-
ragende Dienste für Deutschland, aber natürlich auch für
die Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa. Seine
Funktionsfähigkeit, so finde ich, ist durch eine angemes-
sene Finanzierung sicherzustellen.
Eine Möglichkeit, neue Gelder für den Haushalt zu
gewinnen – es stellt sich ja immer die Frage, wie wir et-
was finanzieren –, besteht sicherlich darin, die Einnah-
meseite zu stärken. Wie können wir das? Ein Punkt wäre
vielleicht – auch das ist heute schon einmal angespro-
chen worden – eine bessere Ausstattung des Deutschen
Patent- und Markenamtes, um beispielsweise Bearbei-
tungszeiten zu senken. Ich weiß, dass das angedacht ist.
Ich denke, das hilft nicht nur, unsere Einnahmen zu er-
höhen, sondern es hilft auch unserer Wirtschaft und da-
mit irgendwann auch den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern.
Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Mechthild Heil ist jetzt die nächsteRednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
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3902 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen!Wer einem anderen das Beste wünscht, ist ein guterMensch. Wer das Beste befiehlt, ist ein Tyrann.Ich finde, das ist eine kluge Aussage des früheren Ver-fassungsrichters Paul Kirchhof. Sie charakterisiert nichtnur mein, sondern, ich glaube, unser aller Bild von guterPolitik und vor allem von guter Verbraucherpolitik. Fürmich und für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stehtder eigenverantwortliche und selbstbestimmte Verbrau-cher im Mittelpunkt. Denn der Verbraucher ist kein hilf-loses Wesen, das vor jeder Unbill des Lebens in Schutzgenommen werden will. Was wäre das denn auch füreine Überheblichkeit von uns Politikern! Wir Politikersind nicht die besseren Verbraucher, und wir wissen auchnicht alles besser.Unsere Aufgabe ist es sicher nicht, uns von jedemSkandal und von jedem Medienhype in immer mehr Re-gulierungen drängen zu lassen. Aber wir haben diePflicht und den Willen, für faire Märkte zu sorgen, aufdenen sich die schwarzen Schafe nicht wohlfühlen. Wiegelingt uns das? Wir werden einen unabhängigen und in-terdisziplinär besetzten Sachverständigenrat einsetzen,der uns zu wichtigen Fragen der Verbraucherpolitik be-rät. Verbraucherpolitik muss sich nämlich an der Realitätund den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orien-tieren.Wir brauchen ein gutes Gespür und gute wissen-schaftliche Grundlagen. Wir brauchen belastbare Zahlen,Daten und Fakten. Wo finden wir das? Zum Beispiel beider Stiftung Warentest. Die Zeitschrift der Stiftung Wa-rentest ist Ihnen sicherlich bekannt. Sie bietet denVerbrauchern durch ihre vergleichenden Tests eine un-abhängige und objektive Einschätzung. Diese Unabhän-gigkeit kann die Stiftung nur gewährleisten, weil sie vonuns finanziert wird. Die Stiftung erhält immerhin in die-sem Haushaltsjahr 2014 5,5 Millionen Euro. Wir hattendie Mittel für die Stiftung bereits aufgestockt, damit dieStiftung Warentest auch Finanzdienstleistungen ver-mehrt prüfen und bewerten kann. Denn – die Vorredne-rinnen haben es schon gesagt – insbesondere auf denkomplexen und dynamischen Finanzmärkten brauchendie Verbraucherinnen und Verbraucher zunehmend Orien-tierung.Wir werden auch die Verbraucherzentrale Bundesver-band in diesem Jahr mit immerhin 9,4 Millionen Euroweiter fördern. Darüber hinaus stellen wir weitere2,5 Millionen Euro als Anschubfinanzierung für dieMarktwächterfunktion zur Verfügung. Jetzt sagen dieGrünen, dass das zu wenig ist, aber 25 Prozent obendraufzusatteln, ist nicht wenig. Ich kann da nur sagen:Diese 25 Prozent sind wirklich ein ganz großer Schluckaus der Pulle.
Wenn man überlegt, was die Verbraucherzentralen indem verbleibenden halben oder Vierteljahr, das sie nochhaben, mit dem Geld machen können, stellt man fest: Siekönnen die Informationen, die sie bei ihrer flächende-ckenden Verbraucherberatung erhalten, erstmalig syste-matisch erfassen; das tun sie bislang nicht. Die Daten,die sie auswerten und analysieren, können sie dann auchuns, der Politik, zur Verfügung stellen. Wir bekommenalso neben der BaFin und neben der Stiftung Finanztest,die wir ja schon haben, durch die Finanzwächter einenweiteren hilfreichen – ich will es so sagen – Sensor amFinanzmarkt, der uns anzeigt, wo es Missstände undFehlentwicklungen gibt und wo Handlungsbedarf beste-hen könnte.Damit ich hier wirklich nicht missverstanden werde:Bewerten und einordnen muss es am Ende immer nochdie Politik. Wir müssen handeln. Das ist unsere Verant-wortung. Zu dieser Verantwortung stehen wir. Wir wer-den diese Verantwortung auch nicht auf andere abwäl-zen, zum Beispiel auf die Verbraucherzentralen, undsagen: Übernehmt ihr für uns, die Politik, diese Auf-gabe. – Das ist mit uns nicht zu machen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellenunsere Verbraucherpolitik auf eine wissenschaftlicheund empirisch fundierte Basis. Das ist gut für die Ver-braucherinnen und Verbraucher in unserem Land. Wennunsere Erfahrungen mit dieser neuen Sensorfunktion derVerbraucherzentralen positiv sind, dann werden wirdiese auch auf den Bereich der digitalen Welt ausweiten.Hier sollte eigentlich schon heute die Stiftung Daten-schutz eine wichtige Rolle spielen. Leider ist es mit derUnterstützung der Stiftung Datenschutz nicht weit her.Ich muss ehrlich sagen: Das ist für mich sehr enttäu-schend. Deshalb an dieser Stelle mein Appell an diejeni-gen, die ihren Sitz im Beirat bis jetzt nicht besetzt haben:Besetzen Sie Ihren Sitz! Das gilt nicht nur für die Ver-braucherzentrale. Das gilt genauso für die Datenschutz-beauftragten bei Bund und Ländern und auch für einigeKollegen in diesem Haus. Datenschutz ist viel zu wich-tig. Nehmen Sie Ihre Verantwortung an, und entsendenSie Ihre Vertreter in diesen Beirat! Ich hoffe, dass wirgemeinsam für mehr Aufklärung im Umgang mit unse-ren eigenen sensiblen persönlichen Daten sorgen wer-den. Wer nämlich auf der einen Seite für Marktbeobach-ter und Wächter ist und sie installieren will, der kannsich auf der anderen Seite doch wirklich nicht aus derBildung und der Aufklärung im Hinblick auf seine eige-nen sensiblen persönlichen Daten zurückziehen.Im Koalitionsvertrag haben wir die Weichen für eineWeiterentwicklung der Verbraucherpolitik richtig ge-stellt. Aber nicht für jedes verbraucherpolitische Vorha-ben brauchen wir zwangsläufig Haushaltsmittel oderneue Gesetze; Herr Maas, Sie haben darauf hingewiesen.Manchmal reicht es auch, die Wirtschaft an ihre Verant-wortung oder die Verbraucher an ihre große Marktmachtzu erinnern.
Das gilt aktuell zum Beispiel für die Handydiebstahl-sperren, für die ich eintrete. Hier halte ich eine Regelungwie die in den USA auch für den europäischen Markt fürabsolut notwendig. In den USA haben sich die großenGerätehersteller verpflichtet, in alle für die USA produ-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014 3903
Mechthild Heil
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zierten Geräte eine Sperrfunktion einzubauen. Mit einereinfachen, individuellen PIN können die Handybesitzerein gestohlenes Gerät sperren und für die Diebe un-brauchbar machen. Das ist eine wirklich gute Idee, die esnachzuahmen gilt.Oder – ein anderes Beispiel – nehmen wir das Bünd-nis für nachhaltige Textilien, das EntwicklungsministerMüller ins Leben gerufen hat. Ohne staatlichen Zwang,einfach nur, weil die Unternehmen die gesellschaftlicheNotwendigkeit erkannt haben, wollen sie sich auf Min-deststandards für nachhaltige Kleidung verpflichten unddiese Standards sukzessive umsetzen.Ein weiteres Beispiel. Wer versteht eigentlich, wasauf den Verpackungen von homöopathischen Mittelndraufsteht? Wohl die allerwenigsten Verbraucher. Wasbei der Kennzeichnung von Lebensmitteln selbstver-ständlich ist, sollte doch auch für homöopathische Mittelgelten. Der Verbraucher muss verstehen können, wasdrin ist, besonders wenn es um seine Gesundheit geht.Deshalb muss Schluss sein mit der Kennzeichnung aufLatein.Was wir den Menschen in den kommenden Jahrenalso bieten, ist eine moderne, wissenschaftlich fundierteVerbraucherpolitik, die eine Brücke zwischen staatli-chem Schutz und Stärkung der Eigenverantwortung je-des Einzelnen schlägt. Wir wissen: Der Staat ist nicht derbessere Verbraucher. Aber wir sind der verlässliche Part-ner für alle Verbraucherinnen und Verbraucher. Wirwünschen ihnen nicht nur das Beste, sondern wir tunauch unser Bestes, um sie zu stärken und zu schützen.Wir laden Sie ein, dabei mitzumachen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist
Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Etat desJustizministeriums ist die in Zahlen ausgedrückte Di-mension unseres Rechtsstaats. Wir haben im Bundestagdie Aufgabe, die Geltung des Rechts zu sichern und dasRecht fortzuentwickeln. Die Aufgabe, die sich uns stellt,ist keine geringe, weil die Funktionsfähigkeit desRechtsstaates nichts anderes ist als die Aufrechterhal-tung unserer Demokratie.Ich glaube, dass wir für die ersten sechs Monate einegute Bilanz ziehen können. Diese Große Koalition hatermutigende und gute Signale für den Rechtsstaat ge-setzt.
Lassen Sie mich drei Punkte nennen, die mir am Her-zen liegen:Der erste betrifft den Schutz unserer Daten. Vor nochnicht allzu langer Zeit ist darüber gesprochen worden,dass jeder Mensch eine Art digitalen Fingerabdruck hin-terlässt und dass die Daten, die von ihm im Internet auf-tauchen, eine Art Profil des Menschen darstellen kön-nen. Wir müssen heute aber davon ausgehen, dass dieWahrheit noch viel tiefgreifender ist. Die digitale Sphäreeines Menschen ist mittlerweile Teil seiner Identität.Wenn die digitalen Daten eines Menschen angegriffenoder missbraucht werden, dann werden auch die Würdeund die Persönlichkeit dieses Menschen angegangen.Deswegen müssen wir uns auf den Weg machen, die In-tegrität der Daten weiter zu schützen und den Daten-schutz voranzutreiben.Ich bin deswegen sehr zuversichtlich, dass wir mit derDatenschutz-Grundverordnung und mit dem IT-Sicher-heitsgesetz einen Meilenstein in diesem Bereich errei-chen werden, sodass der elementare Schutz der Datenweiterhin gewährleistet werden kann.Zweiter Punkt. Wir müssen auch dort handeln, wo dieWürde des Menschen verletzt wird. Das ist im Augen-blick – auch in diesen Stunden – der Fall, wenn Frauendurch Zwangsprostitution und moderne Sklaverei ausge-beutet werden: in den großen Laufhäusern, in den Bor-dellen, auf den Straßenstrichen.
Es sind junge Frauen, vornehmlich aus Südosteuropa,die nach Deutschland kamen, weil sie Hoffnung suchten,und sie haben in diesen Etablissements Verzweiflung ge-funden.Wenn wir wissen, welche Methoden und Mittel not-wendig sind, um diese unhaltbaren Zustände zu beseiti-gen, dann hat der Staat die Verpflichtung, schnell zu han-deln. Wir müssen die Gesetze jetzt voranbringen, dennwenn wir weiter zögern, dann müssen wir uns auch fürunser Zögern rechtfertigen.
Die Maßnahmen liegen doch auf dem Tisch: Es gehtum die Freierstrafbarkeit bei Zwangsprostituierten, esgeht um die Erlaubnispflicht bei Bordellen, es geht umdie Abschaffung des eingeschränkten Weisungsrechts, esgeht möglicherweise auch um Gesundheitsuntersuchun-gen, und letzten Endes geht es auch um Verbesserungenim Aufenthaltsrecht und darum, den Opferschutz voran-zubringen. Ich glaube, vor dem Hintergrund diesermenschlichen Schicksale sind wir es allen schuldig, jetztzu handeln und nicht weiter zu zögern.Einen dritten Punkt, der mir am Herzen liegt, möchteich ansprechen. Es geht um die Geltung des Rechts unddie Frage, wie sehr der Staat dem eigenen Rechtsan-spruch auch zukünftig Geltung verschaffen möchte. Ichmeine, wir sollten auch in dieser Debatte betonen: Esgibt keine Alternative zum staatlichen Gewaltmonopol,und es darf auch keine geben. Das staatliche Gewaltmo-nopol ist eine der wesentlichen Stützen einer freiheitli-chen und demokratischen Grundordnung.
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3904 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Dr. Volker Ullrich
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Deswegen muss es uns betroffen machen, wenn wirDinge wie einen mutmaßlichen Lynchmord in Neuen-burg vor etwa einer Woche beobachten. Deswegen musses uns betroffen machen, wenn es in Deutschland mitt-lerweile Berichte über die Existenz einer Paralleljustizgibt, über Bereiche in unserem Land, wo das Recht nichtin der Ausführlichkeit gilt, wie es eigentlich geltenmüsste. Dementsprechend müssen wir in den nächstenJahren dieses Phänomen einer Paralleljustiz in den Griffbekommen, weil der Rechtsstaat nur funktionieren kann,wenn er unteilbar und universell ist.Da wir vorhin von Lynchmord gesprochen haben, las-sen Sie mich auch über eine mögliche Reform der Straf-barkeit bei Tötungsdelikten sprechen. Es ist richtig, eineKommission einzusetzen. Aber diese Kommission darfeines nicht verändern: Für uns ist der Wert des menschli-chen Lebens absolut und unabänderlich. Deswegen darfjemand, der einen anderen Menschen tötet, im Grundsatznach wie vor nur mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraftwerden. Eine Aushöhlung der lebenslangen Freiheits-strafe durch eine Reform lehnen wir ab. Dazu ist dasmenschliche Leben zu kostbar.
Wenn wir über das Funktionieren unseres Rechtsstaa-tes sprechen, dann möchte ich diese Gelegenheit nutzen,all denjenigen Danke zu sagen, die in ihrem alltäglichenEinsatz für den Rechtsstaat stehen und diesen Rechts-staat Tag und Nacht verteidigen und ihm ein Gesicht ge-ben. Ich meine nicht nur die Richter und Staatsanwälte,sondern vor allen Dingen auch unsere Polizisten, die die-sen Rechtsstaat im Schichtdienst 24 Stunden am Tagverkörpern und teilweise unter schwierigen Bedingun-gen diesen Rechtsstaat aufrechterhalten, über den mansagen kann: In Deutschland leben die Menschen sicher. –Das ist ein herzliches Dankeschön wert.
Es ist auch nicht akzeptabel, dass in diesem Zusam-menhang Freiheit und Sicherheit oder Polizeiarbeit undFunktionsfähigkeit des Staates gegeneinander ausge-spielt werden. „Polizeiarbeit oder die Funktionsfähigkeitder Strafrechtspflege sind“, wie Di Fabio schreibt,„keine grundrechtsfeindlichen Selbstzwecke“, vielmehrsind sie Metaphern für unseren Schutz- und Freiheitsan-spruch. Deswegen werden wir auch in den kommendenMonaten darüber sprechen müssen, wie wir Polizeibe-amte, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, die bei ih-ren Einsätzen teilweise beleidigt und tätlich angegangenwerden, besser schützen, weil auch sie uns und unsereFreiheit schützen.
Wir haben mit diesem Haushalt eine Grundlage ge-legt, den Rechtsstaat weiter zu sichern. Aber es bleibtunsere Verpflichtung, bei den aufgezeigten Punktenwachsam zu sein und rasch zu handeln. Ich denke, unserRechtsstaat, so wie er sich zeigt, ist es wert, dass wir unsfür ihn einsetzen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu den Abstimmungen über den
Einzelplan 07, Bundesministerium der Justiz und für
Verbraucherschutz, in der Ausschussfassung. Hierzu
liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 18/1855? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, CDU/CSU
und SPD, bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.
Wir kommen nur zur Abstimmung über den Einzel-
plan 07 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Einzel-
plan 07 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
CDU/CSU und SPD, gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke angenom-
men.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzel-
plan 19, Bundesverfassungsgericht, in der Ausschussfas-
sung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Der Einzelplan ist mit den Stimmen des
gesamten Hauses angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II.17 auf:
Einzelplan 06
Bundesministerium des Innern
Drucksachen 18/1006, 18/1023
Die Berichterstattung zu diesem Haushalt haben
Dr. Reinhard Brandl, Norbert Barthle, Martin Gerster,
Dr. Dietmar Bartsch und Anja Hajduk.
Zu dem Einzelplan liegen ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke sowie ein Änderungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Dr. Dietmar
Bartsch, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etatdes Bundesministeriums des Innern leidet in besondererWeise unter dem Heiligtum der schwarzen Null vonWolfgang Schäuble. Der Etat ist wenig programmlastig,aber sehr personal- und sachlastig. Deswegen fällt es inbesonderer Weise schwer, globale Minderausgaben aus-zuweisen. Da der Innenminister sehr loyal ist, treten hiersehr viele Probleme auf. Die Haushaltspolitik wird hierzu einer innenpolitischen Gefahr.Das Gute ist, dass wir, sowohl die regierungstragen-den Fraktionen als auch die Opposition, während derHaushaltsberatungen noch viele vernünftige Dingedurchsetzen und in diesem Etat einen Aufwuchs realisie-
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ren konnten. Ich will einige positive Punkte ausdrücklichnennen.
Wir haben zum Beispiel die Mittel für die Stiftung fürdas sorbische Volk um 500 000 Euro aufstocken können.Das ist eine sehr vernünftige Entscheidung, sie erfolgtein Zusammenarbeit mit den Landesregierungen vonSachsen und Brandenburg.Wir haben beim THW in den Etatberatungen einendeutlichen Schritt nach vorne gehen können. Das Tech-nische Hilfswerk bekommt zusätzliche Mittel für dieOrtsverbände, für Ausbildung und für Fahrzeuge. Das isteine vernünftige Entscheidung.Ich will zum Bereich der Integration positiv erwähnen– ich komme noch darauf zurück –, dass das Bundesamtfür Migration und Flüchtlinge 300 zusätzliche Stellenbekommen hat. Auch das ist unzweifelhaft eine vernünf-tige Entscheidung.
Trotzdem ist der Etat an wichtigen Stellen chronischunterfinanziert, meine Damen und Herren. Ich will aufeinige Punkte eingehen. Nehmen wir eines der größtenProbleme, vor denen wir insgesamt in Deutschland undEuropa stehen: die weltweiten Flüchtlingsströme aus Sy-rien und dem Mittelmeerraum. Wir alle kennen die Pro-bleme. Der politisch verantwortungsvolle und humani-täre Umgang mit den Sorgen und Nöten dieserinzwischen Millionen Flüchtlinge ist eine Riesenheraus-forderung. Ich erinnere an die beeindruckende Rede – je-denfalls hat sie mich beeindruckt – von Navid Kermanianlässlich des 65. Jahrestages des deutschen Grundge-setzes. Er hat uns allen ins Stammbuch geschrieben:Deutschland … hat genügend Ressourcen, politischVerfolgte zu schützen, statt die Verantwortung aufdie sogenannten Drittstaaten abzuwälzen.
Und es sollte aus wohlverstandenem Eigeninteresseanderen Menschen eine faire Chance geben, sichum die Einwanderung legal zu bewerben, damit sienicht auf das Asylrecht zurückgreifen müssen.Deshalb kritisieren wir scharf, dass Sie haushaltspoli-tisch für diesen Ansatz keine Grundlagen schaffen,meine Damen und Herren. Es ist viel mehr notwendig.Ich will nur einen Punkt nennen. In Ihrem eigenen Ko-alitionsvertrag versprechen Sie, „mit besonderem Vor-rang … die Verkürzung der Bearbeitungsdauer bei denAsylverfahren“ realisieren zu wollen. „Die Verfahrens-dauer bis zum Erstentscheid soll drei Monate nicht über-steigen.“ Die reale Situation ist aber eine Verfahrens-dauer von derzeit sieben Monaten. Es deutet überhauptnichts darauf hin, dass diese Zeitspanne kürzer wird. Damuss doch viel mehr geschehen. Da müssen Sie in haus-haltspolitischer Hinsicht mehr einstellen. Zur Erfüllungdieser Aufgabe tun Sie viel zu wenig in diesem Haus-halt.
Sie haben im Haushalt zudem keine ausreichenden Vor-kehrungen getroffen, um Ihr Versprechen einzulösen.Stattdessen verringern Sie die Zahl der Antragsverfah-ren, indem Sie die Liste der sicheren Herkunftsländervergrößern.
Das ist nicht im Geist der Rede von Kermani.
In Jordanien und in anderen armen Ländern suchenHunderttausende Menschen Schutz und Geborgenheit.Deutschland verweist auf 10 000 Flüchtlinge aus Syrien.Die Aufnahme von 10 000 Flüchtlingen ist gut, aberletztlich zu wenig. Wir dürfen in diesem Zusammenhangnicht auf andere europäische Länder zeigen, wenn sienoch schlechter sind als wir. Das ist der falsche Weg.Der Bundesminister hat im Berichterstattergespräch da-rauf verwiesen, dass die Risiken, die sich zum Beispielaus der aktuellen Verschärfung der Lage in der Ukraineergeben, im Haushalt in keiner Weise abgebildet sind.Deswegen: Hier muss mehr geschehen. Was geschehenist, ist nicht ausreichend. Es gibt keine Strategie. Was istdie Strategie der Bundesregierung angesichts wachsen-der internationaler Flüchtlingsströme? Wann, bitte, wol-len Sie mit einer verantwortungsvollen und vorausschau-enden Haushaltspolitik in Ihrem Etat beginnen?
Zum Thema Integration. Auch hier will ich zugeste-hen, dass während der Haushaltsberatungen Positivesgeschehen ist, keine Frage. Die Kollegen Berichterstatterhaben einen Beitrag geleistet. Aber hier verhält es sichähnlich: 2013 gab es über 117 000 Teilnehmer in den In-tegrationskursen. Das BMI kalkuliert 2014 und 2015 mitjeweils 140 000 Teilnehmern. Aber die notwendigenMittel werden auch hier durch die Globalen Minderaus-gaben nicht eingestellt. Überhaupt nicht berücksichtigtsind Mittel für die freiwillige Teilnahme an solchen Kur-sen. Trotzdem hat der Innenminister dem Regierungsent-wurf zugestimmt. Das ist letztlich unverantwortlich, weildie entsprechenden Etats unterfinanziert sind. Sie stellensich nicht auf die Herausforderungen der Asylbewerber-politik und der Integrationspolitik ein.Lassen Sie mich einen weiteren Punkt nennen, der dieMenschen in diesem Land sehr bewegt. Das ist dasgroße Thema NSA. Hier ist ausspioniert und abgehörtworden. Wir kennen die ganze Geschichte: HerrFriedrich fährt nach Amerika, und Herr Pofalla erklärtdas Ganze für beendet. Dieser Skandal spiegelt sichüberhaupt nicht wider. Es geht nicht nur um das Handyder Kanzlerin; das ist doch albern. Vielmehr geht es umIndustriespionage, das Ausspionieren von Krankenak-ten und Forschungseinrichtungen; das ist doch der ent-scheidende Punkt. Dazu sage ich ganz klar und deutlich:Da kann man nicht, wie die Kanzlerin sagt, auf die Kraft
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der Argumente setzen. Nein, da muss Flagge gezeigtwerden. Da muss man zum Beispiel die Verhandlungenüber das TTIP aussetzen.
Da muss man vielleicht Personal aus den Botschaftennach Hause schicken. Das wäre der richtige Ansatz. DieNSA steht in einer unsäglichen Tradition. In dieser Wo-che ist bekannt geworden, dass die Westalliierten diePost aus der DDR bis 1989 durchgängig ausspioniert ha-ben; das ist ein Skandal sondergleichen. Das wird fak-tisch einfach fortgesetzt. Sie müssen dafür sorgen, dassdie Bundesrepublik souverän handelt. Die Souveränitätist aktuell im Zusammenhang mit der NSA nicht herge-stellt. Das ist ein Riesenproblem.
Lassen Sie mich einen anderen Punkt ansprechen, dermir sehr wichtig ist. In den Medien wird hin und wiederdie Arbeit von Stiftungen als parteinah diffamiert. Ange-sichts der riesigen Herausforderungen, vor denen wir inbildungspolitischer und meinungspolitischer Hinsichtstehen, sollten wir gemeinsam die Stiftungen, von derHanns-Seidel-Stiftung bis hin zur Rosa-Luxemburg-Stif-tung, ausdrücklich würdigen. Was diese angesichts dergroßen Herausforderungen leisten, finde ich wirklich be-achtenswert. Wir alle wollen informierte, kluge und poli-tisch engagierte Bürgerinnen und Bürger. Deswegensollten wir alle gemeinsam sagen: Jawohl, wir stehen zuden Mitteln für diese Stiftungen. Wir müssen keine ver-schämten Entscheidungen treffen. Wir wollen gemein-sam, dass die Stiftungen ihre Aufgaben sowohl im Aus-land als auch im Inland weiterhin erfüllen.
Insgesamt kann ich nur feststellen: Leider wird derHaushalt den Anforderungen, vor denen wir stehen, inkeiner Weise gerecht. Ich kann das Ziel der schwarzenNull verstehen. Aber das darf nicht dazu führen, dass wirin diesem Etat notwendige Aufgaben nicht mehr realisie-ren. Sonst gefährden wir letztlich die Menschen in unse-rem Land und viele, die zu uns kommen wollen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Reinhard
Brandl, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Der Einzelplan des Bundesministers des Innern sahim Regierungsentwurf einen Ausgabenansatz in Höhevon 5,77 Milliarden Euro vor. Wir haben uns in den par-lamentarischen Beratungen intensiv damit beschäftigtund haben in dieser Phase den Ansatz für die Ausgabenum 128 Millionen Euro auf circa 5,9 Milliarden Euro er-höht. Das hört sich erst einmal viel an, aber das sindkeine Wohltaten, die eine Regierungskoalition einfach soverteilt, sondern das ist die Antwort auf große Heraus-forderungen; die Menschen erwarten zu Recht, dass sichder Staat diesen Herausforderungen stellt und die Pro-bleme als Teil eines guten, verantwortlichen Regierungs-handelns löst.
Ich will exemplarisch vier dieser großen innenpoliti-schen Herausforderungen nennen, die uns in den letztenMonaten in den Haushaltsverhandlungen beschäftigt ha-ben und die sich in dem Ergebnis widerspiegeln.Das ist zum Ersten der Bürgerkrieg in Syrien. In Sy-rien und seinen Nachbarländern spielt sich im Momentdie schlimmste humanitäre Katastrophe der letzten Jahreab. Deutschland hilft in vielfältiger Weise. Das fängt anmit der Unterstützung bei der Vernichtung der syrischenChemiewaffen und geht weiter über die Hilfe in denFlüchtlingslagern vor Ort bis hin zu der Aufnahme vonsyrischen Flüchtlingen in Deutschland.Seit Beginn dieses Konflikts sind etwa 40 000 syri-sche Staatsangehörige nach Deutschland eingereist, da-runter etwa 32 000 Asylbewerber. Jeden Monat kommenetwa 1 700 neu hinzu. Darüber hinaus gibt es mittler-weile drei Sonderprogramme für 20 000 syrische Staats-angehörige, die besonders schutzbedürftig sind, die nichtdas Asylverfahren durchlaufen, sondern sofort und un-mittelbar einen Aufenthaltstitel bekommen. Für denTransport und die Erstbetreuung dieser Gruppe habenwir im parlamentarischen Verfahren 9 Millionen Eurozusätzlich bereitgestellt.Die zweite große Herausforderung im Bereich Migra-tion ist die wachsende Nachfrage nach Integrationskur-sen. Wir haben ein hohes Interesse daran – ich glaube, daspreche ich für alle in diesem Haus –, dass diejenigen,die das Recht haben, bei uns zu bleiben, und die auch beiuns bleiben wollen, sich integrieren. Der Schlüssel fürIntegration ist die Sprache. Das Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge bietet seit Jahren mit großem ErfolgIntegrationskurse an, in denen schwerpunktmäßig diedeutsche Sprache vermittelt wird.Die Nachfrage nach diesen Integrationskursen ist un-gebrochen. Wir hatten 2012 94 000 Teilnehmer, 2013117 000 Teilnehmer, also eine Steigerung um 25 Pro-zent, und laut Prognose gibt es 2014 wiederum eine Stei-gerung um 20 Prozent auf 140 000 Teilnehmer. Das istwirklich eine erfreuliche Entwicklung, insbesondereweil ein immer größerer Teil der Kursteilnehmer freiwil-lig daran teilnimmt, also nicht von einem Amt dazu ver-pflichtet wird. Diese Menschen erklären von sich aus dieBereitschaft, an diesen Kursen teilzunehmen, und doku-mentieren damit den Willen, sich bei uns zu integrierenund die Sprache zu lernen.
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In der Koalition war es uns wichtig, dieser wachsendenNachfrage ein Angebot gegenüberstellen zu können. Al-leine für diesen einen Punkt haben wir zusätzlich40 Millionen Euro im parlamentarischen Verfahren be-reitgestellt.Es gibt aber jenseits von Migration und Flüchtlingennoch andere Herausforderungen im Innenbereich, denenwir begegnen müssen. Ich nenne als dritte Herausforde-rung die IT-Sicherheit und die Spionageabwehr. DieNSA-Affäre und auch die massenhaften Identitätsdieb-stähle, die wir im letzten Jahr haben beobachten müssen,haben uns unsere digitale Verwundbarkeit schmerzhaftvor Augen geführt. Das hat die Wahrnehmung von Fra-gen der IT-Sicherheit verändert. Bürger und Unterneh-men haben heute ein deutlich höheres Bewusstsein fürDatenschutz und Datensicherheit, als sie es noch voretwa einem Jahr hatten.Sie werden aus dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern dabei zum Beispiel durch dasBundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aufvielfältige Weise unterstützt. Ich möchte erwähnen, inwelch hervorragender Weise das BSI zum Beispiel imletzten Jahr zweimal vor millionenfachen Identitäts-diebstählen gewarnt hat, Bürger informiert hat, ob derenE-Mail-Adresse, ihre Identität darunter ist. Da habenviele Menschen überhaupt erst mitbekommen, dass esdieses Amt gibt und welch große Leistungen es in derFläche erbringt.
Meine Damen und Herren, auch das Bewusstsein inder Politik, in der Bundesregierung und in der Verwal-tung hat sich im letzten Jahr verändert. Es ist jetzt jedemklar, dass die Abwehr von Spionage, und zwar insbeson-dere von Spionage über das Internet, kein Thema ist, beidem man sich nur auf ein paar geheim operierende Ver-fassungsschützer oder das BSI verlassen kann. Bundes-verfassungsschutz und BSI machen eine gute Arbeit,aber für eine wirkungsvolle Abwehr ist wirklich jeder inseinem Verantwortungsbereich gefordert.Die Erhöhung der IT-Sicherheit wird mehr Geld kos-ten. Das sehen wir bereits im Haushalt dieses Jahres,werden es aber insbesondere in den nächsten Haushaltensehen. Das Problem im Bereich Kommunikation ist, dassman das Geld, das dort hineinfließt, nicht sieht. Der Nut-zen für den Bürger erhöht sich erst einmal nicht, wenneine Behörde ihre Kommunikation verschlüsselt odereine neue Firewall einbaut. Wenn wir dieses Geld abernicht investieren, dann könnte der Preis, den wir späterzahlen müssen, um ein Vielfaches höher sein,
nämlich durch den Verlust an politischer und technologi-scher nationaler Souveränität. Die aufgedeckten hoch-professionellen Angriffe der letzten Wochen auf dasDeutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und auf eineKollegin hier im Deutschen Bundestag haben uns dieseBedrohung sehr greifbar gemacht und bildhaft vor Au-gen geführt. Der Regierungsentwurf des Haushalts 2014hat hier bereits einen ersten Schwerpunkt; es ist aberschon jetzt absehbar – wir haben in den kommendenWochen dazu Gespräche mit den Berichterstattern –,dass es im nächsten Haushalt eine noch stärkere Rollespielen wird.Meine Damen und Herren, ich möchte abschließendeinen vierten Bereich nennen, der uns in den Haushalts-verhandlungen besonders wichtig war, und zwar den Ka-tastrophenschutz. Der Katastrophenschutz liegt eigent-lich in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen.Die Flut im letzten Jahr hat uns aber vor Augen geführt,dass das Technische Hilfswerk von großer Bedeutungbei der Bewältigung solcher Katastrophen ist. Das giltsowohl im Inland als auch im Ausland; momentan leis-ten die Helfer des Technischen Hilfswerks auf dem Bal-kan große Unterstützung.Das THW ist die einzige Behörde, die zu 99 Prozentvon Ehrenamtlichen getragen wird.
Wenn wir die Ehrenamtlichen nicht hätten und die Leis-tung, die sie erbringen, bezahlen müssten, dann könntenwir diese Unterstützung nicht leisten.
Eine so große Hilfsmannschaft für vergleichsweise sel-tene Einsätze vorzuhalten, wäre praktisch unbezahlbar.Damit die Helfer im Ernstfall dann aber auch handelnkönnen, sind zwei Dinge wichtig: erstens Ausrüstungund zweitens Ausbildung. In beide Bereiche investierenwir im Haushalt für 2014 zusätzlich zum Ansatz derBundesregierung 10 Millionen Euro. Der Großteil davongeht in den Bereich Fahrzeuge. Sie alle wissen aus ihrenWahlkreisen, dass das Alter vieler Fahrzeuge des THWjenseits von 20 Jahren liegt.
Wir investieren aber auch in Führerscheine für die Hel-fer, die immer seltener einen Führerschein für solcheFahrzeuge mitbringen; wir haben die Reform zu denFührerscheinen in den letzten Jahren politisch verfolgt.Wir investieren in Ausbildungsmaterialien für die Orts-verbände.Uns war in der Koalition und auch in den Haushalts-beratungen wichtig, am Anfang der Legislaturperiodeauch einmal ein Zeichen zu setzen: dass wir als Koali-tion, aber, ich denke, auch als ganzes Parlament hinterdem THW stehen,
und diese besondere Wertschätzung auch durch einenAufwuchs zum Ausdruck zu bringen. Ich möchte aberpräventiv allen Kollegen und Freunden des THW schon
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einmal sagen: Wir werden das nicht in jedem Jahr in die-ser Größenordnung schultern können.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Hilfen fürSyrien, Integrationskurse, die IT-Sicherheit und der Ka-tastrophenschutz sind Aufgaben, bei denen die Men-schen erwarten, dass wir uns um sie kümmern. Ichmöchte mich ausdrücklich bei allen Kollegen, auch beidenen des Haushaltsausschusses, die für andere Politik-bereiche Verantwortung tragen, dafür bedanken, dass wirtrotz des engen Spielraums, den wir haben, für diese Be-reiche zusätzlich Geld zur Verfügung stellen konnten. Eswar für uns alle keine leichte Operation. Kollege Bartschhat ja schon eine für uns wichtige Zielvorgabe angespro-chen, nämlich die schwarze Null. Das ist richtig. Wirwollten in diesem Haushalt die Neuverschuldung nichtweiter erhöhen und haben sie auch nicht weiter erhöht.Das heißt, alle Maßnahmen und alle Mehrausgaben,auch die, die ich jetzt gerade beschrieben habe, sind ananderer Stelle gegenfinanziert worden.Meine Damen und Herren, das ist eine große Solidari-tätsleistung, auch der anderen Politikbereiche, für denBereich des BMI, für Maßnahmen, die wir im Sinne ei-nes guten Regierungshandelns leisten müssen.Ich bin jetzt nicht auf alle Punkte, die wir veränderthaben, eingegangen. Es folgen ja noch einige Redner,aber ich möchte als Hauptberichterstatter schon einmalein positives Fazit dieser Haushaltsberatungen ziehen.Ich bedanke mich bei meinen Mitberichterstattern in al-len Fraktionen und beim Ministerium für die gute Zu-sammenarbeit und bitte Sie alle schon jetzt um Zustim-mung zu diesem Haushalt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Anja Hajduk,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Ich möchte in meiner Rede – die Redezeit ist ja etwasbegrenzter – schwerpunktmäßig auf den wichtigen Be-reich Integration eingehen. Was schon gesagt wurde, istrichtig: Es handelt sich bei dem Etat des Innenministersum einen ungeheuer breiten Etat mit sehr vielfältigenAufgaben.Ich möchte etwas zum Thema „Integration und Zu-wanderung“ sagen, weil das in den nächsten Jahren einMegathema für unsere Gesellschaft sein wird. Demogra-fie, Fachkräftesituation, gesellschaftliche Vielfalt: Dassind Herausforderungen, denen wir kompetent begegnenwollen. Ich finde, dass es eine positive Botschaft ist,wenn wir wissen, dass Deutschland heute ein beliebtesZuwanderungsland ist. Das sollte uns freuen und auchAnsporn für uns sein. Ich sage das vor dem Hintergrund,dass ich einen Widerspruch der Großen Koalition andieser Stelle wirklich für dringend auflösungsbedürftighalte –
ich könnte auch sagen: Das geht so wirklich nicht –,nämlich den Widerspruch, dass Sie im KoalitionsvertragAkzente setzen, die Integration wirklich deutlich verbes-sern zu wollen, dann aber bei der Finanzierung diesemAnspruch nicht gerecht werden.Das kann man an drei Stellen bebildern – das ist auchschon erwähnt worden vom Kollegen Bartsch –: DasAngebot an Integrationskursen ist herabgesetzt worden,obwohl es eine zu erwartende deutliche Steigerung beiden Teilnehmerzahlen gibt. Sie wollen auch dort dieQualität verbessern. Dieses Problem haben wir auch beider Migrationsberatung, wo selbst Ihr Haus sagt: Wirrechnen mit einem verstärkten Zulauf wegen der dyna-misch anwachsenden Zahlen. – Auch die Nachfragenach niedrigschwelligen Frauenkursen wurde wesentlichgeringer veranschlagt als im Jahr 2013, sodass ich nurfeststellen kann: Es ist ja ehrenwert, wenn in den Haus-haltsberatungen eine gewisse Ehrlichkeit einzieht. Aberes ist am Ende natürlich nicht ehrenwert, wenn einMinisterium sagen muss: Eigentlich fehlen uns 70 Mil-lionen Euro. – Diese Zahl kommt nicht von mir, sondernvom Minister.Die Lösung des Problems der fehlenden 70 MillionenEuro für die Bereiche, die ich erwähnt habe – ich denkeinsbesondere an die Integrationskurse –, ist zum Teil an-gegangen worden. Man kann sagen: Die Koalition hatdie Finanzierung von knapp 70 Prozent dieser Summe– 40 Millionen Euro für Integrationskurse und, wenn ichden Bereich etwas erweitere, 9 Millionen Euro für denFlüchtlingsbereich – in Angriff genommen. Das machtaber auch deutlich, dass Sie Ihren selbstgesteckten An-sprüchen immer noch nicht gerecht werden, Herr Minis-ter. Das gilt nicht nur für Sie, Herr Minister, sondernauch für die Fraktionen.Ich spreche die Finanzierung der Integrationskursean, weil wir Grünen durchaus wissen, dass es nichtnichts ist, wenn zusätzliche Mittel in Höhe von 40 Mil-lionen Euro bereitgestellt werden müssen. Angesichtsder Tatsache, dass man den Empfängerkreis eigentlichnoch auf Asylantragsteller ausweiten will – das ent-spricht dem Integrationsministerbeschluss –, reicht dieseSumme definitiv nicht aus. Da muss mehr geschehen.Wir haben Ihnen mit einem Antrag, den wir vorgelegthaben, gezeigt, dass man da nicht nur mehr tun sollte,sondern auch mehr tun kann.
Unser Antrag auf Bereitstellung von mehr Integra-tionsmitteln und Schaffung besserer Beratungskapazitä-ten und insbesondere in dem von mir schon erwähntenBereich Frauen, die konventionelle Integrationsangeboteoft nicht annehmen, ist umsetzbar. Eine fast vollständige
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Anja Hajduk
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Gegenfinanzierung über den Etat des Ministers ist mög-lich.Herr Minister, ich gehe einmal fest davon aus, dassSie eine Lücke in der Finanzierung wie die, die Sie demHaushaltsausschuss und den Fraktionen mit diesem Etatvorgelegt haben, beim nächsten Etat nicht wieder prä-sentieren wollen. Wir Grünen begrüßen es, dass es festeZusagen gibt, schrittweise mehr Flüchtlinge aus Syrienaufzunehmen. Wir glauben, es müssen noch mehrFlüchtlinge aufgenommen werden.Das, was vor kurzem auf der Innenministerkonferenzvereinbart wurde – zusätzlich 10 000 syrische Flücht-linge aufzunehmen –, muss in der Kabinettssitzungnächste Woche zu einem Beschluss führen. Da mussnoch mehr Geld fließen. Die 9 Millionen Euro, um dieSie die Flüchtlingshilfe jetzt aufgestockt haben, dienenden Zusagen vom letzten Dezember. Mit diesem Geld istdie bestehende Lücke geschlossen worden. Die auf derjüngsten Innenministerkonferenz gegebene Zusage mussmit finanziellen Mitteln bekräftigt werden.
Das sind wir insbesondere den Flüchtlingen schuldig.Ich möchte ganz kurz etwas zum Bereich Sport sagen.Wir Grünen möchten an dieser Stelle daran erinnern,dass auch die Bundesländer eine Verpflichtung haben,ihre Zusagen zur Finanzierung der Nationalen Anti-Do-ping Agentur zu erfüllen. Von allen Fraktionen muss einentsprechender Appell ausgehen. Dass Länder ihre Zu-sagen nicht erfüllt haben, hat den Minister dazu veran-lasst, das Thema „Jugend trainiert für Olympia“ sozusa-gen in Geiselhaft zu nehmen. Das hat natürlich fürEmpörung gesorgt.Wir finden es gut, dass die Finanzierung von „Jugendtrainiert für Olympia“ für dieses und auch für dasnächste Jahr gesichert ist. Aber es kann nicht sein, dassStreitereien zwischen Bund und Ländern und auch feh-lende Finanzierungszusagen der Länder dazu führen,dass wichtige Aufgaben auf einmal infrage stehen. Daswünschen wir uns anders. Ich habe ein gewisses Ver-ständnis dafür, dass der Minister Druck aufbauen will.Herr Minister, ich erwarte, dass Sie zusammen mit denLändern gute Pakete schnüren. Sie haben uns Grüne daan Ihrer Seite.
Hinsichtlich der Spitzensportförderung sehe ich es so,dass wir da in Vorleistung gegangen sind. Wir haben Sieda mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet; aber das ge-schah nicht voraussetzungslos. Wir erwarten auch imSpitzensport Strukturänderungen, etwa was Fokussie-rungen angeht. Das will ich an dieser Stelle noch einmalbetonen.Ganz zum Schluss noch etwas zum Thema Geheim-dienste. Deren Arbeit ist ja so geheim, dass man darübereigentlich nicht sprechen darf.
Aber bitte nur einen Satz.
Es wird nur ein Satz, Frau Präsidentin. – Ich glaube,
wir müssen die Kontrolle der Geheimdienste so ausfüh-
ren, dass wir in die Gesellschaft das Signal senden: Wir
sind sicher, dass die Geheimdienste nur auf verfassungs-
rechtlich gültigen Grundlagen arbeiten. Ich verweise auf
die Berichterstattung von heute und der vergangenen
Wochen, Herr Minister.
Wir haben da mit Blick auf die sozialen Medien Klar-
heit zu schaffen, was die Geheimdienste angeht. Das ist
eine wichtige Aufgabe. Ich hoffe, dass Sie uns dabei hel-
fen, dass wir das in den entsprechenden Gremien auch
gemeinsam hinbekommen.
Schönen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD spricht jetzt der Kollege
Martin Gerster.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister de Maizière! Wenn man aufdie Uhr schaut, sieht man: Es sind gerade einmal noch125 Minuten bis zum Anpfiff des Spiels Deutschland ge-gen die USA bei der Fußballweltmeisterschaft.
Ich habe heute mehrmals gehört: Du hast 14 MinutenRedezeit. Mach es doch ein bisschen kürzer oder redeschneller!
Aber ich muss sagen, selbst bei großer Sportbegeiste-rung, werte Kolleginnen und Kollegen: Der BMI-Haus-halt ist einfach zu bedeutsam,
als dass wir hier wichtige politische Fragen jetzt demFußball opfern könnten.Zuallererst möchte ich an eine gute Tradition anknüp-fen, nämlich an dieser Stelle Danke zu sagen und eingroßes Lob auszusprechen. Dank an den Hauptberichter-statter für unseren Haushalt, den Kollegen Dr. ReinhardBrandl!
Er hat das hervorragend gemacht. Deswegen an dieserStelle ein herzliches Dankeschön und ein großes Lob!
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Ein Dankeschön natürlich auch an die Kollegen NorbertBarthle, Anja Hajduk und Dietmar Bartsch!Ich glaube, wir hatten sehr gute Beratungen insge-samt. Diese Beratungen waren eigentlich von einem gro-ßen Grundkonsens – den Eindruck hatte ich immer – ge-prägt. Deswegen konnte ich überhaupt nicht verstehen,lieber Dietmar Bartsch, dass im letzten Satz der Redeaufkam, dass dieser Haushalt in keinster Weise den An-forderungen genügt.
– Doch! „In keinster Weise“ wurde gesagt. Ich glaube,das ist überhaupt nicht gerechtfertigt.Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte auch Ihnensowie der Spitze Ihres Hauses und allen Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern für das gute Miteinander Danke sa-gen.
Ich glaube, wir hatten schon von vornherein im über-arbeiteten Regierungsentwurf wichtige Punkte so gere-gelt bekommen und wichtige Weichenstellungen so ge-setzt bekommen, dass wir im Großen und Ganzeneigentlich schon recht zufrieden sein konnten mit dem,was vorgelegt worden ist.Ich will für die SPD-Fraktion die Situation der Bun-despolizei besonders hervorheben. Die Situation wirddeutlich verbessert. Wir haben im Personalbereich eingroßes Paket für die nächsten vier Jahre vor uns, das wirmit diesem Haushalt beginnen. Über 1 300 Planstellenund Stellen bei der Bundespolizei werden gehoben; dasmuss man einmal deutlich sagen. Das ist richtig gut undwird auch in der Bundespolizei wertgeschätzt. Es ist vonunserer Seite auch Ausdruck der Wertschätzung des gro-ßen Engagements in der Bundespolizei für die Sicherheitunseres Landes.
Auch dafür an dieser Stelle ein Dankeschön! Es ist gutund richtig, dass wir das machen und dass wir das jetztangehen.Sicherheit, werte Kolleginnen und Kollegen, ist na-türlich ein sehr bedeutsames Thema im Bereich des Bun-desinnenministeriums, aber auch insgesamt für unsereGesellschaft. Die Herausforderungen wachsen an allenEcken und Enden. Dem wird in diesem Haushalt aber auchRechnung getragen. Das Bundesamt für Sicherheit in derInformationstechnik wird gestärkt; Kollege ReinhardBrandl hat es gesagt. In den Sicherheitsbehörden – abernicht nur dort – wird die IT-Infrastruktur modernisiert.Wir gehen das jetzt an. Wir müssen noch mehr tun, aberwir gehen es jetzt an. Es ist richtig, hier mehr Mittel hin-einzugeben.Der Geschäftsbereich, der Etat des Bundesinnenminis-teriums umfasst aber nicht ausschließlich das Thema Si-cherheit. Es sind viele andere Themen, die wir geradeauch als Haushälter mit im Blick hatten. Ich möchte demKollegen Norbert Barthle und dem Reinhard Brandlnoch einmal ganz herzlich Dankeschön dafür sagen, dasswir gerade in den gesellschaftlich sehr relevanten Berei-chen sehr viele Änderungsanträge auf den Weg bringenund wichtige Weichenstellungen beschließen konnten.Ich will ein paar Punkte nennen.Förderung der politischen Bildung in unserem Land.Wir haben erreicht – das war ein sehr wichtiges An-liegen der SPD-Bundestagsfraktion –, dass es knapp11 Millionen Euro mehr gibt für die Arbeit der Bundes-zentrale für politische Bildung.
Ich will ganz deutlich sagen, dass wir nicht verstandenhaben, dass in den letzten Jahren die Mittel reduziertworden sind. Wir sind der festen Überzeugung, dass wirdie Bundeszentrale für politische Bildung brauchen. Wirsetzen auf die Bundeszentrale. Dort wird gute Arbeit ge-macht.Ich meine, es ist auch gut, dass die Bundeszentralejetzt einmal aus dieser Spirale herauskommt: Wo könnenwir noch kürzen? Wo können wir noch etwas wegneh-men? Welches Programm muss gestoppt werden? Ideenund Kreativität in der politischen Bildung können jetztwieder in die Realität umgesetzt werden. Das ist gut so.Das ist eine große Leistung dieser Großen Koalition, diewir in der SPD-Fraktion besonders honorieren, goutierenund gutheißen.
Politische Bildung beschränkt sich natürlich nichtausschließlich auf die Bundeszentrale für politische Bil-dung. Wir tun noch mehr. Wir haben die „Deutsche Ge-sellschaft“ mit 70 000 Euro mehr ausgestattet. Der Bundleistet einen Beitrag für einen Raum zum Gedenken andas Olympiaattentat von 1972. Wir beteiligen uns hiermit 350 000 Euro. Ich muss sagen, das ist längst überfäl-lig. Es wäre schön gewesen, wenn dieser neue Gedenk-raum schon zum 40. Jahr der Erinnerung an das Olym-piaattentat hätte eröffnet werden können. Jetzt ist es soweit. Ich finde es gut, dass sich der Bund daran beteiligt.
Ich will auch an das anknüpfen, was Dietmar Bartschgesagt hat: Wir sollten bezüglich politischer Bildungsar-beit an die politischen Stiftungen denken. Deswegen istes gut, dass wir in der Großen Koalition die Arbeit derpolitischen Stiftungen mit deutlich mehr Geld versehen.Denn politische Bildung ist letztendlich der Königsweg,um Menschen für unsere Demokratie richtig zu begeis-tern, Extremismus, insbesondere Rechtsextremismus,entgegenzuwirken und die bedrohliche Kluft, die sichzwischen Politik einerseits und vielen Bürgerinnen undBürgern andererseits immer wieder auftut und letztend-lich eine permanente Gefahr bedeutet, vielleicht zuschließen, zumindest aber zu verkleinern. Hier kommtden Trägern der politischen Bildung eine große Verant-wortung zu. Deswegen sprechen wir an dieser Stelle denTrägern der politischen Bildung unseren Dank aus und
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honorieren ihr Engagement mit einem klaren Aufwuchsder Mittel in diesem Bereich.
Gerade die aktuelle Entwicklung in Europa zeigt, wiewichtig es ist, den Menschen die Chancen der europäi-schen Einigung nahezubringen, durch AufklärungÄngste und Skepsis zu überwinden und das politischeEuropa transparenter zu machen. Welches Jahr würdesich besser eignen als dieses? Das Jahr 2014 mit seinenvielen Jubiläen erinnert uns daran, welche Bedeutungein friedliches und solidarisches Europa hat. Ich denkehier an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor100 Jahren. Die Ursache war ein krankhafter Nationalis-mus. Deswegen sage ich an dieser Stelle: Gut, dass wirhier etwas tun.Auch der 25. Jahrestag des Falls der Mauer gehört indiesen Zusammenhang. Der Fall der Mauer ist letztend-lich zustande gekommen durch eine starke Bewegungvon Bürgerinnen und Bürgern. All das zeigt, dass wir aufeinem guten Weg sind. Insgesamt aber müssen wir denBereich der politischen Bildung verstärken, um mehr zuinformieren und die Menschen für ein demokratisches,friedliches und solidarisches Europa zu gewinnen.Auch wenn wir in Deutschland immer noch gegenVorurteile und Intoleranz ankämpfen müssen, auch wennNationalismus, Rassismus, Homophobie und Sexismusnoch lange nicht überwunden sind, werte Kolleginnenund Kollegen, so glaube ich doch, dass wir heute im frei-esten, vielfältigsten und vielleicht auch weltoffenstenDeutschland aller Zeiten leben. Dafür sind wir dankbar.Aber wir müssen permanent daran arbeiten, dass dies sobleibt oder noch besser wird.Beim Stichwort „Weltoffenheit“ bin ich bei einem an-deren Thema, das mir sehr am Herzen liegt – es ist vonden anderen Rednern schon angesprochen worden –:Deutschland und die Europäische Union gleichen imMoment einer Insel des Friedens in einer stürmischenSee regionaler Konflikte. 50 Millionen Menschen sindgegenwärtig auf der Flucht vor Krieg und Unterdrü-ckung.Auch innerhalb der europäischen Staatengemein-schaft sind die wirtschaftlichen Folgen der jüngstenKrise dramatisch und deutlich spürbar. Viele Menschen,die in ihrer ursprünglichen Heimat keine berufliche Per-spektive sehen, richten ihre Hoffnung darauf, sich inDeutschland eine Existenz aufzubauen. Ich sehe uns imSinne der Menschlichkeit in der Pflicht, den verfolgtenMenschen im Rahmen unserer Möglichkeiten auchSchutz und Zuflucht zu bieten. Deswegen war es richtigund notwendig, im Rahmen des Haushaltsverfahrens die9 Millionen Euro für die Syrien-Flüchtlinge bereitzustel-len.Zum Thema Integration, lieber Kollege DietmarBartsch. Wir sind doch mittendrin, hier etwas zu tun.Wir haben die Mittel für die Integrationskurse aufge-stockt. Trotzdem war es ein missverständliches Signalvon der Spitze des Hauses, zunächst einmal den Haus-haltsansatz um 5 Millionen Euro zurückzufahren in demWissen, dass ein hohes Interesse an der Teilnahme an In-tegrationskursen vorhanden ist. Aber man muss natür-lich schon sagen, Herr Minister de Maizière: Sie habenvöllig zu Recht erwartet, dass es zusätzliche Mittel, so-genannte Bildungsmittel, gibt. Insofern gibt es vor die-sem Hintergrund eine gute Erklärung dafür, dass dieserHaushaltsansatz zunächst so aussah. Ich denke, dass wirjetzt insgesamt ganz gut aufgestellt sind mit diesemdeutlichen Aufwuchs, den wir im Rahmen des Haus-haltsverfahrens gemeinsam in der Großen Koalition aufden Weg bringen konnten.300 Stellen zusätzlich für das Bundesamt für Migra-tion und Flüchtlinge – das ist doch was! Da kann mandoch nicht sagen, wir hätten beim Thema Verkürzungder Bearbeitungszeiten für Asylanträge noch nichts ge-tan.
Das ist doch ein richtig großer Aufschlag. Wir haben beiden Beratungen und bei den Berichterstattergesprächengehört, dass mehr Stellen im Moment gar nichts bringenwürden, weil die große Herausforderung jetzt erst ein-mal darin besteht, fachkundiges Personal zu finden,
das die 300 zusätzlichen Stellen besetzen kann; das müs-sen gute Leute sein. Insofern sage ich: Wir sind hier aufeinem guten Weg. Wir müssen noch nachsteuern – ganzklar –, wenn wir das Ziel erreichen wollen, dass einAsylantrag nicht länger als drei Monate Bearbeitungszeitbeansprucht. Aber dafür, dass wir Sozialdemokratinnenund Sozialdemokraten erst ein paar Monate in der Regie-rung dabei sind, kann sich das jedenfalls als erstes Etap-penziel ganz gut sehen lassen.
Ich will gerne etwas zum Thema Technisches Hilfs-werk sagen. Ich glaube, es ist eine große Leistung derGroßen Koalition, dass es uns gelungen ist, für das Tech-nische Hilfswerk 10 Millionen Euro zusätzlich zu mobi-lisieren.
Das drückt unsere Wertschätzung für die Arbeit der vie-len, vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer aus,die für das THW unterwegs sind: als Topbotschafter fürunser Land im Ausland, aber auch als Superbotschafterin unserem Land für gelebte Solidarität, für das Ehren-amt und für die Hilfe am Nächsten, der sich in Not befin-det.
Deswegen glaube ich, dass das eine richtig gute Sacheist.Der Anpfiff in Brasilien rückt näher, Herr deMaizière. Deswegen möchte ich gerne ein paar Sätzezum Sport sagen. Ich finde es gut, Herr de Maizière, dasswir im Bereich des Innern einen Minister haben, dersportbegeistert ist.
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3912 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 43. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. Juni 2014
Martin Gerster
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Ich habe mich gefreut, dass es beim Sport einen Auf-wuchs gibt: 2,7 Millionen Euro netto mehr im Vergleichzum vergangenen Haushaltsjahr, 8 Millionen Euro mehrim Vergleich zum ersten Regierungsentwurf. Ich glaube,das kann sich sehen lassen. Das ist eine gute Botschaftfür den Sport, die größte Bürgerbewegung in unseremLand. Wie der Sport mobilisieren, faszinieren und emo-tionalisieren kann, erleben wir gerade in diesen Tagen.Ich freue mich, dass es bei den zentralen Maßnahmenauf dem Gebiet des Sports ein deutliches Plus gebenwird und dass unter anderem die Grundförderung für dieBundessportfachverbände erhöht wird. Das ist ein rich-tig gutes Signal.Herr de Maizière, ich teile Ihr, wie ich finde, mutigesGrundanliegen: Wir müssen die Sportförderung in unse-rem Land neu denken, wir müssen da auch Strukturver-änderungen vornehmen. Ja, auch ich sage: Natürlichgeht es bei Olympia um Spitzensport; aber Spitzensportgibt es nicht ausschließlich bei Olympia. Wir müssen da-her schon schauen, wie wir der Vielfalt im Sport Rech-nung tragen können.Ich glaube, lieber Norbert Barthle, dass wir im Haus-haltsausschuss einen guten Beschluss gefasst haben: Wirschaffen eine Prozentregelung für den nichtolympischenBereich. Damit unterstützen wir auch den Schachsport.Ich glaube, dieser Beschluss ist eine gute Botschaft imHinblick auf die Vielfalt im deutschen Sport.
Junge Leute lernen Vielfalt insbesondere im Sportkennen, gerade auch bei den Wettbewerben „Jugend trai-niert für Olympia“ und „Jugend trainiert für Paralym-pics“. Deswegen haben wir, lieber Norbert Barthle, alsBaden-Württemberger – die Deutsche Schulsportstiftunghat ihren Sitz in Baden-Württemberg – aus Überzeugunggesagt: Auch wenn es in den Bundesländern Problemebei der Finanzierung der NADA gibt, können wir nichtzulassen, dass die Kinder und Jugendlichen und diesetollen Wettbewerbe letztendlich darunter leiden. Ichglaube, wir haben einen guten Kompromiss gefunden,um die Wettbewerbe zu sichern.Wir haben eine gute Grundlage geschaffen und kön-nen sagen: Dieses Zahlenwerk der politischen Entschei-dungen für 2014 ist uns insgesamt gelungen; es ist einegute Geschichte. Ich bin optimistisch, dass wir in denHaushaltsberatungen für 2015, die ja schon bald wiederbeginnen – nach dem Spiel ist vor dem Spiel, nach demHaushalt ist vor dem Haushalt – wieder gut zusammen-arbeiten werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Ich möchte mit Blick auf den Beginndes heutigen Fußballspiels sagen: Wenn jetzt jeder derRedner noch einen letzten Satz von ungefähr einer Mi-nute einleitet, dann wird das etwas schwierig. Wir habenvereinbarte Redezeiten. Im gegenseitigen Interesse wärees schön,
– Herr Dr. Bartsch, für Sie gab es auch eine großzügigeRegelung –
wenn sich jetzt alle an die vereinbarte Redezeit hielten.
Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort Bundes-minister Dr. Thomas de Maizière. Bitte schön.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Präsidentin Schmidt! Liebe Kolleginnen undKollegen! In dem Appell kann ich Sie nur nachhaltig un-terstützen. Ich gebe mir Mühe, mich an die Redezeit zuhalten.Ich möchte mit einem Dank beginnen, der sich an dieBerichterstatter richtet, insbesondere an den Hauptbe-richterstatter. Das Klima im Haushaltsausschuss bei denBeratungen insgesamt war vertrauensvoll, offen undsachlich. Das ist gut. Da auch diese Debatte hier so ge-führt wird, will ich den Zuschauerinnen und Zuschauernsagen: Glauben Sie nicht, dass es hier immer so zugeht.Hier fliegen auch manchmal die Fetzen.
Ich glaube, unserer Materie tut es gut, wenn wir uns aufdie Sache konzentrieren und vernünftig miteinander um-gehen.Ob öffentliche Sicherheit, IT-Politik mit all ihren Fa-cetten, Migration oder Integration: So unterschiedlichdiese Bereiche, die beim Innenministerium angesiedeltsind, scheinen mögen, drei Dinge haben sie gemeinsam:Erstens. Sie entscheiden maßgeblich darüber, ob dieMenschen gerne in unserem Land leben, ob sie sicherund frei hier leben können und wie der gesellschaftlicheZusammenhalt in unserem Land ist.Zweitens. Nahezu alle innenpolitischen Themen sindheute in großem Maße durch internationale Entwicklun-gen geprägt. Eine klassische Innenpolitik, die gedanklichan der deutschen Staatsgrenze endet, gibt es längst nichtmehr. Antiterrorkampf, sogar Einbruchsdiebstahl – ichkomme gleich darauf zu sprechen –, Internet, Daten-schutz, Zuwanderung, Integration, Vorratsdatenspeiche-rung, Asyl, Sport, ja sogar das Dienstrecht: Alles dasgeht inzwischen nur noch mit Blick auf unsere europäi-sche und internationale Einbindung.Drittens. Das Tempo, in dem sich heute innenpoliti-sche Themen verändern, ist atemberauend. Ich bilde mirein, das beurteilen zu können; denn ich habe zum zwei-ten Mal das gleiche Amt inne und kann so mitbekom-men, was sich alles in welchem Tempo verändert hat undnicht gleich geblieben ist.
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Wie rasant dieser Wandel ist, das zeigt sich zum Bei-spiel bei der Frage: Wie wollen wir mit dem Internet um-gehen? Unser Aufgabenportfolio reicht hier von der IT-Sicherheit über den Datenschutz, den Wirtschaftsschutz,die Bekämpfung von Cyberkriminalität und Cyberspio-nage, die Regelung neuer rechtlicher Fragen bis hin zumgesellschaftlichen Diskurs, ob und wie sich unsere Ge-sellschaft mit und durch die Nutzung des Internets ver-ändert.Sicherheit, Schutz und Vertrauen sind heute im Inter-net Wettbewerbsfaktoren. Vertrauen ist eine Währung imInternetzeitalter geworden. Wir arbeiten daran. HerrBartsch, es ist völlig falsch, dass es in Bezug auf dasThema NSA keine Konsequenzen gegeben hätte. Wirwerden darüber die gesamten vier Jahre diskutieren. Esgibt nur einen Unterschied: Sie fixieren sich auf dasThema NSA, und wir fixieren uns auf das Thema Schutzder Bürger, egal ob die NSA oder sonst jemand auf Da-ten zugreift.
Wir werden ein IT-Sicherheitsgesetz vorlegen, dasRahmenbedingungen für den sicheren Betrieb von kriti-schen Infrastrukturen und unserer IT-Systeme beinhaltet,auch mit Blick – Frau Hajduk hat in der ersten Lesungdarüber gesprochen – auf die IT-Netze des Bundes. Ichsage ganz vorsichtig, weil es heute eine Agenturmeldungdazu gibt: Auch mit Blick auf die Sicherheit des Betrie-bes der Netze des Bundes haben wir – in Anführungsstri-chen – „nur“ eine Verpflichtungsermächtigung vorgese-hen. Wir werden darüber in den nächsten Jahren redenmüssen. Auch das ist ein Beitrag zur Sicherheit, in demFall zur Sicherheit unserer eigenen Kommunikation.Ein weiterer Schwerpunkt unserer Arbeit ist natürlichder Bereich Integration und Migration. Vieles hat sich inden letzten Jahren getan. Wir brauchen Fachkräfte ausdem Ausland, und sie kommen gerne. Deutschland istheute ein modernes Einwanderungsland.Der Sachverständigenrat hat uns bescheinigt, dasssich die Gesetzeslage, so unübersichtlich sie inzwischenvielleicht sein mag, in Europa und der Welt sehen lassenkann. Er rät von Änderungen ab. Er rät sogar von derEinführung irgendwelcher Bluecardsysteme ab. Er sagt:Der rechtliche Standard ist inzwischen gut. – Das istauch ein Ergebnis der letzten Legislaturperiode.Wir sehen viele Integrationserfolge. Ihre Anzahlnimmt zu, und die Erfolge werden sichtbar. Dennochgibt es Defizite. Wenn sich Bildungserfolge nicht oderzu wenig auf die kommenden Generation erstrecken,wenn der Bildungsstand von in Deutschland geborenenKindern mit Migrationshintergrund immer noch deutlichunter dem Durchschnitt gleichaltriger Einheimischerliegt, wenn einzelne Migrantengruppen signifikantschlechter integriert sind als andere bei im Übrigen glei-chen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, dann zeigtdas, dass wir noch viel zu tun haben, insbesondere imBereich der Bildung.Nun ist das nicht die Hauptaufgabe des Bundes. Mankönnte sogar kritisch fragen, ob die Finanzierung der In-tegrationskurse eine Aufgabe des Bundes sein muss.Aber sie ist es. Wir bekennen uns dazu. Als Sprachkursehaben sie begonnen. Inzwischen sind sie ein wesentli-ches Element der Integration. Ich bin dankbar, dass derHaushaltsausschuss das Finanzproblem gelöst hat. Wirhatten, wie Sie, Frau Hajduk, wissen, eine andere Lö-sung angedacht; Herr Gerster hat das dankenswerter-weise erwähnt. Das war keine bewusste Unterveran-schlagung nach dem Motto: Hoffentlich hilft uns derHaushaltsausschuss. – Das war anders geplant. Aus Zeit-gründen will ich das nicht vertiefen. Die gefundene Lö-sung ist gut. 2014 können alle erwarteten 140 000 neuenKursteilnehmer beim Spracherwerb unterstützt werden.Die Auswirkungen neuer Entwicklungen sind damit al-lerdings nicht zu finanzieren; auch das gehört zur Wahr-heit dazu.Nun ein Wort zu den Flüchtlingen; auch Herr Bartschhat das Thema angesprochen. Die Zahl der Asylbewer-ber ist im letzten Jahr um etwa 70 Prozent gestiegen. Wirhatten etwa 140 000 Asylerstanträge und Asylfolgean-träge. In diesem Jahr werden insgesamt voraussichtlichum die 200 000 Anträge gestellt, je nachdem, wie dieEntwicklungen – zum Beispiel die Entwicklungen in derUkraine, im Irak oder besorgniserregende Entwicklun-gen in anderen Ländern – weitergehen.Ich möchte an dieser Stelle noch etwas sagen, was indieser Debatte bisher keine Rolle gespielt hat. Ichmöchte den Kommunen und den Ordnungsdezernenten,die mühsam Gebäude suchen müssen und sich vor Ortgemeinsam mit den Abgeordneten gegen irgendwelcheRechtsextremisten, die das alles nicht haben wollen,wehren müssen, meinen Dank aussprechen. Die Kom-munen bemühen sich und kümmern sich darum, dassdiese Asylbewerber untergebracht werden können.
Wir brauchen ein zügiges und faires Verfahren. Überden Stellenzuwachs, der hiermit zusammenhängt, undüber den Gesetzentwurf ist schon gesprochen worden.Zu den sicheren Herkunftsländern ist schon gestern et-was gesagt worden. Diese Themen will ich nicht vertie-fen. Auch sie gehören aber dazu.Nun ein Wort zu den Flüchtlingen aus Syrien. Wirhatten gestern eine Konferenz von Ministern der G 6– nämlich der Innenminister der sechs größten europäi-schen Staaten – mit dem zuständigen Minister der Verei-nigten Staaten und der zuständigen Kommissarin. Allehaben gesagt: Das, was Deutschland diesbezüglich macht,ist bemerkenswert. Wir haben seit Beginn des Bürger-kriegs bis jetzt 40 000 Flüchtlinge aufgenommen; HerrBrandl hat das schon gesagt. Aufgrund des Bundespro-gramms können noch 10 000 hinzukommen. Das sindweltweit drei Viertel der außerhalb der Region vorhan-denen Aufnahmeplätze. Ich finde, das verdient über-haupt gar keine Kritik, Herr Bartsch, sondern nur Lobund Anerkennung.
Kritik würden andere Staaten verdienen. HerrSteinmeier und ich haben deswegen die Initiative ergrif-
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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fen, um andere europäische Staaten zu ermuntern, zu-mindest ein bisschen mehr zu tun als bisher.
Ich hoffe, das hat Erfolg.Wir wollen die Flüchtlinge nicht nur hierherholen,sondern wir wollen natürlich auch, dass vor Ort etwaspassiert. Deswegen haben wir für die Flüchtlingslager inder Region – das gehört zum Etat des Kollegen Müller –bisher 450 Millionen Euro veranschlagt. Ich finde, wirstellen uns unserer humanitären Verantwortung. Das istgut so, und darauf sind wir stolz.
Es kommt nicht von ungefähr, dass so viele Men-schen nach Deutschland kommen möchten. Ich sprechejetzt gar nicht über das Sozialniveau. Wir reden zurzeitviel über Fußball und Brasilien. Vor zwei Tagen wurdeder brasilianische Fußballer Zé Roberto, der einen deut-schen Pass hat, gefragt, was er jetzt, in Brasilien, aus sei-ner Zeit in Deutschland vermisse. Er antwortete ohne zuzögern: die Sicherheit.Die aktuellen Statistiken belegen: Deutschland ist ei-nes der sichersten Länder der Welt. Auch die Zahlen derPolizeilichen Kriminalstatistik, die ich zusammen mitdem Kollegen Jäger vorgelegt habe, beweisen das. Esgibt – das ist eine geringfügige Senkung – weniger als6 Millionen polizeilich registrierte Straftaten. Bei denStraftaten im Bereich der Gewaltkriminalität und des se-xuellen Missbrauchs gibt es ebenfalls eine Senkung.Es gibt gute Entwicklungen, allerdings auch schlechte.Wir haben darüber schon gesprochen, aber wir müssenmehr darüber reden: Der Anstieg der Wohnungsein-bruchskriminalität ist besorgniserregend. Zwar sind dieZahlen nicht so hoch wie 1993. Da hatten wir etwa230 000 Wohnungseinbrüche. Jetzt sind wir bei ungefähr150 000. Seit sieben, acht Jahren steigen die Zahlen wie-der. Im letzten Jahr gab es einen Anstieg um 5 300 Fälle.Warum interessiert uns das hier? Das ist doch eigent-lich eine Angelegenheit der Länderpolizeien. Einbruch-diebstahl ist sozusagen das Lokalste, was es gibt. –Denkste! Wir haben inzwischen neue Tätertypen. DerAnstieg ist auf international agierende und internationalvernetzte Banden zurückführen, die ihre Straftaten – ent-lang den Autobahnen – geografisch vorbereitet begehen.Es gibt eine Gruppe, die von Balkanstaaten aus gesteuertwird. Weiterhin gibt es Gruppen, die aus der Ukraine,aus Weißrussland, aus der Türkei und aus Georgien he-raus gesteuert werden. Deutsche Banden klauen inFrankreich, und französische Banden klauen in Deutsch-land und in den Niederlanden. Es gibt international ver-netzt agierende Organisationen.Wir – Bund und Länder – haben uns bei der letztenInnenministerkonferenz versprochen, dass wir dagegenvorgehen wollen. Wir sagen den Einbrechern in diesemLand den Kampf an.
Das geht nur langsam. Es dauert ein bisschen; aber wirwollen es tun.Nun kann ich aus Zeitgründen viele weitere Themennicht mehr ansprechen. Auf einen Punkt will ich abernoch eingehen, der von Herrn Bartsch eingeführt wurde.Herr Bartsch hat gesagt, dass das Innenministerium kei-nen Programmhaushalt hat. Auf den ersten Blick stimmtdas. Unser Programm heißt „Freiheit und Sicherheit“.Unser Programm besteht nicht aus Fördermitteln, son-dern es besteht aus Polizisten, Sicherheitsbehörden, ei-ner guten Verwaltung, Ehrenamt, Katastrophenvorsorge,Sport, Schutz der Verfassung, Kampf gegen Extremistenund IT-Sicherheit. Das spiegelt sich auch in unseremHaushalt wider. Deswegen ist er anders zu lesen als an-dere Haushalte, aber von großer Bedeutung für unserLand.
Herr Gerster, ich wollte mit Blick auf den Haushaltauch sagen: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Zehn Se-kunden meiner Redezeit habe ich nicht ausgeschöpft. Ichwünsche den Jungs in Brasilien nachher alles Gute!
Vielen Dank. – Dr. André Hahn, Fraktion Die Linke,
ist der nächste Redner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! HerrMinister de Maizière, es muss den Bürgerinnen und Bür-gern offenbar verborgen geblieben sein, dass Sie ausdem NSA-Skandal die richtigen Lehren gezogen undzum Schutz der Menschen entsprechende Maßnahmeneingeleitet haben. Wir haben davon nichts gesehen.
Ich will aber zunächst etwas zum Sport sagen. Die ge-ringfügige Anhebung im Etat des BMI in Höhe von rund2,7 Millionen Euro bleibt hinter den tatsächlichen Erfor-dernissen und auch hinter dem zurück, was der Ministerursprünglich vollmundig versprochen hat. Der dramati-sche Sanierungsstau bei den Sportstätten wird weiter be-harrlich ignoriert. Der DOSB beziffert diesen Sanie-rungsstau auf 42 Milliarden Euro. Das ist eine Summe,welche die Länder unmöglich allein stemmen können.Daher fordert die Linke die Neuauflage eines bundes-weiten Förderprogramms für Sportstättensanierung. Wirhaben das im Ausschuss zur Abstimmung gestellt; derAntrag wurde von der Koalition leider abgelehnt.Während der ersten Lesung habe ich auch die ge-plante Kürzung der Mittel für die Programme „Jugendtrainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für die Para-lympics“ kritisiert. Das ist hier schon mehrfach ange-sprochen worden. Damals habe ich deutlich gemacht,dass man versucht, finanzielle Streitigkeiten zwischenBund und Ländern auf dem Rücken von Schülerinnenund Schülern auszutragen.Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:Auch wir erwarten von den Bundesländern, dass sie ihreZusagen zur Mitfinanzierung der Nationalen Anti-Do-
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Dr. André Hahn
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pingagentur einhalten. Weiter erwarten wir, dass dieNADA finanziell langfristig so ausgestattet wird, dasssie die ihr übertragenen Aufgaben auch tatsächlich erfül-len kann. Die Hauptverantwortung dafür liegt beimBund. Die jetzt im Haushalt 2014 eingestellten Mittelreichen perspektivisch nicht mehr aus.Aber deshalb darf man doch nicht die Mittel für „Ju-gend trainiert für Olympia“ und „Jugend trainiert für dieParalympics“ kürzen. Linke und Grüne haben im Sport-ausschuss beantragt, die geplante Halbierung der Zu-schüsse für 2014 und die Streichung der Zuschüsse für2015 komplett zurückzunehmen.
Wir haben darauf gedrängt, dass der Schachsport wei-ter unterstützt wird. CDU/CSU und SPD haben dies imSportausschuss abgelehnt. Man stimmt eben in diesemHaus selbst den vernünftigsten Anträgen der Oppositionnicht zu. Erst in der Bereinigungssitzung des Haushalts-ausschusses wurde dies korrigiert. Die Mittel für „Ju-gend trainiert für Olympia“ wurden wieder eingestellt,und der Schachsport wird in Zukunft gefördert. CDU/CSU und SPD stellen dies nun als tolle Leistung dar, ob-wohl die eigenen Minister die Kürzungen im Haushaltzuvor vorgesehen hatten. Beim THW lief es ähnlich ab.Deshalb möchte ich zu diesem Verfahren etwasGrundsätzliches sagen. Wie wäre es denn, wenn in denHaushaltsentwürfen der Regierung endlich von vornhe-rein die tatsächlich benötigten Mittel eingestellt werdenwürden?
Ich bin es einfach leid, dass – wie in den von mir ge-nannten Fällen – immer wieder Streichungen angedrohtund notwendige Anhebungen wider besseres Wissenverweigert werden, in den Beratungen der Fachaus-schüsse die Anträge der Opposition – oft ohne Begrün-dung – abgelehnt werden, die Koalition dann aber imHaushaltausschuss die gleichen Anträge stellt, mit ihrerMehrheit beschließt und das dann als großen Erfolg ver-kauft. Mit solider Haushaltsberatung hat das nichts zutun. Dieser Kinderkram muss endlich aufhören.
Abschließend noch etwas zum Thema Geheim-dienste. Hier sehen wir als Linke in der Tat erheblicheEinsparpotenziale. Wir werden die NSA-Affäre ja nochim Untersuchungsausschuss aufarbeiten. Schon nachden ersten Anhörungen hochrangiger Sachverständigerist deutlich geworden, dass zum Beispiel die Auslands-aktivitäten des BND grundgesetzwidrig erfolgen undkeine rechtliche Grundlage haben. Konsequenzen? Bis-lang Fehlanzeige. Jedenfalls gibt es keine Reduzierungder staatlichen Zuwendungen.Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass derNeubau der BND-Zentrale in Berlin insgesamt mehr als1 Milliarde Euro kosten wird, also doppelt so viel wieursprünglich geplant. Weitere 300 Millionen Euro solleneingesetzt werden, um den Auslandsgeheimdienst tech-nisch aufzurüsten und noch mehr Überwachung zu er-möglichen. Ich sage auch: Wer wie das Bundesamt fürVerfassungsschutz bei der Spionageabwehr so offenkun-dig versagt hat, kann doch nicht ernsthaft damit rechnen,dass die Linke hier einer Mittelerhöhung zustimmenwird.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir brauchen natürlich deutlich mehr Transparenz bei
der Geheimdienstkontrolle. Denn solche Skandale wie
die massenhafte Datenweitergabe des BND an die NSA
müssen öffentlich aufgeklärt werden und nicht nur in ge-
heimen Sitzungen.
Wir werden im Herbst erneut Haushaltsdebatten füh-
ren. Ich sage schon jetzt: Aufstockungen der Mittel für
Soziales, für Bildung, für Kultur und auch für den Sport
werden wir natürlich unterstützen. Das ist ganz klar.
Nicht unterstützen werden wir die Bereitstellung von
Mitteln im größeren Umfang, die dazu dienen, die Aus-
spähung der Bürgerinnen und Bürger weiter auszubauen.
Wir wollen den Schutz der Bürger, Herr de Maizière.
Herr Kollege, kommen Sie jetzt bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Der
Minister hat dafür bisher leider nichts getan.
Herzlichen Dank.
Für die SPD spricht jetzt Michael Hartmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Bundesminister de Maizière, derHaushalt, den Sie zu verantworten haben, ist selten einHaushalt der Nettigkeiten und Gefälligkeiten. In diesemRessort geht es eher um die harten und kompliziertenThemen, die wir gemeinsam mit Ihnen im Innenaus-schuss zu vertreten haben. Umso besser ist es, wenn manbei einem so breit aufgestellten Ressort nicht alleineagiert. Sie haben ja selbst auf die vielen Implikationenund Querschnittsaufgaben hingewiesen.Besonders gut ist, dass wir bereits ein gutes halbesJahr nach Start der Großen Koalition erreicht haben,dass Sie von Bundesjustizminister Heiko Maas und auchvon Aydan Özoğuz, der Staatsministerin im Kanzleramt,partnerschaftlich und mit der nötigen sachlichen Kritik
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Michael Hartmann
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unterstützt werden. Zusammen wird daraus ein Paket,das nicht mehr von Gegnerschaft geprägt ist, sondernvom gemeinsamen Willen, bei der Integration sowie inder Rechts-, Freiheits- und Sicherheitspolitik etwas zubewirken.
Insgesamt 19 Behörden sind Ihrem Bereich nachge-ordnet. Mehr als 50 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter dienen im weitesten Sinne dem Bundesinnenminister.Das ist eine Herkulesaufgabe. Deshalb will ich von die-sem Platz aus allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inden unterschiedlichsten Behörden – ob beim Statisti-schen Bundesamt, beim Bundeskriminalamt, beim Ver-fassungsschutz, beim Bundesamt für Migration undFlüchtlinge und bei allen übrigen Behörden – deutlichsagen: Wir wissen, was Sie für unser Land leisten, wirsind Ihnen dankbar dafür, und wir stehen zu Ihnen, nichtkritikfrei, aber doch mit loyaler Unterstützung für Ihrepflichtgemäße Aufgabenerfüllung.
Besonders zu danken ist denjenigen, die für unsere Si-cherheit zuständig sind. Deshalb war es gut und richtig,dass es unsere Haushälter gemeinsam geschafft haben,insbesondere für die Bundespolizei, bei der ja die Masseder Polizistinnen und Polizisten im mittleren Dienst tätigist, ein Stellenhebungsprogramm auf den Weg zu brin-gen. Das war nicht einfach, auch was die Finanzierungangeht; aber es war nötig. Denn das betrifft jene Polizis-tinnen und Polizisten, die bei Fußballeinsätzen, beiCastortransporten, bei Ereignissen wie dem 1. Mai inBerlin-Kreuzberg oder im Hamburger Schanzenviertelden Rücken und den Kopf für unsere Sicherheit hinhal-ten, ohne zu klagen, und die ohne Ende Überstunden an-sammeln.
Ihnen haben wir zu danken. Dieser Dank wird jetzt end-lich auch in Geld ausgedrückt.
Ich sage an dieser Stelle aber gleichzeitig: Der Bundtut hier seine Pflicht. Wir versuchen auch, den Status undden Stand beim Personal zu halten, so gut es geht. DasGleiche sollten im Interesse einer Sicherheitspartner-schaft bitte auch die Länder tun,
und zwar ganz gleich, ob sie A- oder B-dominiert sind.
Es kann nicht sein, dass die Landespolizei abgebautwird,
man aber erwartet, dass die Bundespolizei als Hilfspoli-zist eingreift, meine Damen und Herren.
Das gibt es in allen Bundesländern. Ich rate uns allen, dasehr vorsichtig zu sein und nicht nur auf die jeweils an-dere Partei zu blicken. Es gibt zu viele Länder, die zusehr bei der Polizei abgebaut haben. Deshalb müssen wiruns als Bundesgesetzgeber vor unsere Truppe, vor dieBundespolizei, stellen.Die Sicherheitsbehörden werden in den nächsten Jah-ren nicht weniger, sondern mehr Aufgaben erhalten: obes um die Terrorbedrohung geht – hier gab es ja besorg-niserregende Meldungen über Menschen, die ausDeutschland in Bürgerkriegsgebiete ausreisen und viel-leicht auch zurückkehren –, ob es – Herr Minister, Siehaben dies völlig zu Recht als Schwerpunkt erwähnt –um die Alltagskriminalität, etwa um Wohnungseinbrü-che, geht, ob es darum geht, dass unsere Stadien vonmanchen Leuten missbraucht werden, um Randale zumachen und sich zu prügeln – richtig wäre es, dort Fuß-ball zu genießen –, oder ob es um den großen, viel zulange unterschätzten Kampf gegen die organisierte Kri-minalität geht.
Bei Rockern, bei der Mafia und im Bereich der Wirt-schaftskriminalität gibt es Gewinnspannen, die unglaub-lich sind. Für das Rechtsempfinden der Bürgerinnen undBürger ist es wichtig, dass auch gegen jene, die in Kuttenauf Motorrädern sitzen – mittlerweile agieren sie ja häu-fig ohne Motorräder –, und gegen jene, die mit weißemKragen kriminelle Handlungen begehen, entschiedenvorgegangen wird, und zwar auch da mit null Toleranz,meine Damen und Herren.
Damit die Sicherheitsbehörden erfolgreich arbeitenkönnen – Herr Hahn, da unterscheiden wir uns in der Tatsehr –, brauchen sie Personal, Technik und internationaleZusammenarbeit. Damit diese internationale Zusam-menarbeit in geordneten Bahnen und korrekt verläuft,müssen wir mit unserem wichtigsten Partner in Sicher-heitsfragen, den USA, wenn nötig harte Gespräche füh-ren. Denn eines ist klar: Wir verteidigen gemeinsameWerte, die USA genauso wie wir. Aber wenn man mitder massenhaften Ausspähung befreundeter Nationenbeginnt, dann stellt man diese Werte natürlich infrage.Auch deshalb werden wir den kritischen Dialog fortset-zen.
Wenn wir aber zugleich wollen, Herr Hahn, dass un-ser Land nicht von den Brosamen, die uns andere geben,abhängig ist, dann gibt es nur eine Antwort: Wir dürfenbei den Sicherheitsbehörden weder Personal noch Tech-nik abbauen, sondern sie müssen besser werden. Siemüssen mehr Geld, mehr Technik und gutes Personal be-kommen, um die Sicherheit unseres Landes zu garantie-ren.
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Michael Hartmann
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Innere Sicherheit bedeutet für diese Koalition, dasswir jetzt und in den nächsten Wochen, Monaten und Jah-ren auch die Aufarbeitung des Skandals um das Wirkendes sogenannten NSU im Auge haben werden. DieseSchande ist noch nicht getilgt. Es ist nicht vergessen,dass Sicherheitsbehörden und Justiz beim Kampf gegendieses Mördertrio, das durch unser Land gezogen ist,versagt haben. Daher werden wir den ohnehin erforderli-chen Umbau unserer Sicherheitsbehörden fortsetzen undforcieren.Wir werden uns genau überlegen, wie sogenannte V-Personen besser und kritischer geführt werden können.In diesem Zusammenhang werden wir in dieser Koali-tion auch das Bundesverfassungsschutzgesetz erheblichreformieren. Wir werden aber auch darauf achten, dassin den Behörden mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeitertätig sind, die über eine interkulturelle Kompetenz verfü-gen.Wir wollen mehr Zusammenarbeit mit der Zivilge-sellschaft, und wir wollen auch mehr Austausch zwi-schen den Sicherheitsbehörden. Nicht Eifersüchteleienund Eitelkeiten dürfen dominieren, sondern alleine dieAntwort auf die Frage, ob unsere Sicherheit im Kampfgegen Nazis gewährleistet wird.
Dazu ist eine andere Haltung nötig. Ich glaube, es istmanchmal schwieriger, an der Haltung zu arbeiten, alsein Gesetz bzw. einen Paragrafen zu verändern, wie wirjetzt ziemlich fraktionsübergreifend, Frau Mihalic, fest-stellen, da wir uns leider wieder mit dem verstorbenenV-Mann „Corelli“ befassen müssen. Die Fragen, die dortgestellt werden müssen, sind für uns – ich glaube, frak-tionsübergreifend – noch lange nicht beantwortet.Wenn ich über Konsequenzen aus dem spreche, waswir durch das Agieren des Mördertrios, genannt NSU,erlebt haben, dann sage ich zugleich auch: Keiner vonuns darf es zulassen, dass Zuwanderer und Flüchtlingeprimär als ein Sicherheitsproblem angesehen werden.Wenn wir die Menschen nur so darstellen und sie gar dif-famieren, dann machen wir die Tür für jene auf, die tat-sächlich Hetze betreiben.
Wenn Dinge nicht stimmen, Auswüchse vorhandensind und Missbrauch stattfindet, muss, darf und wird derStaat reagieren. Zeigen wir aber bitte doch, dass diesesLand bereits seit langem und auch in Zukunft ein Landist, das alle, die zu uns kommen und bereit sind, unsereGesetze und Spielregeln einzuhalten, willkommen heißt.Ich finde es daher gut, dass wir mit der doppelten Staats-bürgerschaft sehr bald ein sehr deutliches gesetzlichesSignal dafür setzen werden.
Herr Minister, meine Damen und Herren, wir werdenauch sehr bald ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Wegbringen. Auch das ist eine Konsequenz nicht nur ausdem NSA-Skandal, sondern auch daraus, dass wir beimSchutz unserer Kommunikationssysteme insgesamt bes-ser werden müssen. Das gilt für die Bürgerinnen undBürger, das gilt für die Einrichtungen des Bundes undder Verwaltung auf allen Ebenen, und das gilt auch fürdie gewerbliche Wirtschaft, die übrigens die größte Da-tenkrake in unserem Land ist; das sind keineswegs dieSicherheitsbehörden.
Wenn wir über dieses IT-Sicherheitsgesetz reden,dann werden wir natürlich darauf achten müssen, dassniemand das Kind mit dem Bade ausschüttet. Das willkeiner von uns. Es ist aber klar, dass auch die Wirtschaftin der Pflicht ist, sorgsam mit Daten umzugehen. Das be-deutet, wir brauchen bei Firewalls und Ähnlichem Stan-dards, die hoch genug sind. Daneben brauchen wir eineMeldepflicht für erfolgte und erfolgreiche Angriffe aufdie IT-Systeme von Wirtschaftsunternehmen.
Sie sehen, wir haben uns in der Innenpolitik viel vor-genommen. Angepfiffen ist bereits. Die erste Halbzeit istnoch nicht vorbei. Ich bin mir sicher, dass wir in der ei-genen Mannschaft, die größer und bunter geworden ist,wie das in der Bundesliga und bei der WM auch der Fallist, fair spielen werden, und wir werden auch mit all je-nen fair spielen, die auf der anderen Seite spielen. DieEinladung dazu besteht; die Themen geben es her. Las-sen Sie uns insgesamt an einer guten Innenpolitik fürDeutschland arbeiten.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht
jetzt Irene Mihalic.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Minister! LiebeKolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Hartmann, Sie habenvorhin die gute Stimmung betont, die wir im Innenaus-schuss hatten und auch jetzt hier in der Debatte erlebt ha-ben. Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt vielleicht füretwas Missstimmung sorge, muss ich leider sagen: NSU,NSA und auch die BKA-Affäre legen den Finger in diegleiche Wunde. Sie stellen nun einmal die Prämissen deraktuellen deutschen Sicherheitsarchitektur grundsätz-lich infrage.
Unsere Sicherheitsbehörden sehen und wissen Dinge,die sie nicht sehen und wissen sollen, Dinge, die sieschlicht nichts angehen. Andererseits analysieren und er-mitteln sie nach Mustern, die sie für die wirklichen Be-drohungen in unserem Land blind machen. Beides, alsodas Ausspähen und das systematische Nichtsehen, pas-
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Irene Mihalic
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siert zur gleichen Zeit am jeweils falschen Ort. Das musssich dringend ändern.
Leider, Herr Minister de Maizière, haben Sie IhrenHaushalt ganz an dieser Grundsatzproblematik vorbeiaufgestellt. So werden wir den Dreh, den wir in der fest-gefahrenen Innenpolitik brauchen, nicht hinbekommen.Man könnte beispielsweise bei den Konsequenzen ausdem NSU-Terror anfangen. Ich erkenne keinen einzigenHaushaltstitel, der diesem Thema wirklich systematischRechnung trägt. Selbst bei den Programmen, die bundes-weit zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützen sol-len, vermeiden Sie es, einen klaren Zweck zu bestim-men. Sie können sich nicht dazu durchringen, zu sagen:Wir fördern konkrete Projekte gegen Rechtsextremismusoder andere Formen gruppenbezogener Menschenfeind-lichkeit. – Nicht nur, dass der vorgesehene Ansatz vielzu niedrig ist, Sie verteilen das wenige Geld auch nochnach dem Gießkannenprinzip ohne jeden Schwerpunkt.Auch ansonsten verzichten Sie auf konkrete Maßnah-men, die sich aufgrund der Erfahrungen zum NSU gera-dezu aufdrängen. Ich will Ihnen noch ein Beispiel nen-nen. Die polizeilichen Ermittlungen damals haben sichin vielen Fällen völlig zu Unrecht auf das Umfeld derOpfer fokussiert. Die Angehörigen fühlten sich vielfachfalsch behandelt und standen den Behörden ihrer Wahr-nehmung nach ohnmächtig und oft sehr hilflos gegen-über. Es gab für sie keine adäquate Möglichkeit, die Vor-würfe gegen sie zu klären.Aber auch Polizistinnen und Polizisten, die ohne hie-rarchisch verordneten Tunnelblick ermitteln wollten,wurden mehrfach durch Anordnungen von oben an ei-nem sachgerechten Vorgehen gehindert. Ich will da dasBeispiel des Thüringer LKA-Präsidenten Werner Jakstatnennen; Sie erinnern sich vielleicht daran. Er hatte 2003mutmaßlich einem jungen Polizisten, der auf einer ganzkonkreten Spur bezüglich Uwe Böhnhardt gewesen war,unmissverständlich den Hinweis gegeben: Fahren Sie ru-hig raus. Ermitteln Sie. Aber bitte kriegen Sie da nichtsraus.Diese Beispiele, die zu Unrecht beschuldigten Opfer-familien und der ausgebremste Polizist, machen es dochüberdeutlich: Wir brauchen im Bund und in den Ländernunabhängige Polizeibeauftragte, die sich solcher Be-schwerden und Hinweise annehmen,
Polizeibeauftragte, die, wo das gewünscht ist, Anonymi-tät zusichern, die Mediation und Anrufungsmöglichkei-ten für Polizisten außerhalb des Dienstweges bieten unddem Parlament durch regelmäßige Berichte einen unver-stellten Blick auf die Polizei ermöglichen. Es kann dochnicht sein, dass die einzige Institution, die Trägerin desstaatlichen Gewaltmonopols im Innern ist, keiner direk-ten parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Genauso wiewir unbestritten einen Wehrbeauftragten brauchen, brau-chen wir endlich einen Polizeibeauftragten für die Bun-despolizei und das BKA.
Auch für den dringend erforderlichen Neustart desVerfassungsschutzes wäre in Ihrem Haushalt ein positi-ves Signal möglich gewesen, aber dazu findet sichnichts. Doch, es findet sich etwas; ich muss mich an die-ser Stelle korrigieren. Eine Sache ist enthalten: Als Be-lohnung für das dramatische Versagen beim Erkennendes NSU und als Belohnung für maximale Intransparenzsowie als Belohnung dafür, dass mit Steuergeldern überNazi-V-Leute rechtsextremistische Strukturen gestärktwurden, erhält das Bundesamt für Verfassungsschutzeinfach einmal 3 Millionen Euro mehr.
Damit lautet Ihre Botschaft: Versagen muss sich wiederlohnen.
Seit heute ahnen wir auch, wofür es diese 3 MillionenEuro zusätzlich gibt, nämlich mutmaßlich für das Aus-spähen sozialer Netzwerke. Da darf der Verfassungs-schutz natürlich dem BND in nichts nachstehen. Aberdie Schwachstelle des Verfassungsschutzes ist ja nicht,dass er nicht gut informiert ist, sondern das, was amEnde mit diesen Informationen passiert. In Sachen In-transparenz stehen Sie, Herr Minister, Ihrer Behördeleider in nichts nach: Wofür die 3 Millionen Euro zusätz-lich vorgesehen sind, haben wir nicht von Ihnen erfah-ren, sondern heute Morgen aus der Zeitung.Das Bundesamt für Verfassungsschutz braucht nichtmehr Geld, sondern in jeder Hinsicht eine völlig neueStruktur. Das zeigt auch der aktuelle Verfassungsschutz-bericht; denn um Zeitungswissen zusammenzutragenund die polizeiliche Kriminalstatistik auszuwerten, brau-chen wir den Verfassungsschutz nicht.
Die Inlandsaufklärung muss völlig neu aufgestellt wer-den und sich dabei den Prinzipien eines demokratischenRechtsstaates unterordnen und darf nicht daran vorbeiein selbstbezogenes Spiel betreiben.
Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, nochvor der Sommerpause des ersten Jahres der 18. Wahl-periode werden wir schon zwei Untersuchungsaus-schüsse haben, die sich jeweils mit dem fragwürdigenAgieren von Polizei und Nachrichtendiensten befassenmüssen. Wenn Ihnen selbst durch diesen Umstand nichtauffällt, dass wir in der Sicherheitsarchitektur diesesLandes große Probleme haben, dann kann ich Ihnenauch nicht helfen.Fakt ist aber, dass Ihr Haushalt unsere Sicherheitsbe-hörden weder transparenter und demokratischer noch ef-fektiver macht. Damit werden Sie Ihrer innenpolitischen
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Irene Mihalic
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Verantwortung nicht gerecht. Daran sollten Sie auf jedenFall beim nächsten Haushaltsentwurf arbeiten. Wir wer-den Sie daran messen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Thomas Strobl ist jetzt der nächste
Redner für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Der Haushalt des Bundesministers des Innern um-fasst eine breite Palette von Themen. Ich möchte zu dreiPunkten etwas sagen: Erstens. Wie können wir Men-schen mit ausländischen Wurzeln noch besser in unse-rem Land integrieren? Zweitens. Was machen wir mitMenschen, die unseren freiheitlich-demokratischen Staatund unsere Art, zu leben, hasserfüllt bekämpfen? ZumDritten möchte ich ein paar Sätze zu dem Thema „digi-tale Revolution“ sagen.Erstens. Der Haushalt des Bundesministers des Innernzeigt deutlich, dass Deutschland ein Integrationsland ge-worden ist. Zahlreiche Menschen kommen aus anderenStaaten der Europäischen Union nach Deutschland, weilsie hier arbeiten, eine Ausbildung machen oder studierenwollen. Im letzten Jahr sind 1,2 Millionen Menschennach Deutschland zugewandert. Nach Abzug der Fortge-zogenen bleibt ein Überschuss von 430 000 Menschen.Das ist der höchste Wert seit über zwei Jahrzehnten.Das zeigt: Deutschland ist ein weltoffenes Land. Da-rüber freuen wir uns.
Wir sind ein Land, das aktiv erhebliche Mittel für dieIntegration der hier lebenden Ausländer aufwendet. Weildie Zuwanderungszahlen so stark gestiegen sind, habenwir in diesen Haushaltsberatungen die Mittel für Integra-tionskurse um 40 Millionen Euro auf nunmehr 244 Millio-nen Euro erhöht. Damit ist sichergestellt, dass grundsätz-lich jede und jeder, die oder der einen Integrationskursbesuchen möchte, dies auch tun kann. Das ist wichtigund richtig,
weil diese Integrationskurse die deutsche Sprache ver-mitteln, Herr Kollege Beck, und ein wichtiger Bausteinunserer insgesamt so erfolgreichen Integrationspolitiksind. Diese Mittel haben wir jetzt abgesichert und stabi-lisiert. Das zeigt deutlich: Diese Koalition aus SPD undCDU/CSU handelt in diesen Fragen.
Aber natürlich müssen wir einräumen: Es gibt immernoch Felder, in denen die Integration besser werdenkann. Wir haben noch nicht den Zustand erreicht, dasswir uns zurücklehnen könnten. Das gilt insbesondere fürden Bildungsbereich und für den Arbeitsmarkt.Junge Menschen mit ausländischen Wurzeln sindzwar besser ausgebildet, als ihre Eltern und Großelternes waren, aber leider haben viele junge Menschen mitausländischen Wurzeln immer noch keinen Berufsab-schluss. Unter den 30- bis 34-Jährigen haben 35 Prozentder Menschen mit Migrationshintergrund keinen Berufs-abschluss. Das ist mehr als das Dreifache der deutschenBevölkerung, bei der es 11 Prozent sind. Das hat Konse-quenzen für den Arbeitsmarkt. Deswegen ist die Arbeits-losigkeit unter Ausländern ungefähr doppelt so hoch wiedie unter den Deutschen. Das hängt unmittelbar mitei-nander zusammen.Wir müssen die Leistungsbereitschaft, die es ja gibt,fordern und fördern. Das ist ein Thema für die Schulen,die Kommunen, die Länder und natürlich auch für denBund. Die beste Integration findet nicht im Arbeitsamt,sondern in der Ausbildung und an den Schulen statt.Deswegen müssen wir in diesen Bereich weiter investie-ren und die Potenziale, die es bei Menschen mit auslän-dischen Wurzeln und insbesondere bei den jungen Men-schen unter ihnen gibt, noch besser fördern.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, ein Phä-nomen aus dem Sicherheitsbereich, das uns seit einigerZeit große Sorgen bereitet. Das sind die aus Syrien zu-rückkehrenden Dschihadisten. Junge Menschen in unse-rem Land radikalisieren sich, reisen nach Syrien, ziehendort in den Bürgerkrieg und kehren schließlich völligverblendet und radikalisiert nach Deutschland zurück.Hier besteht ein erhebliches Gefahrenpotenzial, dem wirfest und entschlossen begegnen müssen. Gegen die Men-schen, die aus Syrien radikalisiert nach Deutschlandheimkehren, müssen wir die schärfsten Mittel desRechtsstaats einsetzen. Wir müssen beispielsweise überEinreiseverbote nachdenken. Denjenigen, die als auslän-dische Kämpfer aus freien Stücken in den Bürgerkriegnach Syrien ziehen und dann zurückkommen, um mit ra-dikalen Methoden unseren Staat zu bekämpfen, müssenwir sagen: Ihr habt das Gastrecht verwirkt. Ihr werdet inZukunft mit einem Einreiseverbot belegt.
Wir müssen des Weiteren über Änderungen im Straf-recht nachdenken, beispielsweise über eine Strafver-schärfung im Hinblick auf die Sympathiewerbung fürterroristische Vereinigungen. Solche Werbung bereitetden Nährboden für terroristische Gewalt. Wir können alsStaat nicht früh genug ansetzen, dies klar zu verurteilenund im Zweifel auch unter Strafe zu stellen.Das dritte Thema, das ich ansprechen möchte, ist derrasante Wandel in der Informationstechnologie, der inWahrheit eine digitale Revolution ist. Wie wir als Ge-sellschaft insgesamt in Bildung und Forschung, in der
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Thomas Strobl
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Erziehung unserer Kinder, in der Wirtschaft und im Ge-sundheitswesen mit diesem Thema umgehen, ist eineSchlüsselfrage nicht nur der nächsten Jahre, sondern des21. Jahrhunderts. Die digitale Revolution entscheidet da-rüber, ob wir als Wirtschaftsnation unseren Wohlstandim 21. Jahrhundert erhalten und ausbauen können. DerRohstoff des 21. Jahrhunderts ist nicht Öl, Gas oderKohle, sondern Daten. Wir dürfen uns nichts vorma-chen: Die Politik, der Gesetzgeber, kann Rahmenbedin-gungen schaffen, die digitale Kompetenz fördern undAnreize für eine sichere IT setzen. Aber Innovation,neue Ideen, Kreativität und Wertschöpfung gehen vonden Menschen, der Wirtschaft und den Tüftlern in einemfreien Land aus. Sie gehen von denjenigen aus, die sichmit diesen Themen befassen und es immer noch ein biss-chen besser machen möchten.Unsere Aufgabe ist, Leitplanken zu setzen. Das ist dieAufgabe des Gesetzgebers und des Parlaments. Wirmüssen den rechtlichen Rahmen mit Bedacht setzen. Wirmüssen die Vernetztheit der Welt im Auge haben. MeinWunsch ist: Lasst uns bei diesem Thema nicht immernur die Risiken und die Probleme, sondern vor allemauch die großen Chancen sehen, die die digitale Welt ge-rade für uns als Wirtschaftsland in Zukunft bietet, unddie Rahmenbedingungen entsprechend gestalten!
Ein ordentliches und nicht übertriebenes Daten-schutzrecht ist ein entscheidender Standortfaktor für diegesamte Europäische Union und sorgt dafür, dass wir alsEuropäer auf dem globalen Markt mithalten können. DieWahrheit ist: Die erste Stufe der digitalen Revolution ha-ben wir weitgehend verschlafen. Dieser Intercity istschon vorbeigefahren. Aber das ist nicht das Ende. Diezweite Stufe kommt. Wir brauchen einen offenenRechtsrahmen, in dem sich die Kreativität, die es in un-serer Wirtschaft durchaus gibt, entwickeln kann.Das heißt, die digitalen Fragen reichen weit über daseigentliche Datenschutzrecht hinaus. Fragen der IT-Si-cherheit, Fragen der Cyberkriminalität, des Breitbandaus-baus haben natürlich ihre eigene Bedeutung. Das Bun-desinnenministerium als Grundsatzministerium ist genaudas richtige Ministerium, um all diese Entwicklungen imBlick zu halten. Deswegen unterstützen wir Sie, HerrBundesinnenminister de Maizière, bei der Erarbeitungeiner digitalen Agenda 4.0 in Ihrem Grundsatzministe-rium, in dem alle Fäden zusammenlaufen sollen. Wirwünschen Ihnen wie auch Ihren Kollegen Gabriel undDobrindt bei der Bewältigung dieser großen Herausfor-derung alles Gute.Das Bundesinnenministerium ist für sehr vieles zu-ständig, unter anderem auch für den Sport. Das ist ver-mutlich die schönste Zuständigkeit, Herr Bundesinnen-minister. Dazu gehört auch die wichtigste Nebensacheder Welt. In 65 Minuten beginnt ein wichtiges Fußball-spiel. Ich darf, glaube ich, im Namen des ganzen Hausessagen: Wir wünschen der deutschen Mannschaft, wirwünschen unseren Jungs einen siegreichen Abend.Danke fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Für die SPD hat jetzt Michaela
Engelmeier-Heite das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Ich habe jetzt die Aufgabe, in vier Minuten einenParforceritt durch den deutschen Sport zu machen. Ichhoffe, es gelingt mir.Heute ist ein guter Tag für den Sport. Ich freue mich,dass es uns gelungen ist, die Sportförderung im Einzel-plan 06 des Bundesministeriums des Innern deutlich auf-zustocken.
2014 stellen wir in diesem Haushalt insgesamt knapp165 Millionen Euro für die Sportförderung zur Verfü-gung. Davon gibt es knapp 140 Millionen Euro für dieFörderung des Spitzensports. Das heißt mehr Mittel fürdie Olympiavorbereitung inklusive der Förderung desdeutschen Olympiateams, das heißt mehr Geld im Hin-blick auf die Olympiastützpunkte und Bundesleistungs-zentren für bessere Rahmenbedingungen vor Ort sowiemehr Unterstützung für den Behindertensport in Höhevon 1 Million Euro. Das ist ein wichtiges Zeichen fürden deutschen Sport; denn für uns ist Inklusion nicht nurein Wort, sondern Inklusion ist ein wichtiges Element imSport, das uns in der SPD-Bundestagsfraktion ganz be-sonders am Herzen liegt.
Darüber hinaus wird die Projektförderung für das In-stitut für Angewandte Trainingswissenschaft, IAT, sowiefür das Institut für Forschung und Entwicklung vonSportgeräten, FES, um 1 Million Euro aufgestockt. Füruns sind das wichtige Partner im Sport. Auch die nicht-olympischen Verbände werden gestärkt, und die Förde-rung des Schachsports bleibt erhalten.Schließlich unterstützen wir mit zusätzlich 1 MillionEuro die Nationale Anti-Doping Agentur, NADA, in ih-rem dringend notwendigen Kampf gegen Doping. Dasist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigund unabhängig finanzierten NADA. Wir werden schär-fere gesetzliche Maßnahmen gegen Doping und Spiel-manipulationen ergreifen. Sport steht für Werte wie Fair-ness und Respekt. Doping zerstört diese Werte, täuschtdie Akteure im Wettkampf, täuscht die Öffentlichkeitund gefährdet die Gesundheit der Sportlerinnen undSportler.Deshalb legen wir noch in diesem Jahr einen Entwurffür ein Antidopinggesetz vor und erfüllen damit einenweiteren Auftrag aus dem Koalitionsvertrag. In Bezugauf die Antidopinggesetzgebung möchte ich mich ganzbesonders bei Innenminister de Maizière, JustizministerMaas und Gesundheitsminister Gröhe für die guteKooperation der drei Ministerien und bei den vielenEngagierten in den Ländern bedanken.
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Michaela Engelmeier-Heite
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Ein Zeichen für gelungene Sportpolitik ist die Fortset-zung der Förderung und damit die Zukunftssicherungder Wettbewerbe „Jugend trainiert für Olympia“ und„Jugend trainiert für Paralympics“. Der Bund wird diefreiwillige Förderung der Schulsportwettbewerbe ab2015 mit 700 000 Euro fortsetzen. Herr Dr. Hahn, nuram Rande: Wir sind nicht beratungsresistent. Wir habenuns für den Sport entschieden und uns entschlossen, für2015 wieder die volle Förderung von 700 000 Euro inden Haushalt einzustellen.
Mein Dank gilt allen Haushältern – Martin Gersterund Norbert Barthle möchte ich nennen –, die uns in derForderung, diese Schulsportwettbewerbe zu retten, un-terstützt haben. Natürlich geht mein Dank auch an dieAG Sport beider Koalitionsfraktionen für die konstruk-tive Zusammenarbeit, übrigens nicht nur in dieser Frage.Die Mittelaufstockungen im Haushalt sind daher einVertrauensvorschuss an den DOSB. Wir vertrauen demorganisierten Sport. Wir werden dem Sport weiterhin alswichtiger Partner mit Rat und Tat zur Seite stehen, wennes um Strukturveränderungen und die Reform der Leis-tungssportförderung geht. Wir zeigen unsere Stärke innachhaltiger Sportpolitik, verstehen uns als aktive Part-ner des Sports und wünschen uns viele neue Talente fürkünftige Paralympische und Olympische Spiele – gerneübrigens auch hier in Deutschland. Gemeinsam sind wirder Förderung des Sports verbunden, und gemeinsamsind wir stark für den Sport.Auch wenn es um die Frage der Vergabe und die Ge-staltung von internationalen sportlichen Großveranstal-tungen geht, gibt es viel für uns zu tun. Ich wünsche mir,dass die Zeitungen, wie im Vorfeld von Sotschi und Rio,nicht nur davon geprägt sind, dass es soziale Missständebeim Stadienbau, Menschenrechtsverletzungen und öko-logische Desaster in den Ausrichtungsländern gibt. Ichwünsche mir, dass die Zeitungen auch davon berichten,mit welcher Freude Menschen Sport betreiben, dabei zu-schauen und, wie aktuell bei der WM, mitfiebern. ImÜbrigen: Die Vergaberichtlinien für Sportgroßveranstal-tungen bedürfen dringend einer Veränderung. Es kannnicht sein, dass alles nur unter dem Motto „Höher,schneller, weiter“ geht und nur noch Geld die Sportweltregiert.
Zum Schluss das heute Wichtigste. Ich wünsche – dasgilt bestimmt für uns alle – unseren Jungs der Fußballna-tionalmannschaft für das Spiel gegen die USA den maxi-malen Erfolg und den Einzug ins Achtelfinale. Sie habenes verdient. Sie haben heute den Auftrag aus dem Deut-schen Bundestag, als eine der wenigen übrig gebliebe-nen europäischen Mannschaften das WM-Turnier jetzteinfach einmal zu gewinnen.Danke.
Vielen Dank. – Eine Anmerkung für die nachfolgen-
den Redner: Wenn die Lampe „Präsident“ aufleuchtet,
zeigt das nicht an, dass ich noch da bin, sondern zeigt,
dass die Redezeit abgelaufen ist.
Das Wort hat jetzt Dr. André Berghegger, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Da-men und Herren! Als – wenn ich richtig gezählt habe –elfter Redner in dieser Debatte wird es sich nicht vermei-den lassen, das eine oder andere Thema noch einmal an-zusprechen. Aber das mache ich bewusst; denn ichglaube, die Themen sind es auf alle Fälle wert.Frei nach Goethes Faust könnte ich sagen: Zwei Her-zen schlagen in meiner Brust; denn als Mitglied des In-nenausschusses und des Haushaltsausschusses habe ichin den letzten Wochen und Monaten unterschiedlicheHerangehensweisen an das eine oder andere Thema fest-gestellt. Aber aus voller Überzeugung werbe ich heuteum die Zustimmung zu diesem Einzelplan. Ich denkenämlich, dass es eine sehr gute Lösung ist, die uns vor-gelegt worden ist.Durch die Haushaltsplanberatungen haben sich nocheinige Änderungen ergeben; wir haben bereits mehrfachdavon gehört. Die Mittel wurden an verschiedenen Stel-len aufgestockt, ohne aber unser übergeordnetes Ziel,nämlich einen ausgeglichenen Haushalt und nächstesJahr einen Haushalt ohne neue Verschuldung, aus denAugen zu verlieren. Deswegen an dieser Stelle Dank anBundesminister Schäuble für die gute Vorarbeit und denRegierungsentwurf, Dank an Sie, Herr de Maizière, fürdie Unterstützung aus Ihrem Haus und Dank an die Kol-leginnen und Kollegen aus dem Haushalts- und dem In-nenausschuss für die vertrauensvollen und konstruktivenBeratungen.Der Etat des Bundesinnenministers wird insgesamtum rund 128 Millionen Euro aufgestockt. Das ist einegute, eine maßvolle Anhebung, vor allen Dingen ist siesehr seriös gegenfinanziert.Ich möchte mich auf zwei Bereiche beschränken, de-ren wiederholte Erwähnung es aus meiner Sicht wert ist.Der erste Bereich ist – ich hatte das Stephan Mayerschon gesagt – das THW. Hier stocken wir die Mittel uminsgesamt 10 Millionen Euro zusätzlich auf. Wir allewissen – ich wiederhole das gerne –: Das Geld ist sehrsinnvoll angelegt. Gut, dass es in diesen Beratungenmöglich war, so zu handeln. Die vielen ehrenamtlichenHelfer leisten einen unschätzbar wertvollen Beitrag füruns und unsere Gesellschaft sowohl im In- als auch imAusland; Kollege Brandl hatte es eben gesagt.
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Dr. André Berghegger
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Die Naturgewalten sind es, die uns immer wieder vorgroße Herausforderungen stellen und natürlich auch Tra-gödien verursachen. Wir alle haben die Bilder der jünge-ren Vergangenheit noch vor Augen – die Stichworte sindauch schon gefallen –: die Hochwasserkatastrophe ak-tuell auf dem Balkan und just vor einem Jahr die Hoch-wasserkatastrophe an der Elbe. Das THW, andere Hilfs-organisationen, die Bundeswehr und viele andere Helferhaben wieder einmal einen bewundernswerten Einsatzgezeigt, Menschen geholfen, Güter gerettet. All daskönnten wir alleine nicht leisten. An dieser Stelle herzli-chen Dank dafür.
In diesem Sinne ist das THW aus meiner Sicht vonunschätzbarem Wert. Aber das THW hat auch einenPreis; dessen müssen wir uns bewusst sein. Ich glaube,aus voller Überzeugung versuchen wir alles, das THWleistungsfähig zu erhalten. Jeder kennt es aus seinemWahlkreis: Wir wollen sehr gerne motivierte Helfer undvor allen Dingen eine gute Ausrüstung. Deswegen binich froh und glücklich, dass wir den Erwerb von Fahr-zeugen und Materialien unterstützen und Verbesserun-gen bei der Aus- und Fortbildung in verschiedenen Be-reichen bei den Ortsvereinen erzielen.
Der zweite Bereich, die IT-Sicherheit. Um insgesamt18 Millionen Euro werden wir in Zukunft die Mittel fürden Ausbau und den Betrieb der Netze des Bundes undweiterer zentraler IT-Infrastrukturen erhöhen. HerrMinister, Sie haben es in Ihrer Keynote Anfang der Wo-che bei einer Konferenz zum Datenschutz und vorhinauch noch einmal angesprochen: Unsere Gesellschaft istnach und nach geprägt von einer digitalen Normalität,von einer digitalen Selbstverständlichkeit. Internet 4.0und Internet der Dinge sind Begriffe, die noch nicht je-der kennt. Aber Tatsache ist auch: Unsere Wirtschaft –Produktion, Dienstleistung und Handel – ist fast voll-ständig auf IT-Strukturen aufgebaut. Auch die kritischenInfrastrukturen, wie zum Beispiel die Energienetze, sinddurch IT-Systeme gesteuert. Das bringt natürlich beimBetrieb und bei der Betreuung ungemein große Vorteile,schafft jedoch gleichzeitig auch neue Risiken. Deswegenist die Sicherheit der Infrastruktur ein hohes Gut und hathohe Bedeutung. Wir müssen das Vertrauen der Men-schen in diese Infrastruktur, auch in die Digitalisierung,erhöhen; denn das bringt am Ende sogar Wettbewerbs-vorteile für unser Land. Ziel muss es sein, die IT-Infra-struktur, die IT-Sicherheit zu verbessern.Durch das Projekt „Netze des Bundes“ sollen lang-fristig gemeinsame Infrastrukturen für die Bundesver-waltung aufgebaut werden. Dabei spielen die Stichworte„moderne Sicherheitsarchitektur“ und „moderne Sicher-heitsstruktur“ eine wichtige Rolle, um möglichen Gefah-ren und Risiken zu begegnen. Auch führende Fachleutewarnen nämlich mehr und mehr vor einer ungebremstenDigitalisierung. Sie, Herr Minister, haben es verstanden,die Risiken im Blick zu behalten, die wir gerade be-schrieben haben, ohne aber die großartigen Möglichkei-ten der Digitalisierung zu vernachlässigen. Das finde ichsehr überzeugend. Insofern ist ein erhöhter Mitteleinsatzsehr wichtig. Durch diesen Beitrag wird die IT-Infra-struktur sicherer, wird Vertrauen geschaffen, und so wer-den die Chancen einer Digitalisierung in den Vorder-grund gestellt. Das ist uneingeschränkt zu begrüßen. Wirunterstützen Sie dabei.
Da sich viele meiner Vorredner schon auf das kom-mende Ereignis bezogen haben, werde ich das auch tun.
Ich habe viel über Digitalisierung gesprochen. Ichmöchte jetzt aber mit einer ganz einfachen analogenFußballweisheit schließen: Das Runde muss in dasEckige, und das möglichst oft.
In diesem Sinne wünsche ich unserer Mannschaft gleichviel Erfolg.Vielen Dank für das freundliche Zuhören.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Oswin Veith,
CDU/CSU-Fraktion.
Ich bin jetzt wohl der Letzte hier heute. Schön, dassSie noch da sind.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich freue mich, heute als Innenpolitiker fürmeine Fraktion im Zuge der Haushaltsberatungen spre-chen zu können. Es ist das erste Mal, dass ich an der Ver-abschiedung eines Haushaltes auf Bundesebene teilneh-men darf. Die letzten fast 20 Berufsjahre habe ich amHessischen Rechnungshof, als Bürgermeister und als Vi-zelandrat und Kämmerer meines Wahlkreises verbrachtund weiß also, wie das ist: Es ist immer das Ringen zwi-schen Haushältern und Fachpolitikern, zwischen mehrGeld für den eigenen Politikbereich und strenger Haus-haltsdisziplin.Diese Haushaltswoche aber markiert eine finanzpoli-tische Zäsur von, wie ich meine, geradezu historischerDimension. Wir durchbrechen mit dem jetzt vorgelegtenHaushalt den seit über 45 Jahren andauernden Schulden-kreislauf, an dem alle Bundesregierungen mehr oder we-niger fröhlich beteiligt waren. Dieser Haushalt ist daherein starkes Signal an die Menschen in unserem Land undvor allem an die junge Generation.
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Oswin Veith
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Natürlich ist der Entwurf ein Kompromiss zwischenunserem innenpolitischen Gestaltungsspielraum und dervom Grundgesetz abverlangten Haushaltsdisziplin. Aberer ist, wie ich finde, ein guter Kompromiss. Ich will denHaushältern der Großen Koalition, insbesondere denKollegen Dr. Brandl und Dr. Berghegger, für die im Vor-feld der heutigen Lesung geleistete Arbeit sehr herzlichdanken.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Deutsch-land ist eines der sichersten Länder. Wir setzen heute dieRahmenbedingungen, die nötig sind, damit es morgennoch sicherer wird. Zwei Drittel der Ausgaben im Innen-ressort entfallen auf die innere Sicherheit, der Großteildavon auf die Arbeit unserer Bundespolizei. Das ist un-ser klares Bekenntnis zur hervorragenden Arbeit unsererSicherheitsbehörden. Wir als Große Koalition stehenhinter den Beamtinnen und Beamten. Ihr Einsatz für dieBürger unseres Landes verdient Anerkennung und Wert-schätzung. Dafür danke ich hier öffentlich sehr herzlich.
Ein Blick auf die Kriminalstatistik zeigt, dass wir aufeinem guten Weg sind. Wir haben es gehört: Die Zahlder Straftaten nimmt kontinuierlich ab, vor allem dieZahl der Straftaten gegen Leib und Leben und die Zah-len der Gewaltkriminalität. Dies zeigt, dass der Trendpositiv ist. Das ist auch das Ergebnis von richtigen poli-tischen Entscheidungen und entschlossenem Handelnunserer Sicherheitsbehörden. Ich sage hier auch: Ohnedie Bemühungen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion derletzten Jahre und ohne die Arbeit unserer Bundesinnen-minister Dr. de Maizière und Dr. Friedrich wäre dieserErfolg nicht möglich gewesen. Auch ihnen gilt an dieserStelle unser besonderer Dank.
Zur inneren Sicherheit gehört auch der Brand- undKatastrophenschutz. Bereits in der Vergangenheit hat dasInnenministerium die Feuerwehren in den Ländern beidieser wichtigen Aufgabe deutlich unterstützt, und eswird dies auch in Zukunft tun. Hinzu kommt die Unter-stützung des Technischen Hilfswerks. Ich freue mich,dass es gelungen ist – wir haben heute schon mehrfachdavon gehört –, den Etat des THW um weitere 10 Mil-lionen Euro auf 190 Millionen Euro zu erhöhen. Das istein gutes Signal an die 80 000 freiwilligen THW-Helferin unserem Land und zugleich, wie ich meine, ein gutesSignal für das gesamte Ehrenamt, das die Sicherheitsar-chitektur in unsere Städten und Gemeinden maßgeblichmitträgt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen Men-schen, die sich legal in Deutschland aufhalten, hier ar-beiten und ihren Beitrag zum Gemeinwesen leisten, beider Integration besser unterstützen. Wir wollen es allenInteressenten ermöglichen, einen Integrationskurs zu be-suchen, dort die deutsche Sprache zu erlernen, um sichmit den Lebensverhältnissen in Deutschland vertrautmachen zu können. Dafür haben wir den Mittelansatzum 40 Millionen Euro erhöht. Wir stellen dem Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge 300 zusätzliche Stel-len zur Verfügung und wollen damit die Zeit der Bear-beitung von Asylanträgen spürbar verkürzen. Hier durchmehr Personal zu einer beschleunigten Bearbeitung derAnträge zu kommen, ist für alle Beteiligten notwendigund auch sinnvoll.Eines gebe ich jedoch gern zu: Die Aufstockung vonPersonal allein kann nur ein Baustein sein, wenn es da-rum geht, der Antragsflut Herr zu werden. Ein andererwichtiger Baustein ist die Anerkennung von Serbien,Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Her-kunftsstaaten. Denn rund 25 Prozent der in Deutschlandgestellten Asylanträge stammen von Bewerbern aus dengenannten Ländern. Obwohl ihre Erfolgsaussichten sehrgering sind – sie liegen im Schnitt bei unter 1 Prozent –,werden sie im Rahmen der bestehenden Quotenregelungzur Unterbringung auf die Kommunen verteilt. Das ver-stärkt die großen Probleme unserer kommunalen Fami-lie, geeignete Unterkünfte bereitzustellen. Das wollenwir ändern. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt vor;aber der Bundesrat muss mitziehen. Mein Appell gehtdaher an alle Landesregierungen, sich auch zum Wohleder Kommunen einzusetzen.
Öffentliche Dienstleistungen haben in Deutschlandeine hohe Qualität. Das ist nur möglich, weil wir einenleistungsfähigen und verlässlichen öffentlichen Dienst inunserem Land haben, auf den wir alle stolz sein können.Wir wollen diesen leistungsbereiten und leistungsstarkenöffentlichen Dienst trotz des demografischen Wandelsund trotz des sich verschärfenden Wettbewerbs mit derWirtschaft weiter zukunftsfähig halten. Einen ersten Bei-trag dazu leistet der Bund in diesem Jahr, indem er denTarifabschluss für die Beschäftigten des öffentlichenDienstes eins zu eins umsetzen wird. Der Gesetzentwurfliegt vor, und das Gesetz wird in Kürze verabschiedet.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich kommezum Schluss. Wir haben es uns mit diesem Haushaltnicht leicht gemacht. Wir wollen den Pfad der Verschul-dung schnellstens verlassen und haben keine Forderun-gen gestellt, die nicht seriös gegenfinanziert sind. Das,meine Damen, meine Herren, unterscheidet uns als Ko-alition von der Opposition,
und das ist auch unsere Verantwortung den Menschen inunserem Land gegenüber. Trotz der knappen finanziellenMittel ist es uns gelungen, in der Innenpolitik auch dies-mal klare politische Akzente zu setzen. Das ist der rich-tige Weg.Vielen Dank. – Uns allen ein spannendes Spiel!
Vielen Dank. – Der Kollege Veith hat es schon er-wähnt; er war der letzte Redner in dieser Debatte.
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Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ich schließe damit die Aussprache.Ehe Sie alle jetzt zum Fußball gehen, haben wir nocheinige Abstimmungen durchzuführen.Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 06– Bundesministerium des Innern – in der Ausschussfas-sung. Hierzu liegen ein Änderungsantrag der FraktionDie Linke sowie ein Änderungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen vor, über die wir zuerst abstim-men.Wer stimmt für den Änderungsantrag der FraktionDie Linke auf Drucksache 18/1856? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Der Änderungsantrag ist mitden Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stim-men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der FraktionBündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Wer stimmt für den Änderungsantrag der FraktionBündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/1857? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-antrag ist mit den Stimmen der KoalitionsfraktionenCDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FraktionDie Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ab-gelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-plan 06 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Einzel-plan 06 ist mit den Stimmen der KoalitionsfraktionenCDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-genommen.Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-nung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Freitag, den 27. Juni 2014, 9 Uhr,ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche allen vielSpaß beim Fußballspiel nachher. – Danke schön.