Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta-gesordnung eintreten, möchte ich Sie bitten, sich von Ih-ren Plätzen zu erheben.
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaligesMitglied Hans Matthöfer, der am 14. November diesesJahres im Alter von 84 Jahren nach langer und schwererKrankheit verstarb. Hans Matthöfer wirkte als Mitglieddes Deutschen Bundestages und als Angehöriger derBundesregierung über viele Jahrzehnte in herausragen-den Ämtern für die Bundesrepublik Deutschland.Hans Matthöfer wurde am 25. September 1925 in Bo-chum als Kind eines Hütten- und Fabrikarbeiters gebo-ren. Nach Volksschule und Beginn einer kaufmänni-schen Lehre durchlebte er als junger Soldat von 1943 bis1945 die Schrecken des Krieges. Nach Rückkehr aus derKriegsgefangenschaft schloss Hans Matthöfer im Juli1946 eine Dolmetscherprüfung sowie anschließend seineLehre als Industriekaufmann erfolgreich ab. Über denzweiten Bildungsweg schloss er das Studium der Wirt-schafts- und Sozialwissenschaften 1953 als Diplomvolks-Ktsnd1TdtFddaefsFubwRedetwirt ab und arbeitete dann bis 1957 in der Abteilung Wirt-schaft beim Vorstand der Industriegewerkschaft Metall.Danach war er bei der Vorläuferorganisation der OECDin Washington und Paris tätig und kehrte 1960 nachFrankfurt zurück, wo er bis Anfang der 70er-Jahre dieAbteilung Bildungswesen beim Vorstand der IG Metallleitete.Seit 1950 engagierte sich Hans Matthöfer in der SPD,deren Bundesvorstand er von 1973 bis 1984 angehörte.Von 1985 bis 1987 war er Schatzmeister der SPD sowiebis 1990 Mitherausgeber des Vorwärts.Hans Matthöfer wurde 1961 in den Deutschen Bun-destag gewählt, dem er ohne Unterbrechung bgehörte. In den 26 Jahren seiner Parlamentskeit gehörte er verschiedenen Ausschüssen a1985/1986 stellvertretender Vorsitzender de
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384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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auf Grundlage der Resolution 1386 undfolgender Resolutionen, zuletzt Resolution1890 des Sicherheitsrates der VereintenNationen– Drucksache 17/39 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
InnenausschussRechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Auf der Ehrentribüne hat eine afghanische Delega-tion Platz genommen. Im Namen aller Kolleginnen undKollegen des Bundestages begrüße ich Sie herzlich. Wirfreuen uns über Ihr Interesse an dem für Sie wie für unsbedeutsamen Tagesordnungspunkt.
Für Ihren Aufenthalt in Deutschland und für Ihr weiteresWirken begleiten Sie unsere besten Wünsche.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wortzunächst dem Bundesminister des AuswärtigenDr. Westerwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Sehr geehrte Damen und Herren aus Afghanistan,die Sie heute diese Debatte mitverfolgen! Wir freuenuns, wie Sie an dem Begrüßungsbeifall gemerkt haben,dass Sie heute als demokratische Repräsentanten unsererDebatte beiwohnen.Wie schwierig und wie gefährlich der Einsatz inAfghanistan ist, davon konnte ich mich erneut in derletzten Woche in Kabul und Masar-i-Scharif überzeugen.Ich kehre mit großem Respekt vor der Leistung derFrauen und Männer zurück, die dort ihre Arbeit tun. Da-rum beginne ich ausdrücklich mit dem Dank an diejeni-gen, die in Afghanistan für Deutschland ihren Diensttun, sei es in Zivil, sei es in Uniform.ssddVsOGlkiGTSuwuJludgmslDuNsDesglFwhMsSaAfmgi
Ich füge hinzu: Dieser Einsatz ist ein schwieriger Ein-atz; das weiß hier jeder. Es ist auch ein politischchwieriger Einsatz, weil ein Auslandseinsatz der Bun-eswehr selbstverständlich getragen werden muss vonem Parlament, von der Gesellschaft, auch von demertrauen unseres Parlamentes und unserer Gesell-chaft. Deswegen füge ich mit großem Nachdruck hinzu:ffenheit, Transparenz und Ehrlichkeit schaffen dierundlage für Vertrauen. Das ist die Regierung dem Par-ament auch schuldig. Ich will das nachdrücklich sagen.
Wir engagieren uns in Afghanistan aus Menschlich-eit, aber vor allem aus unserem ureigenen Sicherheits-nteresse. Afghanistan und das afghanisch-pakistanischerenzgebiet dürfen nicht erneut zum Rückzugsgebiet fürerroristen werden. Damit wir hier in Freiheit undicherheit leben können, auch dafür ist der Einsatz da.Deswegen möchte ich zunächst einmal nachdrücklichnterstreichen: Ja, wir wollen den zivilen Aufbau. Wirollen dafür sorgen, dass ein Aufbau eigener zivilernd Sicherheitsstrukturen in Afghanistan möglich ist.a, wir wollen auch menschlich helfen, aber die mensch-iche Hilfe setzt Sicherheit voraus, und ohne die Frauennd Männer der Bundeswehr gibt es keine Sicherheit füren zivilen Aufbau. Dieser Zusammenhang darf nichteleugnet werden.
Deswegen knüpfe ich an das an, was von dem Außen-inister der letzten Bundesregierung immer wieder ge-agt worden ist: Ein kopfloses Ende des internationa-en Einsatzes in Afghanistan wäre unverantwortlich.adurch würde in dieser explosiven Region der Welt innmittelbarer Nachbarschaft zum Iran und zu denuklearmächten Pakistan und Indien eine Zone der In-tabilität von bisher unbekanntem Ausmaß geschaffen.as können wir nicht zulassen. Hier geht es um unsereigene Sicherheit. Auch deswegen beschließen wir die-en Einsatz.
Sicherheit ist das Schlüsselwort. Ohne Sicherheitibt es in Afghanistan keine wirtschaftliche Entwick-ung, keinen Aufbau demokratischer Institutionen, keinereiheit und keine Gleichberechtigung. Ohne Sicherheiterden in Afghanistan keine Brunnen, keine Kranken-äuser und keine Schulen gebaut, schon gar nicht fürädchen. Sicherheit ist daher das Schlüsselwort für un-eren Einsatz. Darauf konzentrieren wir uns: auf denchutz und die Sicherheit Deutschlands und Europas,uf die Verbesserung der Sicherheit für die Menschen infghanistan, aber auch auf die bestmögliche Sicherheitür deutsches Zivilpersonal und unsere Soldaten. Ihnenüssen wir vor allem die richtige Ausrüstung zur Verfü-ung stellen, und auch darauf wird die Bundesregierunghr Handeln ausrichten.
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Bundesminister Dr. Guido WesterwelleIn der letzten Woche habe ich den Grundstein für eineAußenstelle der Polizeiakademie in Masar-i-Scharif le-gen können. Das ist das ganz praktische Ergebnis unse-rer Strategie. Wer Afghanistan sicherer machen will,muss für mehr afghanische Polizisten sorgen. Der deut-sche Beitrag zur Polizeiausbildung ist beträchtlich undwird nicht nur in Afghanistan, sondern auch internatio-nal hoch geschätzt. Er muss rasch weiter ausgebaut wer-den. Unser Ziel ist eine selbsttragende Sicherheit inAfghanistan, damit eine Übergabe der Verantwortung inVerantwortung erfolgen kann. Wir wollen mit dem Kon-zept der selbsttragenden Sicherheit so weit kommen,dass eine Abzugsperspektive in Sicht gerät. Niemandwill diesen Einsatz bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag,und weil niemand das will – das wissen wir –, mussselbsttragende Sicherheit geschaffen werden. Das stehtim Mittelpunkt unserer politischen Bemühungen.
Das heißt, dass es um den Aufbau der Polizei vor Ortgeht. Dazu werden wichtige Weichenstellungen schonim Januar, mutmaßlich auf einer eigenen Afghanistan-Konferenz, gemeinsam mit unseren internationalen Part-nern vorgenommen werden. Ich möchte nachdrücklichdarauf hinweisen: Über 40 Staaten beteiligen sich an dervom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatiertenMission.Deutschland wird und muss einen seiner wirtschaftli-chen und politischen Bedeutung entsprechenden Beitragdazu leisten. Weil diese Diskussion stattfindet, möchteich noch einmal unterstreichen: Wir setzen das Afgha-nistan-Mandat fort – in der bekannten Zahl. Wir wissen,dass es bei unseren Verbündeten international eine Dis-kussion über Ziele und Strategien gibt. Aber das ist dierichtige Reihenfolge: Erst die Ziele definieren, dann dieStrategie im Bündnis mit unseren Partnern verabreden,und erst dann kann es um die Frage gehen, was das kon-kret für den Einsatz bedeutet. Wenn man sagt, dass mehrSoldaten eingesetzt werden müssen, bevor man die Stra-tegie im Bündnis gemeinsam verabredet hat, ist das diefalsche Reihenfolge. Das sage ich hier mit großemNachdruck.
Der wichtigste Bündnispartner in diesem Einsatz blei-ben die Afghanen selbst. Nicht die internationale Ge-meinschaft fällt Entscheidungen über Afghanistan, son-dern wir helfen, damit Afghanen mit Afghanen über dieZukunft ihres Landes entscheiden können. Das bedeutetauch, dass die Vorstellung, die es gelegentlich noch gibt,wir könnten ein Afghanistan gewissermaßen nach unse-rem westlichen Bilde schaffen, nicht realistisch ist. Auchdas gehört zur Ehrlichkeit dazu.Mit Blick auf die anstehende Afghanistan-Konfe-renz und unser künftiges Engagement bedeutet das fol-gende Zielvorgaben – ich will sie kurz schildern –:Erstens. Wir müssen an eine stärkere afghanischeEigenverantwortung appellieren. Deswegen werdenwir mit dem gewählten Präsidenten Karzai zusammen-arbeiten. Gleichzeitig haben wir unsere Ansprüche anigdaKetdAgdKfsharNKwwaBAmAdwnuOmdfbg
ffen gestanden glaube ich: Wenn ich hier als Außen-inister zum ersten Mal ein solches Mandat einbringe,ann sollten wir der Debatte Genüge tun. Das gilt auchür Zwischenfragen, die nichts anderes zum Zwecke ha-en, als eigene Süppchen zu kochen. Das ist völlig unan-emessen.
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
Sie wissen, dass es längst Entscheidungen gibt. Es istnicht an mir, hier zu diesen Entscheidungen zu sprechen.
– Frau Kollegin Künast, Sie rufen dazwischen. Ich mussSie fragen: Wissen Sie eigentlich, worüber wir hier re-den?
Wir reden darüber, dass Frauen und Männer in Gefahrkommen. Sie sitzen in der ersten Reihe und lesen Zei-tung. Es ist absolut inakzeptabel und würdelos, wie Siedas hier machen.
Ich bitte Sie im Namen der Bundesregierung um IhreZustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandates,damit Deutschland entsprechend seinen wohlverstande-nen eigenen Sicherheitsinteressen handeln kann, damitunser Land ein verantwortungsvoller und verlässlicherBündnispartner bei der Bekämpfung des internationalenTerrorismus bleibt, damit die Stabilisierung Afghanis-tans gelingt und wir die Voraussetzungen für eine verant-wortungsvolle Übergabe schaffen können.Ich würde mir wünschen, dass sich die Damen undHerren aus der Opposition in dieser Stunde ihrer eigenenVerantwortung in diesem Hohen Hause bewusst sind, sowie wir uns in der Opposition bei dieser Frage immerunserer Verantwortung bewusst gewesen sind.Ich danke sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Zunächst aber erhält das Wort der Kollege Johannes
Pflug für die SPD-Fraktion.
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ch frage mich, ob Sie übersehen, was diese Mädchennd Frauen, die uns hier regelmäßig besuchen, einfor-ern. Sie sagen immer: Ihr könnt uns nicht im Stich las-en. Ihr könnt jetzt nicht aus Afghanistan weggehen.
Dennoch führen massive Rückschläge zu zunehmen-er Besorgnis und Ablehnung des deutschen Afghanis-an-Einsatzes in unserer Bevölkerung. Das bedeutet: Wirönnen nicht einfach so weitermachen wie bisher. Denns gibt gewaltige Probleme in Afghanistan. Es gibt eineteigende Zahl von Selbstmordanschlägen. Es gibt einetarke Korruption. Es gibt die Drogenproblematik. Es
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Johannes Pfluggibt aber auch Probleme im Zusammenhang mit unsereneigenen Einsätzen.Herr Minister Jung, Sie werden erwartet haben, dassdies angesprochen wird. Man kann heute nicht einfachso tun, als sei nichts geschehen.
Die Berichte, die es seit letzter Nacht bzw. heute Morgengibt, lassen sehr ernste Befürchtungen aufkommen. Ichsage ganz deutlich: Wenn es richtig ist, was die Medienberichten – Sie schütteln mit dem Kopf; ich bin nicht fürdas verantwortlich, was die Medien berichten;
es steht in der Bild-Zeitung und war heute Morgen imFernsehen zu hören –, dass Sie dem Parlament Informa-tionen gezielt vorenthalten haben,
Informationen nicht gegeben haben, dann ist das mehrals ein ernster Vorgang.
Herr Minister Jung, wenn das richtig ist, dann wird Ih-nen klar sein, dass Sie an einem Untersuchungsaus-schuss nicht vorbeikommen, es sei denn, Sie ziehen vor-her die Konsequenzen.
Heute Morgen wurden im Fernsehen Ausschnitte ei-nes Videofilms gezeigt, und es wurde darüber berichtet,dass ein Bericht der Feldjäger vorgelegen haben soll,den Sie offensichtlich entweder nicht zur Kenntnis be-kommen oder über den Sie das Parlament nicht infor-miert haben. Wenn es stimmt, dass angeordnet wurde,die Zivilpersonen oder meinetwegen auch die Taliban,die sich an dem Platz in Kunduz aufgehalten haben,nicht durch Tiefflüge zu vertreiben – das wurde in derBerichterstattung auch gesagt –, dann ist das ein ver-dammt ernster Vorgang. Ich sage ganz deutlich: Das er-fordert einen Untersuchungsausschuss.
Wir müssen klarstellen: Nach dieser langen Zeit stehtder Einsatz der Bundeswehr natürlich an einem Wende-punkt. Wir müssen uns fragen: Was haben wir in Afgha-nistan bisher erreicht? Was können wir dort noch errei-chen? Welche Dinge sind schiefgelaufen? Herr Ministerzu Guttenberg, ich vertraue darauf, dass Sie das, wie Siegesagt haben, rückhaltlos überprüfen und das Parlamententsprechend unterrichten werden.nDngmglEa–shtthgAldhLiiuSTuszTLtbiktaHesb2APSsDfilskw
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Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung,Dr. zu Guttenberg.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-desminister der Verteidigung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! MeineHerren! Herr Kollege Pflug, ich will gerne Stellung neh-men zu dem geheimen Untersuchungsbericht, überden die Bild-Zeitung heute berichtet. Dieser Bericht warmir zum Zeitpunkt meiner Erklärung zu dem Bericht desISAF-Kommandeurs nicht bekannt. Ich habe ihn jetztzum ersten Mal vorgelegt bekommen.Dieser Bericht wurde – wie andere Berichte und Mel-dungen aus der letzten Legislaturperiode – nicht vorge-legt. Hierfür wurde an maßgeblicher Stelle Verantwor-tung übernommen, und die personellen Konsequenzensind erfolgt.
– Lassen Sie mich bitte ausreden! – Der Generalinspek-teur hat mich gebeten, ihn von seinen Dienstpflichten zuentbinden. Ebenso hat Staatssekretär Wichert Verant-wortung übernommen. – Wenn ich hier hämisches La-chen höre, will ich an dieser Stelle trotzdem beiden fürihren jahrzehntelangen Dienst für unser Land danken,meine Damen und Herren.
Selbstverständlich werden diese Berichte unverzüg-lich ausgewertet
und den Fraktionen zur Einsicht zur Verfügung gestellt.Das versteht sich von selbst, und das ist auch mein Ver-ständnis von Transparenz, was den Umgang mit solchenVorfällen anbelangt.
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ie stellen sich jeden Tag der Gefahr von Verwundungder Tod. Diese Wahrheit gehört zu dem Einsatz ebensoie die, dass in Teilen Afghanistans kriegsähnlicheustände herrschen. Unsere Soldatinnen und Soldatenissen das. Ihre Einschätzung muss für uns ebensoichtig sein wie manche, die wir gelegentlich aus dererne wahrnehmen.Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes bis heute sind6 Soldatinnen und Soldaten gefallen bzw. gestorbennd über 120 wurden verletzt bzw. verwundet. Von da-er, meine Damen und Herren, dürfen wir uns unserentscheidung wie bislang alles andere als leicht machen.nsere Entscheidung hat in dieser Hinsicht größtes Ge-icht. Sie hat mit unserer Verantwortung gegenüber un-eren Soldaten zu tun, einer Verantwortung, die letztlicheben und Tod beinhaltet. Sie ergibt sich – Kollegeesterwelle hat darauf hingewiesen – aus unseren Si-herheitsinteressen. Diese Sicherheitsinteressen sindeiterhin maßgeblich gegeben. Unsere Verantwortungrgibt sich aber auch aus Bündnisverpflichtungen; auchas wollen wir nicht vergessen, meine Damen und Her-en. Es ist eine gestaltende Aufgabe, bei der wir gefor-ert sind und bei der wir Ergebnisse nur im Zusammen-irken mit unseren Partnern erzielen können. Meineamen und Herren, wir sollten aufhören, den Afghanis-an-Einsatz lediglich zum Lackmustest für die NATO he-abzustilisieren. Wenn er überhaupt ein Lackmustest ist,ann einer für die gesamte internationale Gemeinschaft.
Ich halte es für einen richtigen und für einen klugenchritt, dass wir Anfang des nächsten Jahres auf einerfghanistan-Konferenz zusammen mit den Vertreternfghanistans auch diesen unseren Einsatz neu justierennd auf eine neue Grundlage stellen. Die Frau Bundes-anzlerin hat dazu gemeinsam mit dem britischen Pre-
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Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergmierminister und mit dem französischen Präsidenten denAnstoß gegeben. Sie können von der Bundesregierungdaher zu Recht einen entsprechenden Beitrag erwarten,einen gestaltenden Beitrag inhaltlicher Art zunächst: wiediese Afghanistan-Konferenz zu sehen ist und welcheImpulse wir geben können.Ich fand sehr richtig, dass Kollege Westerwelle gesagthat, wie die Abfolge zu sein hat: dass wir uns jetzt nichtden Planungen anderer unterwerfen, sondern dass wirunseren Zeitrahmen so einhalten, dass auch eine sinn-volle Debatte im Bundestag, eine Einbindung des Parla-mentes, stattfinden kann, damit wir auch unseren Tradi-tionen gerecht werden.Meine Damen und Herren, wir müssen den Afghanis-tan-Einsatz gerade auch – das klingt so furchtbar banalund ist trotzdem so entscheidend – vom Ende her den-ken. Das erfordert eine Klarheit hinsichtlich der Ziele,eine klare Ansprache dessen, was wir erreichen wollen,und eine entsprechend tief gehende Diskussion. Vor al-len Dingen müssen wir noch deutlicher festlegen, wieund unter welchen Umständen wir diesen Einsatz auchbeenden können. Ich werde mich dafür einsetzen, dasshier ein klarer Rahmen definiert wird. Das erwarten dieMenschen in unserem Lande von der politischen Füh-rung, und auch die Soldatinnen und Soldaten im Einsatzdürfen von uns erwarten, dass wir uns hier klar sind.
Deshalb trete ich auch und gerade international fürdie Festlegung klarer Benchmarks, wie man das heuteneudeutsch nennt, ein. Wir werden auch unsere nationa-len Grundlagen und Strukturen angehen, wenn wir überdie Koordinierung und über die Führung unseres Gesamt-engagements sprechen. Das schließt im Übrigen die ei-gentlich selbstverständliche Erkenntnis mit ein, dass dieBundeswehr alleine nicht für die Erreichung unsererZiele und die Lösung der jeweiligen Probleme sorgenkann.Es ist also gut und richtig, dass wir im Zuge der heuti-gen Diskussion über das Mandat ISAF, über den Einsatz,gerade auch diese Vernetzung miteinander diskutieren.Es reicht jedoch nicht, immer nur den Blick auf einenTeil zu richten. Wir müssen ressortgemeinsam handeln.Ich kann nur sagen: Die Art, wie wir uns miteinander ab-stimmen,
stimmt mich sehr zuversichtlich, dass die jeweils betei-ligten Ressorts den Afghanistan-Einsatz als eine gemein-same Aufgabe ansehen und dieser gemeinsamen Auf-gabe auch mit aller Kraft und unter Bündelung allerAnstrengungen nachgehen.Dieses Ziel ist klar formuliert: Wir wollen, dass dieAfghanen bald selbst in der Lage sind, für ihre Sicher-heit zu sorgen. Das ist das, was wir „Übergabe in Verant-wortung“ nennen. Die Übergabe in Verantwortung istübrigens nicht mit einer Exit-Strategie gleichzusetzen,mit der ein Enddatum gesetzt wird. Es zeugt nur von ei-ner begrenzten Weisheit, ein Enddatum zu setzen, weilwpbdh–VrtcddnwmorzTamKdNrvAsgNrneDMkdnmsddgM
Herr Minister, nach dem, was Sie vorhin zu den Be-ichten der Bild-Zeitung gesagt haben, frage ich Sie, be-or Sie diese allgemeinen Ausführungen zur Strategie infghanistan zu Ende führen: Sind Sie bereit, Ihre per-önliche Rechtfertigung des Einsatzes der Bundeswehregen die Tanklastwagen bei Kunduz zu korrigieren?ach dem, was Sie jetzt wissen – offenbar sind die Be-ichte ja richtig, sonst hätten Sie sie dementiert –, kön-en Sie Ihre Rechtfertigung doch nicht mehr aufrecht-rhalten.Ich schließe eine zweite Frage an: Halten Sie es imeutschen Bundestag nicht mehr für richtig, dass eininister, dessen Ministerium hinsichtlich der Kommuni-ationspolitik ganz offensichtlich völlig versagt hat unden Eindruck eines Tollhauses macht – man muss sichur ansehen, dass die Berichte angeblich nicht angekom-en sein sollen –, die Verantwortung für den Zustandeines Ministeriums übernimmt und die Konsequenzenaraus zieht?Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-esminister der Verteidigung:Kollege Ströbele, ich habe auf die Konsequenzen hin-ewiesen, und ich habe diese Konsequenzen nicht einemedium mitgeteilt, sondern den Mitgliedern des
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Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu GuttenbergDeutschen Bundestages, weil ich finde, dass sich das sogehört. Das ist der erste Schritt.
Zum Zweiten habe ich zu Beginn gesagt – Sie habensicherlich genau zugehört; davon gehe ich bei Ihnengrundsätzlich aus –, dass ich meine Bewertung auf derGrundlage des COMISAF-Berichtes abgegeben habe.Das war der einzige Bericht, der mir – wann war das? –ein paar Tage nach Amtsantritt vorlag. Ich werde selbst-verständlich auch selbst eine Neubewertung der Fälleauf der Grundlage der Berichte, die mir in einer Gesamt-schau gegeben sind, vornehmen. Auch das gehört sich,Herr Kollege. Ich glaube, damit sind die beiden Fragenentsprechend beantwortet.
Deutschland ist weiterhin der drittgrößte Truppenstel-ler in Afghanistan. Das wird gelegentlich vergessen. Wirtragen die Verantwortung für einen großen Teil des Nor-dens Afghanistans. Es geht um eine Region – daran kannman gelegentlich erinnern –, die halb so groß ist wieDeutschland, in der rund 35 Prozent der afghanischenBevölkerung leben. Die Stabilität und die Wirtschafts-kraft dieser Region sind wichtig für ganz Afghanistan.Es lohnt auch gelegentlich, an den Aspekt Wirtschafts-kraft einer Region zu erinnern. Auch das gehört in denGesamtkontext mit hinein.Wir führen das Regionalkommando Nord und stel-len dort maßgebliche Unterstützungsleistungen in denBereichen Führung, Führungsunterstützung, Lufttrans-port, Sanitätsdienst, Sanitätsdienstlogistik sowie Aufklä-rung. Wir betreiben zwei der sogenannten PRT im Nor-den, namentlich in Kunduz und in Faizabad. Man darf ander Stelle auch sagen, dass sich in den letzten Monatendie Situation in Faizabad vergleichsweise positiv entwi-ckelt hat, wohingegen bekannt ist, dass sich um Kunduzherum die Sicherheitslage signifikant verschärft hat undwir auch immer damit rechnen müssen, dass angesichtsder Versorgungsrouten die laufende Situation nichtzwingend an jedem Ort einfacher werden muss.Wir beteiligen uns maßgeblich an der Ausbildungder afghanischen Streitkräfte. Eines der Schlüsselele-mente zu einem Erfolg wird weiterhin gerade dieserAusbildungsaspekt sein: Training, Training, Training,damit man die Übergabe an entsprechend ausgebildeteSicherheitskräfte stattfinden lassen kann.Daneben stellt die Bundeswehr Feldjäger zur Unter-stützung der Polizeiausbildung im Einsatz. Auch die Po-lizeiausbildung bleibt eine wichtige Säule. Wir müssenhier weiterhin auch mit den europäischen Partnern alleKraft daransetzen, dass die Polizeiausbildung in demUmfang gewährleistet werden kann, den wir uns in sei-nen Höchstgrenzen vorstellen.Seit dem Jahr 2002 unterstützen wir den Aufbau der„Drivers and Mechanics School“ der afghanischenStreitkräfte in Kabul. Aus dieser Schule wächst mit un-serer Unterstützung die Logistikschule der Armee auf.WfddwtMsbtdaFrkDddatdsmkLWResbTmzdWsdwhdsekdD
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ichbeginne, wie Sie sich denken können, mit den Enthül-lungen in der Tagespresse. Erstens. Herr Minister zuGuttenberg, es ist unumgänglich, diesem Haus den inRede stehenden Geheimbericht zugänglich zu machen.Wir werden darauf bestehen, dass diese Vorgänge imRahmen dieses Parlaments sorgfältig untersucht werden.Das ist unumgänglich.
Zweitens. Wenn es sich bestätigt, dass Herr MinisterJung sehr früh über zivile Opfer des Bombenangriffsvom 4. September Bescheid wusste und dennoch Parla-ment und Öffentlichkeit belogen hat, dann fordere ichdie Kanzlerin auf, dem Herrn Minister Jung unverzüg-lich die Entlassungspapiere auszustellen.
Ein solcher Minister ist entweder unehrlich oder unfä-hig. Das gilt für jedes Ressort.Drittens. Wenn nun selbst die Bundeswehr feststellt,dass am 4. September inadäquat gehandelt wurde – soverstehen wir das –, dann fordere ich Sie auf, Herr Mi-nister zu Guttenberg: Korrigieren Sie Ihre Aussage, dassdie damalige Bombardierung militärisch angemessen ge-wesen sei!
Für die Linke jedenfalls gilt – wir bleiben dabei –: Eskann nicht angemessen sein, Menschen zu töten, nurweil sie möglicherweise Taliban oder Talibansympathi-santen sind. Es ist nicht rechtens, wenn der Tod Unschul-diger leichtfertig in Kauf genommen wird. Das werdenwir niemals akzeptieren.
Nun haben wir vom Herrn Minister gehört, manmüsse die Strategie neu justieren. Es wurde gesagt: Wirsind jetzt an einem Wendepunkt. – Das Verblüffendeist: Das haben wir schon vor einem Jahr gehört. Damalshaben sich die Hoffnungen auf die Präsidentschaftswahlfokussiert, und es wurde gesagt: Jetzt werden wir hof-fentlich stabile Verhältnisse bekommen. – Ich könnte Ih-nen nun jede Menge Zitate zum Beispiel aus der Torna-dodebatte am 9. März 2007 präsentieren. Damals hat einKollege von der CDU, der jetzt auf der Regierungsbanksitzt, gesagt:Es bleiben uns realistischerweise nur noch 18 bis24 Monate, um den Trend zur Destabilisierung zustoppen und die Trendumkehr zu bewerkstelligen.Was sagen Sie denn heute, Herr von Klaeden? Ichkönnte, wie gesagt, noch viel mehr Aussagen präsentie-ren.Die Sache ist doch ganz einfach: Wir werden seit Jah-ren mit Durchhalteparolen traktiert, die bislang nur aufeines hinausgelaufen sind, nämlich auf mehr Krieg. Esist eine Tatsache: Seit 2007 hat sich die Zahl der NATO-Soldaten in Afghanistan mehr als verdoppelt. Im glei-chen Zeitraum hat sich die Zahl der Gefechte und An-ssTRBrsAivSgnhugezKSdvtFgmIwfnDbogssdnndVWsldz
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392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Herr Kollege, Sie wissen, dass es in sehr dramati-
schen Situationen keine ganz klaren Antworten gibt.
Ich bin jetzt sechs Tage in Pakistan gewesen, wo kein
westliches Militär stationiert ist und wo in den Stammes-
gebieten, den Grenzgebieten zu Afghanistan, die Zahl
der Toten in der Zivilbevölkerung in den letzten fünf
Jahren von 180 auf über 6 000 gestiegen ist. Inzwischen
haben die Taliban und al-Qaida, wobei sich das über-
schneidet, die Zivilbevölkerung auch in den Stammesge-
bieten so tyrannisiert, dass jetzt die Stammesältesten sel-
ber die Grenze für überschritten halten und gefordert
haben, dass das pakistanische Militär gegen diese Grup-
pen vorgeht.
Dem vorausgegangen ist im Februar die Entscheidung
einer Regionalregierung, mit den Taliban ein Konsensab-
kommen zu schließen. Die Grundlage war Waffenstill-
stand gegen Einführung der Scharia. Diese Vereinbarung
ist geschlossen worden, der Waffenstillstand jedoch keine
Minute eingehalten worden. Es gab hier also den Versuch
einer Konsensbildung. Sind das Überlegungen, die bei
uns in die Entscheidungen einfließen müssen, die zu tref-
fen sind?
Vielen Dank für die Frage. Sie haben insofern recht,Frau Kollegin Beck, als bestimmte Entwicklungen an ei-nen Punkt kommen können, wo es schwierig ist, Ant-worten zu geben. Aber die Frage ist – das ist für unsLinke der Ausgangspunkt –: Warum ist es in Pakistan zugenau dieser Entwicklung gekommen?
Herr Präsident Sharif wurde im Terrorkrieg als einBündnispartner behandelt. Er hat schon immer versucht,diesen Konflikt militärisch zu befrieden. Er hat jedochkeinerlei soziale und wirtschaftliche Entwicklungen vo-rangebracht. Das ist die Ursache dafür.
Deshalb sagen wir: Wir müssen aus diesem Teufelskreisherauskommen. Wir müssen diese Spirale der Gewaltdurchbrechen. Damit müssen wir irgendwann anfangen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 393
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!rotz aller Tagesaktualität, zu der ich gleich nochomme, möchte ich mit einer grundsätzlichen Bemer-ung beginnen. Die Entscheidung über den ISAF-Ein-atz hat sich meine Fraktion nie leicht gemacht. Wir ste-en zu unserer Verantwortung gegenüber den Menschenn Afghanistan, gegenüber den vielen Helferinnen undelfern der Entwicklungsorganisationen, gegenüber denolizeiausbildern und den Soldatinnen und Soldaten derundeswehr, die in Afghanistan ihr Bestes tun, um denenschen dort zu helfen.In Richtung der Kollegen von der Linkspartei will ichier sagen: Diese Solidarität ist für uns unvereinbar miter Forderung nach einem Sofortabzug.
a soll man sich nichts vormachen: Es gibt nicht die ein-ache Alternative: Bundeswehr raus, Helfer rein. Auchie meisten Helferinnen und Helfer müssten dann miter Bundeswehr tatsächlich herausgehen, und das wol-en die Menschen in Afghanistan, insbesondere im Nor-en des Landes, eben nicht. Es ist wichtig, diesen Zu-ammenhang zu begreifen.
Die Sicherheitslage hat sich allerdings deutlich ver-chlechtert, gerade im Einsatzgebiet der Bundeswehr.aher muss man von kriegsähnlichen Zuständen spre-hen. Die weitgehend gefälschten Präsidentenwahlenind mehr als problematisch für den weiteren politischenrozess in Afghanistan, aber auch für die Legitimationes Einsatzes der internationalen Gemeinschaft dort.
Es gibt aber auch eine große Chance: Das ist die neueffenheit, mit der international über einen Strategie-echsel diskutiert wird. Nun geht es darum, diesenurswechsel voranzutreiben in Richtung einer zivilenufbauoffensive in Verbindung mit einem konkretenbzugsplan. Daher wünsche ich mir wirklich konkretereorschläge hier im Deutschen Bundestag von Regie-ungsseite.
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394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Dr. Frithjof SchmidtMeine Damen und Herren von der Koalition, vor die-sem Hintergrund ist das Handeln der Bundesregierungzu bewerten. Sicherlich, Sie sind erst seit einigen Wo-chen im Amt; aber dass Sie uns ein Mandat vorlegen,das, bis auf deutlich mehr Geld für das Militär, komplettunverändert ist, das ist schlecht.
Sie hätten mehr tun können und müssen. Sie hätten eineunabhängige, ehrliche Evaluierung des Engagements inAfghanistan vornehmen können. Das Fehlen einer sol-chen Bilanzierung hängt schon seit Jahren als Ballast ander deutschen Afghanistan-Politik. Andere Bündnispart-ner haben diesen Schritt gewagt. Schauen Sie einmal,was die Kanadier vorlegen. Davon kann man einiges ler-nen.Außerdem hätten Sie eine zivile Aufbauoffensive ent-wickeln können. Alle Experten sind sich einig, dass fürden Erfolg des Einsatzes der Aufbau von staatlichenStrukturen und die Verbesserung der Lebensbedingun-gen der Afghaninnen und Afghanen entscheidend sind.Aber was tun Sie? Sie fordern mehr Geld – fast300 Millionen Euro – für das Militär. Ein vergleichbarerAusbau der zivilen Hilfe? Da ist Fehlanzeige.VENRO, der Verband der deutschen Nichtregierungs-organisationen, hat vor zwei Tagen vorgerechnet, dasssich unter der neuen Bundesregierung das Verhältnis vonmilitärischen Mitteln zu zivilen Mitteln von drei zu einsauf vier zu eins verschlechtert. Das ist doch ein absurderVorgang.
Das ist doch das genaue Gegenteil einer zivilen Aufbau-offensive.Ich sage Ihnen: Es grenzt an Vertuschung, wenngleichzeitig die Spatzen von allen Dächern pfeifen, dasseine Truppenerhöhung geplant sei. Herr zu Guttenberg,schenken Sie dem Deutschen Bundestag dazu reinenWein ein!
Meine Damen und Herren von der Koalition, die Bun-desregierung hat den Kurswechsel von Oberbefehlsha-ber McChrystal – der will nämlich endlich den Schutzder Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt stellen – rheto-risch unterstützt. Aber Sie, Herr Verteidigungsminister,konterkarieren dieses Bekenntnis völlig, wenn Sie dieBombardierung der zwei Tanklaster bei Kunduz und derMenschenmenge um diese herum als „angemessen“ be-werten. Ich hoffe, dass Sie im Lichte der neuen Erkennt-nisse, die Sie jetzt gewonnen haben, das zurücknehmenwerden.
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Und Herr Jung, wenn sich bestätigen sollte, dass Siee facto den Deutschen Bundestag in diesem Zusam-enhang belogen haben, dann sind Sie als Minister nichtehr haltbar, egal, in welcher Funktion.
as muss aufgeklärt werden. Deswegen wollen wir, dasser Verteidigungsausschuss als Untersuchungsaus-chuss tätig wird.
Meine Damen und Herren von der Koalition, die we-igen Wochen der Afghanistan-Politik der neuen Bun-esregierung muss ich leider so zusammenfassen: Sie istine Mischung aus Vertagungen, Versprechungen underschlechterungen. Das geht an den realen Herausfor-erungen in Afghanistan vorbei.
Die Entscheidung nächste Woche ist sicherlich eineewissensentscheidung für alle Abgeordneten. Die Ab-ägungen sind nicht leicht. Sie wollen von uns einenlankoscheck für ein weiteres Jahr. Ich spreche für einenroßen Teil meiner Fraktion, wenn ich sage: Dem kön-en wir nicht zustimmen.Danke.
Für eine Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
olfgang Gehrcke das Wort.
Kollege Schmidt, ich möchte Sie gerne auf zweiunkte ansprechen.Erster Punkt: Meinen Sie nicht, dass es auch Solidari-ät ist, dass man einem Partner sagt, was erfolgreich istnd was nicht erfolgreich ist, was geht und was nichteht, wenn man mit ihm über Werte diskutiert? Solltean also der Bevölkerung in Afghanistan nicht sagen:Unsere Solidarität wird darin liegen, dass wir versu-hen, von kriegerischen Lösungen wegzukommen undivile Lösungen zu finden“?
ch möchte hier vor allen Dingen einen Begriff gewertetissen: Das ist der Begriff der Selbstbestimmung. Wir
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Wolfgang Gehrckehaben über alles gesprochen, nur nicht über Selbstbe-stimmung.Mein zweiter Punkt: Finden Sie es nicht auch uner-träglich, dass der ehemalige Verteidigungsminister HerrJung hier sitzt, er aber, obwohl ihm schlimme Vorhaltun-gen gemacht werden, er von fast allen Rednern bezich-tigt wird, dass er gelogen hat, und selbst sein Nachfolgersich von ihm hier absetzt, nicht das Wort ergreift?
Ich denke, der ehemalige Verteidigungsminister mussjetzt reden und Stellung nehmen. Ich würde mich freuen,wenn Sie es ähnlich sähen.
Zum zweiten Punkt kann ich nur sagen: Da haben Siesicher recht. Es wäre gut für die politische Kultur in die-sem Land und in diesem Haus, wenn Sie, Herr Jung, hierheute einmal direkt Stellung nehmen würden.
Zu Ihrer ersten Frage muss ich sagen: Es ist ganz ent-scheidend, dass man den Zusammenhang im politischenHandeln versteht, dass eben ziviler Aufbau in dieserkriegsähnlichen Situation in Afghanistan auch militäri-schen Schutz braucht. Wenn man eine Abzugsperspek-tive eröffnen will, muss man diesen Zusammenhang be-rücksichtigen und schrittweise vorgehen. Deswegen istdie Forderung nach einem Sofortabzug falsch und keinAusdruck von guter Solidarität.
Das Wort erhält nun die Kollegin Elke Hoff für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Ich möchte vorneweg dem Bundesverteidigungs-minister dafür danken, dass er vor dem Hintergrund derihm vorliegenden Informationen unverzüglich die Kon-sequenzen gezogen hat. Ich respektiere ausdrücklichseine Bereitschaft, im Lichte der ihm zugehenden Infor-mationen eine Neubewertung seiner Aussagen im Deut-schen Bundestag und in der Öffentlichkeit vorzunehmen.Ich denke auch, dass es der Respekt gebietet, abzu-warten, bis die Informationen wirklich vorliegen, umMluvf–wkrnztgcGsdSlwrlRPMmnaNgaDarar
Das wäre für den Vertreter Ihrer Fraktion möglich ge-esen, sehr verehrter Herr Trittin.In der Kürze der Zeit sollten wir versuchen, die Dis-ussion auf einen eher rationalen Aspekt zurückzufüh-en. Wir werden auf der Afghanistan-Konferenz imächsten Jahr die Gelegenheit haben, die Strategie neuu justieren. Es ist dringend an der Zeit, dass wir das tun.
Dabei müssen wir einige Punkte berücksichtigen. Ers-ens darf sich die Situation in Afghanistan nicht durch ir-endwelche Maßnahmen, sei es ein Abzug oder Ähnli-hes, gegenüber der Zeit, in der die internationaleemeinschaft dort tätig wurde, verschlechtern.
Zweitens müssen wir unbedingt gemeinsam dafürorgen, dass ein nationaler Versöhnungsprozess entsteht;enn nur dieser kann die Voraussetzung für alle weiterenchritte sein.Drittens darf der militärische Abzug nicht unverzüg-ich erfolgen, lieber Kollege Paul Schäfer; denn diesürde zu einem neuen Bürgerkrieg in Afghanistan füh-en. Das wissen auch Sie. Ich halte das für unverantwort-ich.
Aber wir müssen gemeinsam dafür sorgen, auch imespekt vor dem afghanischen Volk, dass der Primat derolitik zum Zuge kommt, dass die Politik wieder dieöglichkeit erhält, die Rahmenbedingungen zu bestim-en. Der militärische Einsatz ist notwendig, kann aberur Teil einer Gesamtstrategie sein. Ich glaube, dassuch die Reaktion unseres Entwicklungsministers, Dirkiebel, gezeigt hat, dass er bereit ist, durch die Zurverfü-ungstellung erhöhter finanzieller Mittel diesen Prozessktiv zu begleiten.
Meine Damen und Herren, ich freue mich sehr auf dieebatte nach der Afghanistan-Konferenz, weil wir dannlle gemeinsam die Möglichkeit haben, eine Neujustie-ung der Afghanistan-Politik vorzunehmen. Wir werdenls Fraktion mehrheitlich dem Einsatz und der Verlänge-ung des Mandates ISAF zustimmen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
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Dr. Gernot Erler ist der nächste Redner für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Die Bundesregierung hat am 18. November beschlossen,die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an derInternationalen Sicherheits- und Unterstützungstruppe inAfghanistan, ISAF, fortzusetzen, und bittet den Deut-schen Bundestag um Zustimmung dazu. Die SPD-Bun-destagsfraktion wird diese Zustimmung nicht verwei-gern.Wir beschließen dies allerdings zu einem Zeitpunkt,zu dem die Entwicklung in Afghanistan Anlass zu gro-ßer Sorge gibt, zu dem wichtige Entscheidungen überdas künftige Vorgehen der Vereinigten Staaten, derNATO und der Weltgemeinschaft in Afghanistan nochnicht getroffen sind und zu dem wir sicher sein können,dass wir nicht etwa erst in einem Jahr, wenn die nächsteVerlängerung ansteht, erneut über Afghanistan im Deut-schen Bundestag beraten werden, sondern wesentlichfrüher. Insofern enthält unsere Entscheidung etwas Vor-läufiges. Wir sind auf einem Weg, den wir ganz offenbarnicht verlassen können; aber er verliert sich vor unsschon nach wenigen Kurven in einem schwer einsehba-ren Gelände. Wir spüren eine drückende Verantwortungbei der Aufgabe, ein Scheitern in Afghanistan zu verhin-dern, bei der Herausforderung, sich jetzt auf das Wesent-liche zu konzentrieren, und aufgrund des Bewusstseins,alle zivilen und bewaffneten Kräfte – es handelt sichschließlich um Menschen, die wir nach Afghanistanschicken – erheblichen Gefahren aussetzen zu müssen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen mehrVerbindlichkeit. Das betrifft zunächst Präsident Karzai.Der Wahlprozess hat das Vertrauen in ihn nicht bestärkt.In seiner Antrittsrede vor einer Woche hat er eine Reihebegrüßenswerter Ankündigungen gemacht. Es soll einennationalen Versöhnungsprozess geben und dazu die tra-ditionelle Große Ratsversammlung, die Loya Jirga, ein-berufen werden. Afghanische Sicherheitskräfte sollenDistrikt für Distrikt, Provinz für Provinz die Sicherheits-verantwortung selbst übernehmen. Dieser Prozess soll infünf Jahren abgeschlossen sein. Ferner hat der Präsidentgute Regierungsführung angekündigt. Darunter fallenTransparenz bei den Einkünften von Leuten mit öffentli-chen Ämtern und ein Ende der Kultur der Straflosigkeit,einer Schwester der Korruption, die ebenso bekämpftwerden soll wie illegaler Drogenanbau und -handel.Da haben die Zuhörer geklatscht, und die internatio-nale Gemeinschaft hat zustimmend genickt. Aber wirhaben diese Botschaften in ähnlicher Form schon öftergehört. Es sind zwar gute Botschaften, aber sie bleibenzu allgemein und zu unverbindlich. Was wir brauchen,sind überprüfbare Zwischenschritte. Wie sollen sie aus-sehen? Welche Fristen gibt es für die Umsetzung dieserZwischenschritte? Es darf nicht mehr sein, dass wir nacheinem, zwei oder gar fünf Jahren feststellen müssen: EswlkSdKaBIldgtgWvg,ÜeAMngu7dS7dwgtvsdüEuGgg
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich habe nicht gehört, wer gerade einen Zurufemacht hat. Es scheint ein Kollege der SPD gewesen zuein.
Der Kollege Kelber bekennt sich freiwillig dazu, dassr es war.Herr Erler, die Dinge, die Sie zuletzt angesprochenaben – Kollege Stinner hat dankenswerterweise daraufingewiesen –, waren Ihnen bislang nicht neu. Auch dientwicklung des Ganzen ist Ihnen nicht neu. Als Staats-inister waren Sie an verantwortungsvoller Stelle maß-eblich daran beteiligt und haben in den letzten Jahrenieles erreicht.
ch bin schon der Meinung, dass das, was Sie gesagt ha-en, der Sie ja auch noch von Offenheit und Ehrlichkeiteredet haben, nicht ganz zutreffend war. Ich möchte anieser Stelle, wie es auch der Kollege Stinner getan hat,arauf hinweisen, dass der amtierende Außenminister,err Westerwelle, die Dinge richtig dargestellt hat undnsere volle Unterstützung hat.
Ich finde es richtig, dass das Parlament an einem soichtigen Tag wie heute, an dem wir über mehrere Man-ate zu entscheiden haben, breit und mit starker Beteili-ung über diese Mandatsverlängerungen diskutiert. Ichätte mir gewünscht, dass im Laufe dieser Debatte mehrber Afghanistan selbst diskutiert worden wäre. Ich sehen den Angriffen, die seitens der Opposition gegenüberinister Jung gestartet worden sind, den plumpen Ver-uch, sich nicht mit der Realität in Afghanistan aus-inanderzusetzen, sondern eine politische Show aufzu-ühren, die der Wichtigkeit des Themas nicht entspricht.ch glaube, dass dieser Punkt deutlich herausgearbeiteterden muss.
Gerade Sie, Herr Ströbele, der Sie permanent Zurufeachen, sollten zuhören, wenn es um die Sache geht.
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Philipp MißfelderFrau Kollegin Beck beispielsweise hat vorhin im Rah-men ihrer Zwischenfrage die Wichtigkeit des ThemasAfghanistan deutlich gemacht und darauf hingewiesen,welche Bedeutung die Lage in Afghanistan für die Situa-tion in Pakistan und für die gesamte Region hat. HerrStröbele, als Frau Beck diesen wichtigen Beitrag geleis-tet hat, waren Sie noch nicht einmal hier im Raum. Im-mer, wenn Sie hier sind, schreien Sie die ganze Zeit da-zwischen. Deshalb möchte ich Ihre Zwischenfrage jetztauch nicht zulassen, sondern mich dem Thema widmen.
Es gibt einen weiteren Wunsch zu einer Zwischen-
frage des Kollegen Ströbele.
Nein, das lasse ich jetzt nicht zu.
Das zu Ende gehende Jahr 2009 war kein gutes Jahrfür Afghanistan. Der jüngste Wahlprozess hat die Defi-zite, die schon in den vergangenen Jahren offensichtlichwaren, deutlich herausgestellt und der Weltöffentlichkeitsehr plastisch vor Augen geführt.Ich will zunächst drei Punkte ansprechen, die wirdeutlich im Blick unserer Argumentation haben müssen:Das sind die sich deutlich verschlechternde Sicherheits-lage, die grassierende Korruption und die schlechte Re-gierungsführung in der Administration von Karzai.Diese Defizite sind für die weitere soziale und wirt-schaftliche Entwicklung des Landes eine große Hypo-thek. Gerade deshalb muss die Verantwortung der inter-nationalen Gemeinschaft besonders herausgestelltwerden.Nach der erneuten Amtseinführung von Karzai undauch nach seiner Rede in der vergangenen Woche seheich die Chance und habe wie alle die Hoffnung, dass die-ser Negativtrend durchbrochen werden kann. DieChance muss genutzt werden. Dies ist angesichts derDauer des Einsatzes mittlerweile sehr schwierig, weilwir schon oft Hoffnung geschöpft haben und diese Hoff-nung sich dann nicht erfüllt hat. Es ist trotzdem keinGrund, aufzugeben. Es ist trotzdem kein Grund, dieMenschen in Afghanistan alleine zu lassen und sich dereigenen Verantwortung zu entziehen.Die Konsequenz aus einem Rückzug wäre, dassAfghanistan in ein heilloses Chaos stürzt, dass Afghanis-tan zu einem Rückzugsraum für Terroristen und – wie esdas schon einmal war – wieder zu einer Operationsbasisfür den weltweiten Terrorismus wird. Frau Beck, ichhabe es bereits angesprochen: Die Auswirkung auf diegesamte Region ist nicht zu unterschätzen: Wenn ein is-lamistisches Talibanregime die Macht ergreifen würde,würde dies nicht ohne Folgen bleiben für Pakistan, fürdie zentralasiatischen Staaten, für Russland und China,dhbacAEirEseHATkidsbAsnzulIgdmbADEgsvDesdLuiBmwDnmwBmr
Eine Anmerkung in Richtung der Linken: Ich glaube,ies ist nicht nur eine Frage der Bündnistreue unseresandes, sondern auch eine Frage der Glaubwürdigkeitnd Verlässlichkeit unseres Landes insgesamt. Vor allemst zu fragen, ob wir der wirtschaftlichen und politischenedeutung unseres Landes, die wir an anderer Stelle im-er gerne für uns reklamieren, gerecht werden, wennir diesen Einsatz auch nur ansatzweise infrage stellen.eshalb sage ich: Wir müssen dieses Thema im Einver-ehmen mit unseren Partnern in der internationalen Ge-einschaft angehen und unserer Verantwortung gerechterden; denn man kann nicht an der einen Stelle mehredeutung für Deutschland reklamieren und sagen, dassan bei vielen Themen führend sein will, sich an ande-er Stelle aber vor der Verantwortung drücken. Wir
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Philipp Mißfeldermüssen zu unserer Verantwortung stehen. Das ist eineFrage der Glaubwürdigkeit und der VerlässlichkeitDeutschlands.Ich bin der Meinung, dass wir den Antrag der Bun-desregierung unterstützen, die Ziele, über die diskutiertwird, stärker herausarbeiten und das polizeiliche und dasmilitärische Engagement Deutschlands in Afghanistanfortsetzen sollten. Außerdem glaube ich sehr wohl, dasswir auf günstigere Umstände in der Zukunft hoffen kön-nen. Aber es muss klar sein, dass dies kein einfacherProzess ist, für den es eine einfache Lösung gibt. Manunterliegt einem Irrglauben, wenn man annimmt – ichglaube, der Kollege Frithjof Schmidt von den Grünenhat das gesagt –, dass den Menschen dadurch geholfenwerden könnte, dass man das Militär abzieht und gleich-zeitig mehr Entwicklungshelfer ins Land schickt. Tat-sächlich ist es doch so, dass die Entwicklungshelfer mas-siv auf Schutz und Unterstützung angewiesen sind. Dort,wo eine Befriedung erreicht werden konnte, ist Engage-ment notwendig. Aber gerade dort, wo die militärischeAuseinandersetzung besonders intensiv ist, kann man alsAntwort doch nicht mehr Entwicklungshelfer anbieten.Gerade diejenigen, die vor Ort verantwortungsbewussteinen großen Dienst für die internationale Gemeinschaftund für die Menschen in Afghanistan leisten, müssen ge-schützt werden. Deshalb ist der Einsatz der Bundeswehrauch und gerade für die Entwicklungshelfer sehr wich-tig.
Die Bundeskanzlerin hat kürzlich in ihrer Regie-rungserklärung gesagt, dass die Ziele des deutschen En-gagements in Afghanistan nach wie vor die Schaffungselbsttragender Sicherheit und der Aufbau funktionsfähi-ger staatlicher Strukturen sind. Wie weit wir davon nochentfernt sind, haben uns die letzten Wochen sehr deutlichvor Augen geführt. Deshalb glaube ich, dass wir die af-ghanische Regierung sehr stark dabei unterstützen müs-sen, die folgenden drei Ziele zu erreichen: Zunächst ein-mal geht es um die Stabilisierung und die Sicherheit,dann darum, gutes Regieren durchzusetzen, und darum,die weitere Entwicklung zu unterstützen.Die Verbesserung der Sicherheitslage ist die Voraus-setzung für die Erreichbarkeit der beiden weiteren Ziele.Deshalb ist – das ist in der Debatte schon angesprochenworden – der weitere Aufbau von Polizei und Armee inafghanischer Eigenverantwortung dringend notwendig.Wir müssen über unseren Beitrag hierfür diskutieren.An zweiter Stelle steht die gute Regierungsführung.Es gibt in Afghanistan viele Absichtserklärungen undkonkrete Vorschläge wie die Pflicht für einzelne Minis-ter, ihre Einkunftsquellen offenzulegen. Es ist wichtig,dass wir bei allen Gesprächen, bei allen anstehendenKonferenzen, bei jeder Gelegenheit darauf drängen, dassdie Grundstrukturen, die für eine gute Regierungsfüh-rung notwendig sind, auch durchgesetzt werden. ObwohlKarzai in seiner letzten Rede wieder deutlich herausge-stellt hat, dass er das nun machen will, ist es wichtig,dass die internationale Gemeinschaft und insbesondereDeutschland den Druck weiterhin aufrechterhält, damitggwdEfsdsuAzkmmdsmLdGWdDKvdlAlrgwgGcMWOAUnglAüdg
Herr Kollege Mißfelder, Sie haben mich angespro-hen, weil wir hier über die Videoaufnahmen und dieeldungen, die heute durch die Presse gehen, reden.enn wir über diese neuen Fotos, Zeichnungen und dieriginalzitate der Ärzte aus den Krankenhäusern infghanistan reden, dann reden wir nicht nur über dienwahrheiten, die seitens der Bundeswehr und des Mi-isteriums und dieses Herrn, der immer noch auf der Re-ierungsbank sitzt und nichts anderes tut als lächeln oderachen, verbreitet worden sind, sondern auch über 142 infghanistan getötete Menschen. Das heißt, wir redenber Afghanistan, über die Kinder und Jugendlichen, dieort auf Befehl eines deutschen Obersts im Bombenha-el umgekommen sind. Wir reden darüber, dass diese
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Hans-Christian StröbeleOffensivstrategie dazu beiträgt, dass der Krieg in Afgha-nistan immer schlimmer und skrupelloser wird, dass da-mit der Terrorismus nicht bekämpft, sondern gefördertwird. Jede solche Bombardierung mit zivilen Opfern, diehier im Deutschen Bundestag, auch vom neuen Verteidi-gungsminister, gerechtfertigt wird, brutalisiert und ver-längert den Widerstand und den Krieg in Afghanistan,lässt ihn eskalieren. Darüber reden wir. Nehmen Sie dasdoch einmal zur Kenntnis und stellen Sie sich nicht hin-ter diesen ewig nur lachenden oder lächelnden Minister,der die Regierungsbank besser heute als morgen verlas-sen sollte!
Herr Kollege Ströbele, ich nehme das, was Sie gesagt
haben, natürlich zur Kenntnis. Ich finde, dass jedes Men-
schenleben, das – egal auf welcher Seite – in dieser Aus-
einandersetzung verloren geht, eines zu viel ist. Ich
glaube, dass dies bei jeder Debatte hier deutlich gewor-
den ist. Angesichts der Diskussionen im Wahlkreis, aber
auch im privaten Umfeld spürt jeder einzelne Abgeord-
nete die Last, die auf ihm liegt, wenn es hier darum geht,
Einsätze zu verlängern. Ich sehe gerade auch an den Ge-
sichtern der Kollegen in Ihrer Fraktion, dass sie es sich
in dieser Debatte nicht leicht machen; das war auch in
der Vergangenheit der Fall.
Herr Ströbele, ich verstehe, dass Sie jede Gelegenheit
nutzen – sei es durch Zwischenrufe, sei es durch Inter-
ventionen –, um Ihre persönliche Haltung deutlich zu
machen. Aber diskutieren Sie das auch in Ihrer eigenen
Fraktion!
In den vergangenen Jahren wurden die Einsätze in
Afghanistan mit einer breiten Mehrheit beschlossen. Sie
können nicht wegen eines Artikels in der heutigen Aus-
gabe der Bild-Zeitung so tun, als trage nur eine Person in
der Bundesregierung die Verantwortung, die heute gar
nicht mehr für das Ressort zuständig ist. Tatsächlich tra-
gen wir eine Gesamtverantwortung. Dies zu erwähnen,
gehört zur Redlichkeit dazu.
Herr Ströbele, Sie greifen den Fall, der in dem Artikel
geschildert ist, heraus, um Ihre persönliche Fundamen-
talkritik am Einsatz zu begründen. Dies lasse ich Ihnen
einfach nicht durchgehen. Ich bin der Meinung, dass wir
uns mit der Sache auseinandersetzen müssen.
Das Wort erhält nun der Kollege Nouripour für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Wir diskutieren heute über die Verlängerung desSAF-Mandates. Dabei geht es nicht um Planspiele, son-ern darum, dass wir Frauen und Männer in Einsätzechicken, in denen es auch um ihr Leben geht. Deshalböchte ich die Gelegenheit nutzen, auch seitens meinerraktion den Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Auf-auhelferinnen und -helfern und natürlich erst recht ih-en Familien für den Einsatz, den sie erbringen, von gan-em Herzen zu danken.
Dieser Einsatz erfordert eine Gegenleistung von derolitik. Diese Gegenleistung kann nur sein, dass wirerantwortung übernehmen, dass wir schauen, wel-hen Auftrag wir erteilen. Der Auftrag muss klar sein, eruss durchdacht sein, und er muss Aussicht auf Erfolgnd Wirksamkeit haben. Das sind drei Anforderungen,enen das Konzept der Bundesregierung mit dem schö-en Titel „Übergabe in Verantwortung“ leider nicht ge-echt wird.
ieses Konzept bleibt sehr viele Antworten schuldig.amit meine ich nicht nur Antworten auf Zwischenfra-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 401
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Omid Nouripourgen, die an den Bundesaußenminister gestellt werden.Ich meine fundamentale Fragen, die wir hier stellenmüssen.Ich zitiere: Mein Eindruck ist, wir werden „von derRegierung im Unklaren gelassen“ und nur „in einer Sala-mitaktik“ über die Strategie informiert. Das Zitat stammtvom Abgeordneten Karl-Theodor zu Guttenberg,30. Juni 2008, Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ich kannnur sagen: Er hatte damals recht. Die Situation hat sichbisher aber nicht verändert. Die Konsequenz, die der da-malige Abgeordnete gezogen hat, war: Wir braucheneine Kommission zur Bewertung des Einsatzes inAfghanistan, nicht nur um darzustellen, was schlechtläuft, sondern auch um darzustellen, was gut läuft. Ichbin der festen Überzeugung, dass die Notwendigkeit ei-ner solchen Kommission gerade mit der Ernennung desneuen Verteidigungsministers endlich Reife erreicht hat.Wir brauchen eine Bewertung. Wir brauchen eine Eva-luation dessen, was in Afghanistan passiert. Das schul-den wir nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondernauch den Menschen in Afghanistan und der deutschenÖffentlichkeit.
Es gibt aber noch mehr Fragen, die wir derzeit nichtklären können. Der Kostenansatz explodiert um nahezu40 Prozent; es sind 230 Millionen Euro mehr. Ich habein den letzten Tagen sehr häufig versucht, Herr Minister,aus Ihrem Haus eine schriftliche Begründung für dieseKostenexplosion zu bekommen. Ich habe keine bekom-men. Ich finde, das entspricht nicht Ihrem Ansatz vonTransparenz. Es ist sehr bedauernswert und nahezu einSkandal, dass wir im Hohen Hause über einen Ansatzdiskutieren, dessen Grundlage fehlt; wir wissen nicht,warum die Kosten so steigen.
Es gibt noch mehr Fragen. Der Entwicklungshilfe-minister hat vorgestern verkündet, 52 Millionen Euromehr für den zivilen Aufbau zur Verfügung zu stellen.Wenn man genau hinschaut, muss man feststellen, dassdieses Geld von der Vorgängerregierung bereits verspro-chen und beschlossen worden ist. Hier wird uns altesGeld als frisches verkauft; auch das hat mit Transparenzund Ehrlichkeit überhaupt nichts zu tun. Wer so stief-mütterlich mit dem Ansatz für den zivilen Bereich um-geht, legt den Grundstein für eine sichere Niederlagen-strategie.
Wir als Grüne stehen zu unserer Verantwortung ge-genüber den Menschen in Afghanistan. Genau deswegenfordern wir eine Bewertung und einen längst überfälli-gen Strategiewechsel. Vor allem fordern wir einen klarformulierten konkreten Zeitplan, der die Perspektive füreinen Abzug aufzeigt, zumal die Kanadier und die Nie-derländer das machen. Das ist nicht unbedingt als großerErfolg für die Taliban verkauft worden, Herr Minister.Wir müssen die Worte „Verantwortung“ und „Enga-gement“ – sie sind häufig gefallen – endlich mit Sinnfüllen. Das müssen wir tun, weil wir es den MenschensSvnCrltR–egdkTufIR–hndeKKrdg
Holger Haibach ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine gute Ana-yse beginnt bekanntlich mit der Betrachtung der Reali-ät. Ich bin mir nicht sicher, ob jeder hier im Haus dieealität schon betrachtet und richtig erkannt hat.
Weil Sie ihn gerade ansprechen, würde ich gerne dasine oder andere zu dem, was in dieser Debatte bishereäußert worden ist, sagen.
Wir haben einen großen Teil dieses Vormittags miter Diskussion über einen Bericht verbracht, den nocheiner von uns gelesen hat.
rotzdem sind wir der Meinung, wir könnten schon jetztnsere Schlüsse daraus ziehen. Ich glaube, dass dies diealsche Betrachtung der Realität ist.
ch finde, wir sollten uns die Dinge erst einmal in alleruhe anschauen und dann unsere Schlüsse ziehen.
Sie möchten vielleicht gerne darüber diskutieren. Dasat mit dem ursprünglichen Thema aber nur relativ we-ig zu tun.Zweitens. Herr Schmidt und Herr Nouripour habenie Kanadier dafür gelobt, dass sie eine Kommissioningesetzt haben. Es ist richtig: Die Kanadier haben eineommission eingesetzt. Sie haben den Bericht dieserommission auch entgegengenommen, aber etwas ande-es gemacht. Sie haben ihre Soldaten nämlich entgegener Empfehlung dieses Berichts länger in Afghanistanelassen. Insofern kann man die Kanadier hier nicht als
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402 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Holger Haibachgutes Beispiel anführen und sagen: Das kann man auchin Deutschland so machen.
Eine Kommission bringt nur dann etwas, wenn manauch bereit ist, ihren Empfehlungen zu folgen. Deswe-gen finde ich, dass man darüber noch einmal nachden-ken muss. Die Kanadier setzen übrigens wieder eineKommission ein; zumindest ist das geplant. Insofernglaube ich, dass uns eine Strukturdebatte an dieser Stellenicht weiterhilft.Ein letzter Punkt. Kollege Gehrcke hat vorhin in sei-ner Zwischenfrage gesagt, es gehe um die Selbstbestim-mung der Afghanen.
Das ist völlig richtig,
und das bestreitet hier auch keiner. Aber ausgerechnetIhre Fraktion ist nicht bereit, den Afghanen die dafür er-forderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. Sie sagennämlich: kein Militär, keine Unterstützung und keinSchutz unserer Entwicklungshelfer in Afghanistan. DiesePolitik, meine sehr geehrten Damen und Herren von derLinken, ist die falsche Politik.
Wir sollten einmal in der Rückschau betrachten, wasin Afghanistan bereits erreicht wurde.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gehrcke?
Aber gerne.
Lieber Kollege, ich weiß, dass Sie ein gebildeter und
kenntnisreicher Entwicklungspolitiker sind. Trotzdem
kann man zu falschen Schlüssen kommen. Meinen Sie,
dass der Weg zur Selbstbestimmung bedeutet, dass man
den Afghanen dieses Recht erst einmal vorenthält und
zensierende Anforderungen an sie stellt? Ich fand das
Auftreten des Verteidigungsministers zu Guttenberg in
Afghanistan brüskierend für das Volk. Dem Präsidenten,
den ich nicht sympathisch finde und dessen rechtliche
Grundlage sehr dünn ist,
sind in einer Art und Weise Vorhaltungen gemacht wor-
den, die man nur an den Tag legt, wenn man einen kolo-
nialen Ansatz verfolgt.
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Zu Ihrer Frage, Herr Gehrcke. Es ist völlig unbestreit-ar – das wird, wenn man seinen Worten Glaubenchenkt, nicht einmal vom afghanischen Präsidenten be-tritten –, dass es in der afghanischen Regierung großeefizite gibt, zum Beispiel beim Aufbau eines Rechts-taates und bei der Korruptionsbekämpfung. Nichts an-eres hat der Bundesverteidigungsminister gesagt. Er hatu Recht deutlich gemacht, dass es darum geht, den Prä-identen hinsichtlich seiner Rede zur Amtseinführungeim Wort zu nehmen. Ich glaube, dass es nicht nur un-er Recht ist, sondern auch unsere Pflicht, das zu tun.
Noch einmal zurück zu der Frage, was wir für deniederaufbau in Afghanistan tun. Ich habe die Äußerun-en in den letzten Wochen zu diesem Thema verfolgt.ber ich finde, sie sind ein wenig einseitig. Deutschlandst mit 1,2 Milliarden Euro der drittgrößte Geber. Es isticht so, als würden wir uns unserer Verantwortung anieser Stelle in irgendeiner Form entziehen. Es ist bei al-en Problemen und bei allen Defiziten, die es definitivibt, auch nicht so, als hätten wir nichts erreicht. Übernsere Investitionsagentur sind 400 000 neue Arbeits-lätze in Afghanistan geschaffen worden. Von unsererikrokreditfinanzierung profitieren 400 000 Haushalte,andwerker, Händler und Dienstleister; sie haben einexistenz. 500 000 Schüler können eine Grundschule be-uchen. Das alles ist auch das Ergebnis deutscher Ent-icklungspolitik. Das muss an dieser Stelle einmal aner-annt werden.
Natürlich wird der Afghanistan-Einsatz in Deutsch-and kritisch begleitet, und zwar zu Recht. Natürlich stel-en sich Fragen. Ist unser Einsatz dort richtig? Ist dieserinsatz auch gut verzahnt? Über diese wichtige Frage istchon intensiv diskutiert worden. Das Afghanistan-Man-at der internationalen Gemeinschaft kann nur dannrfolgreich sein, wenn wir die richtige Zielsetzung ha-en, wenn wir zivile und militärische Komponenten mit-inander verzahnen und wenn wir mit unseren Partnernn der internationalen Gemeinschaft die richtige Verabre-ung, was Arbeitsteilung und Burden-Sharing betrifft,inden. Deshalb ist es richtig, keine Vorfestlegung zuachen, wie wir uns verhalten, wenn es eine Afghanis-an-Konferenz Ende Januar gegeben haben wird, son-ern jetzt das Afghanistan-Mandat zu verlängern und imanuar im Lichte der neuen Beschlüsse unsere Entschei-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 403
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Holger Haibachdungen zu treffen. Das müssen wir an dieser Stelle deut-lich sagen.
Dass zur Selbstbestimmung der Aufbau funktionie-render staatlicher Strukturen gehört, ist unbestritten. InMeseberg hat das Kabinett unter anderem beschlossen,dass die Zahl der deutschen Polizisten, die zur Ausbil-dung der afghanischen Polizei herangezogen werden sol-len, von 70 auf 200 erhöht werden soll.
Das ist notwendig. Natürlich wissen wir, dass wir nocheiniges zu tun haben, wenn wir zu einem Aufbau staat-licher Strukturen kommen wollen. Zum Aufbau staatli-cher Strukturen gibt es, wie wir wissen, keine Alterna-tive. Deswegen denke ich, dass wir unsere Rolle dabeispielen müssen.Wir brauchen an dieser Stelle aber auch den Dialog,den Wiederaufbau, die sichtbare Friedensdividende, wieHerr Niebel es genannt hat. An dieser Stelle will ichdeutlich sagen: Ich bin froh, dass der neue Minister alseine der ersten Maßnahmen verkündet hat, dass er durchUmschichtungen im Haushalt in diesem Jahr 52 Mil-lionen Euro zusätzlich bereitstellt, damit mehr Wieder-aufbau, mehr Entwicklungszusammenarbeit geleistet wer-den kann. Das ist ganz klar ein Zeichen dafür, dass wirerkannt haben, was für Afghanistan notwendig ist.
Wenn man sich die Kritik der Nichtregierungsorgani-sationen anschaut – diese Woche fand die VENRO-Kon-ferenz statt –, wird man zugestehen, dass man über vie-les diskutieren kann. Wer die Presseberichterstattungverfolgt, muss jedoch den Eindruck gewinnen, das allessei niemals erkannt worden und nichts davon sei Teildeutscher Politik. Ich will ein Beispiel anführen. Wirmüssen uns intensiv Gedanken darüber machen, wie wirnicht nur in den Städten und in den Gegenden rund umunsere PRTs Sicherheit schaffen und beim Wiederaufbauvorankommen, sondern auch in den ländlichen Räumen.Da ist Deutschland durchaus Vorreiter. Nehmen wir dasKonzept der Provincial Development Funds. Da sitzenAfghanen, zivile Entwicklungshelfer und Militärs an ei-nem Tisch und entscheiden gleichberechtigt darüber, wiebeträchtliche Mengen an Geld zur Stärkung ländlicherRegionen verteilt werden. Das kommt in der Öffentlich-keit kaum zur Sprache; man hört immer nur Kritik. Mitdiesem Konzept hat Deutschland aber eine Vorreiterrolleeingenommen; denn bisher gibt es kaum ein anderesLand, das in Afghanistan ebenfalls diese Politik verfolgt.Um es zusammenzufassen: Ich glaube, dass es not-wendig ist, insbesondere drei entwicklungspolitischeZiele zu sehen.Erstens. Wir müssen die Kapazitäten auf der afghani-schen Seite ausbauen; dazu habe ich etwas gesagt. Dasbedeutet, dass wir die größeren finanziellen Mittel, dieuns jetzt zur Verfügung stehen, in den staatlichen Auf-bau, in die Bildung und natürlich auch in den AufbaueladddadEkMHtncstdtitdismsLggdDdtidaMwWsct
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Herr Jung, ich fordere Sie hier in aller Ernsthaftigkeitauf, hier vor dem Parlament Stellung zu nehmen undnicht zuerst vor den Medien.Nun zurück zu unserem Thema. An der Begründungfür den deutschen Afghanistan-Einsatz hat sich nichtsgeändert. Ich muss sagen: Leider hat sich daran nochnichts geändert, weil die Lage in Afghanistan eben nichtso stabil ist, wie wir uns das wünschen. Wir wollen einenRückfall Afghanistans in die Zeiten des Bürgerkriegsund in die Zeiten der Talibanherrschaft verhindern. Des-wegen sind deutsche Soldaten in Afghanistan und leistendort anspruchsvolle Arbeit – eben auch unter Einsatz ih-res Lebens. Sie unterstützen vor Ort die internationalenBemühungen und die Bemühungen Afghanistans zurStabilisierung des Landes. Dieses Ziel – ein stabilesAfghanistan für die Menschen Afghanistans – ist undbleibt richtig.Aber ohne die Unterstützung unserer Soldatinnen undSoldaten wird dieses Ziel in weite Ferne rücken, nichtzuletzt deshalb, weil unser Einsatz auch die afghanischeRegierung und die internationalen Partner auffordert, ak-tiver beim Aufbau des Landes mitzuhelfen. Das bedeu-tet aber nicht, dass wir die Frage, wie lange dieser Ein-satz noch dauert, noch länger unbeantwortet lassenkönnen. Es ist sogar höchste Zeit, dass wir uns über diezeitliche Perspektive dieses Einsatzes verständigen. Daserwartet nicht nur die deutsche Öffentlichkeit von uns;das schulden wir vor allen Dingen auch den Soldatinnenund Soldaten der Bundeswehr, die wir in diesen gefährli-chen Einsatz schicken.Am Ende unseres Einsatzes muss die Regierung inAfghanistan selbst in der Lage sein, Verantwortung fürdie Sicherheit im Land zu übernehmen. Damit das ge-lingt, müssen wir Afghanistan eine klare Perspektivegeben: Auch Afghanistan braucht einen Zeitplan und da-mit eine konkrete Zielvorgabe, eine Perspektive für dieEntwicklung des Landes, eine Perspektive für das inter-nationale Engagement und vor allem auch eine Perspek-tive für die Soldatinnen und Soldaten, die uns zu Rechtimmer häufiger fragen, wie lange der Einsatz in Afgha-nistan wohl dauern wird. Deswegen muss jetzt im Inte-resse Afghanistans und in unserem Interesse die Grund-lage für einen durchdachten Abzug geschaffen werden.dbdagpuAaDhraIhddslnshsgrVdCmDLknuWusndugcwdOt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 405
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Der amtierende Verteidigungsminister war noch nichtzuständig, als sich die Luftangriffe in Afghanistan ereig-neten. Aber der damals zuständige und verantwortlicheMinister ist heute hier im Plenum. Wenn wir jetzt hören,dass ein Interview mit dem Verteidigungsminister a. D.Jung bei Phoenix bevorsteht, dann finde ich, dass dasParlament den Anspruch und das Recht hat, vorher per-sönlich Herrn Jung zu hören.
Wenn Herr Jung als nicht mehr zuständiger Ministerhier nicht reden darf, dann muss allerdings jemand ande-res die politische Verantwortung übernehmen und überdie politische Verantwortung reden. Wenn Herr Jung esnicht tun kann, dann kann es nur die Person tun, die da-mals im Amt war und heute im Amt ist; das ist die Bun-deskanzlerin.
Ich beantrage zunächst, dass der Informationsan-spruch des Parlamentes dadurch erfüllt wird, dass jetztVerteidigungsminister a. D. Jung das Wort erhält.
Das Wort hat der Kollege Altmaier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es handelt sich bei den Vorwürfen, über die wir
heute Morgen diskutiert haben, um einen ernsten Vorfall.
Der Bundesminister der Verteidigung hat in angemesse-
ner, umfassender und klarer Weise dem Parlament Re-
chenschaft darüber abgelegt. Ich möchte mich im
Namen der CDU/CSU-Fraktion dafür ganz herzlich be-
danken.
Ich finde es, Herr Kollege Oppermann, mit Verlaub
gesagt, der Situation nicht angemessen, wenn Sie versu-
chen, bei der Ernsthaftigkeit dieses Themas mit Ge-
schäftsordnungsanträgen und mit Vorwürfen, die durch
nichts begründet sind,
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ine Debatte, die in angemessener Art und Weise geführt
orden ist, für parteipolitische Zwecke auszuschlachten.
Mir ist nicht bekannt, dass der Bundesminister für Ar-
eit und Soziales in nächster Zeit ein Phoenix-Interview
eben wird.
ir ist auch kein Argument bekannt, das dafür spricht,
hrem Geschäftsordnungsantrag zuzustimmen.
Deshalb beantragen wir, diesen Geschäftsordnungs-
ntrag abzulehnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Antrag zureschäftsordnung gestellt worden. Eine Gegenrede istrmöglicht worden. Es besteht nach unserer Geschäfts-rdnung die Möglichkeit, darüber abzustimmen.
Nicht zwingend.Ich verweise auf § 29 Abs. 2 der Geschäftsordnung:Der Präsident kann die Worterteilung bei Ge-schäftsordnungsanträgen, denen entsprochen wer-den muss …, auf den Antragsteller, bei anderenAnträgen auf einen Sprecher jeder Fraktion be-schränken.
ch hätte also die Worterteilung auf den Antragsteller be-chränken können. Ich habe aber mehr zugelassen.
Der Präsident entscheidet. Ich entscheide so, weil es iner Sache nicht mehr bringt, sondern nur die Zeit verlän-ert.Ich bitte deshalb jetzt um Abstimmung.
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406 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt– Die Kollegin will einen weiteren Geschäftsordnungs-antrag stellen. Wir sind aber in der Abstimmung überden vorliegenden Geschäftsordnungsantrag.Der Kollege Oppermann hat einen Geschäftsord-nungsantrag gestellt, und über diesen Antrag lasse ichabstimmen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich umdas Handzeichen. – Gegenprobe! –
Wir sind uns nicht einig. Deshalb muss ausgezählt wer-den. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Saal zuverlassen. – Darf ich darum bitten, dass alle Kolleginnenund Kollegen, die nicht Schriftführer sind, den Saal defi-nitiv verlassen? – Ich bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, ihre Plätze an den Türen einzunehmen.Darf ich um ein Zeichen bitten, ob die Schriftführer ihrePlätze eingenommen haben? – Ja, das ist der Fall.Der Saal ist derzeit leer. Ich weise noch einmal daraufhin, dass wir über den Geschäftsordnungsantrag derSPD-Fraktion abstimmen. Ich bitte nun, mit dem Aus-zählen zu beginnen.Sind jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, die zu-nächst vor der Tür standen, im Saal? – Dann bitte ichSie, Platz zu nehmen. Die Auszählung ist geschlossen.Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mirdas Ergebnis mitzuteilen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmungüber den Geschäftsordnungsantrag bekannt: Mit Ja ha-ben gestimmt 231, mit Nein haben gestimmt 293 Abge-ordnete, Enthaltung keine.
Der Geschäftsordnungsantrag ist damit abgelehnt.Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung über denGeschäftsordnungsantrag hat Herr Bundesminister Jungangeboten, eine Stellungnahme abzugeben.
Herr Minister, bitte.Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister für Arbeitund Soziales:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zu-nächst sagen, dass ich es gerade in dieser wichtigen undernsten Debatte für notwendig erachte, dass Offenheit,Transparenz und Ehrlichkeit die Grundlage sind für Ver-trauen und dass dies auch und gerade für mich im Hin-blick auf die Information für das Parlament gilt.
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Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-
rdnungspunkt.
Interfraktionell wurde vereinbart, die Vorlage auf
rucksache 17/39 an die in der Tagesordnung aufgeführ-
en Ausschüsse zu überweisen. – Ich sehe, Sie sind damit
inverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlos-
en.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Altersteilzeitgesetzes
– Drucksache 17/20 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Ich darf Sie bitten, liebe Kolleginnen und Kollegen,
hre Gespräche außerhalb des Saales fortzuführen und
en Rednerinnen und Rednern der nächsten Debatte
ufmerksamkeit zu schenken.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
ie Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
ehe dazu keinen Widerspruch. Dann werden wir so ver-
ahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
er das Wort dem Kollegen Hubertus Heil von der SPD-
raktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habeerständnis dafür, dass dies für den Bundesminister fürrbeit und Soziales aufgrund der Debatte, die wir ebeneführt haben, und der Berichterstattungen kein einfa-her Tag ist. Mich hat eben eine Nachricht erreicht, dieuf die Situation, in der sich der Minister in seinemeuen Amt befindet, ein bezeichnendes Licht wirft. Ichabe gerade gehört, dass auf der Konferenz der Arbeits-nd Sozialminister der Bundesländer, nachdem gesternbend mit dem Bundesarbeitsminister beraten wurde,it sage und schreibe 15 Stimmen bei einer Enthaltung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 407
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Hubertus Heil
entschieden wurde, dass im Rahmen der Reform desSGB II – Stichwort „Jobcenter“ – der alte von OlafScholz erarbeitete und von der CDU/CSU-Bundestags-fraktion torpedierte Kompromiss und Gesetzentwurf be-schlossen werden soll. Das zeigt den Rückhalt, den Siein der Arbeitsmarktpolitik haben.
Es ist also in mehrerlei Hinsicht kein einfacher Tagfür den Bundesarbeitsminister. Ich habe zwar Verständ-nis dafür, dass er sich, wie er eben gesagt hat, die nötigeZeit nimmt, und finde es fair, dass er heute in der altenAngelegenheit Stellung nimmt. Wir brauchen aber imBereich der Arbeitsmarktpolitik, zumal in diesen Zeiten,einen Bundesminister für Arbeit und Soziales, der denKopf und den Rücken frei hat, um sich um den Arbeits-markt in diesem Land zu kümmern.
Herr Fuchtel, als zuständiger Staatssekretär sind Siehier in Vertretung des Ministers; vielleicht hören Sie ein-mal zu. Es geht nämlich um ein arbeitsmarktpolitischesInstrument, das aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion indieser Krise unerlässlich ist. Es ist richtig und vernünf-tig, dass Sie in der Tradition von Olaf Scholz im nächs-ten Jahr die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes wiederverlängert haben, um ein Instrument zur Verfügung zuhaben, den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise aufdem Arbeitsmarkt in Deutschland effektiv begegnen zukönnen. Umso weniger verstehe ich aber, dass Sie ge-rade in dieser Krise ein weiteres wichtiges Instrument,nämlich die geförderte Altersteilzeit, die eine Beschäf-tigungsbrücke zwischen Jüngeren und Älteren darstellt,auslaufen lassen wollen. Das ist weder logisch nochsinnvoll.
Deshalb legt die SPD-Bundestagsfraktion heute einenGesetzentwurf vor, der die Verlängerung der Regelungzur geförderten Altersteilzeit um fünf Jahre vorsieht. Wirsind der festen Überzeugung, dass es notwendig undrichtig ist, sich die Entwicklung auf dem Arbeitsmarktgenau anzusehen. Ja, es ist richtig, dass im Jahre 2009die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise abgefedertwerden konnten, dass die Entwicklung auf dem Arbeits-markt bis dato nicht so schrecklich war wie prognosti-ziert. Aber wir müssen feststellen, dass diese Aussagefür bestimmte Altersgruppen auf dem Arbeitsmarkt be-reits in diesem Jahr so nicht gilt. Probleme gibt es beiunter 25-Jährigen und über 50-Jährigen. Gerade deshalbist es notwendig, eine Beschäftigungsbrücke, das heißtgeförderte Altersteilzeit, zu bauen und zu erhalten.Die Frage ist doch, meine Damen und Herren von derKoalition, ob wir in dieser Situation pragmatischreagieren, um das zu tun, was notwendig ist, nämlichBeschäftigung zu sichern und vor allen Dingen Berufs-einstiegschancen für Jüngere zu schaffen. Ich kann dieideologische Position, mit der Sie uns hier begegnen,nicht verstehen.ezinstGrrg–gusDeaRamphduarZziSwbuimJwagmskwsB
n der all die Argumente, die Frau Connemann gleichoch einmal auflisten wird, entkräftet werden. Es istchlicht und ergreifend falsch, dass die geförderte Al-ersteilzeit den Trend zur Frühverrentung unterstützt. Imegenteil: Wir in der Verantwortung der Bundesregie-ung haben in den letzten Jahren den Trend zur Frühver-entung in diesem Land gestoppt und umgekehrt. Das istut so, und das ist richtig so.
Entschuldigen Sie, ist Ihnen aufgefallen, dass die Re-elung der geförderten Altersteilzeit noch in Kraft ist
nd dass die geförderte Altersteilzeit also kein Brandbe-chleuniger für den Trend zur Frühverrentung sein kann?
enn wir haben diese zurückgedrängt. Wenn Sie einmalin bisschen nachdenken würden, dann würde sich dasuch Ihnen erschließen.Helmut Kohl hat einmal den schönen Satz gesagt: Dieealität ist anders als die Wirklichkeit. Ich habe damalsls Jungsozialist oft darüber geschmunzelt. Inzwischen,it zunehmendem Lebensalter, begreife ich, was derhilosophiebegabte Altbundeskanzler damit gemeintat. Die Realität im nächsten Jahr wird sein, dass sichie Probleme am Arbeitsmarkt infolge der Wirtschafts-nd Finanzkrise verschärfen werden. Das wissen wirlle. Aber die Wirklichkeit ist, dass diese Bundesregie-ung den Menschen in Deutschland die gerade in dieseneiten notwendigen Instrumente, um dieser Entwicklungu begegnen, verweigert.Frau Connemann, als niedersächsischer Kollege willch Ihnen im Vorfeld Ihrer Rede einen Tipp geben. Bevorie wieder erzählen, das Instrument der Altersteilzeiterde von den Unternehmen zum Personalabbau miss-raucht, empfehle ich Ihnen, sich die Salzgitter AG innserem Heimatland Niedersachsen anzuschauen. Dasst ein Unternehmen, das mit dem Werk in Peine auch ineinem Wahlkreis vertreten ist. Es hat in den letztenahren das Instrument der geförderten Altersteilzeit sehrohl genutzt, um in einer Branche, die sehr konjunktur-bhängig ist, Beschäftigungsbrücken zu bauen, um Jün-eren konsequent den Einstieg ins Berufsleben zu er-öglichen.Wenn wir davon ausgehen, dass in Zeiten einer Wirt-chaftskrise Kurzarbeit oder neue Instrumente zur Ver-ürzung der Arbeitszeit – auch der Wochenarbeitszeit,ie sie Herr Kannegiesser und die IG Metall ins Ge-präch gebracht haben – grundsätzlich Instrumente zureschäftigungssicherung sein können, dann sollten wir)
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408 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Hubertus Heil
uns das bewährte Instrument der geförderten Altersteil-zeit nicht entgehen lassen.Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf binnen kür-zester Zeit erarbeitet und vorgelegt. Ich bitte Sie von derKoalition, nicht aus ideologischen Gründen oder weil ervon uns als Opposition vorgelegt worden ist, an dieserStelle tatsächlich noch einmal nachzudenken und umzu-kehren. Die jungen Menschen, die unter 25-Jährigen,verdienen eine Chance. Die Chance, Älteren – die eswollen oder auch brauchen – durch Arbeitszeitverkür-zung, das heißt durch geförderte Altersteilzeit, einen fle-xiblen Übergang in den Ruhestand zu ermöglichen, istnicht nur pragmatisch richtig, sondern auch menschen-gerecht und in dieser Phase des Arbeitsmarktes unerläss-lich.Deshalb ist unser Vorschlag konsequent. Wir habendamit zu rechnen, dass auch im Bundesrat entsprechendeInitiativen ergriffen werden. Ich bitte Sie an dieserStelle, sowohl auf das zu hören, was aus dem Bereichder Personalvorstände und der Unternehmensleitungen,als auch auf das, was von den Gewerkschaften und ausdem Bereich der Betriebs- und Personalräte gefordertwird.Es ist eine Chance, ein in dieser Krise notwendigesInstrument nicht zu verspielen, das eine Beschäfti-gungsbrücke zwischen Jüngeren und Älteren darstellt.Deshalb ist es auch eine gesamtwirtschaftliche Frage, obwir über dieses Instrument dem drohenden Fachkräfte-mangel der Zukunft begegnen können, indem wir jungenMenschen konsequent einen Einstieg über die Möglich-keit der geförderten Altersteilzeit ermöglichen,
damit sie diese Beschäftigungsbrücken zwischen denGenerationen beschreiten können.Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie imNamen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, inZeiten, in denen der Bundesarbeitsminister mit Dingenaus seiner Vergangenheit belastet ist, den Blick für dieGegenwart und die Zukunft am Arbeitsmarkt nicht zuverlieren und unserem Gesetzentwurf zuzustimmen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion ist die
Kollegin Gitta Connemann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, seit der Bun-
destagswahl scheinen Sie sich ein neues Hobby zugelegt
zu haben: der Kollege Heil das der Hellseherei; denn er
wusste schon vor meiner Rede, was ich sagen würde.
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eute bringen Sie einen nahezu inhaltsgleichen Gesetz-
ntwurf ein. Das nenne ich eine Rolle rückwärts.
Doch wenn Sie glauben, dafür eine Goldmedaille zu
ewinnen, muss ich Sie enttäuschen, liebe Sports-
reunde;
enn die Rolle rückwärts ist keine olympische Disziplin.
amit schaffen Sie es noch nicht einmal aufs Podium;
enn wir werden Ihren gemeinsamen Verrenkungen mit
en Linken auf Kosten der Arbeitslosenversicherung
icht zustimmen, und genau darum geht es heute.
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? – Der Herr
ollege Heil würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Sehr gerne, Herr Kollege.
Bitte sehr.
Liebe Kollegin Connemann, Ihnen sollte eigentlichekannt sein, was Koalitionsverträge bedeuten, und Sieollten wissen, dass Sie uns, Ihren damaligen Koalitions-artner, in der letzten Legislaturperiode daran gehindertaben, die Regelung zur geförderten Altersteilzeit zuerlängern.
eine Frage ist: Meinen Sie mit „Rolle rückwärts“ auchie „Rolle Rüttgers“, die Position des nordrhein-westfä-ischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers, der gegen-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 409
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Hubertus Heil
über Gewerkschaften und Arbeitgebern eine Verlänge-rung der Regelung zur geförderten Altersteilzeit ganzausdrücklich befürwortet hat? Meine Frage ist: WollenSie Herrn Rüttgers auch in die kommunistische Eckerücken?
Lieber Herr Kollege Heil, allenfalls in sportlicherHinsicht. Ich beurteile in diesem Plenum Ihre Leistung,und Fakt ist, dass die Koalitionsvereinbarung auch mitIhren Stimmen geschlossen worden ist. Übrigens gingvon Ihrem damaligen Bundesminister für Arbeit und So-ziales, Franz Müntefering, langjähriger Parteivorsitzen-der und Vizekanzler, die Initiative zur Beendigung dergeförderten Altersteilzeit aus.
Dabei ging es im Wesentlichen, und zwar aus gutemGrund, um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
– Ich bin noch nicht fertig.
– Gut, vielen Dank, dass Sie selbst bestimmen, wann dieFrage beantwortet ist. Ich hätte Ihnen gerne noch erklärt,wie der Staat fördert, und darauf hingewiesen, dass erweiterhin fördert. Sie erzeugen einen Irrglauben, wennSie sagen, dass die Altersteilzeit nicht weitergeführtwerden kann. Tatsache ist, dass sie auch nach 2009 wei-tergeführt werden wird, und zwar mit einer erheblichenstaatlichen Förderung. Der Betrag, mit dem das Teilzeit-gehalt aufgestockt wird, ist von Steuern und Sozialabga-ben befreit. Davon profitieren heute 500 000 Arbeitneh-mer. Diese erhebliche Förderung wird es weiterhingeben.Es geht um den zweiten Teil, nämlich um die Tatsa-che, dass die Bundesagentur für Arbeit die Mindestauf-stockung des Gehalts um 20 Prozent übernimmt, wennder frei werdende Arbeitsplatz neu besetzt bzw. ein Aus-gebildeter dafür eingestellt wird. Diese Förderung ausder Kasse der Arbeitslosenversicherung erfolgt in20 Prozent der Fälle. Mit einer außerordentlich hohenSumme. 1,3 Milliarden Euro werden pro Jahr für nur94 000 Beschäftigte in Altersteilzeit aufgewandt, undzwar aus Beiträgen, die an sich das Risiko der Arbeits-losigkeit absichern sollen. Das geht auf Kosten allerArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in die Ar-beitslosenversicherung einzahlen. Das heißt, viele sub-ventionieren die Frührente einiger weniger. Das ist in je-der Hinsicht ungerecht. Deswegen sagen wir sehrdeutlich: Mit dieser Frühverrentung muss am Ende die-ses Jahres endlich Schluss sein.pvdswnvbHdBaRgsggihAimÜqilDltRunrlnRenGwk
is zu einem Stichtag wird voll gearbeitet. Dann folgtbrupt die Freizeitphase. Ein gleitender Übergang in denuhestand findet gerade nicht statt. Damit sind nicht nuresundheitliche Risiken verbunden. Die Älteren verlas-en die Betriebe faktisch einige Jahre vor der Alters-renze. Das ist ein großer Verlust angesichts der demo-rafischen Entwicklung. Gerade diese wird von der SPDn ihrem Gesetzentwurf als Begründung angeführt. Dorteißt es:Die demografische Entwicklung macht es erforder-lich, das Beschäftigungspotenzial der Älteren vollauszuschöpfen.bsolut richtig, liebe SPD! Weiter steht dort, man müssehr wertvolles Erfahrungswissen länger in den Unterneh-en nutzen. Absolut richtig! Aber wenn Sie flexiblebergänge wirklich wollen, dann müssen Sie konse-uenterweise das Blockmodell abschaffen. Davon stehtn Ihrem Gesetzentwurf ebenso wenig wie in den dama-igen Anträgen der Linken.
as macht im Umkehrschluss deutlich, was Sie eigent-ich wollen: Weiter mit der subventionierten Frühverren-ung.
Zweitens. Von dieser Praxis profitieren laut Deutscherentenversicherung und dem Institut für Arbeitsmarkt-nd Berufsforschung, IAB, vor allem Besserverdie-ende, die kaum arbeitslos gewesen sind. Die Bürobe-ufe der öffentlichen Verwaltung und im Kreditgewerbeiegen dabei vorne. Im Baugewerbe profitieren dagegenur 2 Prozent von der Frühverrentung. Das heißt, dieede vom Bauarbeiter, der in die Altersteilzeit geht, istigentlich eine Mär, die der heutigen Realität faktischicht entspricht.
erade diejenigen, die körperlich hart arbeiten müssen undenig verdienen – der Bauarbeiter und die Friseurin –,önnen sich dieses Modell nicht leisten, müssen es aber
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410 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Gitta Connemannmit ihren Beitrags- und Steuermitteln finanzieren. DieKleinen zahlen für die Großen; das ist unsozial.
Deswegen werden wir es nicht mittragen.Drittens. Lieber Herr Kollege Heil, die Altersteilzeithat nicht zu mehr Einstellungen geführt. Dies möchteder Kollege Heil nicht hören; deswegen dreht er mir of-fensichtlich den Rücken zu. – Sicherlich sind Auszubil-dende übernommen worden. Allerdings wären sie ohne-hin übernommen worden; denn angesichts des trotz derKrise bestehenden Fachkräftebedarfs hat jedes Unter-nehmen ein Interesse daran, seinen qualifizierten Nach-wuchs zu behalten. Mitnahmeeffekte anstatt einer Be-schäftigungsbrücke. So findet sich in einer aktuellenStudie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-schung der Bundesagentur für Arbeit die Deutung – ichzitiere –, „dass es vermehrt zu Mitnahmeeffekten durchUnternehmen kam, die Auszubildende sowieso einge-stellt bzw. übernommen hätten“.Viertens. Diese Mitnahmepraxis wird insbesonderevon Konzernen genutzt. Auf die Betriebe mit mehr als1 000 Beschäftigten entfallen mehr als ein Drittel der Al-tersteilzeitbeschäftigten. Dagegen beträgt der Anteil inBetrieben mit weniger als 20 Arbeitnehmern weniger als2 Prozent, obwohl mehr als ein Drittel der Arbeitnehmerin Deutschland in solchen Betrieben arbeitet. Das heißt,die Altersteilzeit gehört in den Großbetrieben zum Stan-dard. Die Konzerne nutzen die Altersteilzeit, um sich be-quem und auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler vonälteren Arbeitnehmern zu verabschieden; auch das istunsozial.
Es gibt also kein einziges Argument, die Altersteilzeitnach 2009 mit Mitteln der Arbeitslosenversicherung zufördern. Die Förderung ist unsozial, der Nutzen zweifel-haft; Mitnahmeeffekte sind vorprogrammiert. Herr Kol-lege Heil, davon geht auch ein vollkommen falschesSignal aus: Ältere raus aus den Betrieben, subventioniertvon der Allgemeinheit. Genau das brauchen wir nicht.Wir brauchen in dieser Gesellschaft die Älteren ebensowie die Jüngeren. Wir dürfen kein Konkurrenzverhältniserzeugen; das ist mit uns von der Union nicht zu ma-chen.
Wir benoten die derzeitige Altersteilzeitregelungebenso wie die Bundesagentur – ich zitiere –: „Beliebt,aber nicht zukunftsgerecht.“ In der neuesten Studie vomAugust 2009 lehnt das IAB, die Forschungseinrichtungder Bundesagentur für Arbeit, die Altersteilzeitregelungmit folgender Begründung ab – ich zitiere –:In ihrer gegenwärtigen Form gibt die Altersteilzeitdie falschen Signale. … Deshalb gewinnen Maß-nahmen an Bedeutung, die dazu beitragen, die Be-schäftigungsfähigkeit der älteren Mitarbeiter zu er-halten. So sollte die Arbeitsmarktpolitik auf längereSicht den Fokus auf die Beschäftigung möglichstbis an die Ruhestandsgrenze legen – gerade bei ei-wlrldniSmsrmttbmeFdNBbmlMtdtEgMLdPfF
Liebe Sportsfreunde von der SPD, Ihr Gesetzentwurfeist genau in die entgegengesetzte Richtung: Sie wol-en die Renaissance der staatlich geförderten Frühver-entung. Das ist angesichts der demografischen Entwick-ung ein schwerer Fehler. Sie wissen um diesen Fehler;enn im Jahre 2005 war es kein Geringerer als Ihr Ge-osse Franz Müntefering, der den Rentenbeginn mit 67nitiierte.
eine Idee war und ist noch heute richtig – wir haben esitgetragen –; denn immer weniger Arbeitnehmer müs-en in Zukunft immer mehr Menschen im Alter finanzie-en. Die Behauptung, damit werde jüngeren Arbeitneh-ern der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt, istatsächlich längst widerlegt. In vielen Branchen fehltrotz der Krise der Nachwuchs.Mit dem Prinzip der Rente mit 67 ist die Wiederbele-ung der staatlich geförderten Frühverrentung vollkom-en unvereinbar. Damit wird an Ihrem Gesetzentwurfines deutlich: Es geht Ihnen letztlich nur darum, eineigenblatt zu finden, um sich von der Rente mit 67 undamit auch von der Agenda 2010 zu verabschieden.
ichts anderes ist dieser Gesetzentwurf: ein Feigenblatt.Es steht völlig außer Frage, dass wir in bestimmtenranchen mit schwerster Belastung Kranken und Ausge-rannten eine Möglichkeit geben müssen. Das haben wirit den Programmen getan, die wir in der letzten Legis-aturperiode gemeinsam aufgelegt haben. Wir haben dortöglichkeiten geboten, und zwar durch finanzielle Leis-ungen, durch die Förderung der beruflichen Weiterbil-ung, durch Modernisierung und altersgerechte Gestal-ung von Arbeitsbedingungen – mit Erfolg: Dierwerbstätigenquote bei Älteren ist signifikant angestie-en.Verlassen Sie doch diesen Pfad der Vernunft nicht!eine Damen und Herren von der SPD wie auch von derinken, ich kann nur sagen: Nehmen Sie Abstand voniesem Gesetzentwurf! Damit werden Sie weder einenlatz in der Sportgeschichte noch im Bundesgesetzblattinden. Wir werden ihn ablehnen.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Klaus Ernst für dieraktion Die Linke.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 411
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Gesetzentwurf der SPD geht angesichts derSituation, die wir zurzeit, in der Krise, in den Betriebenganz real vorfinden, in die richtige Richtung. Ich werdezu Frau Connemann noch das eine oder andere über dieRealität sagen.Aber ein paar Bemerkungen kann ich natürlich auchder SPD nicht ersparen. Es ist richtig, dass Ihr Weg, dieAnhebung des Renteneintrittsalters – dafür sind Sie mitverantwortlich – und das Auslaufen der geförderten Al-tersteilzeit – in der Zeit, in der Sie regiert haben, ist sieausgelaufen, und Sie haben nicht dazu beigetragen, dassdas vernünftig geregelt wird –, die Probleme herbeige-führt hat, die Sie jetzt versuchen zu regeln. Dass Sie esjetzt regeln wollen, ist schön; aber besonders loben kön-nen wir Sie dafür nicht.
– Ich kann Ihnen auch sagen, warum: Wenn man einenBrand legt, dann kann man nicht dafür gelobt werden,dass man als Erster die Feuerwehr ruft.
Wir müssen daran erinnern, wo Ihre Verantwortungliegt. Hier wird richtigerweise angeführt, dass Sie IhrePosition in der Rentenpolitik ändern. Das eigentlicheProblem ist also Ihre Rentenpolitik. Sie sind sich nachwie vor überhaupt nicht einig, was Sie wollen. Auf Ih-rem Parteitag hieß es zur Rente mit 67 – ich zitiere –:Wir werden uns dazu im nächsten Jahr konkret ver-halten, wenn die Bundesregierung den Bericht zuder Anhebung der Regelaltersgrenze gibt.Sie haben im Wahlmanifest von 2005 geschrieben– ich zitiere –:Unser Ziel ist, das faktische Renteneintrittsalter andas gesetzliche Eintrittsalter von 65 Jahren heran-zuführen.Herausgekommen sind die Rente mit 67 und das Auslau-fen der geförderten Altersteilzeit.Ich sage Ihnen: Das Problem, das Sie zurzeit in dieserFrage haben, ist, dass Sie herumeiern. Sie haben nochkeinen Kurs gefunden. In dieser Frage hat die CDU/CSUleider recht. Ich kann nur hoffen, dass Sie Ihren Kursendlich finden. Denn die letzten Wahlergebnisse undUmfrageergebnisse sind für Sie ja nicht berauschend.Das hängt damit zusammen, dass Sie noch keinen Kursgefunden haben. Ich kann Ihnen auch sagen: Wenn mansich dreht und wendet, wird man von denen nicht mehrerkannt, wo man her kommt, und von denen nicht akzep-tiert, wo man hin will. Das ist Ihr Problem.
Kehren Sie um, und versuchen Sie, zumindest in dieserFrage wieder Sozialdemokraten zu werden; Sie sind esnoch nicht ganz.Zum Inhalt Ihres Gesetzentwurfes: Der Gesetzent-wurf geht in die richtige Richtung, weil er tatsächlichvBzLletertJshhtswneuKSReobbrvrwpSGDDBwSzAlD–nd
as war damals Ihre Position, und die war richtig.
Nein, sie war richtig. Zu den Grünen komme ich auchoch. Lassen Sie mir nur ein bisschen Zeit, einer nachem anderen. –
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412 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Klaus Ernst
Sie haben damals eine richtige Position vertreten mitdem Ergebnis, dass immer dann, wenn es Beschäfti-gungsprobleme gab, sodass die Jüngeren nicht in die Be-triebe kamen, die Möglichkeit eröffnet wurde, die Auszu-bildenden trotzdem zu übernehmen und die Älteren – ichsage es einmal so: in Würde –, ohne dass sie vorher ar-beitslos wurden, in Rente gehen zu lassen. Das war ein-mal.Inzwischen lehnen Sie das vollkommen ab. Sie sagen– das habe ich gerade bei Frau Connemann gehört –, dassSie Erfahrungswissen länger halten wollen. Ich weißnicht, ob Sie zur Kenntnis nehmen, was zurzeit im Landepassiert. Ich weiß nicht, ob Sie zur Kenntnis nehmen,was zum Beispiel in meiner Region geschieht. Dort gibtes vier größere Betriebe in der Größenordnung von 2 000bis 7 000 Beschäftigten. In einem dieser Betriebe geht esjetzt in der Krise um ein Sparprogramm von 200 Millio-nen Euro. In einem anderen Betrieb wurde ein Perso-nalabbau um 25 Prozent angekündigt. Im dritten Betriebsollen Umstrukturierungen stattfinden, damit man sichnach der Krise vernünftig aufstellen kann. All das gehtzulasten der Beschäftigung. Mit Ihrer Ablehnung der ge-förderten Altersteilzeit sagen Sie letztendlich: Die Jun-gen sollen in die Arbeitslosigkeit gehen, und die Altensollen arbeiten bis zum Umfallen. – Um es einmal ganzdeutlich zu sagen: Wenn Sie die geförderte Altersteilzeitablehnen, ist das ein Skandal.
Frau Connemann, Sie müssen mir einmal den Be-schäftigten zeigen, der ein großes Erfahrungswissen hat,nicht arbeiten will und, obwohl er gebraucht wird, seinenArbeitsplatz aufgibt. Diesen Beschäftigten gibt es nicht.
Es gibt allerdings Beschäftigte, die ihr Wissen in den Be-trieben gerne weiter einsetzen würden,
es aber nicht können, weil in den Betrieben gegenwärtigein Personalabbau in der Größenordnung von 10 bis15 Prozent stattfindet.Im Übrigen trifft das Argument, das Sie vorhin imHinblick auf eine öffentliche Subventionierung ange-führt haben – mit der Folge, dass dann Leute zu Hausebleiben könnten –, auf die Kurzarbeit genauso zu.
Wo ist der Unterschied?
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Meine Damen und Herren, die Konsequenz Ihrer Ab-ehnung einer solchen Position ist, dass Sie die Perspek-ivlosigkeit der Jugend fördern. Es wäre allemal besser,enn die Jungen beschäftigt würden, als dass die Altenicht rauskönnen. Mit Ihrer Politik tragen Sie dazu bei,ass sich ein Teil der Jugend von der Politik und von die-em Staat abwendet. Wenn man der Jugend die Perspek-iven verwehrt, muss man sich darüber nicht wundern.ie Wahlbeteiligungen, die wir zurzeit haben, sprechenhre eigene Sprache. Mit Ihrer Politik tragen Sie dazuei, dass die Alten so lange arbeiten müssen und nichtauskönnen, obwohl in den Betrieben die Arbeit nichtehr vorhanden ist. Das geht aus meiner Sicht in dieollkommen falsche Richtung.Eine Bemerkung zu den Grünen: Ich weiß, ihr seidagegen. Aber wer nicht akzeptiert, dass es für die Älte-en würdevoller ist, dann, wenn sie nicht mehr gebrauchterden, vernünftig und gesund aus dem Betrieb raus-ukommen als vor der Rente in die Arbeitslosigkeiteschickt zu werden – das ist ja die Konsequenz derahlen –, braucht mir in diesem Parlament nicht mitürde zu kommen.
Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren,ie sagen immer, wir würden die Demografie nichterücksichtigen. Wir wissen, wie sich die Demografientwickelt: Bis 2050 haben wir 8 Millionen Einwohnereniger. Wir wissen aber auch, dass sich das Brutto-nlandsprodukt, wenn man eine jährliche Steigerungsrateon 1,5 Prozent unterstellt, im selben Zeitraum verdop-
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Klaus Ernstpelt. Wir haben also weniger Leute, aber einen doppeltso großen Kuchen; das ist die Demografie. Jetzt frageich Sie: Sind die einzelnen Kuchenstücke dann kleineroder größer? Selbstverständlich sind sie größer; das be-sagt der Dreisatz. Jetzt muss man sich fragen: Warumgeht die Rechnung dann nicht auf? Offensichtlich des-wegen nicht, weil uns jemand den Kuchen klaut.
Es wäre besser, wenn Sie weniger über die Demografieschwafelten und sich stattdessen um die Kuchendiebekümmerten. Dann gäbe es auch wieder eine vernünftigeRente.Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Johannes
Vogel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Schauen wir uns einmal an, was in dem Gesetzentwurfder SPD steht. Die Analyse in der Begründung ist teil-weise korrekt: Wir stehen vor den Herausforderungendes demografischen Wandels, und wir haben einen Fach-kräftemangel; deshalb sind Unternehmen und Arbeits-markt umso stärker auf das Potenzial der Älteren ange-wiesen. – Gleichzeitig sagen Sie: Der Arbeitsmarkt warin der Krise bisher relativ robust; aber es bleibt unsereAufgabe, darauf zu achten, dass wir Beschäftigung fürÄltere und Jüngere schaffen. – So weit, so gut. Aberdann wird es absurd. Denn was ist Ihre Antwort darauf?Die Frühverrentung.
– Nein!Schauen wir uns einmal an, was Altersteilzeit so, wieSie sie sich vorstellen, nämlich beitragsfinanziert, heißenwürde: Sie wäre nicht nur – darauf hat die KolleginConnemann hingewiesen – sehr teuer, sondern faktischein Anreiz zur Frühverrentung; denn 90 Prozent nutzendie Altersteilzeit in Form des Blockmodells, gehen defacto früher in Rente.
Wenn Sie das auch noch fördern, senden Sie an die Älte-ren das Signal: Wir wollen euch nicht mehr. – Da liegtder zentrale Widerspruch: Sie führen in Ihrem Gesetz-entwurf zwar lang und breit aus, dass die Älteren wichtigseien; Ihre Argumentation läuft aber darauf hinaus, dassdie Älteren früher gehen sollten. Das ist absurd, denn da-durch werden die Älteren aus dem Arbeitsmarkt ge-drängt. Mit Würde, lieber Herr Ernst, hat das überhauptnichts zu tun.wA–QndrWsnAglBh–AsewnAFmdiw2vA–dd–mvl
Warum ist Altersteilzeit gerade jetzt die falsche Ant-ort? Wir müssen konstatieren, dass die Trendwende amrbeitsmarkt endlich geschafft ist. Seit Jahren reden wir über alle politischen Lager hinweg – davon, dass dieualität der Arbeit der älteren Menschen in den Unter-ehmen endlich stärker anerkannt werden müsse undass, weil das noch nicht der Fall sei, die Chancen Älte-er auf dem Arbeitsmarkt heutzutage nicht gut seien.enn wir uns jetzt die Zahlen der letzten Jahre anschauen,ehen wir, dass sich bei der Beschäftigung älterer Arbeit-ehmerinnen und Arbeitnehmer endlich ein deutlichernstieg feststellen lässt: Der Anteil der 55- bis 59-Jähri-en, die sich noch in Beschäftigung befinden, ist in denetzten vier Jahren um mehr als 25 Prozent gestiegen.ei den 60- bis 65-Jährigen beträgt der Anstieg immer-in noch mehr als 20 Prozent.
Ja, trotz Altersteilzeit; aber darum geht es jetzt nicht. –n diesen Zahlen zeigt sich, dass der Paradigmenwech-el endlich da ist: Ältere werden von den Unternehmenndlich nachgefragt,
egen ihres Wissens und wegen ihrer Erfahrung undicht zuletzt wegen des Fachkräftemangels.
usgerechnet jetzt die beitragsfinanzierten Anreize zurrühverrentung zu verlängern, ist das fatalste Signal, dasan geben kann, liebe Kolleginnen und Kollegen voner SPD. Dafür fehlt mir jedes Verständnis.
Der zweite Grund, warum das in meinen Augen undn den Augen der FDP die falsche Antwort ist, lautet:eil damit im Grundsatz einfach der Geist von vor0 Jahren gezeigt wird. Sie sind im Kern noch immer da-on überzeugt, dass es nur eine bestimmte Summe anrbeitsplätzen gibt.
Doch, doch, doch. – Sie machen sich nur Gedankenarüber, wie man diesen Kuchen, den es gibt, zwischenen verschiedenen Generationen verteilen kann.
Doch. – Worum wir uns Gedanken machen – dasüsste doch die Antwort sein –, ist, wie wir den Kuchenergrößern können, statt ihn nur anders zu verteilen,iebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD.
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414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Johannes Vogel
– Ich sage Ihnen, wo unsere Wachstumsstrategie ist.
Was wir machen – damit komme ich genau zumPunkt; das wäre eine wirkliche Antwort für Ältere undJüngere –, ist, auf Wachstum zu setzen, Herr Heil. Dastun wir
durch eine gute Wirtschaftspolitik, durch das Wachs-tumsbeschleunigungsgesetz,
durch bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand
und dadurch, dass wir einen Schwerpunkt auf Bildunglegen. Dadurch werden Arbeitsplätze für Junge und fürÄltere geschaffen, und das ist die einzig vernünftigeAntwort, die man geben kann.
– Ich übernachte relativ selten in Hotels, Herr Heil.Gehen wir doch einmal weiter und schauen wir unsan, welche Teile der Analyse in Ihrem Antrag durchausrichtig sind. Sie weisen darauf hin: Wir müssen uns Ge-danken darüber machen, wie der Renteneinstieg inDeutschland flexibler gestaltet werden kann.
Das ist richtig, natürlich. Die Menschen fangen in einemunterschiedlichen Lebensalter an zu arbeiten. Sie ma-chen unterschiedliche Jobs. Teilweise müssen oder wol-len sie zu unterschiedlichen Zeiten in den Ruhestand tre-ten. Das ist richtig. Darüber können wir gerne reden. Dasmuss aber dann doch mit dem FDP-Modell geregelt wer-den, nämlich mit korrekten Zu- und Abschlägen, undohne dass die Älteren künstlich in die Verrentung ge-drängt werden, liebe SPD-Kollegen.
Ich halte unter dem Strich fest – ich glaube, zu diesemSchluss muss man bei Ihrem Gesetzentwurf kommen –:Sie loben in Ihrem Gesetzentwurf die älteren Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer für ihr Erfahrungswissen.Das ist gut. Etwas mehr davon hätte ich mir aber auchbei Ihrem Antrag gewünscht; denn statt einer Umtausch-aktion Alt gegen Jung zuzustimmen, wollen wir durchWfe–dniIieieeaSgiABdiffaaDmsa
Das hat mit Klientelpolitik überhaupt nichts zu tun.Schauen wir uns aber auch einmal das Verfahren an;enn was Sie da vorschlagen, ist aus meiner Sicht nichtur inhaltlich ein alter Hut. Warum das der Fall ist, habech gerade ja schon ausgeführt. Damit aber nicht genug.hr Kollege Scholz, der ehemalige Arbeitsminister, hatm letzten Juli davon gesprochen, er habe einen Gesetz-ntwurf zur Verlängerung der Altersteilzeit schon fertign der Schublade; man wolle ihn in der Großen Koalitioninbringen. Dazu ist es leider nicht gekommen.
– Das sagt der Herr Scholz. – Genau diesen Gesetz-ntwurf legen Sie uns jetzt hier vor,
uch wenn Sie, Herr Heil, eben behauptet haben, dassie ihn jetzt in kürzester Zeit erarbeitet haben. Daslaubt doch niemand.Bei allem Verständnis für den Umzugsstress, den Siem Moment haben – auch ich habe ihn als neugewählterbgeordneter; es ist nicht so leicht, ein Büro zu finden –:
itte entleeren Sie Ihre Aktenordner doch nicht dadurch,ass Sie Ihr Altpapier im Gesetzgebungsverfahren hierns Plenum kippen. Das hilft niemandem.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer
ür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die ge-örderte Altersteilzeit ist gescheitert. Sie ist gescheitertls Beschäftigungsbrücke, und sie ist auch gescheitertls Instrument zum Übergang in den Ruhestand.
ie geförderte Altersteilzeit ist ein Frühverrentungs-odell in Form einer Stilllegungsprämie. Das gehört sochnell wie möglich abgeschafft. Es ist richtig, dass sieusläuft.
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Brigitte Pothmer
Die Altersteilzeit hat uns in den letzten Jahren einenerheblichen Bärendienst erwiesen, weil sie einen Beitragdazu geleistet hat, dass Deutschland eine ungeheuer ne-gative Kultur der Altersarbeit hat. In fast keinem ver-gleichbaren europäischen Land ist der Beschäftigungs-anteil Älterer so niedrig wie in Deutschland, obwohl sichda langsam etwas ändert. Aber immer noch sind wir daganz, ganz schlecht.Ältere werden insbesondere in großen Betrieben– darauf lege ich die Betonung – als defizitäre Wesen be-trachtet, die es nicht mehr bringen und die so schnell wiemöglich ausgemustert werden müssen. Für dieses Bildist diese Vorruhestandsregelung in erheblichen Teilenmitverantwortlich. Deswegen gehört sie abgeschafft,weil sie die Älteren mit ihren wertvollen Erfahrungenaus den Betrieben herausdrängt. Sie gehört auch abge-schafft, weil wir wegen der demografischen Entwick-lung, die es tatsächlich gibt, Herr Ernst, auf einen gigan-tischen Fachkräftemangel zulaufen. Das ist sogar beiden Gewerkschaften angekommen. Lesen Sie einmal dieneueren Papiere!
Es lohnt sich übrigens, einmal die Frage zu stellen,wer von der geförderten Altersteilzeit profitiert. Es sinddie großen Unternehmen, der öffentliche Dienst und diegutverdienenden, hochqualifizierten und überwiegendmännlichen Beschäftigten. In 85 Prozent aller Betriebemit mehr als 500 Beschäftigten gibt es Altersteilzeit.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Ich würde gerne erst einmal weiterreden. – In Firmenmit weniger als 50 Beschäftigten sind es nur 4 Prozent.Herr Ernst, ich frage jetzt Sie: Glauben Sie allen Erns-tes, dass in diesen kleineren Betrieben die Belastung fürdie Beschäftigten weniger groß ist? Glauben Sie, dortgibt es keine Verschleißerscheinungen? Es sind die klei-nen und mittleren Betriebe, die nicht davon profitieren.Es sind die Geringqualifizierten und die Geringverdie-nenden, die nicht davon profitieren. Aber bezahlen sol-len sie es.
Das ist Ihre Gerechtigkeitsphilosophie, und das ist dieneue Gerechtigkeitsphilosophie der Sozialdemokraten.
Nach den grünen Gerechtigkeitskriterien ist das zu-tiefst ungerecht. Deswegen lehnen wir das ab.aHABHczswztMGmzRwSAdddIdesgFts
Jetzt kommen wir zu der Frage, ob dieses Instrumentls Kriseninterventionsinstrument geeignet ist, wie Herreil es vorgetragen hat.
nders als die Kurzarbeit reduziert Altersteilzeit daseschäftigungsvolumen in einem Betrieb nicht, Herreil. Darum geht es aber bei großen Auftragseinbrü-hen. Dabei geht es darum, das Beschäftigungsvolumenu reduzieren. Hier werden nur ältere durch jüngere Be-chäftigte ersetzt. Der Personalbestand bleibt gleich, erird nur verjüngt.Mit anderen Worten: Mit der geförderten Altersteil-eit entledigen sich in erster Linie Großbetriebe ihrer äl-eren Beschäftigten und formen daraus olympiareifeannschaften, und das sollen die Kleinbetriebe und dieeringqualifizierten bezahlen. Das machen wir so nichtit.
Außerdem wirkt dieses Instrument mit erheblichereitlicher Verzögerung. Denn das Blockmodell läuft imegelfall über sechs Jahre. Das heißt, drei Jahre lang be-egt sich in dem Betrieb gar nichts.
o lange gibt es auch keine Mittel der Bundesagentur fürrbeit.In drei Jahren werden wir hoffentlich die Krise aufem Arbeitsmarkt einigermaßen bewältigt haben. Aberann werden wir auf die nächste Krise zulaufen. Das istie Krise des Fachkräftemangels.
ch prognostiziere Ihnen: Der letzte Tag der Krise wirder erste Tag des Fachkräftemangels sein. Deswegen ists falsch, dass wir die hochqualifizierten älteren Be-chäftigten jetzt rauskaufen. Wir werden sie dann drin-end brauchen.
ür diese Krisenbewältigung haben wir das Kurzarbei-ergeld. Es ist weitaus geeigneter als diese Vorruhe-tandsregelung.
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Brigitte PothmerHerr Heil, noch eine andere Sache: Wirklich skanda-lös finde ich an Ihrem Gesetzentwurf, dass zukünftig nurdie jungen Beschäftigten von Ihrem Vorschlag profitie-ren können, die schon einen Fuß im Betrieb haben, alsoentweder diejenigen, die schon eine Ausbildung hintersich haben, oder diejenigen, die in einer Ausbildungsind. Die 340 000 Arbeitslosen unter 25 Jahren habennach Ihrer Auffassung offensichtlich keine Chance ver-dient. Das ist eine signifikante Verschlechterung des Sta-tus quo. Diese Arbeitslosen jedenfalls haben Sie offen-sichtlich nicht mehr im Blick.Bei der Neuaufstellung der SPD wollen Sie sich of-fensichtlich als Partei der Arbeitsplatzbesitzer profilie-ren.
– Doch. Ganz offensichtlich haben die Arbeitslosen Siebei der letzten Wahl nicht in hinreichender Zahl gewählt.
Deswegen haben Sie Ihr Recht verwirkt, sie weiter zuvertreten.
Herr Heil, auf ihrem Parteitag hat die SPD gesagt:„Klarer Blick im Aufbruch“. Das war die Botschaft, mitder Sie aus Dresden zurückgekommen sind. Ich kann nurfeststellen: In der Arbeitsmarktpolitik ist Ihr Blick trübe.Ich diagnostiziere bei Ihnen eine fortgeschrittene Alters-sichtigkeit, die Ihren Blick sehr trübt.
Mit Aufbruch jedenfalls hat der vorgelegte Gesetzent-wurf nichts zu tun. Das sind die Rezepte der 80er-Jahre,die schon damals mehr geschadet als genutzt haben.Aber in den 80er-Jahren hatten Sie, Herr Heil, noch guteWahlergebnisse. Das ist offensichtlich der Magnet, derSie zurückzieht. Aber das gehört der Vergangenheit an.Ich danke Ihnen.
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kol-
lege Klaus Ernst.
Frau Pothmer, einige Aussagen möchte ich infrage
stellen. Sie sagen, der Personalbestand bleibe gleich.
Wie kommen Sie denn darauf? Ist Ihnen entgangen, dass
es zurzeit einen massiven Personalabbau in den Betrie-
ben gibt? Ist Ihnen entgangen, dass diejenigen, die die
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Herr Weiß, wenn Sie dran sind, dürfen Sie wieder –,
ass es wahrscheinlich vier, fünf Jahre dauern wird, bis
ir das frühere Beschäftigungsniveau wieder erreichen
erden, weil die Krise sehr lang anhaltend ist und die
omentanen Wachstumsraten nicht die durch den Ein-
ruch verursachten Verluste ausgleichen? Wenn das alles
o ist, dann geht es nicht um die Frage, ob der Personal-
estand gleich bleibt. Entscheidend wird vielmehr die
rage sein, wie viele Menschen auf Dauer nicht von den
etrieben eingestellt werden, eben so lange nicht, bis ein
ntsprechender Aufschwung einsetzt.
Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Hier
eht es doch um junge Menschen. Man muss ihnen in ei-
er Situation, in der die Beschäftigung insgesamt
bnimmt, die Chance geben, nicht nur vernünftig ausge-
ildet zu werden, sondern nach der Ausbildung auch
bernommen zu werden. In allen Betrieben in meiner
egion, über die ich einen Überblick habe, kämpfen die
etriebsräte darum, dass die Auszubildenden unbefristet
bernommen werden, wobei aber die Betriebe größte
chwierigkeiten machen.
Frau Pothmer, Sie nehmen die Realität nicht zur
enntnis. Sie halten nur schöne, lustige Reden. Das
ollte ich Ihnen sagen.
Frau Kollegin Pothmer, bitte.
Herr Ernst, das Drama meines Lebens ist, dass Sieir nicht zuhören.
Ich habe Ihnen – im Prinzip zum Mitschreiben – er-lärt, dass das Modell der Altersteilzeit nicht dazu führt,ass das Beschäftigungsvolumen in den Betrieben ab-immt – anders als bei der Kurzarbeit –, sondern dazu,ass ältere lediglich durch jüngere Beschäftigte ersetzterden.
Richtig, wenn überhaupt. – Nun komme ich auf dierage zu sprechen, ob sich die Chancen der Auszubil-enden oder derjenigen, die eine Ausbildung beendet ha-en, dadurch tatsächlich erhöhen. Nicht nur das IAB,ondern alle Forschungsinstitute sagen: Die Mitnahme-ffekte sind unglaublich hoch. Nicht nur die Arbeitge-erverbände, das IAB und die BA, sondern langsamuch die Gewerkschaften stellen die Zukunftsfähigkeit
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Brigitte Pothmerdieses Modells infrage. Lesen Sie das neue Papier der IGMetall zu dieser Frage!
Ihre Partei, meine Damen und Herren von der Linken,hat es in den 80er-Jahren noch nicht gegeben. Aber Siewären da gut aufgehoben gewesen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat nun der Kollege Peter Weiß für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Bevor in dieser Debatte mit vielen Wortwechseln
die Dinge verunklart werden, will ich eines feststellen:
Die Inanspruchnahme von Altersteilzeitregelungen ist
auch in Zukunft in Deutschland möglich. Daran ändern
wir gar nichts. Betriebe können auch in Zukunft Alters-
teilzeitregelungen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeitern vereinbaren. – Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist: Die Altersteilzeit wird auch in
Zukunft durch den Staat und die Sozialversicherungen
gefördert, indem auf die Aufstockungsbeiträge keine
Steuern und keine Sozialversicherungsabgaben gezahlt
werden müssen. Das ist eine massive Subventionierung
der Altersteilzeit durch den Steuerzahler und durch die
Beitragszahlerinnen und Beitragszahler in den deutschen
Sozialversicherungen. Auch daran ändern wir nichts.
Über was diskutieren wir eigentlich? Wir, die Sozial-
demokraten und die CDU/CSU in der Großen Koalition,
haben beschlossen, dass eine Regelung im Altersteilzeit-
gesetz zum Ende dieses Jahres ausläuft: die Regelung,
dass dann, wenn ein Betrieb anstelle eines Mitarbeiters,
der in Altersteilzeit gegangen ist, einen neuen Mitarbei-
ter einstellt, Geld der Beitragszahlerinnen und Beitrags-
zahler von der Bundesagentur für Arbeit zusätzlich zur
Verfügung gestellt wird. Die Bilanz bis heute ist, dass in
80 Prozent der Fälle, in denen Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter eines Betriebes Altersteilzeit beantragt haben,
anschließend überhaupt niemand neu eingestellt worden
ist.
Sprich: Trotz der Aussicht auf zusätzliches Geld von der
Bundesagentur für Arbeit ist niemand neu eingestellt
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Verehrte, liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
raten –
die Große Koalition ist noch nicht lange zu Ende, des-
egen darf ich das noch sagen –,
ch bitte Sie, sich wirklich zu überlegen, ob es eine kluge
trategie ist, jetzt, da die Große Koalition beendet ist
nd Sie sich in der Opposition befinden, nicht nur in der
rage der Altersteilzeit,
ondern auch in immer mehr anderen Politikbereichen
as eigene Handeln infrage zu stellen.
ch behaupte: Die SPD gewinnt dadurch, dass sie sich
lötzlich von ihrer eigenen Politik verabschiedet, nicht
n Glaubwürdigkeit, sondern verliert an Glaubwürdig-
eit.
Wer diese zusätzliche Förderung der Altersteilzeit bei
eueinstellung eines Mitarbeiters weiterführen will, der
uss dafür die entsprechenden Finanzmittel aufbringen.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Schaaf?
Ja.
Herr Schaaf, bitte.
Geschätzter Kollege Weiß, würden Sie mir recht ge-en und zugestehen, dass der ehemalige Arbeitsministerlaf Scholz, SPD, schon im letzten Sommer zur Frageer Verlängerung der gesetzlich geförderten Altersteil-
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Anton Schaafzeit initiativ geworden ist und es die Union war, die ab-gelehnt hat, darüber überhaupt zu diskutieren?
Ich möchte noch eines anfügen, was mir sehr wichtigist, weil wir beide sehr lange in verschiedenen Fragenzusammengearbeitet haben. Ich bin der festen Überzeu-gung, dass sich zumindest die Sozialpolitiker in derUnion ganz schnell nach dem sozialdemokratischenPartner sehnen werden, nach dem, was aufseiten desneuen Partners an Marktradikalität da ist.
Erster Punkt. Verehrter Herr Kollege Schaaf, ich
nehme an, dass Sie die Koalitionsvereinbarung zwischen
CDU/CSU und FDP mit hohem Interesse gelesen haben.
Ich kann zum Ergebnis unserer gemeinsamen Koalitions-
verhandlungen und zu dem, was als Koalitionsvertrag
vorliegt und was die Frau Bundeskanzlerin in ihrer Re-
gierungserklärung hier vorgetragen hat, nur sagen: Ich
glaube, dass in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch
die neue Koalition einen Weg der Vernunft und des Ma-
ßes beschreitet.
Vor allen Dingen setzt sie darauf, dass Deutschland
möglichst schnell aus dieser Krise herauskommt und
vielen Menschen in Deutschland neue Beschäftigungs-
möglichkeiten eröffnet werden.
Zweiter Punkt. Sie haben in Ihrer Frage eingangs zu
Recht angemerkt, dass es vonseiten des damaligen so-
zialdemokratischen Bundesarbeitsministers Initiativen
gab, ob wir diese zusätzliche Förderung der Altersteil-
zeit noch einmal verlängern sollten. Ich will Ihnen aber
auch sagen – darauf werde ich in meiner Rede zurück-
kommen, um nicht meine ganze Rede in der Antwort un-
terzubringen, was man auch machen kann, um die Rede-
zeit zu verlängern –: Wir haben uns auf eine Reihe
weiterer Maßnahmen verständigt, um gerade jungen
Menschen zusätzlich zu helfen, einen Zugang zum Ar-
beitsmarkt zu erlangen. Ich glaube, die Bilanz der Gro-
ßen Koalition ist, wenn wir auch den einen Wunsch der
Sozialdemokraten abgelehnt haben, dass wir insgesamt
ein Instrumentarium gerade der Förderung der Beschäf-
tigungsmöglichkeiten junger Leute geschaffen haben,
das sich sehen lassen kann.
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Herr Kollege Ernst, ich denke, dass ich mit der Ver-utung nicht falsch liege, dass vor allen Dingen Sie undhre Fraktion in den nächsten vier Jahren noch für vieleentendebatten in diesem Hause sorgen werden, bei de-en wir dieses Thema noch einmal ausführlich bespre-hen können.
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Peter Weiß
Ich glaube, der Punkt ist folgender: Erstens. Es ist nichtAufgabe eines frei gewählten Abgeordneten, Politik da-nach zu machen, welche Stimmung gerade herrscht. Wirhaben zuallererst Politik danach zu machen, was für dieZukunft unseres Volkes und vor allem für die Zukunftder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land notwendig ist.
Das Zweite ist: Wenn Umfragen gemacht werden,antworten Menschen verständlicherweise aus ihrer Be-troffenheit jetzt und heute heraus. Ich will Sie daraufaufmerksam machen, dass wir in der Großen Koalitionvon CDU/CSU und SPD beschlossen haben, die Regel-altersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung biszum Jahr 2029 auf 67 Jahre anzuheben. Das ist das Jahr,in dem der Übergang der geburtenstarken Jahrgänge indas Rentenalter seinen Höhepunkt erleben wird.
Danach wird Jahr für Jahr ein Drittel weniger jungeLeute in Beschäftigung gehen können, als Ältere inRente gehen. Deswegen ist das Projekt der Rente mit 67ein Zukunftsprojekt, Herr Ernst.
– Die Kollegen von der Linksfraktion setzen sich des-halb immer vorzeitig hin, weil sie gar keine Antwort aufeine Frage erwarten.
Wer die zusätzliche Förderung der Altersteilzeit nocheinmal verlängern will, muss auch über Geld sprechen.Nun ist es so, dass mit Unterstützung der beiden damali-gen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD der dama-lige Bundesarbeitsminister Olaf Scholz den Beitrags-satz zur Arbeitslosenversicherung für dieses Jahr undfür das kommende Jahr 2010 auf 2,8 Prozent festgesetzthat, eine richtige Festsetzung, weil wir gerade in der Kri-sensituation Beitragszahlerinnen und Beitragszahlernicht zusätzlich belasten wollen.
Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten jetzt nicht noch ei-nen Antrag stellen, dass wir die Festsetzung auf 2,8 Pro-zent rückgängig machen.Wie Sie wissen, kommt auf die Bundesagentur fürArbeit ab dem kommenden Jahr ein massives Finanzie-rungsdefizit zu. Voraussichtlich müssen wir 16 Milliar-den Euro an Bundesmitteln – wir haben sie nicht; wirmüssen sie also durch zusätzliche Schuldenaufnahme fi-nanzieren –
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nd wir wollen das auch tun.In einer solchen Finanzsituation muss man die Fragetellen: Was sind die wirklich effektiven Arbeitsmarkt-nstrumente, um Beschäftigung in Deutschland zu si-hern?
as wichtigste Instrument, zu dessen Anwendung wirns in der Großen Koalition gemeinsam entschieden ha-en, war und ist die Möglichkeit, den Bezug des Kurz-rbeitergeldes zu verlängern. Das ist das wichtigste In-trument in der Krise. Wir wenden erhebliches Geld auf,m Beschäftigung in Deutschland zu sichern.Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit noch einmalusdrücklich dafür bedanken, dass die Bundesregierungestern auf Initiative des neuen Bundesarbeitsministersr. Jung
eschlossen hat,
ass Kurzarbeitergeld auch im nächsten Jahr nichtMonate, wie ursprünglich gesetzlich geregelt, sondern8 Monate lang bezogen werden kann.
iese Entscheidung von gestern ist das wichtigste Signalür das nächste Jahr: Wir sichern Beschäftigung ineutschland durch eine längere Bezugszeit von Kurzar-eitergeld.
Hinzu kommt – auch das haben wir gemeinsam poli-isch beschlossen; so steht es im Gesetz –, dass die Bun-esagentur für Arbeit auch während des gesamten Jahres010 die Sozialversicherungsbeiträge ab dem siebtenonat des Bezuges von Kurzarbeitergeld zu 100 Prozentrstattet. Das ist ein wichtiger, für viele Betriebe viel-eicht sogar der ausschlaggebende Grund, Kurzarbeiter-egelungen zu wählen und keine Entlassungen vorzuneh-en.In dieser finanziellen Situation sollten wir uns tat-ächlich darauf konzentrieren, die Mittel aus der Bun-eskasse für die Bundesagentur für Arbeit – sie sind oh-ehin nicht ausreichend vorhanden, sondern wir müssenie zusätzlich beschaffen –
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420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Peter Weiß
für das effektivste arbeitsmarktpolitische Instrument ein-zusetzen und nicht für Instrumente, bei denen sich schonin der Vergangenheit gezeigt hat, dass sie gar nicht zurBeschäftigungssicherung taugen.
Zu Recht ist auf die Situation der jungen Menschenin der Krise hingewiesen worden. Da der Kollege Schaafvorhin danach gefragt hat, will ich noch einmal aus-drücklich erwähnen: Die Große Koalition hat zum Endeder letzten Legislaturperiode mit dem Ausbildungsbo-nus ein wichtiges Instrument geschaffen, um vor allenDingen jungen Menschen, die einen erschwerten Zugangzum Arbeitsmarkt haben, eine zusätzliche Hilfe zu ge-ben. Der Ausbildungsbonus ist ein wichtiges neues ar-beitsmarktpolitisches Instrument, um jungen Menscheneine Brücke in Arbeit zu ermöglichen.
Kurzarbeitergeld ist nicht nur eine Hilfe, dass Men-schen, die schon in Beschäftigung sind, insbesondere äl-tere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihren Ar-beitsplatz nicht verlieren; Kurzarbeitergeld ist darüberhinaus auch eine Hilfe, Beschäftigungsmöglichkeiten fürjunge Menschen zu schaffen. Die von der SPD in ihremAntrag angesprochenen Auszubildenden, die zum Ab-schluss ihrer Ausbildung darauf hoffen, übernommen zuwerden, können dank Kurzarbeitergeld übernommenwerden. Ein Betrieb kann einen jungen, fertig ausgebil-deten Menschen einstellen und ab dem ersten Tag derAnstellung Kurzarbeitergeld Null beantragen.Angesichts dessen ist unsere Kurzarbeitergeldrege-lung auch eine Perspektive für junge Menschen. Be-triebe können sagen: Jawohl diesen jungen Mann, diesejunge Frau brauchen und wollen wir; unser Betrieb hatzurzeit zwar nicht genügend Arbeit; wir hoffen aber,dass es in den nächsten Monaten wieder aufwärtsgeht;wir stellen ihn oder sie ein. Machen wir erst einmalKurzarbeitergeld Null und hoffen, dass wir für die Be-treffenden dann bald auch ausreichend Arbeit haben, umsie richtig beschäftigen zu können.Deswegen eröffnet die von uns vorgenommene Ver-längerung der Kurzarbeitergeldregelung auch eine Be-schäftigungsperspektive für die jungen Leute in unseremLand. Diese Möglichkeit sollte man bitte beachten undauch nutzen.
Ich fasse zusammen: Die Herausforderungen der Zu-kunft, vor denen wir insbesondere im Hinblick auf dieBewältigung der Krise stehen, meistern wir nicht, indemwir zu alten Rezepten der Arbeitsmarktpolitik, die viel-leicht früher einmal gestimmt haben, zurückkehren.Wenn die Mittel knapp sind, dann gilt erst recht: Kon-zentration auf die Instrumente, die am effektivsten Be-schäftigung sichern.DIWWKdzbdgdgkDmfGdikbgaKaeEawvszAsnb
as ist jetzt in der Krise die Kurzarbeitergeldregelung.n diesem Sinne hat die neue Koalition bereits gehandelt.ir setzen auf Zukunft und nicht auf Vergangenheit.Vielen Dank.
Nun hat die Kollegin Anette Kramme für die SPD das
ort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Herr Weiß, Sie haben sich gerade netterweisearan erinnert, dass Herr Scholz doch für die Altersteil-eit gekämpft hat. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie 2005ei den Koalitionsverhandlungen dabei waren. Wenn Sieabei gewesen wären, würden Sie sich – da bin ich miranz sicher – auch erinnern, dass sich Herr Münteferingamals schon für eine Verlängerung der Altersteilzeitre-elungen eingesetzt hat.Meine sehr geehrten Damen und Herren, an sichönnten wir Party feiern.
ie Altersteilzeit ist ein langjährig erprobtes Arbeits-arktinstrumentarium, das sich bewährt hat. Ich be-ürchte aber, die Feier wird ausfallen, wenn Schwarz-elb keine Vernunft annimmt.Sie, liebe Frau Connemann, haben erwähnt, dass 2008ie Altersteilzeit 1,8 Milliarden Euro gekostet hat. Dasst richtig. Sie wissen wahrscheinlich auch, dass die zu-ünftigen Kosten niedriger eingeschätzt werden. Wir ha-en nämlich Modifikationen am Altersteilzeitgesetz vor-enommen. Ich gebe zu: Damit einher geht eine Mengen finanziellen Belastungen, zugegebenermaßen keineleinigkeit. Aber, Frau Connemann, Sie werden miruch zugestehen, dass das im Vergleich zu den Steuer-ntlastungen, die Sie für Ihre Klientel vornehmen – fürrben, für Unternehmer, für Hotelketten –, eine unbe-chtliche Größenordnung ist. Es ist blanker Zynismus,enn eine Regierung, die Geschenke an ihre Klientelerteilt und das Ganze „Wachstumsbeschleunigungsge-etz“ nennt, eine sinnvolle Verlängerung der Altersteil-eitregelungen ablehnt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich dierbeitsmarktpolitik von Schwarz-Gelb anschaut, danntellt man eines fest: Sie ist nicht nur ideenlos, sie isticht existent. Sie haben sich zwar gestern zur Kurzar-eit geäußert. Das ist richtig. Ich frage mich, ob Sie mit
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 421
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Anette KrammeIhren neuen Regelungen tatsächlich etwas bewirkenwerden. Es trifft zu: Kurzarbeit war für das Jahr 2009 eingroßartiges Instrument, von Olaf Scholz damals an dieBedürfnisse angepasst. Ich bin mir sicher, dieses Instru-ment wird auch in 2010 noch beachtliche Wirkungenentfalten. Wir müssen aber auch eines sehen: Es wirdimmer mehr Firmen geben, die sich Kurzarbeit nichtleisten können,
vor allen Dingen zu den neuen Bedingungen. Es wirdauch immer mehr Firmen geben, die Kurzarbeit nichtmehr länger betreiben wollen, weil sie die zukünftigenProbleme sehen. Deshalb wäre es an sich erforderlich,dass Sie eine Fortschreibung arbeitsmarktpolitischer In-strumente in der Krise vornehmen.
Ich sehe aber nicht, dass Sie sich zum Beispiel mit demInstrumentarium der Transfergesellschaft beschäftigen,das sicherlich viel effizienter gestaltet werden könnte.Und bezüglich des Umganges, den Sie mit der Altersteil-zeit pflegen, kann man nur sagen: Das ist ein rein ideolo-gischer Umgang mit einem vernünftigen Instrumenta-rium.
Altersteilzeit steht schon lange nicht mehr für Früh-verrentungspolitik.
Altersteilzeit ist mittlerweile zu einem Instrumentariumgeworden, das dazu dient, Arbeitnehmer an die Regelal-tersgrenze heranzuführen.
Altersteilzeit verhindert Existenzabstürze. Ich sage: Al-tersteilzeit ist wesentlich besser als Arbeitslosigkeit undder Bezug von Arbeitslosengeld. Es ist ein vernünftigerÜbergang in die Rente. Wir verhindern Altersarmut,wenn über einige Jahre höhere Beiträge in die Renten-versicherung eingezahlt werden, und zwar fast in derHöhe von Vollzeitarbeit.Das Durchschnittsalter bei der Altersteilzeit ist inden letzten zehn Jahren von 57,7 auf 59,1 Jahre gestiegen.Immer mehr Altersteilzeitbeschäftigte gehen erst mit63 Jahren oder noch später in Rente. Altersteilzeit ist vorallem eines: Fairness. Es ist Fairness gegenüber denjeni-gen, denen ansonsten gekündigt würde, Fairness gegen-über denjenigen, die nicht mehr können und trotzdemnicht die Erwerbsminderungsrente bewilligt bekommen.Das betrifft beispielsweise den Pflege- und Sozialbereich.Gerade dort sind besonders viele Altersteilzeitfälle zu be-obachten. Es ist Fairness auch gegenüber denjenigen, dieunendlich lange gearbeitet haben, die mit 14 oder1aaUafalssnigeMee2z1AzekdmvzSvfWegbbVeK
ber wir müssen eines sehen: Die geförderte Altersteil-eit ist das Zugpferd für die gesamte Altersteilzeit. Un-ndlich viele Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgenüpfen an die geförderte Altersteilzeit an, und vieleieser Regelungen laufen aus.Meine Damen und Herren von Schwarz-Gelb, Sieachen vielen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnenieles kaputt, wenn Sie dem Altersteilzeitantrag nichtustimmen.
ie sollten deshalb noch einmal nachdenken. Sie wissenielleicht: Hochmut kommt vor dem Fall.In diesem Sinne herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Heinrich Kolb
ür die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!enn man sich die Debatte in ihrem bisherigen Verlaufinmal zusammenfassend vor Augen führt, kann man sa-en: Herr Heil, Frau Kramme, das wird nichts! Einereite Mehrheit in diesem Hause, die über die ohnehinreite Mehrheit der Koalition noch hinausgeht, lehnt Ihrorhaben ab, und das ist auch gut so. Ihr Vorschlag istin Modell von gestern. Ich freue mich, dass es jetzt imoalitionsvertrag gelungen ist, das Auslaufen der
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422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Dr. Heinrich L. Kolbbeitragsgeförderten Altersteilzeit zu vereinbaren. Ichbin lange genug dabei, um sagen zu können, dass dieFDP die erste Fraktion in diesem Hause war, die Ab-stand von diesem beitragsfinanzierten Altersteilzeitmo-dell genommen hat und schon seit Jahren darauf hin-weist, dass es Zeit ist, dieses Modell zu beenden. IhrMotto, Herr Heil, Frau Kramme, ist: Vorwärts, Leute, esgeht zurück! Ich sage Ihnen: Wir, eine Mehrheit in die-sem Hause, gehen diesen Weg nicht mit.
Dafür gibt es gute Gründe, Frau Kramme und auchAnton Schaaf. Der wichtigste aus meiner Sicht ist: DieBeschäftigungsbrücke trägt nicht. Es ist über lange Jahreeine Lebenslüge der deutschen Sozialpolitik gewesen,dass man für jeden Älteren, den man in den Ruhestandschickt, einen Jüngeren einstellt. Das hat insgesamt niefunktioniert. Im Gegenteil: Die Wiederbesetzungs-quote ist seit der Verabschiedung des Altersteilzeitgeset-zes von 43 auf heute nur noch 34 Prozent gesunken. Dasheißt, zwei von drei Arbeitsplätzen bleiben unbesetzt.Man kann daher nicht sagen, dass dieses Modell erfolg-reich gewesen wäre.
Zweiter Punkt. In der Regel wird das Blockmodellgewählt. Neun von zehn Altersteilzeitlern wählen diesesModell. Das führt im Ergebnis dazu – da stimme ich mitBrigitte Pothmer vollkommen überein –, dass wir dieMenschen früher in den Ruhestand schicken. Das haltenwir für falsch. Es wird immer gesagt, die jüngeren Fach-arbeiter müssten eine Chance haben. Aber auch die älte-ren Menschen sind Facharbeiter; sie sind sogar mehr alsdas: Sie sind Erfahrungsträger und Träger sozialer Kom-petenz, die in den Betrieben eine wichtige Rolle spielen.
Es ist daher wichtig, dass man eine ausgewogene Mi-schung von Jüngeren und Älteren in den Betrieben er-reicht. Diese Balance geht aber verloren, wenn die Älte-ren per Altersteilzeit aus den Betrieben herausgedrängtwerden.Der dritte Punkt müsste Sie eigentlich nachdenklichmachen, weil Sie doch immer Kämpfer für die Schwa-chen und Entrechteten sein wollen: Es sind eben nichtdie Angehörigen der körperlich belastenden Berufe,die mehrheitlich von der Altersteilzeit Gebrauch ma-chen. Es sind vielmehr – hören Sie genau hin! – dieBankkaufleute und die Versicherungskaufleute – sie ge-hören nicht unbedingt zur Klientel der SPD –, die die Al-tersteilzeit regelmäßig wählen. Auf den nächsten Plätzenin der Statistik folgen bei den Frauen die Lehrerinnenund bei den Männern die Chemiearbeiter.
Man kann doch nicht sagen, dass diese Menschen nichtso lange arbeiten können. Offensichtlich spielen da ganzandere Überlegungen eine Rolle.hnrnn1crarlbRwbAgt1aDwtfIBmStieDglSdBIIdw
ch habe den Eindruck, dass sich diejenigen, die sich mitem FDP-Modell für einen flexiblen Übergang vom Er-erbsleben in den Ruhestand auf der Basis einer eige-
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Dr. Heinrich L. Kolbnen, freien Entscheidung bei Wegfall aller Zuverdienst-grenzen beschäftigt haben,
dies bisher nur sehr oberflächlich getan haben. Sie wer-den feststellen: Mit unserem Modell kann die Lücke ge-füllt werden. Ich bin in einem Punkt durchaus bei Ihnen:Wenn man die Altersteilzeit abschafft und die Regelal-tersgrenze bei 67 Jahren belässt, dann sollte es ein ent-sprechendes Angebot geben. Denn ansonsten nimmt derDruck in Richtung Erwerbsminderungsrente deutlich zu.Ein solches geeignetes Instrument sehe ich eher in unse-rem Vorschlag.
Lassen Sie jetzt einmal die Vollrente weg, Frau Ferner.Wir sehen in unserem Modell Möglichkeiten für eineTeilrente vor.
Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, dasIAB, das nicht unbedingt ein Sprachrohr des Thomas-Dehler-Hauses ist, schlägt vor, dass man die Möglichkei-ten, eine Teilrente in Anspruch zu nehmen, verbessert.
Wir sollten die Menschen entscheiden lassen, FrauFerner. Welchen Grund gibt es – ich frage Sie sehr direkt –,einem Rentner, der nach einer Altersteilzeit in Form ei-nes Blockmodells in den Ruhestand geht, anschließendvorzuschreiben, dass er nur noch 400 Euro verdienendarf? Es gibt keinen Grund, wenn seine Rente über demNiveau der Grundsicherung liegt. Da beschneiden Siedie Entscheidungsmöglichkeiten des Einzelnen. Wirwollen ändern, dass jemand, der raus aus dem Systemist, nicht mehr zurückkommt.
Deswegen sagen wir: Die Menschen entscheidenselbst, ob und in welchem Umfang sie in den Ruhestandgehen wollen, gerne auch in Form eines Teilrentenbezu-ges als Alternative zur Altersteilzeit. Die Menschen sol-len selber entscheiden, was sie hinzuverdienen wollen.Es gibt keinen Grund, sie zu bevormunden. Das ist einliberaler Ansatz.Wenn die heutige Debatte – wie gesagt, der Gesetz-entwurf, Frau Kramme, wird wahrscheinlich abgelehntwerden; das deutet sich an – trotzdem einen Sinn gehabthat, dann ist es der, dass ich Ihnen das noch einmal vor-tragen
und darum werben durfte, sich mit unserem Modell ob-jektiver als bisher zu befassen. Ich bin sicher: Nichts istsdmdDDtnleKdenazrswlVVhsubsLAStE6fnwsm–a
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!ie Grünen sind entschieden dafür, Teilzeitarbeit im Al-er zu fördern, um den Arbeitsmarkt zu entlasten und ei-en gleitenden Übergang in den Ruhestand zu ermög-ichen. Insofern klingt „geförderte Altersteilzeit“ erstinmal ganz gut. Aber vielleicht nehmen Sie einmal zurenntnis – ich wiederhole mich zum x-ten Mal –, dassas, was als „geförderte Altersteilzeit“ bezeichnet wird,in Etikettenschwindel ist; denn 90 Prozent der Betroffe-en – diese Zahl ist schon des Öfteren genannt worden –rbeiten nicht in Teilzeit, sondern in Blockteilzeit, dieunächst eine Vollzeitarbeit ist und dann zu einem frühe-en Ausstieg führt. Dies ist gar keine Teilzeit,
ondern ein früherer vollständiger Ausstieg aus dem Er-erbsleben.Auf die fehlenden Arbeitsmarkteffekte ist meine Kol-egin Brigitte Pothmer schon überzeugend eingegangen.ielleicht sollten Sie noch einmal darüber nachdenken.on einem gleitenden Übergang ins Alter – Herr Kolbat es eben schon angesprochen – ist da keine Spur. In-ofern gehen der vorliegende Gesetzentwurf der SPDnd der Antrag der Linken völlig an den Problemen vor-ei und bieten keine Lösungen, sondern schreiben einechlechte und teure Lösung fort.Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD und derinken, Sie behaupten immer, dass Sie die Interessen derrbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vertreten. Wasie hier vorlegen, liegt allerdings überhaupt nicht im In-eresse der Erwerbstätigen.
s ist ja richtig: Vielen ist nicht zuzumuten, dass sie bis5 oder demnächst bis 67 arbeiten; denn sie können ein-ach nicht mehr. Aber die meisten Menschen wollenicht von heute auf morgen komplett aufhören, sondernünschen sich einen gleitenden Übergang in den Ruhe-tand. Nehmen Sie das doch mal zur Kenntnis! Wenn Sieit den Erwerbstätigen reden, bekommen Sie das mit.
Ich rede sehr oft mit Erwerbstätigen und komme selberus einer Arbeiterfamilie.
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Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
Ich habe sehr viele Erfahrungen aus dem engeren per-sönlichen Umfeld. Daher brauchen Sie nicht die ganzeZeit dazwischenzurufen.
Wir brauchen flexiblere Möglichkeiten, sowohl spä-ter als auch früher in Rente zu gehen, und mehr Mög-lichkeiten, Erwerbstätigkeit und Rentenbezug miteinan-der zu verbinden. Wir sollten uns von der Vorstellungverabschieden, dass wir bis zu einem bestimmten Alterin Vollzeit arbeiten und dann Knall auf Fall nichts mehrtun. Das schadet vielen Erwerbstätigen. Ich selber habedas in meinem persönlichen Umfeld erfahren. Es ist fürviele Menschen ein Problem, wenn sie ihren Arbeits-platz von heute auf morgen komplett verlassen müssen.Insofern vertreten Sie nicht die Interessen der Erwerbstä-tigen in diesem Land.Andere Länder sind schon wesentlich weiter, vor al-len Dingen die Länder in Skandinavien. Dort gibt eswesentlich flexiblere Möglichkeiten, den Rentenbezugteilweise vorzuziehen und dies mit einer reduzierten Er-werbstätigkeit zu verbinden. Die Länder in Skandina-vien sind ja eher sozialdemokratisch und weniger neoli-beral ausgerichtet. Das wird den Lebensbedingungen derEinzelnen wesentlich besser gerecht, als dies bei uns derFall ist. Das Ergebnis dort ist, dass im Durchschnitt dieErwerbsbeteiligung im Alter gestiegen ist und deutlichhöher liegt als bei uns. Das ist ein großer Erfolg dieserRegelung. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, tatsäch-lich früher in den Ruhestand zu gehen. Auch das ist sehrsinnvoll. Insgesamt betrachtet muss man darauf achten,dass es möglich sein muss, einfacher, unbürokratischerund sozial abgesichert in den vorzeitigen Ruhestand zugehen. Das ist die Richtung, in die wir auch gehen soll-ten.Ich komme zum Schluss. Ich glaube, dass wir es denMenschen schuldig sind, gerade vor dem Hintergrunddes demografischen Wandels und längerer Lebenserwar-tungen, mehr Möglichkeiten zu schaffen, wie sie denÜbergang in den Ruhestand selbst gestalten können.Eine Verlängerung der geförderten Altersteilzeit, wie Siedas vorschlagen, trägt dazu überhaupt nicht bei.Wir Grüne setzen nach skandinavischem Vorbild aufeine Stärkung des Konzepts der Teilrente, –
Herr Kollege.
– wobei auch bei frühzeitigem Ausstieg aus dem Er-
werbsleben eine existenzsichernde Rente gewährleistet
sein muss.
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Ich bin gespannt auf die Vorschläge von allen Seiten
nd freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit in
en nächsten vier Jahren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Max Straubinger hat das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!an merkt es: Der Wettbewerb zwischen SED/Links-artei und SPD ist in diesem Haus angekommen. Nurnter diesem Gesichtspunkt ist der eingereichte Gesetz-ntwurf zu erklären.
r wurde seinerzeit etwas frühzeitig vom Arbeitsminis-er Scholz vorbereitet.
s wundert mich, dass er heute nicht anwesend ist, ob-ohl es doch sein Antrag war.
ffensichtlich ist die Distanz zu diesem Antrag schon soroß.
ch glaube, dass es um etwas Entscheidendes geht, undir werden dies im weiteren Verlauf sicherlich nochehrmals diskutieren. Ob es für die SPD immer gut aus-eht, das wage ich zu bezweifeln.Es geht darum, nachzudenken, wie für ältere Bürge-innen und Bürger der Übergang in die Rente flexiblerestaltet werden kann. Das ist sicherlich immer eine in-eressante Frage. Vor allen Dingen ist es aber wichtig, al-ersgerechte Arbeitsplätze in unseren Betrieben zur Ver-ügung zu stellen.Ich möchte ausdrücklich feststellen, dass wir in denergangenen vier Jahren durchaus gute Grundlagen da-ür geschaffen haben.
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Max StraubingerDas belegen auch die Zahlen, die ich hier nennenmöchte. Deshalb bin ich über die Begründung, warumdie geförderte Altersteilzeit um weitere fünf Jahre ver-längert werden soll, die die SPD in ihrem Gesetzentwurfliefert, schon etwas verwundert. Sie begründen es– wenn ich es kurz darstellen darf – damit, dass ältereMenschen über 50 Jahre und junge Menschen unter25 Jahren angeblich überproportional von Arbeitslosig-keit bedroht bzw. dieser ausgesetzt sind.Ich darf Ihnen einen Hinweis mit auf den Weg geben,weil ich mir nicht vorstellen kann, dass sich innerhalbvon vier Monaten der Blickwinkel derart geändert hat.Die Fraktion Die Linke hat am 17. Juni dieses Jahreseine Kleine Anfrage im Deutschen Bundestag zu diesemThema gestellt. Was der zuständige Bundesarbeitsminis-ter Olaf Scholz damals geantwortet hat, ist in der Druck-sache 16/13751 vom 7. Juli nachzulesen. Ich zitiere:Die in der Vorbemerkung der Fragesteller vertre-tene Auffassung einer grundsätzlich verschlechter-ten Arbeitsmarktlage Älterer wird von der Bundes-regierung nicht geteilt.
Ihre Einstellung scheint aufgrund des Wahlergebnissessehr getrübt zu sein, wodurch sich Ihr Blickwinkel wohlgeändert hat.
In der Drucksache heißt es weiter:Die Bundesregierung schätzt die Entwicklung derArbeitslosigkeit in der Altersgruppe 55 bis unter65 Jahre daher im Vergleich zu anderen Altersgrup-pen nach wie vor als relativ günstig ein.Diese Aussage stammt vom damaligen ArbeitsministerOlaf Scholz. Werte Kolleginnen und Kollegen von derSPD, Sie sollten sich daran noch erinnern können. Daswaren Erfolge unserer gemeinsamen Regierungspolitik.
Das sollte man nach zwei oder drei Monaten nicht gleichalles infrage stellen.
Ich glaube, es ist auch entscheidend, dass wir die Be-schäftigungsmöglichkeiten der älteren Generation inden vergangenen vier Jahren erheblich verbessert haben.Das belegen die Zahlen: Die Anzahl der 50- bis 54-Jähri-gen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungs-verhältnissen ist zwischen 2005 und 2009 von circa2 922 000 auf circa 3 282 000 gestiegen. Das zeigt sehrdeutlich, dass die Arbeitsmarktinstrumente, die wir inder Vergangenheit geschaffen haben, dazu angetan wa-ren, ältere Menschen in Lohn und Brot zu halten. Dassollte letztendlich doch das Ziel unserer Arbeit sein.Heute ist von der Finanzkrise und deren Auswirkun-gen gesprochen worden. Vor allen Dingen vonseiten derLinken und der SPD ist hier ein Bild gezeichnet worden,nach dem der Arbeitsmarkt im nächsten Jahr regelrechtzslrsrmhgDvcgekndubeBSldDrMDsdBdseGdsEdsH
eshalb zielt dieser Gesetzentwurf völlig an der Sacheorbei.
Heute wurde vielfach bereits dargelegt, dass die Sa-he mit der Altersteilzeitregelung nicht vorbei ist. Esibt weiterhin die Möglichkeit für die Tarifparteien,ntsprechende Vereinbarungen zu treffen. Es ist bemer-enswert, dass insbesondere der Kollege Ernst entwedericht im Bilde ist oder bewusst verschweigt,
ass die IG Metall für die Beschäftigten in der Metall-nd Elektroindustrie bereits einen Tarifvertrag mit dies-ezüglichen Regelungen geschlossen hat. Es wurde ver-inbart, dass ab dem 57. Lebensjahr Altersteilzeit in denetrieben bis zum 31. Dezember 2016 möglich ist. Daie Mitglied der IG Metall sind, müssten Sie das eigent-ich wissen. Das, was Sie hier darstellen, entspricht nichten Tatsachen. Es wird nichts abgeschafft; im Gegenteil:ie Tarifparteien haben die Möglichkeit, Altersteilzeit-egelungen zu vereinbaren. Ihre IG Metall hat dieseöglichkeit ergriffen.
as ist das Entscheidende. Dasselbe gilt für die Chemi-che Industrie und für die Kunststoffverarbeitende In-ustrie.
Herr Kollege Ernst, es kann nicht sein, dass dieeschäftigten in den kleinen Bauarbeitsbetrieben undie Verkäuferinnen in den Einkaufsläden, also die Be-chäftigten in den mittleren und kleinen Betrieben, letzt-ndlich die Zeche dafür zahlen, dass diejenigen, die inroßbetrieben beschäftigt sind, dort, wo die Arbeitsbe-ingungen möglicherweise sogar noch besser sind, weilie besser organisierbar sind, frühzeitig in Rente gehen.
s geht um die Beiträge der Maurer, der Schuster und aller anderen Beschäftigten. Diese Beiträge sind viel zuchade, um in ein solches Programm gesteckt zu werden,err Kollege Ernst.
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426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Max StraubingerWir haben der Arbeitslosigkeit in den vergangenenvier Jahren erfolgreich den Kampf angesagt. Wir werdendas auch in Zukunft mit Wachstums- und Beschäfti-gungsprogrammen tun,
die darauf ausgerichtet sind, mehr Arbeitsplätze in unse-rem Land entstehen zu lassen und nicht weniger Arbeits-plätze. Das ist letztendlich das beste Programm, damitMenschen in selbstbestimmter Art und Weise für ihrenLebensunterhalt sorgen können.
Wir werden gerade in dieser bürgerlich-liberalen Koali-tion im Sinne der Bürgerinnen und Bürger dafür Sorgetragen,
dass viele neue Arbeitsplätze zukünftig die Grundlage fürden wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes und die Stabili-tät der sozialen Sicherungssysteme – Renten-, Kranken-,Pflege- und Arbeitslosenversicherung – schaffen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Zu uns spricht die Kollegin Elke Ferner für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Hier wird in gewisser Weise eine Gespensterdiskussiongeführt.
CDU/CSU und FDP, also diejenigen, die in den 80er-Jahren die gesetzliche Grundlage für die Vorruhestands-regelungen geschaffen haben, 1988 das erste Gesetz zurFörderung der Altersteilzeit verabschiedeten und diedann 1996 mit dem jetzigen Altersteilzeitgesetz dasBlockmodell nachträglich eingefügt haben, beklagensich jetzt darüber, dass die Gesetze nicht in Ordnungsind.
Jetzt gibt es auch noch Beifall von den Grünen. Mankönnte sagen, hier bildet sich Jamaika oder ein Fluch derKaribik; die Beurteilung ist jedem selbst überlassen.
Es ist schon merkwürdig, welche Argumente ange-führt werden. Einerseits sind Sie stolz darauf, dass dieungeförderte Altersteilzeit fortgeführt wird. Wenn daskPBwdubsvdvsadidJsnWnlaeeBtmBdIfMAnzDdl
enn dadurch junge Menschen nach ihrer Ausbildungie Perspektive eines Jobs in einem Betrieb erhalten
nd nicht die Perspektive der Arbeitslosigkeit, eines un-ezahlten Praktikums, eines ungewollten Teilzeitbe-chäftigungsverhältnisses oder eines befristeten Arbeits-erhältnisses.Schauen Sie sich doch einmal die Zahlen an! Was istenn mit den jungen Leuten, die ihre Ausbildung absol-iert haben und gerade in Zeiten der Krise vor verschlos-enen Betriebstüren stehen, weil die Stammbelegschaftusreicht? Warum soll denn gerade in Zeiten der Kriseieses Instrument nicht verlängert werden? Darauf habech bisher überhaupt keine Antwort erhalten.
Sie beklagen, dass die Fortführung etwa 1,3 Milliar-en Euro kosten würde.
etzt frage ich mich, warum Sie dann diese Hotelketten-ubventionierung finanzieren wollen, die in etwa ge-auso viel kostet.
as ist Ihnen denn mehr wert: Hotelketten zu subventio-ieren oder aber dafür zu sorgen, dass junge Leute end-ich wieder ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnisufnehmen können? Gerade die jungen Leute, die sichin Stück weit vom Elternhaus unabhängig machen oderine Familie gründen möchten, lassen Sie in prekäreneschäftigungsverhältnissen verharren, anstatt mit rela-iv wenig Geld Arbeits- und Perspektivlosigkeit zu ver-eiden.
Es ist immer wieder merkwürdig, wie aus gleichenerichten unterschiedliche Zahlen herangezogen wer-en. Auch ich habe mir diesen IAB-Bericht angeschaut.ch sage Ihnen hier ganz offen: Gerade im Hinblick auflexiblere Übergänge wäre es mir lieber, wenn sich mehrenschen für eine Teilzeitbeschäftigung, für das echteltersteilzeitmodell, entscheiden würden. Es wird aberiemand in die Altersteilzeit oder in ein Blockmodell ge-wungen; jeder kann sich für eine Variante entscheiden.ie Gründe für die Entscheidung, das Blockmodell oderie tatsächliche Teilzeit zu wählen, sind so unterschied-ich wie die Lebenssituationen der Menschen.
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Elke Ferner
Es wundert mich schon, dass ausgerechnet die Freiheits-partei FDP meint, man dürfe nicht mehr selber entschei-den, ob man in Altersteilzeit geht oder nicht. Das istschon sehr merkwürdig.
Herr Kollege Kolb, Ihr Modell sieht im Übrigen eineRente ab 60 mit Abschlägen von 25 Prozent vor. Das istselbst für die meisten Menschen aus Ihrer Klientel über-haupt nicht darstellbar, weil keiner einen so hohen Ren-tenanspruch hat.
Wir werden uns in diesem Hause mit Sicherheit nochmit den Konzepten für einen flexiblen Übergang vomErwerbsleben in die Rente beschäftigen müssen. Dazugehört aus unserer Sicht auch, aber nicht alleine die Ver-längerung der geförderten Altersteilzeit. Wir werden Ih-nen dazu noch etwas vorlegen. Ich bin gespannt, ob Siein dieser Koalition überhaupt in der Lage sind, zu die-sem Thema ein gemeinsames Konzept vorzulegen. Manhat bei Ihrem Vortrag eben die Begeisterung bei denKollegen von der CDU/CSU förmlich spüren können.
Noch einmal zurück zu den Zahlen. Die Zahlen desIAB zeigen, dass im September 2008 von den freigewor-denen Stellen 56,3 Prozent mit jungen ausgebildetenMenschen besetzt worden sind.
Im September 2009 waren es 57,8 Prozent; es gibt alsoeine Steigerung, selbst wenn es den einen oder anderenMitnahmeeffekt gibt.
Man muss sich fragen: Wo gibt es überhaupt keinen Mit-nahmeeffekt? Mich wundert jetzt gerade das Verhaltender Grünen, die sich, wenn es darum geht, jungen Men-schen eine Berufsperspektive zu eröffnen oder sie in dieArbeitslosigkeit zu schicken, für die Arbeitslosigkeitentscheiden. Das ist wirklich skandalös, liebe Kollegin.
Es ist nicht so, dass nur diese Maßnahme etwas kos-tet. Arbeitslosigkeit kostet auch Geld. Dequalifizierungkostet auch Geld. Perspektivlosigkeit kostet vielleichtsogar etwas mehr als nur Geld.
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Ich bedanke mich, dass Sie mir die Redezeit verlän-
ern wollen.
Frau Kollegin Ferner, gerne, aber warten Sie erst ein-
al meine Frage ab. – Nachdem Sie aus dem IAB-Kurz-
ericht stellenweise zitiert haben, würde ich Sie gerne
ragen, wie Sie das Fazit dieses IAB-Kurzberichtes be-
erten, das wie folgt lautet:
Es spricht vieles dafür, die Förderung der Altersteil-
zeit in heutiger Form nicht weiter zu verlängern.
Weiter unten heißt es:
In ihrer gegenwärtigen Form gibt die Altersteilzeit
die falschen Signale und reduziert den Druck auf
Unternehmen, rechtzeitig umfassende Konzepte für
ein alternsgerechtes Arbeiten zu entwickeln.
Noch weiter unten heißt es:
Dagegen wäre es auf längere Sicht ein falsches
Signal, die Förderung des Blockmodells zu verlän-
gern.
Wie bewerten Sie dieses Fazit?
Ich teile dieses Fazit nicht, Herr Kolb.
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428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Elke FernerDas wird Sie nicht wundern; denn sonst würde dieserGesetzentwurf heute nicht zur Debatte stehen.Wir haben eine besondere arbeitsmarktpolitische Si-tuation. Unter normalen Bedingungen, Herr Kolb, wiewir sie Ende 2007 bis Mitte 2008 gehabt haben, hätte ichgesagt: Man macht vielleicht noch eine Verlängerungohne das Blockmodell, um wenigstens die Brücke fürdie Jüngeren in die Beschäftigung zu schaffen. Dank– ich sage dies in Anführungszeichen – der Ausbil-dungsunwilligkeit vieler Betriebe in der Wirtschaft be-steht das Problem, dass nicht alle jungen Menschen, dieeine qualifizierte Ausbildung machen wollen, einenAusbildungsplatz bekommen. Die Warteschlangen sindimmens.Wenn ich mir die Beschäftigungsstruktur hinsichtlichder Sicherheit der Beschäftigung bei den jüngeren Men-schen anschaue, dann muss ich sagen, dass ich froh bin,51 Jahre alt zu sein. Denn in meiner Jugendzeit hatte ichdie Sicherheit, dass ich, wenn ich einen ordentlichenAusbildungsabschluss hinlege, auch in ein unbefristetesBeschäftigungsverhältnis komme.
– Nein, das ist Teil der Antwort auf Ihre Frage. Denn dieFrage lautete, ob ich das Fazit teile. Ich habe gesagt: Ichteile es nicht,
weil wir jetzt eine andere arbeitsmarktpolitische Situa-tion haben und auch im nächsten Jahr haben werden. Ichmuss sagen: Ich bin enttäuscht, dass Ihnen Hotelkettenmehr wert sind als die Chance für junge Menschen, inein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu kommen.Vielen Dank.
Als Letzter in der Debatte spricht der Kollege Frank
Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Ich verkneife mir, all das schonGesagte jetzt noch einmal in Zahlen oder Zitaten aufzu-greifen, aufzurühren, neu aufzukochen. Ich möchte ei-nen Schritt zurückgehen und zu etwas Grundsätzlichemkommen. Wir reden heute nicht in erster Linie über Zah-len und Konzepte, sondern über Menschen. Wir redenüber Menschen, die sich mit Blick auf die Verantwor-tung für ihr eigenes Leben, ihre Familien und unsere Ge-sellschaft nicht zurücklehnen wollen, sondern am Er-werbsleben teilhaben und aktiv sein wollen.Wir reden nicht über Almosen, sondern wir redenüber Chancen. Wir reden über Menschen, die nicht nachisEgnanshuBszdlkMhDuMAgzwutMdcdwBmvHrnÜmkgWz
Was die Diskussion über den Entwurf eines Gesetzesur Verlängerung der Altersteilzeit angeht, bin ich je-och ziemlich verwundert. Ich werde den Eindruck nichtos, dass Sie, liebe Kollegen von der SPD, hier ein Medi-ament in die Verlängerung schicken wollen, das dasindesthaltbarkeitsdatum schon längst überschrittenat.
avon stirbt man nicht sofort. Hier geht es aber nicht nurm Schadensbegrenzung. Vielmehr müssen wir an dieenschen und ihre Zukunft denken.Nachdem wir in den letzten Wochen immer wiederngriffe von Ihnen erlebt haben – Sie verwendeten Be-riffe wie „Nebeltaktik“ und „Klientelpolitik“ –, ist esiemlich verwunderlich, dass gerade dieser Gesetzent-urf genau diesen Geschmack hinterlässt. Wollen Siens etwa anhand eines praktischen Beispiels die Bedeu-ung dieser beiden Worte erklären?Sowohl von meinen Fraktionskollegen als auch vonitgliedern anderer Fraktionen haben wir heute gehört,ass klare Argumente gegen Ihren Gesetzentwurf spre-hen. Die demografische Entwicklung hat sich geän-ert; darauf muss man reagieren. In den Ausführungenurden gravierende Widersprüche aufgezeigt. Dielockmodellwirkung ist schädlich für den Arbeits-arkt. Diese Regelung führte nachweislich zum Abbauon Arbeitsplätzen, insbesondere in großen Firmen.inzu kommt, dass ausschließlich Alter mit Alter ver-echnet wird. Die Frage nach der Qualifikation wirdicht gestellt. Das Ziel dieses Gesetzes, einen gleitendenbergang vom Erwerbsleben ins Rentendasein zu er-öglichen, wird so nicht erreicht.
Bei diesem Gestaltungsmittel zu bleiben, wäre voll-ommen kontraproduktiv und ein denkbar schlechtes Si-nal für die Menschen, um die es uns eigentlich geht.as wir brauchen, ist eine konstruktive Auseinanderset-ung mit den jetzigen Gegebenheiten. Gesetze für eine
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Frank HeinrichGesellschaft werden nämlich nicht ausschließlich auf dernüchternen Basis finanzieller Eckdaten gemacht, son-dern sie werden für Menschen gemacht. Dabei geht esauch um Flexibilität; darauf haben meine Kollegen vonder FDP hingewiesen.Es gilt, zwischen Berufsgruppen zu unterscheiden:Zwischen dem Dachdecker und dem Versicherungskauf-mann gibt es nun einmal einen gravierenden Unter-schied, was die Wahrnehmung dieses Gesetzes angeht.Es gilt, auch regionale Unterschiede mit einzubeziehen:In den neuen Bundesländern, aus denen ich komme,kann man nicht die gleichen Maßstäbe anlegen wie inNiedersachsen oder in Baden-Württemberg. Lieber Kol-lege Heil, Ihre Bemerkung bezüglich der „RolleRüttgers“ ganz am Anfang unserer Debatte bestätigt,dass es solche regionalen Unterschiede gibt und dass dieNotwendigkeit besteht, sie mit einzubeziehen.In Zeiten des demografischen Wandels müssen dieBeschäftigungschancen älterer Menschen gestärktwerden und dürfen nicht geschwächt werden.
Dazu haben wir heute gute Vorschläge gehört. Auch hiergeht es um individuelle Ausstiegschancen und einen fle-xibleren Renteneinstieg, aber nicht in Form des Block-modells.Damit sind wir noch lange nicht fertig. Wir sind ge-spannt, welche Vorschläge die Opposition in den Aus-schüssen macht. Sie propagieren jetzt – 50 Jahre nachdem Godesberger Programm –, die neue SPD zu sein.Bleiben Sie bitte nicht zu lange bei den Abschieds-schmerzen! Wir möchten, dass Sie nicht bei Gedankenund Konzepten von vorgestern bleiben, wie sie in die-sem Gesetzesvorschlag deutlich zum Vorschein gekom-men sind.
Sie werden hier gebraucht als Opposition – so sind Siegewählt worden –, und das sind Sie sich, diesem Parla-ment und den Bürgern und Bürgerinnen dieses Landesschuldig.Meine abschließende Bemerkung: Menschen sollenund werden der Mittelpunkt der Politik dieser Koalitionsein. Wo es um Menschen geht, die fertig, die krank, dieausgebrannt, die ausgepowert sind, um Berufsgruppen,denen ein Weiterarbeiten nicht zuzumuten ist, gibt esweiterhin die benannte Regelung, wenn auch ohne För-derung durch die Bundesagentur. Wir haben immer wie-der betont, dass die Anschlussregelungen zur Kurzarbeitmomentan die beste Möglichkeit ist;
dies darf aber nicht der einzige Schritt bleiben. DieCDU/CSU steht für eine nach vorn gerichtete sowie amMenschen orientierte Arbeits- und Sozialpolitik.
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Herr Heinrich, das war Ihre erste Rede im Hohen
aus, wozu ich Sie herzlich beglückwünsche. Für Ihre
rbeit hier wünsche ich Ihnen im Namen des gesamten
auses viel Erfolg und auch Gottes Segen.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
es auf Drucksache 17/20 an die in der Tagesordnung
ufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu gibt es
ffensichtlich keine anderen Vorschläge. Dann ist die
berweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Wahl der Schriftführer gemäß § 3 der
Geschäftsordnung
– Drucksache 17/58 –
Für die Wahl der Schriftführerinnen und Schriftführer
iegen auf Drucksache 17/58 Wahlvorschläge der Frak-
ionen CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bünd-
is 90/Die Grünen vor. Ich frage Sie: Wer stimmt für
iese Wahlvorschläge? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
ungen? – Damit sind diese Wahlvorschläge einstimmig
ngenommen. Ich gratuliere den gewählten Kolleginnen
nd Kollegen im Namen des gesamten Hauses, freue
ich auf die Zusammenarbeit und danke gleichzeitig
en vorläufigen Schriftführerinnen und Schriftführern
ieser Legislaturperiode für ihren unermüdlichen Ein-
atz.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 2 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion Die Linke
Bildung für alle – Gebührenfrei
Als erste Rednerin spricht Nicole Gohlke für die
raktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Frau Bundesbildungsministerin!iebe Kolleginnen und Kollegen! Bundesweit sind00 000 Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrer und
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Nicole GohlkeStudierende diese und letzte Woche auf die Straße ge-gangen. Die Linksfraktion steht an der Seite all derer, diemit Demonstrationen und Blockaden, mit Besetzungenund Streiks für bessere Bildung und für grundsätzlicheVeränderungen im Bildungssystem streiten.
Nach den Protesten vom Sommer ist es jetzt daszweite Mal, dass Schülerinnen und Schüler sowie Stu-dierende gegen die massive Unterfinanzierung und ge-gen die soziale Selektion im Bildungsbereich kämpfen.Neu an den jetzigen Protesten ist, dass Studierende land-auf, landab die größten Hörsäle besetzt halten: inzwi-schen an mehr als 40 Hochschulen von Hamburg überPotsdam bis nach München.
Diese Besetzungen sind Ausdruck dafür, dass die Stu-dierenden auch nach dem letzten Bildungsstreik imSommer nicht das Gefühl haben, irgendwie ernst ge-nommen zu werden. Sie zeigen mit den Besetzungen,dass sie bereit sind, entschlossen für ihre Forderungen zukämpfen, und dass es für sie an der Zeit ist, sich denRaum zurückzuholen – es geht um ihre eigenen Hoch-schulen und ihr Studium –, den sie an undemokratischeHochschulräte und an private Unternehmen, Sponsorenund Profitmacherei verloren haben.
Die Proteste der Schülerinnen und Schüler sowie Stu-dierenden sind bereits jetzt ein voller Erfolg. Nicht nur,dass sehr viele die Proteste unterstützen, auch manchePolitiker haben etwas gelernt. So scheint es zumindest;denn nur noch ganz wenige beschimpfen die Proteste alszum Beispiel gestrig, wie das die Bildungsministerinnoch im Sommer getan hat.Inzwischen äußern viele Politiker Verständnis für dieAnliegen, die hinter dem Bildungsstreik stehen. FrauSchavan meint sogar, zu wissen, dass die Studierendenfür ihre eigenen Pläne und für die Reformpläne der Bun-desregierung streiken. So sagte Frau Schavan in der Ta-gesschau am 12. November 2009, sie finde es richtig,wenn die Studenten darauf pochten, dass das, was be-schlossen wurde, jetzt auch tatsächlich umgesetzt wird.Liebe Frau Schavan, dies ist nichts anderes als ein ziem-lich plumper Versuch, die Proteste zu vereinnahmen.Das zeigt, dass Sie sich mit den Forderungen und denAnliegen dieser Bewegung nicht im Geringsten ausein-andergesetzt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiger Slo-gan des Bildungsstreiks ist: „Für Solidarität und freieBildung“. Dieser Spruch steht auf vielen Transparentenund T-Shirts der Aktivistinnen und Aktivisten. Solidari-tät und freie Bildung haben jedoch nichts mit den Ideender Regierung gemein, sie haben nichts gemein mit demKredit- und Stipendiensystem und auch nichts gemeinmit dem sogenannten Bildungssparen.Dgaidgrbndma6avbebSzbmMgdwavswFtiAmBvmhSN
Der Bundesregierung muss klar sein: Durch Lippen-ekenntnisse alleine werden die Streikenden diesmalicht zufriedengestellt. Den netten Worten, die Sie inen letzten Tagen zur Besänftigung gefunden haben,üssen endlich auch Taten folgen. Es reicht eben nichtus, wie beim BAföG nur das Bestehende aufzustocken.3 Prozent der Studierenden müssen neben dem Studiumrbeiten. Die meisten bekommen keine Unterstützungom Staat.Frau Bildungsministerin, wenn Sie, wie Sie es vorge-en, tatsächlich daran interessiert sind, mehr Kinder ausinkommensschwachen Familien an die Hochschulen zuringen, dann erhöhen Sie endlich das BAföG, schaffenie die Rückzahlungspflicht ab, verlängern Sie die Be-ugsdauer,
und setzen Sie sich endlich dafür ein, dass Studienge-ühren bundesweit verboten werden.
Mittlerweile traut sich glücklicherweise fast keinerehr, den Bologna-Prozess, durch den das Bachelor-aster-System auf den Weg gebracht wurde, als gelun-ene Reform hinzustellen. Insgesamt drängt sich jedocher Eindruck auf, dass es bei dieser Reform so ähnlichie beim schlechten Wetter ist: Alle ärgern sich darüber,ber niemand will es gewesen sein oder will jetzt dafürerantwortlich sein.Der Regierung und den Kultusministern sollte aberchon klar sein, dass die Studierenden genau wissen,er ihnen das Bologna-System eingebrockt hat. Dieraktion Die Linke fordert eine Korrektur der geschei-erten Bologna-Reform. Das Bachelor-Master-System istn der bestehenden Form absolut unhaltbar, das heißt, dierbeitsbelastung muss gesenkt werden, das Angebotuss deutlich breiter und vielfältiger werden und alleachelor-Absolventinnen und -Absolventen müssen daserbindliche Recht auf einen Masterstudienplatz bekom-en.
Frau Bildungsministerin, wenn Sie die Proteste weiter-in als Bestätigung Ihrer Politik begreifen, dann habenie die Schüler und die Studierenden nicht verstanden.ötig ist ein Richtungswechsel in der Bildungspolitik,
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Nicole Gohlkeein Richtungswechsel weg von Eliteuniversitäten undExzellenz für wenige,
hin zu guter Bildung für alle, weg von einem Verständ-nis, das Bildung als Ware begreift, hin zu einem Begriffvon Bildung als Menschenrecht.Seien Sie sich sicher: Bis diese Forderungen erfülltsind, werden die Schülerinnen und Schüler sowie Stu-dierenden keine Ruhe geben und weiter für ihre Zielekämpfen. Meine Fraktion wird sie dabei unterstützen.Vielen Dank.
Frau Gohlke, auch für Sie war das die erste Rede, zu
der wir Sie herzlich beglückwünschen und Ihnen alles
Gute für die Arbeit hier im Haus wünschen.
Das Wort hat der Kollege Michael Kretschmer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politikbeginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Das bedeutetbeim Thema Bildung, dass wir in den vergangenen Jah-ren sehr viel Geld in die Hand genommen haben unddass Bund und Länder in einem nationalen Kraftakt ei-nen Hochschulpakt verabschiedet und einen Bildungs-gipfel mit dem klaren Bekenntnis durchgeführt haben, inden nächsten Jahren bis zu 10 Prozent des Bruttoinlands-produkts für Bildung und Forschung auszugeben.Ich komme gerade von der Jahrestagung der Leibniz-Gemeinschaft in Rostock. Dort war eines ganz klar – derPräsident hat es noch einmal deutlich gesagt –: Zu keinerZeit hatten Bildung und Wissenschaft einen so hohenStellenwert wie heute. Das ist das Ergebnis unserer Poli-tik.
Das Thema dieser Aktuellen Stunde „Bildung für alle –Gebührenfrei“ ist wirklich nicht die Herausforderungunserer Zeit. Schon eher wären es Themen wie „Wirwollen die beste Bildung für alle“, „Wir wollen mit Bil-dung den sozialen Aufstieg schaffen“ oder „Wir wollenBildung als universellen Wert begreifen“. Das sind un-sere programmatischen Sätze, die wir linker Gleichma-cherideologie entgegenschleudern.
Das sind Ziele, hinter denen wir den Bund und dieLänder versammeln müssen, die wir brauchen, um amEnde tatsächlich die Kraft zu haben, das Geld aufzubrin-gen und den Rahmen so zu setzen, dass Bildung für alleumugIeWJVdadrVwt5fgWfgdswzIinHhwdsodggvdiUd
CDU/CSU und auch die FDP, denke ich, stehen fürinen Sozialstaat, aber nicht für einen Verschenkerstaat.ir wollen die eigene Leistung fördern.
ede Rede heute beginnt mit dem Bekenntnis, dass manerständnis für die Protestierenden hat. Auch mein Stu-ium ist noch nicht sehr lange her. Ich kann mich auchn Dinge erinnern, die nicht in Ordnung waren und überie wir im Fachschaftsrat, im Studentenrat und an ande-er Stelle gesagt haben: So geht es nicht. Ich habe aucherständnis, aber mein Verständnis schwindet langsam,enn ich sehe, was in letzter Zeit bei diesen Protestenatsächlich abläuft.Es ist richtig, dass mit dem Bologna-Prozess nach0 Jahren eine gewaltige große Studienreform stattge-unden hat, und es ist richtig, dass einiges dabei nicht solücklich gelaufen ist. Darüber kann man auch reden.ir haben eine viel zu hohe Spezialisierung und eine In-lation an Studiengängen, die man eindämmen muss. Esibt in Teilen zu viele Prüfungen, und es gibt in der Tatas Problem, dass Seminare und Vorlesungen zeitgleichtattfinden, sodass der organisatorische Ablauf nicht ge-ährleistet ist.Das ist aber kein Beleg dafür, dass der Bologna-Pro-ess gescheitert oder die Hochschulautonomie falsch ist.m Gegenteil: Diese organisatorischen Defizite müssenn der nächsten Zeit schleunigst behoben werden. Dabeiehmen wir auch die Hochschulen in die Pflicht.Wir, die Union, sagen ganz klar: Wir stehen zurochschulautonomie und zur Hochschulfreiheit. Frei-eit bedeutet auch, dass man diejenigen in die Verant-ortung nehmen muss, die diese Freiheit haben. Ausiesem Grunde ist ganz klar: Wir wollen, dass die Hoch-chulen die Verantwortung übernehmen und dass dieserganisatorischen Defizite beendet werden.
Im Übrigen sind alle drei Punkte – weder die Anzahler Studiengänge noch die Frage der Anzahl der Prüfun-en oder die Organisation von Seminaren und Vorlesun-en – keine Frage der Finanzen. Es ist einfach eine Frageon schlechter Organisation, die in der Tat beendet wer-en muss.
Es war vom BAföG die Rede. Wir werden das BAföGm nächsten Jahr erhöhen. Aber das ist nur ein Schritt.ns ist an einem insgesamt stimmigen Konzept der Stu-ienfinanzierung in diesem Land gelegen. Dazu gehört
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Michael Kretschmerals wichtigster Punkt das BAföG. Deswegen haben wires vor wenigen Jahren erhöht, und wir werden es in dennächsten Jahren weiter erhöhen. Wir werden auch denKreis derer verbreitern, die das BAföG in Anspruch neh-men können. Es gehören aber auch andere Dinge dazu.Ich sage ganz klar: Wir stehen zu einem vernünftigenStipendiensystem. Wir wollen das, und wir werden esauch in dieser Legislaturperiode einführen.
Ich habe die Hoffnung, dass die Kollegen irgendwanndie Realität zur Kenntnis nehmen und sich daran erin-nern, was sie vor kurzer Zeit gesagt haben, nämlich dasswir eine Stipendienkultur in diesem Land haben wollenund gemeinsam versuchen, etwas Gutes zu machen. Wirsind dazu bereit. Wir wollen das tun. Wir sind im Übri-gen auch offen für Kritik, gerade von denjenigen, diestudieren. Aber die Kritik muss sowohl in der Sache alsauch in der Art und Weise vernünftig sein.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Ulla
Burchardt.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Kollege Kretschmer, beste Bildung für alleund Aufstieg durch Bildung für alle, das sind, glaubeich, völlig unstreitige Ziele. Aber diese sind mit Gebüh-ren für Bildung nicht zu erreichen. Die Studierenden ha-ben völlig recht, wenn sie die Abschaffung der Gebüh-ren fordern.
Gebührenfreiheit von der Kita bis zur Hochschule ist fürdie SPD nicht nur Programm, sondern auch Praxis.Schauen Sie sich die SPD-regierten Länder an! Dort gibtes keine Studiengebühren. Mittlerweile gibt es eineWanderungsbewegung hin zu diesen Ländern. Bei denKitas sind erste wichtige Schritte getan. Es ist hin-reichend wissenschaftlich belegt – es gibt kein Erkennt-nisproblem, sondern ganz offensichtlich ein Handlungs-problem –, dass Gebühren soziale Barrieren fürChancengleichheit und Teilhabe sind. Gebühren be-schränken die individuellen Freiheitsrechte, behindernden freien Zugang zu Bildung in allen Bereichen und– auch das ist hinreichend belegt – sind kontraproduktivfür Wachstum und Innovation.
In jeder Hinsicht schädlich ist die ideologisch moti-vierte Privatisierung von Bildung, wie sie jetzt von die-ser Rechtsregierung vorbereitet wird.
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Da kann man nur sagen: So wird die Bildungsrepublikallenfalls ein Potemkinsches Dorf. Mit Ihrer Steuerpoli-tik zerstören Sie das Fundament des Bildungssystemsund schwächen die Innovationsfähigkeit der gesamtenBundesrepublik auf Dauer.Was wir in Deutschland brauchen, ist eine Politik, diedie Wachstumspotenziale unserer Volkswirtschaft nach-haltig erhöht und gezielt ausschöpft. Das setzt voraus,dass auch die Bundesinvestitionen in Bildung deutlichsteigen. Das ist der Kern unseres Angebots für einenPakt der wirtschaftlichen Vernunft in Deutschland. Biszum Bildungsgipfel, Frau Schavan, haben Sie und dieKanzlerin nicht mehr sehr viel Zeit, um die Glaubwür-digkeitslücke zu schließen. Deswegen nutzen Sie dieChance, sich in den nächsten drei Wochen von ideologi-schen Schatten zu befreien und tatsächlich nicht nur vomAufstieg durch Bildung zu reden, sondern dafür endlichetwas Handfestes zu tun.
Das Wort hat die Abgeordnete Sylvia Canel für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen undHerren! Es war sehr interessant, was Frau Burchardt ge-sagt hat. Wenn es wirklich so wäre, dass Studenten ausLändern mit Studiengebühren abwandern würden, wür-den die Hochschulen in Hamburg leer stehen. Aber: Esgibt Studiengebühren, die Zahl der Studierenden nimmtzu, und auch die Geburtenrate steigt. So ganz kann das,was sie gesagt hat, nicht stimmen.wndgrlgeblHsewgAdBcbfiBtNWdfddda2eaMfIkr
Bildung bewegt. Bildung mobilisiert. Für Bildungird gelitten und gestritten. Dies gilt mittlerweile nichtur für die protestfreudigen Studenten, sondern auch fürie Bürgerinnen und Bürger der Mitte; denn Bildungeht uns alle an. So können wir gerade erleben, dass derot-roten Regierung in Berlin per Volksbegehren ordent-ich eingeheizt wurde. Die Zustände an Berlins Kinder-ärten wurden von den Betroffenen als derart schlechtmpfunden, dass sich der Protest formierte. Letztlichlieb SPD und den Linken nichts anderes übrig, als end-ich für Abhilfe zu sorgen. Gut so, meine Damen underren! Das ist der richtige Weg.
Ein ähnliches Bild auch in Hamburg, meiner Heimat-tadt. Hier haben sich besorgte Eltern und Großeltern ininer Initiative mit dem bezeichnenden Namen „Wirollen lernen!“ zusammengetan, um gegen die verfehlterüne Bildungspolitik von Christa Goetsch vorzugehen.uch hier zeichnet sich ein Erfolg der Bürger gegenüberem Senat ab. Längeres gemeinsames Lernen mit derrechstange, unterfinanzierte Schulen ohne entspre-hende Qualitätsoffensive? Nein! Über 182 000 Ham-urgerinnen und Hamburger lehnen das ab und stehenür mehr Leistungsorientierung in der Bildung. Und dasst gut so, meine Damen und Herren!
Es geht um die Zukunft unserer Töchter und Söhne.ildung für alle? Ja! Das ist richtig, aber nicht auf Kos-en der Qualität. Qualität ist leider nicht immer zumulltarif zu bekommen.
er das noch immer denkt, verschließt die Augen vorer anhaltenden nationalen Bildungskatastrophe. Jederünfte 15-Jährige kann kaum lesen und rechnen. Das istramatisch für die Schüler. Das ist ebenso dramatisch füren Staat.
Wenn die Zahl der Risikoschüler nicht sinkt, kostetas laut der neuen Bertelsmann-Studie in den nächstencht Jahrzehnten die gigantische Summe von,8 Billionen Euro. Die schwächsten Schüler müssenndlich stärker gefördert werden, und zwar von Anfangn.
ittelfristig strebt die FDP daher eine Beitragsfreiheitür den Bereich der frühkindlichen Bildung an, dort, wontegration, sozialer Ausgleich und Chancengerechtig-eit am besten gelingen. Wir wollen damit Bildungsge-echtigkeit und ein Fundament für erfolgreiche Bil-
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Sylvia Caneldungskampagnen schaffen. Dafür müssen wir jedoch dieöffentliche Bildungsfinanzierung vom Kopf auf die Füßeund die Priorität der Investitionen an den Anfang stellen.Der Einsatz der öffentlichen Mittel ist auf den Bereich,wo die meisten Kinder zu erreichen sind, auf den Be-reich der frühkindlichen Bildung, auf Kindergarten, aufSchule und Grundschule, zu konzentrieren. Gleichzeitigmuss der Einsatz privater Mittel im Hochschulsektor undbeim lebenslangen Lernen erleichtert und gefördert wer-den. Genau das haben wir vor.
Dementsprechend hat uns die OECD ins Stammbuchgeschrieben: Mit Ausnahme von Deutschland und Grie-chenland ist in allen OECD-Ländern der Anteil derprivaten Mittel an der Bildungsfinanzierung im Hoch-schulbereich weitaus höher als im Primar- und Sekun-darbereich. Kein Wunder; denn für bessere Beschäfti-gungsmöglichkeiten und höhere Einkommen ist einestärkere Beteiligung des Einzelnen an den Kosten seineseigenen Studiums völlig legitim. Dies stammt wohlge-merkt nicht aus dem Bundeswahlprogramm der FDP,nein, das sind Zahlen der OECD, die auch Sie selber im-mer gerne hier zitieren.Der investive Charakter eines Studiums für den Ein-zelnen liegt auf der Hand, und auch der gesellschaftlicheNutzen ist unverkennbar; denn deutsche Akademikersind dreimal seltener von Armut betroffen als Personenohne Abschluss. Kurzum: Die Investition lohnt sich füralle, und deshalb müssen sich auch alle daran beteiligen,der Staat durch die Finanzierung der Studienplätze, derStudierende durch die Studiengebühren und die Wirt-schaft durch entsprechende Stipendiensysteme.
Wir wollen mehr junge Leute zur Aufnahme eines Studi-ums bewegen. Gleichzeitig brauchen wir exzellente Be-dingungen an unseren Hochschulen. Das kann gelingen.Die OECD legt ja die Daten vor. Privates Engagementsetzt eine soziale Flankierung voraus. Deshalb stehenwir für das Bildungssparen. Es soll staatlich gefördertwerden. Jedes Neugeborene soll ein Zukunftskonto miteinem Guthaben von 150 Euro bekommen. Das Denkenmuss sich dahin gehend ändern, dass wir nicht nur Ver-mögen für ein kleines Häuschen ansparen, sondern auchfür die Bildung, also die Investition in die Person selbst.
Wir werden gemeinsam mit der Wirtschaft den Aufbaudes Stipendienwesens vorantreiben und dafür sorgen,dass die besten 10 Prozent aller Studierenden 300 Euroim Monat erhalten; denn Leistung soll sich lohnen undnicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.
Schließlich werden wir das BAföG stärken und das An-gebot an Studiendarlehen ausbauen. So stellen wir si-cher, dass keiner an finanziellen Hürden zum StudiumssndlgmzwWdkbmmdBLfgkisSwgguLkgdbdaIusb
Auch der zweite bundesweite Bildungsstreik in die-em Jahr hat unsere Unterstützung. Es ist ein starkesignal und ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft,enn Schülerinnen und Schüler und Studierende fürleiche Bildungschancen, für bessere Studienbedingun-en und gegen soziale Spaltung in unserem Bildungs-nd Hochschulsystem protestieren.Dazu gehört übrigens auch, für längeres gemeinsamesernen zu werben. Bildung ist ein Menschenrecht undeine Ware. Schüler und Studierende sind mündige Bür-er und keine Kunden auf Bildungsmärkten. Das sindie gesellschaftlichen Debatten, die jetzt anstehen.
Ich gebe zu: Frau Ministerin Schavan, Sie haben offen-ar dazugelernt. Noch im Juni haben Sie dieselben For-erungen der protestierenden Studierenden als „gestrig“bgekanzelt. Momentan können sich die Streikenden vorhren Solidaritätsbekundungen kaum retten. Die Schülernd Studierenden wollen aber keine Lippenbekenntnisse;ie erwarten unverzüglich konkrete Maßnahmen, spür-are Ergebnisse und Verbesserungen in den Klassenzim-
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Kai Gehringmern und Hörsälen. Wenn Sie, Frau Schavan, nicht alsBundesankündigungs- und -beschwichtigungsministerinin die Geschichtsbücher eingehen wollen, dann müssenSie jetzt unverzüglich handeln und müssen für ein gerech-teres Bildungssystem sorgen.
Wir als Grüne haben längst Konzepte vorgelegt, wiesich eine chancengerechte Bildungsrepublik bauen ließe.Wir fordern eine tiefgreifende Reform der vielerortsschlecht umgesetzten Bologna-Reform. Das Studiummuss entfrachtet, studierbar und flexibler werden anstattverschult, verdichtet und überstrukturiert. Dabei mussendlich Schluss sein mit dem permanenten Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund, Ländern und Hochschulen.Nein, die Korrektur muss jetzt angepackt werden.Wir fordern einen Pakt für Studierende, der 500 000Studienplätze schafft und unsere Hochschulen endlichauch für Nichtakademiker öffnet. Wir fordern den Ab-bau von Zugangshürden und die Abschaffung von Stu-diengebühren, wie es in Hessen gelungen ist und wie esim Saarland verabredet wurde. Wir wollen darüber hi-naus einen Ausbau der staatlichen Studienfinanzierungzu einem Zwei-Säulen-Modell, und zwar mit einem el-ternunabhängigen Sockel für alle und einer sozialenKomponente für diejenigen, die es brauchen. Das wärenechte Bildungsreformen, die zu mehr Gerechtigkeit undTeilhabe führen. Dazu fehlen Schwarz-Gelb offenbarMut und Kraft.
Noch schlimmer: Offenbar wird Frau Schavan geradeoberste Insolvenzverwalterin ihrer Möchtegernbildungs-republik. Wir wissen ja, dass unserem Bildungssystempro Jahr 20 Milliarden Euro zusätzliche Investitionen imVergleich zum OECD-Schnitt fehlen. Was machen Sie,statt diese eklatante Unterfinanzierung zu überwinden?Sie reißen immer neue Milliardenlöcher in den Bundes-haushalt: mit der Abwrackprämie, eingeführt zu Zeitender Großen Koalition, jetzt mit Steuergeschenken fürBesserverdienende und für Lobbyverbände. Das geht sonicht. Wenn das Bundeskabinett jetzt Steuersenkungenbeschließt, dann entzieht es der Bildungsrepublik die fi-nanzielle Grundlage und wird Bildungskürzungen in denLändern und in den Kommunen hervorrufen.
Daher gehören Steuersenkungen eingemottet; sonst ver-kommt die Bildungsrepublik gänzlich zum Märchen-land.Es wird aber noch doller: Die Rechnungen für FrauSchavans Feuerwerk an Ankündigungen landen zumGroßteil bei den Ländern, sei es für das ungerechte Sti-pendiensystem, die vage BAföG-Erhöhung oder die un-terfinanzierten Wissenschaftspakte. Sie stehen sozusagenauf dem Sonnendeck des Bundes und bestellen Champa-gner, während die Ländermannschaft im Maschinenraumverdurstet. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. WerbFsicSSnlwrzfmdusnGedJ„k–ERdkt
Wir haben als Grüne längst einen Finanzierungsvor-chlag gemacht: Wandeln Sie doch einfach den Soli Ostn einen Bildungssoli um! So lässt sich der gesamtstaatli-he Bildungsaufbruch finanzieren, anstatt ihn durchteuersenkungen abzuwürgen. Den Bildungssoli könnenie übrigens auf dem Bildungsgipfel II im Dezember ge-auso verabreden wie die Korrektur Ihrer bildungsfeind-ichen Föderalismusreformen. Ich denke, hier im Hauserden Sie Unterstützung finden, das unsinnige Koope-ationsverbot wieder abzuschaffen; es gehört entsorgt.
Letzter Punkt. Wenn Sie schon ankündigen, dann set-en Sie, bitte, wenigstens die richtigen Prioritäten, stattalsche Weichen zu stellen. Mit einer BAföG-Erhöhungachen Sie einen Trippelschritt vorwärts zu mehr Bil-ungsgerechtigkeit. Mit Bildungssparkonten für Reichend Stipendien für Privilegierte machen Sie zwei Rie-enschritte rückwärts.
Wenn man die für das Stipendiensystem vorgesehe-en Mittel nehmen würde, könnten Sie hier sofort einenesetzentwurf vorlegen und das BAföG um 10 Prozentrhöhen. Darauf warten wir. Das BAföG auszuweiten,as ist wichtiger als ein Stipendiensystem.
etzt noch die Länder zu erpressen nach dem Motto:BAföG-Erhöhung gibt es nur, wenn die Stipendienommen“, das geht so nicht.
Ja, das ist doch klar. Das ist der goldene Zügel. Das istrpressung.
Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Wir sagen ganz klar: „Privat vor Staat“ ist das falsche
ezept für Bildungsreformen. Ein Kurswechsel im Bil-
ungssystem ist überfällig: für mehr Chancengerechtig-
eit, für höhere Bildungsinvestitionen, für bessere Insti-
utionen und Strukturen und für eine höhere Qualität.
Herr Kollege.
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Wenn Schwarz-Gelb einen solchen Kurswechsel ein-
leitet, dann haben sich die Bildungsstreiks gelohnt.
Vielen Dank.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. AnnetteSchavan.
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-dung und Forschung:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Im Studienjahr 2009 begin-nen 423 000 Studierende ihr Studium, so viele wie nochnie in Deutschland. Ein Plus von 7 Prozent.
Im Studienjahr 2009 nehmen nun über 43 Prozent desJahrgangs ein Studium auf, weil sie davon überzeugtsind, dass das attraktiv ist.
Deutschland ist außerdem nach den USA und Groß-britannien das drittbeliebteste Gastland für Studierendeaus aller Welt. Auch das ist ein guter Hinweis auf die At-traktivität des Wissenschaftssystems in Deutschland.
Angesichts dessen finde ich, die Reden, die ich ebengehört habe, sind schlicht ziemlich gewagte Auftritte.
Sie tun so, als kämen Sie aus einer anderen Welt, hättenmit Bildungspolitik in Deutschland gar nichts zu tun.
Interessanterweise, verehrte Frau Kollegin, haben dieStreiks in Brandenburg und Berlin begonnen.
In Brandenburg und Berlin
– zu Freiburg komme ich gleich – regieren SPD undLinke.
AelBBB–umghe–hmsdhbDdJdwsRas–vSw
ildungspolitik in Brandenburg und Berlin ist super. –islang kommt in Deutschland niemand auf die Idee, inerlin eine besonders gute Bildungspolitik vorzufinden.
Sie haben eben geredet, und ich war still; jetzt rede ich,nd Sie sind still. Ja, so sind die Spielregeln im Parla-ent.
Weder in Brandenburg noch in Berlin gibt es Studien-ebühren. In beiden Ländern können Studierende über-aupt nicht gegen Studiengebühren demonstrieren, weils da keine gibt.
Gewagt finde ich
Frau Burchardt, ich bin jetzt am Umlernen; wenigstensaben Sie jetzt für die Opposition geredet und nichtehr für die eigene Koalition; das beruhigt mich –
chon, dass von Ihnen, kaum dass das Statistische Bun-esamt die neuen Studienanfängerzahlen veröffentlichtatte, eine Pressemitteilung mit dem Inhalt kam: Der Ju-el sei verfrüht.
a argumentieren Sie mit den Stärken der Jahrgänge. Ja,as sagen Sie. Aber die einzige Zeit, in der die Stärke derahrgänge und die Prozentzahl derjenigen, die ein Stu-ium aufnehmen, sich unterschiedlich entwickelt haben,aren die Jahre 2003 bis 2006. Da hat genau das ge-timmt, was Sie sagen: stärkere Jahrgänge, dennochückgang der Zahl derer, die studieren. Seit 2006 ist esnders. Heute ist völlig klar: starke Jahrgänge und nochtärkerer Andrang an den Hochschulen.
Die Debatte ist ein Vorgeschmack auf die kommendenier Jahre. Ich nehme das an. Das macht mir großenpaß. Sie müssen nur mit all dem, was Sie sagen, irgend-ie auch in der Öffentlichkeit bestehen können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 437
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Bundesministerin Dr. Annette Schavan
: Gehen Sie
doch mal in Versammlungen! Gehen Sie docheinfach mal zu den Leuten!)Sehen Sie sich einmal den Zuwachs bei den Zahlender Studienanfänger in den Ländern an. Die höchstenZuwachsquoten gibt es in Nordrhein-Westfalen, in Ba-den-Württemberg, in Bayern, also in Ländern, in denenes Studiengebühren gibt. Denn für die Studierenden istnicht interessant, ob es eine Studiengebühr gibt, sonderninteressant ist, was sie an einer Universität erwartet, woes die besten Lehrkonzepte gibt.
Den Vergleich können Sie anhand folgender Zahlenselber ziehen: In Nordrhein-Westfalen beträgt der Zu-wachs 8,2 Prozent, in Baden-Württemberg 7,3 Prozent,in Bayern 9,2 Prozent, in Brandenburg, Bremen undRheinland-Pfalz 4 Prozent. Auch wenn einem das nichtpasst: Das sind die Fakten. Die Studierenden haben eingutes Gespür dafür, wo sie ernst genommen werden.
– Es wird überhaupt keine Studie zurückgehalten. Siewird dann veröffentlicht, wenn sie fertig ist.
In drei Wochen wird eine weitere Studie veröffentlicht.Darin sind die Studierenden befragt worden, wie zufrie-den sie sind und was ihnen wichtig ist. Das wird einewunderbare Debatte geben. Ich freue mich schon sehrauf die Veröffentlichung.
Aus all dem können Sie ersehen, wie sehr die Studie-renden spüren: In diesem Land ist etwas los,
hier bewegt sich etwas, hier wird investiert. Diejenigen,die Verantwortung tragen, aber mit dieser Verantwortungnicht fertig werden, sollten sich überlegen, was sie sa-gen.
Ich mag ja die Kollegen und Kolleginnen von denGrünen sehr. Nur, die Schulreform in Hamburg ist für siejetzt zumindest ein Kommunikationsproblem. Ich sagedas einmal ganz vorsichtig: Das ist überhaupt noch nichtvollendet. Man kann lange darüber diskutieren, warum.Jedenfalls ist die Öffentlichkeit in Deutschland nicht vonjedem Satz, den ich unaufhörlich von Ihnen höre, über-zeugt. Da haben Sie ein politisches Problem. So einfachist das.
Abschließend will ich sagen: Ich nehme die Studie-renden ernst, sowohl im Sommer als auch heute.EEbrlLAndIdirdgdEWfrgwBASisFuz
rnst nehmen heißt: auch widersprechen.
rnst nehmen heißt: korrigieren. Die Korrekturen sindeschlossen, und sie werden umgesetzt. Die Bundes-egierung investiert 12 Milliarden Euro. Sie hat in deretzten Legislaturperiode ungewöhnlich viel geholfen.iebe Frau Burchardt, wenn Sie mir da wieder mit dergentur und dem Bologna-Prozess kommen, kann ichur sagen: In der Tat, die rot-grüne Bundesregierung hatiese Reform 1999 in Gang gesetzt.
ch stehe dazu. Ich halte die Einführung für richtig. Aberie Frage, wer welchen Pakt mit den Ländern umsetzt,st eine Frage der politischen Kunst. Es ist etwas ande-es, ob ich als Bundesregierung den Eindruck erwecke,ass ich unentwegt Reformen mache, die irgendwie ge-en die Länder gerichtet sind, oder ob ich mit den Län-ern gemeinsam Vorhaben wie den Hochschulpakt, diexzellenzinitiative und anderes umsetze.
ir haben es umgesetzt, und Sie sind beim Bundesver-assungsgericht gescheitert. Das ist die Realität. Es wa-en nicht die B-Länder, sondern das Bundesverfassungs-ericht.
Die Maßnahmen sind genannt worden: Weiterent-icklung des BAföG, nationales Stipendienprogramm,ildungssparen. So sieht eine Politik guter Balance aus.
uf diese Weise machen wir deutlich, dass wir zu dentudierenden stehen und zu der Aussage, dass für jedenn dieser Gesellschaft gilt: Investition in Bildung lohntich.Vielen Dank.
Die Abgeordnete Daniela Kolbe hat das Wort für die
raktion der SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnennd Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Vorgesternogen circa 10 000 Studierende anlässlich der Hoch-
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Daniela Kolbe
schulrektorenkonferenz durch meine Heimatstadt Leip-zig. Sie demonstrierten dort für mehr Qualität und gegenStudiengebühren, gegen die Selektion, gegen die Selek-tivität in unserem deutschen Bildungssystem. In aus-nahmslos jeder Rede waren diese beiden Punkte Thema:Die Qualität der Bildung muss gesteigert werden, und esdarf keine Studiengebühren geben.Ich weiß das, weil ich dort war; denn es war mir einHerzensanliegen, meine Solidarität mit den Studierendenzu zeigen.
Ich teile ihre Auffassung, dass so manches in unseremBildungssystem, in den Schulen und in den Hochschu-len, verkehrt läuft.Bei den derzeitigen Protesten der Schülerinnen undSchüler sowie der Studierenden geht es nicht um De-tailfragen. Es geht um die ganz grundsätzliche Frage:Welchen Stellenwert hat Bildung in unserer Gesell-schaft? Geht es darum, Bildung in guter Qualität alsMenschenrecht für alle zur Verfügung zu stellen, odergeht es nur darum, ausreichend Fachkräfte für die Wirt-schaft und gute Bildung für manche zur Verfügung zustellen?Sehr geehrte Frau Ministerin, die Menschen glaubenIhnen nicht, dass Ihnen gute und gleichwertige Bildungfür alle ein Herzensanliegen ist.
Im Gegenteil: Mit Sorge betrachten viele Eltern undviele Studierende die derzeitige Entwicklung hin zu Stu-diengebühren und zur Privatisierung von Bildung. Dabeiwäre es wichtig, gerade den NichtakademikerfamilienSicherheit in Fragen der Studienfinanzierung zu gebenund ihnen ein gebührenfreies, diskriminierungsfreiesStudium zu ermöglichen.
Denn: Ob und wie viel Geld man für Bildung bezah-len muss, ist in vielen Familien ein extrem wichtigesThema. Eine Untersuchung des Institutes für Wirt-schaftsforschung Halle von diesem Montag belegt – Siehatten vorhin gelacht –, dass mittlerweile immer mehrjunge Leute gerade aus einkommensschwachen Familienin Länder ziehen, wo es keine Studiengebühren gibt.
Ich kann das aus meiner eigenen Biografie belegen.Für mich war klar, dass ich studieren will. Meine Elternhaben sich gefreut. Aber in die Freude mischte sich danndie Sorge: Können wir uns zwei intelligente Kinder ei-gentlich leisten? Meine Großeltern waren da ein biss-chen direkter und haben gefragt: Muss das denn sein?Mach doch erst mal was Vernünftiges! Verdiene docherst mal Geld! Das waren ihre Fragen zu einer Zeit, inder das BAföG sicher war und es keine Studiengebührengab. Verschulden fürs Studium – das wäre niemals in-frage gekommen.gbjBazSaFAdewbsdahutdbimDnrgrgvwtSgtd
Was ist die Antwort der Frau Ministerin auf die Fra-en solcher Familien? Die Antworten lauten: Studienge-ühren: ja; BAföG: erst eher nein, dann vielleicht undetzt ganz ohne Zweifel ja;
AföG-Erhöhung: erst nein, dann vielleicht und jetztus vollem Herzen ja.Statt den Rechtsanspruch auf Ausbildungsförderungu stärken, wollen Sie ein Stipendiensystem installieren.tatt sich um Bildungschancen für alle zu kümmern, ver-nstalten Sie eine Lebenschancenlotterie. Sehr geehrterau Ministerin, mit Lebenschancen spielt man nicht.
nders als in einer fairen staatlichen Lotterie, bei der je-es Los die gleiche Chance auf einen Gewinn hat, siehts in diesem Stipendienspiel ganz anders aus. Wir alleissen doch, dass schon unser Schulsystem diejenigenegünstigt, die aus Elternhäusern mit guter Bildungtammen. Einkommensschwache, gegebenenfalls bil-ungsfernere Familien werden benachteiligt. Das heißtber eben auch, Menschen aus bildungsnahen Familienaben eine größere Chance, ein Gewinnlos zu ziehennd damit ein Stipendium zu erhalten.Doch anstatt Ihren Stipendienvorschlag sozial gerech-er zu gestalten oder zumindest zur Kenntnis zu nehmen,ass die Selektivität in unserem Bildungssystem ein Pro-lem ist, werden Sie diese Selektivität verschärfen. Wost denn Ihr vehementer Widerstand gegen die Herdprä-ie, gegen das Betreuungsgeld?
ieses Betreuungsgeld macht aus Kindern bildungsfer-er Familien bildungsferne Kinder. Für diese Kinderückt doch ein solches Stipendium schon vor dem Be-inn der Schule in unerreichbare Ferne.Was soll dieser Vorschlag zum Thema Bildungsspa-en? 1,7 Millionen Kindern, die auf Grundsicherung an-ewiesen sind, und ihren Familien wird doch schon vonornherein signalisiert, dass sie sich an diesem Wettbe-erb um beste Chancen auf Bildung erst gar nicht zu be-eiligen brauchen.
Frau Schavan, auch wenn Sie dreimal behaupten, wieie das in Ihrer Regierungserklärung und auch heuteetan haben, es habe der SPD geschadet, so auf der Kos-enfreiheit zu bestehen, will ich sagen: Die Zehntausen-en Studierenden draußen auf der Straße, in den Rekto-
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Daniela Kolbe
raten und in den Hörsälen geben uns recht. Es bleibt beider sozialdemokratischen Forderung: Kostenfreie Bil-dung von der Kita bis zum Master.Vielen Dank.
Liebe Frau Kolbe, auch für Sie war dies die erste
Rede hier im Haus. Dazu herzlichen Glückwunsch von
uns allen und viel Erfolg bei Ihrer Arbeit im Parlament.
Der Kollege Patrick Meinhardt spricht jetzt für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Es ist immer richtig, wenn Schüler undStudierende für ihre Interessen auf die Straßen gehen,und es ist allemal richtig, dass wir im Deutschen Bun-destag über den besten Weg im Hinblick auf die Grund-linien des zentralen Zukunftsthemas Bildung miteinan-der streiten, aber auf realistischer Grundlage. Schülerund Studierende dürfen nicht wie hier vor den falschenpolitischen Karren gespannt werden.
Wir sollten eine wirkliche Debatte darüber führen,wie das Bildungsland Deutschland vorangebracht wird.Es geht bei der Bildungsdebatte definitiv nicht um einenDiscountartikel nach dem Motto: billig, billiger, am bil-ligsten. Es geht vielmehr um eine Qualitätsdebatte, da-rum, wie wir Bildung gut, besser und am besten gestal-ten. Das ist unsere Zielrichtung in dieser Debatte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, geschätzteKolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion, wa-rum gehen gerade die Eltern in Berlin auf die Barrikaden– die Ministerin hat darauf hingewiesen –, obwohl derrot-rote Senat hier in Berlin das Füllhorn der Beitrags-freiheit ausschüttet, und warum haben die Streiks inBrandenburg angefangen? Weil die Eltern sehen, dassihnen Sand in die Augen gestreut wird. Die Umfrage desLandeselternausschusses war doch desaströs: 8 Prozentder Eltern waren für einen Wegfall der Kita-Kosten,92 Prozent wollten keine Beitragsfreiheit, sondern eineQualitätsverbesserung. Diese 92 Prozent haben recht.
Ich zitiere einmal eine gewisse Carola Bluhm – sie istmomentan Sozialsenatorin; als sie am 23. Juli diesesJahres ihr Interview gegeben hat, war sie noch die Vor-sitzende der Fraktion der Linken hier in Berlin –:niBsdlwsSAeadwkwtsegdwe–wgJgtedrrshOjs
Eine ähnliche Debatte wird immer wieder über Stu-iengebühren geführt. Wir brauchen ein starkes BAföG;ir brauchen intelligentes Bildungssparen, wir brauchenin nationales Stipendienprogramm. Dieser Dreiklangund nur dieser Dreiklang – kann und muss die Trend-ende hin zu einem anderen Bewusstsein für lebenslan-es Lernen bringen – und das ist in den nächsten vierahren eine wichtige Voraussetzung für mehr Bildungs-erechtigkeit, der sich diese Bundesregierung verpflich-et fühlt.
Die FDP will starke Hochschulen, die selbstständig,igenständig und autonom mit Lehrenden und Studieren-en entscheiden, ob und in welcher Höhe Studiengebüh-en bzw. Studienentgelte zu erheben sind. Das ist derichtige Weg. Diese Entscheidung sollten wir den Hoch-chulen nicht wegnehmen. Wenn wir dort Autonomieinbekommen würden, wäre das der richtige Weg. Vorrt sollte entschieden werden: Ja oder nein, und, wenna, in welcher Höhe Studiengebühren erhoben werdenollten – nicht hier im Deutschen Bundestag.
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Patrick MeinhardtIm Hinblick auf die Bildungsdebatte und das, was inBerlin abläuft, erlauben sie mir zum Abschluss denjeni-gen zu Wort kommen zu lassen, der diese Problematikwie kein anderer auf den Punkt bringt: ProfessorDr. Dieter Lenzen, Präsident der FU Berlin.
Er hat dem rot-roten Kabinett einiges ins Stammbuch ge-schrieben. Er stellt fest, dass es kein Vertrauen mehr indie Planungssicherheit gibt. Er stellt fest, dass der Senatden Hochschulen eine gegenseitige Kapitulationserklä-rung aufgedrückt hat. Er fühlt sich düpiert. Der Senat seikein seriöser Partner mehr. Die Ausbildung der Studie-renden werde einen weiteren Qualitätsverlust hinnehmenmüssen, weil nur noch Quantität zähle. Wissenschaftsse-nator Zöllner hat – so Dr. Lenzen – ein völlig anderesVerständnis von der Steuerung von Hochschulen als alleLänder der Welt, abgesehen von China. Deswegen ist dierot-rote Bildungspolitik zerstörerisch. – Das ist dieRealität roter Bildungspolitik vor Ort. Erzählen Sie unsalso nicht, wie Bildung besser organisiert werden soll.
Statt gebührenfreier Bildung für alle wollen wir diebeste Bildung für jeden. Das ist unsere Überzeugung.Vielen Dank.
Die Kollegin Dr. Rosemarie Hein hat jetzt das Wort
für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In einem sind sich die Streikenden in den Hochschulenmit der Regierung tatsächlich einig: Um Bildungsarmutden Kampf anzusagen, bedarf es einer nationalen An-strengung. Die Studierenden leisten mit ihrem Streik ge-rade einen Beitrag dazu. Allerdings würden sie lieber gutstudieren können.
Herr Meinhardt, es wäre sehr schön gewesen, wennSie beim Thema geblieben wären und darüber geredethätten, was die Studierenden bei ihrem Streik bewegt.
Es ist mitnichten so, dass die ersten Länder, in denen ge-streikt wurde, Berlin und Brandenburg gewesen wären.Zuerst wurde in Heidelberg und auch in Österreich ge-streikt. Es war also auf jeden Fall woanders und nichtdort, wo Sie es uns eben weismachen wollten.
Die Streikenden haben eine andere Vorstellung als dieRegierung davon, was nötig ist, um die extreme Abhän-gigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen HintergrunddedfgFwdzwgd1wsdUdzpzNdgcEdgksgsrdlWHDpKanngld
Die Konsequenz, die die Regierung aus dieser Tatsa-he zieht, ist fatal. Mit der Betonung des privatenngagements für die Bildung soll – ich hätte fast gesagt:urch die Hintertür; aber das stimmt nicht, das geschiehtanz offen – eine weitere Privatisierung der Bildungs-osten gesellschaftsfähig gemacht werden. Dieses Ge-ellschaftsfähigmachen heißt: Bildungssparen. Sie lie-en sehr falsch, wenn Sie glauben, dass damit für mehroziale Gerechtigkeit gesorgt würde. Das Bildungsspa-en, das wurde hier schon gesagt, nutzt vor allem denen,ie sparen können. Wie viel Geld jemand auf die Seiteegen kann, hat etwas damit zu tun, wie viel er verdient.er viel Geld hat, kann viel auf die Seite legen, werartz IV bekommt, nichts.
as Kinderhilfswerk stellt in seinem jüngsten Kinderre-ort fest, dass sich die Zahl der von Armut betroffeneninder inzwischen bei 3 Millionen einpendelt. Es sindlso nicht 1,7, 1,8 oder 2,5 Millionen, sondern 3 Millio-en Betroffene. Denen ist mit Bildungssparen überhaupticht geholfen, aber gerade die brauchen Hilfe.
Ihre Rechnung ist eine Milchmädchenrechnung. Mitanzen 12 Milliarden Euro, verteilt auf vier Jahre, wol-en Sie die Peinlichkeit des völlig unterfinanzierten Bil-ungssystems in Deutschland kaschieren. Die Länder
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Dr. Rosemarie Heinbringen längst 50 Prozent aller Ausgaben für Bildungauf. Der Bund hat im Jahr 2005 – aktuellere Zahlen sindim Bildungsbericht leider nicht zu finden – gerade ein-mal 8,5 Prozent aufgebracht. Auch wenn Sie 3 Milliar-den Euro jährlich drauflegen, hat das noch lange nichtsmit gesamtstaatlicher Verantwortung zu tun. In Sachsen-Anhalt, dem Land, aus dem ich komme, machen dieAusgaben für Bildung und Forschung zusammen inzwi-schen 16 Prozent des Gesamtetats aus. Der entspre-chende Einzelplan des Bundes liegt bei weniger als5 Prozent. Frau Schavan, angesichts dessen ist Ihr Ver-weis auf die Länder gewagt. Sie rufen: „Haltet denDieb!“ und schauen dabei auf die Länder, obwohl derBund gefragt ist.
Die Föderalismusreform ist ein Flop. Das wissen Siewahrscheinlich schon längst. Ihr Bildungskonzeptschreibt die Entsolidarisierung der Gesellschaft fort, freinach dem Motto: Wenn jeder an sich denkt, ist auch anjeden gedacht.
So wird es dabei bleiben, dass ein Akademikerkind einesechsmal höhere Chance hat, das Abitur zu machen, alsein Kind aus einer Arbeiterfamilie. Selbstzufriedenheit,wie Sie sie hier gerade demonstriert haben, ist da wirk-lich fehl am Platze.
Wir werden die Streikenden weiter unterstützen; wirkönnen sie gut verstehen. Wir werden sie darin bestär-ken, in ihrem Protest nicht nachzulassen, bis Vernunft indie Politik einzieht. Doch ich habe die Befürchtung, dassdas noch eine ganze Weile dauern wird.Danke schön.
Frau Dr. Hein, das war Ihre erste Rede in diesem Ho-
hen Hause. Herzlichen Glückwunsch dazu! Alles Gute
für Sie und Ihre Arbeit!
Albert Rupprecht hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrteHerren! Der Vorwurf, die Bildungspolitik dieser Bundes-regierung sei unsozial, ist abenteuerlich, absurd unddurch Fakten in keiner Weise zu bekräftigen.
fiddDDBdDPwdvWdldbsssGbtdwtibrsBgts
ie Bundesrepublik hat eine soziale Bildungspolitik.
iese Bundesregierung ist Vorreiter und verfolgt eineildungspolitik, die sozialer ist, als die einer jeden Bun-esregierung davor es war.
Die wichtigsten Fakten noch einmal zur Erinnerung.ie Bildung hat bei dieser Bundesregierung absoluteriorität. Das wird an mehreren Zahlen deutlich. Künftigerden in der Bundesrepublik Deutschland 10 Prozentes Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung in-estiert werden. Das ist international absolute Spitze.ir erhöhen die Ausgaben für Bildung und Forschung inieser Legislaturperiode um sage und schreibe 12 Mil-iarden Euro; das entspricht gegenüber 2005 einer Ver-oppelung des Etats. Das ist die größte Mittelsteigerungei einem Ressort in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Bildungspakt ist eine Investition, von der insbe-ondere sozial schwache Familien profitieren. 275 000 zu-ätzliche Studienplätze bis 2015 – dadurch werden insbe-ondere sozial schwache Familien unterstützt. Mehreld für jeden Studienplatz – auch dadurch werden ins-esondere Studenten aus sozial schwachen Familien un-erstützt. Es gibt noch vieles andere mehr.Unser klares Ziel ist – das ist ein Riesenkraftakt –,ass das Bildungssystem Deutschlands eines der besteneltweit wird. Deswegen sind die Anliegen der Studen-en, die derzeit protestieren, in der Tat berechtigt. Es istn der Tat notwendig, den Bologna-Prozess kritisch zuegleiten, genau hinzuschauen und dort, wo Verbesse-ungen notwendig sind, diese nicht nur anzumahnen,ondern auch umzusetzen.
Ich persönlich glaube zunehmend, dass wir denologna-Prozess zwar nicht umkehren sollten, ihn aberrundsätzlich hinterfragen müssen, wenn wir auch künf-ig das Ziel einer aufgeklärten und mündigen Gesell-chaft verfolgen wollen.
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Albert Rupprecht
Das gelingt aber nicht im Klassenkampf gegeneinander,sondern nur im konstruktiven Gespräch miteinander. Wirmüssen gemeinsam mit den Studenten, den Ländern undder Bundesregierung die Probleme bei den Hochschulenanpacken.
Die Länder müssen in der Tat mitmachen. Beispiels-weise hat das bayerische Kabinett vor wenigen Tagenbeschlossen, 500 Millionen Euro zusätzlich in Bildungzu investieren. Die rot-rote Regierung in der Stadt Berlinhingegen hat unter Wowereit genau das Gegenteil be-schlossen: Die drei großen Universitäten bekommen75 Millionen Euro weniger; 220 Professuren werden ge-strichen, ganze Fachbereiche werden abgewickelt.
Es ist richtig, dass Sie von der Linken, der SPD und denGrünen im Bundestag mehr Geld für Bildung und For-schung fordern; das ist unser gemeinsames Anliegen.Wir erheben aber den Anspruch, dass Sie diese Forde-rung dort, wo Vertreter Ihrer Parteien regieren, mit Le-ben füllen.
Die Wirklichkeit spricht eine andere Sprache.Wir stellen die Finanzierung des Studiums auf meh-rere Füße. Wir erweitern das traditionelle BAföG um einStipendienprogramm und fördern künftig Bildungsspa-ren. Es macht doch Sinn, der Bildung auch im Bewusst-sein der Eltern einen höheren Stellenwert zu geben.
Das bürgerliche Leitbild im Nachkriegsdeutschland wardie Aussage der Eltern: Meinen Kindern soll es einmalbesser gehen. – Sie haben gespart, um ihren Kinderneine gute Zukunft und eine gute Ausbildung zu ermögli-chen. Damals haben Eltern für ihre Kinder etwas zurück-gelegt, die wesentlich ärmer waren, als heute Hartz-IV-Empfänger sind.
Wenn wir zukünftig Eltern beim Bildungssparen einenZuschuss gewähren, dann eröffnen wir vor allem Kin-dern aus sozial schwachen Familien eine Chance, nichtnur in finanzieller Hinsicht, sondern auch weil dadurchdie Wertschätzung für Bildung als solche steigt und siein den Familien an Bedeutung gewinnt.
Darüber hinaus werden wir das BAföG, das traditionelleund stärkste Standbein, ausbauen und damit insbeson-dSuSCciNgl1BBgufrBdaMlsnDdddN
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sofort. – Deswegen bin ich nicht der Meinung, dass
ildung in jedem Fall kostenlos sein muss, ganz im Ge-
enteil. Es ist aber wichtig, dass jeder junge Mensch
nabhängig vom Geldbeutel der Eltern seine Talente ent-
alten kann. Genau das ermöglicht diese Bundesregie-
ung besser als jede andere zuvor. Noch nie hat eine
undesregierung so viel Geld für Bildung in den Bun-
eshaushalt eingestellt, wie es diese Regierung plant.
Herr Kollege!
Das hilft an erster Stelle Kindern und Jugendlichen
us ärmeren Familien.
Herzlichen Dank.
Swen Schulz hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!eine sehr verehrten Damen und Herren! Schon seitängerem gibt es Proteste, die Probleme sind ebenfallseit langem bekannt. Auch diese Aktuelle Stunde isticht gerade überraschend auf die Tagesordnung deseutschen Bundestages gesetzt worden. Das wäre dochie Stunde gewesen, in der die Regierungskoalition undie Ministerin ihre Konzepte, Ideen und Vorschläge fürie Lösung der Probleme darstellen.
un habe ich die ganze Zeit zugehört.
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Swen Schulz
Ich muss leider sagen: Fehlanzeige! Nichts Hilfreiches,nichts Sinnvolles wurde gesagt. Stattdessen gab es vonder Ministerin erstaunlich dünnhäutige und beleidigteReaktionen auf Kritik.
Beim Kollegen Rupprecht bleibt einem ja schon die Spu-cke weg, wenn man sieht, wie er die Augen vor den Pro-blemen verschließt.Sie kommen hier immer wieder auf Berlin und Bran-denburg zu sprechen.
Zwei Informationen dazu. In Berlin sind die Studieren-den besonders aktiv; das hat Tradition, und das ist auchganz in Ordnung so. Wenn alle Bundesländer im Bil-dungswesen, gerade im Hochschulbereich, so viel tunwürden wie Berlin, dann hätten wir in Deutschland vieleProbleme, über die wir heute reden, nicht.
Zum Thema Brandenburg. Frau Schavan, dass ich Sieda aufklären muss, ist schon verwunderlich. Wir hattendort bis vor kurzem neun Jahre lang eine Große Koali-tion. Wer war die zuständige Ministerin? Frau Wankavon der CDU. So viel dazu.
Im Umgang mit den Studierenden, Frau Schavan, ha-ben Sie Kreide gefressen. Vor einigen Monaten warensie Ihrer Meinung nach noch gestrig, das ginge doch garnicht. Inzwischen haben Sie Ihre Rhetorik geändert. Siehaben sogar nach einigem Hin und Her eine BAföG-Er-höhung angekündigt. Das ist gut; die SPD unterstütztdas. Wir werden darauf achten, dass das auch vernünftigabläuft.
– Ja, wir werden darauf achten. Verlassen Sie sich da-rauf!Man muss ein Stück weit darauf achten, was mit denangekündigten Instrumenten verbunden ist. Über Stipen-diensysteme ist schon einiges gesagt worden. Auch dasBildungssparen hört sich super an.
Die Bürgerinnen und Bürger finden es großartig, dass sievom Staat Geld geschenkt bekommen. Aber es ist einvergiftetes Geschenk. Man muss sich einmal überlegen,was tatsächlich geschieht. Zum einen ist es so, dass nurdiejenigen Geld bekommen, die selber für die KinderGeld zur Seite legen wollen und können. Das schließtviele aus. Damit verfestigen Sie eine Spaltung der Ge-sellschaft.VvaeVlhmjnpeHVstBDgzDrhwmduwidTdwhkHl
or allem aber schieben Sie die Lasten der Finanzierungon Bildung ein Stück weit vom Staat auf die Familien,uf die Einzelnen. Sie wollen sich für die Zuschüsse fei-rn lassen, dabei stehlen Sie sich aus der öffentlichenerantwortung für Bildung.
Sie betrachten Bildung als eine Ware, die man sicheisten können muss. Wer sie sich nicht leisten kann, derat halt Pech gehabt. Ich will das an einem Beispiel fest-achen: Für Hausaufgabenhilfe und Nachhilfe werdenedes Jahr Milliarden ausgegeben. Viele können sich dasicht leisten. Die Reaktion der Bundesregierung, derolitisch Verantwortlichen, kann doch nicht sein, einigenin bisschen mehr Geld zu geben, damit sie sich mehrausaufgabenhilfe leisten können.
ielmehr muss die Reaktion sein, dass die Schulen bes-er werden, damit die Pädagogen die entsprechende Un-erstützung leisten können, damit sich niemand mehrildung kaufen muss.
as ist der entscheidende Unterschied zwischen der Re-ierungskoalition und uns Sozialdemokratinnen und So-ialdemokraten: Für uns ist Bildung ein Menschenrecht.er Staat ist in der Verantwortung, dass dieses Rechtealisiert wird. Bildung darf nicht vom Geldbeutel ab-ängig sein. Dafür setzen wir uns ein.
Sie, Frau Schavan, sollten sich, statt Nebelkerzen zuerfen, dafür einsetzen, dass es keine Kita-Gebührenehr in Deutschland gibt,
ass in den Schulen kein Büchergeld mehr erhoben wirdnd dass keine Studiengebühren gefordert werden. Dasäre tatsächlich ein Beitrag, der allen helfen würde. Dasst ein vernünftigerer Schritt als Stipendiensysteme oderas Bildungssparen.
So viel zum Bereich der sozialen Situation. Zumhema gehört aber natürlich auch der Bereich der Stu-iensituation. Die Zahl der Studienanfänger steigt. Umsoichtiger ist es, dass wir die Situation verbessern. Dazuat die Regierung – auch das haben wir heute gehört –einen Plan, keine Idee. Da ist nichts. Sie haben nur denochschulpakt, der ohne die SPD in der letzten Legis-aturperiode gar nicht möglich gewesen wäre.
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Swen Schulz
Was macht diese Regierungskoalition aus CDU/CSUund FDP? Wir wollen einen Rechtsanspruch auf Master-studiengänge. Was sagt die Bundesregierung? Wir habenein Konzept für gute Lehre. Wo ist hier die Bundesregie-rung? Wir haben einen Finanzierungsvorschlag. Wasmacht die Bundesregierung? Die Regierungskoalitionklopft sich für Maßnahmen, die wir zum größten Teilnoch in der Großen Koalition verabredet haben, auf dieSchulter. Ansonsten hauen Sie den Ländern und Ge-meinden, die die Hauptlast der Finanzierung von Bil-dung tragen, finanziell die Beine weg.
Etwa 15 Milliarden Euro zusätzlich müssten die Län-der und Gemeinden für eine Verbesserung des Bildungs-wesens investieren. Diese Regierungskoalition hilftnicht. Im Gegenteil: Sie erschwert die Situation noch,indem irrsinnige Steuergeschenke gemacht werden.15 Milliarden Euro werden den Ländern und Gemeindenfehlen. Dieses Geld fehlt dann in den Kitas, in den Schu-len, an den Hochschulen. Das ist eine Politik, die gera-dezu bildungsfeindlich ist.
Ich stelle die Frage: Wo ist die Bildungsministerin?Frau Schavan, Sie sollten weniger Kreide fressen, son-dern in der Bundesregierung die Zähne zeigen,
und zwar denen, die diese irrsinnigen Steuergeschenkemachen wollen. Das wäre ein vernünftiger Beitrag zu ei-ner besseren Bildung in Deutschland.Herzlichen Dank.
Anette Hübinger spricht für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Heute haben wir wieder gemerkt: DasThema Bildung ist in aller Munde. Das ist gut so; dennvon einer guten Bildung hängt die Zukunft unseres Lan-des ab.Ich möchte auf die Studentenproteste zurückkommen.In den Mittelpunkt ihrer Proteste haben die Studierendendie in vielen Bereichen schlechte Umsetzung des Bo-logna-Reformprozesses gestellt, und das zu Recht. Wirin diesem Haus haben die Reform der Reform schon seitmehreren Jahren, seit der Konferenz in London, einge-fordert. Bei aller berechtigten Kritik: Der Bologna-Pro-zess darf dabei nicht infrage gestellt werden. Die Hoch-strtUALihgDvsPgzzwgEKdbhfddlWvHtlDJwbnLfgd
as Wohl und Wehe der Studierenden an unseren Uni-ersitäten hängt nicht vom gebührenfreien Studium ab,ondern von einer praktikablen Umsetzung des Bologna-rozesses. Diese hat nämlich grundlegende Auswirkun-en auf die Berufschancen unserer Studierenden.
Des Weiteren werden in der aktuellen Diskussion nuru oft die falschen Adressaten angesprochen. Speziellum Thema „gebührenfreies Studium“ muss klargestellterden: Das Ob und das Wie der Studiengebühren lie-en allein in den Händen der Bundesländer.
igentlich sollten Sie das wissen, werte Kolleginnen undollegen; denn auch Ihnen müsste das Urteil des Bun-esverfassungsgerichts zum 6. Hochschulrahmengesetzekannt sein.In einigen Bundesländern hat man sich gegen die Er-ebung von Studiengebühren ausgesprochen, in anderenür ihre Abschaffung. Ein aktuelles Beispiel für ein Bun-esland, in dem man sich für die Abschaffung von Stu-iengebühren entschieden hat, ist mein eigenes Heimat-and, das Saarland. Ich empfinde dies als den falscheneg. Ich kann mich der grundsätzlichen Einschätzungon Frau Professor Wintermantel, der Präsidentin derochschulkonferenz, anschließen: Dort, wo Studienbei-räge erhoben wurden, sind sie zum größten Teil zur qua-itativen Verbesserung der Lehre eingesetzt.
arauf kommt es an: auf die Qualität.
etzt muss auch im Saarland zur Kenntnis genommenerden, dass alle Steuerzahler zum großen Teil die Aus-ildung der zukünftigen – wie schon gesagt: gut verdie-enden – Akademiker bezahlen müssen. Eine gerechteastenverteilung sieht in meinen Augen anders aus.Unser Ziel muss es sein, die staatliche Unterstützungür Studierende zu verbessern. Bereits in der zurücklie-enden Legislaturperiode wurden Verbesserungen aufen Weg gebracht, und zwar Verbesserungen, die der
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Anette HübingerBund vornehmen kann. So sind die Mittel der Begabten-förderung in den vergangenen vier Jahren kontinuierlichgestiegen. Im Rahmen der Qualifizierungsstrategie ha-ben wir die sogenannten Aufstiegsstipendien eingeführt.Zum Wintersemester 2008/2009 wurden das BAföG um10 Prozent und die Freibeträge für das anrechenbare Ein-kommen um 8 Prozent angehoben.Die von der Bundesbildungsministerin ProfessorDr. Annette Schavan angekündigte BAföG-Erhöhung istdeshalb im Zusammenhang mit dem angestrebten undgeplanten nationalen Stipendienprogramm und dem Vor-schlag der Einführung eines Bildungskontos zu verste-hen. Die geplante BAföG-Erhöhung wird zweifelsfreifür mehr soziale Durchlässigkeit an den deutschenHochschulen sorgen und von vielen Studierenden denDruck nehmen, zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltsneben dem Studium einen Job ausüben zu müssen.Als zweite Säule unserer Bemühungen werden wir– auch das wurde schon öfter erwähnt – begabten Stu-dierenden ein Stipendium zukommen lassen.
Ziel ist es, den Anteil der Studenten in der Begabtenför-derung von 2 auf 10 Prozent zu erhöhen. Auch das istein lohnendes Ziel.
Als dritte Säule haben wir in unserem Koalitionsver-trag die Einführung eines Bildungskontos für Neugebo-rene festgeschrieben. Es ist eine Starteinlage in Höhevon 150 Euro geplant. Weitere Einzahlungen sollen inAnlehnung an die Riester-Rente steuerlich begünstigtwerden. Das ist ein Anreiz zum Sparen. Wenn ich anmeinen anderen Politikbereich, die Entwicklungspolitik,erinnern darf: In der Entwicklungspolitik arbeiten wirgrundsätzlich mit Anreizsystemen, und wir haben guteErfahrungen damit gemacht. Solche Anreizsysteme soll-ten wir auch hier nutzen.
Damit wird auch dem Anspruch auf lebenslanges LernenRechnung getragen; denn Bildung gibt es nicht ein Le-ben lang kostenlos. Jeder trägt in einer freiheitlichen Ge-sellschaftsordnung wie der unseren auch ein Stück Ei-genverantwortung für seine Bildung und damit für seineChancen im Leben.
Werte Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, dass dieSituation der Studierenden von der Koalition ernst ge-nommen wird. Die Weiterentwicklung der vorhandenenInstrumente in Kombination mit neuen Ansätzen wiedem Bildungskonto wird die Rahmenbedingungen derStudierenden verbessern und stärken. Populistische For-derungen – noch dazu an die falsche Stelle – sind hiernicht angebracht.Ich danke für die Aufmerksamkeit.CHsezidivWdAShIdHAbHEdmISdddapdgsaf
Der Tenor der Reaktion hat sich deutlich geändert.ir hören allenthalben, dass sich etwas ändern muss,ass die Reformen nicht gut durchgeführt sind. An diedresse der Studierenden gerichtet sage ich: Das habenie richtig gemacht, und wir sind auch bei Ihnen.Aber es lohnt sich, richtig hinzuschauen und richtiginzuhören, Frau Kollegin Gohlke. Nehmen wir einmalhren Aufreger, die Studiengebühren. Keiner bestreitet,ass Studiengebühren für Einzelne tatsächlich einemmnis sind, ein Studium aufzunehmen.
ber Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass Studienge-ühren für genau so viele Menschen in Deutschland keinindernis darstellen.
s gibt keinen signifikanten Zusammenhang zwischener Erhebung von Studiengebühren und der Zahl der Im-atrikulationen an dieser Hochschule.
m Gegenteil: In Baden-Württemberg, in Hamburg, imaarland, wo Studiengebühren erhoben werden, steigtie Zahl der Studierenden, während sie in anderen Bun-esländern – übrigens insbesondere in den neuen Bun-esländern – zurückgeht.Ein zweiter Befund, der uns alle – auch Sie – etwasngeht: In den neuen Bundesländern bleiben viele Ka-azitäten frei, während die Großstädte und viele Stu-ienorte in den alten Bundesländern von Studierendeneradezu überschwemmt werden. Die Studierenden be-chweren sich über schlechte Bedingungen. Wenn es unsllen gelingen würde, statt die Situation zu beklagen da-ür zu sorgen, dass sich die Studierenden anders vertei-
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Monika Grütterslen, und für die neuen Bundesländer viel mehr zu wer-ben,
bekämen sehr viele Studierende wesentlich bessere Stu-dienbedingungen.Ja, Frau Gohlke: Bildung ist ein Menschenrecht. Aberwenn Herr Gehring prompt erklärt, wir hätten inDeutschland ein Ständedenken, muss ich Sie daran erin-nern, dass von den 2 Millionen Studierenden immerhin41 Prozent BAföG bekommen. Insofern geht Ihre Pole-mik an der Realität vorbei.
Frau Kolbe hat gesagt: Bildung für alle! – Irgendeine„Bildung für alle“ zu fordern, finde ich sehr problema-tisch. Macht es nicht viel mehr Sinn, jedem seine Bil-dung zu ermöglichen?
Nicht zuletzt solche Differenzierungsmöglichkeiten wa-ren ein wesentlicher Anstoß für die Zweiteilung des Stu-diums mit der Einführung eines ersten berufsbefähigen-den Abschlusses im Rahmen der Bologna-Reform.Übrigens: Das einzige Ziel, das wirklich erreicht wordenist, ist, die Studienabbrecherquote signifikant zu senken.Die Differenzierungen müssen sein. Manche Professorenhaben sich nichts Besseres einfallen lassen, als das Wis-sen von neun Semestern in sechs Semestern zu lehren.Hier hätte ich mir mehr Fantasie gewünscht. Aber zu-mindest eines der Ziele, nämlich die Abbrecherquote zusenken, ist beim jetzigen Stand der Reform erreicht wor-den.
Außerdem möchte ich Ihnen an dieser Stelle eineFrage stellen, Frau Gohlke. Die Arbeitswelt hat in denvergangenen Jahren eine beispiellose Verdichtung erlebt.Das ist unter anderem am Produktivitätsfortschritt ables-bar. Ein Großteil der Menschen in unserem Land arbeitetund lernt bereits jetzt viel mehr, schneller und intensiverals zuvor. Ist es wirklich so schlimm, das auch von Stu-dierenden zu erwarten und das auch auf das Studium zuübertragen?
Im Übrigen: Der Hinweis, es gebe nicht genug Mas-terstudienplätze, ist schlichtweg falsch. Gerade Master-studienplätze bleiben an ganz vielen Hochschulen leer.
Die Jobaussichten für Bachelorabsolventen haben sichgegenüber den ersten zwei Jahren deutlich verbessert.Die Kritik der Wirtschaft hat sich inzwischen zu einemregelrechten Bachelor-Welcome gewandelt.tgbbKsdmd–etDpekWwHgz
it der Exzellenzinitiative und mit einem Bildungsetat,er nie so hoch war wie in der letzten Legislaturperiode jetzt gibt es noch einmal 12 Milliarden Euro mehr –,inen intelligenten Weg gefunden, mit dem Koopera-ionsverbot umzugehen. So soll das auch weiterhin sein.ie ritualisierte Aufregung überlassen wir lieber der Op-osition.Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-scher Streitkräfte an der United Nations Inte-rim Force in Lebanon auf Grund-lage der Resolution 1701 vom 11. Au-gust 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt1884 vom 27. August 2009 des Sicher-heitsrates der Vereinten Nationen– Drucksache 17/40 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOEs ist zwischen den Fraktionen verabredet, hierzuine Dreiviertelstunde zu debattieren. – Dazu höre icheinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Das Wort hat der Außenminister, Dr. Guidoesterwelle.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-ärtigen:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen underren! Kolleginnen und Kollegen! Für die Bundesre-ierung bitte ich Sie um Ihre Zustimmung zur Fortset-ung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
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Bundesminister Dr. Guido Westerwellean UNIFIL, der Operation der Vereinten Nationen im Li-banon und vor seiner Küste.
Ich tue das als jemand, der vor drei Jahren in diesemHause gegen eine deutsche Beteiligung an dieser Mis-sion gestimmt hat – wohlgemerkt: nicht gegen die Mis-sion selbst. Jede Bundesregierung steht in der Verant-wortung des Handelns auch ihrer Vorgängerregierungen.Zu Beginn einer neuen Amtszeit gilt das selbstverständ-lich auch in der Außenpolitik. Das ist kein Makel, das isteine Stärke. Darauf gründet die Kontinuität, die die deut-sche Außenpolitik so erfolgreich gemacht hat. Damit garkein Zweifel aufkommt: Zu den Vereinbarungen, die inIhrer Amtszeit getroffen worden sind, steht selbstver-ständlich auch die neue Bundesregierung, auch meinePerson als Außenminister.Es ist die Kontinuität in der Außenpolitik, die dieBundesrepublik Deutschland zu einem verlässlichenBündnispartner für die internationale Staatengemein-schaft gemacht hat. Kontinuität bedeutet aber nicht einschlichtes Weiter-so. Deshalb wird die Bundesregierungdie Zahl der maximal einzusetzenden Soldatinnen undSoldaten von 1 200 auf 800 reduzieren und den UNIFIL-Einsatz bis zum 30. Juni des kommenden Jahres befris-ten.Deutschland hat ein strategisches Interesse an einemdauerhaften Frieden im Nahen Osten. Wie schwierig dasist, das wissen Sie; das wissen alle. Ich habe es insbeson-dere bei meiner gerade stattgefundenen Reise im NahenOsten noch einmal persönlich sehr in den Gesprächenspüren können.Wir haben eine Resolution, nämlich die Resolution1701 aus dem Jahr 2006. Das ist ein wesentliches Ele-ment zur Vermeidung erneuter bewaffneter Auseinan-dersetzungen und zur Stärkung der Souveränität und Sta-bilität des Libanon. Dies zählt neben der Sicherheit fürden Staat Israel und der Schaffung eines lebensfähigenpalästinensischen Staates zu den Schlüsselelementen ei-ner regionalen Friedenslösung. Diese regionale Frie-denslösung bleibt unser übergeordnetes Ziel.Weil wir durch die Erklärung von MinisterpräsidentNetanjahu einen aktuellen Anlass haben und weil dieseErklärung wenige Stunden nach meiner Reise und mei-nem Antrittsbesuch in Israel und in den palästinensi-schen Gebieten in Ramallah abgegeben worden ist,möchte ich auch dazu etwas sagen. Das ist für uns alle,denke ich, Staatsräson: Wir haben als Deutsche einbesonderes Verhältnis und eine besondere Partnerschaftzu dem Staat Israel. Daran gibt es nichts zu rütteln. Wirhaben eine besondere Verantwortung, übrigens nicht nuraus historischen Gründen, sondern auch aus Gründen derGegenwart und unserer gemeinsamen Zukunft.Das bedeutet aber nicht, dass Meinungsunterschiedenicht ausgesprochen werden könnten. Wir in Deutsch-land bleiben dabei: Wir wollen eine Zwei-Staaten-Lösung. Auf der einen Seite hat Israel unzweifelhaft dasRecht, in sicheren Grenzen leben zu können. Auf der an-da2DswisSbdleDzSrbtwAVdidghBtstGkrAddIbWUnKkeJwdWzvnz
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Bei der damaligen Abstimmung über den UNIFIL-Einsatz haben wir uns gefragt: Können wir diesen Ein-satz verantworten? Meine Fraktion ist damals mehrheit-lich zu der Schlussfolgerung gekommen – im Gegensatzzum Kollegen Westerwelle, der OppositionsführerwaSddIrTsmhsibTddvDfidsBdAsBswdsBmpasWiürgUIWcwdk
ch kann mich noch gut an die Debatte von vor drei Jah-en erinnern. Ich glaube, es war Ihrem innenpolitischenunnelblick gegenüber der damaligen Regierung ge-chuldet, dass Sie gesagt haben: Wir schicken im Rah-en dieses Mandates keine deutschen Soldaten. – Ichabe das damals für falsch gehalten. Jetzt stehlen Sieich aus der Verantwortung, die Sie übernommen haben,
ndem Sie plötzlich sagen. Ja, wir machen das, und zwaris zum 30. Juni 2010. – Aber das ist ein willkürlicherermin; denn erst im September nächsten Jahres wirder Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder überie Verlängerung entscheiden. Was Sie machen, weichton der bewährten Praxis aller Vorgängerregierungen ab.as ist keine Kontinuität. Sie stehlen sich aufgrund Ihrerrüheren Haltung, die jetzt nur noch mit Ihrer damaligennnenpolitischen Blickrichtung nachvollziehbar ist, auser Verantwortung. Ich zumindest glaube, Sie drückenich um eine klare Entscheidung. Sie überantworten demundestag nur die Zustimmung zu einem halben Man-at. Das wird der Aufgabe der Bundesregierung und derufgabe eines Außenministers, der in der Kontinuitättehen will, nicht gerecht.
Ich kann mich auch an die Debatte erinnern, als dieundeskanzlerin hier vor drei Jahren erklärt hat, dassich die Bundesregierung an UNIFIL beteiligen wolle,eil es dabei um die Sicherheit Israels gehe. Alleine miter Begründung, UNIFIL diene der Sicherung israeli-cher Interessen im Nahen Osten, hat sich damals dieundeskanzlerin bereit erklärt, an UNIFIL teilzuneh-en. Ich frage die Bundesregierung: Erlischt diese Ver-flichtung am 30. Juni 2010? Warum erlischt sie nichtm 2. Juli 2010? Können wir dieses Datum wirklich soetzen, wie Sie das gemacht haben? Ich glaube, dabei istillkür im Spiel.Mich interessiert, ob Sie vor wenigen Tagen mit densraelischen Kolleginnen und Kollegen möglicherweiseber diese Frage gesprochen haben. Wir zumindest hö-en aus Israel, dass es dort Fragen und Verunsicherungibt, und zwar zu Recht. Israel hat erkannt, dass dasNIFIL-Mandat ein gutes Mandat gewesen ist, dass essrael in dieser Situation geholfen hat, den brüchigenaffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel zu si-hern. Auch gegenüber dem Libanon war das ein ganzichtiges Mandat gewesen. Sie übergehen das und wer-en insbesondere der Verpflichtung, die die Bundes-anzlerin noch vor kurzem im US-amerikanischen Kon-
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Dr. Rolf Mützenichgress ausgesprochen hat, mit dem hier vorgelegtenAntrag nicht gerecht.
Herr Außenminister, Sie sind mit den Worten angetre-ten: Ich arbeite im Sinne der europäischen Partner. Wirhaben das immer unterstützt; das habe ich hier auch vor14 Tagen erklärt. Aber was sagen Sie denn eigentlich inItalien, Spanien, Frankreich und Belgien? Haben Sie ge-sagt, dass unser Einsatz am 30. Juni 2010 endet? HabenSie in Paris erklärt, dass dann die Franzosen mehr Solda-ten schicken müssen? Diese entscheidenden Fragenmüssen Sie im Zusammenhang mit einer glaubwürdigenAußenpolitik gegenüber den europäischen Partnern klä-ren. Das haben Sie heute nach meinem Dafürhalten nichtgetan.Ich will Ihnen eines sagen: Für uns – deswegen habeich das an den Anfang gestellt – müssen Auslandsein-sätze immer in eine politische Strategie eingebettet sein.Wir haben damals dem UNIFIL-Mandat zugestimmt,weil wir es als Chance gegenüber dem Staate Libanongesehen haben, ihm Integrität und Souveränität zu signa-lisieren. Israel hat die Seeblockade aufgehoben. Es hatdamals ganz wichtige Entwicklungen gegeben, zum Bei-spiel als der damalige Außenminister Steinmeier die Türnach Syrien etwas weiter aufgestoßen hat. Das hat ge-holfen, dass es Botschafteraustausche zwischen dem Li-banon und Syrien gegeben hat. Ich finde, das sind her-vorragende Fortschritte, die wir jetzt nicht einfach aufsSpiel setzen dürfen, insbesondere wenn es um UNIFILgeht.
Ich erinnere an Folgendes: Auch die arabischen Staa-ten und Regierungen haben erkannt, dass Syrien einganz wichtiger Partner ist. Der saudi-arabische Könighat alles daran gesetzt, mit dem syrischen PräsidentenAssad zu einem zumindest pfleglicheren Umgang zukommen, als das in der Vergangenheit der Fall gewesenist. Gerade gegenüber dem Libanon wäre es wichtig,dass sich Deutschland klar für ein Mandat ausspricht,um diese Politik im Nahen Osten zu unterstützen. Ichhabe gesagt: Insbesondere Israel wird eine Menge Fra-gen stellen, wenn ihm klar wird, dass dieses Mandat füruns am 30. Juni 2010 endet.Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Die Bundesre-gierung hat mit diesem Antrag schlecht gearbeitet. IhrAntrag wird den außenpolitischen Herausforderungennur unvollkommen gerecht. Sie ziehen auch nicht dierichtigen Schlussfolgerungen. In Ihrem eigenen Antragsteht, dass UNIFIL bisher „ein wesentlicher Stabilisie-rungsfaktor“ für das gesamte Umfeld, aber gerade auchfür den Libanon gewesen ist. Deswegen wäre es bessergewesen, Sie hätten gesagt: Wir müssen das UNIFIL-Mandat weiter wahrnehmen, auch aus Respekt gegen-über dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zudemhätten Sie deutlich sagen müssen: Wir unterstützen dielibanesische Regierung.dsSadhbigkdsgßedgstIkrAtgmKdHsdaPsge„Shw
Als Nächstem erteile ich das Wort Bundesministerarl-Theodor Freiherr zu Guttenberg.Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-esminister der Verteidigung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meineerren! Kollege Mützenich, das war ein in vielerlei Hin-icht interessanter Beitrag, um es einmal so auszu-rücken,
ber ein nicht immer nur schlüssiger. Ich will auf dieunkte eingehen, die Sie bezüglich meiner Person ange-prochen haben und die die Auslandseinsätze anbelan-en.Armee im Einsatz: Ich glaube, es ist unbestritten, dasss sich um eine Armee im Einsatz handelt.
Ich selbst gehe sehr vorsichtig mit den BegriffenAusnahmesituation“ und „Selbstverständlichkeit“ um.elbstverständlichkeit hat sich immer am Maßstab derohen, ja, der höchsten Verantwortung auszurichten, dieir gerade in diesem Zusammenhang tragen. Ich warne
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Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergnur davor, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dassman verdruckst damit umgeht, dass wir eine Armee imAuslandseinsatz seit Mitte der 90er-Jahre haben.
Man sollte deutlich machen, dass sich in vielerlei Hin-sicht einiges in den letzten Jahren verändert hat. Ich legediesen Maßstab der Verantwortung an. Keiner macht essich leicht. Ich habe das heute Morgen anlässlich der De-batte über die Verlängerung des ISAF-Mandats schoneinmal gesagt. Keiner macht es sich mit seiner Entschei-dung leicht, weder die Bundesregierung noch irgendei-ner hier in diesem Hohen Hause. Vor diesem Hinter-grund kann man den Ansatz der Gewissensentscheidungsofort unterschreiben; aber in diesem Sinne bitte ich dasverstanden zu wissen. Das heißt in diesem Zusammen-hang, natürlich eine optimale Ausrüstung zur Verfügungzu stellen. Die psychologische Begleitung und Betreu-ung ist ein großes Thema, ein diffiziles Thema. Auch dasist etwas, was uns in besonderer Weise trifft. Ich hoffehier auf die entsprechende Unterstützung der Opposi-tion, weil im Zusammenhang mit der Ausrüstung sofortwieder andere Debatten losgehen und man sich bequemin die eine oder andere Richtung schlagen könnte.Sie haben den Vorwurf der Willkür, was den Zeitraumdieses Mandats anbelangt, erhoben. Ich bitte Sie, zweiDinge in Betracht zu ziehen. Der eine Punkt ist, dass wirim Frühjahr eine Evaluierung seitens der Vereinten Na-tionen haben werden. Es ist absehbar, dass diese Evalu-ierung in eine Neubetrachtung dieses Mandats einfließenkönnte. Deswegen ist es verantwortlich und verantwort-bar und auch dringend geboten gewesen, das Mandatnicht vor der Evaluierung enden zu lassen – das wäre inseiner Weisheit überschaubar gewesen –, aber eine ent-sprechende zeitliche Nähe zu suchen.Zum Zweiten: Verantwortung. Wir haben über21 Monate selbst Führungsverantwortung bei UNIFILgetragen. Dieser Verantwortung sind wir in dieser Zeiterstklassig gerecht geworden. Jetzt übergeben wir zum1. Dezember die Verantwortung an Italien. Auch daranließe sich ein entsprechender Zeitraum bemessen. Aberich will damit kein apodiktisches Signal gesetzt sehen.Dieses Signal hat sich vielmehr – Guido Westerwelle hates angesprochen – an der Verantwortung gegenüberIsrael, gegenüber Libanon zu orientieren; aber es hatsich auch im Rahmen des Verständnisses der VereintenNationen zu bewegen. Ich glaube, vor diesem Hinter-grund kann man das durchaus vertreten.Wir beteiligen uns mittlerweile seit dem 8. Oktober2006 am UNIFIL-Flottenverband und haben, wie ich be-reits angesprochen habe, diese Führungsverantwortunggut, ja – ich sage noch einmal – erstklassig wahrgenom-men. Ich begrüße die Soldatinnen und Soldaten, dieheute hier sind. Ich darf mich in dieser Hinsicht auch andieser Stelle noch einmal für den Einsatz unserer Solda-tinnen und Soldaten vor Ort bedanken.
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a hat er ganz schlechte Karten. Ich hörte, dass es mitt-erweile schon mehrere Strafanzeigen gegen ihn gibt.
Seien Sie nicht so aufgeregt! Wir werden sehen, wieie Sache ausgeht.Jetzt zu UNIFIL selber. Ich habe mich die ganze Zeitefragt, Herr Außenminister: Was hat sich eigentlich inetzter Zeit geändert, seitdem die FDP zweimal im Bun-estag gegen das UNIFIL-Mandat gestimmt hat? Esuss sich substanziell etwas geändert haben, dass manu einer geänderten Auffassung kommt. Das einzige Ar-ument, das Sie hier vorgetragen haben, ist, dass Sieittlerweile in der Regierung sitzen. An der Substanzat sich sonst überhaupt nichts geändert. Das allerdingsignalisiert, dass man seine politischen Entscheidungenanach ausrichtet, welche Ämter man einnimmt. Dasinde ich allerdings zu wenig.
ch wünsche mir sehr, dass es meiner Fraktion nicht soeht. Sie wissen ja, dass ich da selber sehr kritisch bin.ch finde die ganze Art und Weise des Vorgehens nachem Motto: „Kleider machen Leute – Ämter bestimmenie Politik“ letztendlich nicht überzeugend.Der Kollege Mützenich hat gesagt, es handle sich nurm ein halbes Mandat, das hier erteilt würde. Ich finde,uch ein halbes Mandat für eine falsche Politik ist einalbes Mandat zu viel. Deswegen möchte ich dem nichtustimmen.
Ich möchte Ihnen nun die Argumente vortragen, diens bewegt haben, bislang nicht zuzustimmen. Aus mei-er Sicht sind diese Argumente stimmig. Ich sage Ihnenugleich: Ich bin froh, dass es nicht zu bewaffneten Aus-inandersetzungen mit der UNIFIL-Truppe bzw. den da-an beteiligten deutschen Soldaten gekommen ist. Dasaben ja viele befürchtet. Ich bin dankbar, dass das nichter Fall war. Ich bin auch dankbar dafür, dass die deut-chen Soldaten keine Waffen auf irgendwelchen Schif-en beschlagnahmen mussten. Das kann man dazu dochinmal erklären.Jetzt zur Sache selber: Der UNIFIL-Einsatz war not-endig, um einen Waffenstillstand im Krieg zwischenibanon und Israel zu erreichen.
as hat nie jemand bestritten. Wir haben ihn immer alsotwendig bezeichnet. Aus dieser Notwendigkeit resul-iert aber nicht, dass sich Deutschland unbedingt mitoldaten an diesem Einsatz beteiligen muss. Es kannuch Entscheidungen der Vereinten Nationen geben, die
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Wolfgang Gehrckesinnvoll sind, aber es eben nicht erfordern, dass deutscheSoldaten mithelfen, sie durchzusetzen. Wir haben unsdie Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll wäre, vor allenDingen neutrale Staaten damit zu beauftragen. Deutsch-land war nicht neutral – das hat die Bundeskanzlerin zig-fach in den Auseinandersetzungen erklärt – und konntenicht neutral sein. Deswegen war es nicht sinnvoll, dassDeutschland diesen Auftrag übernommen hat.Wir haben uns die Frage gestellt, ob es einen Sinnmacht, dass deutsche Soldaten im Rahmen des UNIFIL-Einsatzes erstmalig im Nahen Osten tätig werden. Wirwaren der Auffassung: Deutsche Soldaten sollen nichtim Nahen Osten agieren, weil, wie Sie genau wissen, inder Perspektive möglicherweise an anderen Stellen dieFrage nach deutschen Soldaten erneut und verstärktkommt. Ich möchte nicht, dass deutsche Soldaten in einesolche Situation gebracht werden.Wir haben uns die Frage gestellt, ob die Bundesregie-rung denn eigentlich alles getan hat, eine aktive Nahost-politik zu entwickeln. Das Ergebnis war, dass die Bun-desregierung wenig getan hat, um in der Nahostpolitiketwas zu bewegen. Ich habe den damaligen Außenminis-ter in seinem Bemühen in Bezug auf Syrien immer un-terstützt. Von der jetzigen Bundesregierung höre ichnichts. Sie treffen sich ja am Montag nächster Woche zuRegierungsgesprächen mit Israel in Berlin. Ich bin ge-spannt, ob Sie Israel mitteilen werden, dass Sie die ak-tive Politik mit Syrien aufrechterhalten wollen. Bislanghört man dazu von Ihnen nichts.Ich habe sehr wohl vernommen, dass man sich, auchder Herr Außenminister, skeptisch äußert, was die Frageder Siedlungspolitik angeht. Aber mittlerweile befindensich 500 000 Siedlerinnen und Siedler in der Westbank,dem besetzten Gebiet, und 180 000 im Umfeld von Ost-jerusalem. Deshalb muss klar sein: Wenn die Siedlungs-politik nicht gestoppt wird, wird es keine Friedensge-spräche mehr geben. Das muss man, auch im InteresseIsraels, den israelischen Partnerinnen und Partnern in al-ler Deutlichkeit vor Augen führen.
Sie wissen, Herr Außenminister – auch dazu werdenSie hier Stellung nehmen müssen –, dass die palästinen-sische Autonomiebehörde mitgeteilt hat, dass sie übereine einseitige Ausrufung der Gründung des Staates Pa-lästina nachdenkt. Ich kann das verstehen; denn dadurchentsteht ein Rechtssubjekt. Ich möchte wissen, was diedeutsche Bundesregierung in diesem Fall macht.Ohne eine aktive Nahostpolitik bewegt sich das Man-dat auf dünnem Eis. Deswegen werden wir der Verlänge-rung des Mandates, auch wenn es nur befristet ist unddie Zahl der Soldaten reduziert wird, diesmal wiederumnicht zustimmen.Schönen Dank.
Ich erteile das Wort Kollegen Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ei-ige Vorredner haben es dargestellt: Die Stationierunger UNIFIL-Mission 2006 hat den Krieg zwischen Liba-on und Israel beendet. Der Einsatz der deutschen Bun-eswehr auf der Seeseite war die Voraussetzung dafür,ass die Seeblockade gegen Libanon aufgehoben wurdend dass es dort vorangeht. Bis heute, Herr Kollegeehrcke, stellt UNIFIL einen außerordentlich wichtigeneitrag dazu dar, dass dieser Waffenstillstand noch im-er hält,
nd zwar sowohl nach Aussagen der Konfliktparteien –er Israelis, der libanesischen Regierung und im Übrigenuch der Hisbollah – als auch nach Aussagen der UNO.ogar der äußerst schwierige politische Prozess ist etwasorangekommen. Das heißt, Herr Gehrcke, ich kannirklich nicht nachvollziehen, dass man, obwohl man alliese Argumente teilt, sagt: Wir lehnen die Beteiligungn diesem Einsatz ab. – Das ist nicht konsequent.
UNIFIL und der deutsche Beitrag dazu sind ein zwaricht hinreichender – das ist klar –, aber ein notwendi-er, verantwortbarer und erfolgreicher Beitrag zur Stär-ung des Friedensprozesses im Libanon und in der Re-ion. Meine Fraktion ist also mehrheitlich der Meinung,ass er deshalb fortgesetzt werden sollte.
Umso mehr erstaunt es mich, meine Damen und Her-en von der Koalition – Herr Mißfelder, Herr Guttenberg,ie haben dazu nichts gesagt –, dass nicht nur die Zahl deraximal einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten redu-iert wird – das kann ja durchaus verantwortbar sein,enn das die Einsatzfähigkeit vor Ort nicht einschränkt –,ondern das Mandat auch bis Juni 2010 zeitlich begrenztird. Dafür kann es generell sachliche Gründe geben;iesen verschließen wir uns als Grüne nicht. Ich kannber aus der Lage vor Ort solche sachlichen Gründe nicht
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Kerstin Müller
erkennen, und ich habe sie auch in dieser Debatte nichtvernommen. Ich habe nach dieser Debatte und nach dereinen oder anderen Ausschusssitzung den Eindruck – daswill ich Ihnen ganz klar sagen –: Hier geht es darum, dassder neue Außenminister und die FDP irgendwie ihr Ge-sicht wahren wollen, weil sie in der Opposition gegen denEinsatz gestimmt haben.
Die FDP plant mit dieser Begrenzung den Einstieg in denAusstieg – und das, obwohl der Einsatz erfolgreich undsinnvoll ist. Das, verehrter Außenminister Westerwelle,ist das Gegenteil von seriöser Außenpolitik. Das ist mei-nes Erachtens nicht verantwortbar.
Ich habe mir die Debatten des Jahres 2006 und derJahre danach noch einmal angesehen. Seinerzeit und inden Folgejahren haben Sie mit den Argumenten der be-sonderen Verantwortung gegenüber Israel und der feh-lenden Neutralität Deutschlands gegenüber Israel eineZustimmung zu UNIFIL verweigert. Sie haben den Ein-satz abgelehnt. Ich will solche Bedenken keinesfalls ab-tun.Das Problem aber ist: Israel hat damals wie heute einedeutsche Beteiligung sogar ausdrücklich gewünscht. DieBedenken, die Sie und andere in diesem Hause hatten,„dass es zu Konfrontationen kommen könnte, weil wirnicht neutral sind“, haben sich – Gott sei Dank, könnteman sagen – nicht bestätigt. Ich kann mir jedenfallskaum vorstellen, dass Ihnen die Israelis anlässlich Ihrerjetzigen Reise etwas anderes gesagt haben, Herr Außen-minister. Jedenfalls meine ich, Sie hätten auf diese Argu-mente eingehen müssen. Es ist wirklich sehr dünn, dassSie einfach sagen: „Wir machen jetzt Kontinuität in derdeutschen Außenpolitik“, dass Sie aber nichts zu diesenArgumenten sagen, die Gott sei Dank nicht Realität ge-worden sind.
Der ehemalige Außenminister Kinkel hatte seinerzeit beider Mandatserteilung im September 2006 prophezeit:Würde die FDP den Außenminister stellen, könnten wiruns ein Nein nicht leisten. – So ist es. Sie sind in der Re-gierung, und die Welt sieht anders aus.Ich bin der Meinung: Sie werkeln hier an der falschenBaustelle herum; denn nicht der Umfang des UNIFIL-Einsatzes müsste heruntergefahren werden. Vielmehrmüsste OEF beendet werden;
denn OEF ist kontraproduktiv. Das wäre eine sinnvolleMaßnahme gewesen. Eine Überprüfung des UNIFIL-Einsatzes bis Mitte 2010 reicht an dieser Stelle nicht aus.Meine Damen und Herren von der Union, Herr Ver-teidigungsminister, Sie können sicher sein: Wir werdensehr genau darauf achten, ob Sie ein solches GehampelmHesdtGusVlvLEsknbduifdkAushiDDfvsa
Die UNO wird weiter Bedarf anmelden; denn dieage im Libanon ist nach wie vor alles andere als stabil.s kommt immer wieder zu Feindseligkeiten. Expertenagen: Die Hisbollah verfügt inzwischen über mehr Ra-eten als vor dem Krieg 2006. Das heißt, die Lage birgtach wie vor das Potenzial zur Eskalation und zur Desta-ilisierung. Gerade deshalb, weil die Lage so ist, weilie Hisbollah in der Regierung der nationalen Einheit istnd ihrer eigenen Entwaffnung nicht zustimmen wird,st es wichtig, dass UNIFIL und der deutsche Beitragortgesetzt werden und einen stabilisierenden Beitrag inieser Region, in der es immer wieder zu Eskalationenommen kann, leisten.Fest steht: Wenn wir uns durch einseitige, fahrlässigenkündigungen zurückziehen, verspielen wir nicht nurnsere Rolle bei den Vereinten Nationen, sondern es be-teht auch die Gefahr, dass Deutschlands Stimme im Na-en Osten insgesamt an Gewicht verliert. Das ist nichtm Interesse Israels, und das ist auch nicht im Interesseeutschlands.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 17/40 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 buf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten UllaJelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Ab-geordneter und der Fraktion DIE LINKEFür ein umfassendes Bleiberecht– Drucksache 17/19 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierseb) Erste Beratung des von den Abgeordneten JosefPhilip Winkler, Volker Beck , IngridHönlinger, weiteren Abgeordneten und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachtenEntwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Auf-enthaltsgesetzes– Drucksache 17/34 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
RechtsausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile der KolleginUlla Jelpke für die Fraktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren heute wieder einmal über Menschen, die ausihren Herkunftsländern geflohen sind und hier inDeutschland nur geduldet sind. Geduldet zu sein, bedeu-tet ständige Angst vor Abschiebung, bedeutet, denWohnort nicht verlassen zu dürfen, keine Bewegungs-freiheit zu haben, also Residenzpflicht, bedeutet Arbeits-verbot und vor allen Dingen, von reduzierten Sozialleis-tungen leben zu müssen. Die Gesundheitsversorgung istnur auf Notfälle reduziert.Weil die Duldung immer wieder neu verlängert wer-den musste, hat es seit Jahren in diesem Hause eine De-batte darüber gegeben – genauer gesagt mit dem Zuwan-derungsgesetz von 2001, das von Grünen und SPDeingebracht wurde –, dass diese Kettenduldung endlichabgestellt werden muss.Was ist bis dahin passiert? Rein gar nichts. Stattdes-sen hat die Koalition eine Altfallregelung eingebracht.Diese wird von Pro Asyl, einer Flüchtlingsorganisation,als kleinmütige Teillösung bezeichnet. Wir können unsdieser Aussage nur anschließen; denn das ist für die Be-troffenen wirklich nicht mehr zu ertragen.
60 000 Menschen sollen ein Bleiberecht erhalten, ver-sprach damals die SPD. Nur 8 000 Menschen haben einBleiberecht bekommen. 30 000 Menschen haben einAufenthaltsrecht auf Probe bekommen. Das muss mansich einmal vorstellen. Sie müssen bis zum Ende diesesJahres ein Einkommen aufbringen, das über Hartz-IV-Niveau liegt, sonst heißt es: Abschiebung. Es ist unseresErachtens ein Skandal, dass die Regierung bis heute kei-nerlei Vorschläge vorgelegt hat, um bis Jahresende dieseAbschiebungen zu verhindern.
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as ist fast so, als wenn man sagt: Wer keine Arbeit hat,oll auch nicht essen, Herr Grindel. Das ist die Mentali-ät, die aus diesen Positionen spricht.
Ich will hier noch einmal ganz deutlich sagen: Sieind diejenigen, die diesen Menschen lange Zeit ein Ar-eitsverbot auferlegt und ihnen durch die Residenz-flicht die Möglichkeit genommen haben, sich um Ar-eit zu bemühen. Auch die Fachleute sagen: Aufgrunder Wirtschaftskrise haben diese Menschen die gerings-en Chancen, einen Job zu finden. Und nun soll ausge-echnet die Innenministerkonferenz im Konsens eine Lö-ung finden. Ich sage hierzu nur: Dieses Spiel kennenir seit langem und zur Genüge. Die Bundesregierungnd die Innenminister schieben sich die Verantwortungegenseitig zu. Wer genau hinschaut, sieht: Auch die In-enministerkonferenz hat bis heute überhaupt keine Lö-ung. Deswegen fordern wir die Koalition auf, sofortine Lösung zu finden. Wir fordern das Bleiberecht fürlle, die diesen seltsamen Status „Aufenthalt auf Probe“aben.
Die Linksfraktion stellt in ihrem Antrag zunächst ein-al fest – ich kann leider nur zwei Punkte nennen –,ass wir dieses Bleiberecht ganz dringend brauchen, undir fordern die Bundesregierung in unserem Antrag auf,ie Kettenduldung endlich zu beenden. Ich möchte hieroch einmal daran erinnern, dass Wohlfahrtsverbände,irchen und Gewerkschaften vor der Sommerpause anie Politik appelliert haben, die Altfallregelung wenigs-ens zu verlängern. Die Regierung hat damals abgestrit-en, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Ich lese beson-ers gerne aus der Stellungnahme des Paritätischenohlfahrtsverbandes vom heutigen Tag vor, in der steht:Die Aufenthaltserlaubnis muss erteilt werden kön-nen, sobald die Ausreise unzumutbar ist. Es wäreeinfach kaltherzig und inhuman, wenn Kinder, diehier aufgewachsen sind, ständig Angst vor Ab-schiebung haben müssen, nur weil ihre Eltern keineArbeit finden.
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Ulla JelpkeDort steht weiter, die Menschen brauchten keine Dul-dung, sondern Rechtssicherheit.
Das sehen wir ganz genauso.Es ist nicht akzeptabel,– sagt der Paritätische Wohlfahrtsverband weiter –wenn hunderttausend Menschen über Jahre hinwegals Mitmenschen „auf Abruf“ behandelt werden.Wir können uns dem nur anschließen und hoffen, dassdie Bundesregierung endlich zu einer Lösung kommt.Ich danke.
Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Grindel für
die Fraktion der CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwill zunächst der Kritik an der bestehenden gesetzlichenBleiberechtsregelung entgegentreten. Frau Jelpke, dieFrage ist doch: Nach welchen Kriterien bewerte ich, obeine Bleiberechtsregelung erfolgreich ist oder nicht? DieLinke führt dabei vor allem Zahlen ins Feld. Wenn esnur auf Zahlen ankäme, dann wäre die erfolgreichsteBleiberechtsregelung die, die aus nur einem Satz be-steht: Alle Ausländer, die da sind, können bleiben.
Das wäre aber keine verantwortliche Zuwanderungspoli-tik. Das muss ich Ihnen vorhalten, da hier auch nochBeifall geklatscht wird.Tatsächlich verdient derjenige ein Bleiberecht, beidem es aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen zu ei-nem so langjährigen Aufenthalt in Deutschland gekom-men ist, dass eine Verwurzelung in unserem Land statt-gefunden hat, die eine Rückführung in das ursprünglicheHeimatland aus humanitären Gesichtspunkten als nichtvertretbar erscheinen lässt.Wir unterhalten uns hier über einen Weg der legalenZuwanderung. Die Personen, um die es geht – das mussman auch unseren Zuschauern deutlich machen –, sindeigentlich allesamt ausreisepflichtig und erhalten durchdas Bleiberecht eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive.Wir müssen also integrationspolitische Überlegungen inden Blick nehmen. Deshalb sind an das Bleiberecht auswohlerwogenen Gründen eine Reihe von Bedingungenwie zum Beispiel das Beherrschen der deutschen Spra-che oder ein regelmäßiger Schulbesuch geknüpft wor-den.Mit der Aufenthaltsgenehmigung auf Probe, die Siehier völlig zu Unrecht diskreditiert haben, wollten wirGeduldeten vor allem die Arbeitsaufnahme erleichtern.Für diejenigen, die so gut integriert sind, dass sie ihrenLgenGwimnVlesknBbsR7kFttuseddDdrhnAPtddeerwwüsDF
or diesem Hintergrund ist die jetzige Bleiberechtsrege-ung ein Erfolg. Über 10 300 Geduldete haben eine Auf-nthaltserlaubnis erhalten, weil sie in der Lage waren,elbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Weiterenapp 30 000 Personen besitzen eine Aufenthaltserlaub-is auf Probe.Es ist interessant, sich die Statistiken der einzelnenundesländer anzuschauen. Dann stellt man fest, dassei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen kein Lando engherzig ist wie das Land Berlin, wo die Linkeegierungsverantwortung trägt: Hier hat es ganze4 Aufenthaltserlaubnisse gegeben. In Bayern waren esnapp 1 000. Sie brauchen uns von der Union in derrage des humanitären Bleiberechts keinen Nachhilfeun-erricht zu erteilen. Dort, wo Sie Regierungsverantwor-ung tragen, sieht die Bilanz am schlechtesten aus.
Eine Verlängerung des Aufenthaltsrechts auf Probem zwei Jahre ist bereits im Gesetz selber vorgesehen,ofern der Lebensunterhalt zumindest überwiegend ausigener Erwerbstätigkeit bestritten worden ist. Das Bun-esinnenministerium hat in einer Reihe von Bundeslän-ern eine stichprobenartige Untersuchung durchgeführt.anach ist zu erwarten, dass rund die Hälfte der Besitzerieses Aufenthaltsrechts auf Probe mit einer Verlänge-ung rechnen kann. Zu den 10 000 Personen mit dauer-after Aufenthaltserlaubnis kommen also 15 000 Perso-en hinzu, die keine oder nur geringe Sozialleistungen innspruch nehmen. Insofern ist es nicht richtig, wenn deraritätische Wohlfahrtsverband heute in einer Pressemit-eilung den Eindruck erweckt – Frau Jelpke, Sie habenas angesprochen –, als ob fast alle gut 30 000 Besitzerieser Aufenthaltserlaubnis auf Probe zum Jahresendein Problem bekämen.Es ist sicher nicht zu bestreiten – das räumen wirin –, dass manch gutwilliger Inhaber eines Aufenthalts-echts auf Probe wegen der augenblicklich schwierigenirtschaftlichen Lage keine Verlängerung erhalten wird,eil es ihm nicht gelungen ist, seinen Lebensunterhaltberwiegend aus eigener Erwerbstätigkeit zu bestreiten,ondern möglicherweise nur zu einem geringen Teil.
eshalb stellen wir uns gemeinsam mit den Ländern dierage: Wie gehen wir damit um? Die Grünen und die
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Reinhard GrindelLinken schlagen vor, die Bleiberechtsregelung pauschalum mindestens ein Jahr zu verlängern.
Ich möchte das einmal deutlich machen, auch weil Siehier Beifall klatschen: Sie wollen eine pauschale Rege-lung. Das heißt, Sie wollen denjenigen, der sich um Ar-beit bemüht hat, der für kleines Geld gearbeitet hat,
der sich immer wieder beworben hat, genauso behandelnwie denjenigen, der überhaupt nichts getan hat, sondernnur von Sozialhilfe gelebt hat. Das halte ich nicht fürrichtig. Wir brauchen eine differenzierte Lösung für denUmgang mit den ausländischen Mitbürgern.
Welche Botschaft geht von Ihrem Vorschlag aus? DasGesetz sieht vor, dass man sich um Arbeit bemühenmuss. Viele Geduldete haben das getan, weil sie davonausgegangen sind, dass man den Gesetzgeber ernst neh-men kann. Sie sagen dann aber: Wer nichts getan hat, derwird genauso behandelt. Das ist nicht in Ordnung.Ich sage für die CDU/CSU-Fraktion eindeutig, dasswir keine gesetzliche Verlängerung der Bleiberechtsre-gelung wollen, sondern schon aus Zeitgründen eine Lö-sung durch Beschluss der Innenministerkonferenz vorJahresende anstreben. Weil durch die Verlängerung derBleiberechtsregelung zusätzliche Kosten auf Länder undKommunen zukommen werden, macht es großen Sinn,die Länder daran zu beteiligen.Dabei ist uns völlig klar, dass eine Verlängerung desAufenthaltsrechts auf Probe nur in Betracht kommenkann, wenn der geduldete Ausländer nachweist, dass ersich um die Sicherung seines Lebensunterhalts zumin-dest bemüht hat. In den Genuss einer Verlängerung müs-sen diejenigen kommen, die tatsächlich unter derschwierigen Wirtschaftslage leiden, nicht aber diejeni-gen, die ohnehin, unabhängig von der Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt, nichts tun, ob es Arbeit gibt odernicht. Wir sind für eine differenzierte Lösung, wie sievon vielen Bundesländern und den dortigen Innenminis-tern angestrebt wird.
Ich betone noch einmal: Eine Zuwanderung in die So-zialsysteme durch die Verlängerung der Bleiberechtsre-gelung darf es nicht geben.
Dementsprechend ist es auch falsch, dass die Grünen inihrem Gesetzentwurf schreiben, eine pauschale Verlän-gerung verursache keine zusätzlichen Kosten. Natürlichwürden Kommunen, die ansonsten einen Ausländer insein Herkunftsland zurückführen könnten, mit zusätzli-chen Hartz-IV-Leistungen belastet.DldhRgAHpsAwsimlusfdwPnvgbkVidFwnLugwDrnh
as ist angesichts der schwierigen Lage der kommuna-en Haushalte nicht unproblematisch.Bei dieser Gelegenheit möchte ich, weil Frau Jelpkeas Thema Kettenduldungen angesprochen hat, daraufinweisen, dass Ihre Bemerkung in die völlig falscheichtung gegangen ist. Es war nie unser Wille, Duldun-en generell abzuschaffen.
Selbstverständlich können diejenigen Ausländer keinufenthaltsrecht beanspruchen, die durch das eigeneandeln, nämlich durch das Vernichten von Ausweispa-ieren, durch die Täuschung über ihre Identität und Rei-ewege, selber dazu beigetragen haben, dass sich ihrufenthalt zum Teil über mehrere Jahre hingezogen hat,eil zum Beispiel keine Passersatzpapiere herbeige-chafft werden konnten. Wer selber dafür verantwortlichst, dass die Behörden die Rückführung nicht möglichachen konnten, wer in der Zeit vielleicht sogar straffäl-ig geworden ist, darf kein Aufenthaltsrecht bekommennd dessen Rückführung muss grundsätzlich möglichein. Deshalb wollen wir für diese Fälle an der Duldungesthalten.
Unsere Beratungen sind im Übrigen ein Beleg dafür,ass Stichtagsregelungen immer dann unehrlich sind,enn allen Beteiligten sowieso klar ist, dass man einroblem nur verschiebt und der Stichtag letztendlichicht so ernst genommen wird. Ich will deshalb nichterhehlen, dass es in unserer Fraktion Sympathie dafüribt, über eine generelle Regelung hinsichtlich der Le-enssituation von gut integrierten Kindern nachzuden-en.
iele Kinder aus geduldeten Familien gehen erfolgreichn die Schule und haben eine gute Bildungs- und Ausbil-ungsperspektive in unserem Land.
ür sie ist Deutschland oftmals längst neue Heimat ge-orden. Ich sage hier: Im Zusammenwirken mit den In-enministern der Länder bleibt es eine Aufgabe in dieseregislaturperiode, zu prüfen, ob wir für diese Kindernd natürlich auch ihre Familien eine weitergehende Re-elung treffen können. Gleichzeitig bleibt es eine ebensoichtige Aufgabe, diejenigen, die kein Recht haben, aufauer bei uns zu bleiben, konsequent in ihre Heimat zu-ückzuführen und dabei etwaige Abschiebungshinder-isse zu beseitigen. Beides gehört zusammen: tragfähigeumanitäre Lösungen für gut integrierte geduldete Aus-
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Reinhard Grindelländer und eine Rückführung derjenigen, die erfolgrei-che Integration in unserem Land eher erschweren.Vielen Dank fürs Zuhören.
Das Wort hat nun Kollege Rüdiger Veit für die SPD-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren Kollegen! Ich möchte mit einer Art Amtsanma-ßung beginnen. Normalerweise gratulieren Sie, HerrPräsident, Kolleginnen und Kollegen zu ihren rundenGeburtstagen; es ist erfreulich, wenn Kolleginnen undKollegen älter werden und runde Geburtstage haben. Ichmöchte einen anderen Glückwunsch aussprechen, dermir ein aufrichtiges Bedürfnis ist. Herr Kollege Grindel,Sie sind vor zwei Tagen Vater geworden. Ich wünscheIhnen, Ihrer Frau und dem neuen Erdenbürger, dass ergesund heranwächst und allzeit liebevolle und auch sehrkluge Eltern hat, damit er ein ganz wichtiger Mitbürgerin unserer Gesellschaft wird.
Auch wenn wir ein bisschen schmunzeln, der Glück-wunsch ist sehr ernst und sehr herzlich gemeint.Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen,wir reden wieder einmal über die Altfall- oder Bleibe-rechtsregelung in Bezug auf Geduldete. Wir wissen ausder letzten Statistik, die das Bundesinnenministeriumauf Anfrage der Linken zusammengetragen hat, dass wirMitte dieses Jahres immer noch rund 100 000 geduldeteausländische Mitbürger in Deutschland hatten; rund60 000 davon haben sich hier bereits seit sechs und mehrJahren aufgehalten.Jetzt muss man sowohl an die Adresse der hier neu imHaus befindlichen Kolleginnen und Kollegen als auch andie Adresse der Öffentlichkeit bzw. des Publikums klarsagen: Wir betreiben hier keine Übungen in einem juris-tischen Trockendock von Fachsprache. Es ist auch nichtso, dass uns daran gelegen wäre, Zuständigkeitsfragenzwischen diesem Parlament und der Innenministerkonfe-renz hin und her zu schieben. Vielmehr reden wir kon-kret über das Schicksal dieser über 100 000 Menschen;ganz viele davon sind Kinder und Jugendliche, die hierin Deutschland geboren und/oder aufgewachsen sind.Deswegen muss man sich im Interesse eines Sozial- undRechtsstaates sehr wohl ein paar Gedanken mehr darü-ber machen, was mit diesen sinnvollerweise zu gesche-hen hat.Duldung ist nichts anderes als die Erklärung an dieBetroffenen: Ihr seid hier nicht willkommen; ihr be-kommt hier keinen gesicherten Aufenthalt; wir wolleneuch abschieben, das heißt, notfalls auch mit Anwen-dung unmittelbaren Zwanges außer Landes bringen, so-bald wir das können. – Das ist die klare Ansage der Aus-setzung einer Abschiebung, also einer Duldung. DasbimghwzzDalwbzlBwtsbDlDmam§ehS„nuuDrhVktdfDssgDh
as ist die Realität. Dieses Leben, das aus einem Sitzenuf gepackten Koffern besteht, ist unseres Staates eigent-ich unwürdig. Es ist inhuman und auch unvernünftig,eil man die Betreffenden außerstande setzt, sich hierei uns sinnvoll zu integrieren und ihren Lebensunterhaltu bestreiten; ich will das ausdrücklich so klar und deut-ich sagen.Die damalige rot-grüne Mehrheit hatte sich bei deneratungen zum neuen Aufenthaltsgesetz und zum Zu-anderungsgesetz in den Jahren 2002 und 2004 aus gu-em Grund vorgenommen, die Duldung gänzlich abzu-chaffen und klar zu sagen: Wer hier in Deutschlandleiben darf, der bleibt und bekommt eine Perspektive.erjenige, für den das nicht möglich ist, muss Deutsch-and wieder verlassen. Dieses Zwischending, genanntuldung oder Kettenduldung – manchmal für zehn undehr Jahre –, wollen wir nicht mehr.Wir mussten in den damaligen Gesetzesberatungenus Rücksicht auf die CDU/CSU sowohl hier im Parla-ent als auch im Bundesrat leider das Instrument des60 a wieder einführen. In einem neuen Gesetz weistine a-Nummerierung immer ziemlich deutlich daraufin, dass die entsprechende Regelung – entschuldigenie bitte diese Formulierung – im Nachhinein nochhineingewürgt“ worden ist.Um was geht es heute konkret? Die Fraktion Bünd-is 90/Die Grünen hat einen Gesetzentwurf eingebracht,m die Möglichkeit der Aufenthaltserlaubnis auf Probem ein Jahr zu verlängern.
ie Fraktion Die Linke hat darüber hinaus eine Erweite-ung dieses Bleiberechts, der Möglichkeit einer Aufent-altserlaubnis, gefordert.Ich möchte für die SPD-Fraktion – natürlich unter demorbehalt, dass unsere Gremien das genauso sehen – an-ündigen, dass wir Ihnen in der nächsten oder übernächs-en Woche einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem wiras Problem, wie wir hoffen, längerfristiger und sehr dif-erenziert lösen können.Ich füge hinzu: Natürlich bleibt es dabei, dass wir dieuldung am liebsten ganz abgeschafft hätten; daran wirdich auch nichts ändern. Wir sind aber Realisten. Wir wis-en, dass wir für eine solche Änderung des Aufenthalts-esetzes auch die Zustimmung des Bundesrates brauchen.emgemäß nehmen wir auf die dortigen Mehrheitsver-ältnisse Rücksicht. Natürlich versuchen wir, den einen
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Rüdiger Veitoder anderen Kollegen von der neuen Koalition, nament-lich von der FDP, als Mitstreiter zu gewinnen.Ich kündige schon jetzt an, dass in diesem Gesetzent-wurf in einer differenzierten Stufung klargestellt wird:Wer sich mit Familie seit zehn Jahren oder als Alleinste-hender seit zwölf Jahren bei uns aufhält, weil er, auswelchen Gründen auch immer, aus guten Gründen nichtabgeschoben werden konnte, der kann bleiben. DieseRegelung wird, unserer Auffassung nach sinnvoller-weise, deswegen stichtagsbezogen sein, weil wir für dieZukunft keinen Anreiz schaffen wollen, sich der Ab-schiebung durch Verschleppung absichtlich zu entzie-hen.Außerdem wollen wir bei deutlicher Verkürzung derbisherigen Fristen sagen: Wer sich als Alleinstehenderacht Jahre oder mit Familie sechs Jahre hier aufhält, derkann auch dann bleiben, wenn er seinen Lebensunterhaltnicht gesichert hat.In einer weiteren Stufung von wiederum sechs Jahrenbei Alleinstehenden und vier Jahren bei Familien wollenwir sagen: Wer sich ernsthaft um die überwiegende Si-cherung seines Lebensunterhaltes bemüht, der kannebenfalls bleiben. Wohlgemerkt sind solche Tatbeständeund Konstellationen, in denen Ausweisungsgründe imSinne schwerwiegender Straftaten oder des Verdachtsterroristischer Bezüge vorliegen, immer ausgeschlossen.Wir wollen darüber hinaus sagen: Bei Minderjährigenund solchen Personen, die minderjährig eingereist sind,reichen uns auch vier Jahre Aufenthalt in Deutschland,wenn die Perspektive gegeben ist, dass sie sich hier inte-grieren werden.In der Konsequenz dessen gehen wir dann noch einenSchritt weiter und sagen: Kinder und Jugendliche, diemindestens einen Hauptschulabschluss oder einen ver-gleichbaren Schulabschluss erworben haben, sollenebenfalls hierbleiben können, ohne die erforderlichenMindestaufenthaltszeiten nachweisen zu müssen. Dennsie haben schon den Nachweis erbracht, dass und in wel-cher Weise sie in der Lage sind, sich in unsere Gesell-schaft und unser Bildungssystem zu integrieren. Einesolche gesetzliche Regelung soll wohlgemerkt nichtstichtagsbezogen sein. Wir glauben, dass auch diejeni-gen, die aufgrund ihrer Aufenthaltszeiten immer wiederin diese Möglichkeit „hineinwachsen“, auch in der Zu-kunft das Recht erhalten müssen, eine Aufenthaltser-laubnis zu bekommen.Wir wollen uns nicht darauf verlassen, dass die Innen-ministerkonferenz auf ihrer Sitzung Anfang Dezemberdieses Jahres einfach nur beschließt: Wir verlängern dieMöglichkeit der Aufenthaltserlaubnis auf Probe um einoder zwei Jahre. – Es gibt einen Berliner Vorschlag, dereine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auf Probeauf zwei Jahre und weitere Voraussetzungen, die aller-dings nicht so eng wie die bisherige Regelung gefasstsind, beinhaltet. Im Augenblick deutet aber nichts daraufhin, dass die Innenminister – sie müssten das gemeinsamund einstimmig machen – einem derartigen Vorschlagnähertreten. Dies löst auch nicht wirklich das Problem.Außerdem ist es von der Systematik her schwierig, wenndjkdAwUlddmJjesinhmlgpnWillwdcedshndsüvdsrDokKlsd
Die Idee ist auch gar nicht neu. Denn seit März habenir versucht, unseren damaligen Koalitionspartner, dienion, davon zu überzeugen, dass wir eine solche gesetz-iche Änderung dringend brauchen. Ich habe immer wie-er darauf hingewiesen, dass die Zeit nach der Wahl, aufie wir vertröstet werden sollten, nicht ausreicht, weil wirit einem regulären Gesetzgebungsverfahren bis zumahresende nur schwer fertig werden können und weil die-enigen, die damit rechnen müssen, dass ihre Aufenthalts-rlaubnis auf Probe nicht wieder verlängert wird – dasind, wie wir heute wissen, ungefähr 15 000 Menschen –,n der Zwischenzeit entweder kein neues Arbeitsverhält-is eingehen können oder sogar ihre Arbeit verlieren. Daseißt, die bei uns lebenden ausländischen Mitbürgerüssten entgegen dem, was wir eigentlich wollen, näm-ich ihre Integration, zumindest eine Zwangspause einle-en.Leider haben wir uns gegenüber unserem Koalitions-artner nicht durchsetzen können. Unser Koalitionspart-er war der Auffassung: Das machen wir alles nach derahl. Ich habe sogar noch die halbironische Bemerkungm Ohr, dieser Punkt könnte für die Koalitionsverhand-ungen – mit wem auch immer – ein wichtiger Verhand-ungsgegenstand oder vielleicht eine Art Morgengabeerden.Was sich jetzt in den Koalitionsvereinbarungen wie-erfindet, geht über das, was die CDU sowieso zu ma-hen bereit war, nicht wesentlich hinaus. Ich unterstelleinmal, bei der Union besteht – der Kollege Grindel hatas zart angedeutet – durchaus eine gewisse Bereit-chaft, zumindest über eine Verlängerung der Aufent-altserlaubnis auf Probe nachzudenken. Ich sage aberoch einmal: Ich halte die Innenministerkonferenz füras falsche Instrument. Wir könnten das auch hier be-chließen; es wäre noch nicht zu spät.Insgesamt – damit will ich eine gewisse Spitze gegen-ber dem neuen Koalitionspartner der CDU/CSU nichterhehlen – hätte ich der FDP angesichts der Denkweise,ie sie in den vergangenen Jahren gezeigt hat, zugetraut,ich in manchen Punkten, gerade was das Ausländer-echt angeht, besser durchzusetzen.
aher sage ich nur: Schon wir waren vielleicht nicht gutder nicht optimal; aber Sie sind ein noch wesentlichleinerer Teil der Koalition. So ist Ihr Erfolg in denoalitionsverhandlungen noch bescheidener ausgefal-en. Dafür kann ich Sie nicht loben.Gleichwohl werbe ich dafür, dass wir über den Ge-etzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen und den Antrager Linken, auch wenn sie nach meinem Dafürhalten
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Rüdiger Veitnicht differenziert genug, nicht weitgehend genug sind,gemeinsam mit der neuen Koalition beraten. Ich würdemich freuen, wenn wir zeitnah gemeinsam zu einemkonstruktiven Ergebnis kämen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Kollege Hartfrid Wolff für die FDP-
Fraktion.
Hartfrid Wolff (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Re-
form des Bleiberechts durch die Bundesregierung 2007
war ein längst überfälliger Schritt. Das habe ich damals
als Vertreter der Opposition gesagt, und das sage ich
auch als Vertreter der FDP-Fraktion in der Regierungs-
koalition.
Wenn bei lange geduldeten, gut integrierten Auslän-
dern eine Abschiebung nicht mehr vertretbar ist, muss
dieser Tatsache durch eine vernünftige und unbürokrati-
sche Regelung Rechnung getragen werden. Die ent-
scheidenden Kriterien waren und sind jedoch: lange ge-
duldet und gut integriert. Eine eigenständige Sicherung
des Lebensunterhalts ist dabei von entscheidender Be-
deutung.
Das Zahlenmaterial, das die Grünen in ihrem Gesetz-
entwurf und die Linken in ihrem Antrag zitieren, deutet
darauf hin, dass diese Anforderung für die Integration
sehr bedeutsam ist. Anders als die Linken es in ihrem
Antrag vorgaukeln, ist es zutiefst inhuman, Menschen
den Aufenthalt zu ermöglichen, die keine Chance haben,
ihren Lebensunterhalt hier selbst zu verdienen. Wer so
etwas tut, hält Alimentierung für humane Politik.
Wir Liberalen halten es für besser, Menschen Chan-
cen zu eröffnen. Arbeit ermöglicht es Zuwanderern,
finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, und fördert da-
durch das Selbstwertgefühl nicht nur der Berufstätigen,
sondern auch ihrer Familienangehörigen.
Ohne einen gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang
können sich Zuwanderer nicht aus ihrer ökonomischen
Abhängigkeit befreien. Erwerbstätigkeit ist die Grund-
lage für wirtschaftliche Eigenständigkeit. Deshalb stellt
die Koalition die Ermöglichung einer Erwerbstätigkeit in
den Mittelpunkt. Daher sagen wir im Koalitionsvertrag:
Die Residenzpflicht soll so ausgestaltet werden,
dass eine hinreichende Mobilität insbesondere im
Hinblick auf eine zugelassene Arbeitsaufnahme
möglich ist …
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Vor dem Hintergrund der momentanen wirtschaftli-
hen Rahmenbedingungen besteht Handlungsbedarf in
ezug auf die Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf
robe, die die gesetzlichen Vorgaben zur Lebensunter-
altssicherung zum Jahresende voraussichtlich verfehlen
erden. Auch der Kollege Grindel hat das gerade ausge-
ührt.
Wir haben vereinbart, zeitgerecht eine angemessene
egelung zu finden. Zunächst gilt es, die zum Jahres-
nde auslaufende Regelung so anzupassen, dass wir den
otwendigen Raum gewinnen, eine tragfähige gesetzli-
he Grundlage für ein Bleiberecht zu schaffen, um den
icht mehr verständlichen Zustand der Kettenduldungen
achhaltig anzugehen.
Anfang Juli habe ich hier an dieser Stelle gesagt: Die
DP hält es für notwendig, die Frist – bisher 31. Dezem-
er 2009 – zu verlängern, da nach der Neuwahl des Bun-
estages die Zeit zu kurz ist, um durch eine neue Gesetz-
ebung für eine praktikable Umsetzung zu sorgen.
ie damalige FDP-Position sieht man jetzt weitgehend
örtlich in dem Antrag der Grünen. Sie sind ihr beige-
reten.
ch finde es übrigens ganz interessant: Im Sommer konn-
en die Grünen dem noch nicht zustimmen. Auch die
PD wollte dem in der damaligen Koalition nicht beitre-
en. Eine Gesetzesänderung wäre Anfang Juli freilich
as Mittel der Wahl gewesen.
etzt ist es arg spät dafür. Das war allen Kolleginnen und
ollegen hier in diesem Hause auch bereits in der letzten
egislaturperiode bewusst.
Unsere Befürchtung hat sich also als berechtigt
erausgestellt. Die Alternative, die die Grünen im vor-
iegenden Entwurf aufzeigen, über ein Votum der Innen-
inisterkonferenz eine Übergangslösung zu bewerkstel-
igen, ist deshalb der richtige Weg. Zeitlich erhalten wir
o schneller als durch ein komplexes Gesetzgebungsver-
ahren, nämlich Anfang Dezember, eine verlässliche
rundlage für die Betroffenen.
Herr Kollege Wolff, gestatten Sie eine Zwischenfragees Kollegen Sharma?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 461
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Hartfrid Wolff (FDP):Das muss nicht unbedingt sein.
Bitte schön.
Hartfrid Wolff (FDP):
Das eigentliche Problem stellt sich danach. Das Pro-
blem der Kettenduldungen muss einer nachhaltigen Lö-
sung zugeführt werden, und wir brauchen für alle, insbe-
sondere auch für die bisher Geduldeten, Rechtssicherheit
und Rechtsklarheit.
Die große Schwierigkeit einer sinnvollen Bleibe-
rechtsregelung besteht darin, einerseits den unhaltbaren
Zustand der Kettenduldungen abzuschaffen und anderer-
seits die Zuwanderung nach Deutschland so zu steuern,
dass diese eine nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerin-
nen und Bürger findet. Hier muss die tatsächliche Inte-
gration das entscheidende Kriterium sein.
Wer einem schrankenlosen Daueraufenthaltsrecht in ver-
meintlich humanitärer Gesinnung das Wort redet, riskiert
die steigende Ablehnung der Bevölkerung gegenüber
Zuwanderern.
Im Antrag der Linken wird die Notwendigkeit einer
eigenständigen Lebensunterhaltssicherung für Menschen
verneint, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland su-
chen. Es hilft niemandem weiter, wenn die Fraktion Die
Linke immer wieder fordert, de facto auf jegliche Zu-
wanderungssteuerung zu verzichten. Vielmehr erweist
die Linke damit den Bemühungen um Ausländerintegra-
tion einen Bärendienst. Die Linken erwecken mit ihrem
Antrag den Eindruck, Geduldete könnten sich allein da-
durch, dass sie sich fünf oder gar nur drei Jahre lang
hierzulande aufgehalten haben, ohne aktiv etwas für ihre
Integration zu tun, einen Anspruch auf ein Bleiberecht
erwirken. Damit werden falsche Hoffnungen geweckt.
Eine solche Rücksichtslosigkeit gegenüber unseren
Sozialsystemen, vor allem aber übrigens auch gegenüber
den Betroffenen selbst, die die Linke offenbar nur als
Unmutspotenzial in der Bevölkerung kultivieren will,
trägt die FDP nicht mit. Die Möglichkeit für langjährig
Geduldete, den eigenständigen Lebensunterhalt zu be-
streiten, ist deshalb sehr wohl ein wichtiges Kriterium
bei der Bleiberechtsregelung. Das dient der Integration.
Um die Arbeitsmigration sinnvoll zu steuern, hat die
FDP konkrete Vorschläge gemacht, die auch von den
Gewerkschaften und den Unternehmen dringend ange-
mahnt werden und über die wir im Koalitionsvertrag
Einvernehmen erzielt haben.
Wir sind uns auch beim Bleiberecht einig. Wir brau-
chen eine Zuwanderungssteuerung mit nachvollziehba-
ren Kriterien. Zuwanderer sind zu fördern, aber auch
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Wir Liberalen wollen dagegen Chancen eröffnen.
ir wollen eine neue Kultur des Willkommens, die nicht
alsche Versprechungen auf Kosten anderer Leute
acht, sondern Chancen und Perspektiven eröffnet. Wir
ollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich
hre Zukunft selbst erarbeiten dürfen und können.
Wir wollen, dass sie hier willkommen sind.
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
ollegen Raju Sharma.
Herr Kollege Wolff, ich habe zur Kenntnis genom-
en, dass Sie zur Lebenssituation der Menschen, die
icht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt überwie-
end eigenständig zu sichern, ausgeführt haben, diese
enschen hierzubehalten, sei inhuman. Ich finde diese
ussage bemerkenswert, weil sie darauf rückschließen
ässt, dass Sie die Lebenssituation dieser Menschen als
nhuman betrachten. Wir können das unterstreichen. Ich
rage mich bloß: Wie beabsichtigen Sie diese Situation
u ändern?
Herr Kollege Wolff.Hartfrid Wolff (FDP):Lieber Herr Kollege, wir sind uns doch darüber einig,ass das geltende Ausländerrecht demokratisches Rechtst und man dementsprechend beachten muss, dass manicht meinen kann, dieses außer Kraft setzen und einennreiz dafür geben zu können, dass jeder, der in ir-endeiner schwierigen Situation ist, nach Deutschlandommen kann. Das heißt, wir werden eine Lösung fin-en müssen, nach welchen Kriterien jemand bleiben undinen Aufenthaltsstatus bekommen kann. Dementspre-hend müssen wir auch diese Regelung vollziehen.
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Hartfrid Wolff
Genau deshalb müssen wir klare, für die Betroffenenselbst, aber auch für unsere Gesellschaft nachvollzieh-bare Kriterien finden, die vernünftigerweise auch aner-kannt sind. Ich glaube, dazu gehört auch die Möglich-keit, hier zu arbeiten und etwas für die Integration zutun. Aber bei demjenigen, der sich nicht integrieren will,ist es verhältnismäßig schwierig, von den demokrati-schen Gesichtspunkten des Ausländerrechts Abstand zunehmen.
Das Wort hat nun Kollege Josef Winkler für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Ich wende mich gleich an den KollegenWolff. Nur weil der Deutsche Bundestag auf demokrati-sche Weise ein Gesetz beschlossen hat, muss es nicht au-tomatisch nur humane Auswirkungen haben.
Gerade im Bereich der Flüchtlingspolitik und desFlüchtlingsrechts kann man das sehr genau beobachten.Das alleine ist also noch kein inhaltlich starkes Argu-ment gegen das gewesen, was der Kollege Sharma vor-gebracht hat.Jetzt will ich aber für den Kollegen Grindel und denKollegen Wolff aus unserem Gesetzentwurf zitieren:In § 104 a Absatz 5 Satz 1 und 2 wird das Datum„31. Dezember 2009“ jeweils durch das Datum„31. Dezember 2010“ ersetzt.Ich habe nicht gedacht, dass das so missverständlich seinkönnte, wie es sich heute gezeigt hat. Sie haben einegroße kreative Intelligenz bewiesen und hier Dinge hi-neininterpretiert, die damit wirklich nicht gemeint sind.
– Herr Kollege Grindel, Sie ignorieren meine Zwischen-rufe auch immer. Deshalb rede auch ich jetzt einfachweiter. Im Übrigen habe ich Ihren Beitrag zur Bekämp-fung des demografischen Wandels schon zustimmendzur Kenntnis genommen. Auch meine Gratulationhierzu.Aber jetzt zum Thema: Angesichts des Auslaufensder gesetzlichen Bleiberechtsregelung zum Jahresendeist es aus Sicht meiner Fraktion vordringlich, zunächstRechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Betroffenenund auch für die Ausländerbehörden durch eine Fristver-längerung im Gesetz zu schaffen. Das ist jetzt am vor-dringlichsten. Den Menschen steht schon der Angst-schweiß auf der Stirn, und zwar nicht nur denBetroffenen selbst, sondern auch ihren Arbeitgebern.Denn anders, als Sie gesagt haben, Herr Grindel, geht esndkgRDzRrWsRfskdOwRHvwFvkceNtmdvgbds3dnck
as heißt, wer ein sogenannter Aufstocker zusätzlichum Arbeitslohn ist, der kommt nach dieser gesetzlichenegelung nämlich gar nicht in den Genuss dieser Altfall-egelung, die Sie als Große Koalition vorgelegt hatten.enn Sie schon unseren Gesetzentwurf nicht durchle-en, dann sollten Sie sich vielleicht wenigstens dieechtsprechung und die geltende Rechtslage zu Gemüteühren.
Ein reiner Beschluss der Innenministerkonferenztellt eindeutig einen Rückschritt dar. Zuvor gab es einlares Wort des Gesetzgebers. Als die geltende Regelungemokratisch beschlossen wurde, waren Sie noch in derpposition, Herr Kollege Wolff. Es wurde nicht mehr,ie das jahrzehntelang der Fall war, allein in geheimenunden der Innenministerkonferenz, sondern in diesemohen Hause entschieden, wie mit den Menschen, dieon der Duldungsregelung betroffen sind, umgegangenird. Vor diesem Hintergrund können gerade Sie von derDP es mir nicht als einen demokratischen Fortschritterkaufen, wenn darüber wieder auf der Innenminister-onferenz unter Ausschluss der Öffentlichkeit – mögli-herweise in berühmt-berüchtigten Kamingesprächen –ntschieden wird.
ein, das ist sicherlich keine Verbesserung für die Be-roffenen und erst recht nicht für das deutsche Parla-ent. Es handelt sich vielmehr um eine Selbstkastrationes Deutschen Bundestages. Wie können Sie das hierom Rednerpult aus begrüßen, Herr Kollege Grindel?Herr Kollege Wolff, Sie haben vor der Sommerpauseenau das gesagt, was wir heute als Antrag vorgelegt ha-en. Danach soll das Aufenthaltsrecht auf Probe nichturch das Aufenthaltsrecht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 er-etzt werden, sondern es soll nur die Frist bis zum1. Dezember 2010 verlängert werden. Das hielt auchie FDP für notwendig. Das waren Ihre Worte vor nochicht einmal einem Vierteljahr.
Heute stellen Sie sich hierhin und erfinden irgendwel-he Gründe, warum das auf keinen Fall sinnvoll seinann.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 463
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Josef Philip WinklerDas, was wir damals und auch heute vorgelegt haben,wollen Sie nun nicht mehr mittragen.
– Herr Kollege Wolff, ich kann doch Ihre sinnvollen Bei-träge kopieren. Das ist ja kein ernst zu nehmender Vor-wurf.
– Der Vorwurf eines Plagiats ist nur dann berechtigt,wenn ich daraus einen unsittlichen Gewinn erziele, denSie dann nicht mehr haben. Den Gewinn gönne ich Ih-nen gerne. Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie nie-mals eine kluge Idee haben. Wenn Sie aber darauf beste-hen, dass festgestellt wird, dass Sie niemals eine klugeIdee haben, tue ich Ihnen den Gefallen gerne und zitiereSie in Zukunft nicht mehr.
Ich fasse zusammen: Wir wollen, dass den Gedulde-ten geholfen wird. Wir wollen Rechtsklarheit undRechtssicherheit. Herr Kollege Veit, Ihr Angebot, einelängerfristige, dauerhafte Regelung für diese Gruppe zufinden, nehmen wir gerne an. Darüber können wir ge-meinsam diskutieren. Auch wir werden im ersten Quar-tal zeitnah einen Vorschlag unterbreiten, aus dem her-vorgeht, wie wir das dauerhaft für die nächsten Jahreregeln wollen. Dann können wir darüber vielleicht indiesem Hohen Hause beraten. Ich finde es aber sehr be-denklich, dass hier Parlamentarier ans Rednerpult tretenund sich freuen, dass ein Gesetz ausläuft und die Innen-minister das dann exekutiv alleine regeln.Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich erteile das Wort Kollegen Stephan Mayer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenKolleginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich bedaure, dassdurch die Vertreter der Opposition und insbesonderedurch die Vorlagen, die die Linkspartei und die Grüneneingebracht haben, der Eindruck vermittelt wird, dasszum 1. Januar 2010 eine humanitäre Katastrophe inDeutschland droht, und zwar dergestalt, dass Tausendevon Menschen, die bisher über eine Aufenthaltsgeneh-migung auf Probe verfügen, abgeschoben werden. Umdies ganz klar zum Ausdruck zu bringen: Dem ist mit-nichten so. Wir haben derzeit in Deutschland zwei Blei-berechtsregelungen: eine gesetzliche Bleiberechtsrege-lung und eine Bleiberechtsregelung, die auf demB22tnhedswrsbduldbdkPEtds–whdüDVrFDrsbEe
Liebe Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie es selber wissen,arum führen Sie es dann in Ihrem Antrag auf und be-aupten, dass dem nicht so wäre?
Es stimmt auch nicht – das möchte ich klarstellen –,ass ein Großteil der 30 000 Personen, die momentanber den Aufenthaltstitel auf Probe verfügen, dann in dieuldung fallen wird. Dies wird nicht der Fall sein.
Ich möchte ganz offen sagen, meine sehr geehrtenertreter von der Opposition: Es ist sinnvoll, die Bleibe-echtsregelung zu verlängern, allerdings nicht in derorm, wie Sie das im Moment beantragen.
em Antrag der Linken wohnt das Motto inne: Ein Aus-eisepflichtiger muss es nur lange genug schaffen, trotzeiner Ausreiseverpflichtung in Deutschland zu verblei-en, dann wird sein Aufenthalt schon legalisiert. Demntwurf der Grünen wohnt der Gedanke inne: Auf eineigenständige Unterhaltssicherung kann es letzten Endes
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464 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Stephan Mayer
gar nicht ankommen, weil dies ohnehin eine viel zu hoheHürde wäre. Beiden Vorlagen ist deutlich entgegenzutre-ten.Wichtig ist, dass wir bei der Fortschreibung des Blei-berechts differenzieren, ob jemand wirklich aktiv ver-sucht hat, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrie-ren. Die entscheidende Stellschraube für eineerfolgreiche Integration in eine Gesellschaft ist, dassman sich zumindest ernsthaft bemüht, Arbeit zu bekom-men.
Ich gestehe durchaus: Wir befinden uns in der schwers-ten Wirtschafts- und Finanzkrise seit der Gründung derBundesrepublik. Es ist derzeit schon für viele Deutschenicht einfach, eine Arbeitsstelle zu bekommen. Umsoschwieriger ist es für viele Ausländer – das ist vollkom-men zugestanden –, in Deutschland Arbeit zu bekom-men.
Deswegen würde ich sogar so weit gehen, nicht zu for-dern, dass diese Personen tatsächlich eine Arbeitsstellebekommen haben müssen. Das Einzige, was ich von ei-nem Geduldeten verlange, ist – das ist nicht zu viel ver-langt –, dass er sich ernsthaft bemüht, Arbeit zu bekom-men.Weiterhin sollte es folgendermaßen sein: Wenn Kin-der vorhanden sind, sollten diese eine Schule besuchen.Wenn jemand über ausreichenden Wohnraum verfügt,dann rechtfertigt dies meines Erachtens, ihm weiterhinden Verbleib in Deutschland zu gestatten. Natürlich kannman von jemandem, der ernsthaft versucht, sich in diedeutsche Gesellschaft zu integrieren, auch erwarten, dasser sich zumindest Grundkenntnisse der deutschen Spra-che aneignet. All dies sind Aspekte, die meines Erach-tens zu gewichten und zu werten sind, wenn es darumgeht, festzulegen, ob eine Person weiterhin eine Bleibe-rechtsregelung genießen darf oder nicht.
Ich halte nichts von einer gesetzlichen Regelung. DieLänder sind die verantwortlichen Instanzen, wenn es da-rum geht, das Ausländer- und das Aufenthaltsrecht zuexekutieren.
Die Bleiberechtsregelung ist nun einmal eine Ausnah-mebestimmung. Deswegen halte ich es für durchaussinnvoll und sachgerecht, dass sich die Bundesländerund die Innenministerkonferenz der Länder mit dieserThematik beschäftigen. Die nächste Innenministerkonfe-renz steht alsbald an, und zwar am 3. und 4. Dezemberdieses Jahres. Ich bin der guten Hoffnung, dass es denInnenministern aller unterschiedlichen Parteien gelingt,eine sachgerechte und vernünftige Fortschreibung derBleiberechtsregelung zu erreichen.bnbvswbEvflmwhkesRfkRsgcgShntudgSsa
Ich möchte eines klarmachen: Der Inhalt einer Blei-erechtsregelung darf nicht dazu führen, dass die Perso-en privilegiert werden, die sich nicht aktiv bemüht ha-en, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, dieielleicht sogar ihre Identität und ihre Herkunft ver-chleiert haben, die vielleicht ihre Legitimationspapiereeggeworfen haben und die sich nicht aktiv bemüht ha-en, eine Arbeitsstelle in Deutschland zu bekommen.
s gilt ganz klar, diesen Personen das Bleiberecht zuersagen.Ich bin der festen Überzeugung, dass man diesem dif-erenzierten Ansatz, den ich jetzt dargestellt habe, in al-erbester Weise in Form einer Regelung durch die Innen-inisterkonferenz, die in der nächsten Woche stattfindenird, gerecht wird. Diese unterschiedlichen Sachver-alte, diese unterschiedlichen Lebenswirklichkeitenann man meines Erachtens nicht in ein Gesetz und ininen oder zwei Paragrafen gießen. Es ist wesentlichachgerechter und vernünftiger, eine ausdifferenzierteegelung im Rahmen der Innenministerkonferenz zuinden. Die Anzeichen sind positiv. Die bisherigen An-ündigungen der Länderinnenminister gehen in dieichtung, dass es relativ einfach sein wird, eine Fort-chreibung der Bleiberechtsregelung zu erreichen. Ichlaube, dass dies in allerbester Weise den unterschiedli-hen Befindlichkeiten und den berechtigten Erwartun-en auf allen möglichen Seiten gerecht wird. In dieseminne gilt es, den Vorlagen der Grünen und der Linkeneute die Zustimmung zu verweigern. Ich hege die hoff-ungsvolle Erwartung, dass es den Länderinnenminis-ern in der nächsten Woche gelingt, eine sachgerechtend vernünftige Lösung zu finden.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufen Drucksachen 17/19 und 17/34 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 buf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzeszur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-setzbuch– Drucksache 17/41 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 465
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Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang ThierseÜberweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau und StadtentwicklungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KatjaKipping, Klaus Ernst, Dr. Gesine Lötzsch, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKEBundesbeteiligung bei Kosten der Unterkunftnach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbucherhöhen– Drucksache 17/75 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-tarischen Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel das Wort.H
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heu-
tige Beratungsbedarf ergibt sich aus dem Vierten Gesetz
für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Im
Jahr 2004 hat man bekanntlich beschlossen, dass sich
der Bund im Rahmen der Zusammenführung von Sozial-
hilfe und Arbeitslosenhilfe an den Kosten der Unterkunft
beteiligt, und hat dann Modalitäten festgelegt. Nachdem
man zunächst einmal zwei Jahre spitz abgerechnet hat,
hat man gemerkt, dass das sehr viel Bürokratie verur-
sacht. Dann hat man eine Formel entwickelt, die für die
Zeit ab dem Jahr 2008 angewendet wird.
Seitdem gilt die Formel, dass man die Kosten-
beteiligung danach bemisst, ob die Zahl der Bedarfs-
gemeinschaften konstant ist oder gegenüber dem
Vorjahreszeitraum abweicht. Wenn die Zahl der Be-
darfsgemeinschaften gegenüber dem vorigen Berech-
nungszeitraum – das ist jeweils Juli eines Jahres bis
Juni des nächsten Jahres – um mehr als 0,5 Prozent ab-
weicht, dann muss eine nach der Formel vorgegebene
Angleichung stattfinden. Aus dem Grund ist man jetzt
bereits bei der sechsten Änderung angekommen. Im
Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 ist die Zahl der
Bedarfsgemeinschaften in Deutschland um 3,4 Prozent
zurückgegangen. Aus der Formel ergibt sich damit ein
Anpassungsbedarf von 3,4 Prozent zum letzten Berech-
nungszeitraum. Damit liegt der Rückgang über 0,5 Pro-
zent, und daher haben wir die sechste Änderung.
Bislang betrug die Kostenbeteiligung des Bundes
durchschnittlich 26 Prozent. Wenn man die Formel an-
wendet, dann ergibt sich, dass die Rate um 2,4 Prozent-
punkte sinkt und damit auf 23,6 Prozent festzuschreiben
ist. Das ist der wesentliche Bestandteil dieses Gesetzes.
Als alter Haushälter habe ich kurz ausgerechnet, wie
sich das in Euro niederschlägt. Wir haben auf der Basis
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Worum geht es dabei? Es geht im Grunde darum, dassir altbekannte Argumente austauschen. Dann wird einentscheidung getroffen, und wir fragen uns hinterher:ind wir in der Sache weitergekommen? Heute wird esn einem Punkt ein bisschen spannender. Ich freue michchon auf Ihre erste Rede im Bundestag, werter Kollegeon der FDP.
Mit Recht. – Denn er wird ein Kunststück vollbringen:r wird uns zeigen, wie die FDP eine Volte macht vonisher „immer dagegen“ hin zu jetzt „voll dafür“.
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466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Gabriele Lösekrug-Möller
Wir wissen, dass bei den Linken und den Grünenebenso wie bei den kommunalen Spitzenverbänden dasHerz höher schlägt, wenn man sagt: Wir beteiligen unsanteilig an den Kosten der Unterkunft, weil sie so gestie-gen sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang immersehr gern an eine Kleinigkeit: Dieser Kompromiss wurdemit Zustimmung der Bundesländer gefunden. Gelegent-lich fehlt dafür das Erinnerungsvermögen. Jahr für Jahrhaben wir mit den Bundesländern verhandelt – Basar-techniken kamen zur Anwendung –, bis man eines Tagesauf die Formel stieß, die die Lösung sein sollte. Jetztwird genau diese Formel infrage gestellt.Was ist der Kern dieser Formel? Der Kern dieser For-mel ist, dass wir abheben auf die Zahl der Bedarfsge-meinschaften. Herr Staatssekretär Fuchtel hat gerade er-läutert, wie das funktioniert. Bestritten wird, dass daszielführend sei. Ich behaupte: Wer eine gute, aktivie-rende Arbeitsmarktpolitik auf Bundesebene macht, fürden ist diese Formel richtig, weil es das entsprechendeSteuerungsinstrument ist.
Aber ich muss schon sagen, Kollege Schiewerling:Sie stehen vor großen Herausforderungen. Im Augen-blick kann ich nicht erkennen, dass die neue Regierungwirklich eine aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben will.
Herr Fuchtel hat sich an dieser Stelle erfreut darüber ge-zeigt, dass wir den Gesetzgebungsprozess beschleuni-gen. Dem entgegne ich: 50 000 Beschäftigte in den Ar-gen hätten sich gefreut, wenn Sie etwas schnellergewesen wären.
Sie warten nämlich bis heute darauf, wie es weitergeht.Kommen wir zurück zu der Formel, um die es heutegeht. Sie ist im Einvernehmen beschlossen worden. Icherinnere nur an Folgendes – das hören einige ungern –:Es sind sozusagen Kompensationsgeschäfte gewesen. Indiesem Zusammenhang wurden im Sommer 2008 – dasist noch nicht so lange her – verbessernde Regelungenzulasten des Bundes getroffen, was die Kostenbeteili-gung an der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbs-unfähigkeit betrifft. Wir haben das Wohngeld novelliert.Wir haben den Kinderzuschlag verbessert. Beides sindInstrumente, die sich mindernd auf die Kosten der Un-terkunft auswirken. Einfach zu sagen, diese Formel seinicht zielführend, ist deshalb, finde ich, zu kurz gesprun-gen. So viel will ich auch zum Antrag der Linken sagen.IsskmgvdMFAAdaSwl––dmZüVaivmcKsSsweaanRRwdf
Nein!
Herr Kolb, wenn Sie eine Antwort haben möchten,ann können Sie mich fragen. Dann verlängert sicheine Redezeit. Dann gehe ich auch gerne auf Ihrenwischenruf ein.
Jetzt aber sage ich: Dieser Niedriglohnsektor, derber die Erhöhung der Hinzuverdienstgrenzen und denerzicht auf die Einführung von Mindestlöhnen massivusgeweitet wird, treibt Menschen in die Abhängigkeit,n Bedarfsgemeinschaften und macht sie zu Empfängernon Leistungen nach SGB II. Das finde ich unwürdig.
Ich will hinzufügen – das muss man in Kombinationit dem Vorherigen sehen –: Wir wissen, dass es zahlrei-he Widerspruchs- und Klageverfahren gerade bezüglichosten der Unterkunft gibt. In Ihrem Koalitionsvertragteht jedoch ein Prüfauftrag, und Sie geben da Ihrerorge Ausdruck, dass Prozesskosten- und Beratungshilfeozusagen unzulässigerweise in Anspruch genommenerden. Das halte ich für hinterhältig. Wenn wir heuterkennen, dass es einen klaren Anspruch der Menschenuf eine Leistung gibt, den sie berechtigt erheben, dieserber nicht immer sauber erfüllt wird, dann dürfen wiricht noch die Möglichkeiten der Personen beschneiden,echt zu bekommen. Das finde ich unanständig.
Deshalb – damit komme ich zum Schluss meinerede – werden wir uns nicht mit dem zufriedengeben,as wir haben. Wir sind strikt der Meinung, Herr Kolb,ass das, was arbeitsmarktpolitisch passiert, völlig in diealsche Richtung geht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 467
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Gabriele Lösekrug-Möller
Als jemand, der auf kommunaler Ebene Verantwortungträgt, hoffe ich, Herr Kolb, dass Sie sich doch zumindestan das halten werden, was Sie im Koalitionsvertrag be-schlossen haben.
Sollten Sie an der Stelle schon wortbrüchig werden, hät-ten Sie ein Tempo drauf, das atemberaubend wäre.
Kommunen schreien zurzeit auf, weil sie wirklichSorge haben, an den Rand gedrängt zu werden. Das istauch Fakt: Sie werden an den Rand gedrängt durch eineSteuerpolitik, die zu massiven Einnahmeausfällen aufkommunaler Ebene führt. Sie haben die Sorge, dass dieGewerbesteuer wegbricht. Sie müssen sich Sorgen ma-chen, dass Dienstleistungen kommunaler Natur mehr-wertsteuerpflichtig werden. Das heißt, in den Haushaltender Gemeinden wird es richtig eng. Sie aber kommen da-her und sagen, das müsse man eben in Kauf nehmen. Ichsage Ihnen: Nein.Die Lösung liegt allerdings nicht darin, bei den Kos-ten der Unterkunft die Bemessungsgrundlage bzw. dieFormel zu verändern, sondern die Lösung läge darin,eine Politik zu machen, die menschenwürdig ist und denKommunen eine gute Zukunft gibt.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Pascal Kober für die FDP-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitdem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Höhe der Be-teiligungen des Bundes an den kommunalen Leistungenfür Unterkunft und Heizung nach § 46 SGB II für dasJahr 2010 festgelegt werden.Frau Lösekrug-Möller, auch wenn wir als FDP-Frak-tion im Bundestag in der Vergangenheit immer wiederAnfragen bezüglich des zugrunde liegenden Berech-nungsverfahrens für den Bundesanteil formuliert haben,stellen wir uns dem vorliegenden Gesetzentwurf derBundesregierung, der noch unter Federführung des altenKabinetts beraten worden ist, nicht in den Weg.
Zu Ihrer Information, Frau Lösekrug-Möller: Wir habenuns das letzte Mal bei der Stimmabgabe in der Sacheenthalten, wiewohl wir in der Tat Anfragen haben.AKPfaSwadgoFcmzUgumpwPkDssvnFbaddTragws
Im Moment geht es nach meiner Auffassung und nachuffassung der FDP vor allen Dingen darum, dass dieommunen in der Kürze der Zeit rasch die notwendigelanungssicherheit und letztendlich auch die zugesagteinanzielle Entlastung erhalten.
Für die Zukunft möchte ich allerdings – das sage ichuch in schwäbisch-freundlicher Verbundenheit zumtaatssekretär Fuchtel –, dass sich etwas ändert. Dasird nicht leicht, vielleicht auch nicht mit unserem Ko-litionspartner, aber ich vertraue in diesem Fall zumin-est am Anfang der Legislaturperiode auf die Kraft deruten Argumente.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, einem neuen Abge-rdneten fällt bei der Vorbereitung auf die vorliegenderagestellung zunächst und vor allem die schier unendli-he Komplexität der Materie auf, die komplizierte Syste-atik der Anpassungsformel, die der Berechnung desugesagten Bundeszuschusses an die Kommunen fürnterkunft und Heizung zugrunde liegt, die in der Ver-angenheit übrigens auch von erfahrenen Kolleginnennd Kollegen in einer Plenardebatte kaum mehr zu ver-itteln schien. Es ist meiner Auffassung nach eine Frageolitischer und damit auch sozialer Verantwortung, dassir uns in Zukunft bemühen, die Ergebnisse unsererolitik so zu gestalten, dass die Menschen sie verstehenönnen.
as ist eben auch eine Frage des Respekts vor den Men-chen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind;ie sollten die Prozesse und Ergebnisse unserer Politik,on denen sie abhängig sind, wenigstens verstehen undachvollziehen können.Von daher bleibt die grundsätzliche Forderung derDP nach Vereinfachung und Entflechtung der Finanz-eziehungen von Bund, Ländern und Kommunen hoch-ktuell. Wir werden in allen Bereichen unserer Politik inen kommenden vier Jahren darauf achten, dass wir anieser Stelle entscheidend vorankommen werden.
Wir werden, bei aller Notwendigkeit unterstützenderransferleistungen, unsere Verantwortung vor allem da-in sehen, es den betroffenen Menschen zu ermöglichen,us schwierigen Lebenssituationen und aus der Abhän-igkeit von staatlicher Unterstützung möglichst raschieder herauszukommen und ein so weit es irgend gehtelbstbestimmtes Leben zu führen.
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468 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Pascal KoberWir werden als FDP darüber hinaus in den kommen-den vier Jahren Sozialpolitik auch als Präventionspolitikverstehen, definieren und gestalten; denn Vorsorge ist indiesem Bereich immer besser als Nachsorge.
Das gilt einerseits unter haushaltspolitischen Gesichts-punkten und ist deshalb auch eine Frage der Gerechtig-keit gegenüber künftigen Generationen, also eine Frageder Gerechtigkeit gegenüber in der Zukunft lebenden aufstaatliche Unterstützung angewiesenen Menschen.
Aber das Prinzip „Vorsorge ist besser als Nachsorge“ giltandererseits vor allem aufgrund unserer liberalen Pers-pektive bezüglich des Menschen und der Gesellschaft.Eine Gesellschaft muss – das ist meine Auffassung – sogestaltet sein, dass möglichst alle Menschen in der Lagesind, ihre jeweiligen Begabungen zu erkennen, sie aus-zubilden und schließlich dauerhaft und möglichst selbst-bestimmt für sich selbst und andere einsetzen zu können.
Wir haben in diesem Bereich im Koalitionsvertrag be-reits entscheidende Akzente gesetzt, insbesondere in derBildungs- und Familienpolitik sowie der Integrations-politik, aber nicht zuletzt auch in der Arbeitsmarkt-,Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Denn nach wie vor ist Arbeitslosigkeit die Hauptursachefür Bedürftigkeit und Armut, für prekäre Lebenssituatio-nen in unserem Land. Deshalb unterstützen wir alleMaßnahmen, die auf dauerhaftes wirtschaftlichesWachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen ausge-richtet sind.
Der häufig aus ideologischen Gründen künstlich auf-rechterhaltene Gegensatz von ökonomischer Vernunftund sozialstaatlicher Verantwortung hilft keinem vonArmut, prekärer Lebenssituation oder ArbeitslosigkeitBetroffenen und gehört daher endlich überwunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin stolz darauf,einer Bundestagsfraktion anzugehören, die an dieserStelle im Sinne der Menschen einen ganzheitlichen undin sich stringent gedachten sozialpolitischen Ansatz ver-folgt.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Kollege Kober, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Ich gratuliere Ihnen herzlich und wünsche
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a aber zwei Leute Anspruch auf eine größere Wohnungaben und in der anderen Bedarfsgemeinschaft ein Kind
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 469
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Katja Kippinggeboren worden ist, fällt plötzlich die durchschnittlicheMiete deutlich höher aus; sagen wir einmal 300 Euro.Zwei Bedarfsgemeinschaften mal eine Miete von300 Euro ergeben wieder 600 Euro. Die Kosten bleibenalso gleich; der Bund zahlt jedoch weniger. Wer hat dieMehrlasten zu tragen? Die Kommune. Wenn in denKommunen das Geld fehlt, dann fehlt es konkret für Se-niorenbegegnungsstätten, Jugendklubs oder aber Kitas.Das ist ein Fehlen an der falschen Stelle.
Wir haben immer deutlich gemacht: Hier kann nur einWeg der richtige sein. Wir müssen von der Bezugsgrößeder Bedarfsgemeinschaften wegkommen. Vielmehrmüssen die tatsächlich entstandenen Kosten der Maßstabfür die Bundesbeteiligung sein. – Meine Damen undHerren von der FDP, da könnten Sie ruhig klatschen;denn hierbei handelt es sich um ein Zitat Ihres KollegenHaustein vor nicht allzu langer Zeit zu diesem Thema.Auf die Kommunen kommt in diesem und im nächs-ten Jahr ohnehin eine enorme Mehrbelastung aufgrundder Krise zu. Wir dürfen die Kommunen nicht länger imRegen stehen lassen. Deswegen hat die Linke einen ei-genen Antrag eingebracht. Wir schlagen vor: Der Anteildes Bundes muss sich an den tatsächlichen Kosten be-messen; denn wenn in den Kommunen Geld fehlt, dannfehlt es an der falschen Stelle.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Britta Haßelmann für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Wenn man Herrn Fuchtel so hört, hat man den Ein-
druck, es gehe heute um ein paar mathematische For-
meln: Hier und da ein bisschen Formel ergibt die sechste
Änderung dort. Herr Fuchtel, es geht hier knallhart um
die Kommunen. Es geht darum, wie die Kommunen in
Zukunft die Daseinsvorsorge sicherstellen können.
Ich möchte Ihnen Folgendes in Erinnerung rufen
– vielleicht interessieren Sie ein paar Zahlen –: Wir, der
Deutsche Bundestag, sind durch die Bundesratsinitia-
tive, die aus dem schwarz-gelben NRW kommt und ein-
stimmig im Bundesrat verabschiedet wurde, aufgefor-
dert worden, endlich zu agieren und uns nicht immer auf
die Schulter zu klopfen und zu sagen: Wir haben 2005
eine wunderbare Formel verabschiedet, und jetzt schrei-
ben wir diese zum sechsten, siebten, achten Mal fort. Die
gestiegenen Ausgaben für die Kosten der Unterkunft,
das heißt Sozialausgaben der Kommunen, sind von 2005
bis 2010 von 8,7 Milliarden Euro auf 12,1 Milliarden
Euro gestiegen. Was hat der Deutsche Bundestag in die-
ser Zeit getan? Er will mit diesem Gesetzentwurf die Re-
duzierung des Bundesanteils von ehemals 31,8 Prozent
auf 23,6 Prozent in 2010 beschließen. Das kann doch
wohl nicht Ihr Ernst sein! In einer Situation, in der es
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ch frage gerade Sie auf der rechten Seite des Plenums:
ie bekommen Sie es eigentlich hin, in Wuppertal, in
emscheid, in Solingen, dort, wo Sie Verantwortung tra-
en, dort, wo Sie Ihre Wahlkreise haben, den Menschen
u erklären: Wir machen einfach eine kleine, neue For-
elberechnung; das kostet euch mal eben 1,6 Milliarden
usätzlich, aber das ist halt so, wir können gerade nicht
nders?
Ich glaube, Herr Schiewerling – Sie sind ja noch nach
ir dran –, dass Sie das keinem erklären können. Im Ge-
ensatz zu Ihnen hat Josef Laumann das kapiert. Des-
alb gab es die Bundesratsinitiative von Schwarz-Gelb,
m Übrigen mit Unterstützung aller anderen Bundeslän-
er. Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, nicht dauernd zu
rklären, wir müssten über eine Änderung der Anpas-
ungsformel reden. Liebe Kollegin von der SPD, das hat
ns Herr Scholz in den letzten drei Jahren auch erklärt.
ir sollten endlich damit anfangen, die Kommunen
irklich zu entlasten. Sonst müssen Sie sich nicht wun-
ern, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Daseins-
orsorge sicherzustellen.
Das Wort hat der Kollege Karl Schiewerling für die
nionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! An den Kosten der Unter-unft und der Verteilung der Kosten kann man manchesestmachen, aber nicht die Kosten für Kitas, Jugend-eime, Kindergärten usw., Frau Kollegin Haßelmann.ir reden über ein Problem, das ich überhaupt nichtleinreden will, aber das gehört nicht zusammen.2005 hat kein Mensch im Blick gehabt, wie sich dasohl mit den Kosten der Unterkunft nach dem SGB IIntwickeln würde.
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470 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Karl SchiewerlingWir haben bereits von 2005 bis 2006 eine heftige Dis-kussion zwischen Bund, Ländern und Kommunen ge-führt. Deswegen haben sich 2006 Bund, Länder undKommunen darauf verständigt, dass Grundlage für dieBerechnung der Kosten der Unterkunft die Anzahl derBedarfsgemeinschaften ist.Ich kann mich noch gut an meinen Wahlkampf 2005erinnern, als mich ein Apotheker zu einem Gespräch ein-geladen hat. Ich sah einen Haufen von Bewerbungen inseinem Regal liegen. Ich habe ihn gefragt: Stellen Sieneue Mitarbeiter ein? Er sagte: Jawohl, ich suche eineneue Auszubildende, einen neuen Auszubildenden fürmeine Apotheke. Es gab viele Bewerbungen. Von denBewerbern haben sich nur zwei bereit erklärt, zu kom-men. Die übrigen haben gesagt, sie ziehen zu Hause aus,beziehen Hartz IV, haben ihre Wohnung, die sie auchnoch finanziert bekommen. Deswegen verzichten sie aufdie Ausbildungsstelle. – Das war 2005.
– Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.Halten Sie einen Augenblick inne und sehen Sie sich dieSituation an, wie sie war. Daraufhin hat der DeutscheBundestag, die Große Koalition reagiert. Er hat eine Re-form über die Frage herbeigeführt, wer zu einer Bedarfs-gemeinschaft gehört. Er hat beschlossen, dass eine Be-darfsgemeinschaft die Geschäftsgrundlage sein soll, unddas mit den Ländern und den Kommunen ausgehandelt.Ich halte diesen Weg, den wir in dieser Frage gegangensind, für den richtigen.Unter diesen Gesichtspunkten ist und bleibt der Bundein verlässlicher Partner in der gesamten Finanzierungdes SGB II. Wir werden aufgrund der Berechnungs-grundlage, der Hochrechnung für 2010, 3,7 MilliardenEuro zur Verfügung stellen. Wir werden diese Mittel inden Haushalt einstellen, weil dies die Geschäftsgrund-lage ist, auf die sich Bund, Länder und Kommunen mit-einander verständigt haben.
Frau Kollegin Lösekrug-Möller, ich glaube übrigens,dass die Frage, die Sie gestellt haben, ob wir im nächstenJahr schauen, inwieweit wir in der BerechnungsformelBesonderheiten berücksichtigen können, auch innerhalbder Koalition und bei uns eine Rolle spielt.
Das ist überhaupt keine Frage. Wenn wir jetzt aber nachdem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartof-feln“ anfangen, die Formel nach Gutsherrenart beliebigzu ändern, geraten wir mit dem gesamten System nochtiefer in ein Finanzierungsdurcheinander, und das kön-nen wir weder den Kommunen noch dem Bund noch denBetroffenen zumuten.
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Der Grund, warum sich Bund, Länder und Kommu-en damals auf diese Regelung der Kosten der Unter-unft im SGB II verständigt haben, ist schlicht und ein-ach, dass die Auswirkungen der arbeitsmarktpolitischenituation besser an der Anzahl der Bedarfsgemeinschaf-en festgemacht werden können und nicht so gut daran,ie die Kosten insgesamt gestiegen sind. Die Kommu-en haben ausdrücklich den Auftrag, in ihrem Bereichu gestalten. Sie sind es, die feststellen können, ob dieohnung angemessen ist. Sie sind es, die feststellenönnen, ob bezogen auf den jeweiligen Hilfeempfängerer Bedarf einer Neuregelung besteht. Die Kommunenaben die Verantwortung dafür. Das war der Grund, wa-um wir uns darauf verständigt haben, dass die Bedarfs-emeinschaften die Geschäftsgrundlage sind.
Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit und wie-erhole mich gerne: Das SGB II ist ein lernendes Sys-em. Das gilt nicht nur für die Argen vor Ort und für dieptionskommunen, sondern das gilt auch für den Bund,ür die Länder, für die Kommunen und für die Betroffe-en. Das gilt für all diejenigen, die dazu beitragen wol-en, dass die Menschen, die im SGB-II-System sind, iner Grundsicherung für Arbeitsuchende, Hilfe und Un-erstützung bekommen, damit sie aus dieser Grundsiche-ung so schnell wie möglich herauskommen. Das Zielann nicht sein, auf Dauer in dieser Situation zu bleiben,ondern die Menschen müssen da herauskommen.Ich gehe davon aus, dass wir die Entscheidungen be-üglich der Kosten der Unterkunft in diesem Jahr tref-en. Ich halte das für absolut notwendig, damit Verläss-ichkeit und Planbarkeit für alle Beteiligten in demystem weiterhin bestehen.Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagenuf den Drucksachen 17/41 und 17/75 an die in der Ta-esordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.ind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dannind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf:a) Beratung des Antrags der Abgeordneten ThiloHoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENDemokratie in Honduras– Drucksache 17/33 –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 471
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Vizepräsidentin Petra Paub) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEDemokratiebewegung in Honduras unterstüt-zen – Wahlen der Putschisten nicht anerken-nen– Drucksache 17/60 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ichhöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeThilo Hoppe für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Vor dem 28. Juni dieses Jahres dachte ich, dass Militär-putsche in Lateinamerika endgültig der Vergangenheitangehören. Ich dachte, die Zeiten, in denen politisch un-liebsame Präsidenten mit vorgehaltener Waffe nachts ausdem Bett geholt und nur mit Unterwäsche bekleidet au-ßer Landes geflogen werden, seien ein für alle Mal vor-bei. Ich hoffte, nie wieder lesen zu müssen, dass politi-sche Gegner in Fußballstadien eingesperrt werden. Ichhabe mich leider getäuscht.Der Putsch gegen den legitimen Präsidenten vonHonduras, Manuel Zelaya, zeigt, dass diese dunklen Sei-ten der lateinamerikanischen Geschichte leider wiederTeil der Gegenwart sind. Die internationale Gemein-schaft hat diesen Putsch zu Recht deutlich und einstim-mig verurteilt. Kein einziger Staat dieser Welt hat denvon den Putschisten eingesetzten Präsidenten, RobertoMicheletti, anerkannt. Viele Botschafter von Hondurasfolgten nicht den Anweisungen der Putschisten, sondernblieben dem legitimen Präsidenten treu, so auch derhonduranische Botschafter in Deutschland, RobertoCastañeda, der die heutige Debatte von der Tribüne ausverfolgt und den ich herzlich grüße.
Vor allem für die Staaten Lateinamerikas sind die Ver-urteilung dieses Putsches und die Kraftanstrengung fürdie Rückkehr des legitimen Präsidenten von enormerBedeutung; zugleich ist es die Verteidigung der eigenenDemokratie. Hier geht es nicht nur um Honduras, son-dern um ganz Lateinamerika. Es geht nicht um die Frage„Zelaya oder Micheletti?“, sondern um die Frage„Demokratie oder nicht?“; denn wenn die Rechnung derPutschisten aufgeht und sie aus dieser Aktion irgend-einen Vorteil ziehen können, dann ist die Gefahr groß,dass dieses Beispiel Schule macht und andere unlieb-same Präsidenten in Gefahr geraten, beseitigt zu werden.Auch deshalb hat die Organisation Amerikanischer Staa-ten diesen Putsch so scharf und einmütig verurteilt unddie Rückkehr Zelayas gefordert. Sie hat versucht, zu ver-mitteln – leider ohne Erfolg.Am kommenden Sonntag soll das honduranische Volkeinen neuen Präsidenten, den Kongress, Bürgermeisterund Gemeinderäte wählen. Die Putschisten haben allesgetan, um bis zu den Wahlen an der Macht zu bleibenurnHksfP3AwhzmrelPtCabswzbsgBWgWbSgZFFNrMNdVSssVddaa
ichtig ist jetzt aber, dass die Reihen geschlossen blei-en und das Ergebnis der Scheinwahlen am kommendenonntag auf keinen Fall anerkannt wird.Ich hoffe, dass die Position der bisherigen Bundesre-ierung jetzt nicht aufgegeben wird. Leider habe ich daweifel. Das liegt am haarsträubenden Agieren derriedrich-Naumann-Stiftung. Wohl aufgrund einer engenreundschaft zwischen dem Büroleiter der Friedrich-aumann-Stiftung in Tegucigalpa und dem jetzigen libe-alen Präsidentschaftskandidaten Edwin Santos, einemitbetreiber des Putsches, bemühte sich die Friedrich-aumann-Stiftung schon zwei Tage nach dem Putsch,er erstaunten Öffentlichkeit zu erklären, dass sich dieereinten Nationen, die Organisation Amerikanischertaaten und die Europäische Union – schlicht die ge-amte internationale Gemeinschaft – irren. Dieser Putschei gar kein Putsch gewesen, sondern die notwendigeerteidigung der Demokratie gegen einen Präsidenten,er einen Verfassungsbruch geplant habe.Ich möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen voner FDP, dringend bitten, auch auf die anderen Liberalenus Honduras zu hören, die diesen Putsch verurteilen,uf den Botschafter in Berlin und auf den legitimen
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472 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Thilo HoppeVizepräsidenten von Honduras, der sich jetzt im Exil be-findet und Stipendiat der Friedrich-Naumann-Stiftungist. Ich hoffe sehr, dass der Kurs der Friedrich-Naumann-Stiftung noch korrigiert werden kann.
Kollege Hoppe, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ansonsten ist die Gefahr groß, dass die krasse Außen-
seiterposition der Friedrich-Naumann-Stiftung – gegen
den Rest der Welt – zur Position des deutschen Außen-
ministers wird. Das wäre fatal.
Ich hoffe, dass es heute im Rahmen dieser Debatte
eine Klarstellung der Position der Bundesregierung ge-
ben wird. Es muss Konsens unter Demokratinnen und
Demokraten sein, einem Militärputsch eine klare Absage
zu erteilen und Scheinwahlen nicht anzuerkennen.
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Erich
Fritz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Kollege Hoppe, was Sie eingangs Ihrer Rede ge-sagt haben, ist, glaube ich, übereinstimmende Meinungdieses Hauses.
Sie haben richtig dargestellt, in welcher Weise die Bun-desrepublik Deutschland durch ihre Regierung in dieserFrage agiert hat und dass wir das in großer Übereinstim-mung mit unseren europäischen Partnern tun. Es kannkeine Toleranz für die Außerkraftsetzung von Verfassun-gen und für die Beseitigung des Demokratieprinzips ge-ben, auch nicht in Lateinamerika.
Ich muss hier jedoch sagen – das sei mir gestattet –, dassich mir an einigen anderen Stellen, zum Beispiel im Vor-feld der Wahlen in Venezuela, manches klarstellendeWort gewünscht hätte. Denn auch dort wurden Wahlenunter nicht direkt vergleichbaren, aber doch nicht so un-ähnlichen Zuständen durchgeführt.
Seit fünf Monaten ist der Staatspräsident von Hondu-ras, Zelaya, wie dargestellt, unrechtmäßig nicht mehr imAmt. Man kann nur bedauern, dass in einer Region, diewie kaum eine andere darauf angewiesen ist, Ruhe undSeePrudNeHsbeDsgKdZedSgSgsbdr–askwgbZVqWuanfsdwolgiFsD
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atürlich können wir auch nicht sagen, dass die Pro-leme gelöst sind, weil irgendwie gewählt worden ist;uch darin sind wir uns einig. Wir sollten uns nicht imorfeld festlegen und dadurch dazu beitragen, dass eineus dem Ergebnis unter Umständen erwachsende Chanceür ein neues Gespräch der heute verfeindeten – oder wieuch immer man das bezeichnen will – Gruppen vertanird.
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474 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Klaus
Barthel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich denke, ganz unabhängig davon, was nachher nochüber die handelnden Personen und die politischen Hin-tergründe der Vorgänge in Honduras gesagt wird, mussman zunächst einmal feststellen: Ein Putsch bleibt einPutsch und ist zu verurteilen. Für einen Putsch kann eskeine Rechtfertigung geben.
Auch dafür – darüber dürfen wir nicht hinweggehen –,dass in Honduras die Menschen- und Bürgerrechte ver-letzt werden, kann es keine Rechtfertigung geben.Die neue Bundesregierung sollte sich deswegen in dieKontinuität ihrer Vorgängerin stellen. Ich will daran er-innern, dass Außenminister Steinmeier am 29. Juni deut-lich gemacht hat, dass die Bundesrepublik Deutschlandden Putsch verurteilt, dass wir fordern, dass zu Rechtund Gesetz zurückgekehrt wird, dass die Entwicklungs-zusammenarbeit eingefroren wird, dass es für uns keineZusammenarbeit mit den Putschisten, mit der jetzigenRegierung, gibt und dass es einen europäischen Konsensdarüber gibt, die Botschafter abzuziehen.Schwarz-Gelb – da bin ich gespannt, was nochkommt – hat noch Klärungsbedarf bei allem, was HerrFritz hier gesagt hat. Die Friedrich-Naumann-Stiftung istnicht irgendwer: Ihre führenden Vertreter sitzen hier imDeutschen Bundestag, sogar in der Bundesregierung.Auf Veranstaltungen der Friedrich-Naumann-Stiftungwurde dieser Putsch verharmlost und gerechtfertigt. An-hänger des Putsches wurden nach Deutschland eingela-den und nach Strich und Faden hofiert. Verantwortlichdafür sind unter anderem Westerwelles Vorgänger MdBDr. Gerhardt – heute scheinbar nicht anwesend – und derjetzige Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Hoyer –offensichtlich auch nicht anwesend. Bis heute haben wirzu diesen skandalösen Vorgängen noch kein Dementi derBürgerrechtspartei FDP gehört.
Ich muss schon sagen, meine erste Assoziation war:Mich erinnert das Ganze an die 70er-Jahre und an dieZeit davor, als Unionspolitiker, vor allen Dingen aus derCSU, engste Kontakte zu den Putschisten und Rechts-diktatoren in Lateinamerika unterhalten und demonstra-tiv gepflegt haben, in Chile, in den Fußballstadien, wa-ren, es dort ganz angenehm gefunden haben usw. Ichdachte eigentlich, diese Zeiten sind vorbei.
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Vorsicht mit dem Beifall von der FDP.
Wichtiger ist es, dass die Bundesregierung ihre Hal-ung einmal klärt. Die FDP ist mit ihrer Friedrich-aumann-Stiftung nämlich immerhin die Partei des Au-enministers, und die hat sich in dieser Frage doch völligergaloppiert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 475
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Klaus BarthelZunächst, 2005, hat man Zelaya unterstützt, obwohlman jetzt im Nachhinein erklärt, schon 2004 habe er sichvon Herrn Chávez sponsern lassen. Zuerst hat man be-stritten, dass es ein Putsch war. Immerhin schrieb der jet-
„Von einem ,Militärputsch‘,
der keiner war“. – Das heißt, er hat bestritten, dass es ein
Putsch war – siehe Die Welt, 3. Juli 2009. Ich kann nur
sagen: Wenn er sich davon nicht distanziert – heute ist er
ja nicht da –, dann ist er an verantwortlicher Stelle für
die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland ei-
gentlich nicht mehr tragbar. Dann muss die Bundesregie-
rung die Konsequenzen daraus ziehen.
Inzwischen rudert die Friedrich-Naumann-Stiftung ja
sogar zurück. Herr Lüth hat inzwischen wörtlich erklärt
– auch das muss man sich auf der Zunge zergehen las-
sen; es ging um den Militärputsch –: „So glatt, wie es am
Anfang aussah, ist es nicht gelaufen“. – Das sagte er jetzt
im November, da die Herrschaften regieren. Er fordert
jetzt wieder die Einsetzung von Zelaya; denn sonst
könne man die Wahlen vergessen.
Was gilt denn jetzt eigentlich für die Partei, die den
Außenminister stellt? Bleibt es jetzt bei der Position der
alten Bundesregierung, bleibt es bei der Position vom
Juli, oder bleibt es bei der jetzigen Position vom Novem-
ber? Wir sind sehr gespannt, etwas dazu zu hören.
Kollege Barthel, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. – Die beiden Anträge sind
in vielen Punkten unterstützenswert, aber sie sind ver-
einfacht und überholt. Sie bieten auch keine Lösung für
die verfahrene Situation. Deswegen werden wir von der
SPD uns zu beiden Anträgen enthalten. Ich befürchte
aber, dass wir uns mit Honduras noch öfter beschäftigen
müssen. Das sollten wir aber bitte etwas gründlicher, dif-
ferenzierter und lösungsorientierter tun.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Rainer
Stinner das Wort.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Es gibt in Südamerika leider seit Jahren und Jahr-
zehnten zwei unselige Traditionen. Die eine Tradition ist
die der Militärputsche, die wir alle verurteilen und ver-
dammen. Es hat sich aber leider in den letzten Jahren
eine zweite unselige Tradition eingestellt, nämlich dass
ursprünglich demokratisch gewählte und demokratisch
legitimierte Präsidenten plötzlich in der Zeitdauer ihrer
Präsidentschaft entdecken, dass es schön ist, Präsident
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Auch bei dieser zweiten unseligen Tradition müssen
ir genauer hinschauen, als Sie es getan haben, Herr
ollege von den Grünen. Was ist in Honduras gesche-
en, und was ist zu tun? Die beiden Antragsteller lassen
ie Verfassungskrise am 28. Juni beginnen, und sie for-
ern im Prinzip heute noch – im November 2009 – eine
iederherstellung des Status quo ante, der vorherigen
ituation.
Nachdem die erste Voraussetzung falsch war, ist die
olgerung auch falsch. Die Verfassungskrise hat eben
icht am 28. Juni begonnen. Ich sage ganz deutlich, Herr
arthel, meine Kolleginnen und Kollegen: Die Abschie-
ung Zelayas nach Costa Rica war widerrechtlich. Sie
erstieß gegen die Verfassung, und wir verurteilen die
bschiebung des Präsidenten Zelaya nach Costa Rica.
as ist eine klare Aussage.
Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Wir müs-
en zunächst fragen, was vor dem 28. Juni geschehen ist.
och wichtiger – deshalb habe ich bei der Rede des Kol-
egen von der SPD geklatscht, die Anträge weisen auf
einerlei Zukunftsvisionen hin – ist die Frage, was wir in
ukunft machen müssen. Nach unserer Einschätzung
wir kennen die beiden Protagonisten Zelaya und
icheletti durch die Stiftung besser als viele andere –
aftet keinem der beiden ein politischer Heiligenschein
n. Das muss man sehr deutlich feststellen, und damit
üssen wir auch umgehen.
Zelaya hat unbestritten vor dem 28. Juni gegen die
erfassung verstoßen. Er wollte mithilfe einer verfas-
ungswidrigen Volksbefragung eine verfassungswidrige
iederwahl möglich machen.
Kollege Stinner, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
ollegin Hänsel?
Im Moment nicht. Ich würde gerne noch ein bisscheneiterreden. – Er ließ verlauten – ich zitiere wörtlich –,ass er „die Gabe Gottes, mit dem Volk zu sprechen, sichicht von einigen Abgeordneten verbieten lassenerde“. Stellen Sie sich bitte einmal vor, Bundespräsi-ent Köhler würde in Deutschland sagen, die Gabe Got-es würde er sich von solchen Abgeordneten wie Herrnarthel nicht verbieten lassen. Das kann doch wohl nichtahr sein.
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476 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Dr. Rainer StinnerDass die Linken an solchen Verfassungsbrüchennichts auszusetzen haben, verwundert mich nicht.
Denn bei ihren Freunden und Kollegen Chávez undOrtega ist das an der Tagesordnung.Nochmals: Die Verfassungsbrüche Zelayas rechtferti-gen nicht seine Abschiebung ins Ausland. Er hätte nachrechtsstaatlichen Grundsätzen im Land Honduras vorGericht gestellt werden müssen.
Das ist nicht passiert, und das verurteilen wir.Aber Sie alle haben eines nicht gesagt: Vor dem28. Juni hat es einen langmonatigen Prozess gegeben, indem das oberste Verfassungsgericht und das Parlamenteingeschaltet waren und der Präsident angeklagt war.Ihm ist widersprochen worden, und ihm wurde verboten,das zu tun, was er gemacht hat, weil er damit gegen dieVerfassung verstoßen hat. Das nehmen Sie nicht zurKenntnis, und von daher kommen Sie automatisch zufalschen Schlüssen.
Deshalb sind Reflexion und differenzierte Betrach-tung nötig. Die üblichen Empörungsreflexe sind ver-ständlich. Ich will gar nicht beschönigen, was dort pas-siert. Ich bin weit davon entfernt.
– Nein, das tue ich nicht. Ich habe deutlich gesagt, dasswir diese Abschiebung verurteilen; denn sie ist verfas-sungswidrig.Sie sind nicht in der Lage, zu erkennen, dass die Basisfür die Ursachen vorher gelegt wurde; damit will ichnichts beschönigen. Aber das ist für die Linken nichtsUngewöhnliches. Sie verlieren zum Beispiel zu Nicara-gua kein kritisches Wort und legen hier eine undifferen-zierte Betrachtungsweise an den Tag.Beide Antragsteller fordern – wenn auch unterschied-lich scharf –, das Ergebnis der Präsidentschaftswahl inHonduras am nächsten Sonntag nicht anzuerkennen. Da-bei übersehen Sie völlig, was der Kollege Fritz gesagthat, nämlich dass die Vorbereitungen dieser Wahl längstvor dem 28. Juni begonnen haben –
Kollege Stinner, es gibt einen weiteren Fragewunsch,
diesmal von der Kollegin Dağdelen.
– im Augenblick nicht – und dass es sowohl bei der
Auswahl der Kandidaten als auch bei der Terminierung
vernünftig zugegangen ist. Nun gibt es Probleme; das
will ich gar nicht bestreiten. Aber die FDP bedauert im
Gegensatz zu Ihnen sehr nachdrücklich, dass es keine in-
ternationalen Wahlbeobachter in diesem Land gibt. Sie
sagen: Weil der Wahlprozess zweifelhaft ist, schicken
wir erst gar keine Wahlbeobachter hin. – Wenn wir uns
Ihre Auffassung zu eigen machten, dann könnten wir un-
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Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dağdelen
das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr
Kollege Stinner, da Sie mir und meiner Kollegin Frau
Hänsel, die anschließend reden wird, nicht die Möglich-
keit gegeben haben, eine Zwischenfrage zu stellen, blieb
mir nichts anderes übrig, als mich zu einer Kurzinterven-
tion zu melden.
Sie haben am Ende Ihrer Rede gesagt, dass die
Friedrich-Naumann-Stiftung differenzierter als andere
– die Europäische Kommission, das Europäische Parla-
ment, die Vereinten Nationen und viele Staaten – das
Ganze betrachtet und klarer und deutlicher verurteilt hat,
was in Honduras geschehen ist. Daher möchte ich Sie
bitten, Herr Stinner, auf folgende Frage klar und kurz zu
antworten: Verurteilen Sie das, was in Honduras gesche-
hen ist, und bezeichnen Sie es als Putsch oder nicht?
Frau Kollegin, ich bin immer sehr gerne bereit, meine
Rede für Sie zu wiederholen.
Ich habe in meiner Rede zweimal sehr deutlich gesagt,
dass die Ausweisung und die Verbringung von Herrn
Zelaya verfassungswidrig und rechtswidrig waren und
dass wir sie verurteilen. Das habe ich in meiner Rede
zweimal deutlich gesagt.
– Das kann man selbstverständlich auch als Putsch be-
zeichnen. Ich habe die Widerrechtlichkeit dieses Aktes
deutlich gemacht und dazu Stellung genommen.
Zwiegespräche gibt es allerdings mit diesem Instru-
ment der Geschäftsordnung nicht.
Es gibt aber eine Kurzintervention des Kollegen Hoppe,
die Ihnen die Chance gibt, noch einmal zu antworten.
Das ist dann auch die letzte Kurzintervention, die ich zu
diesem Beitrag zulasse. – Bitte.
Herr Kollege Stinner, ist Ihnen bewusst, dass eine
große Gruppe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
Volontären und ehemaligen Stipendiaten der Friedrich-
Naumann-Stiftung einen langen Brief geschrieben hat, in
dem sie gegen den Kurs der Naumann-Stiftung in dieser
Frage protestiert und sich davon distanziert? In dem
Brief wird auch die FDP aufgerufen, eine andere Hal-
tung einzunehmen.
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Sehr geehrter Kollege, ich habe deutlich gemacht,
ass in den Anträgen, die Ihre Fraktion und Ihre verehr-
en Kollegen der Linken gestellt haben, nicht ein ver-
ünftiger Ausweg für die Zukunft definiert worden ist.
ns kommt es darauf an, dass die Verfassungskrise in
onduras nachhaltig beendet wird, damit man dort zu ei-
er demokratischen bzw. möglichst demokratischen Si-
uation zurückkehrt. Dafür sollten wir uns einsetzen.
Wir sollten abwarten, was die Wahlen bringen. Wir
erden dann beurteilen müssen, wie sie gelaufen sind,
m anschließend gemeinsam mit der Europäischen
nion und anderen Partnern wie den Vereinigten Staaten
u beurteilen, wie wir diesem Land am besten helfen
önnen, damit es eine gute Zukunft hat.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
eike Hänsel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!err Stinner, ich muss Ihnen wirklich sagen: Das, wasie hier gerade ausgeführt haben, lässt bezüglich des De-okratieverständnisses der FDP tief blicken.
s ist überfällig, dass einer Ihrer Minister – ich begrüßeie, Herr Westerwelle – eine Stellungnahme zu diesemorfall abgibt. Ich habe schon einmal angemahnt, dasss keine Stellungnahme von Minister Westerwelle oderinister Niebel zu diesem Vorfall oder auch der jetztieder bestätigten Einschätzung des Putsches in Hondu-as gibt. Das ist in meinen Augen ein Skandal. Da istine Stellungnahme Ihrerseits überfällig.
Herr Stinner, Sie haben den Vorgang wiederholtalsch dargestellt; die Friedrich-Naumann-Stiftung tuties auch ständig. Es gibt und gab keine Verfassungs-rise in Honduras. Präsident Zelaya wollte eine Volksbe-ragung durchführen, die per Gesetz möglich ist. Es wur-
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478 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Heike Hänselden 400 000 Unterschriften gesammelt. Damit war dasQuorum erfüllt, um eine Volksbefragung durchzuführen.Diese sollte dann darüber befinden, ob das Parlamentüber eine Abstimmung für eine verfassungsgebende Ver-sammlung debattiert und ob zu den Wahlen eine weitereUrne aufgestellt werden soll.Das heißt, er hat sich also für Volksdemokratie undVolksmitbestimmung eingesetzt. Sie allerdings verurtei-len, dass hier eine direkte Mitbestimmung organisiertwerden soll.
Das ist ein absolutes Unding. Das war rechtmäßig. Hierfordern Sie, dass wir Referenden und mehr direkte De-mokratie brauchen. Das können Sie vergessen, wenn Siees schon Honduras nicht zugestehen wollen.
Man muss sich das einfach noch einmal vorstellen:Hier wird ein legitimierter Präsident, ein demokratischgewählter Präsident entführt. Sie sprechen immer von ei-ner Ausweisung. Er wurde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entführt, sitzt jetzt seit Wochen in der brasiliani-schen Botschaft und wartet darauf, dass er wieder inseine rechtmäßige Position eingesetzt wird. Aber dieFriedrich-Naumann-Stiftung vor Ort unterstützt auchnoch die Putschisten und spricht davon, dass es eine Le-gende sei, überhaupt von einem Putsch zu reden. Nichtnur die Friedrich-Naumann-Stiftung vor Ort tut das,auch Herr Gerhardt zum Beispiel hat Zelaya die morali-sche Autorität abgesprochen. Wo gibt es denn so etwas?Auch dazu hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ih-nen, Herr Gerhardt. Wie kommen Sie überhaupt zu so ei-ner Beurteilung? Das steht Ihnen überhaupt nicht zu.
Herr Hoppe hat dankenswerterweise den Brief der Exsti-pendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung erwähnt. Ichmöchte Ihnen daraus zwei Sätze vorlesen.
Ich zitiere:Wo sind die Menschenrechte, welche die Friedrich-Naumann-Stiftung zu verteidigen behauptet, wäh-rend sie sich in Honduras auf eine Verschwörungmit den Putschisten einlässt
und ihnen – entgegen der Position der Mitglieds-staaten der UNO, der Organisation AmerikanischerStaaten und der Europäischen Union – Hilfe ange-deihen lässt? … Wir wissen nicht, wie es inDeutschland aufgefasst wird, dass die Fonds derStiftung unter anderem dafür verwendet werden,eine Reise von Putschisten und Menschenrechtsver-letzern nach Europa zu finanzieren oder einenWahlprozess in Honduras zu unterstützen, der diewahrhaftige Ausübung der demokratischen Rechtenicht garantiert.Das sind klare Worte.
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Zum Schluss möchte ich sagen: Es ist wichtig, dassuch die Bundesregierung Stellung bezieht. Ich wundereich, dass sie sich auf EU-Ebene, zum Beispiel beimatstreffen, dafür ausgesprochen hat, dass es bezügliches Ausgangs der Wahlen keine Vorfestlegungen gebenoll. So hat der Verhandlungsführer der Bundesregierunguf Ratsebene argumentiert. Ich hätte gerne einmal einetellungnahme der Bundesregierung, wie sie denn dazuommt, dass sie jetzt die Europäische Union dazu an-reibt, keine Vorfestlegungen bezüglich der Bewertunger Wahlen durchzuführen.
Kollegin Hänsel, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. – Ich setze mich dafür ein, dass wir diese Wahlen
nsgesamt nicht anerkennen und dass wir damit die deut-
iche Botschaft in die Welt, nach Lateinamerika und
ach Honduras aussenden: Die Zeit der Militärputsche in
ateinamerika muss vorbei sein.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Stinner das
ort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr verehrte Kolle-in, ich sage es jetzt zum vierten Mal – ich habe es zwei-al in der Rede gesagt, ich habe es auf Nachfrage Ihrer
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Dr. Rainer StinnerKollegin gesagt, und ich sage es Ihnen noch einmal –:Ich habe im Namen meiner Fraktion das Vorgehen gegenHerrn Zelaya verurteilt.
Aber ich sage Ihnen sehr deutlich: Sie machen wiederumetwas, was ich bei Ihnen schon vorhin kritisiert habe: Sienehmen die Fakten nicht zur Kenntnis. FFP – faktenfreiePolitik.
Ich lese Ihnen einmal etwas vor: Am 24. März, über dreiMonate vor dem Datum im Juni, hat Herr Zelaya ein Re-ferendum angekündigt, und zwar ein Referendum auchüber nichtreformierbare Artikel der Verfassung. DerOberste Staatsanwalt – nicht das Militär, kein General –hat am 25. März eine Presseerklärung herausgegeben, inder er davor warnt, dass die angeordnete Volksbefragungeiner verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalte.Am 8. Mai leitete der Oberste Staatsanwalt des StaatesHonduras ein Strafverfahren gegen die Exekutive auf-grund des fragwürdigen Dekrets dieser Regierung ein.Am 20. Mai wies der Parlamentspräsident darauf hin,dass ein solches Referendum nicht verfassungskonformist. Am 27. Mai erklärte der Oberste Gerichtshof dasPräsidialdekret, bei dem es um das Referendum ging,aufgrund von Verfahrensfehlern für unwirksam. Ichüberschlage einige weitere Daten, weil Sie sich sowiesonicht alles merken können.
Irgendwann bemächtigte sich Herr Zelaya widerrecht-lich der Wahlurnen und machte den Spruch, auf den icheben hingewiesen habe. Außerdem gibt es die Aussage,dass Herr Zelaya vor dem Obersten Gerichtshof ange-klagt wird. Das alles sind Dinge, die vor dem Putsch ge-schehen sind.Nochmals, sehr verehrte Kollegin Hänsel: Das ent-schuldigt nicht das, was mit Herrn Zelaya passiert ist;aber es ist nun einmal der Vorlauf. Das müssen wir zurKenntnis nehmen.Noch einmal: Sie weisen keinen Weg in die Zukunft.Es geht uns um die Zukunft dieses Landes. Nur zu sa-gen: „Wir erkennen nichts an; wir machen so weiter; wirstürzen das Land ins Chaos“, kann keine Lösung sein.Auch wir als Deutsche müssen unsere Verantwortungkonstruktiv wahrnehmen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Hänsel.
Herr Kollege Stinner, was die Fakten angeht, emp-
fehle ich Ihnen, gleich im Anschluss an diese Sitzung ein
Gespräch mit dem honduranischen Botschafter zu füh-
ren. Das wäre vielleicht überfällig; schließlich ist er hier,
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Sie haben vorhin behauptet, es sei um die Wiederwahl
on Zelaya gegangen. Das stimmt ebenfalls nicht. Erst
etzt hätte man die Wahlurnen aufstellen können, um
ber eine verfassunggebende Versammlung abzustim-
en. Zelaya hätte sowieso nicht die Möglichkeit gehabt,
och einmal anzutreten, da er nur eine Wahlperiode am-
ieren darf. Insofern verbreiten Sie hier nichts als Propa-
anda; auch die Friedrich-Naumann-Stiftung streut stän-
ig dergleichen. Ich hoffe auf ein sehr erhellendes
espräch zwischen Ihnen und dem honduranischen Bot-
chafter.
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Anette
übinger das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! An der heutigen Debatte, die teilweise sehrmotional geführt wird, hat man gesehen, dass Hondurasn einer der schwersten Krisen seiner Geschichte steckt.er Höhepunkt war – auch das muss man wiederholen –in rechtswidriger Putsch am 28. Juni. Seit dieser Zeiteht ein tiefer Riss durch dieses Land: auf der eineneite die Anhänger des Interimspräsidenten Michelettind auf der anderen Seite die Anhänger des gestürztenräsidenten Zelaya.Noch einmal: Die De-facto-Regierung untericheletti wurde nach dem Putsch vom honduranischenongress eingesetzt und wird auch vom obersten Ge-icht und der Armee getragen. Sie ist jedoch nicht durchine demokratische Wahl legitimiert. Deshalb hateutschland gemeinsam mit den Mitgliedstaaten der EUie gewaltsame Entfernung Zelayas verurteilt, die De-acto-Regierung nicht anerkannt und die Entwicklungs-usammenarbeit mit Ausnahme der Unterstützung der
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480 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Anette HübingerZivilgesellschaft und der humanitären Hilfe ausgesetzt.Das ist ein klares politisches Zeichen dafür, dass derPutsch in keinster Weise zu rechtfertigen ist.
Im Antrag der Grünen und auch im Antrag der Linkenwerden die Geschehnisse in Honduras leider recht ein-seitig dargestellt. Herr Kollege Stinner hat dies sehr aus-führlich aufgezeigt.
Dennoch will ich es noch einmal wiederholen; dennauch durch Wiederholung lernt man ja.
Der Putsch vom 28. Juni war der Höhepunkt einerReihe von bereits im Vorfeld begangenen verfassungs-widrigen Handlungen. Das lassen Sie in Ihren Anträgenleider außen vor. Der gestürzte Präsident Zelaya hattevor seiner Amtsentmachung die Verfassung seines Lan-des mehrmals gebrochen, auch wenn es die Linke nichtso wahrhaben will. Das wurde vom Obersten Gerichts-hof immer wieder angemahnt. Über Monate versuchte ermithilfe der Abhaltung eines Referendums die Verfas-sung dahin gehend zu ändern, seine Wiederwahl zu er-möglichen. Nachdem der Kongress und das Oberste Ge-richt die Abhaltung eines Referendums nicht billigten,versuchte Zelaya im Alleingang, eine Verfassungsände-rung durchzusetzen. Ich erinnere an ähnliche Tendenzenin Lateinamerika, zum Beispiel in Venezuela. Für einesachlich vollständige Analyse und Aufarbeitung desKonfliktes muss auch Zelayas gesetzwidriges Verhaltenbeachtet werden.Der Konflikt in Honduras ist vielschichtiger, als es inden heute hier vorliegenden Anträgen zum Ausdruckkommt. Die Putschisten sind zu verurteilen wie auch dasverfassungswidrige Handeln Zelayas im Vorfeld.Die politische Krise in Honduras ist leider keine Aus-nahmeerscheinung in Lateinamerika, sondern spiegeltden fragilen Zustand vieler Demokratien dort vor Ort wi-der. Obwohl Lateinamerika zweifelsohne weltweit diedemokratischste Entwicklungsregion ist, ist der Zustandvieler Demokratien prekär. Die weit verbreitete Korrup-tion, Defizite im Justizbereich, die mangelnde Teilhabeder indigenen Bevölkerung sowie die extremen sozialenUngleichheiten stellen an die dortigen Demokratien be-sondere Herausforderungen, so auch in Honduras. Hon-duras ist eines der ärmsten Länder in Mittelamerika. DieEinkommensunterschiede sind besonders gravierend. Soleben fast 80 Prozent der Bevölkerung Honduras unterder Armutsgrenze.Die Geschehnisse in Honduras zeigen, dass wir in un-serer Entwicklungszusammenarbeit neben der techni-schen und finanziellen Zusammenarbeit viel stärker dieZusammenarbeit im politischen Bereich ausbauen müs-sen.
UaWDemvsuMsgWLPZssdMSnSfbWLndmmdsdAGSuud
abei muss es uns darum gehen, mit unseren Partnern ininen kontinuierlichen Dialog zu treten. Wir müssenehr über Fragen von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie-erständnis und der sozialen Verantwortung von Elitenowie über Konzepte für eine nachhaltige Wirtschafts-nd Sozialpolitik reden und aufrichtig über Presse- undeinungsfreiheit diskutieren. Unsere Entwicklungszu-ammenarbeit kann nicht losgelöst von einer gleichzeiti-en Debatte über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit undertevorstellungen stattfinden.Die für Sonntag anberaumten Wahlen, bei denen dieokalregierungen, ein neuer Kongress und ein neuerräsident gewählt werden sollen, sind bereits unterelaya – auch das kam hier schon zum Ausdruck – ange-etzt worden, und die zur Wahl antretenden Präsident-chaftskandidaten wurden legitim bestimmt.„Das Abhalten von Wahlen nach dem Putsch in Hon-uras ist eine sehr außergewöhnliche Situation. Aber dieenschen wollen wählen. Das müssen wir akzeptieren.“ –o äußerte sich der Präsidentschaftskandidat der Natio-alen Partei, Pepe Lobo, am Montag dieser Woche.Der ordnungsgemäße Verlauf der Wahlen wird derchlüssel dafür sein, dass Honduras zurück zu einer ver-assungskonformen Ordnung findet. Aufrufe zum Wahl-oykott und Forderungen nach Nichtanerkennung derahlen im Vorfeld, wie sie von den Fraktionen Dieinke und auch Bündnis 90/Die Grünen kommen, tragenicht zu einer friedlichen Konfliktlösung bei. Die Frageer Bewertung der Wahlen werden wir in Abstimmungit unseren EU-Partnern und der internationalen Ge-einschaft hinterher beantworten müssen.Sowohl der Antrag der Grünen als auch der Antrager Linken sind nicht zielführend. Deshalb lehnen wirie als CDU/CSU-Fraktion ab.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, auch
em letzten Redner in dieser Debatte die notwendige
ufmerksamkeit zu widmen und dringend erforderliche
espräche nach außerhalb des Plenarsaals zu verlagern.
Das Wort hat der Kollege Dr. Sascha Raabe für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnennd Kollegen! Ein Putsch ist ein Putsch ist ein Putsch,nd eine Partei wie die FDP, deren politische Stiftungiesen Putsch gerechtfertigt hat, bringt damit Schande
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Dr. Sascha Raabeüber das demokratische Verständnis, das wir in diesemHaus haben. Das bleibt eine Tatsache.
Es ist zu spät, Herr Kollege Stinner, wenn Sie sichheute, wenige Tage vor der Wahl in Honduras, ein Stückweit von dem distanzieren, was Ihr Kollege Gerhardtund die Stiftung Ihrer Partei betrieben haben. Denn inder heißen Phase, als es darum ging, auf internationalerEbene eine Lösung zu finden, als wir ein Zeitfenster hat-ten, um eine Lösung herbeizuführen, haben Sie die inter-nationalen Bemühungen hintertrieben, indem Ihre Stif-tung den Putsch gerechtfertigt hat, Putschisten hofiertund eingeladen hat und Herr Gerhardt mit eigenen frag-würdigen Vorschlägen die internationalen Friedensbe-mühungen konterkariert hat. Das darf nie wieder vor-kommen. Damit haben Sie dem Frieden und derDemokratie bei uns, aber auch in Honduras einen Bären-dienst erwiesen.
Mich als Entwicklungspolitiker ärgert daran beson-ders, dass durch diese Haltung der Friedrich-Naumann-Stiftung die gute Arbeit der politischen Stiftungen, dieseit Jahrzehnten in Entwicklungsländern gemacht wird,in ein schlechtes Licht gerückt wird. Denn wir haben inLateinamerika – ich will den Beitrag nicht überhöhen,weil es natürlich zuerst das Verdienst der dort lebendenMenschen ist – Gott sei Dank auch deshalb mehr Demo-kratie und Stabilität im Vergleich zu der Zeit von vor10 bis 20 Jahren, weil es uns im Rahmen der Entwick-lungszusammenarbeit mit den politischen Stiftungen ge-lungen ist, dort Strukturen, Transparenz, Partizipationder Bevölkerung und auch Parlamente aufzubauen, dieso stark sind, dass wir eigentlich gedacht haben, dass eszu so einem Putsch wie im Sommer in Honduras nichtmehr kommen kann. Deswegen möchte ich an dieserStelle ausdrücklich allen politischen Stiftungen, die sichin Lateinamerika und weltweit engagieren – mit Aus-nahme der von mir kritisierten –, ganz herzlich für ihreArbeit danken.
Natürlich, Frau Hänsel, haben wir an dieser Stelleeine unterschiedliche Bewertung. Auch ein Rechtsbruchist ein Rechtsbruch und bleibt ein Rechtsbruch. Was Prä-sident Zelaya gemacht hat, ist vom dortigen Verfas-sungsgericht verurteilt worden. Sie sollten vielleichtnicht versuchen, von Deutschland aus das Recht in Hon-duras zu interpretieren. Deswegen sagen wir mit Blickauf die Anträge der Grünen und der Linken: Wir könntenfast jeden Satz darin unterschreiben. Aber da Sie nichtberücksichtigen, wenn Sie den Titel „Demokratie inHonduras“ wählen, dass sich dort auch die Gegner undder rechtmäßig gewählte Präsident in Zukunft andersverhalten müssten, wollen wir uns enthalten. Aber dasheißt nicht, dass wir Ihre Anträge nicht ansonsten vollunterstützen würden.PeAghlAbmgMlkaRwdllkJDsidBJfsSsMMdlzuMsfsdansewkis
Wir müssen an den Zielen unserer Entwicklungszu-ammenarbeit insgesamt festhalten und auch daran, dienternational vereinbarten Steigerungen der Mittel fürie Entwicklungszusammenarbeit durchzusetzen. Dieundesregierung hat sich international verpflichtet, imahre 2010 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommensür die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zutellen.Herr Entwicklungsminister Niebel, dass ausgerechnetie sich in den letzten Tagen von diesem Ziel verab-chiedet haben und angesichts 1 Milliarde hungernderenschen gesagt haben: „Wir steigen aus“, ist diesenenschen gegenüber, denen Sie und die Frau Kanzlerinie Steigerung der Mittel versprochen haben, unmensch-ich. Frau Merkel, Sie erinnern sich: Ich habe, als Sieum G8-Gipfel gefahren sind, hier eine Rede gehaltennd Ihnen gesagt, Sie sollten Herrn Berlusconi, der dieittel für die Entwicklungszusammenarbeit zurückge-chraubt hat, sagen, dass er, wenn er schon den G8-Gip-el in Italien durchführt, zu seiner Verpflichtung stehenoll, den ODA-Stufenplan einzuhalten. Ich schäme mich,ass jetzt Deutschland selbst aus dieser Verpflichtungussteigt. Da sind wir keinen Deut besser als die Italie-er.Deswegen sage ich, Frau Merkel: Halten Sie Ihr Ver-prechen gegenüber 1 Milliarde hungernder Menschenin! Erhöhen Sie wie versprochen die Gelder für die Ent-icklungshilfe auf 0,51 Prozent des Bruttonationalein-ommens, und lassen Sie hier nicht die größte Wahllügen der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ent-tehen! Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen.Danke.
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482 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Zu einer Kurzintervention hat der Kollege
Dr. Wolfgang Gerhardt das Wort.
Ich höre mir sehr gerne Vorschläge zum Engagement
der Friedrich-Naumann-Stiftung und dazu an, wofür wir
in manchen Ländern eintreten sollen. Wir tun das auch.
Wir haben die Rechte des tibetischen Volkes vertreten
und mussten unser Büro in Peking schließen. Ich würde
mir solche Vorträge noch lieber anhören, wenn sich auch
andere politische Parteien deutlicher im Hinblick auf Ve-
nezuela und Nicaragua äußern würden. Wo sind solche
Stellungnahmen?
Ich selbst habe die Außerlandesverbringung von Prä-
sident Zelaya für unmenschlich gehalten; das ist gar
keine Frage. Aber wir sollten nicht unter uns entschei-
den, wer recht hat. Der oberste Gerichtshof in Honduras,
besetzt mit unabhängigen Richtern,
hat seine Festnahme veranlasst – und nicht die Friedrich-
Naumann-Stiftung; das will ich hier gesagt haben.
Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, wie wir aus
dieser Lage herauskommen. Da wäre es doch vernünftig,
den Sonntag abzuwarten und zu sehen, wie hoch die
Wahlbeteiligung ist, ob die Wahlen fair stattgefunden ha-
ben und wie die Wahlergebnisse aussehen. Wir sollten
uns nicht an die Stelle der Menschen in Honduras setzen,
die am Sonntag entscheiden wollen. Nach diesem Sonn-
tag sollten wir klug weiter beraten.
Das Wort zu einer Erwiderung hat der Kollege Raabe.
Sehr geehrter Herr Kollege, da Sie es seit mehreren
Wochen nicht verstanden haben, gehe ich nicht davon
aus, dass Sie es jetzt durch meine Antwort verstehen
werden. Trotzdem sage ich noch einmal: Ein Putsch ist
ein Putsch ist ein Putsch. Dass Sie dies verurteilen und
gleichzeitig Putschisten nach Berlin einladen und eigene
Vorschläge unterbreiten, zeigt, dass Sie leider bis jetzt
nicht verstanden haben, dass es hier darum geht, die Vor-
gänge eindeutig und unmissverständlich zu verurteilen
und sie nicht mit Verweisen auf andere Länder zu recht-
fertigen. Sie haben es immer noch nicht verstanden; das
haben wir jetzt wieder sehen können. Also: Putsch bleibt
Putsch.
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Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/33it dem Titel „Demokratie in Honduras“. Wer stimmtür diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfrak-ion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-ion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag derraktion Die Linke auf Drucksache 17/60 mit dem TitelDemokratiebewegung in Honduras unterstützen – Wah-en der Putschisten nicht anerkennen“. Wer stimmt füriesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der Unionsfrak-ion und der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-ion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenei Enthaltung der SPD-Fraktion abgelehnt.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Vereinbarte Debatte zu der von Bundesminis-ter Dr. Franz Josef Jung in Aussicht gestelltenErklärungNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keineniderspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bundesmi-ister Dr. Franz Josef Jung.Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister für Arbeitnd Soziales:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Vor-ängen vom 4. September dieses Jahres in Kunduz unden aktuellen Behauptungen in der Öffentlichkeit nehmech vor diesem Parlament wie folgt Stellung:Zunächst einmal will ich deutlich machen, dass es mirei diesem gesamten Sachverhalt um sachgerechte Auf-lärung gegangen ist, die durch die NATO durchgeführturde, und auch darum, dass bei einer solch schwierigenntscheidung unsere Soldaten, die in diesem Einsatz mitisiko für Leib und Leben unsere Sicherheit gewährleis-en, nicht mit Vorverurteilungen alleingelassen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdemrhebliche Vorwürfe in der Öffentlichkeit gegen denundeswehroberst Klein vonseiten einiger europäischerußenminister und anderer erhoben worden sind, habech mit Oberst Klein in Kunduz telefoniert und michber den Sachverhalt aus seiner Sicht unterrichten las-en. Ich habe ihm versichert, dass wir diesen Vorverur-eilungen entgegentreten und ihn dabei nicht alleine las-en.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 483
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Bundesminister Dr. Franz Josef Jung
Als am 6. September ein Bericht der WashingtonPost im Hinblick auf 125 Opfer – darunter auch zivileOpfer – öffentlich geworden ist, habe ich noch einmalmit Oberst Klein in Afghanistan telefoniert, aber auchmit General McChrystal, dem COMISAF. Wir warenübereinstimmend der Auffassung, dass jetzt alles getanwerden muss, um den Sachverhalt korrekt aufzuklärenund danach gegebenenfalls die notwendigen Konsequen-zen zu ziehen.Am gleichen Tag, also an diesem 6. September, habeich auch gegenüber der Öffentlichkeit unterstrichen,dass, wenn es zivile Opfer gegeben hat, wir dies sehr be-dauern,
und ich habe auch mein Mitgefühl gegenüber den Ange-hörigen zum Ausdruck gebracht. Ebenfalls habe ich hin-zugefügt, dass wir uns in einem solchen Fall um die An-gelegenheit kümmern werden.Mir ist dann ein Bericht über die Vorgänge vom4. September aus Afghanistan zugegangen, der unter-zeichnet worden ist von dem Gouverneur der ProvinzKunduz, dem Polizeichef der Provinz Kunduz, demNDS-Chef der Provinz Kunduz, dem Provinzratsvorsit-zenden der Provinz Kunduz und dem Kommandeur derzweiten ANA-Brigade.Dieser Bericht enthält unter anderem folgende For-mulierungen – ich zitiere –:Durch die Explosion wurden 56 bewaffnete Perso-nen getötet und 12 Personen verletzt. Die Verletztenhatten Verbrennungen und wurden ins Krankenhausnach Kunduz gebracht, wo ein Verletzter am4. September 2009 seinen Verletzungen erlag.Der Bericht geht dann weiter – ich zitiere wiederumwörtlich –:Um diesen Vorfall besser zu untersuchen, ist aufAnordnung des Präsidenten der Islamischen Repu-blik Afghanistans eine Untersuchungskommissioneingesetzt worden. Dieser Kommission gehörenVertreter des Innenministeriums, des Verteidigungs-ministeriums, des NDS und ein Vertreter des Präsi-denten an.Ich zitiere weiter:Am 5. September 2009 ist die Untersuchungskom-mission mit einer ISAF-Delegation zusammenge-troffen, um ihre Informationen abzugleichen. NachGesprächen mit Dorfbewohnern und Augenzeugenwurde bewiesen, dass alle Getöteten zu den Talibanund deren Verbündeten gehören.Ende des Zitats.In der Parlamentsdebatte am Dienstag, dem 8. Sep-tember 2009, habe ich ebenfalls auf diesen Bericht, deninE8dSwStl6eUFcawKdtirfmBFdbcBNsdgld
Am 7. Oktober ist dieser Bericht dann der NATO-Un-ersuchungskommission übergeben worden. Heute weißch, nach Einsichtnahme in die Akten, dass dieser Be-icht am 9. September in Masar-i-Scharif zusammenge-ührt worden ist und dann über das Einsatzführungskom-ando am 14. September dem Einsatzführungsstab desundesverteidigungsministeriums zugeleitet worden ist.ür mich war allerdings entscheidend, dass der Berichter NATO-Untersuchungskommission hier entsprechenderücksichtigt wird. Dieser Bericht der NATO-Untersu-hungskommission ist dann auch nach Amtswechsel imundesverteidigungsministerium eingegangen. DieserATO-Untersuchungsbericht ist auch der Staatsanwalt-chaft zur Verfügung gestellt worden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,ass aus diesem gesamten Sachverhalt eindeutig hervor-eht, dass ich sowohl die Öffentlichkeit als auch das Par-ament korrekt über meinen Kenntnisstand hinsichtlichieser Vorgänge informiert habe.Ich danke Ihnen.
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484 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Arnold für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Jung, Sie haben Ihre Rede mit HerrnOberst Klein begonnen. Wir müssen zunächst einmalfesthalten: Es geht uns überhaupt nicht um Herrn OberstKlein. Wir haben großes Verständnis für die ernste undschwierige Situation der Soldatinnen und Soldaten, diein Kunduz im Auftrag des Deutschen Bundestages eineschwierige Aufgabe zu erledigen haben. Es geht alsonicht darum: Machen Soldaten unter dem Druck in ih-rem Alltag, der nicht einfach ist, Fehler? Vielmehr gehtes darum: Wie geht Politik mit der Wahrheit und mitmöglichen Fehlern um?
Herr Minister Jung, wir sagen sehr deutlich: Wir hät-ten uns heute eine andere Rede gewünscht:
nicht wegdrücken, wenn es schwierig wird, sondern –das zeichnet Politik aus – politische Verantwortung über-nehmen.
Ihr Parteifreund, der frühere VerteidigungsministerStoltenberg, hat im Jahr 1992 gezeigt, was es bedeutet,Verantwortung zu übernehmen, wenn man sein Hausnicht unter Kontrolle hat, wenn Beamte möglicherweiseFehler gemacht haben.
All dies weisen Sie weit von sich.Es ist schon interessant, dass Frau Hoff aus der Frak-tion Ihres Koalitionspartners heute erklärt hat, falls Sienicht die Wahrheit gesagt hätten, fordere sie Ihren Rück-tritt.
– Frau Hoff, ich kann es vorlesen. – Für den Fall, dassSie nicht informiert waren: Sie sagte sinngemäß: Wennder Minister sein Haus nicht im Griff hat, erfordert auchdies Konsequenzen.
So ging das Zitat über den Ticker. Frau Kollegin Hoff,ich muss Ihnen sagen: Wo Sie recht haben, haben Sierecht.drmüUhfEeUdetsdlsddAwamdggtaasteasrsgmsDrwvmB
m es klar zu sagen: Auch wir Obleute erhielten – dasaben wir schon damals kritisiert – immer erst dann In-ormationen, wenn sie in der Zeitung gestanden hatten.rst dann haben wir einen Anruf oder eine Einladung zuiner Obleuterunde erhalten. Das sind die Fakten. Dermgang mit dem Bericht der Feldjäger reiht sich also inie gesamte Kette der Vernebelung der Vorgänge ein.Wir wollen wissen – deshalb haben wir für morgenine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses bean-ragt –: Wo sind Informationen angekommen? Wannind sie angekommen? Wer alles im Haus hat sie aufem Tisch gehabt? Wie wurden sie zur ISAF weiterge-eitet? Viele andere Fragen kommen hinzu. Uns interes-iert auch: Was ist eigentlich mit dem Abschlussberichtes damaligen ISAF-Kontingentes, in den zwangsläufigie Erkenntnisse der Feldjäger einfließen? Wo ist dieserbschlussbericht angekommen? Wie wurde er ausge-ertet? Welche Konsequenzen hat der jetzige Ministerus diesem Abschlussbericht gezogen? All dies mussorgen geklärt werden.Eines ist auch klar: Wenn die Regierung morgen nichtie Chance nutzt, alle Fakten präzise auf den Tisch zu le-en, dann muss das Parlament zum schärfsten Schwertreifen, das es hat, nämlich einen Parlamentarischen Un-ersuchungsausschuss einsetzen, der die Möglichkeit hat,lle Akteure einzubestellen und mit ihnen zu reden.
Herr Minister Jung, ich erinnere mich noch sehr gutn die Tage zwischen dem 4. und dem 7. September die-es Jahres. Wir wissen, dass am 7. September, am Mon-agabend, der Vorabbericht von ISAF im Ministeriumingegangen ist, wohl auch auf dem Schreibtisch des be-mteten Staatssekretäres gelandet ist. Sie können zwaragen: Das war nur ein Vorabbericht. – Da haben Sieecht. Dieser Vorabbericht enthält aber ziemlich dramati-che Indizien dafür, dass es eben leider auch zivile Opferegeben hat. Am nächsten Morgen sitzen wir Obleuteit Ihnen drüben im Briefing-Raum zusammen, und Sieagen nach wie vor: Es hat keine zivilen Opfer gegeben.a wollen wir dann schon wissen: Haben Sie den Be-icht gelesen? Wurden Sie informiert? Ich frage aucheiter: Hatten Sie überhaupt Interesse daran,
on den Soldaten und vom Generalinspekteur die Infor-ationen zu bekommen? Die Soldaten haben eineringschuld – die haben sie zweifellos –; aber der Minis-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 485
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Rainer Arnoldter hat in so einer sensiblen, heiklen Lage auch eine Hol-schuld. Wir hatten manchmal den Eindruck, dass es einepolitische Strategie gab, auch ausdiskutiert in IhremUmfeld, die im Grunde genommen darauf abgezielt hat,die tragischen Ereignisse von dem Minister und seinerVerantwortung möglichst weit fernzuhalten. Dies alleswollen wir morgen geklärt haben.Wir schauen darauf, wie der jetzige Minister mit die-sem Thema umgeht. Herr Minister zu Guttenberg, Siehaben sehr schneidig den Generalinspekteur in dieWüste geschickt, ihn gehen, ziehen lassen, und denStaatssekretär zumindest in den Urlaub. Sie pflegen da-mit auch Ihr Image, tatkräftig und entscheidungsfreudigzu sein. Gelegentlich würden wir uns allerdings wün-schen, dass in solch einer Situation auch ein bisschenDemut aus Ihren Aktionen ins Spiel kommt,
Demut vor der Komplexität und der großen Verantwor-tung in diesem Amt.
Es geht nicht nur um schöne Bilder, Herr zu Guttenberg,sondern es geht vor allem um einen verantwortlichenUmgang. Das ist das Erste. Die schönen Bilder – jedervon uns sieht sich ja gerne in der Zeitung – dürfen dasZweite sein, aber nicht das Erste.Herr Minister zu Guttenberg, Sie haben heute zumersten Mal eingeräumt, dass Sie möglicherweise einbisschen zurückrudern werden, falls der Feldjägerberichtneue Erkenntnisse bringt. Ich sage Ihnen: Wer den ISAF-Bericht sorgfältig liest, stellt fest, dass der Feldjägerbe-richt keine neuen Erkenntnisse bringt. Wer den ISAF-Bericht sorgfältig liest, darf auch nicht zu Ihrer Einschät-zung kommen, Herr zu Guttenberg, und am Ende sagen:Da wurden zwar Fehler gemacht, aber das Falsche erklä-ren wir jetzt als richtig. Es wurden Fehler gemacht, nichtnur Verfahrensfehler. Diese Fehler haben tragische Aus-wirkungen gehabt. Ich erwarte vom Verteidigungsminis-ter, dass er sich dieser Verantwortung stellt und nicht derdeutschen Öffentlichkeit erklären will, dieser Einsatz seiangemessen und verhältnismäßig gewesen. Es war nichtangemessen, ohne Gefahr im Verzug Luftunterstützunganzufordern. Dies besagen die NATO-Regeln eindeutig.Es ist auch nicht angemessen und verantwortbar, aufeine große Menschenansammlung schwere Bomben zuwerfen, weil das Risiko, dass Unschuldige zu Tode kom-men, latent ist. Leider hat die Nacht dies auf grausameWeise bestätigt.Herr Minister zu Guttenberg, ich glaube, auch Siesollten die Chance nutzen, morgen im Verteidigungsaus-schuss Ihre Position nochmals zu überdenken. Auch hiergilt: Wenn dies nicht geschieht, muss das Parlament mitseiner parlamentarischen Waffe „Untersuchungsaus-schuss“ nachvollziehen, wie Sie zu dieser Entscheidungkommen können, wenn fast alle, die diesen Abschluss-bericht geschrieben und gelesen haben, dies anders be-werten. Dies ist insgesamt ein sehr ernster Vorgang.Wnss„FUBsniVWTDwFDhpggdNaaKShüa–udlVnEzRAs
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff für die FDP-
raktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Verehrter Herr Kollege Arnold, esätte sicherlich hervorragend in Ihre Argumentation ge-asst, wenn diese Pressemeldung, auf die Sie sich bezo-en haben, nicht wenige Minuten nach Erscheinen korri-iert worden wäre, weil genau dieser Satz, den Sie inieser Form interpretiert haben, so nicht gesagt wurde.ehmen Sie das bitte zur Kenntnis! Ich finde, man sollteuch hier im Plenum so viel Fairness besitzen, daraufufmerksam zu machen.
Ich stimme Ihren Ausführungen insofern zu, Herrollege Arnold, als es sich hier um einen sehr ernstenachverhalt handelt. Ich glaube, dass es für einen Sicher-eitspolitiker sicherlich angenehmere Minuten gibt, alsber das Thema zu diskutieren, mit dem wir uns hieruseinandersetzen müssen. Aber ich warne auch davordavor sollten wir uns hüten; ich glaube, das habe ichnd das hat auch unser Außenminister heute Vormittageutlich gemacht –, der Öffentlichkeit vor einer lücken-osen Aufklärung der Fakten im Deutschen Bundestagorverurteilungen kundzutun. Wir sind nicht das Tribu-al, das darüber zu entscheiden hat, was in Kunduz iminzelnen vorgefallen ist. Das ist eine Aufgabe, die zur-eit wichtig ist, die wir aber wirklich in der gebotenenuhe und angemessenen Reihenfolge angehen sollten.uch meine Fraktion hat ein Interesse an einer lückenlo-en Aufklärung, vor allem im Interesse der Bundeswehr,
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486 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Elke Hoffvor allem im Interesse der Soldatinnen und Soldaten, dieim Auslandseinsatz sind.Ich habe mir heute – erlauben Sie mir an dieser Stellebitte diese persönliche Bemerkung – natürlich auch dieFrage gestellt: Was denken unsere Soldatinnen und Sol-daten in Kunduz über diese Debatte, die wir jetzt führenmüssen? Es ist unser Anliegen, gemeinsam mit der Bun-desregierung so schnell wie möglich dafür zu sorgen,dass es eine transparente Aufarbeitung dieses Sachver-haltes gibt. Ich freue mich, dass wir morgen früh im Ver-teidigungsausschuss ein umfassendes Briefing der Bun-desregierung bekommen werden.
Ich hoffe sehr, dass dann keine weiteren Fragen mehr of-fen sind. Sollten wir zu dem Ergebnis kommen, dassFragen noch nicht beantwortet sind, Herr KollegeArnold, und Sie den Vorschlag machen, dass ein Unter-suchungsausschuss einzusetzen ist, dann wird sich, wieich glaube, keine Fraktion hier im Hause diesem Anlie-gen verschließen.
Insofern bitte ich an dieser Stelle darum, dass wir ge-meinsam eine saubere Aufarbeitung dieses Vorgangesdurchführen. Wenn es am Ende der Reise Ergebnissegibt, dann sollten wir darüber in den dafür zuständigenGremien und natürlich auch im Deutschen Bundestagdiskutieren.Herr Minister zu Guttenberg, ich freue mich sehr aufIhre Aufklärung morgen früh. Herr Minister Dr. Jung,wir als FDP-Fraktion nehmen Ihre Ausführungen in derhier vorgetragenen Form zur Kenntnis.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich habe jetzt gehört, an wen man alles denkenmuss. Ich finde das auch richtig, füge aber hinzu: Viel-leicht sollten wir zuerst einmal an die bis zu 142 Totendenken, die es dort am 4. September 2009 gegeben hat.cdkSHKgglew–MBSrAlkdEptamDWHkeeZW„wgdancsz
Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, mit wel-her Salamitaktik wir Schritt für Schritt informiert wor-en sind und dass das ziemlich unerträglich war. Aber esommt noch etwas anderes hinzu: Sie selbst haben dieituation der Staatsanwaltschaft ungeheuer erschwert,err Jung, weil Sie immer bestritten haben, dass dort einrieg stattfindet. Wenn dort kein Krieg stattfindet, dannilt auch kein Völkerrecht und kein Kriegsrecht. Dannilt das Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutsch-and. Sie konnten niemals im Ernst davon ausgehen, dassine Notwehrsituation vorlag, als die Menschen getötetorden sind.
Nein. – Wissen Sie, Herr Jung, manchmal ist es so:an will aus bestimmten Gründen einen bestimmtenegriff nicht verwenden und richtet nur noch größerenchaden an, weil man es nicht zugibt. Es ist nichts ande-es als Krieg; denn es wird geschossen und auch getötet.
ber auch nach dem Völkerrecht war das natürlich nichtegitim, weil Zivilpersonen zu schützen sind. Hier gibt eslare Vorgaben wie „Gefahr im Verzug“ und vieles an-ere mehr, was hätte bedacht werden müssen. Das ist dasrste.Das Zweite ist: Als Bundesminister sind Sie ver-flichtet, in einem Ermittlungsverfahren sämtliche Un-erlagen zur Verfügung zu stellen, damit die Staats-nwaltschaft tatsächlich ermitteln kann. Sie haben heuteit keinem Satz erklärt, warum das nicht geschehen ist.ie Antwort darauf sind Sie uns nach wie vor schuldig.
Ich habe gelesen, was heute in der Bild-Zeitung stand.enn ich mir eine kritische Bemerkung gestatten darf:err zu Guttenberg, wieso immer dieser Weg? Warumönnen Sie nicht einfach vor die Presse treten und dasrklären? Warum muss erst dafür gesorgt werden, dassine Information an die Bild-Zeitung geht und die Bild-eitung das veröffentlicht, bevor Sie Stellung nehmen?arum gehen Sie nicht von selbst den Weg, zu sagen:Das und das habe ich als neuer Minister festgestellt, dasird offengelegt, und das ist jetzt zu korrigieren“?
Ich habe den Artikel gelesen. Die entscheidenden Fra-en haben Sie nicht beantwortet, Herr Jung: Haben Sieie Videos gesehen? Wenn nicht: Warum sind sie nichtn die Staatsanwaltschaft gegeben worden? Sie habenun von einem Feldjägerbericht mit 42 Anlagen gespro-hen. Sie haben gesagt – ich habe Sie doch richtig ver-tanden? –, Sie hätten ihn freigegeben, ohne ihn gelesenu haben.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 487
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Dr. Gregor Gysi
– Moment! – Ich habe dazu eine Frage: Wie können Sieetwas freigeben, was Sie nicht einmal gelesen haben?
Nach welchen Kriterien geben Sie denn etwas frei? Dasmöchte ich gerne wissen.
Meine zweite Frage: Wenn Sie den Bericht freigeben,warum geben Sie ihn nicht der Staatsanwaltschaft? Auchdarauf ist hier keine Antwort erfolgt. Das geht nicht.Ich sage Ihnen: Ich kenne schwierige Situationen, undich weiß, wie sich das hinzieht. Ich möchte im Augen-blick nicht in Ihrer Rolle stecken.
Ich weiß, wie unangenehm das ist. – Nein, verstehen Sie:Ich sehe durchaus auch den Menschen, Sie nicht, aberich schon. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir in ers-ter Linie die Toten sehen müssen. Herr Jung, Sie kom-men sowieso nicht umhin, die Konsequenzen zu ziehen.Ziehen Sie es nicht in die Länge! Das hilft Ihnen nicht.
Ich weiß auch nicht: Wer war denn noch informiert?Frau Bundeskanzlerin, haben Sie davon gewusst? Ichweiß es nicht. Warum erfolgen keine Stellungnahmen?Das wäre doch wohl das Mindeste. – Hören Sie zu! Dasist doch ein außergewöhnlicher Vorgang: Durch denBefehl eines Soldaten der Bundeswehr sind bis zu142 Menschen gestorben; aber man erfährt so gut wienichts und wenn, dann immer nur ein kleines Stückchen.Das geht einfach nicht. Die deutsche und die internatio-nale Öffentlichkeit haben einen Anspruch auf Aufklä-rung; diesen Anspruch sollten Sie befriedigen.
Glauben Sie mir, Herr Jung: Sie werden letztlichkeine andere Wahl haben. Ziehen Sie am besten gleichdie Konsequenzen! Das ist in unserem Interesse, aberauch in Ihrem.
Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
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ieser Generalinspekteur stand in vieler Hinsicht für diealtung: Schutz der Soldaten und der Zivilistinnen undivilisten. Ich kann für meine Fraktion sagen: Wir habeninsätzen in vielen Fällen eher trotz Ihnen, Herr Jung,ugestimmt, weil es diesen Generalinspekteur gegebenat.
ch hätte mir gewünscht, dass Sie heute die gleicheannhafte Courage an den Tag legen und die gleicheonsequenz ziehen und für diesen Fehler zurücktreten.
Sie haben – ob wissentlich oder unwissentlich – ge-enüber der deutschen Öffentlichkeit und diesem Deut-chen Bundestag faktisch die Unwahrheit gesagt; dasönnen wir heute feststellen.
ir wissen, dass bereits am Abend des 4. September,or dem Bombardement, bekannt war, dass die Talibanivilisten an den Tatort beordert hatten, und wir wissen,ass bereits wenige Stunden nach diesem Bombarde-ent im Einsatzführungskommando in Potsdam Infor-ationen vorlagen, wonach es mehrere Patienten im Al-er von 10 bis 20 Jahren gegeben hat, die verletzt waren,nd dass es zwei Leichen im Teenageralter gegeben hat.ll dies war im Einsatzführungszentrum in Potsdam am. September bekannt. Was erklärte der Bundesverteidi-ungsminister am 6. September in der Bild am Sonntag?r erklärte – wörtliches Zitat –, es seien „ausschließlicherroristische Taliban getötet worden“. Herr Jung, Sieaben an dieser Stelle die Unwahrheit gesagt.
Sie haben an einem weiteren Punkt auch in diesemarlament die Unwahrheit gesagt. Sie haben erklärt, esabe zwei Quellen gegeben, die aufgeklärt hätten und anieser Stelle erklärt hätten, hier seien keine Menschen inefahr. Die Wahrheit ist: Bereits am 6. September, zweiage vor der Bundestagsdebatte, hat die NATO festge-tellt, dass es anhand der Bilder des Videos unmöglichei, die Aussagen des Informanten, von dem wir heuteissen, dass er keinen Kontakt vor Ort hatte, zu bestäti-en. Das heißt, dieser Befehl ist entgegen den öffentlichugänglichen Einsatzregeln erfolgt. Auch in diesem
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488 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Jürgen TrittinPunkt haben Sie, Herr Jung, diesem Parlament die Un-wahrheit gesagt.
Es wäre daher gut gewesen, wenn Sie heute die Kon-sequenz gezogen hätten. Stattdessen haben Sie sich er-neut verstrickt. Sie haben gesagt, Anfang Oktober – derHinweis vom Kollegen Gysi ist richtig – hätten Sie einenBericht freigegeben. Ich sage Ihnen: Diese Feldjägerbe-richte sind keine Geheimakten; sie sind „VS – Nur fürden Dienstgebrauch“. An dem Tag, an dem Sie diesenFeldjägerbericht an die NATO weitergeleitet haben, hät-ten Sie veranlassen müssen, dass dieser Bericht diesemParlament, seinem Verteidigungsausschuss und seinemAuswärtigen Ausschuss sofort und unmittelbar ebenfallszur Verfügung gestellt wird. Sie haben hier nicht nur dieUnwahrheit gesagt. Sie haben uns alle hinter die Fichtegeführt, und das gehört sich nicht in einer Demokratie.
Ja, wir wollen das jetzt aufgeklärt sehen. Liebe FrauKollegin Hoff, ich habe mit großem Interesse gehört,dass Sie sich für eine lückenlose Aufklärung ausgespro-chen haben. Ich freue mich schon darauf, wenn morgenNachmittag die Entscheidung ansteht. Ich weiß nicht, obSie angesichts der Praxis von Herrn Jung noch Hoffnunghaben, dass morgen eine lückenlose Aufklärung erfolgt.Ich freue mich aber schon darauf, dass Sie sich gemein-sam mit uns mit dafür einsetzen werden, dass diese Fak-ten mit den Mitteln des Parlamentes, weil auf diese Exe-kutive kein Verlass ist, aufgeklärt werden, und dass Siesich mit uns dafür einsetzen werden, dass sich der Ver-teidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss konsti-tuiert.
Liebe Frau Bundeskanzlerin, lieber Kollege zuGuttenberg, ich finde, Sie hätten an dieser Stelle allenGrund gehabt, sich hier zu erklären. Frau Bundeskanzle-rin, Sie haben uns gegenüber in der Regierungserklärunggesagt, Sie bedauerten das; wenn dort unschuldige Men-schen zu Tode gekommen seien, dann entschuldigten Siesich.Herr zu Guttenberg ist aber so weit gegangen, nichtnur zu sagen, das sei militärisch angemessen und ver-hältnismäßig gewesen. Sie haben sich sogar zu der For-mulierung verstiegen, dieser Angriff sei unabweisbargewesen. Ich zitiere dies jetzt nur aus öffentlich zugäng-lichen Quellen der NATO und aus dem im Internet fürjedermann anzusehenden Film. Ich frage Sie, warumdiese Piloten, wenn es unabweisbar war, fünfmal gefragthaben: Sollen wir keinen Tiefflug machen, um die dortversammelten Menschen vor dem zu warnen, was gleichpassiert?
sedhHdwdsSgmEslgagolStdndDduBpw
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Andreas
chockenhoff für die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-en! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dankt Bundes-inister Jung für die klare Stellungnahme.
r hat das Notwendige zur Entkräftung des Vorwurfs ge-agt, er habe wissentlich oder wahrheitswidrig ihm vor-iegende Informationen verschwiegen.
Heute Morgen hat der Bundesminister der Verteidi-ung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dassbsolute Transparenz und Offenheit bei der Informationegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit für ihnberste Priorität haben. Dies begrüßen wir außerordent-ich; denn nur das ermöglicht, dass die Soldatinnen undoldaten der Bundeswehr für ihren Einsatz in Afghanis-an den Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern fin-en, auf den sie einen Anspruch haben.Wo diese Vorgabe der Transparenz und Offenheiticht befolgt wird, müssen Konsequenzen gezogen wer-en.
eswegen war es folgerichtig, dass der Bundesministerer Verteidigung heute unmittelbar nach Bekanntwerdennd Prüfung der ihm bisher nicht bekannten Berichte dieitte des Generalinspekteurs, ihn von seinen Dienst-flichten zu entbinden, angenommen und den verant-ortlichen Staatssekretär entlassen hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 489
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Dr. Andreas SchockenhoffDie Aufklärung der Hintergründe dieses komplexenVorgangs liegt in unserem unbedingten Interesse. Vor al-lem hat auch Bundesminister Jung einen Anspruch da-rauf.
Sollten die Oppositionsfraktionen nach der morgigenSitzung des Verteidigungsausschusses und nach der Aus-sprache über den Bericht von Bundesminister zuGuttenberg einen Untersuchungsausschuss für erforder-lich halten, ist die CDU/CSU-Fraktion damit sehr ein-verstanden.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Beredsamkeit der Redner der Koalitionsfraktionen
spricht Bände.
Ich stimme der Kollegin Hoff zu. Das kann man erst ein-
mal nur zur Kenntnis nehmen. Ich stimme zu, dass man
nur sehr kurz sagen kann: Wenn etwas aufzuklären ist,
dann muss es aufgeklärt werden. Da gibt es offenbar bei
den Regierungsfraktionen ein ähnliches Informationsbe-
dürfnis wie bei uns.
Es wird um vier Komplexe gehen. Erstens. Warum
hat Minister Jung Informationen, die die Bundeswehr
besaß, verschwiegen und einen falschen Eindruck er-
weckt? Die Faktenlage ist durchaus so, dass es in dem
Umfeld des Interviews, das die Bild-Zeitung heute zitiert
hat, in dem er sagt, dass nur Terroristen getroffen wur-
den, bereits andere Informationen gab, etwa der NATO.
Der NATO-Pressesprecher von ISAF hat Krankenhäuser
besucht und sich dabei fotografieren lassen. Am
6. September war das in allen Zeitungen Deutschlands
zu lesen. Das sind doch Informationen, die allen zugäng-
lich sind, Herr Minister.
Die Antwort kann nur lauten: Entweder wusste er es
besser, aber es passte ihm nicht ins Konzept – damals
waren Wahlkampfzeiten –,
oder er wusste es nicht besser. Aber dann hatte er sein
Ministerium nicht im Griff. Warum soll er jetzt ein ande-
res Ministerium ruinieren?
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elche Berichte er sich hat vorlegen lassen und wie er
ls Minister des Auswärtigen seiner Holschuld in Bezug
uf Afghanistan nachgekommen ist?
Herr Kollege, „Holschuld“ ist ein prima Stichwort.ls Minister, der für die Bundeswehr zuständig ist, hatan, wenn ganz Deutschland über einen solchen Vorfalliskutiert, eine Holschuld,
n seinem eigenen Haus mitzubekommen, was passiertst. Ich denke, dann wird man auch die Kollegen in derundesregierung informieren. Das ist offensichtlichicht geschehen. Er sagte, er sei selbst nicht informiertewesen.Uns interessiert, was Minister zu Guttenberg gewusstat, was der Kollege Jung nicht gewusst hat – das warochen später –, und was er sich hat vorlegen lassen, alsr sich öffentlich äußerte.Komplex drei. Wenn das alles so nachvollziehbar ist,ie Sie das vorgetragen haben, Herr Minister Jung: Wa-um mussten dann heute der Generalinspekteur und dertaatssekretär Wichert entlassen oder beurlaubt werden?
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490 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Dr. Hans-Peter Bartels
Wir haben heute nicht gehört, welche Fehler diesen bei-den Spitzenleuten des Ministeriums vorgeworfen wer-den. Sind sie Bauernopfer?Komplex vier. Der Generalinspekteur und der Bun-desminister zu Guttenberg haben sich durchaus unter-schiedlich – Kollege Trittin hat das zitiert – zu dem Vor-fall im Kunduz-Fluss geäußert. Ich zitiere Minister zuGuttenberg aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung– das entscheidende Wort einer langen Stellungnahmelautet „müssen“ –:Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegebenhätte, hätte es zu dem Luftschlag kommen müssen.Das hat der Generalinspekteur dezidiert anders darge-stellt. Er spricht nicht von „müssen“. Er sagt in Solidari-tät mit den Kameraden in Afghanistan: Die Lage war so,dass es möglicherweise angemessen gewesen sein kann.Nicht „müssen“! Welche Informationen haben Sie denngehabt, als Sie sagten, dass dieser Luftschlag hätte statt-finden müssen, Herr zu Guttenberg? Der NATO-Unter-suchungsbericht gibt dafür wahrscheinlich nicht dieGrundlage her. Zu diesem Schluss käme man, wenn manihn kennen würde. Er ist aber geheim. Insofern reden wirsozusagen unter Einäugigen.
– Niemand will Geheimnisse verraten. – Es ist aber keinGeheimnis, wenn ich sage, dass der Eindruck, der öf-fentlich erweckt wird, durch den NATO-Untersuchungs-bericht meiner Meinung nach nicht gedeckt ist. Da gehtes nicht um „müssen“, sondern um Fehler, die gemachtworden sind und die abzustellen sind, sowie um Vor-schläge, wie man sie abstellen kann. Die NATO kritisiertdas, was Sie rechtfertigen.
Herr Minister Jung, es ist richtig – auch Kollege Gysihat darauf hingewiesen –: Man muss nicht alles wissen.Man kann in einem so riesigen Verantwortungsbereichauch nicht alles wissen.
Aber in einer Zeit, in der ganz Deutschland im Wahl-kampf tagelang über die Frage diskutiert: „Was ist da ei-gentlich gewesen?“, ist es die verdammte Pflicht undSchuldigkeit des Inhabers der Befehls- und Kommando-gewalt, sich selbst aktiv darüber schlau zu machen, wasdie Bundeswehr und sein Haus darüber wissen.
Es ist dann das Recht des Parlaments – auch wennWahlkampf ist und man nicht mehr regelmäßig zusam-menkommt –, zu erfahren, was Sie wissen. Es ist armse-lig, wenn Sie sagen, Sie haben nichts gewusst, und nachuBdmgddgiüjVwuggJmthgduütuxImgtwsiedssd
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
er Kollege Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion
as Wort.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-en! Ohne jeden Zweifel beschäftigt uns dieses Theman einer kritischen Situation, nämlich der Diskussionber die Verlängerung von Afghanistan-Mandaten. Ohneeden Zweifel haben wir es mit einem sehr gravierendenorgang zu tun, nämlich der Fragestellung: Wann sindelche wichtigen Informationen bei wem angekommen,nd wie sind sie verarbeitet worden?Wir als Parlament haben selbstverständlich die Auf-abe, diese Fragen zu stellen und aufzuklären. Diejeni-en, die mich kennen, wissen, dass ich in den letzten vierahren im Verteidigungsausschuss sehr wohl das Infor-ationsverhalten des Verteidigungsministeriums des Öf-eren – um es höflich auszudrücken – problematisiertabe.
Deswegen stehe ich nicht dafür, dass wir hier in ir-endeiner Weise etwas vertuschen. Gerade angesichtser Diskussion, die wir diese und nächste Woche führennd für die wir gegenüber der Öffentlichkeit und gegen-ber unseren Soldatinnen und Soldaten Verantwortungragen, plädiere ich sehr nachdrücklich dafür, dass wirns nicht vorschnellen oppositionellen Empörungsrefle-en – die ich verstehen kann – hingeben.
ch bitte Sie allerdings, daran zu denken: Was richten Sieit vorschnellen Urteilen an? Ich habe nichts gegen end-ültige Urteile. Die Fraktion der FDP wird sich dem Ur-eil und den Fakten, die eines Tages herausgefundenerden, mit Sicherheit stellen. Wir werden einem Unter-uchungsausschuss zustimmen, wenn das die Mehrheitm Ausschuss will und wenn Klärung anders nichtrreicht werden kann. Ich plädiere aber nachdrücklichafür, dass wir erst dann, wenn die Untersuchung abge-chlossen ist, Bewertungen vornehmen und die politi-chen Konsequenzen ziehen. Sonst tun wir unseren Sol-aten und unserem Volk einen schlechten Dienst.Herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 491
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Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-
scher Streitkräfte bei der Unterstützung der
gemeinsamen Reaktion auf terroristische An-
griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-
kels 51 der Satzung der Vereinten Nationen
und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags
sowie der Resolutionen 1368 und 1373
des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen
– Drucksache 17/38 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejeni-
gen, die der Aussprache nicht beiwohnen wollen, den
Plenarsaal zu verlassen, damit die anderen den Rednern
in Ruhe folgen können.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Bundesminister Dr. Guido Westerwelle das
Wort.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Kolleginnen und Kollegen! Die Bekämpfung des
Terrorismus ist nicht alleine eine militärische Aufgabe,
erforderlich ist ein umfassender politischer Ansatz. Das
OEF-Mandat, um das es jetzt geht, ist nur noch ein Fak-
tor in unseren Gesamtbemühungen. Seit der ersten Man-
datierung von OEF im Jahr 2001, damals unter dem
unmittelbaren Eindruck der Terroranschläge des
11. September, wurde die Beteiligung der Bundeswehr
an OEF schrittweise reduziert. Bereits im letzten Jahr ist
die Schwerpunktverlagerung bei den militärischen Ope-
rationen in Afghanistan – weg von OEF, hin zu ISAF –
auch in unserem Bundestagsmandat, das hier beschlos-
sen worden ist, nachvollzogen worden. Unsere Aktivitä-
ten unter dem OEF-Mandat beschränkten sich seitdem
auf die Beteiligung der deutschen Marine an der See-
raumüberwachungsoperation am Horn von Afrika und
dem Einsatz im Mittelmeer im Rahmen der NATO-ge-
führten Operation Active Endeavour.
Die Bundesregierung wird spätestens bis zum
Sommer 2010, also bis zum Sommer des nächsten Jah-
res, die Notwendigkeit der weiteren deutschen Beteili-
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492 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Langsam, langsam. Ich bin noch nicht fertig. Die Kol-egen von der Linken müssen schon bis zum Ende zuhö-en. – Über diesen Einsatz findet so langsam auch in denereinigten Staaten eine Diskussion statt. Wir wissen, esibt eine Parallele zum Afghanistan-Einsatz, aus demir uns aus guten Gründen zurückziehen werden. Dieindeutig von der UNO mandatierte ISAF-Mission istichtig: Sie ist dazu da, den Afghanen zu helfen, ihrand zu stabilisieren, wirtschaftlich voranzubringen, füredizinischen Fortschritt und Bildung zu sorgen. Allies ist richtig, und auch da ist es auf Dauer nicht klug,enn parallel dazu eine Mission wie die OEF stattfindet,ie im Grunde genommen auch für uns nicht ausrei-hend transparent ist. Darüber haben wir immer wiederiskutiert. Deshalb waren wir sehr dankbar, dass der Au-enminister letztes Jahr erreicht hat, dass unsere Beteili-ung an dem Teil der OEF-Mission, die sich auf Afgha-istan erstreckt, gestrichen wurde. Deshalb sind wir sehrafür, dass wir uns auch nicht mehr am Horn von Afrikan dieser Mission beteiligen.Ich habe auch keine große Sorge, dass das zu schwie-igen Diskussionen mit den Verbündeten führt. Ich habeen Eindruck, der neue Präsident in den Vereinigtentaaten setzt sich von der Haltung seines Vorgängers ab,eil er verstanden hat und weiß, dass der Krieg gegeninzelne Terroristen nicht über die OEF-Mission oderoalitionen von Freiwilligen zu gewinnen ist, sonderner Krieg gegen Terroristen – das sehen wir in Afghanis-an jeden Tag – viel komplexer ist und das Zusammen-irken aller Kräfte verlangt, eben auch der zivilen under polizeilichen Kräfte sowie der militärischen Kräfte.All dies spricht dafür, die Beteiligung an OEF jetzt zueenden und damit der Marine den Spielraum zu geben,er es ihr ermöglicht, weitere gute Beiträge im Rahmener Operation Atalanta zu leisten.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Karl-heodor zu Guttenberg.Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-esminister der Verteidigung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Zum dritten Mal in diesem Marathon der Man-atsdebatten, die wir heute führen.Ich fühle mich, Herr Arnold, an das vorhin von Ihnenebrauchte Wort „Demut“ erinnert. Zur Demut gehört
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 493
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Bundesminister Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenbergübrigens auch, dass man gelegentlich zuhört, wenn manangesprochen wird, Herr Arnold.
Wenn Sie sich in aller Bescheidenheit eben auch überden UN-Sicherheitsrat hinwegsetzen, ist das mit Demutauch nur bedingt vereinbar. Wenn Sie die Kontinuität derVerantwortung betonen – davon halte ich sehr viel –,gleichzeitig aber ein Stück Verantwortungsvergessenheitmit einspielen lassen, möchte ich Ihnen sagen: Es warnicht nur Verteidigungsminister Jung, der zuletzt überdas UNIFIL-Mandat mitentschieden hat, es waren auchIhr Außenminister und die SPD in der Regierung, diedas mitentschieden haben. Das sollte man auch an einemsolchen Abend nicht vergessen, Herr Arnold. Daraufdarf man schon einmal hinweisen.
So schnell geht es dann plötzlich in der Opposition.Ende 2001 hat dieses Hohe Haus erstmalig unserenmilitärischen Einsatz im Kampf gegen den internationa-len Terrorismus gebilligt. Mittlerweile ist Afghanistan– ja, aus beachtlichen Gründen – aus unserem OEF-Port-folio gestrichen worden, doch bis heute leisten wir aufdieser Grundlage erfolgreich unseren Beitrag zur Be-kämpfung des internationalen Terrorismus am Horn vonAfrika und im Rahmen der NATO-Operation Active En-deavour im Mittelmeer.Der internationale Terrorismus ist auch heute, achtJahre nach dem 11. September 2001, weiterhin eineweltweite Gefahr, mit allen Wirkkräften, die damit ver-bunden sind. Die umfassende Bekämpfung des inter-nationalen Terrorismus bleibt deshalb die zentrale He-rausforderung für die internationale Staatengemeinschaft.Das gilt es weiterhin zu betonen.
Deshalb wird auch heute OEF noch gebraucht. OEF isterfolgreich und verbindet die Vereinigten Staaten mit ih-ren transatlantischen Partnern.
Auch diesen Aspekt sollten wir nicht gänzlich ausblen-den.Es braucht gleichermaßen die Anwendung politischer,entwicklungspolitischer, polizeilicher, nachrichten-dienstlicher, aber eben auch militärischer Mittel, um denTerrorismus und seine Ursachen zu bekämpfen. Deshalbist es richtig, dass wir unseren Einsatz fortsetzen.Deutschland stellt sich seiner Verantwortung, wenn esdarum geht, gemeinsam in der internationalen Staatenge-meinschaft auch für Terrorismusbekämpfung einzuste-hen. Nur solange wir uns beteiligen, können wir auchmitsprechen und die Operation mitgestalten.
Dgd8fmkWEdws7dhA–nSdtBWgmsgddHZzSGWrdsPr
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am. Oktober 2009 mit der Resolution 1890 seineortdauernde Unterstützung für die internationalen Be-ühungen zur Bekämpfung des Terrorismus im Ein-lang mit der Charta der Vereinten Nationen bekräftigt.ir wollen das bisherige Mandat für die Operationnduring Freedom fortschreiben. Das Mandat schließten NATO-Einsatz mit ein.Wir wollen aber auch hier einen Prozess erkennbarerden lassen, wie wir es heute schon bei UNIFIL ange-prochen haben, indem wir die Obergrenze von 800 auf00 Soldaten absenken;
enn wir sind auch so in der Lage, das erforderliche Fä-igkeitsprofil für den Antiterroreinsatz am Horn vonfrika und im Mittelmeerraum abzubilden.
Ich habe schon einmal beredtere Zwischenrufe von Ih-en gehört, Herr Trittin.
chreibt sich Ihr Zwischenruf „Wow!“ oder „Wau!“?Die Operation Enduring Freedom sowie der Einsatzer NATO im Mittelmeer im Rahmen der Operation Ac-ive Endeavour sind ein guter militärischer Beitrag zurekämpfung des internationalen Terrorismus.Ich sage aber auch, Bezug nehmend auf den Kollegenesterwelle, dass es Sinn macht, im nächsten Jahr eineemeinschaftliche Mission zu überprüfen. Dann wirdan sehen, inwieweit man das, was ich als Prozess be-chrieben habe, auch als Prozess gestalten kann. Ichlaube, das ist wichtig und auch ein wichtiges Signal,ass die Koalition hier zusammensteht.Durch den Einsatz von See- und Seeluftstreitkräftener Operation Enduring Freedom wird Terroristen amorn von Afrika und in angrenzenden Seegebieten derugang zu Rückzugs- und Aktionsräumen und die Nut-ung potenzieller Verbindungswege zu terroristischentrukturen auf der arabischen Halbinsel erschwert.leichzeitig wird ein Beitrag zum Schutz dieser für denelthandel strategisch wichtigen Seepassage vor terro-istischen Anschlägen geleistet. Auch das ist nicht unteren Tisch zu kehren. Diese Seepassagen sind für uns ent-cheidend. Sie sind wichtige Handelswege. Nicht nur dieiraterie spielt hier eine Rolle, sondern auch der Terro-ismus.
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494 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Herr zu Guttenberg, der Kollege Ströbele würde Ih-
nen gern eine Zwischenfrage stellen.
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:
Kollege Ströbele, ich habe bereits heute Morgen um-
fassend auf Ihre Frage geantwortet. Soll das eine Fortset-
zung dieser Fragerunde sein?
– Nein. Dann bitte sehr.
Wenn man so angelächelt wird.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, dass die
Einsätze erfolgreich gewesen seien. Können Sie bestäti-
gen, dass die Einsätze am Horn von Afrika unter ande-
rem dazu geführt haben, dass die Anzahl der Kaperun-
gen von Schiffen durch Piraten allein in diesem Jahr um
50 Prozent zugenommen hat und weiter zunimmt und
dass sich das Einsatzgebiet der Bundeswehr inzwischen
über den halben Indischen Ozean erstreckt? Halten Sie
es nicht für besser, dass man am Horn von Afrika die Ur-
sachen der Piraterie bekämpft und dass man insbeson-
dere gegen die Schiffe vorgeht, die dort alle Fischgründe
leerfischen – Schiffe aus Japan, aber auch aus Europa,
vor allen Dingen aus Frankreich und Spanien, die Fisch-
fabriken an der Küste von Somalia versorgen –, sodass
den Fischern und ihren Familien die Existenzgrundlage
genommen wird?
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Bun-
desminister der Verteidigung:
Jetzt darf ich den Kollegen Trittin kurz mit „Wow!“
zitieren. Sie haben sozusagen die ganze intellektuelle
Tiefe dieser Frage abgefischt.
Bei einem Punkt bin ich – überraschend genug – bei Ih-
nen, Herr Ströbele, und das habe ich hier auch schon be-
tont: Es geht sehr wohl darum, die Ursachen der Pirate-
rie zu bekämpfen, auch, wie ich vorhin gesagt habe, in
entwicklungspolitischer Hinsicht. Aber der dialektische
Sprung, den Sie gemacht haben, ist schon bemerkens-
wert. Sie sagen, dass die Piraterie dramatisch zunimmt,
sobald dort unten die Seewege auch militärisch gesichert
werden. Das übersteigt zumindest meinen Horizont, lie-
ber Herr Ströbele.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 495
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Der Kollege Stinner hat der Presse gegenüber erklärt,ass es in seiner Fraktion erhebliche Probleme bei derEF-Mission gebe. Das ist sehr ermutigend. Doch esutet ein wenig merkwürdig an, wenn man sieht, dassich die Bundesregierung die Mehrheit in diesem Hausngesichts dieser Probleme mit einer Protokollnotiz so-usagen erkauft. Das muss man sich schon auf derunge zergehen lassen, Herr Verteidigungsminister: Sietarten als Mister Klartext und landen in dem Fall alsrotokollnotiz.
Aber doch.Klar ist aber – das sieht man auch an dem Brief dereiden Minister an die Fraktionsvorsitzenden –: Die völ-errechtliche Grundlage ist einfach nicht mehr gegeben.
enn Sie nach neun Jahren immer noch behaupten, dassas Selbstverteidigungsrecht der USA die völkerrechtli-he Grundlage sei, dann ist das schlichtweg absurd. Inem Brief schreiben Sie, was die völkerrechtlicherundlage der UNIFIL-Mission und von ISAF ist. BeiEF fehlt das schlicht, und zwar deswegen, weil dieserundlage einfach nicht gegeben ist.Deshalb freut es mich auch, dass die SPD OEF nichtehr zustimmen wird, dass diese Einsicht gewachsenst. Guten Morgen! Ich hoffe, dass diese Einsicht – nach-em Sie das Ganze lange überprüft haben; ich hoffe, dasauert keine zwölf Monate – demnächst auch bei derundesregierung ankommen wird. Wir haben die Be-ertung vor uns. Diese Bewertung kann nur ein einzigesrgebnis haben: Es gibt nicht nur keine völkerrechtlicherundlage für diese Mission mehr, sie macht auch kei-en Sinn.Wir haben drei Mandate: die NATO-Mission, OEFnd die EU-geführte Atalanta-Mission. Sie können unsicht ernsthaft erzählen, dass OEF eine Mission gegenen Terrorismus sei, wenn man bedenkt, dass in deneun Jahren am Horn von Afrika kein einziger Kontaktntstanden ist. Wir alle wissen: OEF ist am Horn vonfrika, um die Piraterie zu bekämpfen.
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496 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
)
)
Omid Nouripour
Das schreiben Sie selbst auch. Deshalb ist es eindeutig:Statt dass wir die Flaggenoffiziere in den Brigaden be-mühen, permanent die eine Flagge herunter- und die an-dere Flagge hochzuziehen, lassen Sie diesen Quatschdoch einfach. Lassen Sie uns ein Mandat verabschieden,und zwar für die Pirateriebekämpfung durch die Ata-lanta-Mission.Deshalb kann ich nur hoffen, dass die erheblichenProbleme, die es zu Recht in der FDP-Fraktion gibt, da-hin führen, dass die Kolleginnen und Kollegen sich die-sem unsinnigen Mandat verweigern. Ich glaube, dass dasder Wahrheit und der Klarheit der Einsätze der Bundes-wehr sehr dienen würde.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt das Wort der Kollege Philipp Mißfelder von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Zunächst möchte selbstverständlich auch ich der
Kollegin Buchholz zu ihrer Jungfernrede gratulieren,
selbst wenn sie gerade vor Freude erst einmal im Büro
anruft.
Frau Kollegin Buchholz, bei vielem hätte ich Ihnen
widersprechen können. Aber an einer Stelle möchte ich
Ihnen ganz entschieden widersprechen. Ich glaube nicht,
dass es in den Deutschen Bundestag gehört, Verschwö-
rungstheorien zu verbreiten und so zu tun, als sei der Ur-
sprung unserer militärischen Einsätze in dieser Region
nicht der 11. September 2001, sondern irgendwelche
strategischen Planungen, die Sie gerade skizziert haben.
So ein Unsinn!
Das gehört in irgendwelche folkloristische Verschwö-
rungsbelletristik, die Sie selbst in der schlechtesten
Bahnhofsbuchhandlung der Welt nicht finden dürften,
aber in den Reden der Linkspartei. Deshalb weise ich
das entschieden zurück.
Auch wenn es zum Glück in Europa und in den USA
seit einiger Zeit zu keinen Terroranschlägen gekommen
ist, bleibt die Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus eine entscheidende Aufgabe. Diesem Zweck dient
der Einsatz, der, wie schon von den Vorrednern skizziert,
nicht nur an diesem Ort stattfindet, an dem Deutschland
seinen Beitrag leistet. Der Beitrag ist in der Gesamtheit
vielmehr in eine Struktur eingebunden. Für die Bundes-
wehr ist es wichtig – deswegen nenne ich dieses Argu-
ment in dieser Debatte, auch wenn es militärstrategisch
erscheint –, in diese Strukturen eingebunden zu sein. Das
zu negieren, halte ich für falsch. Wir wissen doch alle,
dass die Kooperation verschiedener militärischer Ein-
satzformen, sei es der Europäischen Union, sei es der
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Wir stellen zunehmend fest, dass sich der Terrorismus
n der Region, in der die Bundeswehr aktiv ist, wie
elbstverständlich ausbreitet. Denken Sie an den Jemen
der an die Aktion der saudischen Luftwaffe gegen Auf-
tändische in der Region. Allein daraus können Sie ab-
eiten, dass wir dort vor großen terroristischen Heraus-
orderungen stehen. Ich würde es gerade deshalb als
rfolg bezeichnen, dass wir in den vergangenen Jahren
einen direkten terroristischen Kontakt hatten. Wir se-
en, dass dort, wo Präsenz gezeigt wird, Erfolge eintre-
en und sich der Terrorismus auf dem Rückzug befindet.
as ist ein strategischer Vorteil, den wir nicht unter-
chätzen dürfen.
Der Einsatz der See- und Luftstreitkräfte am Horn
on Afrika ist und bleibt erforderlich, um Terroristen
en Zugang zu Rückzugs- und Aktionsräumen in der Re-
ion zu erschweren und damit die Kommunikation in-
erhalb dieser terroristischen Netzwerke zu verhindern
der zumindest zu erschweren.
Denken Sie nur einmal daran, was in der Region los
ar, welches terroristische Potenzial dort schlummerte:
m Jahr 2000 hat eine Serie von Anschlägen, unter
nderem gegen die USS „Cole“, dazu beigetragen, dass
ie Anschläge vom 11. September 2001 von den Terro-
isten in dieser Region mit vorbereitet wurden, bei denen
l-Qaida zum ersten Mal groß in Erscheinung getreten
st. Sie dürfen das große terroristische Potenzial, das in
ieser Region herrscht, nicht unterschätzen. Das muss
rnst genommen werden.
Die Bundeswehr leistet mit ihren Soldatinnen und
oldaten auch dort – das möchte ich an diesem wichti-
en Tag zum Schluss meiner Rede noch einmal sagen –
inen wichtigen Beitrag, den wir nicht unterschätzen
ürfen. Ich glaube, dass wir diesen Beitrag aus Gründen
er Bündnissolidarität und zur Bekämpfung des interna-
ionalen Terrorismus fortsetzen sollten. Deshalb werbe
ch um Ihre Unterstützung für diesen Einsatz.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 497
)
)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto SolmsInterfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 17/38 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungso beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a bis 11 c auf:a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPDKinderrechte stärken – Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen– Drucksache 17/57 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfeb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KatjaDörner, Josef Philip Winkler, Ekin Deligöz, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENUN-Kinderrechtskonvention unverzüglich voll-ständig umsetzen– Drucksache 17/61 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfec) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKEUN-Kinderrechtskonvention umfassend um-setzen– Drucksache 17/59 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
InnenausschussRechtsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt esdazu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist dasso beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-nerin das Wort der Kollegin Marlene Rupprecht von derSPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Silvester gibt es immer einen Film, in
dem es heißt: „The same procedure as every year!“ Bei
uns ist es in jeder Legislaturperiode die gleiche Proze-
dur: Dann sitzen hier diejenigen, die sich für Kinder-
rechte einsetzen und kämpfen. Wir haben gerade über
Terrorismus geredet. Manchmal habe ich schon Gelüste,
die Hartleibigen etwas unsanfter anzugehen, um endlich
das durchzusetzen, was der Grund dafür ist, dass wir uns
heute hier versammelt haben.
Es geht um die Kinderrechte. Wir haben am Freitag,
den 20. November 2009, 20 Jahre UN-Kinderrechte ge-
feiert. Alles, was Rang und Namen hat, war vertreten.
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Bevor die Bundesregierung – es war eine schwarz-
elbe Regierung; das war leider so – die Konvention, die
nschließend vom Bundestag ratifiziert wurde, gezeich-
et hat, hat sie Vorbehalte eingetragen. Sie haben gesagt:
ir wollen bestimmte Punkte so regeln, wie sie aus un-
erer Sicht richtig geregelt werden. Ich möchte Art. 41,
uf den Sie sich berufen, vorlesen. Da heißt es:
Dieses Übereinkommen lässt zur Verwirklichung
der Rechte des Kindes besser geeignete Bestim-
mungen unberührt …
Wir haben in einigen Bereichen Vorbehalte eingetra-
en, obwohl wir die entsprechenden Bestimmungen der
onvention bereits erfüllen. Eigentlich könnte man
iese Vorbehalte herausstreichen, ohne dass es sich be-
erkbar macht. Bei einem Punkt ist das allerdings an-
ers. Dabei geht es um Kinder, die als Flüchtlinge nach
eutschland kommen. Flüchtlingskinder im Alter von
6 bis 18 behandeln wir wie Erwachsene. Wir geben sie
n Abschiebungsräume und halten sie monatelang in
learing-Stellen fest. Wir geben ihnen nicht das Recht,
em wir per Unterzeichnung grundsätzlich zugestimmt
aben, nämlich das Recht auf Gleichbehandlung. Hier
ommt es zu massiven Diskriminierungen. Dafür wer-
en uns auf internationaler Ebene permanent Vorwürfe
emacht.
Bisher wurde eine Aufhebung der Vorbehalte immer
it dem Argument abgelehnt, dass die Bundesländer
icht mitmachen. Sie erklären im Koalitionsvertrag – da-
ür möchte ich Sie ausdrücklich loben –, dass Sie die
orbehaltserklärung aufheben wollen. Leider sind die
änderminister aber nicht ausgetauscht worden. Jetzt
offen wir einmal, dass es Ihnen gelingt, was wir in vie-
en Wahlperioden zuvor nicht geschafft haben. Wir hof-
en, dass die Länderminister und vor allem der Bundes-
nnenminister in der Lage sind, endlich die Aufhebung
er Vorbehalte durchzusetzen.
arum sind wir hier.
Die SPD, die Linken und die Grünen haben dazu An-
räge eingebracht. Ich würde Ihnen anbieten: Nehmen
ie doch die drei Anträge und machen Sie daraus einen.
ann unterstützen wir Sie bei der Aufhebung der Vorbe-
Rede von: Unbekanntinfo_outline
ie haben mich an Ihrer Seite, wenn es darum geht, dieorbehalte aufzuheben; ich halte auch den Innenministerest, der immer z'widerwurzig ist. Machen Sie es, und
Metadaten/Kopzeile:
498 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Marlene Rupprecht
zwar nicht erst irgendwann. Drei gute Anträge liegenvor. Nehmen Sie die Anträge und machen Sie einen da-raus! Ich garantiere Ihnen, dass die Fraktionen, die dieAnträge eingebracht haben, Sie unterstützen. Es ist näm-lich beschämend, dass es bei uns nach wie vor solche Re-gelungen gibt, dass wir Kinder abschieben, ihnen keineSchulbildung zukommen lassen, wenn sie 16 oder ältersind, dass wir sie gesundheitlich benachteiligen und ih-nen keine Maßnahmen der Jugendhilfe angedeihen las-sen, dass wir also den Flüchtlingskindern all das, wasden anderen Kindern zusteht, nicht gewähren.Mit einer Aufhebung der Vorbehalte würden wir deut-lich machen: Wir erfüllen jetzt endlich die UN-Kinder-rechtskonvention. Dies hätte bestimmte Folgen: Wirmüssten alle Regelungen überprüfen, die noch Diskrimi-nierungen von Kindern enthalten, zum Beispiel im Flücht-lingsrecht und im Ausländerrecht, aber auch alle Bestim-mungen, die aus meiner Sicht europaweit längst geregeltworden wären, wenn die deutschen Länderinnenministerdies nicht permanent blockiert hätten.Ich fordere die Regierung, die die Vorbehalte aufhe-ben muss, dazu auf, schnell eine Vorlage einzubringen,damit die UN-Kinderrechtskonvention nach 20 Jahrenendlich auch in Deutschland gilt. Ursprünglich habenviele gedacht, dass die Regelungen deshalb nur im Aus-land und nicht bei uns gelten sollten, weil die Situationder Kinderrechte bei uns schon recht gut ist. Wir solltenendlich eingestehen, dass auch bei uns Nachholbedarfbesteht, wenn wir hier wie in allen anderen Bereichen inder ersten Liga spielen wollen, dass wir also rechtlichnachbessern müssen.In diesem Sinne wünsche ich viel Erfolg. Ich bin mirnicht sicher, dass es gelingt, die Vorbehalte aufzuheben.Es wäre toll, wenn Sie die Innenminister davon überzeu-gen könnten. Ich wünsche es Ihnen, ich wünsche es unsallen, und ich wünsche es vor allem für die Kinder- undMenschenrechte. Denn die UN-Kinderrechte sind dieAusformulierung der Menschenrechte für Kinder. Siehaben verdient, dass sie anerkannt werden.In diesem Sinne: Viel Erfolg.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Frau Kollegin Rupprecht, ich habe gehört, dass diesungefähr Ihre 25. Rede zu diesem Thema gewesen ist.Das ist natürlich praktisch für Sie; Sie können immerwieder die Redemanuskripte hervorholen. Aber deswe-gen sind wir heute nicht hier. Wir sind hier, weil die dreiOppositionsfraktionen drei Anträge eingebracht haben.Wir freuen uns, dass wir diese Anträge zum Anlass neh-men können, heute über Kinder und Kinderrechte zusvtKhat2dibmPbrdlr–ddhrulWFpsFdkdsrwrwks
Keiner, Herr Ströbele, auch nicht der rot-grünen Bun-esregierung von 1998 bis 2005.
Die Forderungen in den nun vorliegenden Anträgener Opposition nach Rücknahme der deutschen Vorbe-altserklärung beschäftigen uns demnach seit vielen Jah-en. Wir haben im Koalitionsvertrag zwischen Unionnd FDP festgehalten, dass wir uns das für diese Legis-aturperiode vornehmen.
ir werden dies in enger Abstimmung nicht nur mit denamilienpolitikern – ich denke, zwischen den Familien-olitikern herrscht hier Konsens –, sondern auch mit un-eren Innenpolitikern, zum einen den Innenpolitikern derraktionen, zum anderen den Innenministern der Bun-esländer, tun und tun müssen. Wir brauchen deshalbeinen der drei vorliegenden Anträge, um tätig zu wer-en.
Die neue Bundesregierung von Union und FDP hatich also nicht nur vorgenommen, die Vorbehaltserklä-ung zurückzunehmen, sondern wir wollen weitereichtige Schritte hin zu einem noch kinderfreundliche-en Deutschland gehen. Ich freue mich über die Anträge,eil ich jetzt dadurch die Möglichkeit habe, Ihnen zu er-lären, wie es in den nächsten vier Jahren funktionierenoll, dass Deutschland noch kinderfreundlicher wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 499
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Dorothee BärEinige Herausforderungen, die wir uns vorgenommenhaben, sind ein wirksamer Kinderschutz, gleiche Bil-dungschancen für alle Kinder von Anfang an und dieBekämpfung von Kinderarmut. Wir wollen Chancen-gleichheit schaffen. Dafür brauchen wir für alle Kinderdie besten Rahmenbedingungen, damit die Talente, diewir in unserem Land haben, sehr früh gefördert und dieSchwächen rechtzeitig ausgeglichen werden.Wir wissen auch, dass sich die meisten Kinder sehrliebevoll in ihren Familien aufgehoben fühlen können,von ihren Eltern gut versorgt werden und viel Zuwen-dung erhalten. Daneben gibt es aber auch Eltern, die mitder Erziehung der Kinder überfordert sind und ganzdringend unserer Hilfe bedürfen. Deswegen möchte ich,dass wir alle dafür sorgen, dass diesen Eltern und Kin-dern rechtzeitig geholfen wird, dass wir alle früh hin-schauen und auf diese Familien zugehen.
Eine besondere Pflicht zum Hinschauen haben dieBehörden. Deswegen wird die schwarz-gelbe Bundes-regierung ein Kinderschutzgesetz auf den Weg bringen,das einen Schwerpunkt auf präventive Maßnahmen legt.
Wir werden verlässliche Netzwerke frühzeitiger Hilfenausbauen. Einen weiteren Schwerpunkt setzen wir aufdie Förderung der elterlichen Erziehungskompetenz.Um für alle Kinder gleiche Teilhabemöglichkeitenund gute Bildung zu gewährleisten, werden wir, wie an-gekündigt, auch die Zahl der Kinderbetreuungsplätzeweiter ausbauen
sowie die Weiterbildung von Erzieherinnen und Erzie-hern besser fördern und mehr in sie investieren. Gemein-sam mit den Ländern werden wir auch Eckpunkte zurfrühkindlichen Bildung und insbesondere zur Sprachför-derung entwickeln. Wir werden die Kinderarmut verrin-gern, indem wir den Kinderzuschlag weiter ausbauen.
Auch wir wissen, dass mehrere Kinder noch mehrGeld kosten.
– Frau Rupprecht, ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihre aus-gelassene Heiterkeit an dieser Stelle nicht.
Wenn es wirklich so ist, dass Ihnen die Kinder so wahn-sinnig am Herzen liegen, dann würde ich mich eigentlichfreuen, wenn Sie mehr durch zustimmendes, wohlwol-lendes Nicken auf sich aufmerksam machen würden.FnKldsdmIlfdsuIfmgdinMwtrnwMh
Frau Kollegin Rupprecht würde Ihnen gerne eine
rage stellen, Frau Bär. Erlauben Sie das?
Sie ist eine fränkische Landsfrau, auch wenn man es
icht hört. Selbstverständlich darf sie eine Frage stellen.
Frau Bär, ich möchte Sie gern fragen, ob Sie zurenntnis nehmen, dass man sich, wenn man schon soange, wie es einige Kolleginnen und Kollegen querurch die Fraktionen tun, an diesem Thema arbeitet, rie-ig freuen kann, dass das, was ein paar wenige Kollegenurchzusetzen versucht haben, jetzt endlich angekom-en ist.
ch freue mich deshalb, weil ich den Lernprozess bezüg-ich der Rücknahme der Vorbehalte bisher bei keinemestgestellt habe. Wenn beim Kinderschutz ab jetzt auchie Prävention eine Rolle spielt, dann bin ich wirklichehr stolz. Denn dafür haben wir gekämpft wie die Irren,nd jetzt haben wir es erreicht.
ch freue mich, daran mitzuwirken, dass wir damit er-olgreich sind. Würden Sie das bitte zur Kenntnis neh-en?Sie sind jetzt neu in unserem Ausschuss. Deshalblaube ich, dass es noch ein bisschen Zeit braucht, bisas, was wir bisher erreicht haben, überall angekommenst. Wenn Sie bereit wären, auch dies zur Kenntnis zuehmen, wäre ich Ihnen dankbar.
eine Frage ist, ob Sie sich bereits damit befasst haben,elche Maßnahmen, auch zur Zeit der Großen Koali-ion, als wir diesen Weg gemeinsam gegangen sind, be-eits eingeleitet oder durchgeführt wurden. Ich brecheämlich nicht mit der Vergangenheit; schließlich habenir alle unseren Beitrag geleistet.
eine Frage lautet also: Haben Sie sich schon angese-en, was wir damals gemacht haben?
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500 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Erstens, Frau Kollegin, nehme ich Ihre Freude natür-
lich sehr gerne zur Kenntnis.
Zweitens. Wenn Sie das Neue feststellen, dann wissen
Sie auch, dass neue Besen gut kehren.
Insofern freue ich mich natürlich auf eine sehr gute Zu-
sammenarbeit mit Ihnen.
Wenn Sie mit Ihrer Frage noch bis zu meinem nächs-
ten Absatz gewartet hätten, hätten Sie feststellen können,
dass ich auch die letzte Legislaturperiode besonders her-
vorgehoben hätte, weil in der letzten Legislaturperiode
unsere hervorragende Bundesfamilienministerin Frau
von der Leyen verantwortlich war.
Ich fahre in meiner Rede fort. Bereits in der letzten
Legislaturperiode haben wir die Staffelung des Kinder-
geldes für kinderreiche Familien, den Kinderbonus und
das Schulbedarfspaket beschlossen. All diese Maßnah-
men waren natürlich sehr wichtig.
Ein kleiner Punkt, der die Wertschätzung der Gesell-
schaft gegenüber Familien mit Kindern ausdrückt, ist
unser Vorhaben, die bestehenden Gesetze so zu ändern,
dass Kinderlärm nicht mehr als Störung, sondern als Zu-
kunftsmusik empfunden wird und dass er keinen Anlass
für gerichtliche Auseinandersetzungen mehr sein darf.
Ich würde mich sehr freuen, wenn alle Kolleginnen und
Kollegen, auch die der Oppositionsfraktionen, unsere
Regierung mit der gleichen Freude, Begeisterung und
Ausgelassenheit wie die Frau Kollegin Rupprecht in den
nächsten vier Jahren begleiten würden.
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Diana Golze von der
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Die Bedeutung des internationalenÜbereinkommens über die Rechte von Kindern kann garnicht hoch genug eingeschätzt werden. Keine andereMenschenrechtskonvention ist von so vielen Staaten ra-tifiziert und unterzeichnet worden. Gegenüber keiner an-deren gab und gibt es leider aber auch so viele Vorbe-halte wie gegenüber dieser Konvention.ßdwlthhnkCJsidsSDkdhtidideeDld„sd…fSdRdcf
Natürlich freut es mich und meine Fraktion, dass sichn den Koalitionsverhandlungen zumindest in der Frageer Rücknahme der Vorbehaltserklärung die FDP an-cheinend durchsetzen konnte.
o steht im Koalitionsvertrag:Wir wollen die Vorbehaltserklärung zur UN-Kin-derrechtskonvention zurücknehmen.ies wurde von den Medien als Erfolg meiner Kinder-ommissionskollegin Miriam Gruß gedeutet, die sichamit in den Koalitionsverhandlungen durchgesetztabe. Allerdings muss dieser Erfolg mit Vorsicht be-rachtet werden; denn Frau Gruß hat hier im Plenum fürhre Fraktion erklärt, dass sie die Auffassung der Bun-esregierung teilt, das deutsche Recht stehe schon jetztn Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen,ie sich aus der Kinderrechtskonvention ergäben, undine Änderung des deutschen Rechts sei deshalb nichtrforderlich.
as kann man in den bisherigen Anträgen der FDP nach-esen.Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, dies isteutlich zu kurz gesprungen. Es geht nicht nur darum,ein Signal für ein kinderfreundliches Deutschland“ zuetzen, oder darum, „Irritationen zu vermeiden“, oderarum, den „Dialog mit den Kinderrechtsorganisationen [zu] entspannen“, wie Frau Gruß und ihre Fraktion esormuliert haben.Wir wollen nicht wie in den vergangenen Jahren reineymbolpolitik an die Stelle von wirklicher Umsetzunger Kinderrechte setzen. Wir wollen nicht, dass eineücknahme der Vorbehaltserklärung wieder an den Län-ern scheitert. Wir wollen, dass die dringend erforderli-hen Änderungen im deutschen Aufenthalts-, Asylver-ahrens- und Sozialrecht endlich vorgenommen werden.
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Diana GolzeDas, meine Damen und Herren, läge bereits jetzt in derMacht dieses Parlaments; es müsste nur endlich den Mutdazu finden. Genau aus diesem Grund müssen sich alleBundesregierungen, die das Parlament vertröstet haben,fragen lassen, wie ernst sie es mit den Kinderrechtenwirklich meinen.
Es hilft den betroffenen jungen Menschen nicht weiter,dass sich die Politik lautstark über den rechtlichen Stel-lenwert der Vorbehaltserklärung streitet. Fakt ist, dassdie Vorbehaltserklärung existiert und Folgen hat.Die Zahl der unbegleiteten Flüchtlinge zwischen16 und 18 Jahren hat sich gegenüber dem Vorjahr mehrals verdoppelt: 616 waren es in diesem Jahr. Diese Kin-der sind geflüchtet vor Krieg, vor drohender Zwangs-rekrutierung, vor Verfolgung, vor Beschneidung, vorZwangsverheiratung. Diese Kinder kommen nach einerdramatischen Flucht hier in Deutschland an, erhaltenaber nicht, was jedes Kind bekommen würde, dem so et-was hier in Deutschland widerfahren wäre. Nein, statt-dessen folgen ein Asylverfahren ohne Beistand, die Un-terbringung in Sammelunterkünften und fragwürdigeAltersfeststellungsverfahren.Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder endlichmenschenwürdig und ihrer Situation entsprechend be-handelt werden.
Genau das ist der Grund, warum es um mehr geht als umeine symbolische oder formelle Rücknahme der Vorbe-haltserklärung.Es freut mich, dass die Kolleginnen und Kollegen derGrünen ihren Antrag aus der vergangenen Wahlperiodeum diesen Punkt erweitert haben. Ich freue mich auchüber den Antrag der SPD; allerdings hat die SPD das,was wir in unserem Antrag fordern, lediglich in der Fest-stellung formuliert.
Aus Ihrer Regierungserfahrung müssten Sie wissen, dassdurch eine bloße Feststellung weder das Asylrecht nochdas Aufenthaltsrecht geändert wird. Insofern hoffe ich,dass Sie sich den weiter gehenden Forderungen der Grü-nen und meiner Fraktion, der Linken, anschließen.Die Linke hat in der letzten Wahlperiode gesagt undbleibt dabei: Die Kinderrechte müssen für alle Kindergelten. Es ist nicht schwer, zu erahnen, was der UN-Aus-schuss sagen wird, wenn die Bundesregierung den längstüberfälligen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention endlich abgegeben hat:Deutschland ist meilenweit davon entfernt, ein kinder-freundliches Land zu sein: wachsende Kinderarmut, Bil-dungsungerechtigkeit, fehlende Beteiligungsrechte fürKinder und letztlich die massive Verletzung der Rechtevon Flüchtlingskindern. Für die BundesrepublikDrdDRrsRzdKdRacDKdVgvadzkBkknbZkmDgf
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sibylle Laurischk von
er FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenamen und Herren! Es freut mich, dass das Themaücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinder-echtskonvention erneut auf der heutigen Tagesordnungteht. Ich denke, inhaltlich gibt es in der Debatte um dieücknahme der Vorbehaltserklärung nicht mehr viel hin-uzufügen. Wie Sie wissen, haben wir uns als FDP inen letzten Jahren für eine Rücknahme stark gemacht.Durch die UN-Kinderrechtskonvention werden allenindern Grundrechte gewährt: das Recht auf Überleben,as Recht auf Schutz vor Missbrauch und Gewalt, dasecht auf Bildung, das Recht auf einen eigenen Namen,uf Information und auf Beteiligung am gesellschaftli-hen Leben.Vor über 16 Jahren trat für die Bundesrepublikeutschland das Übereinkommen über die Rechte desindes vom 20. November 1989 in Kraft. Eine im Zugeer Ratifizierung abgegebene Erklärung enthält jedochorbehalte, die sich insbesondere auf das elterliche Sor-erecht, die anwaltliche Vertretung und weitere Rechteon Kindern im Strafverfahren sowie im Vorbehalt IVuf die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, aufie Bedingungen ihres Aufenthalts und auf Unterschiedewischen In- und Ausländern beziehen.Das deutsche Recht muss im Einklang mit den völ-errechtlichen Verpflichtungen stehen, die sich für dieundesrepublik Deutschland aus der UN-Kinderrechts-onvention ergeben. Es besteht daher keine Notwendig-eit, länger an der Erklärung festzuhalten.
Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung ist abericht nur rechtlich notwendig, sie ist auch politisch ge-oten; denn es gilt, national wie international bestehendeweifel am Willen Deutschlands, die UN-Kinderrechts-onvention uneingeschränkt durchzusetzen, auszuräu-en.
ie Rücknahme der Vorbehaltserklärung stellt ein drin-end notwendiges und überfälliges Signal für ein kinder-reundliches Deutschland dar.
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502 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Sibylle Laurischk
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrücklichdarauf hinweisen, dass es hier um das fundamentaleThema Menschenrechte geht, und zwar insbesondere umdie Rechte minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge.
Es kann und darf nicht sein, dass Flüchtlingskinder ab16 Jahren im Asylverfahren wie Erwachsene behandeltwerden und keinen juristischen Beistand bekommen.
Es kann und darf nicht sein, dass ihre Asylanträge ab-gelehnt werden, weil ihr Schicksal angeblich keine poli-tische Verfolgung im Sinne des deutschen Asylrechtsdarstellt. Es kann und darf nicht sein, dass diese Kinderund Jugendlichen in Abschiebehaft geraten können.Schließlich kann und darf es nicht sein, dass sie beimSchulbesuch, bei der medizinischen Versorgung oder beiden Ausbildungsmöglichkeiten schlechter als deutscheKinder gestellt sind.
Dass all diese Szenarien nach jetziger Rechtslage inDeutschland denkbar sind, ist ein inakzeptabler Miss-stand. Davon abgesehen machen wir uns auf internatio-nalem Parkett lächerlich. Es darf keine Irritationen undkein Zweifel am Willen Deutschlands geben, die UN-Kinderrechtskonvention uneingeschränkt durchzusetzen.Wir dürfen anderen Staaten keine Gründe liefern, selbstVorbehalte anzumerken.
Die Rücknahme der Vorbehaltserklärung stärkt diePosition der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlichdes internationalen Menschenrechtsschutzes und hilft in-nerhalb und außerhalb Deutschlands, Irritationen zu ver-meiden. Durch die Rücknahme der Erklärung wird sichzudem der Dialog mit den Kinderrechtsorganisationen,die die Rücknahme seit langem fordern, merklich ent-spannen.Kinderrechte sind Menschenrechte. Die Rücknahmeder Vorbehaltserklärung ist ein dringend notwendigesund überfälliges Signal für ein kinderfreundlichesDeutschland. Deswegen haben wir es uns in unserer Ko-alitionsvereinbarung auch so vorgenommen.
Wir müssen den heute hier vorliegenden Anträgen auchnicht zustimmen, weil wir handeln werden.
BLeVzhswesbsstvtEKnlbwdaamwdVicm
Jetzt, so wenige Wochen später, bin ich leider schonnttäuscht. Die Koalition hat es noch nicht einmal ge-chafft, zu dieser heute nun wirklich erwartbaren De-atte einen eigenen Antrag vorzulegen.Von dem einen oder anderen war zu hören, die Zeit-panne sei auch etwas kurz gewesen. Aber ich finde, die-es Argument kann man nicht gelten lassen. Die Koali-ion hat es sogar geschafft, einen Gesetzentwurforzulegen, um das Kindergeld und den Kinderfreibe-rag zu erhöhen.
ine solche Maßnahme kommt aber gerade den ärmstenindern in unserem Land – das haben wir hier schon ei-ige Male gehört – nicht zugute.
Ich möchte darauf verweisen, dass UNICEF Deutsch-and in der vergangenen Woche anlässlich des 20. Ge-urtstags der Kinderrechtskonvention ausdrücklich dieachsende Kluft zwischen den armen und reichen Kin-ern, zwischen Kindern mit Chancen und solchen ohneuch hier bei uns in Deutschland problematisiert hat.
Frau Bär, Sie haben eben gesagt, dass Sie die Kinder-rmut in Deutschland bekämpfen wollen. Lesen Sie ein-al in Ihrem Wachstumsbeschleunigungsgesetz nach,as Sie an der Stelle machen! Gerade den ärmsten Kin-ern in unserem Land wird das nicht zugutekommen.
Um es ganz deutlich zu sagen: Die Rücknahme derorbehalte ist mitnichten ein formaler Akt. Ich vermissem Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu der Tatsa-he, dass die Rücknahme echte rechtliche Folgen habenuss.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 503
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Katja Dörner
Ich bin leider sehr skeptisch, dass hier von CDU/CSUund FDP tatsächlich etwas bewegt werden wird, damitendlich der Zustand beendet wird, Kinder, die traumati-siert und alleine in Deutschland Schutz und Zuflucht su-chen, in Sammellager zu verfrachten und 16-Jährige inihren Asylverfahren wie Erwachsene zu behandeln. Ih-nen wird der Zugang zu medizinischer und psychologi-scher Behandlung verwehrt. In manchen Bundesländernsind sie noch nicht einmal schulpflichtig. Ich finde, dasist ein Skandal in unserem Land.
Es muss ganz klar sein: Die Vorbehalte zurückzuneh-men, darf keine Mogelpackung sein, mit der sich dieBundesregierung schmückt, ohne rechtliche Konsequen-zen folgen zu lassen.Welche Rolle spielen die Bundesländer? Ich gehe da-von aus, dass das zukünftig kein Problem mehr seinwird. Denn in früheren Jahren haben alle Abfragen erge-ben – darauf wurde schon hingewiesen –, dass es dieschwarz-gelben Länder waren, die sich geweigert haben.Zu denen werden Sie jetzt einen Superzugang haben.Deshalb gehe ich einfach davon aus, dass das zukünftignicht mehr vorkommen wird.
– Genau. Ich bin neu und darf noch optimistisch sein.Grundsätzlich finde ich aber auch, dass die Bundesre-gierung an dieser Stelle keine falsche Rücksicht auf dieBundesländer nehmen sollte. Den Bundesländern gegen-über rücksichtsvoll zu sein – viele Bundesländer habensich mittlerweile selber dahin gehend geäußert, dass siedie Vorbehaltserklärung gerne zurückgenommen sehenwollen –, aber rücksichtslos gegenüber den Flüchtlings-kindern: Das wäre ein kinderrechtliches Trauerspiel.
Ich bin von CDU/CSU und FDP auch deshalb ent-täuscht, weil ihr Engagement für die Kinderrechte inDeutschland insgesamt wenig ambitioniert ist. Ich finde,es braucht viel mehr als das, was wir wohl in den nächs-ten vier Jahren erwarten dürfen. Wir brauchen beispiels-weise eine umfassende Strategie zur Umsetzung derKinderrechte in Deutschland. Der Nationale Aktionsplanmuss weiterentwickelt und engagiert fortgeführt wer-den. Der deutsche Staatenbericht muss endlich vorge-legt werden. Darauf warten wir seit Monaten. Wir müs-sen auch – davon bin ich überzeugt – unsere Verfassungändern. UNICEF-Botschafterin Sabine Christiansen hatden Satz geprägt – ich zitiere –:hSldBCKpMTsafifsMhdAerzpmlldzlnfBww
Ich finde, das sollte nicht so bleiben. Kinderrechte ge-ören in unser Grundgesetz. Das ist weit mehr als nurymbolik. Auch das ist aus meiner Sicht längst überfäl-ig.
Frau Kollegin Dörner, ich gratuliere Ihnen im Namen
es ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen
undestag.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Michaela Noll von der
DU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebeolleginnen und Kollegen! Liebe Marlene, „the samerocedure“. Du hast recht in diesem Punkt.Ich freue mich sehr darüber, dass hier viele ehemaligeitglieder der Kinderkommission sitzen. Wir haben dashema UN-Kinderrechtskonvention immer wieder be-prochen. Ich schätze, Kollegin Ingrid Fischbach hat ihrechtzehnte Rede dazu gehalten. Du, Marlene, bist bei derünfundzwanzigsten angekommen. Über dieses Themast immer wieder im Plenum diskutiert worden. Ich binroh, dass wir im Koalitionsvertrag darauf eingegangenind. Es war dabei sicherlich nicht schädlich, dass zweiitglieder der Kinderkommission an den Koalitionsver-andlungen teilgenommen haben. Das war der Sache nurienlich. Deswegen richte ich an dieser Stelle meinenppell an alle Fraktionen. Ich würde mich freuen, wenns uns wieder gelingt, eine Kinderkommission einzu-ichten; denn eine solche Kommission setzt eigene Ak-ente, hat das Kindeswohl im Auge und kann eine über-arteiliche Beschlussfähigkeit aufweisen. Es würdeich für die Sache sehr freuen.
Ich bin sehr dankbar, liebe Marlene, dass du uns ge-obt hast. Ich bin zuversichtlich, dass es uns diesmal ge-ingen kann; denn wir haben nun die Mehrheiten in Bun-estag und Bundesrat. Ich hoffe, dass die Innenministeru der Einsicht gelangen, dass hier dringender Hand-ungsbedarf besteht. Ich jedenfalls habe diese Hoffnungicht aufgegeben. Wir werden entsprechende Gesprächeühren.Ich bin auch sehr dankbar, dass Kollegin Dorotheeär den Spannungsbogen aufgezeigt und geschildert hat,as wir über die Konvention hinaus für Kinder machenollen. Der aktive Kinderschutz, die Bildungschancen
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504 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Michaela Nollund die Kinderarmut wurden schon angesprochen. Esgeht auch darum, wie Kinder in Deutschland tatsächlichleben. Sie hat das Stichwort „Kinderlärm“ erwähnt. Ichhätte nicht gedacht – ich glaube, das trifft wohl auf fastjeden Wahlkreis zu –, dass Einrichtungen geschlossenwerden, weil Nachbarn plötzlich der Ansicht sind, eswerde zu viel Kinderlärm gemacht. Ich habe es bei ei-nem alle zwei Jahre stattfindenden Schüler-Sponsoren-Lauf zugunsten eines südamerikanischen Schulprojekts– Schüler unterstützen Schüler – erlebt: Wir dürfen denStartschuss nicht mehr geben, weil sich die Nachbarngenervt fühlen. Ich bin froh, dass im Koalitionsvertragauch auf dieses Thema eingegangen wird; denn auch dasträgt zu einer Änderung in den Köpfen bei und rückt dieFrage in den Mittelpunkt, wie wir mit Kindern umgehen.Schaffen wir ein kinderfreundliches Land!Liebe Kollegin Golze, ich bin froh, dass wir in derheutigen Debatte einen etwas gemäßigten Ton ange-schlagen haben. Ich hatte schon die größten Befürchtun-gen. Was wir in der Geschäftsordnungsdebatte in derletzten Legislaturperiode gehört haben, war zum Teil al-les andere als schön. Aber eines ist falsch: Ich denke, un-sere Bilanz der letzten vier Jahre ist wirklich gut.Schauen Sie sich an, was wir in der Familienpolitik aufden Weg gebracht haben! Nicht umsonst hat Familien-politik im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Wir ha-ben den Ausbau der Betreuungsplätze vorangebracht so-wie das Elterngeld und die Elternzeit eingeführt. Es gibtnoch viele andere Aspekte. Eltern haben sich inDeutschland plötzlich ernst genommen und wahrgenom-men gefühlt. Unter vielen anderen Regierungen war dieFamilienpolitik leider ein Randthema. Deswegenmöchte ich das, was Sie gesagt haben, so nicht stehenlassen.Frau Dörner, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer ers-ten Rede. In einem Punkt haben Sie recht. Sie habenam Anfang Ihrer Rede gesagt, dass Sie beim Lesen desKoalitionsvertrages gedacht hätten: Nicht schlecht! –Genau so ist es. Sie haben dann gefragt, warum wirkeine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht haben.Richtig ist: Wir sind erst in der zweiten Sitzungswoche.Die Ausschüsse haben sich gerade erst konstituiert.Ich finde folgende Aussage in Ihrem Antrag sehrwichtig: Die UN-Kinderrechtskonvention ist ein Meilen-stein in der Geschichte der Kinderrechte. – In diesemPunkt gibt es große Akzeptanz und einen großen Kon-sens in diesem Plenum. Dass es nach wie vor zwei Län-der gibt, die diese Konvention nicht ratifiziert haben,finde ich bedauerlich.
Bislang ist aber noch nicht deutlich geworden, waswir alles im Zusammenhang mit der UN-Kinderrechts-konvention auf den Weg gebracht haben. Ich nenne einpfHrFdsTfLaigwdiKSgbd–nwtzcZwb
Wir haben Sonderbeauftragte, die wirklich versuchen,m Rahmen ihrer Möglichkeiten auf die Bedürfnisse derinder einzugehen. Deswegen, meine ich, ist das, wasie hier vorgetragen haben, in der Sache nicht korrekt.
Seit 1992 gab es nicht nur schwarz-gelbe Regierun-en. An der Aufrechterhaltung der Vorbehalte waren alleeteiligt. Es ist aber keinem gelungen, ihre Rücknahmeer Vorbehalte durchzusetzen.
Auch die hatten schon Innensenatoren, die sich ableh-end angestellt haben.
Wichtig ist, zu fragen: Was wollen wir? Ich glaube,ir sollten die gute Chance durch den jetzigen Koali-ionsvertrag einfach nutzen. Wir sollten uns dafür einset-en, die Rücknahme der Vorbehalte wirklich zu errei-hen. Das wäre auf internationaler Ebene ein guteseichen. Ich glaube, dass wir die Kraft dazu haben. Wirerden uns daher alle in diesem Rahmen entsprechendemühen. Das ist versprochen.Danke.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009 505
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Michaela Noll
Das Wort hat jetzt der Kollege Christoph Strässer von
der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Von denjenigen, die nicht
zum ersten Mal zu diesem Thema sprechen, bin ich
wahrscheinlich derjenige, der am ältesten aussieht.
Das soll aber nichts daran ändern, dass es auch im ge-
steigerten Alter noch wichtig und richtig ist, sich für die
Rechte von Kindern einzusetzen.
Frau Kollegin Noll, Sie haben recht: Natürlich würde
es der Bundesrepublik Deutschland gut anstehen, wenn
sie mit hoher Legitimation die Umsetzung der Kinder-
rechtskonvention in den Staaten, wo dies noch nicht ge-
schehen ist, vorantreiben könnte. Wieso sollen aber aus-
gerechnet wir aus Sicht anderer Länder Glaubwürdigkeit
besitzen, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, die Kin-
derrechtskonvention ihrem Sinne und Inhalt nach kom-
plett und vollständig umzusetzen? Das ist doch genau
der Punkt, mit dem wir es die ganze Zeit zu tun haben.
Ich bin weiß Gott nicht jemand, der alles auf andere
schieben will. Herr Kollege Haibach, wir haben in den
letzten vier Jahren im Menschenrechtsausschuss wirk-
lich eingehend versucht, einen Konsens in der Großen
Koalition hinzubekommen. Ich weiß, dass das Hindernis
nicht die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist. Ich muss
aber doch konstatieren, dass es im letzten Jahr, im
Herbst 2008, eine Bundesratsinitiative von SPD-regier-
ten Ländern gegeben hat. Die gibt es immer noch, und
im Mai wird wahrscheinlich noch Weiteres dazukom-
men; das ist ja ganz gut. Ich darf Sie daran erinnern, wo-
ran dieser Vorstoß gescheitert ist. Er ist daran geschei-
tert, dass diese Initiative im Bundesrat noch nicht einmal
diskutiert worden ist. Die CDU-regierten Länder haben
die Diskussion verweigert. Sie haben gesagt: Wir ma-
chen das nicht.
Ich kann Ihnen auch sagen, warum das so ist. Man hat
damals – das ist doch der eigentliche Skandal – den aus-
länderrechtlichen Vorbehalt in den Ratifizierungsprozess
eingeführt, weil man der Meinung war – Entschuldi-
gung, ich sage das etwas platt und überspitzt –: Wenn
Deutschland das macht, dann werden wir von Kindern
überschwemmt, auf die diese Kinderrechtskonvention
zutrifft. – Das ist absurd. Das ist zynisch. Das ist men-
schenfeindlich. Das muss man ganz einfach einmal sa-
gen.
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Ich habe in den letzten Wochen und Monaten gehört
nd gelesen, dass sich CDU/CSU und FDP darauf vor-
ereitet haben, gemeinsam zu regieren. Wenn es möglich
ewesen wäre, in einem solch relativ einfachen Fall
chnell eine Abstimmung herbeizuführen, dann hätten
ir diese Diskussion heute Abend nicht. Ich unterstütze
ie doch, Frau Laurischk. Sie sind doch diejenigen, die
as wahrscheinlich betrieben haben. Sie können darauf
ählen, dass Sie die Unterstützung der Opposition haben,
enn Sie das umsetzen wollen. Aber die Erfahrungen,
ie wir haben – das sage ich Ihnen noch einmal ganz
eutlich –, sprechen eine ganz andere Sprache.
Ich möchte Ihnen deshalb ein Beispiel nennen, um zu
eigen, um was es eigentlich geht.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin
ischbach?
Ja, sicher. Ich habe heute schon viele gute Zwischen-
ragen gehört, die immer beste Profilierungschancen ge-
oten haben.
Dann hoffe ich jetzt auf eine gute Antwort, Herr Kol-
ege Strässer.
Ich wollte nur fragen, ob Ihnen bewusst ist, dass in
en rot-grünen Regierungsjahren selbst Ihre Minister vor
er Kinderkommission gesagt haben, sie brauchten es
ar nicht zu versuchen, und sie würden es auch nicht
ersuchen, die Vorbehalte zurückzunehmen, weil da ei-
entlich nichts richtig zurückzunehmen ist. Die Ent-
icklungen seien eigentlich so fortgeschritten, dass man
ie gar nicht mehr zurücknehmen müsse. Deshalb sei
an diesen Weg nicht gegangen.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass es auch unter
hrer Ägide – Sie sagten gerade, es liege nur an der
DU –, also selbst unter Rot-Grün, nicht möglich war,
iesen Weg zu gehen?
Ich glaube, Sie haben mir nicht richtig zugehört. Ichabe zu Beginn gesagt: An der Tatsache, dass wir jetztarüber streiten, sind alle mitschuldig. Nur, ich kann Ih-en noch einmal sagen – das betraf den Hinweis auf die
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506 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. November 2009
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Christoph SträsserBundesratsinitiative des letzten Jahres –: Alle SPD-re-gierten Bundesländer haben diesen Antrag im Bundesrateingebracht, und er ist ausschließlich an den Bundeslän-dern gescheitert, die von Ihrer Partei regiert werden.Dann können Sie sich bitte schön hier nicht hinstellenund bei uns Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen, dieSie in den letzten vier Jahren aus meiner Sicht massivverspielt haben.
Wie gesagt: Mir geht es gar nicht darum, jetzt die Ver-gangenheit zu bewältigen, sondern mir geht es darum,dafür zu sorgen, dass es nach vorne geht. Ich will Ihnendazu ein Beispiel nennen, was sich in diesem Jahr, imJahr 2009, im Land Niedersachsen abgespielt hat. Wirreden hier immer ganz pauschal über Verfahren, wir re-den ganz pauschal über Grundrechte, aber es sind Ein-zelschicksale. Da wird ein 16-jähriges Romamädchenunbegleitet in das Kosovo abgeschoben. Dieses Mäd-chen ist aus Furcht vor sexuellen Übergriffen, die es er-litten hat, nach Deutschland gekommen. Wo seine Elternsind, weiß kein Mensch. Es wird alleine nach Pristinaabgeschoben, obwohl wir wissen, dass das die europäi-sche Drehscheibe für Menschenhandel, für Frauenhan-del und für Prostitution ist. Das ist die praktische Folgedessen, was wir hier seit vielen Jahren bekämpfen. Al-leine deshalb sage ich: Die Frage der Umsetzung derKinderrechtskonvention hat auch massiv etwas mit Men-schenwürde, mit Kinderrechten insgesamt zu tun.
Ich sage das angesichts aller fortschrittlichen Dinge,die unter Rot-Grün und der Großen Koalition geschehensind: Solange das nicht geregelt ist, ist für viele Kinderund Jugendliche in diesem Alter der Anspruch, dassDeutschland ein kinderfreundliches Land ist, ein purerEtikettenschwindel. Wir sind gerne bereit, diesen Etiket-tenschwindel dadurch zu beseitigen, dass wir es jetztendlich in den nächsten vier Jahren hinbekommen.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Dr. Peter Tauber von der CDU/CSU-Frak-
tion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meineHerren! Liebe Frau Rupprecht, ich habe Ihnen wegen Ih-rer mitreißenden und Ihrer optimistischen Art sehr gernezugehört. Aber nach dem weiteren Verlauf der Debattebin ich doch geneigt, mein ebenfalls relativ optimistischgehaltenes Manuskript beiseite zu legen und auf vierPunkte einzugehen, die aus meiner Sicht in den letztenMinuten der Debatte einen zu großen Schwerpunkt ein-genommen haben.sefrFutfvd–zWdrSsndzwAnJkhdlnlAdWEDidcdrscnL
Ja, aber ich nehme mir heraus, der Wahrheit die Ehreu geben und von unserer Seite daran zu erinnern.
ie gesagt: Schauen Sie sich an, wer 1992 in neun Län-ern die Regierung gestellt hat. In diesen Ländern gab esot-grüne Landesregierungen. Der Ministerpräsident desaarlandes hieß Oskar Lafontaine. Das ist ein gutes Bei-piel dafür, dass wir mit solch einer Verursacherdebatteicht weiterkommen.
Der zweite Punkt ärgert mich auch. Sie suggerieren,ass wir durch die Rücknahme der Vorbehaltsregelungu fundamental anderen Rechtsgrundlagen kommenürden. Die Kollegin hat dankenswerterweise aus derntwort auf die Große Anfrage der Grünen zur Rück-ahme der Vorbehalte zur Kinderrechtskonvention vomuli 2007 zitiert. Die Antwort auf die Frage 10 ist ganzlar: Das deutsche Asylverfahrensrecht und das Aufent-altsrecht entsprächen schon heute in vollem Umfanger UN-Kinderrechtskonvention. Wir können da viel-eicht noch über rechtliche Details streiten, aber dochicht darüber, dass wir von dem, was angestrebt wird,ängst nicht so weit weg sind, wie Sie es suggerieren.uch das ärgert mich.Der dritte Punkt – ihn halte ich eigentlich für beson-ers schlimm –: Durch die Art der Argumente und dieahl der Worte nehmen Sie bewusst in Kauf, dass derindruck entstehen könnte, dass Deutschland massiveefizite im Bereich Kinderrechte hat. Natürlich stimmech Ihnen zu: Es gibt immer etwas, was wir im Interesseer Kinder, im Interesse der Familien noch besser ma-hen können; das gilt gerade für so zentrale Fragen wieie Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei jungen Paa-en. Natürlich haben wir da immer noch viel zu tun.Aber wahr ist auch, dass es auf diesem Globus wahr-cheinlich nur wenige Länder gibt, in denen Kinder sol-he Zukunftsperspektiven haben, in denen Kinder in ei-er solchen Sicherheit groß werden, wie es in unseremand der Fall ist.
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Dr. Peter TauberDurch solche Diskussionen schaffen Sie eher Verun-sicherungen und machen Sie eben nicht deutlich, dassdas, was man gemeinhin eine glückliche Kindheit nennt,für den größten Teil der Kinder in diesem Land alleinaufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen– damit meine ich nicht nur das Sozialsystem, das Ge-sundheitssystem und das Bildungssystem, sondern vorallem die Tatsache, dass es unheimlich viele Menschengibt, die sich für Kinder engagieren – möglich ist. Dasblenden Sie aus oder nivellieren es, und das halte ich fürnicht sehr glücklich.Der vierte Punkt – das finde ich persönlich ein biss-chen schade –: Durch Ihre Ausführungen haben Sie ei-gentlich die Chance vertan, dass wir gemeinsam, alsoFDP, CDU/CSU und die drei Fraktionen der Opposition,etwas auf den Weg bringen.Damit möchte ich schließen. Ich glaube, die betroffe-nen Kinder, aber auch die Eltern fragen nicht danach,wer wann wie schuld war. Sie fragen nicht danach, werwas getan hat oder wer wann welchen Schaufenster-antrag formuliert hat. Sie fragen ganz konkret: Wannverändert sich was? Wenn wir das in den künftigen De-batten ein bisschen mehr in den Mittelpunkt stellen,dann wäre allen geholfen.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Tauber, auch Ihnen gratuliere ich im Na-
men des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
destag.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/57, 17/61 und 17/59 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein-
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/56 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es dage-
gen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Rüdiger Veit von der SPD-Fraktion
das Wort.
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In diesem Arbeitskreis Illegalität – das ist zunächstinmal positiv hervorzuheben – haben eigentlich Mit-lieder aller Fraktionen dieses Hauses die ganze Zeitber mitgewirkt und, wie ich finde, konstruktiv mitge-irkt. Wir haben uns immer wieder gefragt: Wie könnenir wenigstens die humanitäre Situation der Menschenann, wenn sie krank werden, Arbeitslohn einklagenollen oder müssen oder ihre Kinder schulpflichtig wer-en, ein bisschen verbessern? Niemand hat in dem Zu-ammenhang jemals die Behauptung aufgestellt, wirüssten sie alle im Hinblick etwa auf einen Aufenthalts-tatus regelrecht legalisieren. Das will ich einmal klarnd deutlich sagen. Wir haben jedoch alle die humanitä-en Notwendigkeiten gesehen.Das hat dazu geführt, dass wir eine ganze Zeit langarteiübergreifend überlegt haben, wie wir durch ent-prechende Veränderungen unserer Rechtslage oder dererwaltungspraxis eine Verbesserung der sozialen Situa-ion bewirken können. Eine Zeit lang haben wir uns da-ei auf die Verwaltungsvorschriften zum Aufenthalts-echt konzentriert, weil wir nicht so richtig wussten, wieir das Ganze gesetzlich fassen sollten. Später hat dastwas andere Formen angenommen.Wir haben dann zu Zeiten der Großen Koalition dieerabredung getroffen, zu prüfen, welche Möglichkeitenum Helfen bestehen, und danach zu handeln. Dazu ists schlussendlich aber leider nicht mehr gekommen. Ichill Ihnen auch sagen, warum: Die Unionskollegen wa-en mit uns eigentlich durchaus der Auffassung, dassan zumindest einmal die Übermittlungspflichten einerritischen Würdigung unterziehen sollte; denn – dasurde auch durch den Prüfbericht, den der Bundes-inister des Innern veranlasst hat, festgestellt – diese soge-annten Übermittlungspflichten sind bei uns in Deutsch-nd – typisch deutscher Perfektionismus – eigentlich
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Rüdiger Veiteinmalig in Europa dergestalt geregelt, dass jedermann,der von Illegalen und ihrem Aufenthalt hier in Deutsch-land Kenntnis erhält, darüber den Behörden, insbeson-dere der Ausländerbehörde, Mitteilung machen muss.
– Selbstverständlich jeder im öffentlichen Dienst, jedeöffentliche Stelle. In der Tat, Kollege Wieland. – Vordiesem Hintergrund war dann immerhin mit der Unioneine Verständigung darauf erreichbar, dass der Schulbe-such der Kinder von Illegalen nicht verunmöglicht wer-den sollte. An dieser Stelle war man bereit, sich einStück zu bewegen. Das hat dann aber leider nicht funk-tioniert, wie wir wissen. Auch ein Gesetzentwurf, denwir in der letzten Legislaturperiode schon fertiggestellthatten, konnte nicht auf den Weg gebracht werden, weilnamentlich die B-Länder gesagt hatten, sie machten danicht mit.Worum geht es uns mit dem jetzt vorliegenden Ge-setzentwurf? Wir wollen erstens erreichen, dass KinderIllegaler hier in Deutschland zur Schule gehen können,ohne dass sie oder ihre Eltern Angst davor haben müs-sen, dass die Lehrer oder die Schulleiter der Ausländer-behörde Mitteilung machen. Wir wollen zweitens errei-chen, dass sich illegal in Deutschland aufhaltendeMenschen ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können,ohne dass sie Angst haben müssen, dass der Kranken-hausträger, die Abrechnungsstelle oder auch das Sozial-amt den Tatbestand des illegalen Aufenthalts der Aus-länderbehörde mitteilen.
Wir wollen drittens erreichen, dass die Illegalen, die hierin Deutschland zum Teil auch entgeltpflichtig beschäf-tigt werden, in der Zukunft von ihren Arbeitgebern min-destens nicht mehr um ihren Lohn geprellt werden kön-nen. Das ist bisher der Fall, weil auch die Arbeitsrichterverpflichtet sind, wenn sie denn Kenntnis davon erhal-ten, der Ausländerbehörde den Status der Illegalen undihre Personalien mitzuteilen.Ich glaube, wir alle hier im Hause stimmen überein,dass man diese Gewährung humanitärer Mindeststan-dards in Deutschland jetzt dringend wiederherstellenmuss, um auf die Art und Weise dann auch den Stan-dards der Mehrheit der übrigen europäischen Staaten zuentsprechen.
Im Übrigen gibt es auch eine europäische Richtlinie ausdiesem Jahr, also von 2009, die gerade in der Frage desEinklagens von Arbeitslohn entsprechende Vorgabenmacht. Hier haben wir also auch Handlungsbedarf.Außerdem haben wir im Arbeitskreis Illegalität desÖfteren folgende Situation diskutiert: Jemand, der inDeutschland aus rein humanitären Gründen IllegalenHAlUghVsDuhbm–MoTnnbRawsneiwfmtd–dZjKSKWuwdStvZld
eswegen ist es notwendig, an der Stelle nachzubessernnd im Gesetz klarzustellen, dass derjenige, der aus reinumanitären Gründen, ohne einen Vorteil davon zu ha-en, Illegalen in Deutschland hilft, sich nicht strafbaracht. Das ist das, was wir jetzt erreichen wollen.
Herr Kollege Dr. Uhl, Ihr Zwischenruf gibt mir dieöglichkeit, diesen Gedanken auszuweiten. Sie fragten,b es einen solchen Fall gebe. Nein, den gibt es in derat nicht. Es gibt einen einzigen Fall, der aber unter ei-em anderen rechtlichen Gesichtspunkt behandelt wird,ämlich unter dem der Veruntreuung öffentlicher Gelderei der Hilfeleistung für Illegale. Aber es gibt eine ganzeeihe von Menschen in dieser Republik – Ärzte, Sozial-rbeiter, Geistliche, Lehrer usw. –, die vielleicht bereitären, Illegalen zu helfen, die aber Angst davor haben,ich strafbar zu machen. Diese Angst sollten wir ihnenehmen. Auch oder gerade weil es bisher noch keinenntsprechenden Fall gab, sollten wir in dieser Hinsichtm Gesetz endlich für eine Klarstellung sorgen. Es dürfteohl niemanden stören, wenn wir das jetzt ausdrücklichestschreiben. Das Gleiche gilt, wie gesagt, für die Über-ittlungspflichten. Auch da ist eine Regelung überfällig.Dass wir jetzt, in der Oppositionszeit, mit diesem An-rag kommen, liegt auf der Hand. In der Koalition miter Union war eine solche Regelung nicht möglich, weil ich wiederhole es – uns die Innenminister der B-Län-er ausgebremst hätten, denn auch hierfür hätten wir dieustimmung im Bundesrat gebraucht. Wir wollen dasetzt hier auf den Tisch legen, zumal sich auch in Ihreroalitionsvereinbarung ein Hinweis findet. Dort steht,ie wollen die Wahrnehmung des Schulbesuchs vonindern ermöglichen. Wir begrüßen das ausdrücklich.ir hätten uns auch in diesem Punkt, liebe Kolleginnennd Kollegen von der FDP, noch ein bisschen mehr ge-ünscht, als Sie in der Koalitionsvereinbarung habenurchsetzen können.
o weit waren wir in diesem Punkt in der Großen Koali-ion auch schon. Aber auch hier gilt der Satz, der vorhinom Kollegen Strässer geprägt wurde und den ich alswischenruf wiederholt habe: Die Hoffnung stirbt zu-etzt. – Jetzt sollten wir uns bewegen. Sehen Sie bitte zu,ass Sie die B-Länder auf die richtige Seite bekommen!
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Rüdiger VeitDann können wir endlich das tun, was seit mehr als zehnJahren überfällig ist.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Kristina Köhler von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Die Debatte über die Situation von illegalen Auslän-dern in Deutschland ist schwierig. Man ist allzu leichtgeneigt, sich gegenseitig fehlende Humanität oder einfehlendes rechtsstaatliches Verständnis vorzuwerfen. Ichglaube, dass uns solche Vorwürfe nicht weiterführen.
Denn tatsächlich sind Menschenrechte und Rechtsstaat-lichkeit keine Widersprüche. Humanitäre Standards kön-nen nur in einem Rechtsstaat verwirklicht werden. Um-gekehrt muss sich jede ordnungsrechtliche Maßnahmeim Lichte der Grundrechte bewähren.Lassen Sie mich deshalb für meine Fraktion zweiDinge klarstellen:Erstens. In einem Rechtsstaat kann illegale Migrationnicht akzeptiert werden.
Wer sich unerlaubt in einem Land aufhält, hat diesesLand zu verlassen. Das ist keine deutsche Eigenheit,sondern dieser Grundsatz gilt auf der ganzen Welt. Siewürden die Integrationsbereitschaft der Bevölkerungüberfordern, wenn Sie unbegrenzt illegalen Aufenthaltakzeptieren würden.
Zweitens ist aber auch richtig, dass illegale Ausländernatürlich Menschen und damit Träger der unantastbarenMenschenwürde sind.
Illegale Migration ist zwar rechtswidrig; aber sie isteine Realität, der wir uns stellen müssen und der auchdiese Bundesregierung sich stellen muss. Wenn wir unsaber dieser Realität gemeinsam stellen wollen, dannmüssen wir uns erst einmal auf eine gemeinsame Reali-tät einigen. Da gibt es gerade in der Debatte über illegaleMigration einige unterschiedliche Sichtweisen.Das beginnt schon mit der Frage nach dem Umfangvon illegaler Migration; Herr Veit, Sie sprachen es ebenan. Die Wahrheit ist: Niemand weiß genau, wie viele essind.WvdSnatpanLvdaZkDVjAddDgmkDzDshbtHahxGphhdldiak
Meine Damen und Herren, ich kann durchaus verste-en, dass man an dieser Stelle sagt: „Unterlasst doch iniesen akuten Fällen so wie bei Notfällen eine Übermitt-ung der Daten“, weil die Betroffenen ansonsten notwen-ige Behandlungen nicht vornehmen lassen. Das klingtm ersten Moment sehr humanitär. Aber ich sage Ihnenuch: Die Manifestierung eines rechtsfreien Zustands isteine Lösung des Problems. Wenn wir den Rechtsstaat
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Dr. Kristina Köhler
unterhöhlen, dann ist niemandem geholfen. Es ist nichtAufgabe der Sozialkassen, dauerhaft Illegalität zu stüt-zen.Die Befürworter dieser Streichung – auch Sie habensie befürwortet – verweisen sehr gerne auf andere euro-päische Länder. Oft heißt es: Deutschland ist das einzigeLand mit einer Übermittlungspflicht. So einfach ist esaber nicht. Dies ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlichsind die Gesundheitssysteme in den unterschiedlicheneuropäischen Ländern sehr verschieden. Es gibt ganz un-terschiedliche Wege, wie die Ausländerbehörden jeweilszu ihren Informationen kommen, beispielsweise im vielgelobten Spanien. Hier brauchen Illegale eine Gesund-heitskarte, und für deren Erhalt müssen sie sich registrie-ren lassen. Zu diesen Listen haben auch die Ausländer-behörden Zugang. Es stimmt also: In Spanien findetkeine Übermittlung statt. Aber die Ausländerbehördenholen sich in Spanien ihre Daten eben selbst. De factobesteht also kein Unterschied zur Situation in Deutsch-land.Ein zweites Beispiel: Schweden. Als Illegaler könnenSie dort zum Arzt gehen und sich dort behandeln lassen,ohne Angst haben zu müssen, aufgedeckt zu werden.Der Nachteil ist nur: In Schweden zahlen Sie diese Be-handlung grundsätzlich aus eigener Tasche. Damit be-steht dort aber exakt die gleiche Situation wie inDeutschland. Auch hier werden, wenn die Behandlungselbst gezahlt wird, keine Daten übermittelt. Daten wer-den erst dann übermittelt, wenn die Behandlung vomStaat gezahlt werden soll.Man kann also nicht so tun, als nehme Deutschlandeinen Ausnahmestatus ein. Es ist nicht so einfach, dieverschiedenen Länder innerhalb der Europäischen Unionmal soeben miteinander zu vergleichen.Kommen wir zum Thema Arbeitnehmerschutz.Grundsätzlich gilt: Auch bei Illegalen entsteht mit derArbeitsaufnahme ein faktisches Arbeitsverhältnis, unddaraus ergibt sich ein Lohnanspruch. Dieser Lohn-anspruch kann auch gerichtlich eingeklagt werden. Al-lerdings muss hier der Richter, wenn er in einem Pro-zess, in dem es um den Arbeitslohn eines Illegalen geht,davon erfährt, dieses Wissen an die Ausländerbehördeweitergeben. Dies wollen Sie ändern, und das halten wirfür falsch.
Zum einen wollen Sie gerade Richter, die der Inbe-griff von Recht und Gesetz sein sollen, davon abhalten,dass sie gegen einen rechtswidrigen Zustand vorgehen.Das ist schon eine bemerkenswerte Vorstellung. Abernoch viel wichtiger ist der folgende Einwand: IllegaleArbeiter arbeiten grundsätzlich schwarz und billig. Jedeillegale Beschäftigung geht zulasten der Arbeitnehmerund der Arbeitsuchenden, egal, ob Einheimische oderMigranten.
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Kommen wir zum letzten Thema, zum Thema Schule.uch das ist ein eher theoretisches Problem, weniger einraktisches. Fragen Sie doch zum Beispiel in Ihremundesland bei Ihrem Innenministerium nach, wie vieleinder, die sich illegal in Deutschland aufhalten, vonchulleitern gemeldet wurden und dann auch tatsächlichbgeschoben wurden. Ich habe das in Hessen gemacht.ort wurde in den letzten zehn Jahren kein einziger Fallekannt.
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Dr. Kristina Köhler
Nichtsdestotrotz verstehe ich, wenn man sagt: DieKinder können am allerwenigsten für diese Situation.Ich verstehe auch, wenn man sagt, dass die Kinder in derZeit, die sie in Deutschland verbringen, auch etwas ler-nen sollen; denn hier wird die Grundlage für ihr gesam-tes weiteres Leben gelegt. Deswegen ist sich die Koali-tion einig, dass wir in diesem Bereich im Hinblick aufdie Übermittlungspflichten etwas tun werden. Daraufkönnen Sie sich verlassen: Das wird kommen.Der Antrag der SPD mag gut gemeint sein.
Aber er führt zu einer Art klandestinen Parallelwelt, ei-ner Parallelwelt, in der sie zum Arzt gehen können, ohnegemeldet zu sein, in der sie zur Arbeit gehen können,ohne gemeldet zu sein, in der sie zur Schule gehen kön-nen, ohne gemeldet zu sein. Dies kann und darf nach un-serer Auffassung in einem Rechtsstaat nicht möglichsein, weil es zu einer Aufspaltung des Rechts führenwürde, die mit unserer Grundrechtsordnung unvereinbarist.
Verstehen Sie mich richtig: Es ist ehrenwert, in dieserFrage nach Lösungen zu suchen. Aber ich glaube, Siesuchen an der falschen Stelle. Denn wenn Sie bei Aus-länderbehörden nachfragen, stellen Sie fest, dass es fürden großen Teil der Illegalen Legalisierungsmöglichkei-ten gäbe. Darum muss es uns doch eigentlich gehen undnicht darum, die Menschen in der Illegalität zu halten.Vielmehr soll es darum gehen, dass die bestehenden Le-galisierungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Sevim Dağdelen von
der Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauKöhler, ich kann es nicht lassen. Eines muss ich Ihnensagen: Das Problem besteht doch nicht darin, dass manversucht, einen Rechtsbruch in einem Rechtsstaat – –
– Nein, darum geht es nicht. Es geht darum, dass man ineinem Verfassungsstaat, der sich wie die BundesrepublikDeutschland als Rechtsstaat definiert, Menschenrechtefür jeden geltend macht. Es geht nicht darum, sozusagenklandestin sich aufhaltenden Menschen irgendwelcheMöglichkeiten einzuräumen. Es geht darum, dass wir inDeutschland unseren Pflichten nachkommen.
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n Debatten über Illegalisierte wird immer gesagt, dasss eine Pflicht des Staates gebe, illegale Einwanderungder den illegalen Aufenthalt zu bekämpfen. So eineerpflichtung gibt es nicht. Was es allerdings gibt, sinderpflichtungen, die sich aus dem Grundgesetz ergeben,um Beispiel die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt,ie Menschenwürde zu achten, sie zu schützen und sichu den unveräußerlichen Menschenrechten als Grund-age jeder menschlichen Gemeinschaft zu bekennen. Dasrgibt sich aus Art. 1 Grundgesetz. Es gibt die Verpflich-ung des Staates, das Recht auf freie Entfaltung der Per-önlichkeit und auf körperliche Unversehrtheit als abso-ut geltende Rechte aller Menschen zu schützen. Dasrgibt sich aus Art. 2 Grundgesetz. Es gibt auch nochrt. 20 Grundgesetz, in dem erklärt wird, dass die Bun-esrepublik Deutschland ein demokratischer undozialer Rechtsstaat ist und eben kein Staat, der sich ge-en Flüchtlinge abschottet, die aus anderen Teilen derelt hierherkommen wollen.Ich war in dieser Woche mit dem Kollegen Tören voner FDP bei „Ärzte der Welt“, die zu einer Tagung zu ge-au diesem Thema eingeladen haben. Ich hätte mich ge-reut, wenn die CDU oder die CSU eine Vertreterin oderinen Vertreter geschickt hätte. Wenn Sie mit den Men-chen dort gesprochen hätten, hätten Sie verstanden,ass es um Folgendes geht: Diese Menschen müssen be-ürchten, festgenommen, inhaftiert und abgeschoben zuerden, wenn sie die Umsetzung eines ihrer unveräußer-ichen Menschenrechte in Anspruch nehmen. Zu diesenenschenrechten gehören zum Beispiel das Recht aufchulbildung, das Recht auf ein Privatleben, das Rechtuf medizinische Versorgung und das Recht auf eine ge-echte Entlohnung für ihre Arbeit sowie das Recht auförperliche Unversehrtheit. Frau Köhler, die engstirnige,ürokratische Verweigerungshaltung muss aufgegebenerden, nach der Betroffenen nicht geholfen werdenönne oder dürfe, weil ihr Aufenthalt auf einem Rechts-ruch basiere
nd der Aufenthalt deswegen nicht durch Legalisierungder auch nur durch die Gewährung des Zugangs zu Bil-ung oder medizinischer Versorgung in Deutschland be-ohnt werden dürfe.Bei der Debatte über illegalisierte Menschen ineutschland geht es aber eigentlich um die Abschot-ungspolitik und die restriktive Migrationspolitik ineutschland und Europa. In den letzten Jahren ist vorllen Dingen der ehemalige Bundesinnenministerchäuble auf europäischer Ebene mit Verve dafür einge-reten, dass Spanien, Frankreich, Portugal und andereänder damit aufhören, solchen Menschen einen Zugang
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Sevim DaðdelenSevim Dağdelenzu Menschenrechten zu gewähren. Das halte ich für ei-nen Skandal.
Der sogenannte illegale Aufenthalt von schätzungs-weise einer halben Million bis 1,5 Millionen Menschenin Deutschland ist in erster Linie Folge dieser restrikti-ven Flüchtlings- und Migrationspolitik, einer Politik, diein den letzten Jahren bedauerlicherweise auch – dasmuss ich hinzufügen, Herr Veit – von der SPD getragenwurde. Solange ungleichgewichtige soziale, ökonomi-sche und gewaltsame Verhältnisse in der Welt existierenund Nationalstaatsgrenzen sich zwischen Menschenschieben, wird es Migration geben, wenn nicht mit, danneben ohne behördliche Erlaubnis.In diesem Zusammenhang möchte ich aus Die Nachtvon Lissabon von Erich Maria Remarque zitieren:Die Küste Portugals war die letzte Zuflucht gewor-den für die Flüchtlinge, denen Gerechtigkeit, Frei-heit und Toleranz mehr bedeuteten als Heimat undExistenz. Wer von hier das gelobte Land Amerikanicht erreichen konnte, war verloren. Er musste ver-bluten im Gestrüpp der verweigerten Ein- und Aus-reisevisa, der unerreichbaren Arbeits- und Aufent-haltsbewilligungen, der Internierungslager, derBürokratie, der Einsamkeit, der Fremde und derentsetzlichen allgemeinen Gleichgültigkeit gegendas Schicksal des einzelnen, die stets die Folge vonKrieg, Angst und Not ist. Der Mensch war um dieseZeit nichts mehr; ein gültiger Pass alles.Wir müssen uns an unsere Geschichte erinnern. KeinMensch ist illegal. Deshalb unterstützen wir den Gesetz-entwurf, gehen aber in unseren Forderungen weiter, weilwir der Auffassung sind, dass wir eine humanitäreFlüchtlingspolitik brauchen, um die Ursache des Pro-blems zu bekämpfen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Serkan Tören von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! WirLiberale waren uns mit Vertretern anderer Fraktionen indiesem Hause, von Kirchen, gemeinnützigen Organisa-tionen und Wohlfahrtsverbänden immer einig darüber,dass die gegenwärtige Situation der in Deutschland le-benden Ausländer ohne gültige Papiere unbefriedigendist. Zentrale Themen sind hierbei immer wieder die me-dizinische Versorgung und der Schulbesuch.Wir stehen hier in der Verantwortung, diese Punkteins Auge zu fassen, kritisch zu diskutieren und Lösungenzu finden. Genau das haben wir in den Koalitionsver-handlungen getan.DvePjKSsUKkDRggdfbnEKtuUIcrSRDadAZMdsLPnz
as Ergebnis – das sage ich hier voller Freude und Zu-ersicht – ist bemerkenswert und stellt endlich einenchten Fortschritt dar.Lassen Sie mich einige Punkte herausgreifen. Einunkt ist die Stärkung der Kinderrechte. Die FDP ist seiteher dafür eingetreten, die Vorbehaltserklärung zur UN-inderrechtskonvention zurückzunehmen. Auch diePD hatte sich das immer großspurig auf die Fahnen ge-chrieben; das Ergebnis konnten wir jedes Jahr in denNICEF-Berichten nachlesen. Wir haben uns mit demoalitionspartner CDU/CSU eindeutig und klar dazu be-annt, die Vorbehaltserklärung zurückzunehmen.
as bedeutet, allen Kindern in Deutschland die gleichenechte zuzugestehen. Das ist auch in Bezug auf den Zu-ang minderjähriger Flüchtlinge zur Gesundheitsversor-ung ein wesentlicher Fortschritt.Ich möchte einen weiteren wesentlichen Fortschrittarstellen, und zwar bei der Übermittlungspflicht für öf-entliche Schulen, die vielen von uns Bauchschmerzenereitet hat. Lassen Sie mich klar sagen: Kinder tragenicht die Verantwortung für den illegalen Aufenthalt derltern.
inder, egal ob mit oder ohne gültigen Aufenthaltssta-us, haben ein Recht auf Bildung. Die FDP steht seit ehnd je für dieses Recht ein; es ist unter anderem in derN-Kinderrechtskonvention verankert.
n einigen Bundesländern gibt es hierzu bereits erfreuli-he Regelungen, beispielsweise in Bayern und Nord-hein-Westfalen. Hier unterliegen statuslose Kinder derchulpflicht und können auf diese Art und Weise ihrecht auf Bildung verwirklichen. Nehmen wir Hessen:ort wird aktuell eine Verordnung vorbereitet, nach deruch solche Kinder zum Schulbesuch berechtigt sind,ie nicht schulpflichtig sind, aber ihren tatsächlichenufenthaltsort in Hessen haben.
ugleich soll in Zukunft auf die Vorlage einer gültigeneldebescheinigung verzichtet werden. In diesen Bun-esländern bewegt sich etwas. Ich muss in diesem Hauseicherlich nicht erwähnen, welche Regierungen dieseänder führen.
Dennoch: Wir wollen die Verantwortung für dieseroblematik nicht abschieben, wie Sie, werte Kollegin-en und Kollegen von der SPD, es in Ihrer Regierungs-eit jahrelang getan haben. Es wird hierzu auf Bundes-
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Serkan Törenebene eine Regelung geben; denn FDP und CDU/CSUbekennen sich im Koalitionsvertrag eindeutig dazu, dieÜbermittlungspflichten öffentlicher Stellen dahin ge-hend abzuändern, dass der Schulbesuch von Kindern er-möglicht wird.
Das ist ein riesiger Fortschritt, der nicht häufig genugbetont werden kann.Wir stellen uns der Verantwortung, einen angemesse-nen Umgang mit illegaler Migration und bereits hier le-benden Menschen ohne gültige Papiere zu entwickeln.
Wir haben aber immer auch den Standpunkt vertreten:Wenn man in den Bereichen Migration und IntegrationPolitik betreibt, ist es dringend notwendig, sich dabeiimmer Gedanken über die Grundlagen unseres Zusam-menlebens zu machen. Deshalb sage ich Ihnen hier klippund klar: Die Einhaltung und der Vollzug des Ausländer-rechts sind wesentliche Bestandteile unserer demokrati-schen Rechtsordnung.
Wir können und dürfen nicht das Spannungsfeld ignorie-ren, das sich hieraus in Bezug auf den Umgang mit Men-schen ergibt, die sich nicht rechtmäßig in der Bundesre-publik aufhalten. Dabei wende ich mich aber ganz klardagegen, diese Debatte im Sinne einer einfachen Dicho-tomie beispielsweise von rechtsstaatlicher Ordnung ver-sus Menschenrechte zu führen, wie es einige Kollegin-nen und Kollegen gerne tun. Diese Kolleginnen undKollegen verkennen die Komplexität dieses Themas undignorieren eindeutig die Belange aller Betroffenen.Noch einmal: Wir sollten Menschenrechte nicht ge-gen unsere rechtsstaatliche Ordnung ausspielen. Wir ste-hen im Dialog mit den relevanten Akteuren, mit Leutenaus der Praxis und mit Betroffenen. Wir werden gemein-sam mit unserem Koalitionspartner die Herausforderun-gen bewältigen und Lösungen finden. Aber ich betonenoch einmal: Es müssen pragmatische Lösungen sein,die menschenrechtliche Standards berücksichtigen, aberim Rahmen unserer rechtsstaatlichen Ordnung liegen.Alles andere wäre verantwortungslos.
Die SPD ist, als sie die Chance dazu hatte, nicht überdie Vereinbarung eines Prüfauftrags zur Illegalität imKoalitionsvertrag hinausgekommen. Da haben wir Libe-rale bisher mehr erreicht. Darauf können wir stolz sein.Vielen Dank.
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eute haben Sie eine gute Gelegenheit, den Menschen,ie sich in einem humanitären Drama befinden, zu hel-en und Barmherzigkeit und Nächstenliebe zu praktizie-en, indem Sie Ihre Meinung zu diesem Gesetzentwurfndern und Zustimmung signalisieren.
Es ist sicherlich traurig, dass die SPD während ihreregierungszeit solch einen Gesetzentwurf nicht über ihrerz gebracht hat, sondern vielmehr mit den Verschär-ungen der Voraussetzungen für Familienzusammenfüh-ung und Einbürgerung beschäftigt war.
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Memet KilicWir hoffen aber, dass der uns vorliegende GesetzentwurfErfolg hat.„Weigere dich nicht, dem Dürftigen Gutes zu tun“ –bitte, Hand aufs Herz; denn kein Mensch ist illegal.Vielen Dank.
Herr Kollege Kilic, ich gratuliere auch Ihnen zu Ihrer
ersten Rede im Deutschen Bundestag im Namen des
ganzen Hauses.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 17/56 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Klaus Ernst, Dr. Gesine Lötzsch, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Keine Anrechnung von Ferienjobs auf das
Arbeitslosengeld II
– Drucksache 17/76 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Matthias Birkwald von der Fraktion
Die Linke das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Viele Schülerinnen und Schüler job-ben in den Schulferien, um sich etwas zu erarbeiten, zumBeispiel einen PC, Reitunterricht oder ein Mofa. Ichkann mich noch gut an meine Ferienjobs als Bahnpost-fahrer oder am Fließband in der Hundekuchenproduk-tion erinnern. Nach einigen Wochen den selbstverdien-ten Lohn in den Händen zu halten, das war sehrbefriedigend.Für Jugendliche aus Hartz-IV-Familien gilt das nicht.Sie können sich so viel anstrengen, wie sie wollen. Weilsie in sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben, wer-den ihre Einkommen bis auf einen kleinen Betrag ange-rechnet. Das heißt, der Familie des Ferienjobbers oderder Ferienjobberin wird das Sozialgeld gekürzt, weil dieTDtmaAaddGSbbSskdsmdtUaWssdCAVZzZ–S
Der Ferienjob wird für die Schülerinnen und Schülerus armen Familien fast zu einem Nullsummenspiel. Dienrechnung der Ferienjobs diskriminiert Jugendlicheus Arbeitslosengeld-II-Haushalten, und sie demotiviertie Betroffenen. Durch die Kürzung wird ihnen der Ein-ruck vermittelt, dass sich ihre Leistung nicht lohnt. Dasegenteil ist doch richtig: Die Eigeninitiative jungerchülerinnen und Schüler muss honoriert und darf nichtestraft werden.
Während andere über ihre Einkünfte aus Ferienjobseliebig verfügen können, bleibt den Schülerinnen undchülern aus SGB-II-Haushalten fast nichts übrig. Dabeiind diejenigen, die von ihren Eltern wenig bekommenönnen, weil sie selbst nichts haben, ganz besonders aufas Geld aus dem Ferienjob angewiesen. Nein, diese zu-ätzliche Benachteiligung ist entwürdigend, und sieuss dringend korrigiert werden.
Meine Damen und Herren, die Linksfraktion rechnetabei mit Ihrer Unterstützung. Schließlich hatten Vertre-er fast aller Fraktionen im Fernsehen erklärt, dass diesernsinn geändert werden muss. In der Sendung „Hartber fair“ vom 26. August dieses Jahres, also mitten imahlkampf, wurde der Fall der 15-jährigen Laura ge-childert. Sie hatte sich in den Ferien einen elektroni-chen Bass erarbeitet, und ihrer Mutter wurde daraufhinas Sozialgeld gekürzt. Dazu sagte der Vorsitzende derDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in derRD – ich zitiere –:Wir müssen uns das noch mal sehr genau an-schauen. Ich will, dass ein solcher Fall nicht beste-hen bleibt.olker Kauder versprach – Zitat –:Ich sage Ihnen: Dieser Fall wird geregelt werden.Der wird so nicht mehr vorkommen können.itat Ende.Klaus Wowereit, heute stellvertretender SPD-Vorsit-ender, versprach – Zitat –:Da muss eine Korrektur her. … Da gibt es eine Ge-rechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss.itat Ende.Für die Grünen forderte Fritz Kuhn in der SendungZitat –:Ferienarbeit muss ein zweckbestimmtes Einkom-men sein. Sie darf nicht angerechnet werden.o weit, so gut.
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Matthias W. Birkwald
Am 8. September dieses Jahres wurde hier im Plenumüber den Antrag der Linken dazu abgestimmt. Was ge-schah? Die Grünen stimmten mit Ja, die FDP enthieltsich, aber SPD und Union lehnten unseren Antrag ab.
Versprochen, gebrochen.Meine Damen und Herren, auch wir Linken kennendie Geschichte von Saulus, der zum Paulus wurde, sehrgut.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Söhneund Töchter von Erwerbslosen bei der Ferienarbeit ge-nauso behandelt werden wie die Kinder von Normalver-dienenden oder Wohlhabenden. Von der Anrechnungs-freiheit der Ferienjobs ginge die BundesrepublikDeutschland nicht unter und auch nicht pleite. StehenSie zu Ihrem Wort.Danke schön.
Lieber Kollege Birkwald, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratulie-
ren möchte.
Wäre diese Debatte live im Fernsehen übertragen wor-
den, was, wie Sie wissen, nur noch selten vorkommt,
hätte sie außer der Aufmerksamkeit im Plenum bei über-
schaubarer Besetzung der Tribünen sicher eine beachtli-
che zusätzliche Aufmerksamkeit gefunden, die nun über
das pünktlich fertiggestellte Protokoll des Deutschen
Bundestages hoffentlich hergestellt wird.
Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder für
die CDU/CSU-Fraktion,
für den die gleiche Versuchsanordnung gilt.
– Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undwerte Kollegen! Herr Präsident, gemeinsam mit Ihnenbedauere ich, dass wir für dieses zweifelsohne wichtigeThema nicht mehr Aufmerksamkeit haben.Herr Birkwald, auch von mir Gratulation zu Ihrer ers-ten Rede! Sie haben mit Ihrer ersten Rede etwas ge-sgaäiHüawvuEWsd–SLdMeklniMlAlbShbv–StzgSbzFilmrwr
Bitte? Das ist bei uns nicht anders als bei der FDP. –ie behandeln damit ein Problem, das sicherlich einerösung bedarf. Ich gehe davon aus, dass die Rednerin,ie nach mir für die SPD sprechen wird, Frau Katjaast, das ähnlich sehen wird. Ich glaube, da haben wirinen ziemlich breiten Konsens.Allerdings erliegen Sie, liebe Freunde von der Lin-en, auch hier Ihrem Hang zur Vereinfachung. Sie stel-en den konkreten Fall so dar: Jobben Kinder, die in ei-er Bedarfsgemeinschaft von SGB-II-Beziehern leben,n den Ferien, komme ihr Zubrot, von den 100 Euro proonat, die anrechnungsfrei sind, abgesehen, ausschließ-ich der öffentlichen Hand zugute. Deshalb müsse dienrechnung von Einkommen aus Ferienjobs von Schü-ern grundsätzlich ausgeschlossen werden.In Ihrem Antrag zu demselben Thema vom Septem-er dieses Jahres haben Sie außerdem gefordert, daschonvermögen zur Alterssicherung von SGB-II-Bezie-ern zu erhöhen.In Teilen Ihrer Begründung muss ich Ihnen recht ge-en: Auch ich bin der Meinung, dass die Eigeninitiativeon Schülern nicht blockiert werden darf.
Wollen Sie nicht klatschen? Das gilt doch auch für diePD. – Ein Ferienjob stellt in der Regel den ersten Kon-akt mit der Arbeitswelt dar und führt im Idealfall späterum ersten Arbeitsverhältnis. Ferienjobs helfen, die ei-enen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen und gebenelbstbewusstsein für die Bewerbungsphase. – Sie ha-en es ausgeführt, Herr Kollege. Was haben Sie produ-iert: Hundekuchen? Etwas Vernünftiges auf jedenall. – Mit einem Ferienjob kann man testen: Wo kannch mich einbringen? Man kann Disziplin lernen, kannernen, früh aufzustehen, kann stolz sein auf das, wasan selber erwirtschaftet hat. Nicht zuletzt können Fe-ienjobs Jugendlichen, deren Eltern auf Hartz IV ange-iesen sind und die eigenes Erwerbseinkommen aus ih-em familiären Umfeld nicht oder zu wenig kennen, Mut
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Paul Lehriedermachen. Sie können helfen, Perspektivlosigkeit und Re-signation vorzubeugen. Deshalb kann niemand wollen,dass die SGB-II-Gesetzgebung einen gegenläufigen, dieSchüler demotivierenden Effekt entwickelt.
Nach der Lektüre Ihres Antrages, liebe Kollegen vonden Linken, muss ich anerkennend feststellen, dass Siedas Wahlprogramm der Union gelesen haben. Ja, esstimmt: Wir müssen uns über die Höhe des Schonvermö-gens und die Hinzuverdienstgrenzen Gedanken machen.Wenn Sie sich die Ergebnisse der Kabinettsklausur aufSchloss Meseberg genauso gründlich vorgenommen hät-ten, wüssten Sie: Wir haben uns längst an die Arbeit ge-macht und das gründlicher und umfassender, als Sie esvorschlagen. Diese Tatsache hätten Sie in Ihrem Antragruhig erwähnen können.Der gesamte Komplex SGB II ist sehr wichtig. Wennwir Änderungen vornehmen wollen, müssen wir derenAuswirkungen und auch die Wechselwirkungen imBlick haben, damit die Änderungen wirklich im Sinneder Betroffenen sind.
Im Rahmen einer geordneten Gesetzgebung dürfen wirkeinen Flickenteppich schaffen, frei nach dem Motto„Eine Reform zu einem Teilaspekt hier, eine Änderungeines Teilproblems dort“. Deshalb müssen wir Ihren An-trag, liebe Kollegen von den Linken – so viel Sinn das,was Sie vorschlagen, im Einzelnen sicherlich macht –ablehnen.
– Ja, Herr Wunderlich; Sie werden nicht überrascht sein.
– Das kommt sicherlich nicht überraschend für Sie, HerrWunderlich; dafür kennen wir uns lange genug.Auf Schloss Meseberg hat die Bundesregierung am17./18. November dieses Jahres den Beschluss gefasst,Änderungen der Erwerbstätigenfreibeträge insgesamt zuprüfen und unter anderem das Schonvermögen vonHartz-IV-Empfängern zu erhöhen. Ziel ist nach wie vor,die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen – bis hin zu einervoll sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung –, zuerhöhen. Dazu wird eine ressortübergreifende Arbeits-gruppe unter Federführung des Bundesarbeitsministe-riums bis Ende Juni 2010 einen Vorschlag erarbeiten, indem das Zusammenspiel mit Kinderzuschlag und Wohn-geld sowie eintretender Sozialversicherungs- und Steu-erpflicht berücksichtigt wird.Mitbeteiligt werden auch das Bundesministerium fürFinanzen, das Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie, das Bundesministerium für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung und das Bundesgesundheitsminis-terium sein. Alle Regelungen des SGB II werden dortauf den Prüfstand gestellt werden.fmdufscmld–snfbkidfrgBzr–
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Herr Kollege Lehrieder, falls ich bei Ihrer nächsten
Rede zufällig wieder hier auf dem Stuhl sitzen sollte,
dann würde ich Ihnen diese Gutschrift auch ohne ge-
schäftsordnungsrechtlichen Anspruch zur Verfügung stel-
len.
Ich werde mich darauf verlassen. Danke schön.
Im Protokoll haben wir das jedenfalls so vermerkt.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Mast für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Lehrieder hat, glaube ich, ein bisschen zueinem alten Antrag gesprochen, weil er sehr viel auf dasSchonvermögen verwiesen hat.
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ie sind also in doppelter Hinsicht benachteiligt: Einer-eits steht ihnen das Geld nicht zur Verfügung, und ande-erseits – das scheint mir fast der wichtigere Punkt –ommt es bei ihnen zu einem mangelnden Anreiz, sicheruflich zu orientieren.Warum ist das so? Lassen Sie mich ein Beispiel auseinem Wahlkreis nennen. Julia und Markus geheneide in Pforzheim zur Schule. Beide haben in den Fe-ien bei einem Hersteller für Autoteile gearbeitet.
ie haben vier Wochen Stecker verpackt. Von Mitte Juliis Mitte August haben beide jeden Tag gearbeitet. Da-ür haben sie 1 200 Euro Lohn bekommen. Julia wirdavon ihren Führerschein machen, und Markus will eine-Gitarre kaufen, damit er in der Schulband mitspielenann.Aber ein kleines Detail unterscheidet Julia undarkus. Denn Markus lebt in einer sogenannten Be-arfsgemeinschaft. Während Julia ihr Geld in volleröhe behalten darf, bekommt Markus zwar auch daseld in voller Höhe auf sein Konto überwiesen, abereine Eltern bekommen im Juli und August jeweils87 Euro weniger vom Amt. Das sind rund 600 Euro.Markus muss also von seinen 1 200 Euro fast dieälfte seinen Eltern geben, damit sie den Lebensunter-alt bestreiten können. Aus der E-Gitarre wird nichts,nd damit auch nichts aus der Schülerband. Markus sagtich, dass er nächstes Jahr lieber ins Schwimmbad gehtls zu arbeiten.Was läuft da schief? Grundsätzlich will die SPD-Bun-estagsfraktion, dass sich die Arbeit für Markus genausoohnt wie für Julia. Wir wollen es uns aber nicht so leichtachen wie die Antragsteller und einfach nur die Bun-esregierung zum Handeln auffordern. Wir wollen einenigenen Antrag vorlegen. Denn wir haben nicht nur eineufforderung im Sinn, sondern eine klare denkbare Lö-ung. Wir wollen nämlich, dass das einmalige Einkom-en aus dem Ferienjob nicht nur im Monat der Überwei-ung berücksichtigt, sondern auf zwölf Monate verteiltird. In unserem Beispiel würde das praktisch heißen,ass Markus auf das Jahr gerechnet die gesamten
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Katja Mast1 200 Euro behalten kann und die E-Gitarre und damitauch die Teilnahme an der Schülerband an seiner Schulemöglich sind.Ich will aber noch darauf eingehen, was die Linke mitihrem Antrag will und wo bei diesem Thema der Unter-schied zu uns Sozialdemokraten liegt. Unser sozialde-mokratisches Kernverständnis von Sozialstaat ist: Wenndu dir selbst nicht mehr helfen kannst, dann hilft dir dieSolidargemeinschaft. Die Linke will dieses Grundprin-zip abschaffen. Das steht im Übrigen auch in ihrem so-genannten 10-Punkte-Sofortprogramm. Genau dieserPunkt steht unter dem Motto „Abschaffen des Arbeits-losengeldes II“. Im Kern will die Linke, dass jeder trotzeigenem Einkommen die Solidarität der Gemeinschaft inAnspruch nehmen kann. Dazu haben wir ein grundsätz-lich anderes Verständnis. Wir wollen fördern und for-dern.
– Das gilt nach wie vor, aber Sie können gerne eine Zwi-schenfrage stellen, wenn es Sie genauer interessiert.
Bei den Jugendlichen gibt es eine Gerechtigkeitslü-cke, die man so schließen kann, dass sie ihr Ferienjobge-halt behalten können, ohne mit der Grundüberzeugungzu brechen: Wer sich selbst helfen kann, soll das auchtun. Das ist unser sozialdemokratischer Weg, und wirfordern von der Bundesregierung, dass auch aus Markusein Eric Clapton oder vielleicht sogar ein Jimi Hendrixwerden kann. Denn sozial gerecht handeln, heißt auchverantwortlich handeln.Da wir davon ausgehen, dass die Bundesregierungund mit ihr die schwarz-gelbe Koalition nicht ausrei-chend kreativ sein wird, werden wir den versprocheneneigenen Antrag einbringen.
– Daran können Sie sich gerne beteiligen, Herr Kolb.Schon heute fordere ich Sie auf, auf unsere Kreativitätbei der Anrechnung von Ferienjobs zurückzugreifen undunseren Vorschlag schnell umzusetzen.
– Dann werden wir darüber diskutieren. – Wir solltendas Ferienjobeinkommen von Jugendlichen so auf dieMonate verteilen, dass ein Anreiz bleibt, und zwar nichtnur für Ferienjobs, sondern auch für Berufserfahrungund Berufsorientierung in frühen Jahren.Ich weiß mich mit dieser Forderung nicht nur mitmeiner Bundestagsfraktion einig. Ich bin vor allen Din-gen froh, dass die SPD das nicht nur in Talkshows ver-kündet, sondern auch auf ihrem Dresdner Parteitag be-schlossen hat, die Anrechnung des Verdienstes ausFerienjobs auf das Arbeitslosengeld II zu verändern. Wirstehen am Anfang der Beratungen. Wir haben noch Zeit.aeVsrdsmdwtgAmgzDvgAEimwdeltrebndviDgKüpdNsVb
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Pascal Kober
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, IhrAntrag greift nicht nur zu kurz, sondern ist nach unsererAuffassung auch etwas voreilig. Wir haben im Koali-tionsvertrag festgehalten, dass wir die Verbesserung derHinzuverdienstmöglichkeiten für ALG-II-Empfänger inAngriff nehmen wollen, dass wir in diesem Bereich alsotätig werden wollen.
In diesem Zusammenhang werden wir Ihren Kerngedan-ken aufgreifen und ihn in ein schlüssiges Gesamtkonzepteinarbeiten, das sicherstellt, dass Missbrauch ausge-schlossen ist und alle – auch in Ihrem Sinne – profitierenkönnen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Von der sozialrechtlichen Systematik des
SGB II her scheint alles klar zu sein: Auch der Verdienst
aus einem Ferienjob stellt ein Einkommen dar, und Ein-
kommen ist vorrangig einzusetzen, bevor Sozialleistun-
gen greifen. Insofern gilt der Nachranggrundsatz bei der
Leistung nach SGB II.
Das, was sozialrechtlich einleuchtet, muss aber nach
dem Alltagsverständnis und dem Verständnis von Ge-
rechtigkeit längst nicht plausibel sein. Ebenso wie die
Menschen im Lande nicht verstehen können, warum
eine Kindergelderhöhung, die jetzt anstehen soll, bei
denjenigen nicht greift, die das Geld am nötigsten haben,
nämlich bei den ALG-II-Beziehern, versteht die Öffent-
lichkeit auch nicht, warum ausgerechnet Ferienjobs von
Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die auch der
Stärkung des Selbstbewusstseins des Einzelnen dienen
– das wurde schon vielfach beschworen –, größtenteils
angerechnet werden sollen.
Ich bitte Sie alle, sich einmal an die eigene Jugend zu
erinnern. Der Kollege Birkwald hat sein erstes eigenes
Geld mit dem Backen von Hundekuchen und ich selber
habe es mit anderen Tätigkeiten, nämlich mit dem Eintü-
ten von Kalendern, verdient. Wir alle haben unser erstes
Geld wahrscheinlich als Schülerinnen und Schüler hin-
zuverdient. Versuchen Sie einmal, sich emotional in die
Lage zu versetzen, in der Sie sich damals befunden ha-
ben, als am ersten Zahltag endlich die knisternden Geld-
scheine in der Hand lagen und Sie sich voller Stolz sagen
konnten: Das ist meins. Das ist nicht das Taschengeld.
Das ist mein erstes selbst verdientes Geld.
Versuchen Sie einmal, sich vorzustellen, wie Sie sich
gefühlt hätten, wenn in diesem Moment die harte Hand
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Insofern müssten Sie ein Interesse daran haben, das
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Ich sage Ihnen aber auch: Sie kommen nicht damit
urch, dass Sie sich mit verbesserten Hinzuverdienst-
öglichkeiten oder erhöhtem Schonvermögen an der
telle sozialpolitisch reinwaschen. Was bleibt, ist die
roße Aufgabe, die Regelsätze für Kinder und Jugendli-
he zu erhöhen. Das dürfen wir in dieser Debatte nicht
ergessen.
Ich sage Ihnen heute auch – vielleicht haben Sie es
chon im Nachrichtenticker gelesen –: Auf der Arbeits-
nd Sozialministerkonferenz in Berchtesgaden, die
eute getagt hat, wurde mit 15 Stimmen bei einer Ent-
altung entschieden, zu fordern, im Rahmen des Kinder-
egelsatzes Kosten für Bildung vorzusehen, also endlich
inen höheren Regelsatz für Kinder zu verlangen. Das
leibt eine Aufgabe, die Ihnen ins Stammbuch geschrie-
en ist. Darauf werden wir auch immer hinweisen.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
er Drucksache 17/76 an die in der Tagesordnung aufge-
ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden?
Ganz überwiegend? Gibt es irgendjemanden, der damit
icht einverstanden ist? – Das ist nicht der Fall. Dann
telle ich das vermutete Einvernehmen zu dieser Über-
eisung hiermit fest.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
ittwoch, den 2. Dezember 2009, 13 Uhr, ein.
Bis dahin wünsche ich Ihnen, für welche anderen In-
eressen und Verpflichtungen auch immer, alles erdenk-
ich Gute.
Ich schließe hiermit die Sitzung.