Protokoll:
11043

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 43

  • date_rangeDatum: 26. November 1987

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:20 Uhr

Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104300000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben, daß die Frau Abgeordnete Hoffmann ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt hat. Ich danke für die gute Zusammenarbeit.
Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als Nachfolgerin für das Amt als Schriftführerin die Abgeordnete Frau Dempwolf vor. Sind Sie damit einverstanden? —

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Frau Abgeordnete Dempwolf zur neuen Schriftführerin gewählt.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Haushaltsberatungen fort:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988

(Haushaltsgesetz 1988)

— Drucksachen 11/700, 11/969 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß)

— Drucksachen 11/1051 bis 11/1079 und 11/1081 —
Ich rufe auf: Einzelplan 11
Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksachen 11/1061, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Sieler (Amberg) Strube
Zywietz
Frau Rust
Zu diesem Einzelplan liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1274 und 11/1275 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Sieler.

Wolfgang Sieler (SPD):
Rede ID: ID1104300100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache über den Bundeshaushalt 1988 gibt mir heute mit dem vorliegenden Einzelplan 11 im Bundeshaushalt Gelegenheit, die Fehlentwicklung der Politik dieser Regierung im allgemeinen und der Sozialpolitik im besonderen aufzuzeigen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Sie sprechen wohl noch von der Zeit vor 1982!)

— Ich komme noch auf die Tatsachen, Herr Kollege. Lassen Sie mich mit drei Feststellungen beginnen.
Erstens. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit findet in diesem Bundeshaushalt nicht statt.

(Dreßler [SPD]: So ist es!)

Der Mangel der Beschäftigung wird weiter in Buchhaltermanier verwaltet.

(Dreßler [SPD]: Leider wahr!)

Zweitens. Der Einzelplan 11 und der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit werden wieder einmal zum Verschiebebahnhof für den Bundeshaushalt gemacht.
Drittens. Die sich abzeichnenden Konturen der angekündigten Strukturreform im Gesundheitswesen zeigen einen verhängnisvollen Weg aus der gesellschaftlichen Solidarität in ein System der Ellbogengesellschaft, die wir als Sozialdemokraten in unserer Regierungszeit abzubauen versucht haben.
Nun zum ersten Punkt: Wir wissen natürlich auch, daß die Ausgaben im Einzelplan 11 mit über 60 Milliarden DM zu 99,5 v. H. rechtlich gebunden sind und kaum Raum für investive Aufgaben lassen. Aber angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit müßte es zur selbstverständlichen Aufgabe eines Bundesministers für Arbeit gehören, um Arbeit für alle zu kämpfen und auch darum zu streiten.

(Kolb [CDU/CSU]: Und was machen die Tarifpartner?)

Im Kabinett und in der Öffentlichkeit, Herr Kolb, müßte eigentlich der Herr Minister angesichts der traurigen und hoffnungslosen Situation von mehr als



Sieler (Amberg)

2 Millionen arbeitsloser Bürger Laut geben. Doch da hören wir leider nichts, Fehlanzeige. Die Allzweckwaffe Norbert Blüm im Kabinett Kohl hat in dieser Frage sichtbare Ladehemmung. Die Finanzierung der Steuerreform zugunsten hoher und höchster Einkommen hat wohl Vorrang vor staatlichen Investitionsprogrammen, die tatsächlich mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose zur Folge hätten. Ist es denn nicht bedauerlich, Herr Minister, daß Sie angesichts dieser Tatsachen gezwungen sind, Zahlenkosmetik zu betreiben, damit die noch arbeitenden Bürger die Zahl der Arbeitslosen noch als erträglich betrachten, statt aktiv Arbeitsmarktpolitik machen zu können?
Bezeichnend dafür war doch Ihre Reaktion im Haushaltsausschuß am 4. November: Als der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, der Arbeitgebervertreter Dr. Himmelreich, auf die wachsende Arbeitslosigkeit und ihre sich verschärfende Strukturproblematik hinwies, erklärten Sie erregt, es gebe keine wachsende Arbeitslosigkeit,

(Egert [SPD]: Ist ja ungeheuerlich!)

es könne eigentlich nur davon gesprochen werden, daß die Arbeitslosigkeit nicht genügend gesunken sei.

(Dreßler [SPD]: Hört! Hört!)

Herr Minister, mich erinnert das an das Beispiel mit der gefüllten Flasche: Sie behaupten, die Flasche sei noch halbvoll; Herr Himmelreich hat gesagt, die Flasche sei schon halbleer. Im Grunde der gleiche Tatbestand, aber Sie bestreiten zunächst einmal, daß wir eine steigende Arbeitslosigkeit haben.

(Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Die 800 000 neuen Beschäftigten sind vergessen?)

— Langsam, ich komme noch auf die Zahlen zu sprechen.
Herr Himmelreich hat Ihnen dann vorgehalten, daß nur durch die zeitlich begrenzte Herausnahme von 110 000 Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und 150 000 Arbeitslosen in Qualifizierungsmaßnahmen aus dem Kreis der über 2 Millionen Arbeitslosen, die Tatsache der steigenden Arbeitslosigkeit verdeckt werde.

(Beifall bei der SPD)

Auch der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr, der auch Stellvertreter im Vorstand der Bundesanstalt ist, hat dies bestätigt. Er hat noch einmal darauf verwiesen, daß im Oktober dieses Jahres 85 000 mehr Arbeitslose vorhanden waren als im gleichen Monat des Vorjahres.
Die Sachverständigen, meine Damen und Herren, haben erst vor kurzem für 1988 eine weitere Zunahme um 70 000 Arbeitslose prognostiziert. Dabei gehe ich davon aus, daß diese Herren sehr, sehr vorsichtig geschätzt haben.
Sie, Herr Minister, haben sich in der vergangenen Haushaltsdebatte, aber auch in der ersten Lesung, nicht mit den tatsächlichen Arbeitslosenzahlen auseinandergesetzt, sondern Sie haben, immer ausweichend, auf die Zunahme der Beschäftigung verwiesen.

(Andres [SPD]: So macht der das doch immer!)

Betrachten wir doch genau diesen Punkt einmal vor dem Hintergrund des Zahlenmaterials der Bundesanstalt für Arbeit — ich zitiere hier aus der offiziellen Statistik der Bundesanstalt — :
Von 1975 bis 1981
— also in der Zeit des Kanzlers Helmut Schmidt und der hier so oft geschmähten Beschäftigungsprogramme —
stieg die Zahl der beitragspflichtigen Beschäftigten um 1 087 000
— und das trotz Weltwirtschaftskrise und trotz Ölpreiskrise.

(Egert [SPD]: Das ist der Punkt!) Von 1982 bis 1987

— also in Ihrer Regierungszeit —
hat sich die Zahl der beitragspflichtigen Beschäftigten um rund 350 000 verringert
— und das trotz steigender Konjunktur, Beschäftigungsförderungsgesetz und Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. Das müssen wir doch mal sehen.
Wie würde man denn den Verkauf einer Packung bezeichnen, in der die Ware schlicht und einfach fehlt?

(Zuruf von der SPD: Mogelpackung!)

— Mogelpackung oder Etikettenschwindel? (Andres [SPD]: Blüm ist der Meister darin!)

Ich überlasse es Ihrer Phantasie, meine verehrten Damen und Herren, sich vorzustellen, welche Konsequenzen so etwas draußen im normalen Leben hätte.
Nüchtern und pragmatischer sieht das wohl der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Heinrich Franke. Er hat auf unsere Fragen im Ausschuß erklärt, daß er für eine Aufstockung der Mittel für Städtebauförderung und Dorferneuerung auf ein Gesamtvolumen von 10 Milliarden DM eintrete. Denn nach der Berechnung der Bundesanstalt für Arbeit könnten dadurch pro 1 Milliarde DM 15 000 bis 30 000 Menschen Beschäftigung bekommen.

(Müller [Schweinfurt] [SPD] zur CDU/CSU: Aber Sie tun nichts!)

Nur so, sagte Herr Franke, sei das Ziel, die Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit unter die Zwei-MillionenGrenze zu senken, zu erreichen.

(Beifall bei der SPD — Egert [SPD]: Recht hat der Mann! Wie hieß der noch mal?)

Herr Minister, wir vermissen hier leider den Willen und die Bereitschaft dieser Regierung, ernsthaft am Zustand der Arbeitslosigkeit etwas zu ändern. Wenn dann ein Arbeitsloser mit 600 DM Arbeitslosengeld oder -hilfe im Monat dem Kanzler am Dienstag dieser



Sieler (Amberg)

Woche zugehört hat, der da gesagt hat, seine Stabilitätspolitik sei die beste Sozialpolitik,

(Kolb [CDU/CSU]: Dann hat er vorher 1 000 DM netto gehabt, also 1 600 DM verdient, Herr Kollege! — Ein toller Arbeitsloser!)

dann muß er sich echt veralbert vorkommen, Herr Kolb.

(Beifall bei der SPD)

Wie sehr schon im Hinblick auf die zukünftige Arbeitsmarktentwicklung der ursprüngliche Ansatz für die Arbeitslosenhilfe überholt war, zeigte die Erhöhung des Titels Arbeitslosenhilfe um 434 Millionen DM auf 8 130 Millionen DM. Ob diese Mittel ausreichen werden, wird sich allerdings noch zeigen. Ich habe leider die Sorge — sie wird nicht nur von mir so formuliert — , daß diese Mittel auch im nächsten Mittel wieder erhöht werden müssen.
Nicht ausreichend waren auch die Mittel bei der Bundesanstalt für Arbeit für das Haushaltsjahr 1987. Im Nachtragshaushalt mußten 1 686 Millionen DM aus der Rücklage entnommen werden. Für 1988 errechnet die Bundesanstalt für Arbeit eine weitere Finanzlücke von 3,4 Milliarden DM, die aus der vorhandenen Rücklage gerade noch gedeckt werden können.
Damit wäre ich beim Punkt 2, dem „Verschiebebahnhof" Bundesanstalt für Arbeit. Mit der 8. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz hat die Koalition aus dem Bundeshaushalt rund 950 Millionen DM lupenreine Bundesausgaben als Belastung auf die Bundesanstalt für Arbeit übertragen, die in deren Haushalt noch gar nicht berücksichtigt waren. Auch hier hat der Vorstandsvorsitzende, Dr. Himmelreich, bekräftigt, was er schon in der Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gesagt hat, nämlich: Die Bundesanstalt für Arbeit bezweifelt, daß dieser Gesetzentwurf mit der Verfassung in Übereinstimmung ist. Sie werden eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes veranlassen. Außerdem stellt die Selbstverwaltung in Frage, wie 1989 unter der Geltung dieses Gesetzes und der dann verbrauchten Reserven bei der Bundesanstalt überhaupt noch Arbeitsmarktpolitik stattfinden kann.
Wir haben ja gefragt. Es gibt nur drei Möglichkeiten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Erstens, man erhöht die Beiträge. Zweitens, man kürzt die Leistungen. Drittens, man stellt wieder einen Bundeszuschuß in den Haushalt ein. Die Vertreter der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit haben ihren erbitterten Widerstand etwa gegen eine Erhöhung der Beiträge oder gegen Leistungskürzungen angekündigt. Sie weisen mit Recht darauf hin, daß dies geradezu kontraproduktiv im Rahmen ihrer Bemühungen sei, das arbeitsmarktpolitische Instrument der Bundesanstalt für Arbeit wirklich zu nutzen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, auch wir Sozialdemokraten warnen vor einem solchen Irrweg. Wenn man allerdings die bisherige Praxis der Bundesregierung betrachtet, ist wohl zu befürchten, daß man den Weg der drastischen Leistungsverschlechterungen zur Finanzierung der Haushaltsdefizite weitergehen wird.

(Günther [CDU/CSU]: Das haben Sie immer gemacht!)

Im Zusammenhang mit der 8. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes wurde von der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit auch auf die zusätzliche Belastung im personellen Bereich hingewiesen. Allein die rund 260 000 Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen erfordern ein hohes Maß an zusätzlichen intensiven Betreuungs- und Verwaltungsarbeiten, die durch die Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit geleistet werden müssen, zum erheblichen Teil mit Mehrarbeit und mit Sondereinsatz. Wir sind der Meinung, daß an diesen beiden Ecken der Arbeitsmarktpolitik nicht gespart und nichts eingeschränkt werden darf.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte hier keine Personaldebatte über die Bundesanstalt für Arbeit führen; denn die werden wir an einer anderen Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt noch zu führen haben. Aber im Zusammenhang mit der vorher erwähnten 8. Novelle Arbeitsförderungsgesetz ist es nach unserer Überzeugung geradezu ein Aberwitz, wenn entgegen unseren Argumenten, Hinweisen und Befürchtungen Sie, meine Damen und Herren, die Forderung, die einprozentige Stellenkürzung auch auf die Bundesanstalt anzuwenden, aufrechterhalten wollen.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wir haben doch 70 000 Beschäftigte! — Kolb [CDU/CSU]: Und wie ist das mit den modernen Techniken dort?)

Dies würde bedeuten, daß im nächsten Jahr 700 Vollkräfte bei der Bundesanstalt in den Arbeitsämtern vor Ort, wo die Arbeit gemacht werden muß, fehlen werden.

(Egert [SPD]: Skandalös!)

Wie Sie, meine Damen und Herren, angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit und der zusätzlichen Belastung der Arbeitsämter das den Beschäftigten in den Ämtern und den ratsuchenden Arbeitslosen erklären wollen, darauf sind wir echt gespannt. Ich fordere Sie daher erneut auf, von diesem Unfug Abstand zu nehmen.
Nicht minder besorgniserregend ist der dritte Punkt. Was sich jetzt an Konturen einer längst fälligen Strukturreform im Gesundheitswesen abzeichnet, läßt Schlimmes für die Versicherten befürchten. Die Reformbemühungen bleiben an der Oberfläche der Leistungen und der Geldströme hängen; nichts ist zu hören von einer Reform des gegliederten Systems unserer Krankenversicherung oder der Struktur unserer Krankenhäuser.
Hauptbestandteil der bisherigen Bemühungen der Koalition ist dagegen ein Sparkatalog von 14,5 Milliarden DM zu Lasten der Versicherten.

(Egert [SPD]: „Sparkatalog" ? Das ist ein Leistungskürzungskatalog ! )

Konsequent verfolgt die Regierung den Weg der verstärkten Kostenbeteiligung der Familien, Kranken



Sieler (Amberg)

und älteren Bürger. Neben den schon hohen Beiträgen zur Krankenkasse sollen nun alle Versicherten noch zusätzliche Krankheitskosten für ärztliche Leistung, Arzneimittel, Kuren, Heil- und Hilfsmittel, Brillen usw. übernehmen. Herr Minister Blüm, wir werden Sie daran messen, und Sie müssen sich daran messen lassen, wie das Ergebnis der Lastenverteilung bei dieser Reform am Ende aussehen wird.

(Egert [SPD]: Er wird wie immer zurückspringen!)

Wir, Herr Minister, werden jedenfalls diesen Weg nicht mitgehen.
Lassen Sie mich noch ein abschließendes Wort zum Thema Rentenversicherung sagen. Die Finanzentwicklung in der Rentenversicherung gibt seit Jahren Anlaß, über die Funktionsfähigkeit des Generationsvertrages nachzudenken.

(Glocke des Präsidenten)

— Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident.
Wenngleich auch im Moment für die Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger von 39,5 Milliarden DM keine zusätzlichen Mittel erforderlich sind, so wird doch in absehbarer Zeit ein enormer Bedarf an Finanzierungsmitteln für die gesetzliche Rentenversicherung erforderlich. Eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ist aber nur mit den Sozialdemokraten, mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden möglich.
Herr Minister, wir warten auf Ihre Vorschläge. Ich möchte mich — meine Zeit ist leider abgelaufen — zunächst auch bei den Herren Mitberichterstattern recht herzlich bedanken für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit in der Vorbereitung dieses Haushalts. Ich bedanke mich vor allem auch bei Herrn Staatssekretär Baden, der hier wohl seine letzte Amtshandlung begeht, für die gute Zusammenarbeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, weil dieser Einzelplan 11 erneut zum Verschiebebahnhof für den Bundeshaushalt benutzt worden ist, lehnen wir Sozialdemokraten diesen Einzelplan ab.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104300200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strube.

Hans-Gerd Strube (CDU):
Rede ID: ID1104300300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Sieler, einen Augenblick habe ich geglaubt, Sie hätten eine sozialpolitische Botschaft,

(Egert [SPD]: Er hat eine! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben wieder nicht zugehört!)

aber dann wurde es doch nur ein Einreihen in die Einheitsfront Ihrer Partei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lieber Wolfgang Sieler, das war also keine Botschaft, allenfalls — sagen wir einmal — ein Ich-bin-beieuch.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat für ihre Bürger die beste soziale Sicherung geschaffen, die es auf dieser Welt gibt.

(Zuruf von der SPD: Die Sie jetzt abbauen wollen! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Kein Grund, sie kaputtzumachen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Wir beraten heute den Haushalt des Ministers für Arbeit und Sozialordnung. Dieser Haushalt ist ein sichtbares Zeichen der Sozialpolitik dieser Bundesregierung, der Koalitionsparteien und des Ministers Norbert Blüm.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Egert [SPD])

60,7 Milliarden DM! Noch nie war der Etat des Bundesarbeitsministers so hoch wie heute. Dieser Haushalt ist solide, und alle Bürger, die davon profitieren, können vertrauensvoll auf diese Leistungen bauen.
60,7 Milliarden DM heißt aber auch, daß es sich wie im Vorjahr um den größten Einzelplan des Bundeshaushalts handelt. Jede dritte Mark gibt der Bund für die Sicherung unseres sozialen Netzes aus.
Noch ein Hinweis vorweg: Seit dem Regierungswechsel 1982

(Zuruf von der SPD: Haben Sie erhebliche Leistungskürzungen vorgenommen!)

haben wir eine Konsolidierungspolitik betrieben, die es uns zum viertenmal hintereinander erlaubt, einen Haushalt vorzulegen ohne Haushaltsbegleitgesetz und ohne Haushaltsstrukturgesetz, also wieder ein Jahr ohne Sparmaßnahmen im Sozialbereich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Im Gegenteil: Nachdem wir die Trümmer unserer Vorgänger beseitigt haben,

(Lachen bei der SPD)

erlaubt es uns unsere Konsolidierungspolitik, neu gewonnene finanzpolitische Handlungsräume im sozial-und familienpolitischen Bereich zu nutzen.

(Kolb [CDU/CSU]: 7 Milliarden DM Defizit 1982 bei der Bundesanstalt!)

Der Sozialstaat steht wieder auf festen Füßen, und die Sozialpolitik lebt wieder in Harmonie mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist wahr, die ist auch schwach!)

Die Inflation ist besiegt, und die Preise sind stabil. Das ist ein großes Stück Sozialpolitik und beruhigt zu Recht unsere Mitbürger.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Noch wichtiger erscheint mir, daß unsere Jugend immer mehr erkennt, daß die Utopie des totalen Sozial- und Versorgungsstaats, die allzulange propa-



Strube
giert wurde, letztendlich ein Unrecht am Menschen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Davon träumen Sie! — Dr. Vogel [SPD]: Wiederholen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Diese Utopie wiegt den Menschen in der Illusion, ihm könne der Lebenskampf erspart bleiben. Eine unnatürliche Passivität und eine falsche Einstellung zur Leistung sind die Folgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der hier zu diskutierende Haushalt ist durch drei große Ausgabenblöcke gekennzeichnet: erstens die Zuschüsse an die Sozialversicherung mit 39,5 Milliarden DM, zweitens die Ausgaben für die Kriegsopfer mit 12,4 Milliarden DM und drittens die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und gleichartige Leistungen mit rund 8 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung dieses Haushalts haben Gespräche mit den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherungen Übereinstimmung ergeben, daß die kurz- und mittelfristige Finanzentwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung als gesichert angesehen werden kann.

(Zurufe von der SPD: Wie lange?)

Die Finanzierungsverpflichtungen sind gesichert. Wie in diesem Jahr, so wird auch 1988 eine mehr als ausreichende Schwankungsreserve zur Verfügung stehen.

(Egert [SPD]: Wie sieht es mit der mittelfristigen Finanzplanung aus?)

Das gilt auch für die vorgeschriebene Mindestliquidität. Bis 1990 sind auch bei einer unterstellten ungünstigen Entwicklung keine Schwierigkeiten zu befürchten.
Meine Damen und Herren, vor uns liegt die große Aufgabe der Strukturreform der Rentenversicherung. Norbert Blüm hat keine Zweifel aufkommen lassen, daß es sich um die Weiterentwicklung des Systems handelt. Im Klartext: Renten bleiben lohnbezogen, Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen sollen sich gleichgewichtig entwickeln. Die Mehraufwendungen, die sich aus den demagogischen — —

(Egert [SPD]: Demagogische Reden, wie der Minister sie führt! — Gegenruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]: Bei euch fällt uns immer nur Demagogie ein!)

— Entschuldigung. Ja, Sie können sich nicht versprechen, das ist mir klar. Ja, ereifern Sie sich ruhig.
Ich sage es noch einmal: Die Mehraufwendungen, die sich aus den demographischen Veränderungen ergeben, sollen auf alle Schultern verteilt werden. Also nicht nur Rentner und Beitragszahler sind angesprochen, sondern auch der Bund, der Dritte in der Verantwortung, muß einen höheren Zuschuß zahlen.

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wo steht das?)

Dieses Grobmuster wird von vielen mitgetragen. Es
wäre wünschenswert, wenn es bei den notwendigen
Feinabstimmungen zu einem breiten gesellschaftspolitischen Konsens kommen würde; denn die Reform muß möglichst für Jahrzehnte Gültigkeit haben. Die Angst der älteren Bürger vor dem Zusammenbruch der Rentenversicherung, wie aus der jüngsten Vergangenheit bekannt, aber auch das demagogische Spiel mit der Angst unserer Rentner — Stichwort „Rentenlüge" — darf zukünftig nicht mehr möglich sein.

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was war denn mit dem „Rentenbetrug"?)

Als Haushaltspolitiker möchte ich zum Thema Sozialversicherung noch zwei Hinweise geben. Ich bekenne mich dazu, daß der Staat zukünftig höhere Zuschüsse leisten muß. Dies darf aber nicht zur einfachen Lösung, zum bequemsten Weg werden; denn jede stärkere Belastung des Staates ist gleichzeitig eine Hypothek für die Zukunft zu Lasten der jüngeren Generation. Deshalb fordere ich die Beteiligten dazu auf, zunächst einmal im eigenen Haus zu suchen, ob sich dort nicht eigene Hilfen finden lassen.
Eine Schwachstelle ist für mich die Überwachung des Beitragseinzugs durch die Rentenversicherung. Der Bundesrechnungshof hat darauf hingewiesen, daß seit Jahren nicht unerhebliche Beitragsausfälle hingenommen werden. Es wurde sogar der Betrag von 1 Milliarde DM pro Jahr genannt. Wenn das wirklich so sein sollte, hielte ich das für eine skandalöse Höhe. Ich fordere deshalb die deutsche gesetzliche Rentenversicherung auf, hier für Klarheit zu sorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ein anderes Thema ist in diesem Zusammenhang die illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Schattenarbeit. Jeder weiß davon, alle reden darüber. Wie viele handeln eigentlich?

(Dreßler [SPD]: Und die Regierung tut nichts!)

Wir wissen, daß unsere Volkswirtschaft, den Staatsfinanzen und der Sozialversicherung pro Jahr Milliarden entgehen. Es gibt zwar in der Zwischenzeit Erfolge. 1986 z. B. sind 150 Millionen DM zusätzlich an Beiträgen in der Renten- und Krankenversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung eingenommen worden. Es gibt dort aber noch mehr zu holen, allerdings auch noch mehr zu tun.

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was wollen Sie denn da holen?)

Meine Damen und Herren, die Situation im Bereich Kohle und Stahl ist ernst, so ernst wie nie zuvor. Neue Technologien, veränderte Nachfragen und neue Wettbewerbssituationen am Markt haben zu strukturellen Veränderungen geführt, die eine Anpassung für die Zukunft notwendig machen. Die Notwendigkeit spüren wir wie in anderen Einzelplänen, z. B. des Bundeswirtschaftsministers, auch im Einzelplan des Bundesarbeitsministers. Für Anpassungshilfen nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl stehen für 1988 über 300 Millionen DM zur Verfügung. Entsprechendes gilt für die Finanzplanung bis 1991. Es sind Mittel vorgesehen wie noch nie in der Vergangenheit: allein im Vergleich zu 1987 eine Steigerung um 26,7 %.



Strube
Mit großer Sorge betrachte ich die knappschaftliche Rentenversicherung.

(Beifall des Abg. Cronenberg [Arnsberg] [FDP])

Als Bundeszuschuß zur Bundesknappschaft ist im Haushalt ein Betrag von 9 Milliarden 125 Millionen DM vorgesehen. Zum Vergleich: 1957, als die Defizithaftung des Bundes die bis dahin geltende Regelung ablöste, zahlte der Bund einen Zuschuß von 519 Millionen DM. Heute sind es fast 18mal soviel. Die Beteiligung des Bundes an den Rentenausgaben der knappschaftlichen Rentenversicherung liegt mittlerweile bei fast 90 %. In einer Zeit, in der für Zukunftsinvestitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze dringend Geld gebraucht wird, fließen Milliarden in rein konsumtive Ausgaben. Deshalb müssen sich alle an der Knappschaftsversorgung Beteiligten die Frage gefallen lassen, ob es nicht möglich ist, Umschichtungen zugunsten von Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich erinnere an die vielen Beiträge zum Thema Arbeitsplatzbeschaffung und Arbeitslosigkeit, die wir im Rahmen dieser Haushaltsdebatte bereits gehört haben.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Fangen Sie doch mal bei den Pensionen an!)

Ich fordere deshalb die Überprüfung der knappschaftlichen Rentenversicherung.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist unverschämt, was Sie sagen!)

Die kritischen Elemente sind bekannt: hohe Rentenleistungen auch an diejenigen, die nicht der belastenden Situation der Untertagearbeit ausgesetzt sind.
Lassen Sie mich bei diesem Thema ein Beispiel bringen. Es ist nicht irgendein aus der Luft gegriffenes Beispiel, nein, vielmehr ein Fall, der sich kürzlich in der Praxis tatsächlich ereignet hat. Ich habe dabei lediglich die Namen weggelassen und die Daten ein wenig gerundet, aber mich im übrigen an den Fall gehalten. Wenn Sie dieses Beispiel gehört haben, wird jeder die Frage nach der Stimmigkeit der knappschaftlichen Rentenversicherung mit mir stellen.
Da sind zwei Krankenschwestern, die ihren Beruf treu und redlich ausgeübt haben. Beide sind 50 Jahre alt, und beide sind erwerbsunfähig geworden. Beide wohnen im selben Ort. Beide haben ihr ganzes Arbeitsleben lang in derselben Stadt in einem Krankenhaus gearbeitet. Der Unterschied liegt nur darin, daß die eine in einem städtischen Krankenhaus und die andere in einem Krankenhaus der Bundesknappschaft gearbeitet hat. Die Krankenschwester aus dem städtischen Krankenhaus erhält eine Jahresrente von 17 983 DM, die in der Knappschaft versicherte Dame erhält 23 980 DM. Das ergibt eine Differenz von 5 997, also rund 6 000 DM, oder monatlich 500 DM.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Für die Untertagearbeit!)

Bewußt habe ich dieses Beispiel gewählt, nicht um Bergleute allgemein zu diskriminieren oder um den Bergmann zu treffen, der eine Zeit unter Tage gearbeitet hat und dann im selben Betrieb irgendwo über Tage eingesetzt war. Ich habe vielmehr zwei Fälle aus dem Berufsleben zitiert,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Reden Sie doch mal über die Beamten!)

die mit Untertagearbeit wirklich nichts zu tun haben, die aber dennoch wegen der Rentenzahlung gut miteinander vergleichbar sind.
Ich kenne auch die Gründe, die für die Erhaltung des Systems angeführt werden: Wahrung des Betriebsfriedens zwischen den unter Tage und den über Tage Arbeitenden; Bifunktionalität der Rentenversicherung, also Betriebsrente neben üblicher Alterssicherung.
Aber wo gibt es das sonst, daß Betriebsrenten mit staatlicher Hilfe gefördert werden?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Da liegt der Hund begraben!)

Ich meine, es ist an der Zeit, daß alle Beteiligten im Konsens miteinander die Fragen im Rahmen der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung prüfen und für Handlungsspielräume sorgen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ob es die anstehende Rentenreform oder die Strukturreform im Gesundheitswesen ist — beide werden hohl bleiben, wenn die Mitbürger nicht erkennen und wenn wir Politiker ihnen nicht verdeutlichen können, daß ohne ihre Mitwirkung alle Initiativen vergeblich sind. Es muß herausgearbeitet werden, daß die Politik im Einklang mit den Lebensinteressen des einzelnen handelt. Initiativen mit dem Ziel einer stärkeren Solidarisierung sind daher gefragt. Wer sich verweigert, wer nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, verhindert Reformen, die im Interesse der Gemeinschaft geschehen müssen.
Gestatten Sie mir einige Sätze zur Krankenversicherung. Ich will nicht über künftige Leistungskataloge spekulieren.

(Egert [SPD]: Das glaube ich!)

Ich will auch nicht über die ungezählten, meistens unsinnigen Eingaben der Verbandsfunktionäre reden.

(Zurufe von der SPD)

Vielmehr spreche ich die Lage der gesetzlichen Krankenkassen in strukturschwachen Gebieten an. Meine Damen und Herren, das Stichwort „Subsidiarität" sollte nicht nur fallen, wenn an den Staat appelliert wird, finanziell auszuhelfen, sondern auch die mittelbaren Träger der Staatsverwaltung selbst sollten dieses Prinzip beherzigen.
Die Probleme der gesetzlichen Krankenkassen sind uns bekannt; die Ortskrankenkassen drückt es besonders. Eine Skizze aus meinem Wahlkreis: Es gibt Probleme am Arbeitsmarkt. Arbeitskräfte pendeln in entfernte Gebiete, lassen sich aber nach der Saison zu Hause ärztlich behandeln, belasten also die örtliche AOK. Wir verzeichnen einen großen Kinderreichtum, 13,2 Geburten auf 1 000 Einwohner. Im Vergleich: Im



Strube
Bundesdurchschnitt sind es 7 Geburten auf 1 000 Einwohner. Das ist für die Kassen sehr problematisch; denn die Kinder sind durch ihre Eltern bei der AOK mitversichert. Die Beitragsschraube dreht sich immer schneller. Hinzu kommt, daß gute Risiken abwandern; Gründung von Betriebskrankenkassen. Dadurch wird die Grundlohnsumme immer geringer.

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Folge?)

Die Ansiedlung neuer Unternehmen, die dringend notwendig wäre, ist bei 15 und mehr Punkten Krankenkassenbeitrag kaum machbar. Ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis erscheint unmöglich.

(Zuruf von der SPD: Und was macht ihr dann? — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Forderung lautet: Hier, wo demographisch die Zukunft des Landes heranwächst, muß ein sozialer Ausgleich unter den Kassen geschaffen werden. Der Familienlastenausgleich ist nicht auf die staatliche Förderung beschränkt. Auch die Sozialversicherung sollte ihn berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Der Gedanke ist gut! — Zuruf von der SPD: Machen Sie mal weiter so! — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vom 18. März 1987 versichert, daß das Leistungssystem der Kriegsopferversorgung durch strukturelle Verbesserungen weiterentwickelt wird. Dieses Versprechen werden wir erfüllen. Nach den Vereinbarungen unter den Koalitionsparteien kommt dafür das Jahr 1989 in Frage. Die Zeit bis dahin verstreicht nicht ungenutzt. Änderungen eines so umfassenden und ausgabeträchtigen Leistungssystems wie des Systems der Kriegsopferversorgung bedürfen sorgfältiger Vorbereitung. Die Vorarbeiten sind schon seit einiger Zeit im Gange.

(Egert [SPD]: Ach ja?)

Ziel weiterer struktureller Änderungen in der Kriegsopferversorgung kann nur sein, ein sozial ausgewogenes Versorgungsniveau zu schaffen. Lineare Leistungsverbesserungen sind nicht mehr vertretbar. Sie verursachen unangemessen hohe Aufwendungen und begünstigen in weitem Umfang auch diejenigen, die einer zusätzlichen Hilfe nicht bedürfen. Die Zeiten, in denen Versorgungsberechtigte wirtschaftlich schlecht gestellt waren, sind lange vorbei. Heute gilt es, gezielt zu helfen. Beim Blick in die Zukunft dürfen wir aber nicht vergessen, was seit 1982 zur Verbesserung der Lage der Kriegsopfer schon alles getan worden ist.

(Egert [SPD]: Sagen Sie mal etwas!)

Ich will abschließend noch einen Bereich der gesetzlich nicht gebundenen Mittel ansprechen. Meine Damen und Herren, in der Menge liegt nicht immer die Größe. Immer größer, immer höher, immer mehr — das sind häufig die Schlagzeilen unserer Gesellschaft, an denen die Erfolge gemessen werden, Leistungsgesellschaft. Je größer, um so erfolgreicher — Schlagworte, über die manches Mal das Menschliche, die Sorge des einzelnen Menschen in Vergessenheit gerät.
Wir dürfen aber nie vergessen, daß es neben den I großen sozialen Leistungen, z. B. der Sicherung der Renten und der Versorgung der Kriegsopfer, auch im kleinen manches Leid gibt, um das man sich kümmern muß. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Gesellschaft die Betroffenen ihrem Schicksal überläßt.
Zwei Beispiele — neben vielen anderen — machen deutlich, daß es sich beim Einzelplan 11 um den Sozialhaushalt handelt.

(Beifall bei der SPD)

Rheuma, multiple Sklerose, Parkinsonsche Krankheit, Epilepsie — das sind Plagen der Menschheit.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Das war eine tiefgreifende Aussage! Wie lange haben Sie dafür überlegt? — Weitere Zurufe von der SPD)

Sie kosten die Volkswirtschaft ein Vermögen. Viel schlimmer aber ist das einzelne menschliche Leid. Wir haben deshalb Mittel in den Haushalt aufgenommen, um zu einer besseren Versorgung der Betroffenen zu kommen. Es sind keine Milliarden, es sind nur neun Millionen. Erfolge aber sind nicht immer nur eine Folge von großen Zahlen. Die Modellmaßnahmen, die damit finanziert werden, sollen zur Verbesserung der Prävention, der Akutbehandlung und der Nachsorge beitragen.
Das zweite Beispiel dafür, daß der Sozialhaushalt nicht von Zahlen, sondern von Menschen beherrscht wird: Krebs, bei Erwachsenen ein Schicksal, bei Kindern mehr als ein Schicksal. Wenn Kinder, die am Anfang des Lebens stehen, davon betroffen werden, brauchen sie erstklassige medizinische Hilfe. Das ist aber nicht alles. Sie brauchen insbesondere menschliche Betreuung. Deswegen haben wir Mittel eingestellt, um die Versorgungsstrukturen weiter auszubauen, um insbesondere die psychosoziale Betreuung krebskranker Kinder zu verbessern.
Ich muß aber darauf hinweisen, daß es sich in beiden Fällen nur um Modellmaßnahmen des Bundes handeln kann, weil für die Dauerförderung keine Zuständigkeit besteht. Die Pilotprojekte in Sachen Krebs haben dazu geführt, daß mittlerweile 24 Tumorzentren, 30 Einrichtungen der Kinderkrebsbehandlung, 32 onkologische Schwerpunkte und zehn Schwerpunktpraxen

(Frau Garbe [GRÜNE]: Sorgen Sie dafür, daß die Schadstoffe aus der Luft genommen werden!)

mit Bundesmitteln in Höhe von rund 150 Millionen DM gefördert worden sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Geht mal ran an die Chemie!)

Nach ersten Gehversuchen erfolgt schrittweise die Überführung in die Regelfinanzierung.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen!)

So kann und muß dieses Modellvorhaben abgeschlossen werden.
Meine Damen und Herren, ich konnte hier einige sozialpolitische Brennpunkte ansprechen.

(Zuruf von der SPD: Ja?)




Strube
Mein Fazit: Wir haben seit der Wende in der Sozialpolitik viel erreicht.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Ja, Leistungen gekürzt!)

Wir arbeiten mit Nachdruck

(Dr. Klejdzinski [SPD]: An weiteren Leistungskürzungen!)

an den Konzeptionen für die Zukunft. Wir christlichen Demokraten wissen, daß wir „niemals fertig" werden.

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Das stimmt! — Alles halbe Sachen!)

Unser Auftrag lautet, „ständig unterwegs" zu sein.

(Weitere Zurufe von der SPD)

Unsere Bürger können sich auf uns, auf die Christlich Demokratische und die Christlich-Soziale Union, verlassen. Meine Fraktion stimmt deshalb dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung zu.

(Beifall bei der CDU/CSU — Egert [SPD]: Ein überraschender Schluß!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104300400
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.

Willi Hoss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104300500
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Bei Ihrem Wort, Herr Strube, daß die Christlich-Sozialen niemals fertig werden, ist mir bei der Vorstellung der Modellversuche zur Bekämpfung des Krebses eingefallen, daß das stimmt, wenn Sie nicht an die Ursachen herangehen,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

wenn Sie nicht versuchen, die Ursachen der Entstehung des Krebses, die Schadstoffe in der Luft und anderswo, anzugehen. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie niemals fertig werden.
Den vorliegenden Etat 11, den Arbeits- und Sozialhaushalt, kann man nur richtig verstehen, wenn man ihn in Beziehung zur Entwicklung der sozialpolitischen Verhältnisse in unserem Lande setzt, wenn man die entsprechenden Trends, die Tendenzen, die vorhanden sind, zu diesem Haushalt in Relation setzt. Ich will deshalb, bevor ich überhaupt richtig anfange, einige markante Daten und Trends, die für uns, aber nicht nur für uns, sondern auch für Sie sehr wichtig sind, vortragen.
Erstens. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik Deutschland ist mittlerweile auf drei Millionen gestiegen. 1982, als Sie anfingen, waren es 2,3 Millionen. Das ist eine Steigerung um 30 %.
Zweitens. Inzwischen leben sieben Millionen Menschen in der Bundesrepublik mit einem Einkommen von unter 1 000 DM.
Drittens. Die Zahl der Erwerbslosen ist bis heute nicht, wie Sie 1982 versprochen haben, drastisch reduziert worden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und was ist mit den neuen Arbeitsplätzen?)

Sie haben versprochen, sie auf eine Million herunterzudrücken, aber die Zahl steigt weiter an, auch im
Jahre 1988. Wir haben inzwischen 470 000 jugendliche Arbeitslose zwischen 16 und 25 Jahren.
Viertens. Das Durchschnittseinkommen von Arbeitslosen, das 1982 60 % des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens ausmachte, ist inzwischen auf 42 % des durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommens gesunken. 40 % der registrierten Arbeitslosen kriegen mittlerweile überhaupt keine Leistungen mehr; sie sind aus den Leistungen herausgefallen.

(Kolb [CDU/CSU]: Weshalb bekommen sie keine Leistungen?)

Ich könnte diese Liste fortsetzen. Ich will aber an dieser Stelle aufhören; denn sonst geht meine Redezeit damit zu Ende.
Fünftens möchte ich sagen, daß die Situation der Rentner durch folgendes zu kennzeichnen ist.

(Egert [SPD]: Herr Kollege, das ist gut, was Sie sagen!)

Ein Arbeitnehmer in der Bundesrepublik mit einem Durchschnittsverdienst, der 40 Jahre lang gearbeitet und Beiträge gezahlt hat, bekommt danach eine Rente in Höhe von 1 400 DM. Seine hinterbliebene Frau wird etwa 850 DM erhalten und liegt damit im Sozialhilfebereich. Das ist die soziale Situation in unserer Gesellschaft.

(Frau Garbe [GRÜNE]: Das ist die Wahrheit!)

Der Trend geht eben nicht dahin, daß sich das abbaut — das ist sehr wichtig für die Beurteilung des Einzelplans 11, Herr Blüm — , sondern dahin, daß sich die Dinge verschlechtern.
Die Situation ist die, daß sich die Teilung in unserer Gesellschaft zwischen denen, die in ein schlechtes Leben hineinkommen, die in Armut hineinkommen, und denen, die Anteil haben an dem Reichtum, die Anteil nehmen können an dem, was produziert wird, weil sie im Erwerbsbereich stehen und davon profitieren können, vergrößert.
Die Hektik und die Sucht nach Wachstum, nach Konkurrenz, nach immer mehr Leistung und immer mehr Produkten, führen dazu, daß immer mehr Menschen aus dieser Leistungsgesellschaft ausgegliedert werden. Das wird zum sozialen Problem. Das ist ähnlich wie mit den Industriestaaten im Verhältnis zur Dritten Welt: Je reicher die hochentwickelten Industriestaaten werden, um so ärmer und erbärmlicher wird die Situation in den Ländern der Dritten Welt, in den abhängigen Ländern. Diese Situation produzieren Sie jetzt in unsere Gesellschaft hinein. Ich glaube, daß das sehr wichtig ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist klar, daß dieses Problem nur angegangen werden kann mit einem wirklichen Programm zur Umorientierung, zur ökologischen Gestaltung unserer Wirtschaft, mit Schaffung von Bereichen, in denen in Übereinstimmung mit der Umwelt arbeitsplatzschaffende Produktion aufgebaut wird und neue Produkte hergestellt werden, etwa im Bereich der Chemie und der Verkehrspolitik. Legen Sie doch einmal ein großzügiges Programm auf, anstatt mit der Steuerreform Milliarden zu mobilisieren, die dazu herhalten müs-



Hoss
sen, den Spitzenverdienern und den mittleren Verdienern, die ja ohnehin leben können — es ist ja nicht so, daß sie nicht leben können — , noch mehr zu geben. Um denen noch mehr geben zu können, verzichten Sie darauf, Milliarden bereitzustellen, um den Zustand der Nordsee in einem schnellen Tempo zu verbessern. Statt dessen legen Sie uns Zahlen für 1995 vor. Das ist ja geradezu lachhaft.
Der Plan, der hier vorliegt, nämlich der Einzelplan 11, ist in erheblichem Maße zu kritisieren. Wir haben insbesondere drei Punkte anzumerken.
Der erste Punkt soll verdeutlichen, welcher Geist in diesem Einzelplan steckt. Wir haben den Antrag gestellt, die zusätzliche Stelle für einen Staatssekretär im Bereich des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, die Herr Blüm beantragt hat, zu streichen. Wir stellen hier entgegen: Während Sie im Einzelplan 11 einem Schüler oder Studenten, der arbeitslos ist, die Mittel streichen, ihn also aus der Arbeitslosengeldzahlung hinausschmeißen, beantragen Sie, Herr Blüm, für sich die Stelle für einen zusätzlichen Staatssekretär in Ihrem Ministerium — obwohl Sie bisher mit dem vorhandenen Personal ausgekommen sind — , weil Sie als Vorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen nicht mehr so viel Zeit für Ihre Arbeit im Ministerium aufbringen können und dafür Entlastung brauchen. Für uns ist das indirekte Parteienfinanzierung, die wir ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Hier möchte ich den Geist dieses Etats darstellen. Dem einzelnen Arbeitslosen wollen Sie das Geld aus der Tasche ziehen. Wenn es aber um Ihre Interessen geht, die Sie durchsetzen wollen, dann sind Ihnen Tausende von Mark nicht zu wenig.
Zweitens. Sie haben in Ihrem Etat Fälle von Ausgrenzung. Sie führen mit Ihrem Etat nicht einen Kampf zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit, sondern Sie führen einen Kampf gegen die Arbeitslosen, indem Sie Leute aus dem Arbeitslosengeld ausgrenzen, wie ich das vorhin am Beispiel der Schüler und Studenten deutlich gemacht habe. Sie verlängern die Bemessungszeiträume und die Sperrfristen. Das heißt, Sie kämpfen gegen Arbeitslose und nicht gegen die Arbeitslosigkeit. Das ist das Wesentliche.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben dem ein Programm entgegengestellt, wonach endlich der Bereich der Sozialhilfe und der Bereich der Arbeitslosenhilfe zusammengefaßt werden und unseren Bürgern eine bedarfsorientierte integrierte Grundsicherung in Höhe von 700 DM monatlich angeboten werden soll, bestehend aus dem Regelsatz und einer pauschalierten einmaligen Leistung.

(Frau Limbach [CDU/CSU]: Eben haben Sie gesagt, 800 DM seien zuwenig!)

— Bitte beruhigen Sie sich. Hinzu kommt eine Wohn-geldpauschale, so daß wir auf einen Gesamtbetrag von 1 050 DM kommen. Damit wären die Dinge einwandfrei und besser abgedeckt.
Zum dritten wollen wir das Problem der Jugendarbeitslosigkeit zentral angehen. Wir schlagen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit von 470 000 Jugendlichen ein Programm vor, nach dem einige Milliarden bereitgestellt werden sollen. Wir müssen entscheiden, was uns hier eine Abhilfe wert ist, und insbesondere fragen, ob Sie das tragen können und wollen.

(Kolb [CDU/CSU]: Oder ob die das wollen!)

Die Tatsache von 470 000 arbeitslosen Jugendlichen hängt unbedingt mit der Frage der Gewalt zusammen.

(Beifall bei der GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Blüm, machen Sie sich einmal darüber Gedanken, was Sie auf diese Weise produzieren und ob das eine vernünftige Sozialpolitik ist, wenn so viele Jugendliche in Arbeitslosigkeit verharren. Darunter sind 219 000 Jugendliche mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Hier bestehen Zusammenhänge.

(Zuruf von der CDU/CSU: Mehr Mobilität!)

Während Sie von der CDU/CSU nach einer Verschärfung der Gesetze rufen, sind wir dafür, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß unsere Jugendlichen eine ordentliche Ausbildung erhalten und in sinnvollen Tätigkeiten beschäftigt werden können. Wenn das einmal Realität würde, wäre das Problem der Gewalt von allein gelöst.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie haben schon besser argumentiert! — Günther [CDU/CSU]: So einfach ist das!)

— Herr Kolb, Sie wissen ganz genau, daß ich in der Gewaltfrage eine eindeutige Position habe, daß ich Zwillen, Vermummung und Molotowcocktails als Mittel zur Durchsetzung einer ökologischen Politik ablehne.
Aber ich bin genauso entschieden dafür, daß man Sie an den Punkten anprangert, wo Sie Gewalt produzieren, indem Sie eine Sozialpolitik betreiben, die zum Himmel schreit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104300600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1104300700
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Freiheit bedarf der sozialen Sicherung. Das ist für uns Liberale selbstverständlich. Soziale Sicherung, soziale Sicherheit können nicht auf Eigenverantwortung und auf Eigenvorsorge verzichten. Beides, Eigenverantwortung und Eigenvorsorge, sind geradezu eine Voraussetzung für Solidarität und für die Inanspruchnahme von Solidarität.
Eine Sozialpolitik, die immer wieder neue Leistungen auf Kosten anderer, gar der nächsten Generation verspricht, eine Sozialpolitik, die so handelt, schafft kein Vertrauen; sie unterminiert das Vertrauen in die Politik.
Die Diskussionen um die jetzt anstehenden Strukturreformen zeigen auch, daß Besitzstandsdenken



Cronenberg (Arnsberg)

überwiegt. Der Status quo wird mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Menschlich, meine Damen und Herren, ist das nachvollziehbar. Wenn Privilegien für einzelne Gruppen der Gesellschaft erkämpft und verteidigt werden, so kann man das verstehen. Falsch ist es trotzdem.
Immer häufiger kommen aus beiden großen Parteien unter dem Deckmantel, sozial Gutes tun zu wollen, Forderungen, die im Grunde genommen Privilegienverteidigung sind. Ich möchte hier beispielhaft erwähnen: Da ist die Sonderregelung beim Kurzarbeitergeld für Stahlarbeiter, da ist die Zementierung der Knappschaftsversicherung — ich bin dem Kollegen Strube dankbar dafür, daß er sich bemüht hat, dieses Thema hier einmal anzusprechen, damit man sich in aller Objektivität darüber unterhalten kann —,

(Egert [SPD]: Objektiv war das gerade nicht!)

da ist die steuerliche Begünstigung von Jahreswagen, da sind vererbbare Sonderrenten für Nebenerwerbslandwirte. Ich könnte diese Liste fortsetzen. Alles steht unter dem Motto: Das Gute für mich, zahlen laß andere.

(Zuruf des Abg. Peter [Kassel] [SPD])

— Das Ergebnis, Kollege Peter, ist, daß wir unterschiedliche Strukturen bekommen, eine ZweiklassenArbeitnehmergesellschaft: Privilegierte in Großbetrieben — für die der Gesetzgeber bereit ist, etwas zu tun — und Benachteiligte in kleinen und mittleren Betrieben. Es ist mir manchmal unbegreiflich, wie in den Wahlversammlungen freitags und samstags das hohe Lied des Mittelstands gesungen wird

(Günther [CDU/CSU]: Sonntags auch!)

— sonntags auch, Kollege Günther — und mittwochs im Ausschuß und donnerstags im Plenum genau das Gegenteil beschlossen wird.

(Zuruf von der SPD: Besonders bei der FDP! — Kolb [CDU/CSU]: Also machen wir ein gemeinsames Mittelstandsprogramm!)

— Das, Herr Kollege Kolb, wäre in der Tat vernünftig.
Wir müssen lernen, zwischen sozialpolitisch Wünschbarem und wirtschaftspolitisch Vertretbarem zu unterscheiden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Geschieht das nicht, dann passiert das, was der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank Schlesinger zutreffend formuliert hat: Die Soziallast bremst das Wachstum, und unzureichendes Wachstum beeinträchtigt die Beschäftigung und dies wiederum erhöht die Soziallasten. Ein Circulus vitiosus.
Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Wenn die Summe aller Abgaben — egal ob in Form von Steuern oder von Sozialversicherungsbeiträgen — immer weiter steigt, kommen wir zu einer Taschengeldgesellschaft. Die Abgaben sind dann letztendlich höher als das, was dem Bürger verbleibt. Das ist dann eben halt nur ein Taschengeld, für das zu arbeiten sich nicht lohnt.
Um steigende Abgaben geht es auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Immerhin hat die erste AOK ihre Beiträge jetzt auf 16 To angehoben. Man muß sich bewußt machen, was das bedeutet. Das heißt, bis zu 680 DM werden pro Monat an Beiträgen abgeführt.
Ich bitte um Ihr Verständnis, daß ich mich in den paar Minuten, die mir zur Verfügung stehen, ausschließlich bzw. schwerpunktmäßig mit dem Thema der Strukturreform im Gesundheitswesen beschäftigen möchte. Somit komme ich auf die anderen Probleme heute nicht zu sprechen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zunächst einmal feststellen: Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung — einer Pflichtversicherung, einer Zwangsversicherung — muß es sein, Notwendiges zur Heilung im Krankheitsfalle zu finanzieren und dort, wo eben möglich, zu helfen, Krankheit zu vermeiden. Beitragszahler und Wirtschaft — die Wirtschaft auch im Interesse der Beschäftigung — können verlangen, daß die vorhandenen Mittel effektiv und sparsam eingesetzt werden. Das bedeutet, wir müssen durch optimale Organisationsstrukturen alle Beteiligten — Versicherte wie Pharmaindustrie, Ärzte wie Apotheker, Kassen und Krankenhäuser, auch Gesundheitshandwerker — veranlassen, sich so zu verhalten, daß sich das Eigeninteresse des einzelnen mit dem Gesamtinteresse der Gesellschaft, der Solidargemeinschaft der Versicherten deckt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das kann und muß durch materielle Anreize für alle Beteiligten erreicht werden. Sie müssen zu vernünftigen Verhaltensweisen motiviert werden.
Daß das möglich ist, hat die öffentliche Diskussion der letzten Wochen deutlich bewiesen. Die Vielzahl von zustimmenden, aber auch außerordentlich kritischen Protestbriefen beweist mir — da sie von allen Seiten kommen — , daß Leistungserbringer wie Versicherte sehr an der Diskussion interessiert sind, sich betroffen fühlen. Mit anderen Worten: Der Anspruch, alle müßten beteiligt sein, wird durchaus erfüllt. Man könnte geradezu sagen: Wenn alle schimpfen, sind auch alle beteiligt.
Über die Notwendigkeit und Ursachen einer Reform des Gesundheitswesens möchte ich mich nur kurz äußern. Insbesondere demographische Entwicklung und — ich möchte das unterstreichen — erfreulicher medizinischer Fortschritt sind hierfür ursächlich.
Meine Damen und Herren, wir Liberalen sind überzeugt, daß ein System, das immer mehr Dirigismus, immer mehr Bürokratie, immer mehr Planung braucht, keine Verbesserungen, sondern Verschlechterungen bringt. Deswegen, verehrter Herr Minister, lehnen wir Preisstopp und Zwangspreissenkungen konsequent ab.

(Zustimmung bei der FDP — Lachen bei der SPD)

Deswegen sind wir gegen Positivlisten und Preisabsprachen zwischen Großanbietern und Kassen. Deswegen sind mir persönlich Negativlisten ein Greuel.



Cronenberg (Arnsberg)

Wir wollen nicht, daß der Staat vorschreibt, zu welchem Arzt man gehen darf oder nicht. Wir wollen nicht, daß der Staat vorschreibt, welches Medikament man nehmen darf oder nicht. Wir wollen nicht, daß der Staat vorschreibt, wieviel Tage ich ins Krankenhaus muß oder darf.

(Zuruf von der SPD: Das hat der Staat noch nie gemacht!)

Wir wollen nicht, daß die individuellen Leistungen von Ärzten, Apothekern und anderen Heilberufen pauschal leistungsfeindlich abgedeckelt werden. Meine Damen und Herren, ein Blick über die Grenzen lehrt uns, was solche dirigistischen planwirtschaftlichen Methoden für freie Arztwahl und Therapiefreiheit bedeuten. Freie Arztwahl und Therapiefreiheit sind für uns Liberale unverzichtbare Elemente eines freiheitlichen Gesundheitssystems.

(Beifall bei der FDP)

Wir möchten deswegen immer und überall zunächst einmal durch Festzuschüsse eine ordentliche, notwendige Versorgung des Versicherten ermöglichen. Eine gesetzliche Krankenversicherung, eine Pflichtversicherung muß nicht jeden Luxus bezahlen,

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

sondern sich auf das Notwendige und Preiswerte — meine Damen und Herren, nicht auf das Billige —beschränken. Wenn Sie so wollen, heißt das nicht mehr und nicht weniger, als daß die Erstattung durch die Kassen nach oben begrenzt wird.
Wer glaubt, darüber hinaus höhere Preise verlangen zu können, muß dieses Mehr von seinen Kunden, aber nicht von der Solidargemeinschaft der Versicherten holen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, natürlich weiß ich, daß ein solches System nur bei vergleichbaren Leistungen möglich ist. Aber ich versichere Ihnen, daß alle Bemühungen im Pharmabereich oder bei Hörgeräten, entsprechende Parameter aufzustellen, meine persönliche Unterstützung finden.
Niemand kann bestreiten, daß dies marktwirtschaftliche Anreize zur Lösung von Teilproblemen sind. Was im Bereich der Heil- und Hilfsmittel und in weiten Bereichen von Medikamenten möglich ist, wird in anderen Bereichen schwer oder gar nicht zu praktizieren sein.
Meine Damen und Herren, für den Erfolg der Strukturreform aber ist es entscheidend, daß wir auch in anderen Bereichen, auch im Krankenhaussektor, auf Dauer, verehrte Kollegen, Erfolg haben. Es kann nicht oft genug wiederholt werden: Das Selbstkostendekkungsprinzip, das de facto nach wie vor praktiziert wird, ist ein Grundübel. Es ist keine Kunst, Kosten zu produzieren, produzierte Kosten nachzuweisen und sich nachgewiesene Kosten erstatten zu lassen. Letztendlich, so meine ich, müssen die Kassen das Recht haben, für den Fall, daß eine ordentliche Versorgung in der Region sichergestellt ist, den Krankenhäusern Verträge zu kündigen und Neuabschlüsse nicht mehr vorzunehmen, und zwar dann, wenn die Pflegesätze zu Lasten der GKV zu hoch sind.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich wegen der Kürze der Zeit in diesem Zusammenhang auch ein kurzes Wort zum Thema Pflege sagen. Ohne Zweifel bedarf das Thema Pflege einer ernsthaften Erörterung. Die gesetzliche Krankenversicherung darf aber nicht mit den Kosten von Dauerpflegefällen belastet werden. Dies würde das System der gesetzlichen Krankenversicherung, mit Beitragsmitteln finanziert, sprengen.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Beitragsmittel dürfen nur zur Erleichterung der häuslichen Pflege eingesetzt werden, soweit sie Krankenhausaufenthalte erspart bzw. den Krankenhausaufenthalt des zu Pflegenden verkürzt.
Diese Haltung ist bei mir auch dadurch verfestigt, daß im Krankenhaussektor zur Zeit offensichtlich nur minimale Fortschritte zu erwarten sind. In anderen Bereichen sind Leistungseinschränkungen bei medizinisch nicht notwendigen Leistungen — z. B. beim Sterbegeld — vertretbar. Es versteht sich von selbst, daß durch eine wirksame — ich unterstreiche: wirksame — Wirtschaftlichkeitsprüfung bei Ärzten sichergestellt sein muß, daß auch hier verantwortungsvoll gehandelt wird, so wie dies die meisten Ärzte meiner Feststellung nach auch schon jetzt tun.
Lassen Sie mich aber gerade an dieser Stelle auf einen für uns unverzichtbaren und wichtigen Grundsatz aufmerksam machen. Es geht darum, daß der Vorrang für die Selbstverwaltung erhalten bleibt. Das, was die gemeinsame Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten eigenverantwortlich und zum Wohle der Solidargemeinschaft in der Vergangenheit geregelt haben, soll die Selbstverwaltung auch in Zukunft eigenverantwortlich und ohne Eingriffe des Staates regeln. Das gilt auch für die Honorarpolitik.
Noch besser als Heilen ist Krankheit vermeiden. Deswegen müssen für Vorsorge und Prophylaxe entsprechende Anreize geschaffen werden. Auch hier geht es nicht ohne Eigenverantwortung, ohne Eigenleistung.
Meine Damen und Herren, eine Strukturreform ist nichts Populäres. Das wissen wir, da haben wir leidvolle Erfahrungen. Aber ich möchte die Kollegen der Opposition sehr herzlich bitten, unsere Bemühungen zur Sicherung des Solidarsystems nicht als Sozialabbau zu diffamieren. Sie wissen genauso gut, Frau Kollegin Fuchs, wie ich, daß ohne eine Strukturreform unser Gesundheitssystem,

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Dann fangen wir einmal bei der Pharma-Industrie an!)

unser Krankenversicherungssystem den zukünftigen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. — Frau Kollegin Fuchs, denken Sie einmal darüber nach, was die Festzuschüsse im Pharma-Bereich für diesen Bereich bedeuten. Sie werden Ihren Zwischenruf dann sicher zurückziehen.
Wer dem Bürger vorgaukelt, es könne so weitergehen, handelt verantwortungslos. Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen der SPD mit allem Ernst und



Cronenberg (Arnsberg)

allem Nachdruck daran erinnern, daß sie schon vor Jahren richtigerweise erkannt haben, daß es ohne Einschnitte in diesem Bereich nicht geht, das System nicht aufrechtzuerhalten ist. Ich empfehle Ihnen dringend, zu den Erkenntnissen von vorgestern auch heute zu stehen. Wenn Sie gegen unsere Vorschläge wider besseres Wissen polemisieren, würden Sie der Solidargemeinschaft wie der Gesellschaft insgesamt schaden; aber das, so hoffe ich jedenfalls, ist doch nicht Ihre Absicht.
Meine Damen und Herren, ein großer liberaler Ökonom, Walter Eucken, hat einmal festgestellt:
Zwischen dem sozialen Willen vieler Menschen und den zur Lösung sozialer Fragen notwendigen Kenntnissen besteht oft eine Kluft. Es gibt eine große Zahl von Menschen, die ein echtes soziales Interesse haben. Aber es gibt nur wenige, die sich für die Frage der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtordnung interessieren.

(Kolb [CDU/CSU]: Mitnahmeeffekte nennt man das!)

Ich hoffe sehr, daß das für dieses Haus nicht zutrifft. Anders ausgedrückt: Ich wünsche mir, daß genügend Kollegen hier im Hause sind, die diese unverzichtbaren Zusammenhänge zwischen wirtschaftlicher Leistungskraft und sozial Wünschbarem verstehen und entsprechend handeln. Für dieses Handeln möchte ich mich im voraus sehr herzlich bedanken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104300800
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.

Rudolf Dreßler (SPD):
Rede ID: ID1104300900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tageszeitung „Die Welt" vom Montag war zu lesen, daß einer der Ihren, aus der Koalition, Ihnen eine wichtige Empfehlung mit auf den Weg gegeben hat: Man müsse auch der Opposition recht geben können; denn wenn die SPD recht hat, hat sie recht.

(Kolb [CDU/CSU]: Wann hat sie recht?)

Dieser Empfehlung des Kollegen Blüm können wir uns vollinhaltlich nur anschließen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Blüm [CDU/CSU]: Aber nur wenn!)

Wenn Sie jetzt auch noch den nächsten Schritt mutig täten und die Haushaltsdebatten der Jahre seit 1982 nachläsen, dann könnten wir versuchen, einige Fehler gemeinsam wiedergutzumachen,

(Kolb [CDU/CSU]: Und die Fehler vorher?)

z. B. beim § 116 AFG, Herr Kolb, bei den Rentenkürzungen für Behinderte in Werkstätten.
Für einige der großen Probleme, vor denen wir stehen, kommt diese Einsicht allerdings reichlich spät. Arbeitnehmer, Unternehmen, unsere gesamte Volkswirtschaft wird dafür die Zeche bezahlen. Sie haben sich und andere damit eingelullt, daß die Exportkonjunktur floriere, als ob das Ihr Verdienst gewesen wäre.
Nein, diese Regierung hat in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nicht nur auf Sand gebaut; es ist viel schlimmer. Sie hat vor allem auf die US-Schuldenpolitik der vergangenen Jahre gebaut. Wenn dieses Jahr herum ist, wird die Wachstumsrate gerade einmal halb so hoch sein, wie Herr Bangemann sie im letzten Jahr erwartet hat. Was der Wirtschaftsminister als Prognosen ausgibt, sind Prophezeiungen. Sie, Herr Blüm, fallen darauf herein.

(Kolb [CDU/CSU]: Ihr spracht von Minuswachstum!)

Jetzt stehen wir vor den Problemen. Vom Export werden keine Beschäftigungsimpulse ausgehen. Die öffentlichen Investitionen sind drastisch zurückgegangen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Nur in NordrheinWestfalen!)

Die privaten Investitionen dümpeln auf niedrigem Niveau dahin.
Wenn es bei Ihren unseriösen Steuerplänen bleibt, wird das noch schlimmer werden. Bund, Länder und Gemeinden müssen ihre Aufträge zurückfahren und belasten den Arbeitsmarkt und die Konjunktur. Es ist sehr bedauerlich, daß Ihnen diese Zusammenhänge augenscheinlich unbekannt sind.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen ist auf das Niveau der 50er Jahre gefallen. Die schwächliche Binnennachfrage ist dafür die Quittung.

(Kolb [CDU/CSU]: Deswegen machen wir ja die Steuerreform!)

Wie war das denn noch, Herr Kolb? Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und sollten die Arbeitsplätze von übermorgen sein. Angebotspolitik nennt man das. Ja, wo sind denn die Investitionen heute mit den Gewinnen von gestern, Herr Cronenberg?

(Frau Fuchs [Köln] [SPD]: In Amerika!)

Ja, wo sind sie denn? Fehlanzeige! Bei Ihrer Wirtschaftspolitik waren die Gewinne von vorgestern, die Anlage von Geldkapitalien in den Vereinigten Staaten gestern und die Milliardenverluste an den Börsen in der letzten Woche. Das sind die Zusammenhänge.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir hätten alle mehr davon gehabt, meine Damen und Herren, wenn nur ein Teil der an den Börsen verlorenen Milliarden in Zukunftsinvestitionen bei uns geflossen wäre, z. B. in Investitionen für die Umwelt oder in unweltverträgliche Technologien oder in Anlagen, die weltweit gebraucht werden.
Sagen Sie nicht, Sie hätten es nicht gewußt! Seit Jahr und Tag haben wir Sie gemahnt, die binnenwirtschaftliche Entwicklung nicht zu vernachlässigen. Die knapp 2,4 Millionen registrierten Arbeitssuchenden nach fünf Jahren sogenannten Aufschwungs gehen deshalb zum großen Teil auf das Konto Ihrer kurzatmigen und kurzsichtigen Politik.

(Beifall bei der SPD)




Dreßler
Diese Regierung hat die beschäftigungspolitischen Chancen der vergangenen Jahre nicht genutzt. Vor lauter Freude darüber, regieren zu können, haben Sie die Chancen nicht einmal erkannt. Nun das Dilemma vor Augen, stellt sich jetzt der Finanzminister hin und verlangt von den Gewerkschaften höhere Lohnabschlüsse.

(Kolb [CDU/CSU]: Mehr direkte, weniger indirekte!)

Zur gleichen Zeit plant sein Kabinettskollege Blüm, den krankenversicherten Arbeitnehmern rund 8 Milliarden DM zusätzlich abzuknöpfen. Mit seiner sogenannten Steuerreform schaufelt der Finanzminister Milliarden in hohe Einkommensgruppen, die schon heute 20 % und mehr sparen.

(Kolb [CDU/CSU]: Dem Herrn Steinkühler und ähnlichen! — Rossmanith [CDU/CSU]: Eine bösartige Darstellung!)

Städten und Ländern wird die Möglichkeit genommen, Nachfrage zu entfalten. All das sollen die Gewerkschaften ausgleichen? Um den durch Ihre beschäftigungs- und konjunkturschädliche Politik hervorgerufenen Kaufkraftausfall auszugleichen, müßten die Gewerkschaften alle zwei Monate Lohnerhöhungen durchsetzen.
Aber die Aufforderung an die Gewerkschaften hat noch einen anderen üblen Beigeschmack, meine Damen und Herren. Die einzige gesellschaftliche Gruppe, die in den vergangenen fünf Jahren wirksam etwas für zusätzliche Arbeitsplätze getan hat, wollen Sie nämlich — das steckt dahinter — von dem Weg der Arbeitszeitverkürzung abbringen; das ist das eigentliche Ziel.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kolb [CDU/CSU]: Weil sie nichts bringt!)

Deshalb erinnern wir Sie daran: Ohne Arbeitszeitverkürzung müßten Sie noch einige hunderttausend Arbeitslose mehr verwalten, Herr Blüm.
Erklären Sie bitte Ihren Kabinettskollegen, daß jeder zusätzliche oder durch Arbeitszeitverkürzung erhaltene Arbeitsplatz

(Kolb [CDU/CSU]: Mehr Schwarzarbeit schafft!)

auch Nachfrage entfaltet und steigende Steuereinnahmen bedeutet.
Meine Damen und Herren von der Regierungsbank, ich bitte Sie eindringlich: Halten Sie sich aus der Tarifpolitik heraus. Das von Ihnen in Bonn angerichtete Chaos reicht völlig; bringen Sie nicht auch noch die Tarifpolitik durcheinander.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie schaffen doch die Arbeitslosen!)

Chaos! — „Chaos", das ist das Stichwort. Und jetzt kommen wir zum Bundesarbeitsminister und seinem Etat.

(Egert [SPD]: Der Chaos-Minister!)

„Chaos", meine Damen und Herren, heißt übersetzt: wildes, wüstes Durcheinander.

(Kolb [CDU/CSU]: Da sind Sie Meister!)

Das beschreibt nicht nur den Zustand der Koalition und der CDU/CSU im besonderen, nein, das beschreibt auch unsere Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

(Strube [CDU/CSU]: Damit können Sie keinen Blumenpott gewinnen!)

Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind auch in diesem Haushalt des Bundesarbeitsministers ein weißer Fleck, wie in dem Haushalt und der Politik insgesamt. Sie bringen es fertig, bei noch weiter steigender Massenarbeitslosigkeit die Maßnahmen zur Fortbildung und Umschulung einzuschränken und frech weiter von einer „Qualifizierungsoffensive" zu sprechen. Das ist die Methode „Tarnen und Täuschen", und zwar ihre Fortsetzung.
Die Bundesanstalt für Arbeit läuft mit wachsendem Tempo in ein milliardenschweres Defizit hinein. Mit versicherungsfremden Leistungen wird die Bundesanstalt für Arbeit belastet, weil Herr Stoltenberg mal wieder irgendwo ein Loch zu stopfen hat.

(Strube [CDU/CSU]: Kein Zuschuß notwendig!)

Wie wollen Sie das eigentlich lösen? Wieder einmal an die Leistungen für Arbeitslose herangehen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie, „wieder einmal" ? Wir haben sie doch gerade erhöht!)

Oder wollen Sie die Beiträge 1988 erhöhen?

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Unseren Entschließungsantrag — hören Sie genau zu, Sie müssen auch aufpassen, was in diesem Plenum passiert — , daß es weder Beitragssatzsteigerungen zur Arbeitslosenversicherung noch Leistungseinschränkungen für Arbeitslose geben darf, haben Sie vor 14 Tagen in diesem Plenum abgelehnt. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Ich nicht!)

Krankenversicherung ist das nächste Stichwort. Norbert Blüm will ganz allein die Krankenversicherung sanieren. Mutig stellt er sich mit seinem Schwert vor Beitragszahler, vor Kranke, vor Ärzteverbände und Pharmaindustrie. Und dann holt er aus,

(Egert [SPD]:... und enthauptet die Versicherung!)

stößt seinen Kriegsschrei aus und läßt sein Schwert herniedersausen. Und wen hat er getroffen? Die Beitragszahler, die Kranken und die Behinderten, wie immer.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir fordern die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP mit Nachdruck auf: Beteiligen Sie sich an der Arbeit der Enquete-Kommission zur Krankenversicherungsreform. Helfen Sie mit, damit sie zu guten und tragfähigen Ergebnissen kommt. Lassen Sie uns versuchen, gemeinsam zu Werke gehen und zu einer wirklichen Reform zu kommen, z. B. zu mehr Vorbeugung im Gesundheitswesen und zur Brechung der Selbstbedienungsmentali-



Dreßler
tät der Anbieter im Gesundheitswesen. Das sind die Stichworte für eine wirkliche Reform.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Aber was erleben wir? Unter dem geschmacklosen Titel „Solidarität neu bestimmen" wollen CDU/CSU und FDP bei den Versicherten Millardenbeträge abkassieren, 2,6 Milliarden DM beim Zahnersatz, 700 Millionen DM bei Arzneimitteln, 600 Millionen DM bei Brillen und Kontaktlinsen,

(Kolb [CDU/CSU]: Haben Sie eine Kassenbrille?)

400 Millionen DM bei Kuren, fast 700 Millionen bei Heil- und Hilfsmitteln, 800 Millionen DM bei Fahrtkosten usw. Und da sitzen die Herren von der Union und lachen noch darüber. Sie sollten sich schämen.

(Pfui-Rufe bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Unglaublich! — Zurufe von der CDU/CSU)

In der Rentenversicherung ist das nicht anders.

(Kolb [CDU/CSU]: Das ist doch Täuschung!)

Wer den Generationenvertrag retten will, muß die Rentenversicherung für das nächste Jahrzehnt auf sichere Füße stellen.

(Strube [CDU/CSU]: Machen Sie mal einen Finanzierungsvorschlag!)

Das schafft keine Partei alleine.

(Günther [CDU/CSU]: Kein Vorschlag zur Krankenversicherung!)

— Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Etliche Gutachten bestätigen das.

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Wo sind sie denn?)

— Da fragen Sie, wo die Vorschläge auf dem Tisch liegen?

(Egert [SPD]: Die können nicht lesen!)

1984/85 ein Gesetzentwurf, drei Sitzungen des Bundestages, und die Herren von der Union fragen, wo denn etwas wäre.

(Egert [SPD]: Die haben nicht aufgepaßt, schlafen, schlafen!)

Sie müssen schlicht und ergreifend die Drucksachen zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ CSU)

Wir wiederholen unser Angebot: Wir sind zur Zusammenarbeit bereit. Die Voraussetzungen müssen jedoch stimmen: beitragsbezogene Rente, höherer Bundeszuschuß, volle Beiträge der Bundesanstalt für die Arbeitslosen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das ist Ihr Rezept?)

— Sie wissen doch selbst, daß kein Weg an diesen Elementen vorbeiführt.
Aber machen Sie bitte Ihrem Finanzminister klar, wie das ist, und zwar möglichst, bevor er das Geld weiter für obskure Steuerpläne verpulvert hat.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sozialhilfe muß wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zurückgeführt werden. Das hilft auch den Städten und Gemeinden; denn es kann nicht angehen, daß die Kommunen ausbluten, weil Renten- und Arbeitslosenversicherung nicht ordentlich ausgestattet sind.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Damit sind wir beim Stichwort „soziale Grundsicherung" . Ich gebe gerne zu, daß das von uns entworfene Konzept ca. 4 Milliarden DM kostet, von denen die Koalition behauptet, daß wir sie nicht haben.

(Kolb [CDU/CSU]: Zusätzlich!)

Herr Kolb, solange Sie so tun, als könnten wir es uns leisten, jedem 15 000 DM im Jahr hinterherzuwerfen, der 300 000 DM im Jahr verdient, so lange nehme ich Ihnen das Argument, wir hätten kein Geld, nicht ab.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

15 000 DM Steuererleichterung, das ist mehr, als Tausende von Rentnerinnen im Jahr zum Leben zur Verfügung haben. 4 Milliarden DM für wirklich Arme, das wäre tausendmal bessere Sozialpolitik als die Entlastung von Spitzeneinkommen um Tausende von D-Mark.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir bleiben dabei: Wir sind jederzeit bereit, unsere Konzepte in eine aufgaben- und problemorientierte Diskussion einzubringen. Aber konzeptionsloses Herumgewurschtel werden wir immer und immer wieder entlarven.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es reicht nicht aus, Zukunft auf die Wahlplakate zu schreiben. Sie müssen die Voraussetzungen für eine gute und bessere Zukunft für möglichst viele Menschen schaffen.

(Strube [CDU/CSU]: Das tun wir!) Ich halte Ihnen vor:

Erstens. Sie erkennen und nutzen die Chancen unseres Landes und unserer Volkswirtschaft nicht.
Zweitens. Sie haben keine tragfähige Vorstellung davon, wie unsere Systeme der sozialen Sicherung gestaltet werden müssen.
Drittens. Mit den Auswirkungen Ihrer Politik machen Sie den Menschen in unserem Land das Leben schwerer, als es nötig wäre.
Von Herrn Blüm — ich wiederhole — stammt die Erkenntnis: Wenn die SPD recht hat, hat sie recht.

(Frau Limbach [CDU/CSU]: Ist aber selten der Fall! — Kolb [CDU/CSU]: Das ist fast nie der Fall!)




Dreßler
Ich füge hinzu: Wenn Franz Josef Strauß recht hat, hat er recht.

(Frau Limbach [CDU/CSU]: Das ist häufiger der Fall!)

— Sehr richtig, sehr richtig! Aber ich hoffe, Sie sind noch so begeistert, wenn Sie jetzt zu Ende gehört haben werden.

(Heiterkeit bei der SPD)

Denn der CSU-Vorsitzende hat sich unsere Kritik am Haushalt der Bundesregierung zu eigen gemacht. Strauß sagte:
Die Chance, politische Akzente zu setzen, wird versäumt. Phantasielosigkeit und Rotstiftmentalität verwischen die Konturen der Bundesregierung.
Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der SPD — Egert [SPD]: Beifall beim Abgeordneten Seehofer! — Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind Ihre Akzente?)

— Beifall bei der CSU, bitte. Aber wir registrieren verschämtes Schweigen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion lehnt aus diesen und vielen anderen Gründen den Haushalt des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ab.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie konnten nicht anders!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104301000
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

(Dr. Klejdzinski [SPD]: Jetzt kommt das Chaos! — Dr. Scheer [SPD]: Wir haben aber keinen Karneval!)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1104301100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Dreßler, was verstehen sie unter Chaos? Die Rentenversicherung zu stabilisieren, sie vor dem Zusammenbruch zu bewahren, die Bundesanstalt für Arbeit aus dem Defizit herauszuführen, Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht einzuführen, Beschäftigungszuwachs zu ermöglichen — ist das Chaos, oder ist das Ordnung?

(Reuschenbach [SPD]: Aber Sie tun das gar nicht!)

— Das hat diese Bundesregierung zustande gebracht:

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Stabilisierung der Rentenversicherung, Stabilisierung der Bundesanstalt für Arbeit. Was die Krankenversicherung anbelangt: Die größten Kostenexplosionen geschahen zwischen 1970 und 1975, 18 % pro Jahr. Jetzt bieten Sie sich als Sanierer an. Wer ein Abbruchunternehmen geführt hat, sollte hier im Deutschen Bundestag nicht als Dombaumeister antreten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Zum zehntenmal! — Andres [SPD]: Das ist inzwischen alt! Das haben wir schon einmal gehört! Neue Gags, Herr Minister!)

— Ich habe noch andere Bilder: Wer für den Deichbruch verantwortlich ist, sollte nicht als Schleusenwärter auftreten.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Zugabe!)

Wenn Sie wollen, ich habe noch ein paar andere Beispiele.
In der Tat: Wer das Sozialsystem an den Abgrund herangeführt hat, der eignet sich nicht als Fremdenführer in geordneten Zeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Andres [SPD]: Adam Riese fehlt noch!)

Meine Damen und Herren, ich will an den Anfang meiner Rede den Dank an den Haushaltsausschuß stellen, an seine Berichterstatter aus allen Fraktionen, weil ich weiß, daß den Beratungen detaillierte Verantwortung zugrunde liegt. Ich möchte sowohl den Regierungsfraktionen wie der Opposition meinen Dank für die solide Arbeit sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP — Andres [SPD]: Gilt das auch für HdA?)

— Ja, meine Damen und Herren, ich möchte heute zu ganz konkreten Vorhaben Stellung nehmen.

(Andres [SPD]: Gilt der Dank auch für HdA?)

Solidarität unterscheidet sich von der Nächstenliebe eigentlich nur dadurch, daß sie organisiert und institutionalisiert werden muß. Ihr erstes Erfahrungsfeld ist die Familie; sie ist die Schule der Solidarität. Damit steht Familienpolitik im Zentrum unserer Sozialpolitik, und selbst die organisierte Sozialpolitik darf sich nie ihrer familiären Herkunft entfremden, wenn sie nicht kalt und anonym werden soll. Je weniger Familie, um so mehr Bürokratie, Organisation und Prof essionalisierung.
Quelle der Solidarität — das meine ich ganz im materiellen Sinne — und ihr erstes Bewährungsfeld — das meine ich auch im ideellen Verständnis — ist die Arbeit. Deshalb teile ich die Ansicht: Arbeitslosigkeit ist die größte Gefahr für den Sozialstaat. Sie ist Ausschluß aus der Solidarität, sie vermindert die Einnahmen, vermehrt die Ausgaben. Auch deshalb — nicht nur deshalb — bleibt der Kampf gegen Arbeitslosigkeit die große Aufgabe der Sozialpolitik.
Ich möchte allerdings heute weder über Familiennoch über Arbeitsmarktpolitik, sondern von der Solidarität in der Krankenversicherung sprechen, und zwar auch aus gegebenem Anlaß der heutigen Diskussionsrunde. Deshalb brauchen wir solidarische Absicherung: Krank kann jeder werden, und wer krank ist — das bleibt der Grundsatz auch der Reform — soll geheilt werden, ob reich, ob arm, ob jung, ob alt, das darf keine Rolle spielen. Die Solidarität gehört den Kranken ohne Rücksicht auf ihren Geldbeutel. Das bleibt Grundsatz auch unserer Reform. Deshalb darf und soll die Reform nicht eine Zitterpartie der Angst werden.
Die Krankenversicherung kann allerdings das übermenschliche Versprechen nicht einlösen, daß sie alles kann und alles heilt. Sie ist nicht die große Mutter, die allen Menschen alle Schwierigkeiten nimmt. Das kann sie nicht, das will sie nicht, und das darf sie sogar



Bundesminister Dr. Blüm
nicht. Mit Geld und Medizin läßt sich nicht alles machen. Die Zuversicht, Krankheit, Schmerz und Tod könnten aus der Gesellschaft gänzlich eliminiert werden, ist eine technokratische Hybris. Sie mündet zuletzt in die Verdrängung des Todes, und der letzte Augenblick des Lebens wird dann in die Hinterzimmer des Krankenhauses verdrängt.
36,5 % der Amerikaner fühlen sich gesundheitlich sehr gut, aber nur 14,8 To der Bundesbürger sagen dies von sich. Mit dem Krankenversicherungssystem kann das nichts zu tun haben; denn mit Sicherheit ist unser Krankenversicherungssystem ausgebauter und besser als das amerikanische.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das liegt am Arbeitsminister!)

Die Krankenversicherung will auch nicht den Anspruch erheben, alles lösen zu können. Auch die gute Mutter — die Solidarität ist die Mutter der Krankenversicherung — muß ihre Kinder zur Selbständigkeit erziehen. Eine Sozialversicherung, die den Menschen alle Probleme abnimmt, entpuppt sich als ein neues Gehäuse der Hörigkeit. Solidarität bleibt ergänzungsbedürftig. Ihre Schwester ist die Eigenverantwortung.
Sicherheit ohne Freiheit wäre die Sicherheit des zoologischen Gartens, wo es hinter Gitterstäben wohlversorgte Insassen gibt. Freiheit ohne Sicherheit, das wäre die Freiheit des Naturreichs, in dem bekanntlich das große Tier das kleine Tier frißt. Nein, wir wollen Eigenverantwortung und Solidarität, Freiheit und Sicherheit. Es ist die große Aufgabe der Sozialpolitik, diese beiden bedeutenden Prinzipien in Balance zu bringen.
Die Krankenversicherung kann auch nicht alle Probleme lösen; denn sie kann nicht alle Risiken auf sich nehmen, weil sonst dem Sozialstaat das Geld ausgeht.
Für Gesundheit, meine Damen und Herren, geben die Bundesbürger so viel aus wie der Haushalt ausmacht, den wir heute beschließen: rund 250 Milliarden DM, die Hälfte davon allein über die gesetzliche Krankenversicherung. Was jeder für seine Gesundheit anlegt, ist seine Sache. Kein Politiker von uns hat das Recht, den Menschen das vorzuschreiben. Wir müssen uns aber der Frage stellen, was mit Pflichtbeiträgen bezahlt werden muß, was mit Zwangsabgaben organisiert werden muß. Der Verantwortung müssen Sie sich alle stellen. Mit wachsendem Wohlstand steigen die Bereitschaft und die Möglichkeit, mehr Geld für Gesundheit auszugeben. Aber die gesetzliche Krankenversicherung kann dieser Entwicklung nicht einfach folgen oder sie sogar noch überholen; ihre Steigerungsraten können jedenfalls so nicht fortgeführt werden. 1960 gab die Krankenversicherung 9 Milliarden DM aus, zehn Jahre später 24 Milliarden DM, noch einmal zehn Jahre später 86 Milliarden DM. Inzwischen sind wir bei 125 Milliarden DM angekommen. Herr Dreßler, ich verstehe Sie nicht: Wenn wir sparen wollen, wieso kassieren wir dann ab? Wir wollen den Arbeitnehmern wieder Geld ins Portemonnaie bringen, sonst raubt uns die Krankenversicherung den Lohn. Wenn das so weitergeht — da muß ich nicht mathematisch begabt sein — , wird das Sozialprodukt von der Krankenversicherung aufgefressen. Dann können wir das System auf Krankenschein umstellen; das ist doch ganz einfach.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Während die Löhne seit 1960 um das Fünffache stiegen, wuchsen die Ausgaben der Krankenversicherung um das 14fache. Es ist also nur eine Frage der Hochrechnung, wann das Ende erreicht ist. Wir stehen nicht vor der Wahl: verändern, ja oder nein; wir stehen nur vor der Wahl: verändern oder verenden. Das ist die eigentliche Wahl, vor der wir stehen, und dieser Herausforderung müssen wir gerecht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Die Solidareinrichtung Krankenversicherung
würde bei unveränderter Kostensteigerung auch in einen Krieg mit den Arbeitslosen geraten; denn die hohen Lohnnebenkosten nehmen den Unternehmen das Geld, das sie brauchen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist doch ein Alarmsignal, wenn ausgerechnet in Papenburg, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, auch die höchsten Krankenkassenbeiträge gezahlt werden: Die AOK ist hier bei 16 % angekommen. Wer hier die Hände in den Schoß legt, läßt die Arbeitslosen im Stich.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Ich will auch auf die Notwendigkeit der Krankenversicherungreform im Zusammenhang mit der Steuerreform hinweisen. Die Beitragssteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung dieses und nächsten Jahres werden den Beitragszahlern 22 Milliarden DM — nur durch Beitragssteigerung! — mehr aus der Tasche holen — ich wiederhole: 22 Milliarden DM! Das ist fast so viel wie der gesamte Nettoeffekt der Steuerreform. Würden wir keine Krankenversicherungsreform durchführen, würden wir uns um den Erfolg der Steuerreform bringen. Wir können doch nicht mit der einen Hand entlasten und mit der anderen Hand wieder einnehmen. Das wäre nichts anderes als der große Illusionistentrick, und der ist nicht Erkennungszeichen unserer Politik.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Die Krankenversicherungsreform — das weiß ich — ist ein heißes Eisen, so daß sich alle, die es anfassen, die Finger verbrennen können. Deshalb wird das heiße Eisen seit Jahren auch nicht angepackt. Dieses heiße Eisen hat aber die Eigenschaft, daß es nicht kälter, sondern heißer wird, so heiß, daß es selbst mit der Zange nicht angepackt werden kann.
Durch Abwarten wird die Krankenversicherungsreform nicht leichter. Wenn alles gutgeht und wenn wir trotz voraussehbarer Demonstrationen und Proteste den Mut behalten, sie durchzuführen, werden wir wahrscheinlich 14 Milliarden DM sparen. Das ist so viel, wie die Beitragssatzsteigerungen seit drei Jahren ausmachen. Hätten wir vor drei Jahren haltgemacht, brauchten wir jetzt die 14 Milliarden DM nicht zu sparen. Wer jetzt nicht spart, wird in drei Jahren nicht



Bundesminister Dr. Blüm
14 Milliarden DM sparen müssen, der wird in drei Jahren 30 Milliarden DM sparen müssen. Deshalb: Jetzt oder nie, Schmerz oder Kollaps, das sind die Alternativen, vor denen das Krankenversicherungssystem steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ohne die Fähigkeiten eines Hellsehers beanspruchen zu wollen kann ich den Verlauf der Diskussion schon voraussagen. Die einen werden schreien: Ausbeutung der Versicherten, und die anderen werden rufen: Ruin der Anbieter. Es wird niemand eingestehen, daß es nur um seinen Egoismus geht, der beschädigt wird. Alle werden große Worte gebrauchen, um dahinter ihre kleinlichen Interessen zu verstecken.
Die Diskussion um die Krankenversicherungsreform leidet nicht an einem Mangel von Vorschlägen. So gut wie alles, was denkbar ist, ist auch schon gesagt worden. Meist sind es allerdings Vorschläge, was andere machen sollten. Der Vorschlag, was die eigene Gruppe tun sollte, hat Seltenheitswert. Wir haben in der Bundesrepublik, in Bonn, keinen Mangel an Lobbyismus; wir leiden unter einem Defizit an Gemeinwohlverpflichtung — darunter leidet die Republik.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

— Ich mache das gleich dingfest: Ein in Bonn ortsbekannter Lobbyist hat gestern schon den Sozialismusverdacht gegenüber unseren Vorschlägen verkündet. Mit solchen Söldnern werden die Ärzte ihre Reputation nicht bewahren. Jene Ärzte, viele, viele Zehntausende, die Tag und Nacht bereit sind, am Bett von Kranken zu stehen, mit letztem Einsatz am Operationstisch zu stehen, sollten sich von solchen Funktionären trennen, die nur kleinliche Gruppeninteressen im Kopf haben.
Gott sei Dank gibt es ja auch noch eine Reihe von Ärzten, die wissen, was sie dem Gemeinwohl schuldig sind. Ich nenne Professor Häußler, den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Er mag sich mit der Gewißheit trösten, daß Verantwortung dem Ärztestand mehr hilft als kleinlicher Lobbyismus und deshalb langfristig doch richtig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der dem Kranken zugewandte Arzt, der Partner der kranken Menschen, das bleibt die Leitfigur unserer Krankenversicherungsreform. Dieses Vertrauensverhältnis muß erhalten bleiben. Da darf kein Staat reglementierend eingreifen. Wir sind dazu nur fähig, wenn dieses freiheitliche System finanzierungsfähig bleibt. Wer seine Finanzierungsfähigkeit aus Gruppen- und Gehaltsinteressen beschädigt, beschädigt das freie System unseres Gesundheitswesens.
Auch die Pharmaindustrie muß die Kirche im Dorf lassen. Die Preise in der Bundesrepublik Deutschland liegen mehr als 50 T. über dem EG-Durchschnitt. Die überdurchschnittlichen Preise können nicht mit dem Aufwand für Forschung begründet werden. 25,1 der Kosten für Arzneimittel entfallen auf Werbung, Vertrieb und wissenschaftliche Information, das sind 5 Milliarden DM. Für Forschung werden 3 Milliarden DM ausgegeben. Unter wissenschaftlicher Information werden auch jene Veranstaltungen abgebucht, in denen Freizeit in der großen weiten Welt mit einem Randprogramm von Vorträgen garniert wird. Auf einen Pharmaberater kommen fünf Ärzte. Jede Berufsgruppe, jeder Wissenschaftssektor kann in der Marktwirtschaft machen, was er will, sofern er dafür Absatz findet. Er kann aber nicht verlangen, daß mit Pflichtbeiträgen bezahlt wird, was seinen Einkommenserwartungen entspricht. Das kann er auch in der Marktwirtschaft nicht verlangen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)

Deshalb: Unsere Reform richtet sich nicht nur an die Anbieter, sondern auch an die Versicherten. Wir sind in Gefahr, die Gesundheit den Pillen und Tröpfchen zu überlassen. Das ist die Einübung in eine Mentalität, bei der alles von außen gesteuert wird, durch andere gelöst wird, gelöst werden soll, und niemand mehr für sich selber verantwortlich ist. So werden die Pharmaka geradezu zu einem Symbol einer fremdgesteuerten Gesellschaft, die ihr Wohlergehen mit dem Verlust von Freiheit und Selbstverantwortung erkauft.
921 Kilo Medikamente wurden in einem der fünf Bonner katholischen Dekanate zugunsten Polens gesammelt. Ihr Gesamtwert betrug eine halbe Million DM. Eine halbe Million DM für nicht notwendige Arzneimittel; denn wären sie notwendig gewesen, wären sie ja nicht abgegeben worden. Eine halbe Million DM, die von den Beitragszahlern bezahlt wird. Niemand soll sagen, wir seien unterversorgt. Wir sind mit Arzneimitteln überversorgt!

(Hoss [GRÜNE]: Tun Sie doch etwas gegen die Vielzahl der Arzneimittel!)

Deshalb: Wir müssen sparen. Diese halbe Million DM fehlt uns im Kampf gegen Rheuma, gegen AIDS, gegen Krebs, gegen die großen Volkskrankheiten. Wir sparen doch nicht, weil es uns Spaß macht zu sparen. Wir sparen, um das Geld für das Notwendige zu haben. Unser Gesundheitssystem hat noch viele Notwendigkeiten.

(Hoss [GRÜNE]: Tun Sie doch etwas gegen die Pharmaindustrie!)

Nicht jeder Anspruch ist schon deshalb geheiligt — das muß man auch den Versicherten sagen — , weil er angemeldet wird. Es gibt Auswüchse. Es gibt die Vorstellung, dieses Gesundheitssystem sei eine Kuh, die im Himmel gefüttert wird und auf Erden gemolken werden kann. Beim Petitionsausschuß liegt die Beschwerde eines Mitbürgers vor, der dagegen protestiert, daß ihm die 41. Kur in 17 Jahren verweigert wurde. Wir müssen doch verweigern, nicht aus Hartnäckigkeit, sondern um den tatsächlich Kranken zu helfen.

(Hoss [GRÜNE]: Haben Sie keine anderen Beispiele?)

— Das sind Beispiele aus einem überwucherten System.

(Kolb [CDU/CSU]: Der wollte das goldene Jubiläum!)

Wir müssen Mißbräuche verhüten. Die gibt es überall. Die gibt es bei den Versicherten, die gibt es auch bei den Ärzten. Beispielsweise hat das Landgericht in



Bundesminister Dr. Blüm
Bochum über einen Fall befunden, in dem einem Versicherten innerhalb von vier Monaten 1 400 Kamillebäder verschrieben wurden. Das wären zehn Kamillebäder pro Tag.
Sie sehen: Mut gehört dazu, um das Geld zusammenzubringen — ich wiederhole es — , um den in Not Befindlichen, den Kranken mit allen Mitteln zu helfen. Unser System aber finanziert sowohl Luxus als auch Bagatellen, die nicht von der Solidarität aufgefangen werden müssen.
Die Krankenversicherungsreform wird zur Mutprobe. Sind demokratische Mehrheiten fähig — das frage ich alle — , Umstellungen zu ermöglichen, die mit dem Verlust lieb gewordener Gewohnheiten verbunden sind? Wenn diese Frage verneint würde, wäre die Demokratie unfähig, Epochenende zu begleiten, wäre die Demokratie nur zur Fortsetzung fähig, wäre die Demokratie unfähig, Wende herbeizuführen. Wende geht nur, wenn wir den Mut haben, auch gegen liebgewonnene Gewohnheiten ein neues Kapitel aufzuschlagen. Und das neue Kapitel muß in der Krankenversicherung aufgeschlagen werden, wenn sie nicht zusammenbrechen soll.
Nicht alles, was uns Meinungsbefragungsinstitute raten, ist richtig, und nicht alles, was unpopulär ist, ist falsch. Es könnte sein, daß ein vordergründiger Popularitätsbegriff das Geschrei der Funktionäre mit dem Reifegrad einer Gesellschaft verwechselt.
Die Krankenversicherungsreform wird zum Test der Gemeinwohlfähigkeit der Gesellschaft. Die Nagelprobe werden wir diesmal niemand ersparen können, die Nagelprobe, ob er über Gruppeninteressen hinausdenken kann: Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Arzneimittelhersteller, Heilberufe, Länder, Krankenhäuser, Versicherte — alle.

(Kolb [CDU/CSU]: Selbstverwaltungen!)

Da befürchtet die „Frankfurter Allgemeine", daß Produktionskapazitäten der Pharmaindustrie ins Ausland verlagert werden, wenn unsere Reform gelingen sollte. Wie wäre es denn, wenn die von der Pharmaindustrie bezahlten Ärztezeitungen zuvor dafür sorgten, daß die von eben dieser Pharmaindustrie bezahlten Freizeitaktivitäten vom Roten Meer in den Schwarzwald zurückverlagert werden? Das wäre doch ein erster Beitrag, Arbeitsplätze wieder ins Inland zu holen.
Damit Sie nicht meinen, ich rede hier von irgendwelchen Phantomen, möchte ich einmal so eine Einladung vorlesen:
Ich möchte Sie heute zu einer Pressereise besonderer Prägung einladen. Vom 17. bis 23. Februar 1985 werden wir drei außergewöhliche Pressekonferenzen erleben. Die erste Pressekonferenz werden wir an Bord der Boeing 747 zum Thema „Rheuma" realisieren. Das Hotel „Oriental" in Bangkok erwartet uns zur ersten Übernachtung.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Nach der ersten Übernachtung geht es weiter
nach Shiengmai in das berühmte Goldene Dreieck. Eine zweite Pressekonferenz wird sich mit
der Frage beschäftigen: „Rheumaaustreibung — der richtige Weg der Rheumabehandlung?

(Kolb [CDU/CSU]: Mit Heroin?)

Oder ist die Behandlung mit NSAR zeitgemäßer?" Eine dritte Pressekonferenz ist vor dem Rückflug geplant. Als wissenschaftliche Begleiter sind dabei Prof. Buhn (Erlangen), Dr. Krisch (Karlsruhe), Prof. Schattenkirchen (München). Im Hinblick auf die Planung dieser Reise erlaube ich mir, Sie in den nächsten Tagen anzurufen. Es wäre schön, wenn ich mit Ihnen gemeinsam diese Reise erleben könnte.
Nein, hier versteckt sich niemand hinter dem Gemeinwohl, wenn es nur darum geht, sein Geschäft zu machen. Diese Krankenversicherungsreform wird zur Nagelprobe für alle, ob sie solidaritätsfähig sind. Mit schönen Worten und schönen Kommentaren kann man den Norbert Blüm nicht beeindrucken. Da wird zur Sache gesprochen. Wir sind beim § 116 Arbeitsförderungsgesetz nicht vor dem DGB in die Knie gegangen, und wir werden bei der Krankenversicherungsreform nicht vor den Anbietern und vor keinem Geschrei in die Knie gehen. Das verspreche ich Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104301200
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1104301300
Bitte.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104301400
Herr Abgeordneter Hoss, bitte sehr.

Willi Hoss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104301500
Herr Minister, sind Sie sich darüber im klaren, daß das Beispiel, das Sie gebracht haben, nichts mit einem AOK-Mitglied zu tun hat, sondern daß in dieser Boeing die oberen Schichten dieser Gesellschaft sitzen werden; und was hat das mit der Gesundheitsproblematik zu tun?

(Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1104301600
Sie sehen, Ihr Vorurteil ist so stabil, daß Sie glauben, ich beschäftige mich nur mit Versicherten. Nein; ich habe mich gerade mit den Mißbräuchen auf der Anbieterseite beschäftigt. Diese Mißbräuche müssen wir abbauen, damit wir das Geld haben, um die Kranken zu heilen. Darum geht es. Die Kranken müssen geheilt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104301700
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1104301800
Wenn es denn sein muß: Bitte.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104301900
Bitte, Herr Abgeordneter Kirschner.

Klaus Kirschner (SPD):
Rede ID: ID1104302000
Herr Minister, nachdem Sie uns das so schön vorgelesen haben, frage ich: Ist davon auszugehen, daß in einem entsprechenden Gesetz,



Kirschner
das Sie ja angekündigt haben, ein Preisverhandlungsrecht der Kassen in bezug auf die Pharmapreise berücksichtigt wird?

Dr. Norbert Blüm (CDU):
Rede ID: ID1104302100
Ich bleibe dabei, daß wir auf dem Pharmasektor überhaupt erst einmal einen Markt herstellen müssen. Da haben wir heute folgende Arbeitsteilung: Der Arzt verschreibt, die Apotheke gibt es aus, der Patient erhält es und die Krankenkasse bezahlt es.

(Kolb [CDU/CSU]: Und der Patient nimmt es nicht mal!)

Daß das nicht kostensparend ist, weiß jeder.
Wir wollen Solidarität in der Tat mit Wettbewerb verbinden, das Notwendige durch Solidarität abdekken, um dem Wettbewerb oberhalb des Notwendigen freien Spielraum zu lassen. Ich bin sicher, das Angebot wird sich in der Nähe des Notwendigen sehr viel stärker konzentrieren. Sparen, um zu Gestalten — das ist die Fähigkeit zur Prioritätensetzung. Insofern besteht die Kunst des Möglichen im Mut, auf Überflüssiges zu verzichten, damit das Notwendige bezahlt werden kann. Und es gibt keinen Zweifel, daß es in unserem System große Flächen der Überversorgung, aber auch ganze Landstriche der Unterversorgung gibt. Wir bauen die Überversorgung ab, um überhaupt Spielräume zu bekommen, Unterversorgung zu beseitigen. Sparen ist hier also nicht Selbstzweck, sondern es geht um Geben und Nehmen, darum, das Überflüssige zu nehmen, um das Notwendige geben zu können.
Ich warne davor, Selbstbeteiligung zum Patentrezept zu erklären. In Zeiten wachsenden Wohlstands rechnen die Versicherten nicht nur mit dem, was sie zuzahlen müssen, sondern in ihr Kalkül geht auch ein, was sie trotz Selbstbeteiligung von der Krankenversicherung erhalten können. Bei einem Zahnersatz von 10 000 DM bezahlt die Kasse — trotz 40 %iger Selbstbeteiligung — mehr als bei einem Zahnersatz von 5 000 DM. Die Mentalität „Wie kann ich die Solidargemeinschaft melken?" wird durch keine Selbstbeteiligung gebremst. Unsere Vorschläge zielen auf das Notwendige ohne Selbstbeteiligung ab; aber oberhalb des Notwendigen greift die volle Zuzahlung.
Die Zeiten haben sich geändert. Solidarität vor 100 Jahren — das war das Brot in nackter Not. Sie war die Selbsthilfe der Unterdrückten, die Abwehr der Ausbeutung. Aber die Ausnutzung geschieht heute, 100 Jahre später, nicht nur von außen, sondern die Ausbeuter haben sich auch in die Solidargemeinschaft eingeschlichen.

(Kolb [CDU/CSU]: Jeder beteiligt sich!)

Ausbeutung geschieht also nicht nur von oben, sondern auch von der Seite. Und ich bin gegen Ausbeutung und gegen Ausnutzung, in welcher Gestalt und von welcher Seite sie auch immer geschehen. Die treuen, braven Arbeiter, die Malocher, schleppen sich jeden Tag zur Arbeit und bezahlen treu und brav ihren Beitrag. Die Cleveren nehmen es weniger genau. Deshalb müssen die einfachen, so nenne ich sie einmal, Solidaritätsmalocher gegen die cleveren Ausnutzer und Aussteiger besser geschützt werden.

(Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

Auch das ist eine Solidaritätsaufgabe, die sich früher so nicht stellte. Und wer treu und brav seinen Beitrag zahlt, sollte gegenüber dem, der es weniger genau nimmt, auch einen Vorteil haben.
Und so wollen wir erkunden, wie Eigenverantwortung auch prämiert werden kann. Anstelle von Gesetzen und Paragraphen wollen wir mit Geld der Solidareinsicht Bahn brechen und die Chancen auch von Rückvergütungen erkunden. Wir wollen neue Wege beschreiten, um die Solidarität auch in die Mentalität der Menschen zu bringen, damit sie erkennen, daß das, was ausgegeben wird, i h r Geld und nicht irgendwelches fremde Geld ist. Das Kunststück heißt, die Solidarität in die Herzen der Menschen hineinzunehmen und nicht zu einer anonymen und fremden Institution verkommen zu lassen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Aber Sie machen doch eine Politik, die gerade das verhindert!)

Deshalb werden wir auch der Vorsorge einen größeren Spielraum einräumen. Eigenverantwortung für die Gesundheit ist auch ein Stück Verantwortung. Gesundheit nicht als fremde Gabe, sondern als Verantwortung! Und wer diese Verantwortung übernimmt, entlastet ja auch die Solidarität und sollte dafür deshalb auch Anerkennung erhalten.
Ich sehe ein großes, weites Feld in der Pflege. Viele Generationen haben am Ausbau unseres Sozialstaats gearbeitet. Ein Gebäude von imponierendem Aussehen und Ausmaß ist entstanden. Aber während viele Zimmer wohlausgestattet sind, stehen andere leer. Zu den leerstehenden Räumen unseres Sozialstaats zählt die Pflege.
Mit zunehmender Lebensdauer — Gott sei Dank —, mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Bedarf zu. Wir haben — das ist ein Eingeständnis — bis heute keine befriedigênde Antwort gegeben. Während wir einerseits zu viel Geld ausgeben, haben wir andererseits an dieser Stelle zu wenig. Das Zuviel muß zurückgenommen werden, damit das Zuwenig aufgefüllt werden kann.
Wir wollen einen ersten Schritt tun und besonders jene unterstützen, die zu Hause Schwer- und Schwerstpflegebedürftige versorgen. Sie sollen nicht alleingelassen werden. Wir können ihnen nicht alle Last abnehmen und wollen es auch gar nicht, aber sie sollen nicht alleingelassen werden, sie sollen unterstützt werden. Wer rund um die Uhr einen Pflegebedürftigen ihn Obhut nimmt, ist häufig an seine Aufgabe gefesselt. Wir wollen ihm helfen, damit er sich zu seiner Unterstützung wenigstens zeitweise eine Pflegekraft nehmen kann oder auch einmal Urlaub machen kann und dadurch entlastet wird. Das ist eine Sozialpolitik ohne jede Dogmatik, ohne jede Ideologie. Ich habe dafür gar nicht viele Prinzipien; es genügt, ein bißchen mit Herz zu denken und den Menschen zu helfen, die anderen Menschen helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn es gibt in unserer Gesellschaft trotz hohem Wohlstand immer noch Not und Armut.

(Reimann [SPD]: Wieder mehr!)




Bundesminister Dr. Blüm
Die wollen wir beseitigen. Wir sind bereit, den Protest jener hinzunehmen, die nicht sparen wollen, damit wir jenen helfen können, die nicht sparen können, sondern unsere Hilfe brauchen.
Die Sozialpolitik muß sich die Empfindlichkeit für Not bewahren und muß den Mut haben, das Notwendige unter Verzicht auf das Überflüssige durchzusetzen.

(Hoss [GRÜNE]: Genau das geschieht nicht!)

Die beste Sozialpolitik ist nicht die, die alles beim alten läßt. Ich wünsche uns gemeinsam den Mut zur Krankenversicherungsreform.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104302200
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.

(Kolb [CDU/CSU]: Nomen est Omen!)


Gertrud Unruh (GRÜNE):
Rede ID: ID1104302300
Herr Präsident! Werte Volksvertreter und -innen! Den Präsidenten abzulösen ist ja nicht schlimm, nicht wahr? Das hat doch etwas mit Demokratieverständnis zu tun. Werden Sie also bitte nicht unruhig.
Ich finde das, was der Herr Minister so nett sagt, ja gut: Diese alte Sozialpolitik hat sich nicht bewährt, also müssen wir irgend etwas Neues machen. Da stimme ich ihm doch voll zu! Wenn er das auch noch mit Herz und Verstand machen will, ist es ja noch toller.
Nur, er entdeckt zwar sein Herz, mißbraucht aber seinen Verstand. Er bringt nämlich genau die Menschen, die ausgebeutet worden sind und die nach wie vor ausgebeutet werden, nicht in seinen Verstand hinein, um letztlich in der Sozialpolitik etwas anderes zu manifestieren.
Herr Dreßler, seien Sie so nett, bleiben Sie ruhig hier. Sie haben ja auch so ein tolles Grundsicherungsprogramm vorgelegt. Ich finde es großartig, daß die SPD im sozialen Umfeld auch fortschrittlich ist und weiter denkt. Nur, machen Sie einen Fehler bitte nicht; lassen Sie doch endlich einmal die Rentner und die Rentnerinnen aus dem Spiel. Ein Leben hin zur Rente ist doch ein ganz anderes Leben als das in der Rente, und deshalb bitte nicht eine Grundversorgung, angefangen beim 16jährigen bis hin zu über 60jährigen, alles über einen Schnitt geballert. So geht es ja nicht! Wir haben doch mitbekommen — auch der Kollege Hoss sagt es ja —, daß ein reiches Arbeitsleben, in dem über 40 Jahre lang für die Rente geklebt wird, für einen alten Menschen nicht dazu ausreicht, mit 1 400 oder 1 300 oder 1 200 Mark ein Leben in Würde unter uns führen zu können. Die Rentnerinnen, das sind doch nicht nur sieben Millionen. Lieber Herr Blüm, Sie sprechen von der guten Mutter. Sie sind ein schlechter Vater!

(Beifall bei den GRÜNEN — Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben nämlich nach wie vor nicht dafür gesorgt, daß diese guten Mütter bitte einmal etwas mehr als 60 % von der Rente vom lieben Vati bekommen. Zwei Drittel dieser Witwenrenten liegen doch unter
800 Mark. Was soll also die gute bewährte Mutter in ihrem Rentenalter eigentlich anfangen?

(Hoss [GRÜNE]: So ist es!)

Genau dieser guten bewährten alten Mutter nehmen Sie zum guten Schluß über Ihre Reform jetzt auch noch das Beerdigungsgeld weg. Man muß sich einmal folgendes vorstellen. Da häufen sich die Briefe auf meinem Schreibtisch: Um Gottes Willen, jetzt müssen wir von diesen 800 DM, die wir haben, auch noch einen extra Sterbegroschen zurücklegen, damit unsere Kinder nicht darüber besorgt sein müssen, ob wir nun erster, zweiter oder fünfter Klasse unter die Erde kommen. Das sind doch Dinge, an denen deutlich wird, daß Sie mit Ihrem Denkansatz falsch umkippen. Gut, ich weiß auch, daß Sie für über 60jährige eine Übergangslösung einführen wollen. Das habe ich gelesen. Nur: Sie züchten doch schon heute die Rentner und Rentnerinnen in großer Armut von morgen. Es gibt doch heute Einkommen in Höhe von 1 200 DM. Was sollen diese Menschen denn einmal für eine Rente kriegen? Also tun Sie doch nicht so, als wenn Sie nicht auf dieser Welt leben. Einmal reden Sie bei der Jungen Union groß von christlichen Werten. Vorhin haben Sie uns wieder weisgemacht, daß die Familie der größte Solidaritätsfaktor ist. Bitte schön! Wo ist denn die politische Wahrheit der Solidarität. Sie lassen Millionen von alten Menschen letztlich bis hin in die Hungerküchen fallen. Ist Ihnen das nicht alles bekannt?

(Kolb [CDU/CSU]: Haben Sie Kinder gehabt oder nicht? — Weitere Zurufe)

Fangen Sie einmal an — Herr Kolb, Sie insbesondere mit Ihrer wahnsinnigen Unternehmerdenkstrategie — umzudenken. Sie werden nie dahin kommen, wie ein 70 Jahre alter Herr, der mir schrieb: Ich bringe mich morgen um. Ich schäme mich zum Sozialamt zu gehen. Ich habe 45 Jahre gearbeitet und bekomme ganze 995 DM Rente.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das kann ja wohl nicht sein!)

— Das stimmt nicht? Dann gehen Sie doch einmal zu Ihrem großartigen Arbeitsminister!

(Zuruf von der CDU/CSU: Dann bringen Sie den Mann mal mit!)

Freunde, so geht es nicht! Ein neues Denken muß diese Altersarmut abschaffen. Wenn Sie jetzt nicht klatschen, dann weiß ich überhaupt nicht, warum es noch eine christliche Union gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Meine Redezeit ist zu Ende. Ich kann später einmal guten Gewissens von dieser Welt abtreten — das glauben Sie — , und ich werde mit der SPD und den GRÜNEN dafür kämpfen, daß es eine andere, eine bessere Alterssicherung gibt, als die, die wir jetzt haben. Fangen Sie bei den Beamten an, es zu ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104302400
Das Wort hat der Abgeordnete Egert.




Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1104302500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich könnte es mir einfach machen und nach dem Vortrag des Ministers darüber spekulieren und philosophieren, worüber alles nicht geredet worden ist, weil es reizvoll wäre, in den Mittelpunkt der Debatte wieder Themen zu holen, die mit seinem Vortrag nichts zu tun haben. Es hat mich verlockt, und ich habe einmal mehr bewundert, wie sehr er es versteht, meisterhaft Worte, bar jeden Inhalts, zusammenzudrechseln bzw. Sachverhalte darzustellen, die miteinander nichts zu tun haben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was wir dieser Regierung und speziell diesem Arbeitsminister nicht mehr erlauben werden, ist, daß die klassischen Werte der katholischen Soziallehre,

(Zuruf von der CDU/CSU: Davon verstehen Sie doch überhaupt nichts!)

der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, sinnentleert werden von einem Sprücheklopfer, der versucht, uns Zusammenhänge neu zu interpretieren, und der es nicht zuläßt, daß seine Taten an diesen Worten gemessen werden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Strube [CDU/CSU]: Was soll die künstliche Aufregung? — Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind doch nicht bei einem Parteitag der KPdSU! — Weitere Zurufe!)

— Ach, wissen Sie, einen so dummen Zwischenruf habe ich schon lange nicht mehr gehört.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Den haben Sie gar nicht ganz gehört! Den sollte man wiederholen!)

Wirklich, habe ich lange nicht mehr gehört.

(Zuruf von der SPD: Was hat er denn gesagt?)

— Der hat gesagt, wir seien hier nicht auf einem Parteitag der KPdSU.

(Lachen bei der SPD)

Nun sind da ja Fortschritte denkbar. Auf dieser Seite des Hauses sind sie aber schwer vorstellbar. Das ist das Problem.

(Strube [CDU/CSU]: Sagen Sie doch einmal etwas zur Sache! — Weitere Zurufe)

— Nun seien Sie doch nicht so ungeduldig, Herr Strube. Sie haben es verstanden, viele Worte zu machen und wenig zu sagen.
Jetzt möchte ich einmal etwas zu Ihrem Minister sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

— Sie versuchen doch, mich zu stören. Das wird Ihnen aber nicht gelingen.
Ihr Minister ist hierher gegangen und tat sich viel darauf zugute, daß er für eine wertebezogene Politik einsteht. Außerhalb dieses Hauses benutzt er die Tagungen der Jungen Union dazu, um uns dieses wieder ins Bewußtsein zu rufen. Weil er so verliebt ist in Sprüche, würde ich ihn ermahnen, vielleicht noch einmal bei den Sprüchen Salomon nachzulesen. Ich habe mich heute schon einmal zu Wort gemeldet. Da steht das hat etwas mit der Gesundheitspolitik, mit der Solidarität zu tun — :
Wer den Geringen bedrückt, schmäht dessen Schöpfer; ihn ehrt, wer Erbarmen hat mit den Bedürftigen.
Nun denke ich über das nach, was hier als Reform im Gesundheitswesen apostrophiert wurde, um wegzukommen von den lautstarken Worten.
Da geht Ihr Minister hin und spricht von Solidarität. Dabei vergißt er zu erwähnen, daß das, was wir aus den Hinterzimmern dieser Gespräche hören, so aussieht, daß die Mitgliedsbeiträge der versicherten Frauen und Männer in Höhe von 56 oder 57 Milliarden DM um 8 Milliarden DM — das sind rund 14,3 %
— steigen sollen. Das geht einseitig zu Lasten jener Männer und Frauen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind. Belastet werden nicht alle ; nein, es geht um die Krankenversicherten.
Und dies soll Solidarität sein? Dies soll das Solidarprinzip sein? — Nein, dies ist genau ein Verstoß gegen das Solidarprinzip.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Nun hat Norbert Blüm hier gesagt: Ich bin der furchtlose Ritter ohne Tadel, und genauso, wie ich unbarmherzig mit den Versicherteninteressen umgehe im Interesse des Gesamten, wende ich mich gegen die Leistungserbringer. Nun steht in den Beschlüssen als Überlegung eine Summe von 3,5 Milliarden DM. Das ist schon wesentlich weniger als die 8 Milliarden DM, die die Versicherten aufbringen sollen. 3,5 Milliarden DM sind schon disproportional, wenn man sich ansieht, daß auf der Ausgabenseite gut 100 Milliarden DM zur Disposition stehen. Das wäre schon eine Verwerfung.
Nun hat uns Herr Cronenberg heute freundlicherweise einen Blick in die Hinterzimmer tun lassen. Er hat gesagt, wie er es denn mit dem Solidarbeitrag der Pharmaindustrie halten will. Der ist in dem Papier mit 1,7 Milliarden DM beziffert. Wenn wir diese Summe von den 3,5 Milliarden DM abziehen, bleiben 1,8 Milliarden DM übrig.
Dann steht in dem Papier ein Betrag von 1 Milliarde DM, der aus dem Bereich der Krankenhäuser kommen soll. In allen Vorschlägen steht keine taugliche Regelung, die eine Einsparung von 1 Milliarde DM im Krankenhaus gárantiert. Wenn ich diese Milliarde abziehe, bleiben 800 Millionen DM übrig. 800 Millionen DM bei den Leistungserbringern stehen also 8 Milliarden DM bei den Versicherten gegenüber.

(V o r sitz : Vizepräsident Stücklen)

Das ist Solidarität à la Blüm, und dies muß das deutsche Volk wissen! Da werden wir uns nicht mit dem routinierten Protest der Verbände begnügen. Wir werden dem routinierten Protest der Geschäftsführer den Protest der Versicherten gegenüberstellen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Schrei doch nicht so, du hast doch ein Mikrofon!)




Egert
Es sollen ja 93 % der Menschen in unserem Land sein, die davon betroffen sind. Wir werden sie diesen Maßnahmen entgegensetzen!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104302600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?

Jürgen Egert (SPD):
Rede ID: ID1104302700
Nein. Ich habe leider ganz wenig Zeit, lieber Julius, und ich bin noch nicht fertig mit deinem Minister, der hier die Unverfrorenheit besessen hat, uns eine knappe halbe Stunde mehr oder minder mit leeren Worten zu langweilen.

(Bohl [CDU/CSU]: Trinken Sie mal einen Schluck Wasser!)

— Wissen Sie, meine Kehle ist ganz feucht. Sie reicht allemal, um mit Ihnen fertigzuwerden, weil Ihre Zwischenrufe ganz und gar keine originellen Zwischenrufe sind.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist mit der Lautstärke Ihrer Rede dasselbe!)

— Sie dürfen noch sagen, was Sie wollen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Danke schön! — Gott sei Dank!)

weil Sie morgen für diese Maßnahmen Ihre Hände heben werden

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Heute schon!)

— heute nicht; für diese Maßnahmen morgen —, und Sie werden nicht wissen, was Sie tun.
Nun will ich Ihnen noch ein paar Erkenntnisse vermitteln, weil Sie dann vielleicht die Chance haben, die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs zu begreifen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Pumpen Sie mal, und dann geht es wieder los!)

Das Problem ist, ich bin zu lange in der Sozialpolitik tätig, als daß ich mir eine solche Ungeheuerlichkeit überhaupt noch hätte vorstellen können. Was passiert denn da alles? Da wird gesagt: 2,6 Milliarden DM sollen im Bereich des Zahnersatzes als Last auf die Versicherten überbürdet werden. Nun weiß ich nicht, wer schon das „Vergnügen" hatte, bei einer Zahnärztin oder einem Zahnarzt jetzt seine Eigenleistung zu erbringen. Der hat schon in hunderten Mark Eigenleistungen erbracht. Diese Umverteilung auf 50 % — die stehen ja auch hinter den 2,6 Milliarden DM — wird diese Last deutlich erhöhen.
Nun hat der Kollege Cronenberg gesagt, es muß dann eben so sein, daß die Zahnärzte das Geld bei ihren Kunden holen. Das heißt im Klartext: Es soll erneut in die Taschen der versicherten Männer und Frauen gegriffen werden, damit diese 2,6 Milliarden DM zusammenkommen. Ich halte das nicht für solidarisch, ich halte das für unsolidarisch. Ich halte das für eine Abkehr von dem Prinzip der Reichsversicherungsordnung. Da geht es um Wirtschaftlichkeit, um Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit. Die Krankenversicherung soll dieses notwendige Angebot — das ist Gehalt des Solidarprinzips — absichern, dieses Angebot ohne jede Mark Zuzahlung.
Da geht es nicht um Luxus — hier im Mund —, damit dieses Mißverständnis nicht entsteht. Der Gesetzgeber hat den Krankenkassen und den Zahnärzten vorgegeben, über Standards einer notwendigen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Zahnersatzversorgung nachzudenken.

(Kolb [CDU/CSU]: Nur, sie haben es nicht getan!)

— Entschuldigung, aber der entscheidende Punkt ist, daß die Versicherten das Unvermögen der Zahnärzte und der Kassen mit ihrem Portemonnaie jetzt ausbaden sollen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!) Das hat doch mit Solidarität nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich will noch ein anderes Beispiel nehmen. Wirtschaftlich, zweckmäßig und notwendig — da finden Sie uns an Ihrer Seite. Wir sind auch nicht der Meinung, daß hier — wie heißt es? — Überversorgung stattfinden soll. Aber wenn Hörgeräte je nach Hörschädigung bis zu 1 250 DM kosten, dann frage ich mich, wer die restlichen 450 DM wieder aufbringt. Der Geschädigte selber, sofern er nach Einkommen kann?

(Scharrenbroich [CDU/CSU]: Die Preise werden doch gesenkt!)

— Nein, die Preise werden nicht gesenkt werden. Sie werden sich wundern.
Wir werden erleben, daß Menschen mit ihren Schädigungen anders umgehen. Beim Zahn wird es den Mut zur Lücke geben, und bei der Hörschädigung wird es eben den Verzicht auf das Hörgerät geben.

(Kolb [CDU/CSU]: Herr Kollege, warum sind wir denn so krank?)

Und da sage ich: Das, was Sie tun, hat mit Solidarität nichts zu tun und mit christlicher Politik schon gar nichts.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Kolb [CDU/CSU]: Warum sind wir so krank, Herr Kollege?)

Ich will Ihnen noch etwas sagen. Schleichend und unbemerkt kommt ja dann noch die Vorstellung — für die wir Sozialdemokraten sind — , daß wegen der Lastenverteilung die Rentnerkrankenversicherung an die Beitragssatzentwicklung in der Krankenversicherung angepaßt werden soll. Nur, da das nicht mehr wie bei der Einführung pauschal von der Institution Bundesversicherungsanstalt finanziert werden wird, ist das ein Eingriff in die Rentnerportemonnaies. Das kommt also additiv, kumulativ als Wirkung hinzu. Bei der nächsten „Rentenerhöhung" werden wir diesen Betrag sozusagen als Abschlag, Frau Kollegin Unruh, mitzuberücksichtigen haben.
Das schafft auch unterschiedliche Situationen. Es ist doch nicht so, daß die SPD oder die Fraktion DIE GRÜNEN sagt, daß es jetzt allen Rentnerinnen und Rentnern in dieser Republik schlecht geht. Nein, wir machen auf den Tatbestand aufmerksam, daß einige von unsozialen Maßnahmen härter betroffen sind als an-



Egert
dere und daß das mit einer sozialen Politik und dem Anspruch, den der Herr Minister so gern vor sich her trägt, nichts zu tun hat.
Nun will ich eine nächste Bemerkung zu dem Katalog der vielen Maßnahmen machen, die uns da ins Haus stehen. Wirtschaftlich, zweckmäßig und notwendig. Brillengestelle: Nun gut, ich könnte mich ja hier hinstellen, aus irgendeiner alten Brille die Brillengläser herausnehmen und sagen: Künftig ist das das, was die gesetzliche Krankenversicherung sichert, Herr Minister. Auch da geht es nicht darum, daß wir jedes Brillengestell mit Diamanten verziert aus der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt haben wollen. Aber man muß eines zu Lasten der Solidargemeinschaft bekommen können, das tauglich und funktionsfähig ist, den Grad der Sehschädigung auszugleichen.
Nun will ich nicht nur über die gesundheitspolitischen Folgen sprechen, die das für die Betroffenen hat. Ihre Politik ist ja in sich auch deshalb unschlüssig, weil sie auch in den ökonomischen Folgen wildwüchsig ist; denn hinter diesen Leistungen, die beim Versicherten eine Einschränkung darstellen, stehen natürlich auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht zu der starken Klientel im Gesundheitswesen gehören, also nicht die Pharmaindustrie, nicht die Ärzte und die Zahnärzte, sondern auch Masseurinnen und Masseure, Krankengymnastinnen und Krankengymnasten. All die werden das mit ausbaden. Wir werden in Kurorten Arbeitsplatzeinbrüche haben. All das rechnet sich dann auch volkswirtschaftlich im Rahmen einer Sozialpolitik und muß bedacht werden, wenn man zu einer Strukturreform kommen will.
Wir wären bereit, Herr Minister, mit Ihnen den politischen Mut aufzubringen, zu einer wirksamen Strukturreform im Gesundheitswesen zu kommen. Nur, das würde bedeuten, daß wir in den Mittelpunkt unserer Überlegungen nicht die Versicherten als das letzte Glied in der Kette stellen, sondern daß wir in den Mittelpunkt unserer Überlegungen die Leistungserbringer im Gesundheitswesen stellen und mit deren Interessen dann auch so schnell umgehen, wie sie es bei den Versicherten schaffen. Denn die meisten offenen Fragen haben sie auf der anderen Seite. Dort haben Sie keine mehr. Dazu bieten wir uns jederzeit an, Herr Minister, und lassen uns auch an Mut von Ihnen nicht übertreffen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104302800
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1274? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Es liegt noch ein Änderungsantrag vor. Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1275 stimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Der Antrag auf
Drucksache 11/1275 ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Einzelplan 11. Wer dem Einzelplan 11 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?

(Frau Traupe [SPD]: Herr Präsident, haben wir nicht eine Mehrheit?)

— Das erstere war die Mehrheit. Dieser Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe Einzelplan 15 auf:
Einzelplan 15
Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
— Drucksachen 11/1065, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Waltemathe
Zywietz
Frau Rust
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1276 bis 11/1278 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für diesen Geschäftsbereich eine Beratung von zwei Stunden vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104302900
Herr Präsident! Jetzt sind wir beide schon wieder auf einem Bild. Ich hoffe, es ist nicht unehrenhaft für Sie.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104303000
Nein, keinesfalls. Wieso?

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104303100
Wir sind heute in einer Bonner Zeitung abgebildet.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104303200
Hoffentlich in ehrenvollen Positionen.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104303300
Jawohl. — Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit mit einem Volumen von über 19 Milliarden DM ist auf den ersten Blick ja kein geringfügiger.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auch auf den zweiten nicht!)

Der Hauptteil ist gesetzlich durch Kindergeld und Erziehungsgeld festgelegt. Für die Fülle der Aufgaben eines Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, das auch für den Zivildienst zuständig ist, sind die Gestaltungsmöglichkeiten in finanzieller Hinsicht nicht allzu üppig und manchmal unzulänglich.
Frau Ministerin Süssmuth ist nun seit zwei Jahren im Amt, und seit anderthalb Jahren ist sie auch Frauenministerin. Vor zwei Jahren, Frau Süssmuth, haben



Waltemathe
wir Ihnen Schonzeit eingeräumt, weil der damals vorgelegte Haushalt ja nicht von Ihnen zu vertreten war, sondern noch von Ihrem Vorgänger, dem Generalsekretär der CDU und Bundesminister Geißler.
Im vergangenen Jahr haben wir eingeräumt, daß wir mit dem Inhalt vieler Ihrer Reden und Stellungnahmen durchaus übereinstimmen könnten, wenn diese Inhalte auch in Taten umgesetzt würden. Jetzt haben wir festzustellen, daß doch der Lack an manchen Stellen absplittert und daß Reden und Taten eben nicht übereinstimmen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will aber mit einer positiven Feststellung beginnen. Wir haben Sie zwar zunächst drängen müssen, aber inzwischen haben Sie auch gegen Widerstände aus Ihren eigenen Reihen, aber mit unserer Zustimmung erreicht, daß die Mittel für ein AIDS-Bekämpfungsprogramm erheblich aufgestockt worden sind. Dies geschah erst im Verlauf des Jahres 1987. Da wir — ich sage das pauschal — mit den Inhalten und den Maßnahmen zur Forschung, Aufklärung und Betreuung in diesem Bereich übereinstimmen, haben wir keinerlei formale Bedenken erhoben — wir haben z. B. nicht verlangt, einen Nachtragshaushalt vorzulegen —; denn wir wollten, daß das Programm in Gang gesetzt wird. Politisch haben wir gewollt, daß Sie sich gegenüber bayerischen Vorstellungen der Ausgrenzung oder Einsperrung durchsetzen mögen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Na, na!)

Von diesem grundsätzlichen Ansatz werden wir auch künftig ausgehen und Sie in diesem Ausschnitt Ihrer Politik weiterhin unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Dabei gehen wir — da hoffe ich auf Ihre Zustimmung — davon aus, daß Erfahrungen aus der tatsächlichen Durchführung des Programms und Erkenntnisse, die die Enquete-Kommission des Bundestages gewinnt, in die Politik einfließen werden,

(Eimer [Fürth] [FDPJ: Hoffentlich gefallen Ihnen die Ergebnisse der Enquete-Kommission!)

daß das Bekämpfungsprogramm AIDS also weder in finanzieller noch in inhaltlicher Hinsicht starr gehandhabt wird.
Für die übrigen Felder der von Ihnen vertretenen Politik können wir solche positiven Feststellungen leider nicht treffen. Beginnen wir mit der Jugendpolitik. Viele junge Menschen stehen der Politik abseits gegenüber, sind skeptisch und von den gesellschaftlichen Verhältnissen enttäuscht, die sie in vielfacher Weise als ungerecht empfinden. Jugendliche fanden und finden immer dann Aufmerksamkeit, wenn sie protestieren, Häuser besetzen, Politiker unter Druck setzen. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß diese Politiker, die dann das Gespräch fordern, zur Tagesordnung übergehen, wenn sich die Proteste wieder beruhigen. Dafür mag das Schicksal des Abschlußberichts der Jugend-Enquete des Deutschen Bundestages als Beispiel dienen. Fast alle Empfehlungen, obwohl sie im Ausschuß einvernehmlich und einmütig getroffen wurden, sind in der Jugendpolitik bis heute unberücksichtigt geblieben.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht!)

— Das stimmt. Sie wissen auch, daß dies stimmt. Sie brauchen nicht das Gegenteil dazwischenzurufen. Sie werden ja noch das Wort haben und könnten dann das Gegenteil beweisen. Aber das ist nicht beweisbar. — Auch das Bemühen um tatsächliche Chancengleichheit zwischen Jungen und Mädchen bleibt auf der Strecke.
Ein zweites Beispiel: das Schicksal der überfälligen Reform des Jugendhilferechts. 1980 hat die sozialliberale Koalition eine Reform ausgearbeitet. Sie scheiterte an der CDU-Mehrheit im Bundesrat. Dann kam 1984 der nächste Versuch. Der scheiterte schon im Anfangsstadium kläglich. Jetzt lesen wir in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Kohl dieses Jahres, daß die Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes vorgenommen werden soll. Aber es ist eine absolute Kostenneutralität vorgegeben, und das bedeutet ebenfalls von vornherein, daß auch diese Reform schon beim Abstimmungsgespräch mit den Bundesländern auf der Strecke bleiben wird.
Drittes Beispiel. Es fehlen schon jetzt Millionen D-Mark im Bundesjugendplan, um die bisherigen Aufgaben zu erfüllen. Es kommt hinzu, daß im laufenden Haushalt, 1987, der ja ein unehrlicher Haushalt war, 6 % weggekürzt worden sind. Das wirkt sich so aus — da man Personal nicht zu 94 % bezahlen kann, wenn man es beschäftigt — , daß 15 % der Maßnahmen, die für Jugendliche durchgeführt werden sollten, entfallen sind. Auch 1988 wird durch die 3%ige Sperre der Bundesjugendplan, wie andere Haushaltstitel, auch getroffen. Nun wird noch erwartet, daß die Jugendverbände in einer solche Situation die Arbeitsmarktprobleme bzw. die damit im Zusammenhang stehenden Probleme lösen sollen. Das ist geradezu zynisch.
Es ist schon jetzt abzusehen — viertes Beispiel —, daß die Mittel für die Eingliederung junger Zuwanderer und Aussiedler, insbesondere aus den Ostblockländern, für deren Schul- und Berufsausbildung und sonstige Eingliederung so bemessen sein müßten, daß wohl etwa 70 000 junge Menschen im Jahre 1988 bedient werden können. Im jetzt laufenden Haushaltsjahr hat der viel zu geringe Ansatz für den sogenannten Garantiefonds — der soll ja etwas garantieren — auch nach Aufstockung um 10 Millionen DM und nach Aufhebung der Sperre in diesem Bereich von weiteren 7,5 Millionen DM bei weitem nicht ausgereicht, um Kinder von Übersiedlern in eine Förderklasse zu bringen.
Unsere Forderung bleibt, daß im Jahre 1988 eine rechtzeitige Betreuung mit Eingliederungsmaßnahmen nicht an fehlendem Geld scheitern darf.

(Beifall bei der SPD)

Ob die jetzt vorgesehenen und veranschlagten 156 Millionen DM — das sind 30 Millionen DM mehr, als im jetzt laufenden Jahr tatsächlich zur Verfügung gestanden haben — ausreichen werden, wird wahrscheinlich erst im Verlauf des Haushaltsjahres 1988



Waltemathe
geprüft werden können. Wir hätten von vornherein einen Ansatz von 170 Millionen DM in diesem Bereich für zutreffender gehalten.
Schließlich — ich will das einmal als fünftes Beispiel zu dem Bereich der Jugendpolitik, weil es auch um junge Menschen bzw. um junge Männer geht, hier hineinnehmen — zum Zivildienst: Es ist schon erstaunlich, daß einerseits öffentlich darüber gejubelt wird, daß 75 000 junge Männer zum Zivildienst herangezogen werden, weil genügend Plätze vorhanden sind und geschaffen worden sind, um sie tatsächlich rechtzeitig einzuziehen. Andererseits aber werden die Mittel für Einführungslehrgänge durch gleichbleibende oder gar gekürzte Ansätze nicht zur Verfügung stehen.
Über das Problem der Finanzierung von Beschäftigungsstellen wird der Bundestag und werden die zuständigen Ausschüsse sicherlich noch gesondert nach Vorlage des von mir angeforderten Berichts zu debattieren haben.
Zum zweiten Punkt, zur Familienpolitik: Frau Minister Süssmuth, Sie werden wahrscheinlich stolz darauf hinweisen, daß der Ansatz für das Erziehungsgeld noch über das hinausgeht, was ursprünglich dafür geplant gewesen ist. Sie werden Kritik am Rückgang der Kindergeldzahlungen sicherlich zurückweisen, weil ja schließlich weniger Kinder auch weniger Kindergeldzahlungen bedeuten. Ich sage aber, daß sich im Familienlastenausgleich die Mittel auf das erste Lebensjahr eines Kindes konzentrieren, und danach können die Familien dann im wesentlichen zusehen, wie sie mit ihren Problemen der Kindererziehung und der daraus erwachsenden materiellen Belastung des Familieneinkommens klarkommen. Der BAföG-Kahlschlag ist nur eines von vielen Beispielen.

(Rossmanith [CDU/CSU] : Jetzt hören Sie aber auf! Das ist doch zu billig!)

Es wird sicherlich noch während dieser Debatte darauf eingegangen.
Sie haben 1986 gesagt — ich zitiere — :
Mit ihrer neuen Familienpolitik will die Bundesregierung die Familie schützen, unterstützen, ihr einen Teil der finanziellen Belastungen abnehmen und so die Bedingungen für eine kinderfreundliche Gesellschaft schaffen.
In diesem Jahr liest es sich schon anders. Da haben Sie als Vorsitzende der CDU-Frauenvereinigung am 31. August in einer Presseerklärung Ihre Parteigliederungen aufgefordert, Initiativen zu ergreifen, um für die in Not geratenen Mütter und Väter zusätzliche und unbürokratisch handhabbare Hilfen zu schaffen. Dabei denken Sie, wie es in Ihrem Papier heißt, an Patenschaften, deren Hilfen auch darin bestehen können, Sach- oder Geldspenden zu leisten.
Sie räumen also selber ein, daß die für Propaganda geeigneten Phrasen des Bundeskanzlers, des Generalsekretärs der CDU und von Ihnen selbst, wonach keine Bundesregierung so viel zur Verbesserung der Familienpolitik beigetragen hat wie die Regierung Kohl, eigentlich reine Luftblasen sind.

(Beifall bei der SPD — Eimer [Fürth] [FDP]: Das glauben Sie selber nicht!)

Frau Ministerin, Sie sind gefordert. Wir haben vergeblich auf Ihren Protest gegen den Einkommensteuertarif 1988 gewartet, der einem Alleinstehenden mit einem Jahresbruttolohn von immerhin 60 000 DM etwa 116 DM monatlich mehr in der Lohntüte beläßt, während ein Ehepaar mit zwei Kindern und dem gleichen Bruttoeinkommen ganze 14 DM monatlich mehr zur Verfügung hat. Ich frage Sie: Wo bleibt Ihr Protest zu den Koalitionsvereinbarungen über die ungerechten Steuerpläne 1990, die offensichtlich völlig an der Situation von Familien mit Kindern und Alleinerziehenden vorbeigehen werden, wenn nicht Spitzeneinkommen verdient werden? Bezieher von Spitzeneinkommen werden auch 1990 gut berücksichtigt werden.
Wo bleiben angekündigte Erhöhungen des Kindergeldes ab dem zweiten Kind, die angekündigte Verlängerung des Erziehungsgeldes, eine Überprüfung der Streichung des Schüler-BAföG und andere Maßnahmen, die wirklich zur Verbesserung der Situation von Familien beitragen könnten?
Ein Blick in den Finanzplan des Bundes beweist, daß die Leistungen bis 1991 noch unter denen des jetzt laufenden Haushaltsjahres liegen werden.
Was besonders peinlich ist: Am 30. Juni dieses Jahres haben mehr als 100 000 Anspruchsberechtigte ihren Anspruch auf Kindergeldzuschlag verloren, weil sie entweder mangels entsprechender Aufklärung und Propaganda in diesem Bereich ihre Ansprüche gar nicht kannten

(Rossmanith [CDU/CSU]: Warum haben Sie nicht aufgeklärt?)

oder durch den Wirrwarr der Kindergeldgesetzgebung gar nicht durchfanden. Peinlich muß ja wohl auch sein, daß schon im Jahre 1986 etwa 280 000 Kinder bzw. deren Eltern gänzlich leer ausgingen, weil der Kindergeldzuschlag voll auf die Sozialhilfe angerechnet wird. Die hatten also überhaupt nichts von diesem Kindergeldzuschlag.
Frau Bundesministerin, wir fordern Sie in Übereinstimmung mit den verantwortlichen Familienpolitikern in allen Parteien und Verbänden auf, ihre Wende zu „gigantischem Bürokratismus", wie der Familienbund der Deutschen Katholiken das nennt, zu korrigieren,

(Beifall bei der SPD)

und zu einer ebenso einfachen wie sozial gerechten Kindergeldzahlung zurückzukehren, die ein erhöhtes einheitliches Kindergeld für alle zum Inhalt hat und mit dem gleichen Geld bezahlt werden kann, wie jetzt über Steuer und Kindergeldzuschlag zusammen aufgewandt werden muß.
Zum Bereich der Gesundheitspolitik nur wenige Worte: Wir vermissen sowohl Worte als auch Taten der Bundesgesundheitsministerin im Bereich der Strukturreform des Gesundheitswesens, über die gerade eben debattiert worden ist.

(Dreßler [SPD]: Das ist wohl wahr!)

Sie können sich nicht damit herausreden, daß Ihr Kollege Blüm die Zuständigkeit für die versicherungsrechtliche Seite der Angelegenheit hat. Im Bereich des Arzneimittelrechts und in anderen Bereichen des



Waltemathe
Gesundheitswesens haben Sie insgesamt wichtige Funktionen zu erfüllen.

(Dreßler [SPD]: Da könnte sie sich einmischen, wenn sie Mut hätte! Aber sie hat keinen Mut!)

Bekanntlich sind auch die Kosten für Arzneimittel, insbesondere wenn es davon viele mit gleicher Wirkung gibt, ein Faktor, der bei dieser Reform zu berücksichtigen ist. Eine Gesundheitsministerin wird sich also aktiv in eine dringend notwendige Reform einschalten müssen, die eben nicht darin bestehen kann, daß die Folgen einer Kostenexplosion, die andere verursachen, auf die Kranken und Versicherten abgeladen werden.
Es bleibt, Frau Ministerin Süssmuth, dabei: Wir betrachten Sie als eine integere Politikerin.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie ist gut!)

Wir begrüßen teilweise durchaus Positionen, die Sie ergreifen oder ergriffen haben.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist noch besser!)

Manchmal haben Sie ja auch mehr Widerstand aus den eigenen Reihen zu überwinden als aus der Opposition.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist ein Gerücht!)

Gleichwohl klafft zwischen Reden und Taten auf den meisten politischen Feldern, für die Sie Verantwortung tragen, eine große Lücke.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist bei der SPD so!)

So sehr ich mich für die Zusammenarbeit mit Ihnen und den Damen und Herren Ihres Hauses bedanke,

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Zeichen setzen!)

so wenig kann diese Dankbarkeit so weit gehen, die Zustimmung für eine falsche oder unzureichende Politik Ihres Hauses zu bewirken. Wir werden deshalb den Einzelplan 15 des Bundeshaushalts ablehnen.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Wie schade!) Danke schön.


(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104303400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rossmanith.

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1104303500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Schlußsatz — —

(Frau Traupe [SPD]: Das war doch der mit der KPdSU!)

— Ja, richtig, so, wie sich der Kollege Egert hier aufgeführt hat, war dieser Zwischenruf mehr als berechtigt. Aber vielleicht kann er doch, weil wir jetzt bei der Gesundheitspolitik sind, irgendwann einmal zu einer Kur kommen. Ich habe vier Kurorte in meinem Wahlkreis. Herr Egert, ich lade Sie sehr herzlich ein. Vielleicht können wir dann bei der nächsten Debatte etwas sachlicher debattieren und nicht in der Form, wie Sie es getan haben.
Was der Kollege Waltemathe eben von sich gegeben hat, vor allem der letzte Satz, ist mir völlig unverständlich.

(Egert [SPD]: Das kann ich verstehen!)

Ich habe gedacht, daß Sie zumindest als Schlußsatz sagen würden: Wir stimmen diesem Haushalt zu, und zwar uneingeschränkt;

(Waltemathe [SPD]: Das ist mir auch unverständlich!)

denn ich glaube, gerade dieser Haushaltsplan 1988 ist wie kaum einer der Haushalte davor, schon gar nicht der Haushalte vor 1982, von der Überzeugung getragen, daß sich nur eine Politik, die auch der Familie den entsprechenden Stellenwert in unserer Gesellschaft einräumt, nämlich den des wichtigsten Bausteins in unserer Gesellschaft, weitsichtig und verantwortungsbewußt nennen kann.

(Zuruf von der SPD: Da muß er selber grinsen!)

Es ist gerade eine große Leistung unserer Regierung unter Kanzler Helmut Kohl und von Ministerin Professor Rita Süssmuth, daß sie der Familienpolitik einmal wieder den Namen Familienpolitik und dann diesen hohen Stellenwert zurückgegeben hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was das bedeutet, kann man Zahl für Zahl im Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nachvollziehen. Allein das Kindergeld und das Erziehungsgeld — letzteres wird erstmals im kommenden Jahr zwölf Monate lang gezahlt — machen zusammengenommen über 16 Milliarden DM aus, also 87 % dieses Haushalts. Ich glaube, das ist eine Leistung, die man mehr als unterstreichen kann.
Natürlich will ich auch nicht verschweigen, daß mir die demographische Entwicklung, die sich in den sinkenden Schätzansätzen für das Kindergeld niederschlägt, große Sorgen bereitet. Ich glaube, daß wir deshalb im Rahmen unserer Möglichkeiten aufgerufen sind, weitere Maßnahmen zur finanziellen Absicherung der Familien zu überdenken und vorzubereiten. Wir sagen ja zur Familie; wir sagen ein uneingeschränktes Ja zu ihr. Dieses Ja zur Familie beinhaltet natürlich auch das Ja zum Kind.

(Jaunich [SPD]: Sonst ist es keine Familie!)

Hier will ich einmal nicht nur für uns in diesem Hohen Hause, sondern auch für jeden in unserem Lande draußen sagen: Das ist nicht nur ein Ja zu den eigenen Kindern, sondern auch ein Ja zu den Kindern der Nachbarn. Denn es ist mitunter das Beschämende, daß zwar die eigenen Kinder durchaus akzeptiert werden, aber schon die Nachbarkinder, wenn sie in ihrem Garten etwas lauter sind, als störend empfunden werden. Ich glaube, das sollte einmal ganz deutlich angesprochen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)




Rossmanith
Für mich und auch für die Union heißt dieses Ja zum Kind ein Ja zum Kind von Anfang an, von dem Zeitpunkt an, wo es von unserem Herrgott geschaffen wurde,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, vom Herrgott, ja, sicher!)

und nicht erst dann, wenn es sich bereits in der Wiege befindet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist mir an sich restlos unverständlich, wie Menschen, die sich mit Recht mit aller Entschiedenheit gegen gentechnische Manipulationen sperren, hier eine zutiefst inhumane Einstellung einnehmen können. Ich möchte auch sagen, daß eine Verantwortung für das werdende Kind nicht nur bei der Mutter liegt, sondern genauso natürlich auch beim Vater. Er trägt die gleiche Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP sowie der Abg. Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD])

Ich glaube, auf diese Verantwortung müssen wir immer wieder hinweisen.
Ich möchte mit allem Nachdruck in diesem Hause äußern, daß es für mich geradezu eine Schande ist, daß in einem Land, das sicherlich zu den reichsten auf dieser Erde gehört, jährlich über 200 000 Kinder nicht geboren werden können, weil angeblich soziale Notlagen vorherrschen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die Schande liegt bei Ihnen, in der Sozialpolitik!)

Ich verkenne nicht, daß natürlich auch soziale Notlagen vorhanden sind,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Eure Schande!)

aber nicht in dieser Größenordnung. Ich freue mich, daß ich hier Ihre Zustimmung finde. Ich bitte, daß Sie diese Zustimmung dann auch in dem Gesetz, das wir in erster Lesung schon beraten haben und in der kommenden Woche in zweiter und dritter Lesung beraten werden — Stiftung Mutter und Kind, Schutz des ungeborenen Lebens — , der Erhöhung der Mittel um 30 Millionen DM auf 110 Millionen DM geben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Unruh [GRÜNE]: Von der Sozialhilfe das Kindergeld abziehen! Warum schafft ihr das nicht ab?)

Ich möchte in diesem Zusammenhang meinen Appell an die SPD-geführten Bundesländer — den ich von dieser Stelle aus schon sehr oft ausgesprochen habe — erneuern. Ich darf hier die Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der SPD noch einmal auffordern, das Ihre dazu beizutragen, daß endlich auch in den Bundesländern, in denen sie Regierungsverantwortung tragen, eigene Landesstiftungen mit zusätzlichen Landesmitteln eingebracht werden, so wie es in Bayern, Baden-Württemberg und anderen unionsgeführten Bundesländern schon von Anfang an gang und gäbe ist.
Es ist sicherlich allein mit Finanzmitteln nicht getan. Ich will deshalb auch darauf hinweisen, daß es meines Erachtens notwendig ist, daß Bund und Länder endlich zu einer Neuorientierung auch in der Beratungspraxis bezüglich des § 218 finden.
Unser Menschenbild und unsere Auffassung von der besonderen Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie verpflichten uns gerade dazu, bewußt Raum zu schaffen, um den Familien die Gestaltung der eigenen Lebenswelt zu ermöglichen. Wir müssen uns meines Erachtens noch intensiver als bisher bemühen, den Rahmen dafür zu schaffen, daß eine Frau auch bei außerhäuslicher Erwerbstätigkeit die Entscheidung für das Kind und für die eigene Mutterrolle treffen kann. Mit der gleichen Deutlichkeit will ich aber sagen, daß wir auch den Rahmen dafür schaffen müssen, daß der Beruf der Hausfrau und der Mutter die gleich große und gleich hohe Wertschätzung in unserer Gesellschaft erfährt. Hier haben wir meines Erachtens noch einen deutlichen Nachholbedarf.
Lassen Sie mich sagen: Auch der Beruf der Mutter kann sicherlich ein Karriereberuf sein, und ich finde, wenn ich dabei an meine Mutter denke, ein sehr erstrebenswerter Karriereberuf.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Warum sind Sie dann nicht Vater geworden, Herr Rossmanith?)

— Verehrte Frau Kollegin, ich kann Sie beruhigen: Ich bin vierfacher Vater geworden,

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Ich meine, ausübend, nicht nur darstellend!)

und meine Frau und ich haben uns bei der Erziehung der Kinder sehr gut partnerschaftlich verhalten. Ich glaube nicht, daß Sie Wesentliches an der Erziehung unserer Kinder oder an unserer Familie aussetzen könnten.

(Zurufe von der SPD)

— Ihre Unruhe ist mir durchaus verständlich, weil gerade diese Politik, die sich wieder auf die Familie besinnt, konträr zu dem läuft, was Sie 13 Jahre lang beizubringen versucht haben, daß nicht mehr die Eltern als solche angesprochen waren, sondern daß sie Bezugspersonen waren, von denen die Kinder dann im Endeffekt befreit werden mußten, weil sie — was weiß ich auch immer — in der Erziehung wohl nicht das bringen konnten, wie Sie sich das in Ihrem sozialistischen Gedankengut vorstellen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104303600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich?

Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1104303700
Bitte schön, ohne Anrechnung.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1104303800
Herr Kollege Rossmanith, worauf führen Sie es wohl zurück, daß Ihre grandiosen familienpolitischen Erfolge in der Öffentlichkeit nicht honoriert werden?

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Die werden schon honoriert!)


Kurt J. Rossmanith (CSU):
Rede ID: ID1104303900
Hier — das muß ich sagen — habe ich eine völlig andere Vorstellung als Sie. Ich bin der Meinung, das wird sehr wohl honoriert. Vielleicht machen Sie nicht so viele Veranstaltungen,



Rossmanith
wie wir das tun, aber ich bin jedes Wochenende oder in jeder Wahlkreiswoche abends unterwegs. Ich führe sehr viele Gespräche auch mit Verbänden, mit Kirchen, auch mit Gewerkschaften, und ich habe letzthin eine große Diskussion mit der Deutschen Postgewerkschaft über ein völlig anderes Thema gehabt, und erstaunlicherweise haben wir dort, obwohl das Thema gar nicht vorgesehen war, sehr viel Lob für unsere Familienpolitik geerntet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich sehe durchaus, daß unsere Politik auch dazu dienen muß — —

(Abg. Jaunich [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Ich bitte um Nachsicht, daß wir keine Fragestunde haben und daß auch meine Zeit sehr begrenzt ist. Ich war für eine Frage sehr dankbar, aber vielleicht lassen Sie mich jetzt ein Stück weiterfahren.
Das materielle Opfer der Familien wollen und müssen wir in Grenzen halten — wir sind heute bei der Haushaltsdebatte — , soweit es eine solide Haushaltspolitik zuläßt. Gerade den Familien hilft es mit am meisten, wenn wir eine sparsame und vernünftige Haushaltspolitik gestalten, die die Zinsen sinken läßt, deren Auswirkungen die Handelsbilanz wieder positiv aussehen lassen, die die Wirtschaft wieder wachsen läßt und die vor allem die Inflationsrate nur noch gering oder fast überhaupt nicht mehr vorhanden sein läßt.
Gerade weil Sie so unruhig waren, will ich Ihnen auch etwas zur Steuerreform sagen. Sie haben einige Beispiele gebracht, Herr Waltemathe, die in dieser Form — ich kenne sie auch — überhaupt in keinster Weise zutreffen. Gerade die Steuerreform trägt ganz wesentlich dazu bei, die Familien zu entlasten, und zu einer aktiven Politik ist das ein ganz wesentlicher Beitrag.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jaunich [SPD]: Das stellt doch die Tatsachen auf den Kopf!)

Die Familie ist wie keine andere Institution in der Lage, mehrere Generationen zu einem wirklichen Miteinander zusammenzuführen. Hierzu gehört für mich natürlich auch, daß die Pflege kranker, älterer Menschen auch in der Familie durchgeführt wird. Die bisherigen Ansätze zur Stärkung dieser menschlichsten Variante der Krankenversorgung müssen meines Erachtens weiter ausgebaut werden. Herr Bundesminister Blüm hat gerade den Weg angesprochen, den wir hier beschreiten wollen und den wir sicherlich auch beschreiten müssen.
Gerade die Erfahrungen und das Wissen der Großeltern, zum Teil heute — ich muß sagen: erfreulicherweise — auch der Urgroßeltern, sind von unschätzbarer Bedeutung für die Entwicklung unserer Kinder. Gerade wer Kinder hat, wird wissen, daß es für diese Kinder ein großes Glück ist, wenn sie die Großmutter, den Großvater oder auch die Urgroßeltern um sich wissen; denn diese älteren Menschen sind ganz hervorragende Vermittler der Werte, denen sich — wie es der Bericht der Enquete-Kommission „Jugendprotest im demokratischen Staat" aufgezeigt hat — unsere jungen Menschen wieder verstärkt zuwenden.
Der Wunsch nach einer bescheideneren und verantwortungsbewußteren Lebensgestaltung ist Zeichen einer überaus begrüßenswerten Wiederentdeckung von Werten bei unseren jungen Menschen. Wir haben deshalb sicherzustellen, daß sie in ihrem Reifungsprozeß entsprechende Unterstützung erfahren. Deshalb haben wir die Mittel in der freien Jugendhilfe erhöht, über 3 Millionen DM. Wieso Sie das negieren können, Herr Waltemathe, ist mir völlig unverständlich. Auch das möchte ich hier einmal sagen. Bleiben Sie doch bitte auch in dem Punkt bei dem, was wir beschlossen haben, was wir auch gemeinsam getragen haben. Natürlich wollten Sie mehr; das muß ich Ihnen auch zugestehen. Trotzdem haben wir diesen Mittelansatz jetzt auf 134,6 Millionen DM allein im Bundesjugendplan angehoben.

(Hinsken [CDU/CSU]: Eine großartige Summe! — Zurufe von der SPD: Ihr habt doch in '87 real gekürzt! — Sie haben die Sperren stillschweigend in Streichungen übergehen lassen!)

Gerade in diesem Bereich ist nicht allein die materielle Ausstattung entscheidend. Vielmehr ist auch hier unsere Fähigkeit und unser Bemühen gefragt, den jungen Menschen Wertvorstellungen glaubwürdig zu vermitteln.
Ich möchte hier zu meinem Vorredner nur noch einen Satz sagen: Wer so wie er ein pauschales Vernichtungsurteil über die Politiker spricht, wird, glaube ich — hier spreche ich alle in diesem Hause an und alle verantwortlichen Politiker oder die, die in der politischen Arbeit tätig sind— , gerade das Gegenteil dessen erreichen, was wir wollen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Waltemathe, wenn Sie auch hier in diesem Hohen Hause, das manchmal auch etwas positiver darstellen könnten, auch wenn ich Verständnis dafür habe, daß Sie als Oppositionspolitiker die Arbeit, die wir hier als Regierungsfraktionen leisten, sicherlich mit Recht von Ihrer Sicht aus kritisieren und kritisch begleiten müssen.
Ich möchte deshalb als einen dieser Werte die Menschenrechte mit darstellen, die nicht nur Millionen Menschen in Teilen Afrikas, Mittel- und Südamerikas oder Asiens verwehrt werden, sondern natürlich auch unseren deutschen Landsleuten im Osten unseres dreigeteilten Vaterlandes und in vielen Staaten Ost-und Südosteuropas — wenn ich gerade jetzt an Rumänien denke. Wir sind natürlich dankbar, daß viele unserer Landsleute, die aus ihrer angestammten Heimat ausreisen wollen, heute die Ausreiseerlaubnis erhalten. Ich glaube aber, daß es eine wichtige politische Aufgabe von uns ist, daß wir diesen Menschen, die weiterhin in ihrer angestammten Heimat, z. B. in Schlesien, Pommern oder Ostpreußen leben wollen, ermöglichen und alles dazu beitragen, daß es ihnen von den dort Regierenden ermöglicht wird, weiterhin unter Einhaltung der Menschenrechte zu leben. Denn auch sie möchten in Frieden und Freiheit leben und ohne Angst vor Verfolgung oder Repressalien ihre deutsche Muttersprache und ihren Glauben leben und gebrauchen.



Rossmanith
Ich möchte hier auf die schreckliche Rede, auf die wirklich schreckliche Rede, die vorgestern abend der Abgeordnete Sielaff von der SPD hier gehalten hat, eingehen.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Es war für mich unglaublich, daß ein deutscher Politiker in einer derart sensiblen Phase, in einem solch sensiblen Punkt eine derartige Rede in diesem Hohen Hause überhaupt halten kann.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was hat er denn da gemacht? — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Was war denn da?)

— Sie waren anscheinend nicht im Plenum. Ich empfehle Ihnen, die Rede nachzulesen. Es werden sich wahrscheinlich selbst Ihnen die Haare zu Berge stellen.
Ich möchte zum Schluß noch ganz kurz zwei Punkte ansprechen. Erstens. Zivildienst. Wir haben ja fast 1,2 Milliarden DM für den Zivildienst an Ausgaben, Herr Waltemathe, trotz der von Ihnen jetzt so angegriffenen, ehrlichen Angleichung der Leistungen für die Zivildienstplätze. Für mich ist es nur eine Frage der Ehrlichkeit, nicht allein der Summe, daß alle Zivildienstplätze mit Ausnahme der für die Schwerstbehindertenbetreuung, die vor und nach der Novellierung des Gesetzes hier eingerichtet wurden, finanziell gleich bewertet werden. Das ist für mich nur eine Frage der Gerechtigkeit.

(Zuruf von der SPD: Darüber werden wir noch debattieren!)

Obwohl diese Verordnung neu erlassen wurde, sind seit Juli dieses Jahres 1 500 zusätzliche Zivildienstplätze zu den bisherigen über 70 000 hinzugekommen. Das zeigt doch nur, daß wir und das Ministerium eine richtige Entscheidung getroffen haben.
Zweitens noch ganz kurz zum Bundesgesundheitsamt. Wir alle wissen um die Probleme, die sich derzeit bei der Bearbeitungsdauer der Neuzulassung von Arzneimitteln ergeben. Wir haben ja eine deutliche Aufstockung des Personalbestandes für das neue Haushaltsjahr 1988 vorgenommen. Ich bin sicher, daß das ein Beitrag ist, aber nicht der einzige. Darüber hinaus ist es sicherlich erforderlich, daß die Organisation des Bundesgesundheitsamtes entsprechend dem Prüfungsbericht, den uns ja der Bundesrechnungshof gegeben hat, noch effizienter gestaltet werden muß. Diesen Prozeß — das möchte ich dem Präsidenten und allen Mitarbeitern des Bundesgesundheitsamtes sagen — werde ich und wird unsere Fraktion mit großem Nachdruck und großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Staatliche Gesundheitspolitik bedeutet für mich neben der Vorsorge für eine leistungsstarke medizinische Versorgung in der Hauptsache auch die Förderung aller Formen der Prävention. Hierzu gehört natürlich auch der beständige Appell an die Bürger, mit der eigenen Gesundheit verantwortungsvoll umzugehen. Gesunderhaltung ist vorrangig eine Aufgabe eines jeden einzelnen. Das gilt auch für die Krankheit AIDS. Wir haben ja für die Bekämpfung dieser Seuche allein im Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nahezu 132 Millionen DM vorgesehen. Weitere 10 Millionen
DM finden sich im Bundesministerium für Arbeit und Soziales wieder.
Ich möchte am Schluß meinen Dank aussprechen den Damen und Herren Mitberichterstattern Waltemathe, Zywietz und Rust, ebenso Ihnen, Frau Minister, Ihren Staatssekretären Anton Pfeifer und Werner Chory sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ihres Hauses und der nachgeordneten Behörden. Es war sicherlich keine leichte, aber ich muß doch sagen: eine gute Zusammenarbeit. Ich glaube, die Kompromisse, die wir gemeinsam gefunden haben, sind auch tragfähig, so daß man sagen kann: Diesem Haushaltsentwurf für den Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit kann nur die Zustimmung gegeben werden.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104304000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wilms-Kegel.

Heike Wilms-Kegel (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104304100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Millionen Menschen hören und sehen heute vormittag nach Bonn, weil kein anderes Thema so wie „Gesundheit" alle Bürgerinnen und Bürger anspricht. Sie wollen heute wissen, was der Regierung die Lebensqualität der Gesunden und Kranken wert ist. Die meisten Menschen haben zu Recht Angst vor den Wertvorstellungen der Regierung über Krankheit und Gesundheit.
Einerseits scheut sich die Regierung nicht vor der gnadenlosen Ausbeutung der arbeitenden Menschen. Ich erinnere nur an den Wahlslogan „Leistung muß sich wieder lohnen". Andererseits ist die Regierung immer weniger bereit, für die gesundheitlichen Schäden, die durch die Ausbeutung entstehen, aufzukommen. Viel schlimmer: Die, die krank geworden sind, sollen jetzt noch drastisch zur Kasse gebeten werden, damit sie wieder fit werden, um sich weiter ausbeuten zu lassen. Das ist ein Teufelskreis, dem sich nur der entziehen kann, der einer höheren sozialen Schicht angehört und über ein entsprechend hohes Einkommen verfügt; eine vom Staat total entwertete Solidargemeinschaft, die übrigens faktisch nie existiert hat.
Aber lassen Sie mich jetzt zu einzelnen Punkten des Einzelplans 15 kommen.
Da ist zunächst das für alle interessante Thema AIDS. Dafür werden jetzt über 130 Millionen DM ausgegeben. Schon vor Jahren hatten wir GRÜNEN Geld für AIDS-Forschung gefordert. Sie haben das damals abgelehnt; sonst wären wir in diesem Bereich jetzt mindestens zwei Jahre weiter. Leider hat sich nämlich auch in diesem Bereich die weit vorausschauende Sicht der GRÜNEN bewahrheitet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Von den im nächsten Jahr für AIDS vorgesehenen Geldern geht erst einmal eine riesige Summe in Personalkosten in Ämtern und im Ministerium. Über 50 Millionen DM werden an Werbeagenturen gegeben, damit weiter Broschüren, Anzeigen und Fernsehoder Kino-Spots gegen AIDS gemacht werden, alles natürlich völlig prüde, ohne Mut, die Dinge beim Namen zu nennen.



Frau Wilms-Kegel
Weiter wird also versucht, in moralisierender und schuldzuweisender Art Verwirrung über AIDS zu stiften. Auch in den Materialien zum Schulunterricht wird kein Kondom erwähnt, geschweige denn abgebildet oder seine Benutzung erklärt. Jugendlichen ohne Partner wird der Rat gegeben, treu zu sein. Wem denn?

(Rossmanith [CDU/CSU]: Unglaublich! — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht, was Sie erzählen! Bleiben Sie bei der Wahrheit!)

Das Geld, das in die Forschung gesteckt wird, läßt so wichtige Bereiche wie die Erforschung der Veränderung der Gesellschaft durch AIDS oder die Erforschung der seelischen und sozialen Faktoren, die den Ausbruch der AIDS-Erkrankung bei HIV-Infektion fördern, außer acht.
Es gibt aber, wie wir alle wissen, schon lange Einrichtungen, in denen, meist ehrenamtlich und engagiert, Menschen wichtige Arbeit in bezug auf Aufklärung über AIDS und zur Krankheitsbewältigung für die Betroffenen leisten. Ich meine die AIDS-Hilfen.
Die Deutsche AIDS-Hilfe erhält jedoch nur 7 Millionen Mark — so viel, wie ein Leopard-Panzer plus Mannschaft kostet — und muß also weiter als Bittstellerin umherlaufen, um das nötige Geld für ihre sinnvolle, weil zielgruppengerichtete, Arbeit zu erhalten.
Die Mittel für den Bundesjugendplan werden auch im kommenden Jahr — trotz leichter Aufstockung — nicht ausreichen, um den Jugendverbänden eine angemessene Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu ermöglichen.
Frau Ministerin, Sie raten der Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings — ich zitiere aus den Bremer Nachrichten — :
Jammern Sie nicht über die Jugendpolitik, sondern schauen Sie auf das, was gelungen ist!
Was Ihnen gelungen ist? Daß Sie die knappen Gelder der Jugendverbände auch noch erbarmungslos gestrichen haben, wenn die Jugendverbände sich nicht in Wohlverhalten der Regierung gegenüber geübt haben. Sind Sie darauf stolz?

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Auch das stimmt nicht!)

Mit knappen Mitteln und dem damit verbundenen Zwang zu Wohlverhalten schaffen Sie nur angepaßte Jugendliche. Wenn Sie das wollen und Kritik und eigenständige Entwicklungen der Jugendlichen unterdrücken wollen, dann haben Sie auch den Mut, dies offen zuzugeben!

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Die Jugendverbände sind anderer Meinung als Sie!)

Oder sorgen Sie dafür, daß im kommenden Jahr der Bundesjugendplan von jeder Mittelkürzung und Haushaltssperre ausgenommen wird!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Für Kinderpolitik gibt es gar kein Geld. Wir sehen da einen erheblichen Bedarf und fordern daher die Einrichtung und Förderung zentraler Institutionen, überregionaler Maßnahmen und Modellvorhaben auf dem Gebiet des Kinderschutzes, besonders des Schutzes von Mädchen vor sexuellem Mißbrauch. Gerade in diesem Bereich wäre es Aufgabe des Staates, Vorreiter für gute Kinderpolitik zu sein. Kinder haben keine Lobby, kein Geld und keine Möglichkeiten, sich selbst zu schützen. Politik für Kinder beschränkt sich nicht auf die Verteilung von Kindergeld.
Geld gibt es aber für die Stiftung „Mutter und Kind". Wie Sie wissen, lehnen wir diese Stiftung ab. Das Geld, das da ausgegeben wird,

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Ist gut angelegt!)

um Frauen mit ein paar Almosen zu ködern, ihr Kind zu bekommen, sollte besser eingesetzt werden, um Familienplanung und Beratungsstellen zur Lösung von Schwangerschaftskonflikten zu fördern.

(Beifall bei den GRÜNEN — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Bei diesem Punkt tritt Ihre Scheinheiligkeit zutage!)

Gerade in der Frauenpolitik gäbe es für eine Frauenministerin Aufgaben zuhauf. Aber Ihre MinisterKollegen haben bisher erfolgreich Ihre Kompetenzen verhindert und Sie zu einer Ministerin für angepaßte Jugend, heile Familie und Hausfrauen degradiert.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie kennen die Kompetenzen nicht!)

Zur Gesundheit komme ich jetzt. Nur 0,1 % seines Haushalts gibt das Ministerium — neben AIDS — für die Gesundheit in der Bundesrepublik aus. Allergien, Krebserkrankungen, Neurodermitis, Rheuma, Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems und chronische Krankheiten nehmen ständig zu. Hier erwarten wir und die betroffenen Menschen von der Gesundheitsministerin Engagement und finanzielle Mittel, um diese Krankheiten zu erforschen, um hier erfolgreiche Therapie, Linderung oder gar Heilung aufzuzeigen. Wann endlich wendet sich das Ministerium neben AIDS angemessen auch den großen Volkskrankheiten zu, unter denen Millionen Menschen leiden?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Bewältigung dieser Krankheiten muß staatliche Aufgabe sein und darf sich nicht auf Benefiz-Veranstaltungen, Spendenaufrufe und Schallplattenverkäufe beschränken.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist Heikes Märchenstunde! — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Wie immer!)

Aber daß die Politik des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit katastrophal ist, sage nicht nur ich als GRÜNEN-Abgeordnete. Der Kommentator der konservativen „Arztezeitung" kommt in seinem Leitartikel vom 17. Juli zu folgender Einschätzung:
Ein Parlamentarischer Staatssekretär, der zumindest das Gesundheitswesen abdeckt, ist nicht in
Sicht. Für den beamteten Staatssekretär Werner



Frau Wilms-Kegel
Chory ist es eine Sisyphusarbeit, den Laden zusammenzuhalten.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der macht das aber gut!)

Und für wichtige Abteilungsleiter — wie zum Beispiel Manfred Steinbach — ist es notwendig, daß die politische Marschrichtung vorgegeben wird. Das alles stimmt derzeit nicht. Die Auswirkungen sind fatal. Es hakt personell im Ministerium und in angeschlossenen Ämtern wie beim Bundesgesundheitsamt. Alle Gesetzgebungsvorhaben im Arzneimittelbereich sind betroffen, die Zulassungen beim BGA sind eine Katastrophe. Und in dieser Situation bekommt Ministerin Süssmuth neue Aufgaben im Frauenbereich. Wahrlich trübe Aussichten für das Gesundheitswesen.

(Dreßler [SPD]: Leider wahr!)

Über die Situation im Arzneimittelinstitut des Bundesgesundheitsamtes wollte ich mich vor einigen Wochen vor Ort erkundigen, um mich über den Zulassungsstau von Arzneimitteln und die Gefahr des zunehmenden Verbots von Naturheilmitteln zu informieren. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte: daß das Gesundheitsministerium mir — ungefragt! — einen Regierungsdirektor nachfliegen läßt — auf Kosten der Steuerzahler natürlich —,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Skandal! — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Auf wessen Kosten waren Sie denn da?)

um die Gespräche zu beaufsichtigen. Dies ist nicht nur eine Beleidigung für eine demokratisch gewählte Abgeordnete, sondern zeigt auch, an welch kurzem Zügel das angeblich unabhängige Bundesgesundheitsamt läuft.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Tun Sie bloß nicht so, als wenn Sie alles aus der Ökokasse bezahlten!)

Ich muß hier jetzt kurz auf eine interessante Zweierkonstellation bei der Kompetenzverteilung zur Gesundheit eingehen. Die Gesundheitsministerin hat nämlich weder Geld noch Einfluß im Gesundheitsbereich — sie darf nur warnen und schöne Worte machen.

(Dreßler [SPD]: Leider auch wahr!)

Für die harten Fakten ist der Arbeitsminister zuständig. Was der unter Gesundheitspolitik versteht, sehen wir an der unter seiner Regie entstehenden Verschärfung des Zwei-Klassen-Systems im Gesundheitswesen, gegen die Frau Süssmuth als Gesundheitsministerin kein Veto einlegt.

(Dreßler [SPD]: Die denkt gar nicht daran!)

Die kommende Selbstbeteiligung wird Kranke für ihre Krankheit bestrafen. Wer gegen seine Sehschwäche eine Brille braucht, wer wegen seiner Behinderung einen Rollstuhl oder eine Prothese braucht, wer ein Heilmittel oder ein Medikament braucht, muß in Zukunft kräftig in die Tasche langen. Der Staat wird seinen Bürgerinnen und Bürgern künftig nur so viel Gesundheit ermöglichen, wie die einzelnen selbst bezahlen können, ganz nach dem Motto: „Wirst du krank — geh' erst zur Bank." Sehr treffend hat das Ergebnis Ihres Kostendämpfungsgesetzes Thomas Linke am 23. November 1987 in der „Welt" zusammengefaßt: Operation gelungen — Patient tot. Sie können das christliche Menschenbild, das Sie immer wieder propagieren, mit einer Kapital- und Machtkoalition zwischen Pharmaindustrie, Ärztelobby und den Regierungsparteien zu Lasten von kranken und alten Menschen offenbar vereinbaren.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist eine Unterstellung!)

Wir nicht, wie stehen an der Seite derer, die krank sind oder es noch werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei den ewigen Klagen, daß die Kranken das Gesundheitswesen so teuer — ja, es wird sogar behauptet: ganz unbezahlbar — machen, sind wir GRÜNEN der Meinung, daß das Gesundheitswesen sehr wohl bezahlbar ist,

(Zuruf von der CDU/CSU: Durch den Ökofonds!)

allerdings nicht in der Form, daß die Gewinne der Anbieterseite weiter explodieren und dies von den krankenversicherten Menschen bezahlt werden muß.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sicherlich glaubt hier keiner ernsthaft daran, daß ich meiner Gesundheit etwas Gutes tun kann durch morgendliches Joggen im sauren Regen oder entlang am neuen Autobahnzubringer,

(Zuruf von den GRÜNEN: Im Gegenteil!)

mit anschließendem kaltem Duschen mit formaldehydhaltigem Duschbad, mit dem Genuß eines radioaktiv hochbelasteten Brötchens zum Frühstück

(Rossmanith [CDU/CSU]: Sie sehen aber noch sehr gesund aus!)

und — nicht zu vergessen — mit dem sofortigen, braven Zähneputzen danach zur Karies- und Parodontoseprävention — mit texaponhaltiger Zahncreme, versteht sich.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sie müssen ja jeden Morgen überrascht sein, daß Sie noch leben! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Für Prävention im Gesundheitsbereich ist in diesem Haushalt — neben AIDS — kaum Geld vorhanden. In diesem wichtigen Bereich gibt's — wie immer — kein Geld oder Kompetenzabschiebungen.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen unsere Kritik genannt:

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Da haben Sie wider besseres Wissen gesprochen, Frau Wilms-Kegel!)

Einer Jugendpolitik mit Zwang zum Wohlverhalten, einer Frauenpolitik, die nur dem Namen nach existiert, einer Kinderpolitik, die allenfalls KindergeldPolitik ist, einer Gesundheitspolitik, die dem An-



Frau Wilms-Kegel
Spruch der Gesunderhaltung der Bürgerinnen und Bürger nicht dient, können wir GRÜNEN nicht zustimmen.
Deshalb fällt es uns leicht, diesen Haushalt abzulehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104304200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Zywietz.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104304300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte es im Rahmen einer Haushaltsdebatte weniger dramatisch als meine Vorrednerin angehen lassen und möchte versuchen, in der Kürze der Zeit zwei Dinge auszudrücken. Zum einen will ich einige wenige Kennzahlen zum Einzelplan 15 darlegen, um dann in zweiter Linie einige politische Anmerkungen zu einzelnen Themen zu machen.
Ich bin mir der Tatsache bewußt, daß es bislang auch in einer Haushaltsdebatte recht ungewöhnlich ist, sich zunächst einmal mit der Ist-Struktur, mit der Nüchternheit der Zahlen, zu beschäftigen. Schaut man sich den Einzelplan 15 an, stellt man fest, daß er sich auf eine Größenordnung von 19,1 Milliarden DM beläuft. 17,5 Milliarden, der ganz dicke Brocken, werden für Zuschüsse und Zuweisungen verausgabt, davon etwa 13,7 Milliarden für das Kindergeld und ca. 3 Milliarden für das Erziehungsgeld, also insgesamt, simpel addiert, 16,7 von ca. 17,5 Milliarden DM Zuschüssen in diesem Haushalt.

(Zuruf von der SPD: Da bleibt nicht mehr viel übrig!)

— Sie sagen es!
Als Differenz zwischen 19,1 Milliarden Gesamthaushalt und 17,5 Milliarden Zuschußverwendung insbesondere für die aufgezeigten zwei Hauptzwecke verbleiben rund 1,6 Milliarden DM. Diese 1,6 Milliarden werden, grob gesprochen, wie folgt verwendet: 1 Milliarde für den Personalaufwand, 0,2 Milliarden für den Sachbedarf, 0,2 Milliarden für Investitionen, und dann gibt es noch kleine Restgrößen.
Das ist die nüchterne grobe Zahlenstruktur des Einzelplans 15. Fragen wir uns nun, durch welche Organisationen diese Mittel verwendet werden. In die Mittelverwendung eingeschlossen sind logischerweise das Ministerium selbst und dann gewisse Bundesbehörden und Institute. Ich nenne die wesentlichen: Da ist einmal das Bundesgesundheitsamt, hier schon mehrfach erwähnt, dann die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information, das Paul-Ehrlich-Institut, das mit der Prüfung und Zulassung von Impfstoffen beschäftigt ist, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und das Bundesamt für Zivildienst.
Beziehen wir nun den Personalkörper in die Betrachtung ein. Er beläuft sich bei dem Ministerium und den genannten Behörden und Instituten auf ca. 3 100 Mitarbeiter, wobei etwa 550 auf das Ministerium selbst, 1 500 auf das Bundesgesundheitsamt und etwa 670 auf das Bundesamt für den Zivildienst entfallen, um die wichtigsten Größen zu nennen, mit denen man es bei diesem Einzelplan zu tun hat.
Von den Zahlen komme ich jetzt zu den politischen Anmerkungen, zur Gewichtung und Bewertung, wie sie hier teilweise auch schon von den Vorrednern aus den anderen Fraktionen angesprochen worden ist. Ich meine, diese nüchterne Zahlenstruktur macht unmißverständlich den Schwerpunkt deutlich, zu dem wir von der FDP uns auch eindeutig bekennen, nämlich den Familienlastenausgleich, der sich ja auf drei Bereiche abstützt, auf die Kindergeldleistungen in der genannten Größe von über 13 Milliarden, auf das Erziehungsgeld von 3 Milliarden, aber auch — was teilweise nicht erwähnt und, wenn erwähnt, mit einem negativen Unterton erwähnt worden ist — auf all das, was es an steuerlichen Entlastungen für die Familien gibt.
Diesen Bereich als eine dritte unterstützende Säule möchte ich jetzt doch einmal mit dem Rang darstellen, der ihm gebührt.
Unser Ziel ist es, die Familie als die kleinste Einheit der Gesellschaft zu stärken, und die steuerliche Entlastung der Familie hat für uns einen hohen Stellenwert. Wir wollen, daß die eigene finanzielle Leistungskraft, die in den Familien vorhanden ist, nicht durch den Zugriff des Staates geschwächt wird.
Wir stellen fest, daß sich die Gesamtleistungen für die Familien auf eine Größenordnung von 70 Milliarden DM belaufen. Ich sage in aller Nüchternheit: Das ist, in Zahlen, in Geld ausgedrückt, die größte Unterstützung, die den Familien bislang aus dem Bundesetat zuteil geworden ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen uns ja nicht nur um die Facetten, um das Dritt- und Viertrangige, kümmern, sondern auch um das, was wirklich in die meisten Familien, in die meisten Häuser Hilfe bringt, und zwar in der richtigen, am schnellsten und am besten verwertbaren Form. Das sind eben diese dargelegten Unterstützungen. Es ist also nicht ganz einfach — wenn ich zur linken Seite des Hauses hinüberschaue — , hier so nonchalant Kritik anzubringen, wenn man diese Zahlen für so bedeutsam hält, wie sie halt sind. Da hilft es auch nicht, über die Steuerreform zu negativ zu sprechen; denn sie bringt gerade Entlastungen für die normal verdienenden Haushalte. Es ist verkehrt, sich immer wieder allzu lange an dem Marginalpunkt der Spitzensteuerbelastung zu reiben und bei ihm aufzuhalten.
Wir wissen für die Zukunft aber auch, daß wir mehr tun müssen, als nur auf die gegebene Ist-Situation beklagenswerter Zustände einzugehen, sondern wir müssen neben dem Geld vor allem auch im Bereich der Bewußtseinsbildung aktiver sein, um die Leistung von alleinerziehenden Müttern nachhaltiger in das Bewußtsein unserer Gesamtgesellschaft zu bringen. Ich glaube, hier liegen noch Aufgaben, denen wir uns intensiver zu stellen haben.
In diesem Bereich gilt es, innovative Programme zu erstellen. Mit der Verlängerung des Erziehungsurlaubs auf 12 Monate haben wir die Erziehungsarbeit noch nicht in vollem Umfang gewürdigt. Wir wissen aber auch: Die finanzielle Machbarkeit ist entscheidend. Wir sind in der Pflicht, in den nächsten zwei Jahren keine Leistungsgesetze in Kraft zu setzen. Es



Zywietz
gilt auch in diesem Bereich, an der Konsolidierung des Haushalts mitzuwirken. Ich sage das sehr ruhig und sehr betont, weil ich weiß, daß es viel Wünschenswertes gibt, und zwar nicht nur in diesem Bereich. Aber es muß immer in Relation gebracht werden mit der finanziellen Machbarkeit und im Hinblick darauf geprüft werden.

(Zuruf von der SPD: Alles muß bezahlt werden!)

— Alles muß bezahlt werden. — Ich mache angesichts der Beträge in Höhe von 13 Milliarden DM oder 14 Millarden DM für Kindergeld und in Höhe von 3 Milliarden DM für die Erziehungsbeihilfe gar keinen Hehl aus meiner Einschätzung, daß ich in absehbarer Zeit keine Chancen dafür sehe, diesen Bereich nachhaltig auszudehnen.

(Waltemathe [SPD]: Aha!)

— Da hilft auch kein „Aha". Wohltat für die Familien, worüber wir sprechen, soll ja in klingender Münze erbracht werden.

(Zuruf von der SPD: Sie sprechen von Wohltaten!)

Bewußtseinsbildung hilft zwar auch mit, aber das meiste soll ja in Form von Geld erbracht werden. Dann muß man auch über die Finanzierung reden. Da lasse ich es auch nicht so einfach durchgehen, daß nur das Wünschbare angesprochen wird.

(Zurufe von der SPD)

— Auch das Stichwort des Weltraums hilft in diesem Zusammenhang nicht. Wir alle werden uns darauf zu verständigen haben, erst einmal die Wirtschaftskraft leistungsfähig zu halten und für Wachstum zu sorgen. Erst danach können wir uns darüber unterhalten, welche Anteile von diesem allgemein gewachsenen volkswirtschaftlichen Kuchen für welche Zwecke zu verwenden sind.

(Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Das ist doch ein dummer Zusammenhang, den Sie herstellen!)

Ich möchte noch einen zweiten Punkt kurz ansprechen. Wir werden an anderer Stelle weiter darüber zu diskutieren haben. Wohlfahrt ist jedenfalls mehr, als nur mit Worten Hoffnung zu machen, die man dann materiell nicht bedienen kann. Das haben sie vielleicht etwas zu intensiv gemacht.

(Zuruf von der SPD: Man kann's, Sie wollen nur nicht!)

Bei der Arzneimittelzulassung — um auch noch auf ein anderes wichtiges und aktuelles Stichwort einzugehen — hat sich ein Stau gebildet, der für alle Beteiligten unzumutbar geworden ist. Das Arzneimittelgesetz garantiert ein weltweit anerkannt hohes Niveau bei der Arzneimittelsicherheit. Der damit verbundene administrative Aufwand darf aber nicht dazu führen, daß wichtige, wenn nicht sogar überlebenswichtige Medikamente den Prozeß der Zulassung und Sicherheitsüberprüfung nur in einem Zeitraum meistern, der einfach zu lang ist und gegen die gesetzlich vorgesehenen Fristen verstößt. Diese Situation ist beim Gesundheitsamt inzwischen aber eingetreten.

(Zuruf von der SPD: Aber doch nicht erst seit gestern!)

Der Antragsstau hat mehrere Ursachen. Eine ist sicherlich darin zu sehen, daß das Arzneimittelinstitut des Bundesgesundheitsamtes personell unterausgestattet ist. Das hat selbst der in Fragen der Personalausstattung eher kritisch einzustufende Bundesrechnungshof bestätigt. Die besondere Situation bei der Arzneimittelzulassung rechtfertigt deshalb die Schaffung zusätzlicher Stellen. Wir verbinden mit dieser Aufstockung aber auch den Wunsch, daß die gestellten Aufgaben durch interne organisatorische Maßnahmen und gegebenenfalls auch durch eine gewisse Übertragung von Leistungen außerhalb des Amtes in Zukunft besser bewältigt werden können.
Auch für die wichtige Aufgabe der Lebensmittelüberwachung sind beim Bundesgesundheitsamt zusätzliche Stellen vorgesehen, um sicherzustellen, daß dieses Amt flexibel und schnell reagieren kann, wenn der Verdacht aufkommt, daß sich gefährliche Lebensmittel im Verkehr befinden.
Ein vorletzter Punkt. Das Thema AIDS, das sehr bewegt, ist hier bereits angesprochen worden. Für das Programm der Bundesregierung zur Bekämpfung von AIDS stehen 132 Millionen DM im Einzelplan 15 zur Verfügung. 56 neue Stellen sind vorgesehen. Solange es weder einen Impfstoff noch ein Heilmittel gibt, muß die Aufklärung im Vordergrund stehen. Dabei muß mit allen Organisationen, die über zielgruppenspezifische Erfahrungen verfügen, insbesondere mit den Selbsthilfegruppen, eng zusammengearbeitet werden.
Die Forschung im Kampf gegen das heimtückische Virus soll und darf nicht am Geld scheitern. Auch diesem Grundsatz wird mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf Rechnung getragen. Auf der Grundlage des Berichts der Enquete-Kommission wird über das weitere Vorgehen zu diskutieren sein.
Ausgrenzung und Diskriminierung wird es mit uns Liberalen nicht geben.

(Beifall bei der FPD und der SPD — Rossmanith [CDU/CSU]: Niemand will ausgrenzen!)

Humanität und Liberalität unserer Gesellschaft werden daran gemessen, wie wir es schaffen, mit den hart vom Schicksal geschlagenen Infizierten und Erkrankten umzugehen.
Ich möchte aus unserer Sicht die Anmerkung der Vorrednerin zurückweisen, daß in diesem Bereich zu wenig getan werde. Ich erinnere mich als Mitglied des Haushaltsausschusses, daß gerade bei diesem Thema, das wir immer sehr sensibel behandelt haben, nichts am Geld gescheitert ist. Ich kann mich nicht an einen einzigen Antrag erinnern, der abgelehnt wurde.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wenn die Mitglieder der GRÜNEN nicht in den Ausschuß kommen, können sie das auch nicht wissen!)




Zywietz
Wer behauptet, hier werde zuwenig getan, muß nachweisen, wo mehr möglich und erwünscht ist. Mit den Mitteln des Einzelplans wird das Mögliche geschehen. Diesbezüglich wurde nichts abgelehnt. Diesem Thema gegenüber haben wir uns — ebenso wie die Ministerin — überhaupt nicht prüde verhalten.
Einige Schlußanmerkungen zu einem Thema, das viele Schattierungen hat, nämlich zur Frauenpolitik. Dieses Thema bedeutet für uns u. a. auch, daß Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und dem Arbeitsleben flexibler, differenzierter und wenig zentralistisch zu gestalten sind. Wir wollen, daß Frauen mit denselben Maßstäben wie Männer am Wirtschaftsleben partizipieren. Frauen sollen auch in Männerberufe gehen. Wir sind aufgefordert, Gesetze zu ändern, damit dieses möglich wird.
Ich will, weil das auch bei den Beratungen im Haushaltsausschuß und weit darüber hinaus eine Rolle spielte bzw. spielt, ein paar Anmerkungen zum Beratungsgesetz machen, dem in den Koalitionsvereinbarungen auch von unserer Seite zugestimmt wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut an Debatten in diesem Hause und, wie die meisten Kolleginnen und Kollegen, an Debatten auch im allgemeinpolitischen Raum. Die FDP hat die Reform des § 218 gewollt und in der Vergangenheit mit guten Argumenten und viel politischer Zähigkeit durchgesetzt. Das will ich in aller Nüchternheit feststellen.
Die Absicht war, die Abtreibung nicht unter Strafe zu stellen, weil wir damals wie auch heute nicht überzeugt sind, daß eine Strafandrohung die Zahl der Abtreibungen wirklich reduziert. Sie läßt die Betroffenen vielmehr in die Illegalität abdriften. Dies war für die Betroffenen viel schlimmer. Die Zahl der Abtreibungen wurde nicht nachhaltig reduziert, aber die Formen der Abtreibung wurden dadurch sehr viel gefährlicher.
Es handelt sich hier um einen sehr sensiblen Bereich. Wir sind lernfähig. Wir sind für das Leben; wir wollen unterstützende Hilfe geben. Das ist der Grundsatz. Das kann man nicht mit Ja oder Nein oder einfachen Formeln machen. Wir sind zum Dazulernen bereit, aber mit der entsprechenden Sensibilität.
Wir wollen Hilfestellung für das Ja zum Leben geben. Auf dieser Basis kann man auch über diesen sensiblen Themenbereich sprechen. Wer glaubt, hier gebe es Veranlassung, die FDP zu einer Rolle rückwärts zu drängen, verkennt, glaube ich, die Situation.
Von dieser Ausgangsposition her werden wir uns dem Thema stellen.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Das Beratungsgesetz ist Inhalt der Koalitionsvereinbarung!)

— Nicht die gesamte Politik für die Fraktion wird in Koalitionsvereinbarungen festgelegt, schon gar nicht für vier Jahre. Das sind Grundlagen, auf denen man weiterarbeiten muß und die die Richtung angeben.
Ich möchte für meine Person sagen, daß dieser Bereich ein sehr sensibler ist.

(Eimer [Fürth] [FDP]: Das gilt für die ganze Fraktion!)

Hier muß man die Umgangsformen wahren und die Fakten wirklich sorgfältig prüfen.
Daß wir dazu bereit sind, haben wir auch dadurch zum Ausdruck gebracht, daß wir die Stiftung „Mutter und Kind" mit höheren Finanzbeiträgen dotiert haben. Daß dies von den GRÜNEN abgelehnt wurde, ist mir vollkommen unverständlich. Wir wissen auch sehr wohl um Gefahrenmomente, die mit dieser Ausstattung verbunden sind, Mitnahmeeffekte, die denkbar sind.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Erst die Sozialhilfe ändern!)

Da wird man aufzupassen haben. Aber der Grundsatz ist letztlich eine Hilfestellung, die damit zum Ausdruck gebracht wird. Das, was wir in Einzelheiten vorzubringen haben, werden wir dann in Form von Verbesserungsvorschlägen tun. Wir stimmen zu. Wir verweigern uns dieser Aufgabe nicht. Wir werden Verbesserungen dort anbringen, wo es angemessen ist.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104304400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1104304500
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Zywietz: Lassen Sie sich, nachdem Sie die enormen Auswirkungen auf die Familien durch Ihre Steuerpolitik beschrieben haben, wenigstens die Bemerkung entgegenhalten, daß das nur einen Teil der Familien trifft, die bedürftigsten Familien nicht. Eine Familie, die von Sozialhilfe lebt, hat davon genauso wenig wie eine Familie, die von Rentenleistungen lebt. Das ist der Skandal.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Wie war es denn bei Ihrer Steuerreform? War es da anders? Unsinn!)

Das ist ja wohl auch das, was die Familienverbände erkannt haben. Deswegen meine Frage von vorhin an Sie, Herr Rossmanith, ob Sie denn nicht wissen, wie die Reaktion draußen ist. Die Menschen haben natürlich erkannt, daß das eine Familienpolitik ist, die Ausgrenzung betreibt, die gerade diejenigen ausgrenzt, die der Stützung am ehesten bedürfen.
Aber nun zu Ihnen, Frau Bundesminister. Ich hatte in der ersten Lesung keine Gelegenheit, den Gesundheitsbereich anzusprechen. Ich habe mir vorgenommen, das heute zu tun;

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Leben Sie sich nicht wieder mit ihr an!)

denn Gesundheit gehört doch auch zu Ihrem Aufgabengebiet. Wenn das auch das letzte Wort im Titel Ihres Ministeriums ist, so muß es doch nicht die letzte Stelle einnehmen. Man hat ja den Eindruck — nicht nur wir als parlamentarische Opposition; dieser Eindruck ist draußen sehr weit verbreitet — , daß Gesundheitspolitik so gut wie nicht stattfindet.
Sagen Sie dem Deutschen Bundestag doch einmal, wie es denn bei Ihnen im Hause personell überhaupt



Jaunich
aussieht, wie viele Referatsleitungen in der Abteilung Gesundheit im Organisationsplan immer noch mit dem NN ausgewiesen sind.

(Dreßler [SPD]: Was so viel heißt wie nicht besetzt!)

Dann sagen Sie doch einmal, wie denn Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Aktivierung der Arbeit des Bundesgesundheitsamtes aussehen, auf die ich im einzelnen gleich noch eingehen will. Kurzum: Der Eindruck, daß Gesundheitspolitik einen allzu geringen Stellenwert in Ihrem Hause und damit auch bei Ihnen hat, ist sehr weit verbreitet. Er ist auch nicht unbegründet.
Frau Kollegin Segall hat, als der Haushalt für dieses Jahr im Dezember 1986 verabschiedet wurde, eine Würdigung des Etats in der „Neuen Ärztlichen Zeitung" vorgenommen und dabei aus dem Gesundheitsbereich als besonders hervorzuheben erwähnt, daß in Ihrem Hause, Frau Süssmuth, eine Projektgruppe „Prioritäre Gesundheitsziele" eingesetzt worden sei, die gesundheitspolitische Zielvorgaben für die große Strukturreform im Gesundheitswesen erarbeiten solle. Frau Süssmuth, sind das die von Ihnen erkannten Prioritäten, die in der Koalitionskommission sozusagen federführend ihren Niederschlag gefunden und zu den Ergebnissen geführt haben, über die heute morgen von Herrn Dreßler und von Herrn Egert gesprochen worden ist?
Ist es richtig — was man sich in kundigen Kreisen überall herumerzählt — , daß nicht Sie, sondern der Arbeitsminister jetzt die notwendige Novellierung des Arzneimittelgesetzes übernommen hat, weil Sie in dieser Frage die Initiative offensichtlich nicht ergriffen haben?
Ich erinnere: 1986, Arzneimittelgesetz. Wir haben gesagt, daß das zu kurz gesprungen ist. Wie haben kritisiert, daß das parlamentarisch in einer Art und Weise behandelt worden ist, die dazu führen mußte, daß dabei nichts Vernünftiges herauskommen konnte. Wir haben recht gehabt. Heute zeigt sich, daß Novellierungsbedarf besteht. Sie bestreiten ihn auch gar nicht. Aber ich frage Sie: Wo sind denn Ihre Vorstellungen? Was ist das für ein Parlamentsverständnis, das Sie haben, wenn Sie darüber immer nur vor irgendwelchen Hauptversammlungen in schön geprägten Worten etwas sagen? Wo hat denn jemals eine Unterrichtung des Parlaments stattgefunden? Ist es nicht ein Skandal, wenn wir, die wir in dem Ausschuß arbeiten, der Ihr Haus parlamentarisch begleitet, z. B. aus der Zeitung erfahren müssen, daß es einen neuen Vizepräsidenten im Bundesgesundheitsamt gibt? Frau Süssmuth, so etwas hat es vor Ihrer Zeit bei keinem Minister, bei keiner Ministerin gegeben.

(Beifall bei der SPD — Bohl [CDU/CSU]: Das sind aber kleine Maschen, die Sie da strikken!)

Wo also sind Ihre Vorstellungen zur Novellierung im Arzneimittelrecht? Sie sind gescheitert mit der Selbstbedienung. Sie wissen, daß ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ergangen ist. Unsere Vorschläge hierzu liegen dem Parlament vor. Wo sind die Ihren, frage ich.
In der Zweitanmelderproblematik ist schludrig gearbeitet worden. Das hat zu einer Vielzahl von Prozessen geführt.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Er hat keine Ahnung!)

— Sie haben keine Ahnung? Nun gut, das nehme ich Ihnen ja nicht übel, Herr Kollege Hoffacker. Es gibt ja verschiedene Gebiete, auf denen Sie keine Ahnung haben. Dafür müssen Sie sich nicht einmal schämen. Das gibt es natürlich.

(Beifall bei der SPD)

Wo sind denn Ihre Vorstellungen zur Zweitanmelderproblematik? Ist es Ihre Position, Nachahmerpräparate als vorläufig zugelassen gelten zu lassen? Ist das eine Position, die der Arzneimittelsicherheit dienlich ist? Das ist doch eine berechtigte Fragestellung, die wir in diesem Zusammenhang erheben müssen.
Wie wollen Sie mit dem Antragsstau — es sind ungefähr 7 000 Anträge — beim Bundesgesundheitsamt fertig werden? Die Mittel für Personalaufstockungen — Herr Zywietz und andere Haushälter haben sie erwähnt — , die hier eingesetzt werden, hat man Ihnen ja praktisch aufdrängen müssen, denn wo waren Ihre Vorstellungen? Der Ursprungsentwurf des Haushalts enthielt ja keine.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie sind wirklich ahnungslos! — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Sie wissen, daß das getrennt beraten wird!)

Jetzt hören wir, daß der Bundesrechnungshof dies zugebilligt hat. Na bitte. Aber damit allein ist es nicht getan. Sie reden ja von Rechtsänderungen, aber in welche Richtung sie gehen sollen, ob sie ein Beitrag zu einer erhöhten Arzneimittelsicherheit sind, bleibt im unklaren.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Sie setzen sich in Widerspruch zu Ihrem eigenen Kollegen Waltemathe! Der hat das anders dargestellt!)

Zweites Stichwort: Psychiatrie. Psychiatrie ist für Sie ein Wort, das nirgendwo vorkommt. In all dem, was man über das hört und liest, was die sogenannte Strukturreform bringen soll, ist an psychisch Kranke nicht gedacht. Im Gegenteil, ihre Situation wird sich verschlechtern.
Als wir 1985/86 gefordert haben, daß die Modellprogramme eine dauerhafte Absicherung finden sollen, haben Sie gesagt, die wissenschaftliche Begleitforschung dazu sei noch nicht abgeschlossen. Deswegen könne man das nicht tun. Dies war für März 1987 zugesagt. Es gibt bis heute aus Ihrem Hause, aus Ihrem Munde keine Bewertung dazu. Ich frage also: Wie wollen Sie in der Psychiatrie weiter vorangehen? Da wird nichts verbessert; das findet bei Ihnen im Grunde überhaupt nicht statt.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: In CDUregierten Ländern sind die gut versorgt!)

Ein weiteres Stichwort: Ärzteausbildung. 1984/85 haben wir Ihr AiP-Modell abgelehnt. Damals haben Sie uns mit Spott und Hohn überzogen. 1986 haben Sie gesehen, daß Sie das nicht einlösen konnten. Daraufhin haben Sie dem Parlament eine zeitliche Ver-



Jaunich
Schiebung vorgeschlagen und hier dann auch verabschiedet.
Wie sieht die Situation denn heute aus? Können Sie für 1988, dem Jahr, in dem diese Regelung Gültigkeit erlangen wird, garantieren, daß es die entsprechenden Plätze für diese jungen Mediziner gibt? Ich sage: Nein. Wir bleiben von daher bei unserer Ablehnung.
Wir haben ja alles nicht alternativlos abgelehnt, sondern wir haben dem Alternativen entgegengesetzt. Wir bleiben nach wie vor dabei, daß es gut wäre, wenn wir unsere Möglichkeiten, die wir als Bundesgesetzgeber haben, nutzen würden, um ein Hausärzteweiterbildungsgesetz zu verabschieden, damit überall hochqualifizierte Hausärzte tätig werden können.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist auch ein Beitrag zu einer vernünftigen, einer den Namen verdienenden Strukturreform im Gesundheitswesen.
Aber dazu schweigen Sie. Sie haben bisher auch zu all dem geschwiegen, was in diesem Gruselkabinett an Vorschlägen für die sogenannte Strukturreform erarbeitet worden ist. Sie haben doch da mitgewirkt. Wir haben doch lesen können, daß Sie dazugehören. Also muß man Ihnen sagen: Als Gesundheitsminister haben Sie sich dort jedenfalls nicht produziert, zumindest von den spürbaren Auswirkungen oder zumindest von dem her gesehen, was uns in der Frage hier erwartet.
Zum Thema AIDS nur noch ein paar Bemerkungen. Wir haben Ihre Position hier immer gestützt, weil wir sehen, in welche schwierige Schieflage Sie in eigenen Gruppierungen kommen. Aber dieser Dauerkonflikt Süssmuth—Gauweiler oder Süssmuth—Strauß kann natürlich nicht eine vernünftige Politik begründen. Entweder Repression oder Aufklärung. Daß beides in Gegensatz zueinander als offizielle Regierungspolitik nichts Vernünftiges geben kann, muß man doch nüchtern erkennen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Hier sehen wir Aktion, teilweise Aktionismus. Es stellt sich berechtigterweise die Frage: Müssen wir nicht jetzt, nachdem es soviel Koordinatoren für AIDS gibt, noch einen Koordinator haben, der diese Koordinatoren koordiniert?
Letzte Bemerkung, zum Rauchen. Da haben Sie einen großen Ansatz gemacht; zumindest war das nach draußen so deutlich geworden. Da wollten Sie also Werbebeschränkungen und ähnliches. Wenn ich nicht ganz falsch informiert bin, wollten Sie zum Weltnichtrauchertag mit einem solchen Programm an die Öffentlichkeit treten. Nichts ist Ihnen geblieben.
Frau Süssmuth, in all diesen Fragen muß ich wie bei der ersten Lesung sagen: Viele große, häufig genug auch viele hübsche und verbindliche Worte; es fehlen leider nur die Taten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104304600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Link (Diepholz).

Walter Link (CDU):
Rede ID: ID1104304700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre heute morgen gerne, Frau Wilms-Kegel oder Herr Jaunich, auf Ihre Reden eingegangen. Ich hatte mich an sich darauf vorbereitet.

(Jaunich [SPD]: Machen Sie es doch!)

Da Sie aber so sehr schmalspurig gesprochen haben und die Palette unseres Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit kaum getroffen haben und ich das, was Sie gesagt haben, als dünne Wassersuppe bezeichnen würde, lohnt sich das heute morgen nicht.
Wir beraten den Haushalt 1988 des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Ich denke, das kann nicht geschehen, ohne der Bundesregierung für die solide Finanz- und Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre ganz herzlich zu danken;

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Verbeugung!)

denn diese Finanz- und Wirtschaftspolitik hat erst den Freiraum dafür geschaffen, daß wir heute

(Waltemathe [SPD]: Weiter so! — Zuruf von der SPD: Kotau!)

— ich werde es weiter so machen, Herr Waltemathe — einen Spielraum für Sozialpolitik, für Jugendpolitik, für Familienpolitik haben.

(Zuruf von der SPD: Wo ist er denn?)

Ich hätte sehr gerne die Vorstellungen der Opposition darüber gehört, aber ich kann nur sagen: null. Ich denke, wenn man der Bundesregierung dankt, muß man ein besonderes Dankeschön unserem Finanzminister Gerhard Stoltenberg sagen, der hieran einen hervorragenden Anteil hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir beraten heute einen ausgewogenen Einzelplan 15 — Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit — mit einem guten Steigerungsvolumen, der fast 20 Milliarden DM umfaßt.
In der Jugendpolitik von CDU und CSU haben die freien und die ehrenamtlichen Aktivitäten unserer Jugendverbände einen sehr hohen Stellenwert.

(Zuruf von der SPD: Die protestieren!)

Es ist einfach unerträglich, wenn über wenige jugendliche Krawallmacher in Funk und Fernsehen wochenlang berichtet wird, ehrenamtlich geleistete Arbeit Jugendlicher aber totgeschwiegen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich stelle hier fest: Die übergroße Mehrheit der jungen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist für unseren demokratischen Rechtsstaat. Viele engagieren sich in den Jugendverbänden für Gleichaltrige oder ältere Mitbürger.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Und warum kürzen Sie die Mittel?)




Link (Diepholz)

Deshalb stimmen wir der Erhöhung der Mittel für den Bundesjugendplan um über 2 Millionen DM auf 134 Millionen DM im Jahre 1988 zu.

(Frau Dr. Götte [SPD]: Und was ist mit 1987? — Weiterer Zuruf von der SPD: Sagen Sie einmal, daß das die SPD beantragt hat!)

Der Bundesjugendplan gewährleistet den freien Trägern, insbesondere den Jugendverbänden, ein hohes Maß an Selbständigkeit. CDU und CSU bekennen sich nachdrücklich zu dieser Unabhängigkeit unserer Jugendverbände in der Bundesrepublik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da immer mehr junge Menschen aus der DDR und aus Ost-Europa in unser Land kommen, sind die im Haushalt vorgesehenen 16 Millionen DM auch notwendig und gut angelegt.
Meine Fraktion wendet ' sich mit Entschiedenheit gegen die Kritik von verschiedenen Seiten, die Arbeit unserer Jugendverbände sei verkrustet und sie hätten keinen Anspruch mehr, für den Großteil der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen.

(Jaunich [SPD]: Wer kritisiert das denn so?)

Man darf hier nicht nur die Mitgliederzahlen der einzelnen Verbände sehen, sondern man muß den Multiplikatorenfaktor bei ihrer Arbeit mitbewerten. Wenn uns z. B. die AGJ, das ist die Arbeitsgemeinschaft der Jugend in der Bundesrepublik Deutschland,

(Jaunich [SPD]: Der Jugendhilfe!)

sagt, daß sie bereit ist, die historisch gewachsenen Strukturen, Aufgaben und Inhalte kritisch zu reflektieren und dort, wo notwendig, inhaltliche Veränderungen vorzunehmen und Förderungsschwerpunkte weiterzuentwickeln, so ist dies der Ansatz für eine gute Zusammenarbeit mit Regierung und Parlament.
Den drittgrößten Anteil am Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit nehmen die Mittel für den Zivildienst ein. Wir erhöhen sie 1988 um 136 Millionen DM auf 1,1 Milliarden DM.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit den vielen tausend jungen Männern, die in der praktischen sozialen Arbeit des Zivildienstes ihren Mann stehen, ganz herzlich danken.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben unsere Anerkennung und Achtung ebenso verdient wie die jungen Männer, die in der Bundeswehr als aktive Mitglieder der größten Friedensinitiative der Bundesrepublik Deutschland ihren Dienst tun.
Für CDU und CSU sage ich bei dieser Gelegenheit auch dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Herrn Pastor Peter Hintze, ein Wort der Anerkennung und des Dankes für seine erfolgreiche Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Hintze, ich war lange Jahre, bis zu meiner Wahl in den Landtag vor zehn Jahren, in den von Bodelschwinghschen Anstalten tätig und weiß, wie schwierig diese Arbeit ist. Wenn wir heute mit 87 413 zur
Verfügung stehenden und 75 742 besetzten Plätzen einen Höchststand in der Nachkriegsgeschichte haben, dann haben Sie daran durch die Qualität Ihrer Arbeit einen hervorragenden Anteil.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich zur Jugendpolitik abschließend sagen, daß es eine unserer nächsten Aufgaben sein wird, das Jugendwohlfahrtsgesetz zu novellieren und zu einem modernen Gesetz über die Jugendhilfe zu machen. Hier ist dann ganz besonders die gute Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und den Jugendverbänden gefragt.
Bundeskanzler Helmut Kohl und die CDU/CSU sind 1982 angetreten, die systematische Schlechterstellung und Benachteiligung der Familien mit Kindern durch die Sozialdemokratie zu beenden. Auf dem Weg zu diesem Ziel sind wir ein ganz großes Stück weitergekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Der vorliegende Haushaltsentwurf zeigt dies. Allein 13,7 Milliarden DM stehen 1988 für das Kindergeld zur Verfügung. Hierzu kommen fast 3 Milliarden DM Erziehungsgeld.
Mit der Einführung des Erziehungsgeldes hat die Koalition aus CDU, CSU und FDP einen zentralen familienpolitischen Durchbruch erzielt. Diese finanziellen Leistungen und die gleichzeitige Sicherung des Arbeitsplatzes haben die Bedingungen für junge Familien und ihre Kinder in der Bundesrepublik Deutschland entscheidend verbessert. Vom 1. Januar 1988 an verlängern wir die Zahlung des Erziehungsgeldes und den Erziehungsurlaub von zehn Monaten auf ein volles Jahr.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie haben heute morgen kein Wort dazu gesagt. Hier hätte es Ihnen gut angestanden, der Bundesministerin einmal zu danken. Von daher ist Ihre ganze Kritik hohles Gerede.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unsere älteren Mitbürger erhalten mit einem Stufenplan die Anerkennung der Erziehungszeiten in den nächsten vier Jahren. Bis 1990 sind alle einbezogen.
Die CDU/CSU-Fraktion ist stolz darauf, daß es uns gelungen ist, die Mittel für die Stiftung „Mutter und Kind" von 80 Millionen DM in diesem Jahr auf 110 Millionen DM im nächsten Jahr zu erhöhen.
Zu unserer Familienpolitik gehört auch die Vorsorge für unsere älteren Mitbürger, insbesondere für die pflege- und schwerstpflegebedürftigen, und die Pflegenden. Im Rahmen des Strukturgesetzes im Gesundheitswesen werden wir zusätzliche Fürsorge für unsere älteren Mitbürger schaffen.

(Zuruf von der SPD: In welcher Form?)

Da meine Zeit knapp bemessen ist, will ich nur noch einige wenige Bemerkungen zur Frauenpolitik machen. Uns ist sehr bewußt, Frau Kollegin Unruh, daß viele Frauen und Kinder in der Bundesrepublik Deutschland — ich will nicht sagen: in den Familien, aber von den Männern — mißhandelt werden. Von



Link (Diepholz)

daher sind wir froh, daß wir — auch mit Unterstützung von seiten der Bundesregierung — nunmehr langsam dahinkommen, ein flächendeckendes Netz von Frauenhäusern und Kinderschutzstellen zu schaffen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Wie lange hat das gedauert?)

Es ist mir ein besonderes Anliegen, hier den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dieser Frauenhäuser einmal ganz herzlich für ihre schwierige Arbeit zu danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich danke an dieser Stelle auch dem Deutschen Kinderschutzbund, der es in den vergangenen Jahren verstanden hat, hervorragende Hilfe zu leisten und in einer guten Zusammenarbeit mit der Bundesregierung seine Aufgaben zu erfüllen.
Weil das alles so ist und weil wir eine Bundesministerin haben, die — das wissen Sie ganz genau — gerade bei den jüngeren Menschen im Alter von 18 bis 40 Jahren die höchste Glaubwürdigkeit aller Politiker in der Bundesrepublik Deutschland hat, sind wir darauf ganz stolz. Wir können Ihnen doch nur sagen, daß es wenig Zweck hat, zu versuchen, wie Sie es heute morgen in Ihren Reden getan haben, die Bundesministerin abzuqualifizieren.
Darum möchte ich an dieser Stelle einmal, zu Ihnen gewandt, Frau Süssmuth, folgendes sagen: Frau Bundesministerin Rita Süssmuth ist zum Symbol für engagierte Frauenpolitik, gerechte Familienpolitik, zukunftsoffene Jugendpolitik und verantwortungsvolle Behandlung schwieriger gesundheitlicher Probleme geworden. Dieses Engagement der Ministerin und der kraftvolle Einsatz ihres Amtsvorgängers Heiner Geißler

(Zurufe von der SPD)

zur Verbesserung des Familienlastenausgleiches prägen den Haushalt des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 1988, dem die CDU/CSU-Fraktion gerne zustimmt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Jaunich [SPD]: Hurra! Hurra! Hurra!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104304800
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmidt (Nürnberg).

Renate Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1104304900
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Eines, glaube ich, müssen wir offen zugeben: So leicht es uns die Ministerin als Gesundheitsministerin und Jugendministerin macht, so schwer tun wir uns mit ihr als Frauenministerin. Was will frau auch dagegen sagen, wenn Sie eine Qualifizierungsoffensive, vor allem auch für Frauen, ankündigen? Was wollen wir dagegenhaben, wenn Sie die Benachteiligungen teilzeitbeschäftigter Frauen aufheben wollen? Sollen wir Ihrer mehrfach geäußerten Skepsis gegenüber dem Beschäftigungsförderungsgesetz entgegentreten oder Ihren mutigen Äußerungen, zuletzt im schleswig-holsteinischen Wahlkampf, die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse abschaffen zu wollen? Sie haben ja recht: Es ist ein Skandal, wenn inzwischen 1,5 Millionen
Frauen ohne jegliche sozialversicherungsrechtliche Absicherung arbeiten. Gibt es ein Argument dagegen, die Alleinzuständigkeit der Frauen für Kinder, für Pflegebedürftige, für den Haushalt verringern zu wollen, eine Alleinzuständigkeit, die Frauen daran hindert, ihre Lebensvorstellungen zu verwirklichen? Oder gibt es Argumente dagegen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer fördern zu wollen? Daß dazu über das Bestehende und über Modellvorhaben hinaus unabdingbar gehört, Frauen nach Zeiten der Arbeit für die Familie Rückkehrmöglichkeiten in den Beruf zu verschaffen, scheint sowohl für Sie als auch für uns eine Selbstverständlichkeit zu sein. Was wollen wir Ihnen eigentlich entgegenhalten außer „Sehr richtig, Frau Ministerin" , wenn Sie sagen: „Eine stärkere Frauenförderung im öffentlichen Dienst soll dazu beitragen, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Bereichen und Ebenen des wirtschaftlichen Lebens durchzusetzen und einen sinnvollen Einsatz menschlicher Begabungen und Fähigkeiten zu gewährleisten"? — Gegen alle diese Forderungen gibt es keine Argumente. Sie werden von Ihnen, sie werden von uns, sie werden von den meisten Frauen erhoben.
Frauen wollen erwerbstätig sein. Sie wollen Kinder haben. Und sie wollen nicht mehr allein für Kinder und Haushalt zuständig sein.
Die Tatsache, daß wir das Land mit der niedrigsten Geburtenrate der Welt sind, hat entgegen konservativen männlichen Vermutungen, wie wir sie auch heute wieder gehört haben, nicht die Ursache zunehmender Erwerbstätigkeit von Frauen, sondern die Ursache, daß es gerade bei uns wegen mangelnder gesetzlicher Möglichkeiten und fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten, von der Kinderkrippe über Kindergärten bis zu Ganztagsschulen, die übrigens nicht im gesamten Europa, auch nicht in konservativ regierten Ländern, wie bei uns so ausschließlich unter ideologischen Gesichtspunkten dieskutiert werden,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Frauen bei uns besonders schwer gemacht wird, Kinder und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Und Männer nehmen diese Aufgabe überhaupt nicht erst auf sich.
Daß es auch anders geht, zeigen uns unsere europäischen Nachbarn. Dort sind mehr Frauen erwerbstätig, und es werden mehr Kinder geboren. In Schweden, wo mehr als 80 % aller Frauen erwerbstätig sind, ist die Geburtenrate mit 12,1 % ebenso deutlich höher als bei uns wie in Frankreich, wo ca. 60 % aller Frauen arbeiten.

(Rossmanith [CDU/CSU]: Und die Alkoholikerrate unter den Jugendlichen ist viermal so hoch wie bei uns!)

— Sehen Sie, Herr Rossmanith, das ist der Punkt: das Bewußtsein der Männer.
Wir sind uns also in vielen Analysen einig, wir sind uns bei vielen Forderungen einig. Dann bleibt uns nur noch die Frage: Woran liegt es denn, daß immer noch um Millimeter gekämpft werden muß, wenn es darum geht, die Wünsche und Forderungen der Frauen in reale Politik umzusetzen? Woran liegt es, daß Frauen



Frau Schmidt (Nürnberg)

von Arbeitslosigkeit stärker betroffen sind und die Zunahme der Frauenarbeitslosigkeit von Jahr zu Jahr höher ist als die der Männer? Woran liegt es, daß die Qualifizierungsoffensive zum Stillstand kommt und Arbeitsämter Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen sowie Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor allem zu Lasten der Frauen kürzen? Woran liegt es, daß Frauenförderung auch in Bundesministerien nur halbherzig betrieben wird und der Frauenanteil im höheren Dienst des Bundes nicht einmal dem Anteil der Bewerberinnen entspricht,

(Frau Garbe [GRÜNE]: Immer an den Männern! )

geschweige denn dem Anteil der Beschäftigten? Woran liegt es, daß die Anzahl der Frauen, die ohne jeden Versicherungsschutz zu arbeiten gezwungen sind, inzwischen bei anderthalb Millionen liegt und die Anzahl der Frauen, die nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz nur befristet beschäftigt sind und damit z. B. ihren Anspruch und ihre Arbeitsplatzgarantie nach dem Mutterschutz- und Elternurlaubsgesetz verlieren, dramatisch zunehmen? Woran liegt es, daß das arbeitsrechtliche EG-Anpassungsgesetz trotz Ihrer Ankündigungen seit der letzten Legislaturperiode immer noch ein zahnloser Papiertiger ist?
Diese Aufzählung ließe sich fortführen, z.B. damit: Woran liegt es, daß ausgerechnet Steuererleichterungen für die Ausbildung im Haushalt gestrichen werden sollen, obwohl Sie Hausarbeit besonders anerkennen wollen?

(Dreßler [SPD]: Das liegt an Herrn Kohl!)

Aber ich will mich mit diesen wenigen Punkten begnügen und zwei voneinander unabhängige Gründe nennen.
Erstens. Es liegt am Bewußtsein der Männer in der Regierung und eines Großteils der Männer in diesem Parlament

(Dreßler [SPD]: Nur eines Großteils!)

— ich schaue mich im gesamten Plenum um —,

(Beifall bei den GRÜNEN)

die sich — das ist kein Vorwurf an Sie, meine sehr verehrten Kollegen — auf Grund ihrer Lebensumstände eine partnerschaftlich gleichberechtigte Aufteilung von Familie und Berufsarbeit überhaupt nicht vorstellen können. Mir ist das am Dienstag und auch heute besonders klar geworden, als Herr Seiters und viele andere einmal mehr von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur für die Frauen gesprochen haben. Diese Männer haben den — wie es Elisabeth Beck-Gernsheim formuliert hat — „den Eineinhalbpersonenberuf in ihrem Lebensplan verinnerlicht ebenso wie die Männer in den Führungsetagen der Unternehmen. Aber nicht nur dort setzt die Organisation der Arbeitswelt eine weitere halbe Person voraus, die den Erwerbstätigen von Alltagsarbeit freistellt, Alltagsarbeit, die die Frau leistet und die dem Mann eine reibungslos funktionierende Basis bereitstellt, wo er sich nach der Härte der Tagesarbeit zurückziehen und von woher er erfrischt und emotional gestärkt wieder von dannen ziehen kann. "

(Frau Unruh [GRÜNE]: Die gute Mutter!)

Weil das Bewußtsein der Männer ein solches ist, weil sie, die Männer, die Arbeitswelt so organisiert haben, daß die arbeitsplatzgerechte Familie und nicht die familiengerechten Arbeitsplätze den Vorrang haben, und weil die meisten Frauenförderung als Luxus für gute wirtschaftliche Zeiten betrachten und Frauenerwerbslosigkeit als ein zweitrangiges Problem ansehen, deshalb müssen Sie sich, Frau Ministerin — zweitens —, auf Freiwilligkeit, auf Appelle, auf den guten Willen Ihrer Kabinettskollegen beschränken. Deshalb dürfen Sie das Wort „Quote" nicht verwenden, sondern müssen von „numerischen Richtvorgaben" sprechen.

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb beschränken Sie sich auf Modellversuche, Anhörungen und Forschungsvorhaben als in meinen Augen auch richtiges, aber unzureichendes Mittel von Regierungspolitik. Deshalb vermeiden Sie selbst Initiativen zu kostenneutralen Gesetzen und reagieren nicht mit solchen, z. B. auf das Benda-Gutachten, das Ihre unverbindliche Frauenförderrichtlinien als nicht verfassungsgemäß bezeichnet hat. Deshalb bleibt es bei sympathischen Reden — und bei den Taten bei Fehlanzeigen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deshalb enthalten weder Ihr Haushalt noch die Haushalte der anderen Ressorts Mittel, die die von Ihnen hervorragend beschriebene Politik ermöglichen würden. Sie wissen doch, daß die Steuermindereinnahmen und die Steuergeschenke für Großverdiener zu Lasten der Familien gehen werden. Wie wollen sie denn Ihr richtiges Programm zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie verwirklichen und finanzieren? Da müssen doch schon heute die Weichen gestellt werden. Für die Erweiterung des Elternurlaubs und mit einem Erziehungsgeld mit Lohnersatzfunktion, das es endlich auch mehr Männern erlauben würde, diesen Urlaub wahrzunehmen,

(Dreßler [SPD]: Sehr richtig!) fehlt doch schon heute jegliches Geld.


(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wo war Ihr Widerstand bei den Regierungsplänen, das Benachteiligtenprogramm durch die Bundesanstalt für Arbeit finanzieren zu lassen und die Qualifizierungsoffensive nicht auszuweiten? Sie haben vor einem Jahr hier im Bundestag gesagt: „Wir werden das Benachteiligtenprogramm noch eine Reihe von Jahren brauchen. " Sie müssen doch wissen, daß durch die von der Regierung beschlossene Aufgabenverlagerung gerade Frauen und Mädchen, die Leidtragenden sein werden, daß schon heute Fortbildungsmaßnahmen für teilzeitbeschäftigte Frauen gestrichen werden. Ist das Ihre Teilzeitoffensive?
Sie müssen doch wissen, wie sehr die Steuerreform die Finanzen der Länder und Kommunen belastet. Wie sollen diese dann die dringend benötigten Kindergärten mit längeren Öffnungszeiten, Kinderkrippen und Ganztagsschulen schaffen?
Wo ist Ihr Einsatz für die Wiederherstellung des Schüler-BAföG? Zahlen aus Ihrem Haus belegen: Familien mit geringem Einkommen können sich das Abitur für ihre Kinder nicht mehr leisten. Haben Sie sich



Frau Schmidt (Nürnberg)

eingemischt, haben Sie Ihre Kompetenzen für die Frauen genutzt? Nein, im Gegenteil, Sie versuchen, die Steuerreform als Erfolg für die Familien zu feiern. Das wird Ihnen nicht gelingen.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Es kommt immer wieder die Frage hoch, was Sie in den 70er Jahren gemacht haben! — Null!)

— Ich komme gleich dazu.
Ich zitiere den Deutschen Familienverband und seinen Präsidenten Albrecht Hasinger, bis 1980 Kollege der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Er sagt: „1. Die geplante Steuerreform ist familienfeindlich, 2. die Steuerreform 1990 verschlechtert die Situation der Familien mit Kindern gegenüber Alleinstehenden und Ehepaaren ohne Kinder, 3. der Kinderfreibetrag wird in den meisten Fällen durch die Steuerreform in seiner Wirkung gemindert, 4. die Steuerreform ist ohne Korrektur zugunsten der Familien mit Kindern verfassungswidrig".

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Weil ich die immer wieder, auch von Ihnen, Herr Link, gebetsmühlenhaft wiederholten Behauptungen nicht mehr hören kann, Sozialdemokraten hätten in ihrer Regierungszeit nichts für Familien getan, lassen Sie mich die Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, sozialistischer Umtriebe wahrhaftig unverdächtig, zum Familienausgleich erwähnen.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Den arbeitslosen Jugendlichen haben Sie das Kindergeld weggenommen! Das war Ihre Leistung!)

Nach dieser Untersuchung kann nicht mehr bestritten werden, daß es zwischen 1975 und 1981 einen Anstieg um 70 % des Aufwandes für Transferleistungen und steuerliche Entlastungen trotz sinkender Kinderzahlen gegeben hat,

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Jedes Mal haben Sie die Mehrwertsteuer dabei erhöht, Verbrauchsteuern!)

daß dieser Aufwand zwischen 1982 und 1985 um 20 gesunken ist, wobei hier die gestrichenen Leistungen für das Schüler-BAföG noch nicht einmal enthalten sind, und daß dann ein erneuter Anstieg von 35 % im Jahr 1986 erfolgt ist.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Und wie war das mit dem Kindergeld für arbeitslose Jugendliche?)

Das heißt, insgesamt haben, wie es auch alle großen Familienverbände behaupten, Herr Link, die Familienleistungen noch nicht wieder den Stand des Jahres 1981 erreicht.
Mit all dem werden Sie, Frau Ministerin, dem Titel einer Broschüre Ihres Hauses leider nicht gerecht. Dieser Titel heißt: „Reden ist silber, Handeln ist gold". Mit Versprechungen und Vorstößen in Bereiche, wo sie nur die Mitfederführung hat, will sie über ihren Mangel an Veto- und Entscheidungsrechten hinwegtäuschen. Sie hat weder das von ihr verlangte Vetorecht noch die grundsätzliche Federführung für Frauenfragen betreffende Gesetze bei Helmut Kohl durchsetzen können.
So bleibt mir nur, den „Spiegel" vom 26. Oktober dieses Jahres zu zitieren. Danach Kohl — Zitat — :
Die soll mit ihren Stöckelschuhen auf dem Boden der Realitäten bleiben.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich möchte Ihnen versichern, mir tut nicht nur diese diskriminierende Äußerung des Bundeskanzlers, die schlaglichtartig die Bewußtseinslage dieser Regierung in ihrem männlichen Teil beleuchtet, leid, sondern vor allem die Tatsache, daß so für die Frauen nichts erreicht wird. Unserer Unterstützung, Frau Ministerin, dürfen Sie sicher sein, wenn endlich Ihren Ankündigungen auch Taten folgen.
Der Haushalt Ihres Ressorts läßt in dieser Hinsicht nichts erkennen; wir werden ihn deshalb ablehnen.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104305000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.

Norbert Eimer (FDP):
Rede ID: ID1104305100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Schmidt hat hier eine Reihe von Fragen gestellt, und die zwei Minuten, die unsere Fraktion noch übrig hat, erlauben es mir, darauf Antwort zu geben.
Frau Schmidt, Sie haben immer wieder gefragt: Woran liegt es, daß die Frauen benachteiligt sind? Die Antwort war für Sie ganz einfach: Daran sind die Männer schuld.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Nicht nur!)

Nein, so einfach ist es nicht. Ich will Ihnen sagen, woran es liegt. Es liegt an der Struktur der Gesetze, der Sozialgesetze, die wir hier machen. Die Gesetze sind zwar gut gemeint, aber wirken sich im großen und ganzen für die Frauen katastrophal aus.
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. In fast allen Gesetzen, die wir haben, haben wir arbeitsrechtliche Lösungen, und die bedeuten, daß der Unternehmer die Soziallasten bezahlen muß und damit die Frau für ihn auf dem Arbeitsmarkt etwas teurer ist. Warum sehen Sie nicht ein, daß es zweckmäßiger, besser wäre, wenn wir von den arbeitsrechtlichen Lösungen wegkommen würden, wenn wir zu versicherungsrechtlichen Lösungen kommen würden, so daß ein Arbeitgeber dann, ganz gleich, ob er Männlein oder Weiblein einstellt, für alle Personen auch die gleichen Lasten zu zahlen hat? Ich garantiere Ihnen: Wenn wir die Struktur der Gesetze ändern, haben wir von heute auf morgen eine Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt. Es liegt an Fehlern dieses Hauses.
Ich will Ihnen ein Beispiel sagen. Als ich noch ganz jung im Bundestag war, habe ich eine Diskussion mit Behinderten geführt, und da ist das gleiche Problem. Ich hatte gedacht: wir können ja ganz gut bestehen — das war damals noch in der sozialliberalen Koalition — , aber da haben die Behinderten mich wüst beschipft und haben gesagt: Schafft um Gottes willen die Kündigungsschutzgesetze für Behinderte ab; sie sind zwar gut gemeint, aber sie bedeuten, daß wir



Eimer (Fürth)

überhaupt keine Chance mehr haben, in den Beruf hineinzukommen.
Ich glaube, es hat keinen Zweck, wenn wir hier hergehen, jammern und die Schuld irgendwo anders suchen. Nein, die Schuld müssen wir bei der Arbeit dieses Hauses sehen. Wir haben die Struktur der Gesetze falsch gemacht. Sie sind zwar gut gemeint, aber im Endeffekt wirken sie sich falsch aus.
Lassen Sie mich noch einen Punkt zur Steuerreform sagen. Es zieht sich hier wie ein roter Faden durch alle Beiträge, daß die Steuerreform familienungerecht ist.

(Zurufe bei der SPD und den GRÜNEN: Das ist sie! — Sehr wahr!)

Diese Regierung hat die Familienpolitik an die Spitze der Prioritäten gesetzt. Weil das so war, haben wir die Steuerreform in drei Etappen gemacht. Im ersten, dem für uns wichtigsten Teil, haben wir 10 Milliarden DM in den Familienlastenausgleich eingesetzt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit haben wir bewiesen, wie wichtig uns dieses Thema ist. Ich finde es unredlich, wenn Sie bei allen Ihren Diskussionen immer so tun, als ob es den ersten Teil, diese 10 Milliarden DM, nicht gegeben hätte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104305200
Ich erteile das Wort der Frau Ministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit.

Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1104305300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor es im Getümmel der Haushaltsdebatte untergeht, möchte ich mich zunächst ganz herzlich bei den Berichterstattern für den Einzelplan 15 bedanken für das große Maß an Arbeit mit unserem schwierigen Haushalt, für das bei aller haushälterischen Strenge große Maß an Aufgeschlossenheit, Verständnis und Unterstützung. Lieber Herr Waltemathe, bei allem, was Sie gesagt haben: Ich beziehe Sie ganz ausdrücklich in diesen Dank ein. Eigentlich hätten die Beratungen Ihre Zustimmung nahegelegt; so groß war Ihre Unterstützung.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU — Bohl [CDU/ CSU]: Er wird ja richtig rot! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Die Beratungen — das sage ich gern — haben zu einem guten Ergebnis geführt. Daß ich mehr Geld für wichtige, auch hier heute angesprochene Bereiche sinnvoll ausgeben könnte, auch für mehr Personal, daran ändert dies alles nichts. Denn allzu wahr ist Goethes Einsicht: Wir wollen alle Tage sparen und brauchen alle Tage mehr.
Dennoch ist mir wichtig, hier am Anfang zu sagen: Ich kann nur annehmen, daß ein Teil der Kritik heute morgen zum Oppositionsritual gehört und auf weitgehender Unkenntnis beruht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie, Herr Jaunich, wissen, daß die Gesundheitsabteilung zur größten Abteilung dieses Ministeriums gehört und daß andere Abteilungen sich oftmals wünschten, sie hätten ein paar Stellen mehr zur Verfügung. Auch die hier eben angesprochene Frauenabteilung ist nur langsam, in vielen Jahren, aus dem Rang eines Arbeitsstabes in den Rang einer Abteilung gehoben worden. Ich denke, Sie wollen dort auch keine Stelle abziehen, denn die Wichtigkeit der dort angesiedelten Aufgaben ließe dies nicht zu.
Ich muß sagen: Angesichts der neuen Aufgaben — AIDS, Gentechnologie, Genforschung und Leihmutterprobleme — wird in diesem Ministerium bei knapper Personalausstattung sehr hart gearbeitet. An mir ist es in der Tat, all denen zu danken, die in diesem Jahr wieder viele unbezahlte Überstunden gemacht haben, um diese Aufgaben leisten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie fragen, was unser Beitrag zur Strukturreform des Gesundheitswesens ist, speziell meiner: Heute morgen ist hier soviel polemisiert worden, bevor die Fragen behandelt wurden: Wie sehen die Belastungen und Entlastungen aus? Wo werden Lücken in der Präventionsmedizin, in der Pflege geschlossen? Man kann leicht polemisieren, wenn man keine Alternativvorschläge vorlegt,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

durch die anstehende Aufgaben auch gelöst werden.

(Zuruf von der SPD: Damit haben Sie aber keine Antwort gegeben! — Jaunich [SPD]: Das hat sie zu der ersten Frage auch nicht getan!)

— Zu der ersten Frage habe ich Ihnen bereits gesagt, daß es die größte Abteilung ist. Zu den Fragen nach unbesetzten Stellen, Herr Jaunich: Sie kommen auf Grund einer vorgezogenen Pensionierung auf ganze zwei Stellen. Ich würde Ihnen raten, einmal andere Ministerien zu durchforsten und vergleichbare unbesetzte Stellen aufzuspüren.
Auch Frau Wilms-Kegel hat in bezug auf die erwartete fachliche Begleitung, die allen Abgeordneten zukommt, wenn sie unterwegs sind — das würde sonst moniert — , die Frage nach den vergeudeten Steuermitteln gestellt. Im Gegenteil geht es hier darum, daß die Fachleistungen des Ministeriums auch den Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es wird dann weiter gefragt bezüglich der Novellierung im Arzneimittelgesetz, ob diese Aufgabe an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales übergegangen sei. Herr Jaunich, informieren Sie sich doch dort einmal, von wem die Initiativen, die Vorschläge und die Abstimmungen bei diesem Vorhaben ausgehen! Sie erfahren dann, daß überhaupt keine Initiative vom BMA ausgegangen ist, allenfalls die Abstimmung.

(Jaunich [SPD]: Aber gemacht wird es doch!)

— Gemacht wird es bei uns. Ich habe den Eindruck,
Sie haben sich in jüngster Zeit sowohl in diesem Tat-



Bundesminister Frau Dr. Süssmuth
bestand, als auch in der Frage des neuen Vizepräsidenten nicht informiert.

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Er kann nicht lesen!)

Es wurde keine Information unterlassen, sondern einen neuen Vizepräsidenten gibt es zur Zeit noch gar nicht. Insofern sind Sie nicht ausgelassen worden.

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Wieder einmal falsch im Bild, Jaunich! — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Da lächelt er milde, weil er nichts aufzuweisen hat!)

Ich möchte dem Haushaltsausschuß für die Unterstützung der Stellen beim Arzneimittelinstitut danken. Wir werden den Antragstau mit Hilfe dieser Stellen und gesetzgeberischer Maßnahmen so schnell wie möglich zu lösen versuchen. Sie haben dazu gefragt: Wie werden Sie die Stellen zur Bewältigung des Antragstaus finanzieren? — 5 000 Anträge entfallen allein auf die Prüfung von Präparaten, die gleiche Wirkstoffe enthalten und für die gleiche Zulassungen vorliegen. Wir werden dabei auch die Risikoabwehr entsprechend berücksichtigen.
Ich unterstreiche, was hier mehrere gesagt haben: Im Bundesgesundheitsamt ist bei dem Antragstau — es lagen 1987 bis September so viele Anträge vor, wie sonst in acht Jahren — sehr hart gearbeitet worden. Selbst wenn wir noch einmal die Verbesserung der Effizienz in Betracht ziehen, sind diese Stellen unabdingbar. Wir werden selbstverständlich den zuständigen Ausschuß mit unseren Vorstellungen zum Abbau des Antragstaus auch in den nächsten Wochen unmittelbar vertraut machen. Dazu gehören auch die Fragen der Zweitanmelderproblematik; denn hier ist eine Klarstellung im Sinne der Beratungen des zuständigen Ausschusses erforderlich. Sie wird auch erfolgen.

(Jaunich [SPD]: Frau Ministerin, es ist doch schon ein paar Monate her, daß das bekannt wurde! — Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Herr Jaunich will das Denken verbieten!)

Ich denke, daß Gesetzespakete vernünftig gepackt werden müssen und daß dafür ein paar Monate nicht ausreichen. Auch zum Arzt im Praktikum sagen Sie mir immer wieder, Sie hätten ganz andere Vorstellungen. Ich kann nur sagen — bis zur jüngsten Gesundheitsministerkonferenz — : Alle kennen die Probleme, aber niemand nennt eine Alternative.
Ich halte es nicht für vertretbar, daß Sie hier im AiP nein sagen und genau wissen, daß Sie zum 1. Juli 1988 nicht nur hunderte, sondern jenen Anteil an jungen ausgebildeten Ärzten mehr in die Arbeitslosigkeit schicken, für die Stellen fehlen. Das ist für mich keine Anwort auf die geburtenstarken Jahrgänge in der Akademikerausbildung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104305400
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Jaunich?

Horst Jaunich (SPD):
Rede ID: ID1104305500
Frau Ministerin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß wir, auch wenn das vor Ihrer Amtszeit der Fall gewesen ist, diesem AiP-Konzept unser Hausärzteweiterbildungsgesetz entgegengesetzt und somit nicht alternativlos Ihre Pläne abgelehnt haben?

(Dr. Hoffacker [CDU/CSU]: Nein, das war nicht so!)


Dr. Rita Süssmuth (CDU):
Rede ID: ID1104305600
Herr Jaunich, ich setze Sie noch einmal über die Beschlüsse der jüngsten Gesundheitsministerkonferenz in Kenntnis: Jegliche Alternative zum AiP ist mit erheblichem Mehraufwand an neuen Stellen verbunden, die keines der Länder in diesem Bereich zu schaffen bereit ist. Sie müßten dann die Finanzierung eines erhöhten Stellenansatzes ermöglichen. Ich habe von keinem der Länder gehört, daß dies zu leisten ist.

(Zurufe von der SPD: Wieder keine Antwort!)

— Ja, das Hausärzteweiterbildungsmodell ist keine Antwort für die junge Generation, die zunächst eine Ausbildung braucht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir waren einer Meinung darüber, daß die bisherige theoretische Ausbildung für die Tätigkeit am Patienten nicht ausreicht. Darüber gibt es in der Bundesrepublik keine Uneinheit. Ich hoffe, wir gehen gemeinsam an die Kapazitätslösung, um junge Menschen nicht in die falsche Richtung zu schicken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zu den Aufgaben der Gesundheitspolitik gehört Vorsorge. Wir müssen aufpassen, daß nicht Dinge un-umkehrbar entschieden werden. Deswegen ist gerade der Bereich Gentechnologie, Fortpflanzungsmedizin, Leihmutterschaft von außerordentlich hoher Bedeutung bei den Vorhaben des nächsten Jahres. Wir sehen hier sehr deutlich, daß vor Freisetzungen Richtlinien erweiterter Art dasein müssen. Darüber haben wir vor kurzem im Bundestag, wie alle bestätigt haben, sehr verantwortungsvoll diskutiert und entsprechende Handlungsrichtlinien vorgegeben.
Ich möchte auch noch einmal Frau Wilms-Kegel etwas sagen. Sie ist zur Zeit, glaube ich, nicht da.

(Zurufe von den GRÜNEN: Doch, doch!)

— Entschuldigung! — Sie sagen, die Gesundheit nimmt im Haushalt 0,1 % ein. Ich betone hier noch einmal ausdrücklich: Sie haben völlig außen vor gelassen, daß für Gesundheitsforschung gerade im Bereich der großen Krankheiten — Krebsbekämpfung, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Mukoviszidose, multiple Sklerose, Rheuma — und für den Dienst an der Gesundheit 139 Millionen angesetzt sind. Unabhängig davon laufen die Mittel für AIDS-Forschung. Ich wiederhole etwas, was mehrfach gesagt worden ist: Kein Projekt, kein Antrag wird wegen fehlender Mittel mit Nein beschieden. Das ist eine Zusage, die der Bundeskanzler selber gegeben hat,

(Eimer [Fürth] [FDP]: Auch der Haushaltsausschuß!)

ebenso — das wird gerade mit Recht gesagt — der Haushaltsausschuß.



Bundesministerin Frau Dr. Süssmuth
In der Bundesrepublik ist in wenigen Jahren auf Grund des Engagements der Forscher und Forscherinnen, aber auch auf Grund der Rahmenbedingungen der Forschungsförderung der Stand der USA und Frankreichs, d. h. der zwei führenden Forschungsnationen in diesem Bereich erreicht worden. Das spricht nicht für Untätigkeit auf diesem Feld.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Gerade große Volkskrankheiten und Prävention müssen im Rahmen der Strukturreform des Gesundheitswesens gesehen werden; ihnen wird dort Rechnung getragen, Herr Jaunich.

(Frau Wilms-Kegel [GRÜNE]: Und im Rahmen des Umweltschutzes!)

Vorhin wurde mir gesagt, ich hätte mich als Frauenministerin ausgewiesen; im Gesundheitsbereich sei ich untätig. Frau Schmidt, ich kann nur sagen: Einen Großteil meiner Zeit stecke ich gerade in den Gesundheitsbereich. Ich sage hier vor der Bevölkerung gar nicht, ich sei eine ausgewiesene Medizinerin. Aber ich kümmere mich um die Sachen. Jeder braucht eine Einarbeitungszeit. Ich halte nichts davon, in Kürze einen Bereich nach draußen zu vertreten, wenn ich noch in der Lernphase bin. Ich meine, die Gesundheitspolitik ist bei uns auf einem guten Weg und in guten Händen. Nicht alles aus einem Ärzteblatt, das in seinen Veröffentlichungen Personalpolitik oder Ressortpolitik macht,

(Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

muß schon als ernstzunehmende Kritik hier im Hohen Hause behandelt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Unter den Herausforderungen, die wir als lebensbedrohlich erfahren, hat AIDS einen besonders hohen Stellenwert. Wir arbeiten hier mit der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur AIDS-Frage eng zusammen. Ich möchte hier noch einmal betonen, daß sich die Bundesregierung dieser Krankheit von allem Anfang an sehr verantwortungsvoll gestellt, nicht abgewartet, sondern gehandelt hat. Ich wiederhole hier: Aufklärung und Beratung sind die wichtigsten Aufgaben, solange wir kein Heilmittel haben. Denn nichts ist wichtiger, als sich vor dieser Krankheit zu schützen. Kein Staat, selbst der nicht, der sich als besonders stark — wo immer — gerieren möchte, ist auf diesem Feld von der Eigenverantwortlichkeit seiner Bürger unabhängig. Ohne diese Eigenverantwortlichkeit kann er die Krankheit nicht bekämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD — Waltemathe [SPD]: Selbst ein Freistaat nicht!)

Es geht zugleich darum, Kranke und Infizierte zu betreuen: stationär und ambulant im medizinischen Bereich sowie im Bereich einer umfassenden Lebenshilfe, wie sie uns besonders bei den Drogenabhängigen erforderlich erscheint. Unser nächster Schwerpunkt wird noch stärker als bisher in der Arbeit mit den Drogenabhängigen liegen, weil hier eine besondere Gefahrenquelle besteht.
Wenn der Haushaltsausschuß die Mittel gerade hier großzügigst bewilligt hat, dann ist hier ausdrücklich
Dank zu sagen. Denn es wird meistens nicht gesagt, in welchem Umfang wir auf der Bundesebene Leistungen — die die Länder zur Zeit noch nicht erbringen oder nicht erbringen können — zubilligen, um hier keine Lücken entstehen zu lassen. Dies ist kein Hinweis, daß die Länder hier zuständig seien. Angesichts dieser Aufgabe — ob es die Hilfen für AIDS-Kranke mit Kindern sind, ob es um 309 Beauftragte in Gesundheitsämtern, die vom Bund bezahlt werden geht oder ob es der jüngste Schwerpunkt „AIDS und Frauen" ist — gibt es hier, so denke ich, keinen Anlaß, uns Untätigkeit vorwerfen zu lassen.

(Frau Schmidt [Nürnberg] [SPD]: Das hat auch niemand gesagt!)

Ich möchte hier auch noch einmal klarstellen, daß all dies auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarungen geschieht — in Abstimmung mit den Ländern, mit der EG und mit der Weltgesundheitsorganisation — und daß zu diesen Vereinbarungen auch gehört — das sage ich deutlich —, daß das Bundes-Seuchengesetz wie auch unser Strafrecht überall dort einzusetzen sind, wo Menschen das Leben anderer gefährden, sich fahrlässig oder vorsätzlich über bestehende Rechtsnormen hinwegsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies ist es, was nicht hinnehmbar ist. Dazu gehört auch: Wer infiziert ist, muß seinen Sexualpartner informieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Lebensbedrohung, die von AIDS ausgeht, spüren viele Mitbürger. Täglich überschütten die Medien sie mit neuen Informationen. Hierunter sind viele, die aufklären. Aber vieles dient auch eher einer Sensationssucht und einer Vernebelung. Wenn etwa — wie in einem der jüngsten „Spiegel"-Artikel — Horrorgemälde ohne verläßliche Zahlenbasis gemalt werden, wenn Bürger in Panik versetzt werden, wenn fälschlich behauptet wird, die ansteckenden Retroviren flögen durch die Luft, wenn in apo alyptischen Visionen Untergangsstimmung verbreite wird, dann werden hier Bürger in massiver Weise f lsch informiert, verunsichert und in Angst versetzt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dies halte ich für unerträglich. Wir brauchen hier gerade im Bereich der Medien ein besonders hohes Verantwortungsbewußtsein. Sonst werden Geister mobilisiert, die niemand verantworten kann.
AIDS geht alle an. Unser Kampf gegen AIDS ist ein Kampf gegen Krankheit, Leiden und Tod. Dieser Kampf wird von den direkt und indirekt Betroffenen sehr hautnah und sinnlich erfahren. Gerade Infizierte und Kranke vermitteln uns ihre Liebe zum Leben, ihre Hoffnung auf Leben. Sie verpflichten uns auf das Leben: das gesunde und das kranke, das geborene wie das ungeborene. Darum müssen wir mehr tun, um die Zukunftschancen für beides — aber auch, das sage ich hier genauso nachdrücklich, für das ungeborene Leben — zu verbessern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das gilt für die materiellen Lebensbedingungen, aber
es geht um mehr als um die materiellen Voraussetzun-



Bundesministerin Frau Dr. Süssmuth
gen. Es geht um Lebensbejahung, um Achtung menschlichen Lebens und um Engagement für die Betroffenen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP, der SPD und der GRÜNEN)

Deswegen wiederhole ich hier: Die Erhöhung der Stiftungsmittel um 30 Millionen,

(Sehr gut! bei der CDU/CSU)

die Verlängerung des Erziehungsgeldgesetzes mit dem Urlaub, das von 100 % der Nichterwerbstätigen, von 94 % der Erwerbstätigen und von nahezu allen Alleinerziehenden in Anspruch genommen wird, all das sind Maßnahmen, die hier sehr oft verteufelt worden sind, zu denen ich aber nur feststellen kann: Die Inanspruchnahme spricht eine andere Sprache.
Alle auf diesem Feld Tätigen wissen, daß Familienpolitik keine Politik der Wohltaten ist, sondern eine Politik der Zukunftsgestaltung und der Vorsorge für künftige Generationen. Ohne Nachwuchs, ohne Menschen, die in ihren Familien gelernt haben, füreinander zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen, wird es in der Wirtschaft nicht weitergehen, ja, es wird dann insgesamt nicht genug verantwortliche Menschen geben können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen bitte ich darum: Reißen wir die Dinge nicht an der falschen Stelle auseinander.
Es stimmt, daß es erhebliche Probleme bereitet, ein grundsätzliches Umdenken herbeizuführen. Wir alle miteinander gehen, auch bei der Gestaltung der Rentenreform, noch von überkommenen Systemen aus. Anerkennung von Erziehung und Pflege in den Familien, das ist sehr viel leichter gesagt als umgesetzt.
Frau Schmidt, ich behaupte nicht, daß ich schon — gewissermaßen in einem Zug — den großen Schritt getan hätte, aber ich denke, daß wir in der Familien- und Frauenpolitik noch nie soviel Dynamik hatten wie gegenwärtig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Manchmal scheint mir, daß das, was Sie hier gesagt haben, der Enttäuschung über das zuvor nicht Erreichte entspringt, denn manches wäre heute leichter, wenn wir auf diesem Felde bereits etwas anderes vorgefunden hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU: Bravo! — Sehr gut! — So ist es!)

Ich denke an das Erziehungsgeld und an den Erziehungsurlaub für Mütter und Väter, und ich denke an die Frage, ob denn damals die 430-DM-Arbeitsplätze überprüft worden sind, denn diejenigen, die heute verschämt in Altersarmut leben, sind über lange Jahre in diese Zeit hineingewachsen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Von daher muß ich sagen: Ich erlebe gegenwärtig Aufbruch und Dynamik, allerdings auch sehr harte Notwendigkeiten, für die Gestaltung unserer Zukunft zu handeln. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Etwa die Beantwortung der Frage, wie wir mehr häusliche Pflege absichern, ist längst überfällig.
Zur Jugendpolitik sage ich abschließend: Ich habe mich hier nicht für die Einhaltung dessen, was die Gesetze gebieten, zu rechtfertigen. Ich setze mich, wie es auch Herr Link seinerseits tut, mit den Jugendverbänden auseinander. Ich wünsche mir, daß sie weniger Nabelschau betreiben und mehr Verkrustungen abbauen, Aufgaben und Chancen der Gegenwart wahrnehmen und in diesem Sinne verantwortlich für junge Menschen und mit jungen Menschen tätig werden.
Mit dem Dank verbinde ich die Hoffnung, daß wir das im Haushalt Bewilligte sorgfältig, verantwortungsbewußt und hilfreich für die Menschen umsetzen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1104305700
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1276 bis 1278.
Herr Abgeordneter Kleinert, ist Ihre Fraktion damit einverstanden, daß wir über diese Anträge in einer Abstimmung befinden?

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Nein, das geht nicht!)

— Ich rufe diese Änderungsanträge in der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung auf.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1276? — Gegenprobe! — Enthaltungen?
— Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1277? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1278? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 15. Wer dem Einzelplan 15 — Geschäftsbereich des Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erstere war die Mehrheit. Der Einzelplan 15 ist damit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Beratung über den Einzelplan 16 fortgesetzt.
Die Sitzung ist unterbrochen.

(Unterbrechung von 13.17 bis 14.00 Uhr)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104305800
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.



Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe auf:
Einzelplan 16
Geschäftsbereich des Bundesministers für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
— Drucksachen 11/1066, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Waltemathe Schmitz (Baesweiler)

Dr. Weng (Gerlingen) Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1253 bis 11/1259 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. — Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104305900
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus einem Haushaltsplan müßte sich eigentlich die Dringlichkeit der Einordnung von Problemen und ihrer Lösung herauslesen lassen. Für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat die Bundesregierung für das Jahr 1988 einen Gesamtbetrag von knapp 500 Millionen DM veranschlagt. Das sind ganze 0,18 % des Bundeshaushalts oder 1 % des Anteils, den der Verteidigungshaushalt an diesem Haushalt ausmacht.

(Zuruf des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU])

500 Millionen DM — das ist ungefährt so viel, wie für die Lagerhaltung von Butter ausgegeben wird, und 500 Millionen DM dürften der Gegenwert sein, den wir irgendwann Ende der 90er Jahre für zehn, vielleicht auch für ein ganzes Dutzend neuer Panzerabwehrhubschrauber bezahlt haben werden.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Erstaunlich, daß Sie früher mit noch weniger ausgekommen sind!)

Von den 500 Millionen DM wird für wirkliche Umweltinvestitionen aus diesem Bereich und für Umweltforschung etwa ein Drittel ausgegeben.
Verehrter Herr Minister Dr. Töpfer, Sie haben ein neues Amt übertragen bekommen; Verstand hatten Sie ja schon als rheinland-pfälzischer Umweltminister. Aber Sie sollten diesen Verstand dann auch gebrauchen, um für mehr Geld und für einen größeren Einfluß auf die Umweltpolitik zu kämpfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das sagen Sie jetzt nach London?)

— Auf London komme ich noch zu sprechen, Herr Kollege Göhner. Ich spreche allerdings nicht stereo, sondern immer einen Satz nach dem anderen.
Sie haben um die großen Probleme gewußt, zu deren Lösung Sie herausgefordert sind. Da verblüfft es doch schon, wenn in Ihren schriftlichen Vorbemerkungen zum Bundesumwelthaushalt 1988 das offenkundige Mißverhältnis zwischen Umweltsituation und katastrophalem Haushaltsansatz verniedlicht wird. Dort steht folgendes zu lesen:
Die Haushaltsansätze auf Bundesebene können grundsätzlich keinen Aufschluß über die Wirksamkeit der Umweltschutzmaßnahmen des Bundes geben.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Richtig!)

Sie weisen auf das Verursacherprinzip hin und darauf, daß z. B. die nach § 7 d des Einkommensteuergesetzes erhöht abschreibungsfähigen Umweltinvestitionen der gewerblichen Wirtschaft im Jahre 1985 über 3,8 Milliarden DM betragen haben. Sie weisen ferner darauf hin, daß auch in anderen Einzelplänen des Bundeshaushalts Umweltausgaben veranschlagt sind.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Auch richtig!)

Das bestreite ich gar nicht.
Sehen wir uns diese beiden Punkte doch einmal etwas näher an. Während Sie Reklame machen für die Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 d des Einkommensteuergesetzes, hat die Bundesregierung bzw. der Bundesfinanzminister vorgeschlagen, diese Regelung im Einkommensteuergesetz zu streichen. Haben Sie also bislang in den Koalitionsgesprächen dagegen protestiert, und werden Sie bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung die Streichung mittragen?

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Es wird doch gar nichts gestrichen!)

Da man das annehmen muß: Werden Sie nicht dann logischerweise einen weitaus größeren Umwelthaushalt fordern müssen, wenn Sie die steuerlichen Abschreibungen kappen?
Zweitens. Es stimmt, daß auch im Forschungshaushalt u. a. Mittel für die Umweltforschung enthalten sind. Ich hoffe nicht, daß Sie dazu auch die Forschungskosten für den Ausbau der Kernenergie gerechnet haben. Wie es auch sei: Auch der Forschungsminister hat schon kräftig an den umweltrelevanten Forschungen herumgestrichen. Außerdem muß er auch noch 90 Millionen DM seines Etats global einsparen. Es wäre also besser, wenn Sie sich nicht allzusehr auf die Haushalte anderer Minister bzw. Ministerien verlassen würden.
Es geht überhaupt kein Weg daran vorbei: Der sehr bescheidene Haushalt Ihres Ministeriums ist ein deutliches Symptom für die äußerst bescheidene Bedeutung, welche die Umweltpolitik dieser Bundesregierung einnimmt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Leider wahr!)

Das nach Tschernobyl und vor der Niedersachsenwahl so eilig geschaffene neue Ministerium ist bislang in jeder Hinsicht ein Torso ohne wirkliche Kompetenzen und ohne wesentliche finanzielle Möglichkeiten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Eher ein Grund zur Trauer!)

Es war offensichtlich als Propagandaabteilung zur Beruhigung der immer umweltbewußter werdenden Öffentlichkeit gedacht.



Waltemathe
Da hat es jetzt offensichtlich auch den richtigen Minister. Einfallsreichtum, um mit schönen, fernsehgerechten Aktionen aufzutreten, will ich Ihnen überhaupt nicht absprechen. Natürlich macht es Eindruck, wenn man mit der Taucherglocke den Rheinboden inspiziert oder Gutscheine für bleifreies Benzin verlost.

(Harries [CDU/CSU]: Information ist alles!)

Umweltpolitik ist das allerdings noch nicht. Nicht ganz so gelungen war im übrigen Ihr Auftreten bei der Verpackungsmittelmesse, als Sie sich auch noch einen Kasten mit Einwegflaschen in die Hand drücken ließen.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Öffentliche Auftritte gönnen wir Ihnen. Klappern gehört zum Handwerk. Daran gibt es gar nichts zu kritisieren. Wir möchten Ihnen auch nicht sämtliche Versäumnisse früherer Bundesregierungen anlasten, die ja schließlich nicht in Ihre Verantwortung fallen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das wäre einmal interessant zu hören!)

— Es gab ja auch noch einen Vorgänger. Einen Vorvorgänger gab es auch, der damals Innenminister hieß. Den gibt es immer noch.
Wir meinen nur, daß die Kraftlosigkeit nicht das Spiegelbild des Einfallsreichtums bleiben darf.
In der Umweltpolitik sind u. a. öffentliche Investitionen vonnöten. Das ist kein Gegensatz zum Verursacherprinzip. Die wichtigsten Träger öffentlicher Umweltinvestitionen aber sind Länder und Kommunen. Sie investieren schon jetzt das Eineinhalbfache dessen, was das produzierende Gewerbe im Umweltbereich leistet. Die Steueränderungspläne der Bundesregierung werden nun Länder und Kommunen erheblich belasten und damit weitgehend investitionsunfähig machen.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Der Vorschlag der SPD für ein Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" liegt seit langem auf dem Tisch.

(Zuruf von der CDU/CSU: Alte Jacke!)

Daß dieser Vorschlag ein Programm zur Milderung und Eindämmung von Arbeitslosigkeit bedeuten kann, erkennen inzwischen auch schon andere als die Sozialdemokraten.

(Baum [FDP]: Wer denn?)

— Herr Franke z. B., Herr Baum. — Daß das ein wichtiger Beitrag zur Beseitigung von Altlasten und zur Umweltvorsorge wäre, wann wird das erkannt werden? Hoffentlich nicht zu spät.
Bleiben wir bei den Altlasten. Giftablagerungen aus Kriegseinwirkungen, aus vergangenen Industrieproduktionen und aus allzu sorgloser Abfallbeseitigung werden Sanierungskosten — geschätzt — zwischen 15 und 50 Milliarden DM verursachen. Ob Sanierungen gelingen, bevor die Gifte ins Grundwasser einsikkern, ist nicht sicher. Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Hier ist die Bundesregierung gefordert, Länder und Kommunen nicht mit den Problemen sitzenzulassen.
Ich komme jetzt zur Nordseeschutzkonferenz. Sie gehört, auch wenn offensichtlich erste bescheidene Fortschritte erzielt worden sind, nicht zu den Ruhmesblättern. Es ist nicht zu bestreiten — das sage ich vorweg -- : Insbesondere die Briten leisten auch weiterhin erhebliche Widerstände gegen viele Regelungen zum Schutz der Nordsee. Aber mit dieser Feststellung können wir uns ja nicht begnügen.
Natürlich machen Umweltschäden aller Art vor Grenzen nicht halt. Der Hinweis auf internationale Politik ist überhaupt nicht unberechtigt. Aber wer mit einem Finger auf andere zeigt, muß nachweisen, daß er mit den übrigen neun Fingern beider Hände zu Hause anpackt.

(Richtig! bei den GRÜNEN)

So schrieb die „Süddeutsche Zeitung" vorgestern, am 24. November 1987 — ich zitiere — :
Hauptübeltäter an der Nordsee sind immer noch die Deutschen selbst,

(Baum [FDP]: Auch die DDR!)

die Elbe-Verschmutzer aus der DDR eingeschlossen. Von den 93 000 Tonnen Sonderabfällen, die jedes Jahr in Spezialschiffen auf See verbrannt werden und über die Atmosphäre ins Meer gelangen, kommt das meiste aus der Bundesrepublik.
Es heißt weiter:
Doch über die Hälfte aller Schadstoffe, die Flüsse in die Nordsee spülen, überbringt der Rhein. Dessen Abwässer aber sind sehr deutsch. Und was man dem Wattenmeer antut, das wird vor allem in Niedersachsen und Schleswig-Holstein entschieden.
Soweit dieses Zitat.
Da diese Feststellungen zutreffen, ist es um so unverständlicher, daß es der Bundesumweltminister, der zuvor der Umweltminister des Landes Rheinland-Pfalz war, u. a. abgelehnt hat, ein Sanierungsprogramm Saar/Mosel in seinen Haushalt aufzunehmen.

(Urbaniak [SPD]: Hört! Hört!)

Herr Minister, ich habe bereits am 21. September in Ihrem Hause beim Berichterstattergespräch den entsprechenden Antrag, der dem Bundesrat vorlag, und vier Tage später, am 25. September im Bundesrat beschlossen worden ist, aufgegriffen. CDU und FDP lehnten dieses Anliegen ab. Den Antrag der SPDHaushaltspolitiker vom 8. Oktober im Haushaltsausschuß lehnte die Koalitionsmehrheit abermals ab. Just an diesem Tag, am 8. Oktober, fühlte sich der jetzige Umweltminister des Landes Rheinland-Pfalz bemüßigt, die rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen anzuschreiben, damit sie sich für ein Saar/Mosel-Programm einsetzen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der muß den Töpfer anschreiben!)

Das Ergebnis ist nun, daß am 12. November — außer einer lahmen Erklärung, daß die Bundesregierung gelegentlich einmal berichten möge — kein einziger Pfennig in den Bundeshaushalt 1988 für diese umweltpolitisch erforderliche Maßnahme eingestellt



Waltemathe
worden ist. Es gibt keinerlei Initiative des Bundesumweltministers, hier zu Hause etwas voranzubringen.

(Zurufe von der SPD: Im Gegenteil!)

Meine Damen und Herren, Herrn Töpfer ist keinesfalls die Erblast anzulasten, die Herr Wallmann ihm hinterlassen hat. Gemeint ist das in Zusammenhang mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl strahlenverseuchte Molkepulver aus bayerischen Landen, das sich zu einem kleineren Teil in Bayern befindet, zum größeren Teil aber in Bundesbahnwaggons auf Bundeswehrgelände in Meppen. Eigentlich müßte Herr Wallmann ja die Schenkungssteuer selber tragen,

(Heiterkeit bei der SPD)

denn der erste Versuch von Herrn Töpfer, das Molkepulver, das nach seinen — Wallmanns — Aussagen nach drei Monaten eigentlich gar kein Thema mehr sein sollte, in Hessen behandeln zu lassen, schlug fehl. Nun versucht der Bundesumweltminister, in Lingen eine Strahlenentseuchung des Molkepulvers vornehmen zu lassen. Dafür sollen im nächsten Jahr 8,15 Millionen DM zur Verfügung stehen.
Ohne mich dazu äußern zu wollen, ob eine Endlagerung nicht sinnvoller und billiger wäre,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Wo denn?)

muß ich doch fragen, warum die Bundesregierung und ihr Umweltminister den Weg in die Atomwirtschaft eigentlich weitergehen wollen, wenn ein vergleichsweise so überschaubares und geringfügiges Problem eines weit entfernten Reaktorunfalls in unserer Gesellschaft noch nicht einmal so leicht gelöst werden kann und nun schon anderthalb Jahre daran herumgebastelt wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104306000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Weng?

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104306100
Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104306200
Selbstverständlich nicht.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104306300
Kollege Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1104306400
Herr Kollege Waltemathe, geben Sie mir recht, wenn ich sage, daß der Beitrag, den Sie gerade geleistet haben, kein Beitrag zur Lösung des Problem ist?

(Lachen bei der SPD)


Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104306500
Ich weiß nicht, ob eine Rede vor dem Deutschen Bundestag überhaupt eine Lösung von Problemen darstellt. Wir verweigern der Bundesregierung ja nicht das Geld, ein Problem zu lösen. Ich habe nur gefragt, ob man hierzulande mit der Atomwirtschaft weitermachen kann, wenn man hier noch nicht einmal ein solch geringfügiges Problem zeitgerecht lösen kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ein letztes Beispiel betrifft die Personalpolitik. Die Personalausstattung des Umweltbundesamtes muß verbessert werden, damit Durchführung und Weiterentwicklung der Wasserhaushaltsgesetzgebung, der Chemikaliengesetzgebung, der Pflanzenschutzgesetzgebung, der Abfallgesetzgebung geleistet werden können. Entsprechende Anträge auf Aufstockung des Personals sind von der Koalitionsmehrheit in wesentlichen Teilen abgelehnt worden, obwohl sie von uns so vorgeschlagen worden waren, daß sie aus Einsparungen an anderer Stelle hätten finanziert werden können, also den Haushalt nicht ausgeweitet hätten.
Dafür leistet sich diese Bundesregierung in ihrem zweitkleinsten Ministerium gleich zwei Parlamentarische Staatssekretäre; einer ist hier anwesend.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Der soll das Molkepulver verstecken! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist der Molke-Staatssekretär! — Zuruf von der CDU/CSU: Beide Staatssekretäre sind anwesend!)

Bislang hat Herr Minister Töpfer nicht erklären können, warum er zwei Parlamentarische Staatssekretäre braucht. Unser Antrag, einen von den beiden — wir haben den nicht auszuwählen — mit Folgekosten zur Verfügung zu stellen und mit den einzusparenden 550 000 DM pro Jahr Personal dort zu bezahlen, wo es für die Durchsetzung von Umweltpolitik benötigt wird, wurde schnöde abgelehnt. Ich fordere Herrn Minister Töpfer auf, heute hier und der Öffentlichkeit zu Protokoll des Bundestages zu erklären, was nun der wirkliche Grund dafür ist, neben einem beamteten Staatssekretär — den ich auch begrüßen darf; auch er ist anwesend — noch zwei weitere Parlamentarische Staatssekretäre, ich will nicht sagen: zu beschäftigen, aber im Umweltministerium um sich zu versammeln.

(Dr. Hauff [SPD]: Zu bezahlen! — Schäfer [Offenburg] [SPD]: ABM-Programm!)

Sie mögen mir dann gleichzeitig erklären, weshalb Ihnen in allerletzter Minute, am 12. November dieses Jahres, eingefallen ist, daß Sie noch unbedingt eine Referentenstelle mit über 100 000 DM Kosten benötigen, deren Sinn nicht einmal dem CDU-Berichterstatter bekannt war und für die der beamtete Staatssekretär — der Parlamentarische war nicht da; der hat ja bloß zwei —

(Heiterkeit bei der SPD)

dem Haushaltsausschuß die verblüffende Auskunft gab, es müsse ein Referat für Ethik und Moral der Umweltpolitik eingerichtet werden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Du liebe Zeit!)

Herr Minister, an dieser Stelle will ich anerkennen, daß im übrigen die Zusammenarbeit mit Ihnen und den Damen und Herren ihres Hauses, mit den Berichterstattern des Haushaltsausschusses angenehm und fair gewesen ist. Dafür danke ich. Ebenso danke ich dafür, daß Sie bei beiden Berichterstattergesprächen persönlich Rede und Antwort gestanden haben.
Ich fasse zusammen. Der Haushalt des Umweltministers spiegelt einerseits den nicht mehr zu verantwortenden Weg in den Atomstaat wider und andererseits das Charakteristische der Umweltpolitik dieser Bundesregierung. Es wird leider mehr geredet, es



Waltemathe
werden leider mehr Propagandaaktionen gestartet, als daß umweltpolitisch gehandelt würde.

(Beifall bei der SPD)

Zur Fortsetzung einer solchen Politik möchten wir Sozialdemokraten nicht beitragen und werden deshalb Ihren Etat ablehnen.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104306600
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitz (Baesweiler).

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104306700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Waltemathe, das war ja eigentlich ein Stückchen der Versuch einer Entschuldigung für Fehler und Versäumnisse in der Vergangenheit. Ich will es einmal in ein Bild kleiden: Diese Bundesregierung und ihre Umweltpolitik nimmt sich gegenüber der von Ihnen früher geführten Bundesregierung etwa so aus wie ein D-Zug im Vergleich zu einer Schnecke.

(Lachen bei der SPD)

Diese Geschwindigkeit und diese Dimension haben Sie offenbar noch nicht begriffen und wollen sie auch gar nicht begreifen.

(Becker [Nienberge] [SPD]: Baum muß das alles hören!)

— Ich weiß, das regt Sie jetzt auf. — Dann kommt dann wahrscheinlich demnächst Herr Hauff und sagt dann auch: Alles zuwenig. Ich stelle nur immer eines fest: Ihr hättet das alles machen können, ihr wart 13 Jahre an der Regierung,

(Becker [Nienberge] [SPD]: Herr Baum! — Gegenruf des Abg. Dr. Göhner [CDU/CSU]: Herr Hauff!)

Ihr habt auf den Ohren gestanden, nichts getan und herumgesessen.
Meine Damen und Herren, der Etat des Bundesumweltministers steigt im Jahr 1988 gegenüber dem Vorjahr um immerhin 10,7 %.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Von 0,17 auf 0,18!)

Wenn man einmal die Entschädigungsleistungen wegen des Reaktorunfalls in Tschernobyl unbeachtet läßt, ist das immerhin eine gute Leistung. Berücksichtigt man, daß auf Grund der sparsamen Haushaltsführung der Bundeshaushalt insgesamt nur um 2,4 steigt, so wird klar, welche Bedeutung diese Koalition und die von ihr getragene Bundesregierung dem Umweltschutz beimessen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gegenüber dem Regierungsentwurf ist durch den Haushaltsausschuß die Steigerungsrate von 7,9 % auf insgesamt 10,7 % erhöht worden. Auch in den zukünftigen Jahren wird der Umweltschutz bei der Verteilung von sowohl personellen wie auch finanziellen Ressourcen Vorrang haben müssen, Herr Kollege Waltemathe, und ich hoffe, daß Sie uns dabei unterstützen werden.
Lassen Sie mich einige wenige Eckwerte herausgreifen. In diesem Jahr liegt ein Schwerpunkt des Zuwachses beim Personal. Ich halte das für richtig.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Bei den Staatssekretären!)

Bei einem Ministerium, das aufwächst, ist dies notwendig, Herr Kollege Stahl. Trotz des allgemeinen Zwangs zum Sparen und trotz einer allgemeinen Stellenkürzung von 1 % steigt die Zahl der Stellen beim BMU insgesamt um 56. Das ist ein Personalzuwachs um immerhin 5,2 %. Beim Umweltbundesamt hat der Haushaltsausschuß die Zahl der neuen Stellen von 6 auf immerhin 13 erhöht. Sie sollten froh darüber sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Damit sollen beim Umweltbundesamt vor allen Dingen so wichtige Aufgaben wie die Störfallvorsorge, die Lösung der Abfallprobleme und der Vollzug des Pflanzenschutzgesetzes besser wahrgenommen werden. Der überwiegende Teil des Personalzuwachses entfällt sicherlich auf das Ministerium. Die Zahl der Mitarbeiter im Ministerium steigt um 8,1 % von 518 auf 560 Mitarbeiter. Solide Umweltpolitik benötigt natürlich auch ausreichendes und qualifiziertes Personal. Mit den 42 neuen Stellen für das Umweltministerium ist eine noch schlagfähigere Organisation, so meine ich, zu gewährleisten.
Dies muß jetzt umgesetzt werden. Deutlich verstärkt werden die Bereiche Abfallwirtschaft, Gewässerschutz und Strahlenschutzvorsorge. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit beim Umweltschutz.
Allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich in diesem Zusammenhang auf einen Umstand hinweisen, der uns etwas Sorge bereitet, nämlich die Unterbringung des Ministeriums, das zwischenzeitlich auf sieben Standorte — das ist natürlich bei einem neuen Haus und in dieser Organisation etwas schwierig — verteilt ist. Die Entfernungen betragen stellenweise bis zu 10 km. Dies bedeutet hohen Sachaufwand und hohen Personalaufwand.
Der Haushaltsausschuß hat hier deutlich darauf hingewiesen, daß das Umweltministerium kein Ministerium der langen Wege bleiben darf. Deswegen meine ich, daß auch die Errichtung eines Neubaus immerhin möglich gemacht werden muß, unter Umständen durch einen privaten Bauträger. Dies darf kein Tabu sein. Hier müssen die Wege kürzer werden. Hier muß das wirtschaftlich Vertretbare und Machbare, meine ich, Vorrang haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Etat des Umweltministers mag sicherlich — Herr Kollege Waltemathe, darauf haben Sie hingewiesen — mit 495,3 Millionen DM auf den ersten Blick recht klein erscheinen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Nicht nur klein! Das ist eine Mickymaus im Vergleich zum Bundeshaushalt!)

Aber, meine Damen und Herren, vernünftige Umweltpolitik an der Höhe des Umweltetats zu messen ist falsch.



Schmitz (Baesweiler)

Lieber Herr Kollege Stahl, hätten Sie wenigstens dieses Geld gehabt und damit etwas getan und hätten Sie ein solches Haus eingerichtet,

(Becker [Nienberge] [SPD]: Konnte er gar nicht! Das mußte Herr Baum doch tun!)

dann wäre in dieser Richtung vieles andere vermieden worden, was wir heute beklagen. Deswegen ist es völlig falsch, die Politik an der Höhe des Etats zu messen. Die Qualität einer Umweltpolitik ist in erster Linie an der Durchsetzung des Verursacher- und des Vorsorgeprinzips abzulesen, an nichts anderem.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Also, der Baum wird Ihnen gleich die Leviten lesen!)

Es ist daher folgerichtig, daß in der Bundesrepublik Deutschland die Aufwendungen für den Umweltschutz, die inzwischen jährlich eine vielfache Milliardenhöhe erreicht haben, nicht nur vom Staat, sondern auch von allen an der Wirtschaft Beteiligten mit aufgebracht werden müssen.
Allein durch die Maßnahmen bei der Luftreinhaltung im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung ist es immerhin so, daß wir ein Investitionsvolumen in der Größenordnung von über 50 Milliarden DM erreicht haben. Dadurch werden neue Arbeitsplätze in der Größenordnung von 70 000 — hören Sie: 70 000 — geschaffen und auch gesichert. Dies ist marktwirtschaftliche Umweltpolitik.
Das Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", dieser alte Hut — ich will es einmal sagen — , den die SPD immer wieder hervorzuziehen versucht, ist volkswirtschaftlich nutzlos und hat umweltpolitisch einen falschen Ansatz. Deswegen meine ich, Subventionen nach einem solchen Programm würden um so höher ausfallen, je größer der Umfang der Umweltverschmutzung eines Betriebes wäre.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104306800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl, Herr Kollege?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104306900
Frau Präsidentin, ich habe eine sehr knappe Zeit.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Es wird nicht angerechnet!)

— Wenn es nicht angerechnet wird: Ja, Herr Kollege Stahl, weil Sie es sind.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1104307000
Herr Kollege Schmitz (Baesweiler), würden Sie mir zustimmen, daß, auch wenn Sie davon sprechen, daß das Programm „Arbeit und Umwelt" ein alter Hut ist, im Innenministerium und zumindest bei Ihrem Koalitionspartner, der FDP, derzeit ernsthafte Überlegungen vorhanden sind, derartige Programme ebenfalls aufzulegen, erstens um Arbeitsplätze zu schaffen und zweitens um die Umwelt zu entlasten, und daß dies jetzt neue „alte Hüte" sind?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104307100
Ich werde Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege Stahl, aus dem einfachen Grunde, weil ich diese Überlegungen, falls sie vorhanden sind, erst einmal im Lichte dessen prüfen will. Was wir im Haushaltsausschuß dann für sinnvoll und für nicht sinnvoll halten, werden wir Ihnen im nächsten Jahr sagen können.
Deswegen sind wir richtig beraten, wenn wir nicht nachher zusätzliche Umweltinvestitionen lediglich
— wie Sie es gerade auch dargestellt haben — durch Umschichtung der Finanzierung zu Lasten des Steuerzahlers machen; denn niemand anderes wird das ja wohl bezahlen. Und da müssen wir uns über die Konditionen erst noch unterhalten.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Was machen wir denn mit der Wohnungsbausanierung? Was ist denn damit?)

Drittens. In Wahrheit verbirgt sich hinter diesem Programm nichts anderes als das, was ich Ihnen eben gesagt habe, nämlich dieses Beschäftigungsprogramm alter sozialdemokratischer Provenienz. Es ist nichts Neues mehr hinzugekommen. Alte Kiste.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Sie sind nicht nur arrogant, Sie sind auch verblendet!)

Alle diese Programme der Vergangenheit haben dem Bundeshaushalt eine Menge Schulden — Sie haben nie über rentierliche Kosten gesprochen —

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Von Schulden würde ich nicht reden! Stoltenberg hört zu!)

— ja, das wollen Sie nicht hören —, eingebracht.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Stoltenberg hört zu, was Schulden angeht!)

— Aber unter ganz anderen Bedingungen. (Lachen bei der SPD)

Sie haben dies alles gemacht, indem Sie — — Hören Sie doch mal zu!

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Es gibt gute und böse Schulden! Das ist die Philosophie!)

— Also, Lachen ist noch immer nicht der Ausdruck einer großen Intelligenz. Ich will Ihnen das einmal sagen.

(Reimann [SPD]: Aber Ihre Aussage war die größte Intelligenz?)

Es ist immerhin unter ganz anderen Bedingungen zustande gekommen,

(Zuruf von der SPD: Andere Mehrheit!)

nämlich dergestalt, daß dies nicht für rein konsumtive Ausgaben der Fall gewesen ist wie in Ihrer Zeit, sondern investive Ausgaben in großer Zahl vorhanden sind.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Seit wann kann man denn die Häuser fressen?)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104307200
Meine Damen und Herren, zuerst hat hier der Redner die Möglichkeit zu reden. Wenn ich bitten darf.

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104307300
Dann haben Sie den Unterschied zwischen konsumtiv und investiv nie begriffen. Angesichts der Tatsache, daß Sie das nicht



Schmitz (Baesweiler)

begriffen haben, verstehe ich auch, daß Sie nicht mehr als Staatssekretär dienen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das war aber schwach!)

Welche Erfolge bei konsequenter Durchsetzung des Verursacherprinzips zu erzielen sind, möchte ich an einigen Zahlen klarmachen: Noch 1982 wurden bundesweit 2,9 Millionen t Schwefeldioxid in die Luft geblasen. Gegenwärtig sind es nur 1,4 Millionen t. Das ist allein hier eine Abnahme um mehr als die Hälfte innerhalb von fünf Jahren.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Rechnen Sie Buschhaus wieder dazu!)

13 Jahre haben Sie geschlafen, und jetzt kommen Sie hierher und reden große Töne.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Buschhaus!)

— Buschhaus war eine Erfindung der SPD. Die haben die Genehmigung gar nicht richtig beurteilt.
Ähnlich erfolgreich ist die Entwicklung bei Stickoxiden. Dort ist eine Abnahme von 3,1 Millionen t im Jahre 1982 auf insgesamt 1,7 Millionen t im Jahre 1991 zu erwarten. Das ist ein Rückgang um 45 %. Darüber sollten sich die GRÜNEN mal freuen und nicht hier rummaulen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wer mault denn? Wir sind doch ganz ruhig!)

Der Ausstoß von Blei wurde von 7 000 t im Jahre 1982 auf 5 000 t im Jahre 1987 gesenkt, um 30 %. Allein durch das Verbot des bleihaltigen Normalbenzins ab 1. Januar 1988 und die anhaltende Zunahme der Zahl der Autos mit geregelten Dreiwegekatalysatoren wird sich der Ausstoß weiter deutlich verringern. Schon jetzt ist jedes vierte Auto mit einem Ottomotor, das neu zugelassen wird, mit einem solchen Katalysator ausgestattet.
Herr Kollege Hauff, Sie waren ja mal Verkehrsminister. Hätten Sie den Mut gehabt, damals diese Maßnahmen einzuleiten, wären wir heute schon viel, viel weiter. Ich hoffe, Sie werden nachher darauf eingehen.
Meine Damen und Herren, auch im Bereich des Gewässerschutzes wird es darauf ankommen, dem Verursacherprinzip Geltung zu verschaffen. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang sagen: Auf der Nordseekonferenz — und, Herr Minister, ich gratuliere Ihnen dazu — sind die ersten Schritte eingeleitet worden. Das ist sicherlich nicht genug, aber die richtige Richtung, der richtige Weg.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen bin ich der Meinung, daß, wenn der Schadstoffeintrag in die Nordsee aus großen Flüssen kommt, die Nordseeanliegerstaaten ihre Anliegen sicherlich berechtigt vortragen, daß aber auch die Staaten hätten anwesend sein müssen, die die Umweltbelastungen durch die Einleitungen in die großen Flüsse mitverursachen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aber die Nordsee bleibt dreckig!)

— Ja.
So stammen z. B. am Unterlauf der Elbe weit über 90 % der Schadstoffe aus Einleitungen in der DDR und in der Tschechoslowakei. Hier bedarf es einer gesamteuropäischen Lösung, die alle Staaten in Ost und West mit einbezieht. Wir begrüßen daher, Herr Minister Töpfer, ausdrücklich Ihre Initiative, die alle europäischen Staaten in Ost und West mit an den Tisch der Verhandlung ruft und eine Elbeschutzkommission aller Anliegerstaaten ins Leben rufen will.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wir können dies doch nur unterstützen.

Vor diesem Hintergrund ist auch der Beschluß des Haushaltsausschusses zu sehen, Herr Kollege Waltemathe, der die Bundesregierung um einen Bericht zu den Möglichkeiten der Sanierung nicht nur von Saar und Mosel, sondern auch anderer Flüsse gebeten hat.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist aber wenig!)

Erforderlich ist eine sorgfältige Bestandsaufnahme.

(Zuruf von der SPD)

— Ich weiß ja nicht, wie Sie das machen. Zuerst muß ich doch mal genau wissen, was los ist, und erst dann bin ich bereit zu zahlen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Aber Sie wissen das doch nicht!)

— Das wissen Sie auch nicht.

(Waltemathe [SPD]: Dann war der Bundesrat blöd, ein Verfassungsorgan!)

— Was der Bundesrat beschließt, beschließt der Bundesrat in seiner eigenen Machtvollkommenheit. Ich denke, daß wir als Haushälter das Recht haben,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Die Pflicht!)

bevor wir die Geldbörse öffnen, zu wissen, was los ist. Damit ist im Prinzip nichts verschüttet und im Grunde genommen der erste Schritt zu einer vernünftigen Gesamtlösung getan.

(Waltemathe [SPD]: Sogar der Herr Töpfer weiß das!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104307400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Weng?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104307500
Aber gerne.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1104307600
Herr Kollege Schmitz, gehen Sie mit mir in der Auffassung einig, daß es, wenn die Länder freiwillig auf Kompetenzen verzichten wollen,

(Waltemathe [SPD]: Nein!)

an sich angezeigt ist, daß sie die dafür zur Verfügung stehenden Finanzmittel dem Bund zur Verfügung geben?

Hans Peter Schmitz (CDU):
Rede ID: ID1104307700
Das wird Gegenstand der Verhandlungen sein. Ich bin Ihnen dankbar



Schmitz (Baesweiler)

für diese Frage. Denn das deutet genau diesen Weg an.

(Zurufe von der SPD)

Darüber müssen wir miteinander reden. Ich denke, man kann dem Bund nicht alles anlasten.

(Waltemathe [SPD]: Jetzt wissen wir, wie Minister Stoltenberg seine Schulden bezahlt: über die Länder!)

— Das hat damit gar nichts zu tun. Wir wollen sachgerechte Lösungen. Die bedürfen natürlich auch vernünftiger Überlegungen im Verhältnis Bund/Länder zueinander. Das ist völlig klar. Darüber gibt es doch keinen Streit.
Abschließend noch einen Blick auf den Bereich der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes. Auch hier liegt die Zuwachsrate mit 8,6 % weit über dem Durchschnitt. Für die CDU/CSU-Fraktion gilt unverändert der Grundsatz: Sicherheit hat Vorrang vor wirtschaftlichen Erwägungen. Die Konsequenzen, die aus dem Reaktorunfall von Tschernobyl zu ziehen sind, schlagen sich in den Zahlen des Haushalts nieder.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Nichts ist kapiert worden!)

Auch für die Dekontaminierung der 5 000 Tonnen Molkepulver, die im Eigentum des Bundes stehen, hat der Haushaltsausschuß die notwendigen Mittel bereitgestellt. Nach derzeitiger Schätzung werden Gesamtkosten in Höhe von 13,4 Millionen DM anfallen, wovon im Jahre 1988 8,15 Millionen verbraucht werden. Im Interesse einer zügigen Abwicklung der De-kontaminierung hat der Haushaltsausschuß auf eine Sperre verzichtet, Frau Kollegin Vennegerts, nur deswegen. Gegen die Stimmen der GRÜNEN hat sich der Ausschuß mit Mehrheit für den Weg der Dekontaminierung des Molkepulvers und gegen eine Endlagerung ausgesprochen, aus guten Gründen. Sie schüren Angst in der Bevölkerung. Wenn wir ein Endlager fordern und das Endlager dann errichtet ist, sind Sie die ersten, die dagegen demonstrieren.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Es gibt kein sicheres, Herr Kollege! Gorleben ist eingebrochen! Das wissen Sie doch! Stellen Sie sich nicht so an!)

Deswegen haben wir darauf verzichtet. Ich halte es eigentlich für unverantwortlich, so zu verfahren.
Lassen Sie mich feststellen, meine Damen und Herren: Dieses Ministerium ist im Aufwachsen begriffen. Ich habe das eben schon gesagt. Ich denke, daß der Entschluß des Bundeskanzlers damals, ein solches Ministerium einzurichten, richtig gewesen ist.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das war ein reiner Propagandatrick, sonst gar nichts! — Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Wollen Sie es abschaffen?)

— Das wäre die Folge von einer solchen Verhaltensweise. — Daß wir heute in der Lage sind, in wichtigen Teilen auch international die Schritte zu unternehmen, die notwendig sind, zeigt, daß diese Entscheidung schon zum jetzigen Zeitpunkt zum Erfolg führt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hinzufügen: Das Bundesumweltministerium hat seit seiner Gründung konstruktive Arbeit geleistet. Das soll fortgesetzt werden. Das soll auf die wichtigsten Fragen konzentriert werden. Auch für das nächste Jahr sind die Weichen richtig gestellt.
Eine abschließende Bemerkung. Den Sozialdemokraten ist offenbar nicht aufgegangen, daß sie einen Großteil der Mitschuld an gewissen Bewegungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland haben. Hätten Sie in all den dreizehn Jahren, in denen Sie die Führung hier in Bonn gehabt haben, nicht Gelegenheit genug gehabt, bestimmte Bewegungen im grünen Bereich zu verhindern, wenn Sie die Fragen und Probleme angepackt hätten?

(Stahl [Kempen] [SPD]: Was Sie jetzt sagen, glauben Sie selbst nicht! Es ist mehr gemacht worden, als Sie zugeben wollen! — Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Deswegen lassen Sie mich Ihnen sagen: Wir werden diesem Einzelplan zustimmen. Ich möchte mich an dieser Stelle für die Zusammenarbeit mit dem Ministerium bedanken.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104307800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104307900
Neues Wasser, neuen Mut! — Verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute steht der Umwelthaushalt der Bundesregierung auf dem Prüfstand. Verantwortlich sind Sie, Herr Minister Töpfer. Lassen Sie mich diese Auseinandersetzung auf einer Ebene beginnen, wo wir uns beide begegnen: mit dem Respekt vor dem Fachwissen und vor dem Menschen. Es ist ein Vergnügen, Ihnen in der Fragestunde bei. den Antworten im Deutschen Bundestag zuzuhören, wenn Sie Wissen und Esprit einsetzen und den Fragenden nicht mit dummen Redensarten abspeisen wie mancher Staatssekretär dieser Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Dadurch unterscheiden Sie sich wohltuend von manchen Kollegen. Aber in der Politik zählt nicht, was man weiß, sondern was man durchsetzt — das ist eine einfache Wahrheit —,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Siehe London!)

und durchgesetzt haben Sie mit diesem Haushalt wahrlich wenig. Hält er einer Umweltverträglichkeitsprüfung stand?
Wie ist er denn entstanden? Die Gründung des Umweltministeriums war eine Schockreaktion auf Tschernobyl, nicht bewußtes, verantwortliches Handeln zugunsten der Umwelt. Herr Minister Wallmann mußte wie ein Lumpensammler die Haushaltsbrocken aus den Ressorts Inneres, Landwirtschaft sowie Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zusammenklauben und daraus einen Haushalt machen. Neue Ideen konnte man von Herrn Wallmann nicht erwar-



Dr. Knabe
ten; denn man hatte ihm diesen Posten nur gegeben, um ihn ministrabel zu machen, ihn als Gegenspieler der hessischen Regierung aufzubauen. Dies gelang dank schwerer politischer Fehler von SPD und GRÜNEN, die eine Koalition erst aufkündigten und dann im Wahlkampf neu verkündeten. Das geht nicht gut. Aber vom Umweltschutz hatte Herr Wallmann weder Ahnung noch an ihm Interesse.

(Baum [FDP]: Das kann doch nicht wahr sein!)

Vielleicht spielt dieses Aufbauen zum kommenden Landesfürsten im Saarland auch bei Ihnen eine Rolle. Aber von einem wegen seiner Fachkompetenz als Nicht-Abgeordneter berufenen Umweltminister hätte man einen Gesamtentwuf erwartet, mit neuen Schwerpunkten und Akzenten,

(Baum [FDP]: Das ist die Koalitionsvereinbarung!)

wie es der ökologische Notstand erfordert. Doch nichts dergleichen ist zu erkennen.

(Baum [FDP]: Haben Sie die Koalitionsvereinbarung nicht gelesen?)

Man hakelt sich mühsam und zäh an den Haushaltsposten des Vorjahres entlang: Hier ein paar tausend Mark mehr, dort ein paar tausend Mark weniger, als ob das Vorjahr kein Flickenteppich, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger, erfolgreicher Umweltpolitik gewesen wäre. Weniger als die lächerlichen 1,8 Promille des Bundeshaushaltes bekommen nur noch die Herren Engelhard und Schwarz-Schilling. Und da in dieser Gesellschaft die Bedeutung einer Person und einer Sache leider nur am Geld gemessen wird, ist Ihre Basis damit äußerst schmal, wenn man sie mit den 25,7 Milliarden des häufig naturzerstörenden Haushalts des Verkehrsministers vergleicht. Das ist mehr als 50mal soviel!
Frau Garbe und Herr Waltemathe haben bereits darauf hingewiesen, daß auch andere Ministerien Umweltschutzmaßnahmen finanzieren, auch wenn es zum Teil nur Blümchen sind, die man da pflanzt, wo der Panzer die Landschaft vorher zerwühlt hat. Das will ich nicht in Abrede stellen. Aber der Haushalt des Umweltministers müßte Projekte enthalten, die dem ökologischen Notstand angemessen sind. Wenn ich von ökologischem Notstand spreche, meine ich 5 bis 6 Millionen Tonnen Giftmüll jährlich, das Eindringen von Pestiziden, von Säure und Schwermetallen ins Grundwasser, die Nordseevergiftung, über die man gerade in London nur halbherzig verhandelte, die Waldschäden, die sich in den Gebirgen zum Hochwaldsterben steigern, die schwere Erkrankung alter Buchen und Eichen überall im Lande, die unheimliche Zunahme von Allergien und Krebserkrankungen und die Vergiftung und Zerstörung des Bodens, auf die ich noch später eingehen werde. Da sind schließlich die Nachwirkungen von Tschernobyl und das russische Roulette unserer eigenen Atomkraftwerke, bei denen keiner weiß, wann das erste hochgeht.

(Beifall bei den GRÜNEN — Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Sie haben die DDR vergessen!)

Natürlich sagt der Haushalt nicht alles über die Umweltpolitik; das ist hier auch schon gesagt worden. Er ist nur ein Mosaiksteinchen im Gesamtbild, wenn auch ein sehr bedeutendes. Aber wie steht es ansonsten mit Ihrer Politik?
Ihr erster Satz in der Haushaltsdebatte am 9. September 1987, heute vom Vertreter der CDU noch einmal zitiert, lautete: „Qualität und Nachdruck der Umweltpolitik sind in erster Linie an der Durchsetzung des Verursacher- und Vorsorgeprinzips, nicht an den Ziffern und den Prozentsätzen des Haushalts abzulesen. " Wie weit sind wir denn mit der Vorsorge gekommen? Muß die Verpackungsindustrie, die viel zum gegenwärtigen Müllnotstand beiträgt, dafür aufkommen? Haben Sie den alten Vorstoß des Umweltbundesamtes und der GRÜNEN, Einwegflaschen zu verbieten, aufgegriffen? Muß die Automobilindustrie für die Unfallfolgen — jährlich über 8 000 Tote! — und die horrenden Umweltschäden aufkommen? Nein!
Als Umweltminister müßten Sie doch aufstehen und Ihren begriffsstutzigen Kollegen klarmachen, was die Stunde geschlagen hat, ihnen den Unterschied zwischen Vorsorge und Nachsorge zu erklären. Es genügt nicht, einfach am Ende des Prozesses einen Filter draufzupappen und dann zu suchen, wo der Abfall bleibt. Nein, an der Quelle muß man anfangen, den Prozeß anders gestalten.
In den Leitlinien der Bundesregierung zur Umweltvorsorge geben Sie ja die Gefahren bestehender Produktionsformen zu; aber das Handlungskonzept reicht nicht aus, ganz zu schweigen von einem konsequenten ökologischen Umbau bestehender Strukturen, der erforderlich wäre.
Vergeblich habe ich auf ein Wort von Ihnen zur Verkehrspolitik gewartet. Wissen Sie, was im Bundesverkehrswegeplan drin steht? Knapp 8 000 km neue Autobahnen und Fernstraßen in den nächsten Jahren, fast achtmal die Strecke Flensburg—Partenkirchen, quer durch die Landschaft. Wie viele reizvolle Landschaften gehen dadurch zum Teufel, werden zerschnitten oder unwiederbringlich zerstört? Haben Sie ein großzügiges Entsiegelungsprogramm angemahnt, das dem Wasser wieder erlauben würde, in den Boden einzudringen und so die natürlichen Kreisläufe wiederherzustellen? Aber das können Sie gar nicht, denn Sie dürfen ja nichts gegen das Auto sagen, gegen das Wachstum dieser Branche, die eine verheerende ökologische und soziale Gesamtbilanz aufweist:

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Haben Sie ein Auto?)

seit dem Zweiten Weltkrieg über eine halbe Million totgefahrener Menschen, Zehntausende von Verkrüppelten, zerstörte Landschaften durch Straßenbau und verpestete Luft. Dazu hört man von Ihnen nichts. Im Gegenteil, Ihre Regierung feiert jedes neu zugelassene Automobil als großen Erfolg des Wachstums. Haben Sie denn noch nicht verstanden, daß diese Art von Wachstum ein fataler Irrweg ist? Sie müssen an die Wurzeln des Übels gehen, wir alle, nicht nur an die Auspuffrohre. Der beste Verkehr ist der, der gar nicht erst entsteht.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Dr. Knabe
Wo bleibt der große Wurf im Bodenschutz? Herr Baum sagte am 6. November in der Aktuellen Stunde zum Waldschadensbericht: „Bodenschutz ist wichtig, Bodenschutz ist eine Jahrhundertaufgabe." Die Regierung hat offensichtlich verstanden: Bodenschutz hat noch hundert Jahre Zeit!
Herr Bayha fordert in der gleichen Debatte ein Sofortprogramm zum Schutze der Waldböden und des Trinkwassers und erklärt die Bewahrung der Funktionsfähigkeit des Ökosystems Wald für die wichtigste Aufgabe unserer Zeit. Der Haushalt spiegelt das nicht wider. Der Umweltminister drückt sich zum Bodenschutz in seiner Haushaltsrede sehr verschwommen aus: Man müsse im gesamten Bereich des Bodenschutzes und der Wasserwirtschaft unsere Aufgaben weiterführen und sei auch hier ein ganzes Stück vorangekommen. Ja, wo denn, Herr Minister? Werden Sie doch endlich einmal konkret.
Das Bodenschutzprogramm liegt seit zwei Jahren vor. Seitdem ist die Zerstörung nicht abgebaut worden, sondern weiter fortgeschritten, ob das nun die Erosion in den Maisäckern, oder die Versauerung der Waldböden ist, die Überbauung oder die Kontamination mit Giften aller Art. Wir fordern konkrete Schritte. Wir GRÜNEN haben dazu Programme vorgelegt: für die Landwirtschaft, gegen den Straßenbau, zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, das umweltfreundliche Maßnahmen und nicht neue Straßen fördern sollte.
Ich möchte nicht unbedingt wie andere den Vorwurf erheben, Sie seien konfliktscheu; aber Sie haben keine Basis, die Sie unaufhörlich nach vorn treibt, die von Ihnen immer schärfere Maßnahmen fordert, wie es dem grünen Umweltminister Fischer in Hessen erging. Hinter Ihnen stehen viele Leute, die Sie an allen Rockzipfeln zurückhalten. Zwei haben Sie in der Waldschadensdebatte genannt: Hausbesitzer bei der Kleinfeuerungsanlagen-Verordnung und die Mineralölwirtschaft bei der Luftreinhaltung. Die stärksten Kräfte haben Sie nicht genannt: Automobilindustrie, Chemiewirtschaft und die Banken, die nur an die Verzinsung ihrer Kapitalien denken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dabei weiß ich, daß auch in Ihrer Partei Abgeordnete sind, denen die Lage des Waldes am Herzen liegt. Wenn man Herrn Bayha, Herrn Schmidbauer oder andere sprechen hört, merkt man das. Und das ist gut so, denn die Therapie des kranken Waldes muß in den Köpfen beginnen. Eine Partei allein kann ihn nicht retten. Auch der letzte Banker müßte begreifen, daß er mitverantwortlich für die heutige Naturzerstörung ist. Sie, Herr Minister, treffen diese Herren ja bei vielen Empfängen, können sie kraft Ihres Amtes vielleicht direkt erreichen, wir nur über ihre Frauen, die im Bioladen einkaufen, oder über ihre Kinder, die in der Schule oder in der Universität zu den GRÜNEN kommen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

Ich will noch ein Wort zur Atomenergie anschließen, die von manchen Rednern der Koalition als Ausweg aus der Umweltkrise gesehen wird. Sehen Sie, vor 20 Jahren war die Anhörung zum Kernkraftwerk
Würgassen, und ich war damals als Gutachter zum nicht nuklearen Teil geladen. Damals meinte ich, es wäre ein Weg, den Wald zu retten. Heute weiß ich mehr. Heute weiß ich, daß nach Tschernobyl das weitere Laufen dieser Werke nicht mehr zu verantworten ist, daß man es unmöglich zulassen darf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Tschernobyl sind 5 % kritische Masse herausgekommen. 100 % hätten bedeutet: Kiew wäre wohl nicht mehr bewohnbar, und wir alle wüßten nicht, ob und wann bei uns der Krebs ausbricht und ob wir jemals gesunde Kinder erwarten können.
Betrachten wir also den Umwelthaushalt dieser Regierung abschließend, so ist ganz klar: Einer Umweltverträglichkeitsprüfung hält er nicht stand. In der Schule würde man sagen: Durchgefallen!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104308000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1104308100
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Vorbemerkung machen. Ich sehe mit großer Betroffenheit die Vorgänge um die Christus-Kirche in Ost-Berlin, wo junge Menschen offenbar nur deshalb von Staatsorganen verfolgt werden, weil sie sich um den Umweltschutz kümmern.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Heute sind weitere Verhaftungen erfolgt. Umweltschutz ohne öffentliche Meinung ist nicht vorstellbar. Das wird auch dort jetzt sichtbar.
Die jetzige Bundesregierung setzt die Umweltpolitik konsequent fort. Sie baut auf der früheren Umweltpolitik auf. Ich möchte hier zu diesen Schuldzuweisungen nicht Stellung nehmen. Ohne das erste Umweltprogramm von 1971 unter dem Umweltminister Genscher, wo ein Investitionsvolumen von 30 Milliarden DM in Gang gesetzt worden ist, säßen wir heute nicht vor dieser Bilanz.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist einiges versäumt worden. Diese Verantwortung trifft nicht eine Gruppe allein. Ich erinnere an das Verhalten der früheren Bundesratsmehrheit. Aber Schluß mit dieser Diskussion, meine Damen und Herren.
Die Probleme sind unwahrscheinlich vielfältig. Wir stehen vor einem Berg von Problemen. Wir haben ausgewählt. Die Koalition hat eine Koalitionsvereinbarung getroffen. Hier haben wir Prioritäten gesetzt. Es ist sicher richtig und wichtig, daß immer größere Anteile unseres Bruttosozialprodukts national und international in den Umweltschutz fließen müssen. Wir tun das auf der Grundlage der Marktwirtschaft, die auch staatliche Rahmenregelungen braucht, mitunter auch öffentliche Förderung. Das Verursacherprinzip aber ist das beste Umweltprogramm, das wir uns vorstellen können.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)




Baum
Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie diese Koalitionsvereinbarung zügig verwirklicht und uns die Gesetze auch so rechtzeitig vorgelegt, daß wir sie in Ruhe beraten können.
Es liegt aber nicht an den Gesetzen allein, meine Damen und Herren. Wir haben ein Vollzugsdefizit im Wasserbereich und woanders. Wir sollten das nicht aus dem Auge verlieren.
Zwei Schwerpunkte: Trinkwasser. Die Koalition hat einen Antrag zum Gewässerschutz eingebracht. Für uns ist das ein Schwerpunkt unserer Politik. Mich hat besorgt gemacht die Stellungnahme der RheinWasserwerke.
Weltweite Klimaveränderung: Wir haben in diesem Herbst die stärkste Schädigung des Ozons, die es bisher über dem Südpol überhaupt gegeben hat. Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus. Es gibt eine Vereinbarung mit der Wirtschaft. Ich frage: Wann kommt die Kennzeichnung von Spraydosen?

(Frau Saibold [GRÜNE]: Wann kommt das Verbot?)

Wir müssen hier — das haben wir ausdrücklich vereinbart — notfalls auch mit nationalen Verboten arbeiten, vor allem in den Bereichen, die noch nicht geregelt sind. Ich mahne auch an, ich erwarte von der Bundesregierung, daß die Vereinbarung, mit den Staaten der Dritten Welt zu verhandeln, um die tropischen Regenwälder zu schützen, möglichst bald zu einem Vorschlag führt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Das hängt alles auch mit dem Treibhauseffekt zusammen, der uns hier in einer Enquete-Kommission ja beschäftigen wird.
Wir haben einen weiteren großen Problembereich: Abfall. Hier hat die Bundesregierung jetzt das Instrumentarium. Es muß zügig umgesetzt werden. Es gibt bereits erste Erfolge.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Wo denn?)

Es gibt Vereinbarungen mit der Industrie. Das ist der schnellste und effizienteste Weg. Wenn es aber nicht zu Vereinbarungen kommt, müssen auch die staatlichen Zwangsmittel eingesetzt werden. Herr Töpfer, ich sehe keinen Horizont z. B. in Sachen Batterien. Wir haben eine erhebliche Schädigung des Grundwassers durch Batterien.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Haben Sie alles abgelehnt!)

Wenn es nicht bald zu Regelungen kommt, müssen wir von den Mitteln, die das Gesetz möglich gemacht hat, nämlich von einer Pfandregelung, Gebrauch machen.
Meine Damen und Herren, zum Abschluß möchte ich mich bei den Mitarbeitern des Ministeriums bedanken. Sie haben in der schwierigen Aufbauphase wichtige Arbeit geleistet. Ich möchte den Dank auf das Umweltbundesamt erstrecken. Es stößt auch nach den Personalbewilligungen in diesem Haushalt an die Grenzen seiner Personalkapazität. Ich bin also in diesem Punkt nicht ganz einverstanden. Dort müßte mehr getan werden. Wir können nicht Gesetze verabschieden, die niemand umsetzt. Wir brauchen ein stärkeres Umweltbundesamt.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung, und wir unterstützen auch diesen Haushalt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104308200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hauff.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1104308300
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Land steht vor zwei großen grundlegenden gesellschaftspolitischen Herausforderungen: einerseits die Entwicklung von Technik und Wirtschaft so zu steuern und zu gestalten, daß die Umwelt saniert und in Zukunft vorsorgend geschützt wird, und zweitens vor der Tatsache, daß über zwei Millionen Menschen in unserem Land Arbeit suchen und keine Arbeit finden.
Die Bundesregierung hat zu Beginn ihrer Tätigkeit diesen Menschen große Hoffnungen gemacht. Es war davon die Rede, daß man in absehbarer Zukunft die Zahl auf 1 Million senken wird. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit gestiegen. Die Bundesregierung hat bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit versagt. Sie hat beispielsweise die Chancen nicht erkannt, die in einer Verknüpfung von Umwelt und Arbeit liegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich stimme dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Franke, zu, der entsprechend unseren Vorstellungen ein Programm gefordert hat — nicht ein Beschäftigungsprogramm, sondern ein Programm, das wie unser Vorschlag auf 10 Jahre angelegt ist, ein Programm zur Strukturveränderung in unserer Wirtschaft, um damit die Umwelt in Ordnung zu bringen.

(Beifall der Abg. Frau Blunck [SPD])

Ich stimme auch den Sozialausschüssen der CDU zu. Es wäre schön, wenn sie auch hier das Wort ergreifen und nicht nur auf irgendwelchen Tagungen draußen etwas beschließen würden. Sie haben gesagt: Der Staat muß sinnvolle Arbeit zusätzlich organisieren, wenn dies vom Markt nicht zu erwarten ist. Als konkrete Felder, wo das angewendet werden kann, haben sie den Umweltschutz und die Energieeinsparung genannt. Das ist ein sinnvoller, ein vernünftiger Vorschlag.
Nur, Herr Töpfer, warum greifen Sie diese Vorschläge eigentlich nicht auf? Sie müßten doch an der Spitze dieser Entwicklung stehen, wenn es darum geht, für den Umweltschutz etwas zu tun.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es kommt darauf an, daß man das richtig Erkannte nicht nur formuliert, sondern auch durchsetzt.

(Zustimmung bei der SPD)

Das richtig Erkannte hat auch bei uns Lernprozesse ausgelöst. Ich erinnere an den Vorschlag von Herrn Matthöfer, der damals in meiner eigenen Partei und meiner eigenen Fraktion keine Mehrheit gefunden hat — das ist richtig — , der sich aber vom gedankli-



Dr. Hauff
chen Ansatz her Tag für Tag als richtiger erweist, nämlich zu sagen: Durch eine Steigerung des Energiepreisniveaus schaffen wir die Voraussetzung dafür, die ökologische Modernisierung in unserem Land finanzierbar zu machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Genau das war der Grund, warum wir vor zwei Jahren nicht einen veralteten Hut, sondern das Programm „Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen haben.
Die Regierungskoalition und die Bundesregierung haben es abgelehnt.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Aus guten Gründen!)

Nur, wie die Beispiele von Herrn Franke und den Sozialausschüssen zeigen, steigt die Zahl derer, die diesen Ansatz für richtig halten, Tag für Tag. Der Tag wird kommen, an dem der Druck auf die Regierung so groß wird, daß sie auf diesem Gebiet tätig werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Die Mittel dieses Sondervermögens müssen unseres Erachtens für Maßnahmen zur Energieeinsparung und zur Nutzung regenerativer Energiequellen eingesetzt werden. Auf diesem Feld kann bis zum Jahr 2000 mehr Energie gewonnen werden, als wir derzeit in der Bundesrepublik an Kernenergie produzieren.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Das Geld muß zur Beseitigung der Altlasten, des Industriemülls der letzten 150 Jahre eingesetzt werden. Das ist doch nicht ein Problem einer einzigen Regierung, sondern das Problem, das uns dort bedrängt, ist: 150 Jahre Industrialisierung in unserem Land.

(Beifall bei der SPD)

Da kann man sich nicht auf den Standpunkt stellen: Dafür sind die Bundesländer zuständig, und abwarten, bis die erste große Katastrophe da ist und ein großes Grundwasserbecken kontaminiert ist. Da muß man jetzt beginnen.
Die Mittel, die wir mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" vorschlagen, sind auch für die Sanierung der Flüsse und die Sicherung des Trinkwassers notwendig. Es müssen Anreize gegeben werden, über den Stand der Technik hinauszugehen und nicht bei den bestehenden Gesetzen zu bleiben,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

also technologische Schnelläufer zu fördern. Dazu muß ein Konzept her, wenn man diesen Weg gehen will. Dazu brauchen wir auch neue Anreize für künftige Entwicklungen. Es muß ein politischer und wirtschaftlicher Ordnungsrahmen geschaffen werden, der das ökologisch Notwendige in ökonomische Motivation umsetzt. Von einem solchen Zustand sind wir leider immer noch meilenweit entfernt.
Im wesentlichen ist unsere bisherige Umweltpolitik darauf aufgebaut, mit den Methoden und Mitteln eines bürokratischen Obrigkeitsstaates vorzugehen, allein Verbote, Gebote und Grenzwerte. Die werden auch in Zukunft notwendig sein. Aber was not tut, ist, daß wir die bisherige verhängnisvolle Arbeitsteilung überwinden, die bei der Anwendung dieser Mittel unausweichlich ist. Da ist dann auf der einen Seite die Politik — d. h. Parteien, Parlamente, die Regierungen, die öffentlichen Verwaltungen — zuständig, um bei bestimmten Maßnahmen den Nachweis zu führen, daß sie umweltpolitisch vernünftig, arbeitsmarktpolitisch vertretbar und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unschädlich sind. Auf der anderen Seite sind dann nicht nur die Verbände und die Unternehmen, sondern, so füge ich hinzu, teilweise auch die Betriebsräte, die dann öffentlich den Gegenbeweis führen, daß es umweltpolitisch übertrieben, arbeitsmarktpolitisch nicht vertretbar und für die internationale Wettbewerbsfähigkeit schädlich ist. Diese Art von Arbeitsteilung muß zu dem führen, was wir dann nachher Vollzugsdefizit nennen.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das ist aber bei Ihnen entstanden!)

Deswegen brauchen wir andere Instrumente, um den Strukturwandel voranzutreiben. — Hören Sie doch mit der Selbstgerechtigkeit auf, als ob in der Frage die eine Seite immer alles richtig und die andere alles falsch gemacht hätte. Das ist bei diesem Thema doch völlig unangemessen!

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die historische Erfahrung zeigt, daß diese Art von Strukturwandel dann am reibungslosesten funktioniert, wenn dieser Prozeß an dezentralen Entscheidungen orientiert ist, die die Vermeidung von Kosten zum Gegenstand haben. Deswegen darf Umweltverschmutzung nicht kostenlos sein, sondern sie muß ökonomisch bewertet und berechenbar werden.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie muß ihren Preis haben!)

Hier war die Politik in der Vergangenheit viel zu zaghaft. Wir waren viel zu sehr an Geboten, Verboten und Grenzwerten orientiert. Es gibt einige Ausnahmen. Die wichtigste dabei — ohne jeden Zweifel — ist die vor langen Jahren einmal eingeführte Abwasserabgabe, die sich ja im wesentlichen bewährt hat; sonst hätten Sie sie nicht fortgeschrieben.

(Baum [FDP]: Die höchst umstritten war!)

— Die höchst umstritten war. — Das ist ein solches Beispiel. Deswegen sage ich: Abgaben sind ein sinnvolles Instrument einer modernen Umweltpolitik.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Können es sein!)

Sie sind, um mit diesem Vorurteil endlich einmal aufzuräumen, kein Finanzierungsinstrument. Noch deutlicher formuliert: Umweltpolitisch erfüllt eine Abgabe ihren Zweck dann optimal, wenn das Aufkommen null ist. Dann hat sie ihren Sinn erfüllt,

(Beifall bei der SPD)

das ist geradezu ein Qualitätsmerkmal. Wenn beim Staat durch eine umweltpolitische Abgabe viel Geld hereinkommt, dann ist sie falsch dimensioniert.

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Jawohl!)

Deswegen sagen wir: Mit diesen Abgaben ist es möglich, das, was ökologisch notwendig ist, in ökonomische Motivation umzusetzen. Deswegen haben wir einmal ein Schwefelabgabengesetz vorgeschlagen.



Dr. Hauff
Deswegen werden wir weiter dabei bleiben, das Abgaben ein ganz wesentlicher Teil einer modernen Umweltpolitik sind. Wir möchten die Regierung gern ermuntern, mit uns zusammen darüber nachzudenken und das auf einzelnen umweltpolitischen Gebieten dann auch zu konkretisieren.
Ein wesentlich komplizierterer Weg, um Umweltkosten in den Produktionsprozeß zu integrieren, kann
— nach meiner Meinung: muß — ein verändertes Haftungsrecht sein. Die Risiken der Produktion für die Umwelt werden dadurch in den Produktionsprozeß selbst zurückgeführt. Gefährliche Stoffe und gefährliche Technologien verlieren dann an Marktwert. Das ist eine sinnvolle und moderne Umweltpolitik.
In diesen Zusammenhang gehört auch das Steuerrecht, etwa die Sonderabschreibungen auf Umweltinvestitionen. Ich stimme Ihnen, Herr Töpfer, zu, wenn Sie in einer Veröffentlichung der CDU darauf hinweisen, daß wirtschaftliche Anreize genauso bedeutsam — wenn nicht sogar bedeutsamer — sind wie direkte Zuschüsse. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, daß das so ist. Ich gehe noch einen Schritt weiter: Meines Erachtens müßte gerade dieses Instrument insofern verändert werden, als man damit nicht nur die Umweltinvestitionen wirtschaftlich begünstigt, die eine nachträgliche Reparatur darstellen, sondern auch diejenigen, mit denen der Prozeß des integrierten Umweltschutzes ausgebaut wird.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Da stimmen Sie auch zu!)

— Da stimmen sie auch zu. — Ich habe kein Problem mit Ihren Reden und mit Ihren Schriften, Herr Töpfer. Das Problem ist nur: Das, was in der Wirklichkeit passiert, ist das genaue Gegenteil dessen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was nützen mir denn schöne Reden, wenn dann hinterher was ganz anderes passiert?

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Es geht Stück für Stück voran!)

Oder ist es denn falsch — Sie haben vorhin schon den Kopf geschüttelt, als mein Kollege darauf hingewiesen hat — , daß es in einer Veröffentlichung des Bundesfinanzministeriums vom 5. November 1987 wörtlich heißt:
Die erhöhten Absetzungen nach dem § 7 d Einkommensteuergesetz (Umweltschutzinvestitionen) werden nicht über den 31. 12. 1990 hinaus verlängert.

(Schäfer [Tübingen] [SPD]: So ist es!)

Das ist die Wirklichkeit! Was nützen denn die Reden, was nützt es, zu sagen, das sei ein sinnvolles Instrument, wenn man gleichzeitig nicht widerspricht, wenn das Gegenteil passiert?

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104308400
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Göhner?

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1104308500
Aber selbstverständlich.

Dr. Reinhard Göhner (CDU):
Rede ID: ID1104308600
Herr Kollege Hauff, da wir im Grundsatz über die Notwendigkeit wirtschaftlicher Anreize für mehr Umweltschutz einig sind, darf ich Sie fragen, ob Ihnen ebenso wie dem Kollegen Waltemathe zu dem Punkt steuerliche Abschreibung entgangen ist, daß es sich um das Auslaufen einer von vornherein — eben aus Gründen des wirtschaftlichen Anreizes — befristeten gesetzlichen Regelung handelt, die dazu führen sollte, daß Investitionen zur Erreichung des Standes der Technik — etwa im Bereich der Luftreinhaltung — zeitlich vorgezogen werden, weshalb die zeitliche Befristung bis 1990 vorgesehen war, während nach 1990 entsprechend dem Gesetzentwurf des Landes Bayern eine steuerliche Abschreibung in diesem Bereich nur für die Investitionen erfolgt, die über den Stand der Technik hinausgehen?

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1104308700
Das ist mir sehr wohl bewußt, aber ich habe Ihnen vorhin ja erstens gesagt, daß ich der Meinung bin, daß dieses Instrument nicht nur dazu benutzt werden müßte, Dinge zeitlich vorzuziehen, sondern auch dazu, Dinge mitzufinanzieren, die über den Stand der Technik und über gesetzliche Vorschriften hinausgehen.

(Beifall bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/ CSU]: Also stimmen Sie mir zu!)

Zweitens habe ich Ihnen gesagt, daß man damit auch Maßnahmen des integrierten Umweltschutzes erfassen sollte,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Eben! Das wollen wir auch!)

daß in diese Richtung weitergedacht werden sollte. Das ist doch das Entscheidende!

(Zustimmung bei der SPD — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Also stimmen Sie dem zu?)

— Wo ist denn das Gesetz?

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Im Bundesrat eingebracht! Oder kennen Sie den Gesetzentwurf nicht?)

— Selbstverständlich kenne ich den!

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Da ist doch genau das vorgesehen!)

Meine Damen und Herren, auch in einzelnen wichtigen Bereichen der Umweltpolitik zeigt sich, daß selbst dort, wo die Regierung das Richtige erkannt hat, die Kraft fehlt, es durchzusetzen. Ich vermisse bis zur Stunde eine klare Aussage des zuständigen Ministers dazu, wie er es eigentlich mit der Staatszielbestimmung hält, welcher der verschiedenen Vorschläge, die in der öffentlichen Debatte sind, eigentlich seine Meinung wiedergibt.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Er hat keine!)

Natürlich kann das Kabinett dann anders entscheiden, aber Politik besteht doch auch darin, daß man klar und deutlich sagt, was die eigene Meinung ist, und daß man damit auch einen Konflikt in Kauf nimmt.
Wo bleibt das umfassende Gesamtkonzept zum Grundwasserschutz? Bleiben denn die Mahnrufe
— es sind geradezu Hilferufe — der Wasserwerke völlig ungehört?



Dr. Hauff
Wie ist es eigentlich mit der Höchstmengenverordnung? Ich weiß auch, daß da verschiedene Entwürfe herumgeistern, aber bis jetzt hat der Wirtschaftsminister bestimmt, was auf diesem Gebiet zulässig ist und was nicht zulässig ist.
Und was ist eigentlich mit dem Skandal der Einwegflaschen in diesem Land? Zusagen und freiwillige Vereinbarungen, die nicht eingehalten werden, das ist die Wirklichkeit auf diesem Gebiet,

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und die Regierung antwortet darauf mit endlosen Verhandlungen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Bis das System weg ist!)

Es gibt doch gar keinen Zweifel daran, daß die Industrie auf diesem Gebiet die Regierung an der Nase herumgeführt hat. Darauf muß man eine andere Antwort finden, als immer wieder neu zu verhandeln.
Und was ist mit dem Verbot der Treibgase, die unser Klima zerstören? Herr Baum hat mit Recht darauf hingewiesen. Ich möchte ihm ausdrücklich zustimmen. Wir müssen den Konflikt auf diesem Gebiet wagen. Das Problem ist sehr viel ernster, als wir alle miteinander bisher angenommen haben. Da macht es keinen Sinn, sich mit freiwilligen Vereinbarungen zu begnügen.
Was ist aus den ganzen großen Ankündigungen zu Gesetzesnovellen nach den Rheinkatastrophen geworden? Keine der angekündigten Gesetzesänderungen hat bis zur Stunde die gesetzgebenden Körperschaften erreicht. Keine hat das Parlament erreicht! Das ist die Wirklichkeit.
Nein, meine Damen und Herren, die Umweltpolitik dieser Regierung ist gekennzeichnet durch Zaghaftigkeit bis hin zur Konfliktscheu, durch Ankündigungen, denen keine Taten folgen, und auf weiten Gebieten durch die Unfähigkeit, das als richtig Erkannte und richtig Formulierte auch in die Wirklichkeit umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen lehnen wir diesen Haushalt ab.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104308800
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1104308900
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Hauff, Sie haben von Reden und Schriften und von Taten gesprochen. Es wäre ganz nett gewesen, wenn Sie sich z. B. auch zu einem sehr aktuellen Thema geäußert hätten, zu dem unmittelbar aktuellen Thema „Nordsee".

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das hat Herr Waltemathe gemacht! — Becker [Nienberge] [SPD]: Der ist für die Nordsee zuständig!)

— Ja, aber wenn Sie von Reden und von Taten sprechen, müssen Sie auch die Taten beurteilen können. Es reicht nicht, die Reden negativ zu beurteilen.

(Dr. Hauff [SPD]: Nein, die Reden beurteile ich positiv!)

Wir haben ja in den Haushaltsberatungen mit Recht den Brauch, daß wir keine Aktuellen Stunden ansetzen, weil wir alle Themen, insbesondere aktuelle Themen, in der Debatte ansprechen. Deswegen möchte ich mich besonders mit dieser Nordsee-Konferenz beschäftigen. Der Kollege Jansen hat im Mai dieses Jahres eine Menge an Prognosen ausgestreut. Leider ist er im Augenblick nicht zu entdecken.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Wen suchen Sie?)

— Kollege Jansen.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Der ist nicht vertreten! Er ist entschuldigt!)

— Sehen Sie, das ist schade. Er spricht ja hier oft über die Nordsee, aber das Ergebnis scheint ihn nicht zu interessieren.
Der Kollegin Jansen hat gesagt: Diese Konferenz wird überhaupt nichts erbringen, sie ist ein totgeborenes Kind. Er hat die Bundesregierung zwar nicht aufgefordert, nicht teilzunehmen, aber er war sehr pessimistisch.
Die Kollgin Garbe hat hier, was ich ihr gar nicht zugetraut habe, weil sie eigentlich eine optimistische Kollegin ist, eine ziemliche Grabrede gehalten. Eigentlich steht Ihnen das nicht, Frau Kollegin. Sie sind charmant, und Sie sind optimistisch.

(Zuruf von den GRÜNEN: Hören Sie mit dem Schmus auf!)

Sie sollten den positiven Teil erwähnen.
Nun komme ich zu den Taten. Ich finde, die Bundesregierung hat unter Führung des Umweltministers Töpfer unsere Forderungen wirkungsvoll eingebracht. Wir haben eine Menge gefordert. Es ist nicht alles Wirklichkeit geworden, aber es ist sehr viel mehr daraus geworden, als wir alle erwartet haben.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD)

— Doch, doch. Ich meine, das müssen wir hier einmal zugeben. Wer hätte denn gedacht, daß wir eine Halbierung des Eintrags der gefährlichen Stoffe und der Nährstoffe bis 1995 erreichen werden?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Bislang nur Absicht!)

Wie wird denn das Ende der Verbrennung und der Einbringung giftiger Abfälle gewertet?

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104309000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1104309100
Dem Kollegen Hauff immer.

Dr. Volker Hauff (SPD):
Rede ID: ID1104309200
Stimmen Sie mir zu, daß die Halbierung der gefährlichen Stoffe für den Bereich der Bundesrepublik bedeutet, daß über 90 % dieses Eintrags aus Flußzuführungen und Verschmutzungen stammen, die außerhalb der Bundesrepublik liegen, und daß es deshalb falsch war, daß die DDR und die CSSR an diesem Entscheidungsprozeß nicht beteiligt waren?




Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1104309300
Lieber Herr Kollege, Sie haben offensichtlich damit gerechnet, daß mir Ihre Fragezeit angerechnet wird. Das geschieht aber nicht. Sonst hätten Sie noch einen Augenblick gewartet und bemerkt, auf welches Thema ich zu sprechen komme. Sie machen sich die Sache ein wenig zu leicht. Das war auch in Ihrem Redebeitrag so.
Lichtenberg hat in Göttingen einmal gesagt — übrigens gibt es in der Landesvertretung Niedersachsen eine sehr empfehlenswerte Ausstellung über die Göttinger Sieben — : Um anderer Leute Fehler zu sehen, verwandeln manche Menschen ihre Augen in Mikroskope.
Sie sollten das nicht tun, sondern Ihren klaren Blick bewahren, auch für Taten.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich meine, das ist ein erheblicher Fortschritt für die Nordsee. Wir haben zum erstenmal erreicht, die Abwehrmechanismen der Briten zu durchbrechen. Als wir uns das letzte Mal über die Nordsee unterhalten haben, war die Stimmung in diesem Hause sehr viel pessimistischer und auch gedrückter. Der Fortschritt wurde augenscheinlich erzielt nicht nur durch unsere Appelle, sondern verdienstvollerweise auch durch das Wirken der Umweltverbände, von Greenpeace, der Nordseebäder und ganz augenscheinlich auch durch die Rede des britischen Thronfolgers, die ihren Eindruck nicht verfehlt hat. Ich möchte dem Prince of Wales bei dieser Gelegenheit dafür danken.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Ich will auch nicht die Rolle des World Wildlife Fund verhehlen. Sie können an der WWF-Krawatte bei mir selbst feststellen, daß ich ihm verbunden bin.

(Zustimmung des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

Natürlich muß noch eine Fülle von Fragen geklärt werden. Wir sollten nicht auf die nächste Konferenz und ihre Vorbereitung warten, sondern in der Zwischenzeit in einer Reihe von bilateralen Gesprächen versuchen, die Dinge weiter voranzutreiben.
Dazu gehört an erster Stelle die Nordseeschutzkonvention. Dazu gehört die von uns geforderte Elbschutzkonvention. In dieser Beziehung müssen wir weiter mit der DDR reden, die übrigens in diesem Bereich sehr aufgeschlossen ist. Gespräche mit Minister Reichelt und gestern mit dem Politbüromitglied Felfe haben gezeigt, daß von seiten der DDR Handlungsbereitschaft besteht.
Auch in der Tschechoslowakei besteht Bereitschaft zum Handeln. Bei unserem Besuch in der Tschechoslowakei haben wir festgestellt, daß dort die Bereitschaft zu einer Elbschutzkonvention zu kommen, erheblich gewachsen ist. Verbal zugesagt ist das schon. Ich meine, wir müssen das aufnehmen. Wir sollten auch gleichzeitig beide Länder in die Verhandlungen einbeziehen, mit welchem Status auch immer. Ich will mich da nicht festlegen und das anderen nicht vorschreiben. Aber jedenfalls sollten sie dabeisein, um ihren Beitrag leisten zu können.
Ich habe mir vermerkt, Herr Kollege Hauff, daß Sie von den wünschenswerten technologischen
Schnelläufern gesprochen haben. Das haben wir nicht so gerne. Es sind zu viele Fehlschüsse dabeigewesen. Wir sollten uns auf das stützen, was solide finanziert werden kann. Das sollten wir unterstützen.

(Zurufe von der SPD)

Ich erinnere an eine Fülle von Programmen der gemeinsamen Koalition mit der SPD, wo wir sehr viele Dinge unterstützt haben, die technisch noch nicht ausgereift waren und die sich nicht als technische Schnelläufer im positiven Sinne entpuppt haben, sondern als Luftschlösser. Und für Luftschlösser haben wir nun wahrlich kein Geld auszugeben.
Das, was wir intern noch tun müssen, ist aber bei dieser Konferenz auch deutlich geworden, Herr Minister Töpfer. Es ist deutlich geworden, daß wir zu einem sehr viel forcierteren Ausbau unserer kommunalen und industriellen Kläranlagen kommen und daß wir die weitergehende Reinigungsstufe mit allen Mitteln fördern müssen. Wir müssen darüber nachdenken, welche Wege wir hier zusätzlich noch beschreiten können.
Die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes — auch in der Höhe; da stimme ich dem Kollegen Hauff zu — ist eine alte und intensiv vorgetragene Forderung der FDP-Bundestagsfraktion. Lassen Sie uns unter dem Eindruck dieser Konferenzergebnisse weiter mit den Ländern reden, um sie dazu zu bewegen, hinsichtlich all ihrer Vollzugsdefizite — Wasserbewirtschaftungspläne, Abwasserkataster — endlich zu einem gemeinsamen positiven Ergebnis zu kommen.
Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Dieses Ergebnis sollte uns nicht ruhen lassen. Es sollte uns anspornen, alles das zu tun, was wir an Hilfe leisten können. Das sage ich auch an die Adresse der GRÜNEN. Sie haben da auch einige Möglichkeiten. Fahren Sie in die anderen Länder, reden Sie dort mit den zuständigen Leuten. Wir wollen das alle tun, um zu einem weiteren Ergebnis zu kommen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104309400
Das Wort hat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Dr. Töpfer.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104309500
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Anläßlich der Beratung des Haushalts des Bundesumweltministeriums darf ich zunächst sehr herzlich danken. Ich danke den Berichterstattern für konstruktive Gespräche, für Verständnis unserer Sorgen. Ich danke dem Haushaltsausschuß und seinen Mitgliedern. Ich danke dem Umweltausschuß für breite Diskussionen. Ich glaube, daß wir — über den reinen Haushalt hinaus — sehr viele sinnvolle und gute Anregungen erhalten haben, die wir in den vor uns liegenden Wochen und Monaten nutzen werden.
Ich kann das wiederholen, was ich in der ersten Lesung gesagt habe: Es ist richtig, daß der Schwerpunkt des Haushalts auf der personellen Verstärkung liegen mußte. Wir brauchen ein schlagkräftiges, ein flexibles Instrument, damit die in der letzten Legisla-



Bundesminister Dr. Töpfer
turperiode in breiter Form ausgebauten, novellierten Gesetze auch vollzogen werden können. Es ist mir völlig klar, daß die vor uns liegenden Wochen und Monate durch eine sehr, sehr harte Kärrnerarbeit gekennzeichnet sind, nämlich die Ausfüllung des Wasserhaushaltsgesetzes, des Abfallbeseitigungsgesetzes und vieler anderer Gesetze — Pflanzenschutzmittelgesetz — , die dann erst ihre Wirkung tatsächlich voll entfalten können, wenn sie eben nicht nur Papier bleiben, sondern durch Verwaltungsvorschriften konkretisiert und in Zusammenarbeit mit den Ländern umgesetzt werden.
Ich danke dafür, daß in der Zeit zwischen der ersten und der zweiten Lesung dieser Schwerpunkt aufgebaut und weiterentwickelt worden ist, daß insbesondere das Umweltbundesamt personell weiter ausgebaut wurde. Mein Dank gilt auch allen Mitarbeitern des eigenen Hauses und des Bundesumweltamtes.
Ich habe auch dafür zu danken, daß der Abgeordnete Schmitz auf die schwierige räumliche Situation meines Ministeriums aufmerksam gemacht hat. Das bindet leider Gottes immer wieder notwendige, erforderliche personelle Kapazitäten. Das verschleppt die eine oder andere Bearbeitung, die eigentlich zügig vonstatten gehen sollte. Es wäre sicherlich sehr sinnvoll, wenn wir diese Schwierigkeit überwinden könnten.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Man muß das dringend ändern!)

Meine Damen und Herren, ich möchte auch erwähnen, daß in der Zwischenzeit die Möglichkeit geschaffen worden ist, Bürgschaften für den Umweltschutz zu vergeben. Ich glaube, daß wir gerade mit dem Ziel einer integrierten Umwelttechnik auch die damit verbundenen zusätzlichen Risiken mit absichern sollten. Ich halte das für ein sinnvolles Instrument, das Anreize zu mehr Risiko absichert, in umweltfreundliche Technologien zu gehen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, das mit über 20 Millionen DM zusätzlich zu tun. Wir werden sehen, ob das ausreicht, oder ob wir hier aufstocken müssen. Es ist eine sinnvolle Verknüpfung von privater Initiative zur Fortentwicklung von Umwelttechnologie und Mitbeteiligung des Staates an diesen Risiken, wo sie bankmäßig nicht mehr abgedeckt werden können. Das ist ganz ohne jeden Zweifel etwas Sinnvolles.
Meine Damen und Herren, Umweltpolitik ist notwendigerweise immer wieder in die grundsätzlichen Aufgaben und Rahmengrößen unserer Gesellschaft einzubinden. Ich stimme ausdrücklich denen zu, die sagen, daß wir vor der Aufgabe stehen, Umweltsanierung und Umweltvorsorge mit der zweiten Herausforderung zu verbinden, der sich unsere Gesellschaft gegenübersieht, nämlich der Beseitigung der Arbeitslosigkeit. In der Zielsetzung, Herr Abgeordneter Hauff, widersprechen wir uns nicht. Die Frage ist, in welcher Kombination und mit welcher Nachdrücklichkeit die entsprechenden Instrumente eingesetzt werden. Sie sind der Meinung, dies sollte vornehmlich über ein vom Staat initiiertes und von ihm getragenes und finanziertes Programm geschehen. Sie sind weiter der Meinung, das könne man tun, indem man etwa über eine Abgabe auf Energiepreise Mittel heranzieht, und damit Ihrer Meinung nach ökologisch sinnvolle Fördermaßnahmen durchzuführen.
Nur eine Fußnote dazu. Wer das sagt, der sagt zunächst einmal, daß er diese Abgaben zumindest des Aufkommens wegen, aber nicht der Motivation wegen will. Für eine Seite müssen Sie sich entscheiden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hauff [SPD]: Das ist keine Abgabe, das ist eine Steuer!)

— Gut, und dann sagen Sie: Wir haben eine Steuer. Dann haben wir eine ganz andere Aufgabenstellung, okay. Sie wollen es also mit Steuererhöhungen finanzieren.

(Dr. Hauff [SPD]: Energiesteuer!)

Wir sind der Meinung, daß eine Finanzierung dieses wichtigen Ziels über eine Steuererhöhung — wo auch immer man sie ansetzt — nicht die erste Antwort sein darf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Aber die zweite!)

Sie muß vielmehr dringlich dort angesetzt werden, wo wir die Grundlage unserer umweltpolitischen Arbeit überhaupt sehen. Wir wollen nicht nur verbal — Sie werfen mir ja immer vor, ich sei nur verbal hierhergekommen — arbeiten.

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Sie sind auf beiden Füßen hergekommen! — Dr. Hauff [SPD]: Man kann Sie greifen!)

— Prima. Ich gebe gerne zu: Dies war eine Freudsche Fehlleistung. Aber warum soll mir das nicht einmal passieren?

(Schäfer [Offenburg] [SPD]: Das kann passieren!)

Wenn wir immer und immer wieder sagen, daß wir die Vorsorge vor das Verursacherprinzip setzen, daß wir dieses wiederum vor die Kooperation setzen und daß an letzter Stelle das Gemeinlastprinzip rangiert, dann muß ich mich doch zunächst einmal fragen, ob ich die anderen Prinzipien wirklich ausgereizt und genutzt habe, bevor ich beim letzten beginne.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Hauff [SPD]: Richtig!)

Das ist der Unterschied, der uns in der Tat kennzeichnet.
Wenn ich dann anfange und das wiederum aufgreife, dann sagen Sie: Wir haben nicht den richtigen Ordnungsrahmen. Ich bin ganz im Gegenteil der Meinung, wir haben in der Bundesrepublik Deutschland glücklicherweise den richtigen Ordnungsrahmen von Wirtschaft und Gesellschaft, aus dem heraus überhaupt eine vorsorgende und verursacherorientierte Gesellschafts- und Umweltpolitik gemacht werden kann.

(Zuruf von den GRÜNEN: Wenn man will!)

Sie haben doch mit Ihrer großartigen Zwischenfrage, die man sich ja fast herbeigesehnt hat, mit Blick auf die DDR und die CSSR gerade gesagt: Die Hauptlasten der Verschmutzungen kommen aus diesen



Bundesminister Dr. Töpfer
Ländern. Nun frage ich mich doch wirklich einmal: Warum kommen denn nach wie vor 10 t Quecksilber über die Elbe in die Nordsee, und warum kommt weniger als 1 t Quecksilber über den Rhein in die Nordsee? Doch nicht deswegen, weil die Kollegen in der DDR und in der CSSR möglicherweise nicht wüßten, daß Quecksilber für Gewässer ein Problem darstellt, und doch auch sicherlich nicht deswegen, weil die Kollegen in der DDR und in der CSSR nicht wüßten, wie man mit Technik gegen diese Quellen vorgehen kann, sondern deswegen, weil sie nicht den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen haben, aus dem heraus die finanziellen Möglichkeiten gewonnen werden, um das abzustellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das war schon immer so: je sozialistischer, desto schlechter! — Dr. Hauff [SPD]: Vergleichen Sie das einmal mit Japan!)

Ich sage Ihnen noch einmal auch von dieser Stelle, damit das nicht verlorengeht — ich sage das jetzt einmal mit Blick auf die Kollegen in Hamburg, um nicht in den falschen Zungenschlag hineinzukommen — : Bevor wir uns hinbegeben und in Hamburg weitere 100 Millionen DM in die Gewässerreinhaltung investieren, sollten wir uns sehr genau überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, lieber 50 Millionen DM in der DDR zu investieren und damit das Niveau der Schadstoffbelastung ganz anders zu beeinflussen. Hier muß man doch einmal an Anreize denken.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Herr Töpfer, am besten beides! Dies wäre ja möglich!)

— Am besten beides.
Festzuhalten ist — das war mein Ziel — , daß wir den wirtschaftlichen Ordnungsrahmen haben und dringlich sichern müssen, damit wir, wenn notwendig, auch bei anderen helfen können, um diese Ziele insgesamt abzuarbeiten.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104309600
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Waltemathe?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104309700
Bei Herrn Waltemathe kann man nie nein sagen, Frau Präsident.

Ernst Waltemathe (SPD):
Rede ID: ID1104309800
Ob nie, das würde noch nicht einmal ich behaupten.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß ich ausdrücklich gesagt habe, daß man natürlich auch internationale oder innerdeutsche Problematiken sehen muß, man aber nur dann mit einem Finger auf die anderen zeigen kann, wenn man zu Hause jedenfalls mit den übrigen neun Fingern selbst anpackt? Insofern kann ich auch das Beispiel Hamburg und DDR in diesem Zusammenhang nicht ganz verstehen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104309900
Es mag durchaus sein, daß man das wirklich verdeutlichen muß. Ich wollte nur gesagt haben, daß es sinnvoll sein kann, weil man wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nutzen muß, zu fragen, wo denn eine Mark, die wir jetzt ausgeben können, am sinnvollsten ausgegeben werden kann. Das ist nicht ein Ablenken von der eigenen Aufgabe, sondern es ist der Versuch, an den gesunden Menschenverstand unserer Mitbürger zu erinnern, damit solche Dinge nach besten wirtschaftlichen Kriterien abgearbeitet werden.
Deswegen ist der richtige Rahmen wichtig, und deswegen versuchen wir, über das Verursacherprinzip weiterzukommen.
Ich nenne Ihnen drei Punkte, bei denen ich der festen Überzeugung bin, daß wir das Programm „Arbeit und Umwelt" bereits vollziehen. Wir vollziehen es bei dem Thema Luft. Wenn ich gern auf das eingehe, was Herr Abgeordneter Baum gesagt hat, so geht es mir gar nicht darum, zu fragen: Wer hat wann irgendwo was wie gesagt. — Aber dann können Sie doch nicht übersehen, daß diese Luftreinhaltepolitik, die über eine ganz Zeit entwickelt worden ist, heute massiv Arbeitsplätze durch Investititonen schafft, indem Luft reingehalten wird — Arbeit und Umwelt!
Wir haben vor wenigen Tagen — das ist intensiv von Kommunen kritisiert worden — die erste Verwaltungsvorschrift zum § 7 des Wasserhaushaltsgesetzes vorgelegt. Diese bezieht sich auf die gemeindlichen Kläranlagen. Wir haben darin die Meinung vertreten, daß Kläranlagen mit über 50 000 Einwohnergleichwerten mit der dritten Reinigungsstufe ausgestattet werden sollen.

(Beifall bei der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Ist ja in Ordnung!)

Ergebnis: Ein Programm „Arbeit und Umwelt" in der Größenordnung von 5 Milliarden bis 6 Milliarden DM.

(Dr. Hauff [SPD]: Wer zahlt das?)

— Und wer zahlt das? Eben nicht derjenige, der irgendwo über eine zusätzliche Steuer mit herangenommen wird. Es wird verursacherorientiert bezahlt: Gewässerreinhaltung, Kläranlagen — —

(Dr. Hauff [SPD]: Die Gemeinden!)

— Nein, nicht die Gemeinden. Es sind Gebührentatbestände, Herr Abgeordneter Hauff.

(Baum [FDP]: Der Verursacher zahlt!)

Ich bin nun einmal der vielleicht altmodischen Vorstellung, aber es ist immerhin eine nachvollziehbare, daß ich das nicht über die Gemeinlast des steuerzahlenden Bürgers mache, sondern, wo immer möglich, verursacherorientiert auch den Gebührenhaushalt mit heranziehen muß. Das ist die Situation.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Dann zahlt es der Bürger doch auch!)

— Aber verursacherorientiert, Herr Abgeordneter Stahl, und das ist der wichtige Unterschied.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Setzen Sie sich im Kabinett einmal durch, Herr Töpfer!)

Ich nenne Ihnen gerne weitere Beispiele, wenn sie gebraucht werden. — Ich hoffe, daß Sie bei uns sind, wenn es darum geht, diese erste Verwaltungsvorschrift durchzusetzen. Ich bin sehr dafür.



Bundesminister Dr. Töpfer
Da wird darauf hingewiesen — ich bin dem Abgeordneten Göhner dankbar, daß er es erwähnt hat —, daß der § 7 d EStG gestrichen wird. Er wird nicht gestrichen; er wird nicht verlängert. Ich möchte ganz deutlich sagen: Das ist eine klare umweltpolitische Anreizmaßnahme. Ich kann unterstreichen, was Herr Göhner gesagt hat. Sie sollte zeitlich befristet sein — alle haben das mitgetragen — , damit eine Prämie dem gezahlt werden kann, der früher investiert. Ich halte das für eine gute Sache.
Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Waltemathe hat mir gesagt, Klappern gehöre zum Handwerk. Wenn die einzige Kritik immer wieder darin besteht, daß wir richtige Dinge formulieren, in der Öffentlichkeit vertreten und dafür werben, daß wir also für Umweltpolitik klappern, so bin ich der Meinung: Mit dieser Kritik können wir verdammt gut und lange leben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Ich rufe Sie alle herzlich auf mitzuwirken. Wir werden doch eine zukunftsorientierte Umweltpolitik nur machen können, wenn sie von allen Bürgern in diesem Lande voll und ganz mitgetragen wird und wenn wir eben eine breite Volksbewegung für den Umweltschutz bekommen. Ich werde sicherlich für dieses Ziel weiter klappern. Klappern gehört zum Handwerk, Verklappen nicht, um das ganz deutlich zu sagen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

— Sehen Sie, dieser Verlockung bin ich natürlich nicht erlegen, daß ich hierherkomme und sage: Was haben wir doch für tolle Ergebnisse in den letzten zwei Tagen in London erreicht. Ich bin hierhergekommen, um Ihnen zu erläutern, welche Hausaufgaben wir aus London mit zurückgebracht haben und was wir zu tun haben. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: Das ist ein unheimliches Bündel von Arbeiten, das wir hier übernommen haben.
Ich habe nur einmal festzuhalten, daß wir seit etwa 12, 14 Jahren auf der Hohen See mehr als 50 000 Tonnen chlorierte Kohlenwasserstoffe verbrennen. Wir haben es jetzt übernommen, dies innerhalb der nächsten zweieinhalb Jahre um mindestens 65 % zurückzuführen und bis 1994 damit zu Ende zu kommen. Die erste Etappe ist vor der nächsten Bundestagswahl, um das auch klar zu sagen. Wir verfahren nicht nach dem Motto „In the long run we are a11 dead", sondern wir müssen diesen Beweis vor der nächsten Bundestagswahl erbringen. Wer dann sagt, wir seien der Arbeit aus dem Weg gegangen, die wir hier nachweisbar übernehmen, wer dann sagt, hier werde nur geredet, und hier werde nicht auch eine Verantwortung mit übernommen, dem kann man, glaube ich, wirklich nicht mehr zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben viele Aufgaben gemeinsam zu übernehmen. Wir müssen, meine ich, meine Damen und Herren, sehr deutlich machen, daß wir uns der Herausforderung gewachsen fühlen, eine weiterschreitende moderne Technik in ihren Folgen möglichst frühzeitig zu erkennen und diese technischen Zuwächse für die Bewältigung der Probleme, die ja auch im Bereich der
Umwelt vor uns liegen, wirklich zu nutzen; das ist unsere Aufgabe.
Ich halte es — lassen Sie mich das abschließend sagen — sehr mit dem, was Hans Jonas in seiner Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche gesagt hat — ich habe das fast als ein Motto für die NordseeKonferenz empfunden — : Wir müssen die Ozeane mehr vor dem Menschen als den Menschen vor den Ozeanen schützen. Das ist unsere Aufgabe. Wir werden ihr nicht damit gerecht, daß der Staat Technik entwickelt, sondern nur damit, daß alle die Anreize haben, einen entsprechenden technischen Fortschritt zur Umweltentlastung zu organisieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104310000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Knabe?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104310100
Ich hoffe, daß ich die Zeit noch habe, Frau Präsidentin.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104310200
Natürlich.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104310300
Wäre es aber nicht auch eine intelligente Nutzung des Haushalts gewesen, wenn Sie unserem Antrag, 46 000 DM für den Deutschen Naturschutzring und für europäische Umweltarbeit zu bewilligen, zugestimmt hätten und ihn nicht abgelehnt hätten? Denn sonst beklagen Sie immer das mangelnde Umweltbewußtsein in anderen Staaten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104310400
Herr Abgeordneter Knabe, ich wäre Ihnen herzlich dankbar gewesen, wenn Sie dem Hohen Hause mitgeteilt hätten, daß wir dem Deutschen Naturschutzring pro Jahr etwas über 300 000 DM bewilligen. Mit diesen 300 000 DM, die er aus öffentlichen Kassen bekommt, ist dieser Deutsche Naturschutzring besser bedient — ich sage deutlich: ich bedaure das nicht, sondern ich setze mich dafür ein, daß es so ist — als alle anderen Institutionen und Verbände, die ebenfalls sehr engagierte und gute Umweltpolitik betreiben.
Ich glaube nicht, daß die Frage, die Sie gestellt haben, an 46 000 DM abzulesen ist, sondern an der Bereitschaft vieler Bürger in vielen Verbänden, bei denen ich mich dafür zu bedanken habe, daß sie diese Umweltpolitik mittragen und daß sie überzeugt Umweltpolitik vor Ort in ihrem täglichen Verhalten praktizieren.

(Frau Saibold [GRÜNE]: Dann danken Sie auch mal den GRÜNEN!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104310500
Herr Minister, fahren Sie jetzt fort?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104310600
Ich darf also abschließend Ihre Frage so beantworten, Herr Abgeordneter Knabe, daß wir glauben, den Deutschen Naturschutzring finanziell sehr gut ausgestattet zu haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Insgesamt noch einmal herzlichen Dank für die Tatsache, daß Sie diesen Haushalt mittragen, soweit Sie ihn mittragen können. Ich habe die Hoffnung, daß wir



Bundesminister Dr. Töpfer
durch unser Handeln Sie, meine Damen und Herren, davon belehren, daß auch Sie ihn eigentlich hätten mittragen können.
Recht herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104310700
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer (Offenburg).

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1104310800
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will in einem Diskussionsbeitrag, Herr Töpfer, versuchen, kurz auf die Art, wie Sie Umweltpolitik betreiben oder nicht betreiben, einzugehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber kurz!)

Sie haben auch hier wieder ein Beispiel geliefert.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Sehr gutes Beispiel!)

Zunächst einmal stellen Sie die Umweltnot nicht so dar, wie sie tatsächlich ist. Wenn dann Probleme kommen, weisen Sie am liebsten auf den Nachbarn. — Beispiel: Vergleich Elbe und Rhein.

(Baum [FDP]: Er hat doch gesagt, welch großen Aufwand wir selber haben!)

Sie haben den Eindruck erweckt, Herr Kollege Töpfer,

(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Das war Hauff, der zu Recht darauf hingewiesen hat!)

Hauptverursacher sei die Elbe. Die Rheinbelastung sei, was die Nordsee angeht, weniger schwerwiegend.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nein!) Ich nenne einige Zahlen.


(Dr. Göhner [CDU/CSU]: Quecksilber!)

Stickstoffbelastung: Elbe 150 000 Jahrestonnen, die in die Nordsee einfließen, Rhein und Maas zusammen 420 000 Jahrestonnen, Phosphor: Elbe, 12 000 Jahrestonnen, Rhein und Maas 37 000 Jahrestonnen.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Das hat niemand bestritten!)

Cadmium: Elbe, 8,4 Jahrestonnen, Rhein/Maas 13,8 Jahrestonnen.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Die Maas fließt nicht durch Deutschland!)

Wenn Sie die Quelle bestreiten: Das ist das offizielle Dokument zur Internationalen Nordseeschutzkonferenz.
Sie wissen das, was ich Ihnen eben gesagt habe, Herr Töpfer. Aber dadurch, daß Sie nur die Elbe als Hauptverschmutzer hier in die Debatte einführen,

(Baum [FDP]: Hat er doch gar nicht gemeint! — Dr. Göhner [CDU/CSU]: Ist absoluter Quatsch, was Sie sagen!)

erwecken Sie den Eindruck, in der Bundesrepublik Deutschland liege eigentlich nicht so viel im argen, es seien nur die bösen Nachbarn im Osten.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und weil das so ist, meine Damen und Herren, kommen Sie auch in der Durchsetzung ihrer Politik zu einer anderen Einschätzung als beispielsweise die Landesregierung von Rheinland-Pfalz und die Landesregierung des Saarlandes. Sie sagen: Wir brauchen keine gezielten Aktionsprogramme zur Rettung des Zuflusses von Saar und Mosel, weil die Lage — wie Sie suggerieren — nicht so schlimm ist.

(Abg. Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die Landesregierung des Saarlandes verlangen auch zur Rettung der Nordsee ganz gezielt von Ihnen, vom Bund ein entsprechendes Aktionsprogramm.

(Baum [FDP]: Wasserhaushaltsgesetz, § 7b!)

Sie verweigern die Zustimmung und begründen das indirekt damit: Der Hauptverursacher ist ja die Elbe und nicht der Rhein. Das ist ein sehr schwierig darzustellender Vorgang.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Herr Kollege, Sie sprechen die Unwahrheit! Fellner [CDU/CSU]: Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, hören Sie auf! Lassen Sie mal die Kollegin Hartenstein reden! Die versteht was von den Dingen! — Baum [FDP]: Wasserhaushaltsgesetz!)

— Ich weiß gar nicht, warum Sie sich jetzt alle so aufregen.
Ich will einen zweiten Punkt nennen.

(Unruhe)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104310900
Meine Damen und Herren, ich bitte wirklich um Aufmerksamkeit. Wir kommen schneller voran, wenn der Redner redet

(Zuruf von der CDU/CSU: Der regt uns aber auf!)

und die anderen nachher in ihrer Redezeit reden.

(Beifall bei der SPD)


Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1104311000
Meine Damen und Herren, ich sehe, daß ich offenkundig an den Punkt getroffen habe. Sonst würden Sie nicht so reagieren.

(Schmitz [Baesweiler] [CDU/CSU]: Nicht einmal das Komma haben Sie getroffen!)

Ich will ein zweites Beispiel nennen, Herr Kollege Töpfer. Sie schaffen es, auch schon hier im Plenum, in einem Atemzug zu sagen: Zwischen 1979 und 1982 haben wir, Bund und Länder gemeinsam über das Zukunftsinvestitionsprogramm über tausend Wasserschutzprojekte gefördert. Wir haben damit den Rhein zu einem Großteil sauberer gemacht, wir haben den Bodensee damit zu einem Großteil sauberer gemacht.

(Waltemathe [SPD]: So ist es!)

Wir haben damit Arbeitspätze geschaffen, Investitionsanreize in den Kommunen gegeben, also die beiden Hauptziele der Innenpolitik, Arbeit und Umwelt, zu einem Teil gemeinsam zu erreichen versucht.



Schäfer (Offenburg)

Wenn wir heute noch einmal in Übereinstimmung mit der CDU-geführten Landesregierung von RheinlandPfalz und der SPD-geführten Landesregierung des Saarlandes das gleiche verlangen, tauchen Sie weg und sagen: Das ist ein Beschäftigungsprogramm à la SPD, das nicht hilft.

(Glocke des Präsidenten — Fellner [CDU/ CSU]: Er soll jetzt aufhören!)

— Der letzte Punkt.
Ich will Ihnen auch sagen, warum Sie eine solche Politik von der Umweltbeschreibung bis zur Umsetzung versuchen darzustellen. Sie haben letztlich
— das ist unser Hauptvorwurf an Sie — nicht den Mumm, einen Konflikt, wo er denn zugunsten der Umwelt durchgestanden werden muß, durchzustehen.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen immer nur Erfolg. Sonst müßten Sie Ihre Stimme erheben, was die Änderung der Landwirtschaftsklausel angeht.

(Unruhe)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104311100
Ihre Redezeit ist beendet.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1104311200
Sonst müßten Sie gegen jede politische — —

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104311300
Herr Schäfer! Schäfer (Offenburg) (SPD): Ja.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104311400
Bitte.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1104311500
Gut. — Meine Damen und Herren, es tut mir sehr leid, daß ich die drei Minuten...

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104311600
Sie hatten schon fünf Minuten.

Harald B. Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1104311700
... durch die permanenten Zwischenrufe nicht im Zusammenhang ausführen konnte.
Ich bedanke mich trotzdem für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104311800
Nun hat der Herr Bundesminister Töpfer das Wort.

(Waltemathe [SPD]: Hat der denn noch Redezeit?)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104311900
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist manchmal eine gute Konkretisierung des Vorsorgeprinzips, daß man von seiner Redezeit noch drei Minuten übrigläßt, Herr Abgeordneter Schäfer.

(Waltemathe [SPD]: Das haben wir auch gemacht!)

Es ist immer so eine Sache, daß man an vielen Stellen, wo es paßt, die umweltpolitische Gemeinsamkeit beschwört, aber an anderen Stellen hobelt. Das geht nicht. Es ist unseriös, im wahrsten Sinne des Wortes.

(Waltemathe [SPD]: Warum?)

Wenn wir in London eine Minderung des Schadstoffeintrags über Flüsse um insgesamt 50 % unterschrieben haben und ich auf die Vorhaltung des Abgeordneten Hauff,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

es sei von dieser Bundesregierung doch geradezu unseriös, das zu tun, wenn nicht die DDR und CSSR auch mit am Tisch sitzen,

(Frau Blunck [SPD]: Es sind nur Absichten!)

antworte, von dort komme vieles her, finde ich es nicht gut, mir zu sagen, ich wolle mich über die Elbe aus meiner eigenen Verantwortung entlassen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Unseriös!)

Wir haben bereits vor fünf Wochen in Straßburg — diese Überlegungen hätten Sie aufgreifen können — die Minderung um 50 % für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich unterschrieben, damit gehandelt wird und so gehandelt wird, daß auf niedrigem Niveau noch einmal um 50 % abgesenkt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was ist das für ein Beispiel von politischer Kultur, Herr Abgeordneter Schäfer, wenn man glaubt, in dieser Form eine umweltpolitische Debatte führen zu müssen!

(Abg. Schäfer [Offenburg] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Schäfer [Offenburg] [SPD]: Gestatten Sie keine Zwischenfrage? — Fellner [CDU/CSU]: Setzen! 6!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104312000
Zu einem Antrag Frau Abgeordnete Vennegerts.

Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104312100
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus aktuellem Anlaß bringt die Fraktion der GRÜNEN folgenden Änderungsantrag zum Einzelplan 16 ein:
Der Bundestag wolle beschließen, daß bei Einzelplan 16 ein neuer Titel eingerichtet wird: Zuwendung an die DDR für Maßnahmen zur Verringerung der Belastung der Elbe mit Schadstoffen — 50 Millionen DM.
Begründung: Siehe Ausführungen Minister Töpfer.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104312200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar über die Änderungsanträge der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1253 bis 11/1259 und über den so-



Vizepräsident Frau Renger
eben hier angekündigten Antrag mit dem Titel „Hilfe für die DDR" ; den Text habe ich nicht vorliegen. Aber Sie haben verstanden, worum es geht: um 50 Millionen DM.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Es ist verstanden worden!)

Ich frage die Fraktion der GRÜNEN: Erlauben Sie, daß wir über Ihre Anträge im ganzen abstimmen?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Einzeln bitte!)

— Dann müssen wir das wohl tun. Ich rufe dann die Änderungsanträge in der Reihenfolge der Nummern auf.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/1253 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 11/1254 auf. Wer ihm zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1255 stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1256 stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1257? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1258? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1259 stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer für den mündlich vorgetragenen Antrag, den Sie soeben vorgelesen haben — 50 Millionen DM für Hilfe an die DDR — , stimmt, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! —

(Zuruf von der CDU/CSU: Wo bleibt Ihr Dekkungsvorschlag?)

Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen der SPD und der Koalitionsparteien — bei einer Enthaltung — abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wie kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 16, Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, in der Ausschußfassung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Hand zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Einzelplan ist in der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe jetzt auf:
Einzelplan 07
Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz
— Drucksachen 11/1057, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Diller von Schmude
Kleinert (Marburg)

Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht
— Drucksachen 11/1067, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schröder (Freiburg) Diller
Kleinert (Marburg)

Zum Einzelplan 07 liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1225 bis 11/1227 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Einzelpläne eine Stunde vorgesehen. — Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD):
Rede ID: ID1104312300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bild, das diese Bundesregierung auf dem Gebiet der Rechtspolitik nunmehr schon seit fünf Jahren bietet,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ist ausgezeichnet!)

ist einerseits gekennzeichnet durch eine inzwischen unerträglich gewordene Tatenlosigkeit und andererseits von hektischer und nicht selten gefährlicher Betriebsamkeit, die ihren Ursprung meist im Innenministerium hat. In den Bereichen, in denen dringend gehandelt, d. h. rechtspolitisch gestaltet werden müßte, schiebt die Regierung die notwendigen Entscheidungen schon seit Jahren vor sich her. Vielfach ist es sogar so, daß die erforderlichen Vorarbeiten noch nicht einmal getätigt worden sind.
Auf anderen Gebieten, und hier insbesondere auf dem sehr sensiblen Gebiet und Feld des Demonstrationsstrafrechts, werden ohne Not und ohne das notwendige Maß an Besonnenheit Gesetze aus dem Boden gestampft, von deren positiver Wirkung noch nicht einmal diejenigen überzeugt sein können, die sie so lautstark fordern. Durch gesetzgeberische Scheinaktivitäten in einem so schwierigen Gelände wie dem der inneren Liberalität werden in keinem Fall die Erwartungen erfüllt, die erweckt worden sind. Diese Gesetze sind weit eher geeignet, Schaden zu stiften, statt Wohltaten zu bringen.
Meine Damen und Herren, wenn der Vorsitzende der FDP noch Anfang September dieses Jahres unter dem Jubel seiner Parteitagsdelegierten in Kiel wörtlich ausführte, die FDP werde nicht Stammtischgerede nachgeben, um den Rechtsstaat zu beschädigen,

(Baum [FDP]: Ein gutes Wort!)




Bachmaier
und dann, nur zweieinhalb Monate später, Herr Baum, genau das tut, was er erst wenige Wochen vorher gebrandmarkt und gegeißelt hat, dann gibt er nicht nur einen tiefen Einblick in die rechtsstaatliche Standfestigkeit der Führungsgremien seiner Partei, er fügt vielmehr der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit unseres Gemeinwesens in schwieriger Zeit weiteren, nicht unerheblichen Schaden zu.

(Beifall bei der SPD — Baum [FDP]: Warten Sie mal ab!)

Dabei wissen wir inzwischen doch sehr zuverlässig, daß auch bei einem über den bisherigen Rahmen hinaus strafrechtlich weiter verschärften Vermummungsverbot der schlimme Mord an den beiden Frankfurter Polizeibeamten nicht hätte verhindert werden können. Wir wissen auch, daß eine Verschärfung des Vermummungsverbotes denjenigen, die vor Ort als Polizeibeamte ihren Kopf hinhalten müssen, Steine statt Brot geben wird.
Einer, der weiß Gott weiß, wie schwierig eine besonnene Arbeit der Polizei vor Ort ist, der langjährige Berliner Polizeipräsident, Klaus Hübner, hat in diesen Tagen nachdrücklich davor gewarnt, „patente Lösungen" — wie er wörtlich sagt — „mit harter Hand, aber überhitztem Kopf behend herbeizuführen". In diesen Tagen der aufgewühlten und zum Teil auch aufgeheizten Stimmungen hätte man vom Bundesminister der Justiz in der Tradition seiner großen Vorgänger einen Appell zum besonnenen, behutsamen und pfleglichen Umgang mit den strafrechtlichen Instrumentarien erwarten können. Statt dessen hat er sich ganz offensichtlich schleunigst in die Reihen derjenigen eingefügt, denen symbolträchtige legislative Kraftakte noch immer wichtiger sind als die notwendige Kärrnerarbeit zur Beseitigung der uns bedrükkenden Probleme.
Im diametralen Gegensatz zu dieser hektischen Geschäftigkeit bei der Fertigung von legislativen Scheinlösungen steht die absolute Tatenlosigkeit dieser Regierung auf wichtigen Feldern der Rechtspolitik, die dringend und unaufschiebbar der Gestaltung bedürfen.
Lassen Sie mich noch einige Beispiele in aller Kürze nennen. Da wissen wir doch mittlerweile recht präzise, daß unserer Umwelt jährlich reparable und irreparable Schäden in unermeßlicher Höhe zugefügt werden und unsere Lebensgrundlagen in vielen Bereichen existentiell bedroht sind.
Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr Parteifreund, der Direktor beim Bundesumweltamt, Lutz Wicke, schätzt die meßbaren Schäden jährlich auf weit über 100 Milliarden DM. Wir wissen auch, daß eine Überarbeitung des Umweltstraf- und Bußgeldrechtes, eine an den Belangen der Geschädigten statt der Schädiger orientierten Novellierung unseres zivilrechtlichen Schadensersatzrechtes erhebliche Verbesserungen bringen würde. Wir wissen ebenfalls, daß im Bereich des Schadensersatzrechtes für Umweltschäden die Gefährdungshaftung ausgebaut werden muß und Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten eben dieser Geschädigten geschaffen werden müssen. Mit einem verbesserten straf-, bußgeld- und schadensersatzrechtlichen Instrumentarium kann nicht nur manchen Geschädigten geholfen werden, sondern insbesondere auch ein kräftiger und nachhaltiger Druck auf diejenigen ausgeübt werden, die unsere Umwelt zu ihrem privaten Nutzen unerträglich weiter belasten.

(Beifall bei der SPD)

Nur dann, wenn sich Umweltverschmutzung und Umweltvergiftung nicht mehr lohnen, nicht mehr rentieren, sondern diejenigen, die bislang daraus ihren höchstpersönlichen und wirtschaftlichen Vorteil gezogen haben, damit rechnen müssen, daß sie zur Rechenschaft gezogen werden, können wir in weiten Bereichen den verhängnisvollen Kreislauf durchbrechen und eine Dynamik zur Verbesserung unserer natürlichen Lebensgrundlagen in Gang setzen.
Das Strafrecht, das Bußgeldrecht und das zivilrechtliche Schadensersatzrecht können, wenn sie wirkungsvoll dieser Herausforderung entsprechend ausgestaltet sind, hierzu einen wertvollen und unersetzbaren Dienst leisten. Das weiß auch die Bundesregierung seit Jahren, doch geschieht praktisch bis zum heutigen Tage nichts. Noch nicht einmal unsere Große Anfrage zum Umweltstrafrecht, die der Bundesregierung seit Sommer vergangenen Jahres vorliegt und nach der Bundestagswahl im Frühjahr dieses Jahres wieder eingebracht worden ist, konnte bis zum heutigen Tage beantwortet werden.
Auch bei der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz haben wir bislang außer Lippenbekenntnissen nichts gesehen. Manche Äußerungen deuten eher darauf hin, daß entweder gar nichts geschieht oder — dies erscheint inzwischen als wahrscheinlicher — eine Formulierung gesucht wird, die das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Wir Sozialdemokraten — das sei hier nochmals mit aller Deutlichkeit gesagt — werden uns an einem Etikettenschwindel dieser Art nicht beteiligen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nehmen wir ein weiteres wichtiges Feld, auf dem dringender rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht: das Insolvenzrecht. Nach wie vor bewegen sich die Insolvenzen auf einem außerordentlich hohen Niveau. Nach wie vor verlieren mindestens 150 000 Menschen jährlich ihren Arbeitsplatz durch die Pleite ihrer Arbeitgeberfirma. Nach wie vor beträgt der verursachte volkswirtschaftliche Gesamtschaden jährlich gut und gerne 20 Milliarden DM. Noch immer werden die meisten Konkursverfahren noch nicht einmal eröffnet, weil die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Mittel fehlen. Eine deutliche Sprache spricht auch der hohe Anteil der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, den diese Unternehmensrechtsform an den noch nicht einmal eröffneten Konkursverfahren hat. Seit einigen Jahren liegen nunmehr die detaillierten Vorschläge der vom damaligen Justizminister Hans-Jochen Vogel noch während der sozialdemokratischen Regierung eingesetzten Insolvenzrechtskommission vor. Geschehen ist bis zum heutigen Tage auch hier nichts.
Nimmt man die Äußerungen des Bundesjustizministers aus der zurückliegenden Zeit, dann kann man unschwer erahnen, daß mit einer Reform des Insolvenzwesens mit wesentlich verbesserten Möglichkeiten zur arbeitsplatzerhaltenden Sanierung statt der



Bachmaier
bisher im Vordergrund stehenden Liquidierung sowie zur Einführung eines Insolvenzverfahrens, das auch unverschuldet in Not geratenen Arbeitnehmern und deren Gläubigern hilft, nicht mehr zu rechnen ist. Wenn Sie allerdings noch darauf spekulieren, daß das schon heute unzulängliche Gesetz zur Absicherung der Sozialplanforderungen im Konkurs heimlich, still und leise am 31. Dezember 1988 ausläuft — Herr Kleinert, hören Sie genau zu — , dann muß ich Sie enttäuschen.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Oh!)

Wir werden schon bald im nächsten Jahr einen Gesetzentwurf einbringen

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Entwurf!)

und Ihnen wieder einmal Gelegenheit geben, Farbe zu bekennen, so daß rechtzeitig vor dem 31. Dezember 1988 wieder eine Entscheidung — ich hoffe, eine Entscheidung zugunsten der konkursbetroffenen Arbeitnehmer — getroffen werden kann.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ihr habt schon viele Entwürfe eingebracht, und es hat nichts geholfen!)

— Das letzte Mal haben wir ein bißchen Glück gehabt, Herr Stark. Ich weiß, daß es Ihnen nicht gepaßt hat. Wir haben es aber trotzdem hinbekommen.
Dies waren nur einige wenige Beispiele der vielen Handlungsdefizite der Regierung auf wichtigen rechtspolitischen Feldern.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in einem kräftigen Wettstreit über die besseren Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten in den Bereichen eintreten, in denen wir dringenden Handlungsbedarf haben. Lassen Sie die Finger von den Bereichen, in denen eine Einmischung des Gesetzgebers im gegenwärtigen Zeitpunkt nur Schaden stiften könnte.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104312400
Das Wort hat Herr Abgeordneter Marschewski.

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1104312500
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bachmaier, Sie können sich darauf verlassen: Wir werden streiten. Wir werden deswegen streiten, weil wir eine gute Rechtspolitik betreiben; denn die Rechtspolitik war ein Glanzstück dieser Koalition.

(Dr. Jens [SPD]: Was?)

— Sie können sich gleich zur Zwischenfrage melden. Ich werde alles beantworten, was Sie wollen.
Wir sind angetreten, dies zu wiederholen. Wir müssen dies tun; denn dies zeigen gerade die letzten Ereignisse bis hin zur Hafenstraße:

(Zuruf von der SPD: Was?)

Der Rechtsfrieden ist nur dann dauerhaft gesichert, wenn die Rechtsordnung im Bewußtsein der Bevölkerung verankert ist und verankert wird. An deren Grundüberzeugungen müssen sich Recht und Gesetz orientieren, sonst verursachen sie Unsicherheiten, Unfrieden, Konfrontation und Gewalt. Daher war
Hamburg kein Sieg des Rechts. Die faktische Anerkennung langjähriger rechtswidriger Zustände war eine Verbeugung vor denen, die Recht brechen, war eine Kapitulation vor den Rechtsbrechern.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Stimmt nicht!)

— Nein, nein, das Recht allein muß die Gewalt bleiben, die der Gewalt das Recht ganz und endgültig streitig macht. Gerade wir als Rechtspolitiker dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß der Staat fähig und bereit ist, Übergriffe auf Leib und Leben und Eigentum abzuwehren und Gesetze, die verfassungsgemäß zustande gekommen sind, mit aller Entschlossenheit durchzusetzen.
Aber Zweifel — jetzt komme ich zu Ihnen auf der linken Seite — muß man an Ihnen, Herr Kollege Bachmaier und der SPD haben, einfach deswegen, weil ich mich mit Ihrem Verständnis von Rechtspolitik auseinandergesetzt habe. Da fordert zum Beispiel die „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen"
— ich zitiere — , Klassenrecht und Klassenjustiz müßten beseitigt werden.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Recht hat sie!)

Ein anderer prominenter Sozialdemokrat begreift Recht als grundsätzliches Infragestellen gesellschaftlicher Strukturen.

(Singer [SPD]: Ja!)

— Sie können gleich dazu Stellung beziehen. — Der Nürnberger Parteitag versteigt sich zu der Behauptung, das Demonstrationsrecht werde gefährdet durch Polizeiführungen, die sich in der Wahl der polizeilichen Mittel vergriffen

(Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzten.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, natürlich!)

Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, welche Demonstrationen und welche Polizeibeamten meinen Sie denn eigentlich mit dieser Anklage?
Ich bin durchaus darüber im klaren: Auch die Berufung auf widerlegendes Tatsächliches — unbestrittene Zeitgeschichte nenne ich dies — trägt oft zu Mißverständnis unter Demokraten, zur Spaltung bei. Wie haben Sie noch im letzten Wahlkampf gesagt: Nicht spalten, sondern versöhnen!

(Dr. Soell [SPD]: Was?)

— Nicht spalten, sondern versöhnen! Ich teile Ihre Meinung. Aber, Herr Kollege, warum sagen Sie dann in Nürnberg, Konservative — und Sie meinten damit doch uns — neigten dazu, Gewalt zu provozieren, um den politischen Gegner leichter diffamieren zu können? Eine verletzende Aussage!

(Singer [SPD]: Die Wahrheit ist manchmal verletzend!)

Vielleicht ist das — ich konzediere — nur unüberlegte Folge des Wahlkampfgetümmels.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben es nötig!)




Marschewski
Oder ist es doch intellektuelle Verwirrung einer
Rechtspolitik, bei der die Ideologie das Recht überlagert, einer Politik, von der Wassermann gefordert hat
— er gehört ja nicht zu uns, das wissen Sie; er hat ja für Sie da gearbeitet —

(Bachmaier [SPD]: Oho!)

daß nämlich — ich zitiere — „Schritt für Schritt der rechtliche Überbau unserer Gesellschaft durch eine den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragende Rechtspolitik den Basisveränderungen angepaßt werden müsse"?
Ich kenne die Herkunft dieser Begriffe, und ich gehe davon aus, sie sind wohl auch Ihnen bekannt. Aber dies ist nicht unsere Politik. Eine Politisierung und Ideologisierung des Rechts als Instrument der Gesellschaftsveränderung

(Bachmaier [SPD]: Ständig praktizieren!) schadet nur dem Rechtsbewußtsein.

Wir haben uns hier anders verhalten. Mit unseren klaren Aussagen zur Ehe und Familie, zum Wert menschlichen Lebens, zur Sicherung der Freiheit des einzelnen Bürgers und zur Gleichheit der Rechtsanwendung haben wir ein Terrain zurückgewonnen, das in den Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung weithin verlorenzugehen drohte.

(Zurufe von der SPD: Vorsicht!)

Wir werden in einem Fünf-Punkte-Programm — ich werde es Ihnen gleich vortragen, wenn Sie in Ruhe zuhören —

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Schon wieder ein Programm!)

beweisen, daß wir keine Reparaturkolonne sind, die im Troß einer orientierungslos dahinstolpernden Gesellschaft bloß hinterherläuft, um Schadensfälle zu beheben. Recht hat eben, meine ich, keine nur nacheilende Funktion. Diese Koalition wird sich daher an den Schlüsselfragen dieser Zeit gestaltend zu beteiligen wissen.
Erstens. Die CDU/CSU und die FDP werden auf die neuen Herausforderungen der Fortpflanzungsmedizin Entscheidungen anbieten, die der Menschenwürde, dem Schutz des Lebens, Ehe und Familie und dem Kindeswohl entsprechen. Wir werden natürlich auch auf das eingehen, was Sie, Frau Kollegin, neulich in einer Pressekonferenz etwas polemisch gesagt haben.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nur zu Ihrer Information: Schon vor zwei Jahren!)

— Vielleicht stimmen Sie gleich meinen Grundsätzen zu. Ich werde noch ein wenig darüber ausführen.
Zweitens. Wir werden das von Gewalttätern bedrohte Recht auf friedliche Demonstrationen gewährleisten und den Terrorismus wirksam bekämpfen.
Drittens. Unsere herausragende Umweltpolitik

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

werden wir durch die Aufnahme eines Staatsziels Umweltschutz

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— hören Sie zu — grundgesetzlich sichern. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Morgen!)

— Da darf doch keine Hektik Platz greifen. Entscheidend ist doch: Wir betreiben Rechtspolitik mit Blick über den Tag hinaus. Effekthascherei und ähnliches dürfen doch bei uns überhaupt keinen Platz haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Ihre Flugblätter sagen etwas anderes aus!)

Viertens — verehrte Kollegin, da stimmen Sie sicherlich auch zu — : Wir werden die Bürgerrechte stärken,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, hoffentlich!)

sowohl gegen öffentliche als auch gegen private Eingriffe.
Wir werden fünftens, Herr Kollege Bachmaier, der Sozialen Marktwirtschaft geeignete Rahmenbedingungen für ihre weitere Entfaltung setzen, die auch dem Schutzbedürfnis des schwächeren Marktteilnehmers Rechnung tragen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

Meine Damen und Herren, zum ersten Programmpunkt: Die wissenschaftlich-technische Entwicklung hat durch die Fortpflanzungsmedizin neue Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Das eröffnet Chancen und Risiken gleichermaßen. Es ist daher unsere Aufgabe, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu nutzen, wo er zum Wohl des Menschen eingesetzt werden kann. Und dabei kennen wir die Grenzen für das Selbstbestimmungsrecht und auch die Grenzen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.
Ich darf Ihnen sagen, welche Auffassung wir zu diesem wichtigen Problembereich besitzen.
Erstens. Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle, der sogenannten Konjugation. Es ist schutzwürdig und schutzbedürftig von diesem Zeitpunkt an.
Zweitens. Die künstliche Befruchtung ist nur vertretbar, um eine auf natürliche Weise nicht erreichbare Schwangerschaft herbeizuführen. Sie darf grundsätzlich nur in homologer Form stattfinden. Das heißt: Eizelle und Samenzelle stammen von den Ehepartnern. Eine Insemination bei Unverheirateten oder Alleinstehenden lehnen wir ab. Die Insemination post mortem, also die Verwendung von Samen eines Verstorbenen, ist zu untersagen.
Drittens. Es dürfen nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie zur Herbeiführung einer Schwangerschaft unverzüglich übertragen werden. Die Befruchtung einer Eizelle zu experimentellen Zwecken ist mit der Würde des Menschen unvereinbar.
Viertens. Der Mensch hat das Recht auf Kenntnis seiner blutsmäßigen Abstammung. Bei der Samenspende gilt die Ein-Spender-Regelung und das Entgeltverbot.
Fünftens. Die verschiedenen Formen der Ersatzmutterschaft — sprich: Leihmutterschaft — sind abzulehnen. Die Werbung hierfür ist strafbar.



Marschewski
Sechstens. Das sogenannte Klonen, also die asexuelle Herstellung gewissermaßen identischer Nachkommen, das Schaffen von Schimären und Hybriden wird unter Strafe gestellt.
Meine Damen und Herren, sehr verehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, wir wissen, daß es erforderlich wird, Gesetzentwürfe anzubieten.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Es ist gut, daß Sie das wissen!)

Ich jedenfalls danke der Bundesregierung natürlich für das Embryonenschutzgesetz — das war ein Anfang — und natürlich auch für das Ersatzmuttervermittlungsverbot, das Frau Süssmuth anstrebt. Ich weiß, daß wir nach dem Werbe-Leihfall in Frankfurt natürlich gezwungen sind, zu handeln,

(Frau Dr. Däbler-Gmelin [SPD]: Bald!)

und daß wir Lösungen brauchen; da sind wir sicherlich einer Meinung. Aber lassen Sie mich doch eines sagen, wie es — gestatten Sie — Fontane einmal formulierte: „Das ist ein weites Feld, Luise." Und Roman Herzog fügte zu Recht hinzu: „Vermint ist hier doch jeder halbe Meter." Meine Damen und Herren, ich glaube, darin werden wir eine große Übereinstimmung erzielen.
Meine Damen und Herren, ein paar Anmerkungen zum zweiten Bereich, zur Sicherung der Demonstrationsfreiheit. „Wer Gewalt verharmlost, baut Gewalthemmungen ab", so hat der Bundeskanzler dieser Tage zu Recht ausgeführt. Ist nicht die Auffassung der SPD-Fraktion, die ich gerade gehört habe, Herr Kollege Bachmaier, eine Strafbarkeit der Vermummung abzulehnen, doch irgendwie eine Verharmlosung — ich habe daran gedacht — der Geschehnisse der letzten Wochen?

(Bachmaier [SPD]: Was soll denn das?)

Denn es ist doch so: Die Vermummung ist — das hat die Praxis jetzt leider gezeigt — eine Vorstufe der Gewalt geworden. Sie gebiert Gewalt und wird dadurch zum kriminellen Unrecht. Meine Damen und Herren, wer in der Bundesrepublik Deutschland, dem freiesten Staat, den es auf deutschem Boden je gab, mit der freiheitlichsten Verfassung, die ein deutscher Staat je hatte, seine Meinung ausdrücken will, der kann sein Gesicht zeigen, der braucht keine Vermummung, den fordere ich auf, den Knüppel aus den Händen zu legen, meine Damen und Herren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104312600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wiefelspütz?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1104312700
Bitte schön.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1104312800
Herr Kollege Marschewski, sind Sie bereit, die große Erschütterung der gesamten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands über die Mordtaten an der Startbahn West zur Kenntnis zu nehmen?

Erwin Marschewski (CDU):
Rede ID: ID1104312900
Ich bin sicherlich bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen; ich bitte Sie nur, auch zu handeln und uns zu unterstützen. Lieber Kollege, Sie kommen genau wie ich aus dem Ruhrgebiet. Nehmen Sie in unserer Heimat auch Ihre Genossen einmal ernst! Wenn ich mit denen vor Ort spreche, sagen sie mir doch folgendes: Das schlimmste Übel, an dem wir offensichtlich leiden, ist nicht die Stärke der Rechtsbrecher, sondern leider das Zögern vieler Demokraten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber doch nicht des Gesetzgebers, Herr Marschewski! Man muß ein bißchen differenzierter denken!)

Daher werden wir auch nicht zögern, Unklarheiten und Unsicherheiten bei der Beurteilung von Sitzdemonstrationen zu beseitigen. Sie wissen natürlich: Das Bundesverfassungsgericht hat uns dazu vor ein paar Tagen erneut aufgefordert.
Das friedliche Recht auf Demonstration ist selbstverständlich gewährleistet, aber, meine Damen und Herren, auch dies ist eindeutig: Es gibt kein Grundrecht, das es dem einzelnen erlaubte, sich über gleichwertige Rechte anderer hinwegzusetzen und die eigenen Meinung letztlich zum Maßstab aller Dinge zu machen. Wer jemanden daran hindert, sein Heim zu betreten, oder wer Angehörige militärischer Einrichtungen daran hindert, in die Kasernen hinein- oder aus ihnen herauszukommen, der kann sich zur Rechtfertigung dieses Verhaltens nicht auf das eigene Gewissen berufen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Er hat's immer noch nicht verstanden!)

Wer dies tut, verkennt die pluralistische Demokratie.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wovon redet der denn?)

Dieser Pluralismus setzt eben voraus, Frau Kollegin, daß wir das akzeptieren, was verfassungsgemäß beschlossen worden ist, auch wenn das eine oder andere bei Ihnen oder bei wem auch immer auf Ablehnung stößt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie bauen doch wieder einen Popanz auf!)

— Ich werde Ihnen gleich etwas sagen und Sie um Antworten bitten; dann kommen wir zu dem „Popanz". — Meine Damen und Herren, ich meine, der Absolutheitsanspruch und das Sitzblockieren der GRÜNEN sind in keiner Weise mit unserer Rechtsordnung vereinbar; das haben die Gerichte jetzt ja auch bestätigt.
Jetzt zu dem „Popanz", Frau Kollegin DäublerGmelin. Ich bitte Sie um eine Antwort, und Sie haben ja gleich Zeit, dazu Stellung zu beziehen. Ich habe den Nürnberger Parteitag schon einmal angesprochen. Ich habe den Eindruck, die Rechtspolitiker, die ich sonst kennengelernt habe, alles sehr sachliche Menschen, sind da gar nicht gewesen, denn wie könnte sonst so etwas beschlossen werden?

(Bachmaier [SPD]: Wacker waren wir dabei!)

Wie könnte sonst beschlossen werden — ich zitiere —:

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Jetzt aber richtig zitieren!)




Marschewski
Passiver Widerstand von Demonstranten gegenüber staatlicher Machtausübung darf nicht mehr als Gewalt interpretiert werden.
Meine Damen und Herren, das ist Nürnberg gewesen! Das ist also offensichtlich Ihre Meinung.

(Zuruf von der SPD: Bundesverfassungsgericht!)

Ich bitte Sie, dazu gleich etwas zu sagen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Aber Sie wissen es doch viel besser, Herr Marschewski!)

Denn die Folgen Ihrer Regelung von Nürnberg wären klar: Blockierung von Straßen und Plätzen, von Schienenwegen, von Hauseingängen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Ein bißchen differenzierter denken! Das geht doch!)

— Sie haben gleich genügend Zeit, sich zu diesen Punkten zu äußern.

(Weitere Zurufe der Abg. Frau Dr. DäublerGmelin [SPD] — Bachmaier [SPD]: Hin und wieder einmal in eine Gerichtsentscheidung schauen oder einen Blick ins Gesetz werfen!)

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich aus der Fülle von mehr als einem halben hundert rechtspolitischer Vorhaben dieser Periode noch zwei wichtige Bereiche anspreche, weil ich mit den Kollegen darüber auch gerne diskutieren möchte. Ich begrüße es, Herr Bundesjustizminister, daß in Ihrem Ministerium die Vorarbeiten zur Reform des Entmündigungs-, Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts sehr weit gediehen sind.

(Zustimmung des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Die von einer Kollegin stammende Bemerkung, sie traue diesen Burschen nicht, oder es geschehe gar nichts, wenn der Druck nicht bliebe, entbehrt jeder Grundlage. Meine Damen und Herren, Sie und wir wissen doch, daß das geltende Recht den einzelnen unnötig stark in seiner Rechtsausübung einschränkt, daß kranke und behinderte Menschen rechtlich Kleinkindern gleichgestellt werden. Wir sind doch einer Meinung: Begriffe wie „Mündel" und „Pflegling" werden zu Recht als diskriminierend empfunden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wie schön!)

— Frau Kollegin, wir werden dies vordringlich, aber mit Augenmaß ändern. Wir werden die Totalentmündigung abschaffen, wir werden Vormundschaft und Pflegschaft in ein Institut der Betreuung umsetzten, und wir werden die individuelle Betreuung zum einzigen Maßstab unseres und des staatlichen Handelns machen.
Herr Kollege Bachmaier, Sie haben das Insolvenzrecht angesprochen. Ich will das auch tun. Wir beide wissen, daß das Insolvenzrecht heute nicht mehr die Funktion erfüllt, die es einst besaß. Sie wissen, daß damals 90 % der Insolvenzen nach der Vergleichsoder der Konkursordnung abgewickelt wurden; heute sind es ungefähr noch 20 %.

(Bachmaier [SPD]: Wenn's hoch kommt!)

Wir sind einer Meinung: Der Konkurs ist nicht mehr die Reinigungsprämie der Wirtschaft. Es geht heute um neuere Dinge. Es geht darum, eine wertezerschlagende Liquidation zu verhindern. Es geht darum, eine gerechte Erlösverteilung zu erreichen, fair und äquitabel. Das ist das Problem. Es geht darum, die Arbeitnehmer in angemessener Weise zu schützen. Ich danke auch hier dem Herrn Bundesjustizminister, der dabei ist, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten.
Verehrter Kollege Bachmaier, ist es nicht unseriös, schon jetzt fertige Gesetze zu verlangen? Sie wissen doch genausogut wie ich: Allein die Leitsätze der Kommission zur Reform des Insolvenzrechts umfassen mehr als 80 Seiten.
Noch eines: Ein funktionsfähiges Insolvenzrecht läßt sich nicht allein durch den Gesetzgeber verordnen. Unsere Aufgabe ist es doch, möglichst breite Akzeptanzen zu schaffen.
Noch eine Mahnung an Sie — ich hoffe, Sie verstehen es richtig — : Auch der Bereich des Insolvenzrechts ist — ich denke an Nürnberg, Herr Kollege Bachmaier — kein Tummelplatz für Umverteilungen aus dem Bereich der Utopie. Die ideologischen Scheuklappen sind auch hier ganz fehl am Platze.

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Sehr wahr!)

Ich komme zum Schluß. Geld, meine Damen und Herren, war traditionell noch nie ein Thema dieser rechtspolitischen Debatte. Das ist ja auch bei einem Etatanteil von einem Siebenhundertstel nicht weiter verwunderlich. Es bleibt nur ein Gedanke aus der Vielfalt rechtlicher Probleme: Wie schaffen wir es endlich, Gesetze zu entschlacken und ihre Flut einzudämmen, so daß in angemessener Frist endgültig Urteile gesprochen werden? Spätes Recht ist halbes Recht; so haben wir es gelernt.
Ich selbst bin da noch zweifelnd oder nachdenklich. Es wird auch kaum ausreichen, Herr Kollege Kleinert, die Zahl der Richter zu erhöhen. Ich weiß auch nicht: Ist dies überhaupt ein akzeptabler Weg? Ist es der richtige Weg, den Gang zu den Gerichten vielleicht durch Verfahrensvorschriften zu Lasten des Schwächeren zu erschweren?
Ich hoffe, Herr Minister, die Strukturkommission wird Wege weisen. Ich weiß: Patentrezepte gibt es nicht. Diese hatte, meine Damen und Herren, damals nur Jonathan Swift im Land der Riesen, wo es hieß: Kein Gesetz darf an Worten die Zahl der Buchstaben des Alphabets, nämlich 22, überschreiten. Weiter hieß es dort: Die Herausgabe eines Kommentars zu einem Gesetz gilt als Kapitalverbrechen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Wir sind alle Kapitalverbrecher!)

Wie dem auch sei, wir sind uns einig: Gerechtigkeit und Wahrheit soll man walten lassen und dabei nicht viel Worte machen — ein guter Vorsatz auch oder insbesondere für Juristen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104313000
Das Wort hat der Abgeordnete Häfner.




Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1104313100
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Bundesjustizminister! Ich glaube, daß das, was wir eingangs in der Rede des Abgeordneten Marschewski hören konnten, ein ziemliches Mißverständnis über das zum Inhalt hatte, was Rechtspolitik sein sollte. Das ist jedenfalls meine Auffassung, Herr Kollege.
Kern der Rechtspolitik sollte nicht die Ausübung von Macht mit allen Mitteln — auch der Gewalt — sein, sondern Kernprinzip des Rechts überhaupt sollte der Versuch sein, daß Menschen aufeinander zugehen und sich miteinander verständigen. Daß das in Hamburg geschehen ist und möglich war, ist, meine ich, ein gutes Zeichen und ganz etwas anderes als das, was Sie hier gefordert haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Bundesjustizminister, ich wohne in Bonn in einer relativ teuren Wohnung. Seit meinem Einzug regnet es durch das Dach. Sie werden gleich hören, warum ich Ihnen das erzähle. — Ich hoffe übrigens, daß mein Vermieter jetzt zuhört.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Wer ist das? Die Neue Heimat?)

Seit Wochen und Monaten ist dieser schlimme Zustand bekannt. Es wird hin- und hertelefoniert, es wird festgestellt, daß dringender Handlungsbedarf besteht. Aber es passiert überhaupt nichts.

(Zuruf des Abg. Funke [FDP])

— Ich komme auf Sie zurück, Herr Funke.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Brauchen Sie einen Anwalt? Ich berate Sie!)

— Sie auch, Herr Stark? Dann sind wir eine starke Gruppe! Aber lassen Sie mich bitte jetzt fortfahren!
Mein Vermieter sagt dann immer zu mir: „Sie wissen ja, die Handwerker!" Ich sage heute: Sie wissen ja, die Juristen! Denn genau an diese Geschichte habe ich gedacht, als ich in Ihrem Etatentwurf wieder Ihren grandiosen Plan mit diesem so mutigen und entschlossenen Vorhaben las, eine Broschüre herauszugeben, im Einzelplan 07, aus Mitteln der Steuerzahler finanziert, die den Titel tragen soll „Das Bundesjustizministerium — 40 Jahre Bauhütte des Rechts". Ich habe diese „Hütte" in meiner ersten Etatrede — sicherlich etwas hart — als „Abbruchunternehmen des Rechtes" gekennzeichnet. Ich rücke davon auch nicht ab. Und bei Betrachtung Ihres Ministeriums fällt mir auf: Die „Hütten" werden immer teurer, werden immer höher, und der Ausstoß wird immer geringer.
Der Kollege Bachmaier hat z. B. schon auf die Notwendigkeit einer Insolvenzrechtsreform sehr deutlich hingewiesen. Was bedeutet das für die Menschen? Tausende von Betroffenen gehen bei den Konkursen immer wieder leer aus. Konkursverwalter
— ich erinnere nur an die Maxhütte — kassieren im großen Stile ab, ebenso die Banken. Erst ein einziges Mal ist es in der Bundesrepublik zu einem Konkurs gekommen, bei dem tatsächlich alle Gläubiger befriedigt werden konnten.
Was ist z. B. beim Konkurs Privater, was passiert denn hier mit Menschen, die sich in hohem Maße verschuldet haben und denen man eigentlich, wie das auch in anderen Ländern möglich ist, einen Neuanfang ermöglichen müßte? Hier ist dringender Handlungsbedarf geboten. Aber das wird seit Jahren aufgeschoben. Man brütet und brütet, offenbar immer noch erfolglos.
Mit dem Abbruch des Rechtes wird auch unter Ihrer ministeriellen, politischen Verantwortung in furchterregendem Ausmaß fortgefahren. In diesem Zusammenhang möchte ich doch auf ein sehr aktuelles und, wie ich meine, wichtiges Beispiel zu sprechen kommen: die entsetzlichen Morde in Frankfurt, die unser aller Abscheu und unser aller Ablehnung hervorrufen und die eigentlich dazu führen müßten, darüber nachzudenken, wie man die Spirale der Gewalt zurückdrehen kann, wie man für Deeskalation sorgen kann. Sofort wird in der Koalition der Schrei nach gesetzgeberischen Maßnahmen laut. Und worin sollen diese bestehen? In einem „Vermummungsverbot"!
Wissen Sie, was mir hierzu einfällt? Wissen Sie, was ich an dieser Stelle eigentlich gerne fordern würde, vor allen Dingen von Ihnen? Ein Verdummungsverbot scheint mir nötig zu sein;

(Beifall bei den GRÜNEN)

denn Sie wissen genauso gut wie ich: Die Vermummung steht schon heute als Ordnungswidrigkeit unter Strafe. Unter bestimmten Umständen ist sie sogar eine Straftat. Sie wissen auch, daß der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen und der von Ihnen angestrebten Regelung nur derjenige ist, daß die Polizei heute eingreifen kann, während sie bei der Neuregelung eingreifen m u ß , was bedeutet, daß die Strafbarkeit auf Tausende ausgedehnt würde, die möglicherweise überhaupt keine Straftat begangen haben oder begehen wollen.
Sie wissen auch, daß eben das der beste Weg ist, um friedliche Demonstrationen möglicherweise zu unfriedlichen zu machen!
Auch ich mag diese vermummten Gestalten nicht. Aber haben Sie denn vergessen, warum Menschen angefangen haben, sich zu vermummen, wie Sie das nennen?
Gehen Sie einmal — ich möchte Sie dazu einladen — auf eine Demonstration, z. B. in Wackersdorf. Da stehen heute überall Spezialtrupps der Polizei mit Foto- und Videokameras. Jeder Demonstrant wird aufgenommen und festgehalten. Die Bilder werden nicht vernichtet, sondern sie werden aufbewahrt und gespeichert. Der Bürger muß Angst haben, in irgendwelchen Karteien zu landen. Solange es Berufsverbote, solange es Sicherheitsüberprüfungen gibt, kann ich verstehen, daß diese — —

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Wer nichts anstellt, braucht keine Angst zu haben!)

— Ich habe einen Schulfreund, der wegen der Teilnahme an Demonstrationen und wegen des Betreibens eines Büchertisches vor der Mensa der Universität nicht als Lehrer in den Staatsdienst übernommen worden ist. Solange solche Dinge möglich sind, Herr Dr. Stark, kann ich die Angst der Menschen verstehen.
Ich frage Sie umgekehrt, warum beispielsweise die Polizei vermummt ist. Ich erinnere Sie an das Abräu-



Häfner
men des friedlichen Hüttendorfes an der Baustelle in Gorleben — Freie Republik Wendland — , als die Polizei mit maskierten, mit schwarz bemalten Gesichtern angerückt ist.
Ich frage Sie — und ich füge gleich hinzu: noch niemend hat mir diese Frage bis heute beantworten können —, wo denn der Zusammenhang besteht zwischen dem geforderten Vermummungsverbot und den Schüssen in Frankfurt. Wenn nachts aus einem dunklen Wald, wo man niemanden erkennen kann, aus der Entfernung hinterrücks geschossen wird, wer will denn da glaubhaft behaupten, ein Vermummungsverbot könnte in diesem Zusammenhang irgend etwas bewirken?

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das behauptet doch kein Mensch außer Ihnen!)

Hier geht es um ganz anderes. Ich denke, daß das auch deutlich gemacht werden muß, und zwar nicht zuletzt auf Grund rechtspolitischer Gesichtspunkte; denn hier geht es nicht mehr um ein Tatbestandsstrafrecht, sondern um ein Verdachtsstrafrecht.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Falsch!)

Die Begründung, die immer wieder gegeben wird, die auch Sie, Herr Langner, mir neulich in der Podiumsdiskussion in Bonn gegeben haben, lautet: Ein hoher Prozentsatz — behaupten Sie — der von Ihnen so genannten vermummten Täter würde auch später Straftaten begehen. Ich habe zu Ihnen auf der Podiumsdiskussion gesagt — das ist Lernstoff im ersten Semester des Jura-Studiums — daß, wenn fünfmal ein Herr im Lodenmantel einen Verkehrsunfall verursacht, dann immer noch die Verursachung eines Verkehrsunfalls, nicht aber das Tragen von Lodenmänteln strafbar ist. Dahin sollten wir zurückkehren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Langner [CDU/CSU]: Ein abwegiger Vergleich!)

Ich denke, das ist eine sehr wesentliche rechtspolitische Grundsatzfrage.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das spricht sehr stark für Verdummung! — Dr. Langner [CDU/CSU]: Sie haben doch vom Verdummungsverbot gesprochen!)

— Sie haben sich ja in der FDP Zeit genommen, noch einmal darüber nachzudenken. Deshalb habe ich so deutlich auf diesen Punkt hingewiesen. Ich bitte Sie, über diese Frage einfach noch einmal nachzudenken. Ich bitte Sie, auch über alle anderen im Zusammenhang mit einer Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts geplanten Maßnahmen noch einmal gründlich nachzudenken.
Ich bitte Sie damit, in dem von Ihnen angekündigten Sinn tätig zu werden, nämlich zu einer wirklich liberalen Rechtspolitik, zu den Grundlagen zurückzukehren, die Ihre Partei ursprünglich einmal — ich erinnere an die Freiburger Thesen usw. — gehabt hat.
Ich möchte, was den Haushalt betrifft, zum Abschluß darauf hinweisen: Der Haushalt ist wie Ihre Politik, nach außen hin wenig spektakulär. Einen Punkt haben wir schon streichen können. Das war das Ölbild für Generalbundesanwalt Rebmann. Merke:
Auf Öl rutscht man leicht aus. Es war im Etatposten „Erwerb beweglicher Geräte" versteckt. Wir haben es trotzdem gefunden.
Ein Punkt muß abschließend noch hervorgehoben werden: Das ist die Wehrstrafgerichtsbarkeit. Hierzu liegt Ihnen allen auch ein Antrag von uns vor. Die Unterstellung der Gerichtsbarkeit unter militärische Gesichtspunkte sollte in der Bundesrepublik Deutschland gerade nach den Erfahrungen mit den Kriegsgerichten im Dritten Reich eigentlich indiskutabel sein. Wir lehnen dies, was bisher hinter dem Rücken der Bevölkerung und auch hinter dem des Gesetzgebers geschehen ist, ausdrücklich ab und bitten Sie, diesen Punkt im Einzelplan 07 zurückzuweisen und auch unseren anderen Änderungsanträgen zuzustimmen.
Ich danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1104313200
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1104313300
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Das mit dem Ölgemälde haben Sie gut gemacht,

(Heiterkeit)

aber das war es ja dann wohl auch mit Ihren positiven Beiträgen zur Rechtspolitik.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Herr Marschewski hat Jonathan Swift angesprochen und sprach von der Reise ins Land der Zwerge. Ich habe es mehr mit den Riesen. Da wachte er nämlich auf, und viele dünne Seile überspannten seinen Körper, so daß sich der bedauernswerte Gulliver gar nicht mehr bewegen konnte.
In dieser Lage befinden sich auch viele Bürger unseres Landes, und in dieser Lage befinden sich auch viele Unternehmen in diesem Lande, weil wir nämlich immer mehr und immer wieder nach einem Grundsatz verfahren, den ich in diesem Hause schon einmal auszuführen versucht habe, nämlich daß die Erfüllung von Regelungsbedarf automatisch weiteren Regelungsbedarf erzeugt, so daß wir uns eines Tages wundern, warum wir dem von Jonathan Swift geschilderten Bild so nahe sind.
Das ganz Entscheidende ist — Herr Häfner, Sie haben das vorhin so gesagt, daß ich es ohne jede Einschränkung als ein Kompliment an den Bundesjustizminister auffasse, das ich hier gerne aufnehmen und verstärkt weitergeben möchte — : Stetigkeit und Ruhe gehören nach all dem, was an Reformen früher einmal nötig war, aber inzwischen geleistet worden ist, nun wirklich dazu. Ich kann ja auch nicht dafür, daß die Leute, die in der Zeit eingestellt worden sind, als unser Rechtswesen — genau wie unsere Städte — neu aufgebaut werden mußte, jetzt nicht mehr ganz so hektisch beschäftigt sind. Aber ich bin bemüht, dem etwas Positives zu entnehmen. Ich bin der Meinung, je länger und je ruhiger und bedächtiger man nachdenkt, desto mehr kommt das einer vernünftigen Rechtsentwicklung zugute. Das Wichtigste, was unsere Bürger brauchen, ist Vertrauen in die Stetigkeit und Zuverlässigkeit unseres Rechtssystems und nicht



Kleinert (Hannover)

irgendwelche Bewegungen politisch motivierter Art, die den Gang zum Gericht in noch weit höherem Maße, als wir es schon als Referendare — wenn vielleicht auch nicht im ersten Semester — gehört haben, der Fahrt auf die Hohe See vergleichbar machen, wo bekanntlich alles in Gottes Hand liegt. Wir hier jedenfalls, meine ich, haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß wir Gottes Hand möglichst selten in Anspruch zu nehmen brauchen, wenn wir uns zu Gericht begeben, um so mit einer einigermaßen voraussehbaren Rechtsprechung rechnen zu können.
Deshalb muß eines auch ganz klar sein, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir haben seit einer Reihe von Jahren zu beobachten, daß sich das Gewicht zwischen der Legislative und der Jurisdiktion zum Nachteil der ersten verschiebt. Dies dient dem nicht, was ich eben als das Ziel vernünftiger Rechtspolitik dargestellt habe. Ich rede gar nicht über die Qualität der schließlichen Entscheidung. Ich rede lediglich über die Vorhersehbarkeit der schließlichen Entscheidung. Das ist ein sehr beachtliches Rechtsgut. Es ist wichtig für jeden einzelnen Bürger wie auch für unsere Unternehmen. Dem sollten wir deshalb unsere Aufmerksamkeit widmen.
Neue Unwägbarkeiten bei den Gerichten in Gang zu bringen, das kann nicht unsere Aufgabe sein. Deshalb sollten wir lieber etwas weniger tun, aber dann sehr bestimmt. Im übrigen ist eine eiserne Wahrung des Vorrangs der Legislative dort geboten, wo es darum geht, politische Bedürfnisse in Rechtspolitik umzusetzen.
Der Streit über das, was zweckmäßig sein kann und was man lieber so oder anders hätte, ist der politische Streit.

(Abg. Häfner [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Wenn der mit den dafür in der Demokratie gegebenen Mitteln, z. B. der Diskussion, in diesem Hause stattgefunden hat, dann beginnt die Rechtsetzung, dann beginnt die Gesetzgebung. An der sollte man dann allerdings nicht mehr rütteln.
Zum Schluß möchte ich noch auf ein wichtiges Thema zu sprechen kommen. Es wäre mir einfach etwas peinlich, wenn ich dieses Thema hier nicht aufnehmen würde. Es würde noch jemand auf die Idee kommen, ich hätte Angst davor. Weit entfernt davon, daß ich Angst davor habe, nur kann ich es nicht mehr hören: die interessante Frage der Strafbewehrtheit des ohnehin bestehenden Vermummungsverbots. Es handelt sich, und daran hat in unserer Partei niemand — das ist in den von Herrn Bachmaier erwähnten Beschluß von Anfang September auch nachzulesen — jemals einen Zweifel gelassen, um unser Verständnis für die Sorgen und Probleme der Polizei. Es handelt sich um das Eingehen auf polizeitaktische Bedürfnisse, aber keineswegs, wie irgend jemand vielleicht vermuten möchte, um rechtspolitische oder gar rechtsstaatliche Grundsatzfragen. Weit entfernt davon! Dies hört man landauf landab immer wieder, statt daß man einmal etwas über schnelle Gerichtsverfahren, über Fragen der Polizeitaktik und über die Frage hört, warum es nicht möglich ist, zu erreichen, daß jemand, der morgens mit der Zwille aus dem Hause geht, seiner Lebensgefährtin hinterlassen muß, daß es keinen Sinn hat, das Abendessen warm zu halten.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)

Dies ist doch das Ziel der Veranstaltung. Wir wollen friedliche Demonstrationen und keine unfriedlichen. Wie wir das erreichen, betrifft polizeitaktische Fragen, hinsichtlich deren wir uns nicht in unserer rechtsstaatlichen Gesinnung verdächtigen lassen, sondern denen wir uns widmen werden.
Mir stellt es sich so dar, daß diese eigentümliche Frage der Vermummung wegen ihrer enormen, sinnfälligen Fernsehwirksamkeit bei dem Versuch, festzustellen, was wir wirklich tun müssen, um friedliche Demonstrationen zu sichern und unfriedliche zu vermeiden, eine Sichtblende ist. Wenn es denn so ist, dann räumen wir sie ab, ohne uns mit den Polizeipräsidenten der jeweiligen Herren Innenminister noch länger über ihre Geschmacksfragen zu unterhalten. Wir sorgen dann dafür, daß wir über dieses Thema nichts mehr hören; so sehr ich das bedauere, Herr Bachmaier, aber Ihnen fällt auch zu anderen Dingen immer noch etwas ein. Da bin ich ziemlich sicher.

(Zustimmung bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104313400
Herr Abgeordneter, sind Sie noch zu einer Zwischenfrage bereit?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1104313500
So sehr wir es also bedauern würden, Ihnen das Thema wegnehmen zu müssen: Wir werden es abräumen, damit wir uns vernünftigen Dingen zuwenden können, im Sinne dessen, was ich einleitend etwas allgemeiner, aber — wie ich glaube — notwendigerweise hier zur Rechtspolitik ausgeführt habe. Wir hoffen, daß der Bundesjustizminister und all seine Mitarbeiter uns dabei so wohltuend und so erfolgreich wie bisher begleiten werden, wofür ich mich hier sehr herzlich bedanken möchte.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104313600
Herr Abgeordneter Häfner, es tut mir leid; der Redner hatte seine vorgesehene Redezeit schon um zwei Minuten überschritten. Ich konnte deswegen diese Zwischenfrage nicht mehr zulassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wiefelspütz.

Dr. Dieter Wiefelspütz (SPD):
Rede ID: ID1104313700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Marschewski, Sie haben soeben reichlich polemisiert. Ich kenne Sie eigentlich aus dem Rechtsausschuß als einen sehr besonnenen Kollegen. Ich würde Sie herzlich bitten, in Zukunft von dieser Begabung auch hier im Plenum Gebrauch zu machen.
Nun haben Sie, was wir ja prinzipiell begrüßen, hier den Versuch unternommen, sich auch mit sozialdemokratischer Rechtspolitik auseinanderzusetzen. Ich begrüße ausdrücklich, daß Sie den Versuch unternehmen. Allerdings haben wir den Wunsch, daß Sie etwas tiefer schürfen. Dann würde sich auch eine Auseinandersetzung damit lohnen.

(Beifall bei der SPD)




Wiefelspütz
Im übrigen biete ich Ihnen für den Fall, daß Sie tiefer schürfen wollen, gern jederzeit meine Hilfe an.
Nun zum Justizhaushalt und zur Justizpolitik des Justizministeriums: Das Justizministerium will in dieser Legislaturperiode rechtspolitische Vorhaben in Angriff nehmen, die auch von uns, meine Damen und Herren, als sehr wichtig eingeschätzt werden. Den Verlautbarungen des Ministeriums ist zu entnehmen, daß in den Bereichen Rechtspflege, bürgerliches Recht, Strafrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht sowie öffentliches Recht Handlungsbedarf gesehen wird.
Wie geht nun das Justizministerium mit diesen als wichtig einzuschätzenden Vorhaben um?
Erstes Beispiel: Datenschutz. Angekündigt hat das Justizministerium datenschutzrechtliche Ergänzungen des Strafvollzugsgesetzes. Vier Jahre, meine Damen und Herren, nach dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat das Justizministerium offenbar immer noch kein Konzept. Dazu paßt es dann auch folgerichtig, daß die große Anfrage der SPD-Fraktion zum Datenschutz im Strafverfahren von April 1987 bis heute nicht beantwortet wurde, obwohl Beantwortung im Laufe dieses Jahres zugesagt wurde. Wir Sozialdemokraten meinen, daß die Novellierung der Strafprozeßordnung unter Datenschutzgesichtspunkten überfällig ist.

(Beifall bei der SPD)

Gleiches gilt für gesetzliche Regelungen bei den Justizmitteilungspflichten. Die Novellierung der Strafprozeßordnung unter Datenschutzgesichtspunkten darf sich nach Auffassung der SPD-Fraktion nicht darauf beschränken, eingefahrene Praktiken im nachhinein lediglich gesetzlich zu sanktionieren oder gar eingetretene Fehlentwicklungen durch Gesetz fort- und festzuschreiben.
In den Polizeigesetzen der Länder sind grundsätzlich nur die Befugnisse der Polizei zur Gefahrenabwehr zu regeln. Vorschriften über die Erhebung, Speicherung und Verwertung von Daten zur Aufklärung von Straftaten und zur Strafverfolgung gehören in die Strafprozeßordnung.

(Beifall bei der SPD)

Hierzu fehlt, Herr Minister, bislang eine klare und deutliche Stellungnahme von Ihnen.
Ein weiteres Beispiel: Reform des Strafverfahrensrechts. Hier fehlt bis heute eine Erläuterung von Ihnen, Herr Justizminister, in welche Richtung diese Reform gehen soll. Besonders dringlich ist aus unserer Sicht eine Reform der Anordnungsvoraussetzungen für die Untersuchungshaft. Wo bleiben, frage ich, die Ergebnisse des Forschungsauftrages, den das Justizministerium vergeben hat?
Mit Recht wird allseits kritisiert: In der Bundesrepublik werden Haftbefehle zu schnell und zu häufig beantragt, angeordnet und vollzogen. Das wird dadurch belegt, daß weniger als 50 % der Untersuchungshäftlinge zu vollstreckbaren Freiheits- und Jugendstrafen verurteilt werden. Auf die Anordnung und Vollstrekkung von Haftbefehlen, die in 95 % aller Fälle mit Fluchtgefahr oder Verdunklungsgefahr begründet werden, kann vielfach verzichtet werden. Auch mildere Maßnahmen wie Sicherheitsleistung in Form von Kautionszahlungen können in verschiedenen Fällen Beschuldigte sehr wohl davon abhalten, Verdunklungshandlungen oder Wiederholungstaten zu begehen.
Die SPD-Fraktion unterstreicht den dringlichen Handlungsbedarf in diesem Bereich durch Vorlage eines Gesetzentwurfs, den wir demnächst hier in erster Lesung behandeln werden. Mit diesem Gesetz könnten die Zahl der Untersuchungshaftfälle reduziert und deren Dauer eingeschränkt werden.
Ich will ein weiteres Thema nennen: Auch im Bereich der Beschleunigung des verwaltungs- und finanzgerichtlichen Verfahrens offenbart das Justizministerium Konzeptionslosigkeit. Die gerade vom Bundestag beschlossene Verlängerung des Entlastungsgesetzes für den Bundesfinanzhof belegt dies. Der Rechtsausschuß sah sich genötigt, die Bundesregierung abermals aufzufordern — ich zitiere — , „bis Mitte nächsten Jahres eine Konzeption vorzulegen, wie eine dauerhafte Regelung aussehen kann, die den Bundesfinanzhof entlastet und gleichzeitig einen zeitnahen und wirkungsvollen Rechtsschutz in der Finanzgerichtsbarkeit gewährleistet" . Dies bedeutet eine offene Rüge des Ausschusses für die Tatenlosigkeit des Justizministers.
Ferner: Die Ratifizierung der UN-Folterkonvention und der Europäischen Folterkonvention ist ein weiteres Beispiel für den quälend langwierigen Handlungs-und Entscheidungsprozeß im Hause Engelhard.

(Marschewski [CDU/CSU]: Die ist doch ratifiziert!)

Dem Minister fehlen offenbar Durchsetzungsfähigkeit und Durchsetzungswille. Freuen kann man sich darüber nicht; denn um der Sache willen tut dies mir und vielen anderen weh, gerade in diesem sensiblen Menschenrechtsbereich.
Weiteres Beispiel: Die angekündigte Pönalisierung der Vergewaltigung in der Ehe. Auch hier: Entscheidungs- und Handlungsschwäche des Justizministeriums. Trotz zahlreicher Vorarbeiten ist die Vorlage eines Gesetzentwurfs durch die Bundesregierung immer noch nicht absehbar. Es wäre doch sehr erfreulich, meine Damen und Herren, wenn sich die Meinungsverschiedenheiten in diesem Bereich zwischen Minister Engelhard und Frau Ministerin Süssmuth auflösten, damit wir endlich wüßten, woran wir in diesem Bereich sind.
Wir Sozialdemokraten haben durch unseren Gesetzentwurf hier klar Position bezogen. Unser Entwurf geht davon aus, daß der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in der Ehe angemessen dadurch gewährleistet wird, daß in den §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches die Beschränkung auf außereheliche Tatbestände entfällt und es dem Gericht ermöglicht wird, die Strafe zu mildern oder ganz von ihr abzusehen, wenn dies im Interesse der Beziehung zwischen der Frau und dem Täter geboten ist.
Angekündigt hat das Justizministerium schließlich die längst überfällige Reform des Jugendgerichtsgesetzes. Vor 14 Tagen ist meiner Fraktion der Referentenentwurf endlich zugeleitet worden. Die Mängel



Wiefelspütz
des Entwurfs werden in dem Entwurf selbst aufgeführt — Zitat — :
Der Entwurf greift eine Reihe von Problembereichen des Jugendstrafrechts nicht auf, da Lösungsvorschläge dazu noch nicht erarbeitet und noch nicht ausreichend diskutiert worden sind.

(Dr. de With [SPD]: Unglaublich!)

Wir erwarten von dem Referentenentwurf ja gar nicht, daß er sich als Königspfad erweist, Herr Minister, den wir nur gemeinsam beschreiten müßten, um die angestrebte Reform zu erreichen. Aber der uns vorgelegte Entwurf eignet sich nicht einmal als Diskussionspapier.
Beim Justizministerium, meine Damen und Herren, ist leider kein entschlossener Wille zum Ausbau des liberalen und sozialen Rechtsstaats erkennbar. Aus diesen politischen Gründen lehnen wir den Justizhaushalt ab.

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Das ist aber schade!)

Ein Wort noch zu den Änderungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN: Den Änderungsanträgen 11/1225 und 11/1227 stimmen wir zu, ohne uns die zum Teil unsinnigen Begründungen zu eigen zu machen — wir stimmen hier nur über Anträge ab —, beim Änderungsantrag 11/1226 enthalten wir uns.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Ist aber mutig, daß Sie sich enthalten!)

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104313800
Ich erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1104313900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im traurigen Monat November ist's, die Tage werden trüber — wenn ich dies so abgewandelt zitieren darf —; dies mag, Herr Kollege Bachmaier, auch der Grund dafür sein, daß sich im Dunst und im Nebel des Rheintals zunehmend für Sie die freie Sicht auf eine sehr erfolgreiche Rechtspolitik dieser Bundesregierung verstellt. Es war ja nicht nur die Ihnen kurz zugemessene Redezeit, die es Ihnen verwehrt hat, hier die Tatenlosigkeit, die Untätigkeit, ja, wie Sie andeuteten, den ganzen desolaten Zustand dieser Rechtspolitik aufzuzeigen. Ich will Ihnen sagen: Wir werden uns nicht irremachen lassen, unserer Linie — in der letzten Legislaturperiode konnte wie in kaum einem anderen Ressortbereich nahezu alles, was an Entwürfen vorgelegt worden war, im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages beraten und verabschiedet werden — weiterzuverfolgen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ein Großteil dessen, was in den zurückliegenden Jahren getan wurde, hat dankenswerterweise auch Ihre Unterstützung gefunden.

(Stiegler [SPD]: Wir hätten gern noch mehr unterstützt!)

Wir werden immer Wert darauf legen, die Schnellschüsse aus der Hüfte zu unterlassen. Hier gibt es mehr Ehrlichkeit bei Parteifreunden von Ihnen in den Ländern. Zu der schwierigen Frage des Umwelthaftungsrechts hat etwa Justizkollege Krumsiek aus Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesrat erklärt, der Entwurf Nordrhein-Westfalens sei ein erster kleiner Schritt. Man wolle das einmal versuchen. Er hat ein chinesisches Sprichwort zur Unterstützung seiner Auffassung zitiert, das da lautet:
Auch eine Reise von tausend Meilen fängt mit dem ersten Schritt an.
Das genau ist das Problem.
Nach den Vorgängen bei Sandoz im November 1986 wurde bereits im Dezember 1986 die interministerielle Arbeitsgruppe aus Vertretern meines Ministeriums und Vertretern des Umweltministeriums eingesetzt. Dort wird hart gearbeitet. Nur sind die Probleme des Umwelthaftungsrechts, einbezogen auch die Fragen eines verbesserten Umweltstrafrechts, so umfangreich und schwierig, daß der verantwortungslos handeln würde, der hier, um Ihren vordergründigen Forderungen, ja manchmal nur Nörgeleien willens zu sein,

(Beifall bei der FDP)

blitzschnell mit irgendeinem Geschreibsel bei der Hand wäre. So kann eine vernünftige Politik nicht gemacht werden.
Wir werden zu Anfang des nächsten Jahres, so hoffe ich, zur Insolvenzrechtsreform einen Entwurf vorlegen. Nur ist es auch hier, nachdem Korrekturen am Ergebnis des Kommissionsberichts notwendig waren, weil sonst ein derartiger Entwurf die Zustimmung der Betroffenen nicht gefunden hätte, dringend notwendig gewesen, eine umfangreiche Arbeit zu leisten, die ihre Zeit erfordert. Sie dürfen überzeugt sein, daß hier nichts unversucht gelassen wird, in dieser Legislaturperiode in der Rechtspolitik in diesem ganz zentralen Punkt zu einem wichtigen und guten Ergebnis zu kommen.
Es sind die Fragen des Entmündigungs-, Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts angesprochen worden, auch von Herrn Kollegen Marschewski. Er hat dankenswerterweise auch das angesprochen, was man mit jenem nun wirklich abscheulichen Wort „Fortpflanzungsmedizin" bezeichnet.
In Kürze wird sich auch das Bundeskabinett mit diesem Thema ausführlich beschäftigen. Es wird von dorther Unterstützung für das gegeben, was in meinem Ministerium nicht nur national, sondern auch auf europäischer Ebene

(Seesing [CDU/CSU]: Das ist das Wichtigste!)

erarbeitet und beraten worden ist. Das Bundeskabinett wird sich mit dieser Frage beschäftigen, wird Unterstützung geben und seinerseits Leitlinien für die weitere Arbeit aufstellen.
Meine Damen und Herren, es kann nicht ausbleiben, daß bei einer derartigen Debatte heute auch Fragen der inneren Sicherheit eine Rolle gespielt haben. Nur, Herr Abgeordneter Häfner, ich meine, man muß es bei Ihrer politischen Gruppierung bereits anerkennen, daß Sie sich in großer Deutlichkeit von Gewalt



Bundesminister Engelhard
und speziell von jener Gewalt, die in Frankfurt getobt hat, distanzieren. Das sei anerkannt. Nur hat es keinen Zweck, mit den Argumenten von vorvorgestern zu hantieren. Da brauchen Sie nicht den Büchertisch vor der Mensa. Welche Bücher, so stelle ich die Frage, haben Ihrem Freund so arg zugesetzt, daß er anschließend keinen Zugang zum öffentlichen Dienst gefunden hat? Nein, die Tatsache ist heute — davon sich abzuwenden und die Dinge nicht sehen zu wollen, heißt, sich fernzuhalten von der Realität des Lebens —: Was ehedem mit der Vermummung Feigheit gewesen sein mag, eine am falschen Platz angewandte Ängstlichkeit, das ist heute die gezielte, ganz gezielte Vorbereitung gewalttätiger Handlungen, bis hin zum Mord.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Abg. Häfner [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Ich will hier nicht aus mir bekannten Unterlagen zitieren — —

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104314000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1104314100
Ich führe den Satz zu Ende: Ich will nicht aus mir bekannten Unterlagen zitieren, die ausweisen, daß bei Schwerstkriminellen größten Ausmaßes auch dort, wo sie einmal nicht vermummt aufgetreten sind, die jederzeitige Möglichkeit, zu diesem Mittel zu greifen, stets vorhanden ist.
Bitte schön.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104314200
Herr Abgeordneter Häfner, bitte sehr.

Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1104314300
Sie kennzeichnen die Vermummung als Vorbereitungshandlung zum Mord. Meine Frage an Sie: Ist Ihnen bekannt, wie viele Menschen in der Bundesrepublik bereits vermummt aufgetreten oder in Erscheinung getreten sind und wie viele davon einen Mord begangen haben, und würden Sie diesen Gedankenschluß auch in anderen Fällen herstellen, würden Sie also sagen: Das Anlegen von Handschuhen ist eine Vorbereitungshandlung zum Mord usw.?

(Kleinert [Hannover] [FDP]: Sie sollten das nicht so schändlich verwirren! Sie tragen hier zur Verwirrung bei!)


Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1104314400
Herr Abgeordneter Häfner, eine Diskussion über so ein wichtiges und zentrales Thema — da meine ich zunächst gar nicht die Vermummung, sondern das viel Schlimmere und unvergleichlich andere, nämlich den Mord —

(Häfner [GRÜNE]: Das ist etwas anderes!)

läßt sich auf solchem Niveau überhaupt nicht führen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich würde mich auch weigern, eine Strichliste — selbst wenn es mir möglich wäre — zu führen über die Relation von Mord und Vermummung oder ähnlicher Schwerkriminalität und Vermummung. Dies ist alles Unsinn.
Ich sage Ihnen noch einmal: Sie wären — auch Sie und gerade Sie — gut beraten, die Dinge etwas anders zu betrachten. Dann kämen sie auch zu dem Ergebnis, daß Sie zu Beginn Ihres Beitrags über diesen Dachschaden nicht soviel hätten abhandeln müssen, um zu dem Ergebnis zu kommen, das Bundesministerium der Justiz sei durch 40 lange Jahre keine Bauhütte des Rechts, sondern so eine Art Abbruchunternehmen gewesen, wie Sie erneut zitiert haben. Ich fordere Sie auf, sich die Dinge zu überlegen und dann erneut das Wort zu nehmen. Ich glaube, unseren Ohren täte das besser.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, wir stellen uns den Herausforderungen, die auf uns zukommen. Das Bundeskabinett wird Vorschläge unterbreiten. Wir bemühen uns um die praktischen Maßnahmen, die bei der Polizei notwendig sind, um Gewalt noch besser als bisher entgegentreten zu können. Aber wir haben auch keine Berührungsängste bei gesetzgeberischen Maßnahmen. Ebenso wie ich den blinden Gesetzesaktionismus ablehne, lehne ich eine Haltung ab, die weismachen will, als sei mit jeder zusätzlichen Gesetzgebungsmaßnahme gleich der Rechtsstaat in seinen Fundamenten berührt, ja gefährdet.
Für uns ist das nicht die Frage. Wir gehen mit großer Sachbezogenheit, mit großer Gründlichkeit, aber auch mit einem großen Maß an Deutlichkeit an die Dinge heran. Wir werden dafür Sorge tragen, soweit es an uns liegt, der Gewalt in all ihren Erscheinungsformen mit aller Klarheit und mit aller Kraft entgegenzutreten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104314500
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1225 bis 11/1227. Ich rufe diese Änderungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung auf.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1225? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1226? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1227? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 07. Wer dem Einzelplan 07 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 19 ab. Wer dem Einzelplan 19 — Bundesverfassungsgericht — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.



Präsident Dr. Jenninger
Ich rufe auf:
Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für
Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksachen 11/1070, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schroeder (Freiburg) Nehm
Frau Rust
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1282 bis 11/1284 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Nehm.

Albert Nehm (SPD):
Rede ID: ID1104314600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 25 des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau für das Jahr 1988 umfaßt 6 137 429 000 DM. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahr immerhin ein Mehr von 79,5 Millionen DM.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Trotz dieser Steigerung ist es Ihnen, Herr Minister, nicht gelungen, Städtebauförderung und sozialen Wohnungsbau im bisherigen Umfange fortzuführen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das wollte Ihr Herr Rau nicht!)

Von Ihrer Seite hat die Bauwirtschaft auch im kommenden Jahr keine Stabilisierungen zu erwarten.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wer die GRÜNEN poussiert, hat sowieso nichts zu erwarten!)

— Beruhigen Sie sich. — Aber darauf wird mein Kollege Scherrer nachher näher eingehen.
Ich möchte heute weniger von Millionen oder Milliarden sprechen als vielmehr von einigen Einzelpositionen mit weitaus geringeren Summen, aber, meine Damen und Herren: Kleinvieh macht auch Mist. Jede einzelne Mark, die hier ausgegeben wird, ist Steuergeld, das von einem Heer fleißiger Menschen erst einmal erarbeitet werden muß.
Nun zum Thema. Nachdem ich im vorigen Jahr von meinen Kollegen im Haushaltsausschuß einen Spitznamen bekommen habe, nur weil es mir gelang, einem großen Baufachmann mit Professorentitel klarzumachen, daß eine schöne Treppe für das Berliner Schloß Bellevue den Bundespräsidenten erheblich weniger als 148 000 DM kosten muß, wenn man bloß auch einmal eine normale Zimmererfirma aus Nordhessen einen Vorschlag machen läßt, will ich mich heute der Nachschiebeliste des Bauministeriums in Sachen Renovierung Hotel Petersberg widmen.
Zusätzlich zu den veranschlagten Gesamtbaukosten von 103 Millionen DM, das ist schon das ganze Geld meiner Oma

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: So eine Oma möchte ich haben!)

— ich auch! — , gibt es jetzt noch eine Nachschiebeliste, eine Nachforderung, eine Verteuerung von 13 Millionen DM. Auf Anforderung des Haushaltsausschusses hat die Bundesbaudirektion darüber eine detaillierte Aufstellung geliefert. Daraus will ich nun einige Beispiele zitieren und, wenn Sie gestatten, auch kommentieren.
Erstes Beispiel. Die Erhöhung der lichten Höhe des Speisesaales: Mehrkosten 535 000 DM.

(Frau Weyel [SPD]: Wieviel Zentimeter?) — Erhöhung der Decke um 100 cm.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wußte man denn bei der ursprünglichen Planung nicht um das Verhältnis von Länge und Breite zur Höhe? Welcher Fachmann hat sich denn dort von Denkmalschützern einlullen oder einschüchtern lassen, so daß erst am Ende ein Nichtbaufachmann, nämlich der Herr Bundespräsident sagen mußte: Dies kann so nicht sein; die Decke muß um einen Meter höher gelegt werden? Welche Baufachleute haben wir denn dort um Gottes Willen beschäftigt?

(Müntefering [SPD]: Da ist der Bauminister ratlos!)

Zweites Beispiel. Zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung der Baugrube — man höre: zusätzliche Maßnahmen; eine Baugrube muß ohnehin gesichert sein, auch in der Ursprungsplanung — : zusätzlich 330 000 DM. Meine Damen und Herren, man muß schon das teuerste Möbelholz, nämlich Teakholz, genommen haben, um die Baugrube abzusichern, um auf diese enorme Summe zu kommen.

(Heiterkeit bei der SPD)

Nächstes Beispiel. Die Erneuerung der Stromversorgung: Mehrkosten 255 000 DM, weil die ursprünglich genannten Anliegerkosten, Anschlußbeiträge, errechnet von RWE, von den Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken, nachher nicht mehr stimmten und eine Nachforderung gestellt wurde. Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie allen Ernstes: Sind denn die Steuerzahler, ist dieses Parlament dafür zuständig, wenn sich bei einem Versorgungsunternehmen jemand verrechnet hat?

(Zuruf von der SPD: Nein!) Das kann doch wohl nicht richtig sein!

Nächstes Beispiel: zusätzliche Anforderungen des Bedarfsträgers an die elektro- und fernmeldetechnischen Einrichtungen im Wachgebäude. Nun kann es sein, daß uns der technische Fortschritt während der Planungszeit überrollt hat. In der Begründung aber lese ich auch „Blitzschutzanlagen" . Meine Frage: Sind Blitze denn eine neue technische Erfindung, oder gab es sie nicht schon vor tausend Jahren? Hätte man



Nehm
das nicht auch schon vorher bei der Planung wissen müssen?

(Fellner [CDU/CSU]: Da muß einmal der Blitz einschlagen!)

— Da müßte einmal der Blitz einschlagen. Sie sagen es, Herr Kollege.
Nächstes Beispiel: zusätzliche Aufwendungen für besondere Beleuchtungseinrichtungen. Dazu will ich nicht viel sagen, denn für zusätzliche Beleuchtungseinrichtungen ist ja auch „nur" der Betrag von 595 000 DM eingesetzt. Ich nenne aus der Begründung nur ein Stichwort: Eine ,,Lichtdesign-Ingenieurgesellschaft" hat dort ihre Vorschläge gemacht. Bei einem so hochtrabenden Titel wundert mich die Summe überhaupt nicht.
Nächstes Beispiel: Beleuchtung des Hubschrauberlandeplatzes. Zusätzliche Kosten 310 000 DM.

(Zuruf von der CDU/CSU)

Hat man denn geglaubt, ausländische Gäste der Bundesregierung nach einem Abendempfang in der Sänfte nach da oben tragen zu wollen, daß man die Beleuchtung des Hubschrauberlandeplatzes nicht vorher schon mit eingeplant hat?

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Mit Fackeln!)

— Mit Fackeln beleuchtet, natürlich. Gut; ja.

(Fellner [CDU/CSU]: Alternative Fackeln!)

Nächstes Beispiel: Einbau von Lüftungsanlagen. 685 000 DM zusätzlich!

(Walther [SPD]: Frische Luft!)

Meine Frage: Sollte denn ursprünglich nicht belüftet werden? Sollten unsere hohen Gäste im Mief erstikken?

(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Entschuldigen Sie bitte! Das kann doch wohl nicht wahr sein, daß in einer Nachschiebeliste, in einer Nachforderung solche Summen erscheinen.

(Walther [SPD]: Die haben das Parlament übers Ohr gehauen; ganz klar!)

Nächstes Beispiel: Die Heizungsanlage. Ursprünglich geplant war die Aufstellung von Radiatoren in den Räumen. Jetzt hat man festgestellt: Die ganze Sache verteuert sich nur um 1 345 000 DM, weil die Aufstellung von Radiatoren aus raumtechnischen, Platz- und architektonischen Gründen nicht angebracht ist.

(Zuruf des Abg. Fellner [CDU/CSU])

Jetzt kommt man darauf und will eine Fußbodenheizung einbauen. Konnte man nicht den Innenarchitekten danach fragen, ob es schon in der Ursprungsplanung enthalten war?

(Purps [SPD]: Kein Wunder, daß die Regierung kalte Füße hat, Herr Kollege!)

Nächstes Beispiel: Die Gas-, Wasser- und Abwasseranlagen erfordern ebenfalls nur eine ganz geringe Summe, nämlich nur 1 480 000 DM zusätzlich, weil man im nachhinein festgestellt hat, daß Abwasserrohre aus statischen Gründen nicht in den Wänden verlegt werden dürfen. Hat man denn bei der Ursprungsplanung den Statiker nicht gefragt? Oder gab es den noch nicht? Hatten wir für den noch kein Geld?

(Walther [SPD]: Wie die mit unserem Geld umgehen! — Fellner [CDU/CSU]: Jetzt reicht es aber! Die können wir entlassen!)

Nächstes Beispiel: Die raumtechnischen Anlagen. Mehrforderung 1 630 000 DM. Da heißt es: Aus sicherheitstechnischen, brandschutztechnischen und akustischen Gründen mußte das alles verändert werden. Haben sich denn die sicherheits- und brandschutztechnischen Bestimmungen seit der Ursprungsplanung bis heute verändert, daß man das so nachschieben muß?
Ich habe nur einige Beispiele aus dem Papier genannt. Wer sich dafür interessiert, möge das selber lesen. Es ist die Drucksache 273 des Haushaltsausschusses.

(Fellner [CDU/CSU]: Jetzt sagen Sie mal was Gutes über die Regierung!)

Die kann man sich besorgen. Darin stehen noch andere Beispiele, die ich aus Zeitgründen nicht bringen konnte.
Mit diesen Beispielen wollte ich deutlich machen, wie sorglos mit den von anderen sauer erarbeiteten Steuergeldern umgegangen wird. Möge es uns alle, besonders aber die Damen und Herren auf der Regierungsbank, zum Nachdenken anregen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104314700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schroeder (Freiburg).

Dr. Conrad Schroeder (CDU):
Rede ID: ID1104314800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der Kollege Nehm hat hier der Bundesbaudirektion genug auf die Finger geklopft. Der Peters-berg, Herr Kollege Nehm, ist sicher ein sehr gewichtiges Problem, das als eine Hinterlassenschaft noch von der vorigen Regierung übernommen wurde.

(Lachen bei der SPD)

Aber er ist nicht das zentrale Thema dieses Haushalts. Nach allem, was wir gehört haben, wird das Richtfest in etwa drei Wochen den Herren nicht mehr so ganz schmecken. Doch wir haben das alles im Haushaltsausschuß sehr deutlich miteinander besprochen, Herr Kollege Nehm. Meine Fraktion hat zum Ausdruck gebracht, daß auch für uns das Ende der Fahnenstange bei den Kostensteigerungen nun erreicht ist.
Ich komme zu erfreulicheren Themen: Im Bereich des Wohnungs- und Städtebaus hat die Bundesregierung besonders eindrucksvolle Erfolge vorzuweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Reschke [SPD]: Das haben wir gerade gehört!)

Die von der SPD immer wieder entworfenen Horrorvisionen vom Abbau des Mieterschutzes sind hier nicht eingetreten. Im Gegenteil: Die Situation auf dem Wohnungsmarkt, die Wohnungsversorgung und die



Dr. Schroeder (Freiburg)

Entwicklung der Mieten, hat sich in den letzten Jahren in einem Maße verbessert, von dem selbst Optimisten vor fünf Jahren nur zu träumen wagten.
Bei der Entwicklung der Wohnungsmieten ist mit weniger als 2 % Steigerung im Jahre 1987 der niedrigste Mietenanstieg seit Bestehen des Mietenindexes überhaupt zu verzeichnen.

(Grünbeck [FDP]: Sehr wahr! — Zuruf von den GRÜNEN: Und das wollen Sie jetzt nachholen, was?)

Die zu Beginn des Jahres 1983 vorgenommenen Änderungen der mietrechtlichen Rahmenbedingungen sind auf den Wohnungsmarkt in vollem Umfang positiv durchgeschlagen.
Auch im Bereich der administrativ festgelegten Sozialmieten ist nach Jahren eines spürbaren Mietenanstiegs im Jahre 1986 mit lediglich 1,7 % Steigerung ein absoluter Tiefstwert erreicht worden. Auch 1987 wird dieses niedrige Niveau erreicht werden.
Die günstige Mietenentwicklung und — hinzukommend — die allgemeine Preisstabilität mit ganz besonderen Auswirkungen auch auf die Wohnnebenkosten sowie Einkommenssteigerungen haben in den letzten Jahren dazu geführt, daß zahlreiche Bürger größere Wohnflächen in Anspruch genommen haben und auch nehmen konnten.
Ich verkenne nicht, daß es durchaus noch regionale Unterschiede auf dem Wohnungsmarkt gibt, insbesondere in einigen Verdichtungsräumen. Hier sind die Länder aufgerufen, regional sachgerecht zu reagieren.

(Conradi [SPD]: So wie Baden-Württemberg, nicht?)

— Herr Kollege Conradi, ich könnte hier einiges zu Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart ausführen. Dazu reicht aber die Zeit nicht. Sonst würde ich auf Ihre Frage gern eingehen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

— Herr Präsident, meine Fraktion hat mir mitgeteilt, es seien 13 Minuten. Aber es sind hier nur neun Minuten eingegeben. —
Neben der objektbezogenen Förderung von Sozialwohnungen kommt heute dem Bundeswohngeld als zentralem Instrument der Absicherung in der gesamten sozialen Wohnungswirtschaft eine überragende Bedeutung zu. Spätestens seit der 6. Wohngeldnovelle, die zum 1. Januar 1986 in Kraft getreten ist, ist das Wohngeld zur treffsicheren Hilfe zur Sicherung der Wohnungsversorgung gerade einkommensschwächerer Haushalte geworden. Die Entwicklung der Wohngeldleistungen, die mehrfach Gegenstand der Erörterungen im Haushaltsausschuß war, zeigt, daß die Wohngeldnovelle voll gegriffen hat.
Die Wohngeldausgaben von Bund und Ländern erreichten 1987 mit rund 3,8 Milliarden DM — ich wiederhole: 3,8 Milliarden DM — ihren bisherigen Höchststand und liegen damit rund 1,3 Milliarden DM höher als im Jahre 1985, vor Inkrafttreten der Novelle. Für den Bund haben sich die Ausgaben um rund 300 Millionen DM stärker erhöht als vorgesehen. Die Zahl der Wohngeldempfänger hat sich 1986 — das sind die letzten Zahlen, die im Augenblick vorliegen — gegenüber 1985 um rund 350 000 auf inzwischen immerhin 2 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland erhöht. Damit zeigt sich, daß die Subjektförderung von den berechtigten Haushalten voll akzeptiert und in Anspruch genommen wird. Durchschnittliche Wohngeldbeträge erhöhten sich pro Wohngeldempfänger von 119 DM monatlich im Jahre 1985 auf jetzt 144 DM. Das Wohngeld deckt bei den begünstigten Haushalten im Schnitt 38 % der Wohnkosten ab. Die Treffsicherheit des Wohngeldes widerlegt das immer wieder zu hörende Gerede der SPD von einer angeblichen Umverteilung von unten nach oben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Begünstigt vom Wohngeld werden gerade auch die sozial schwächeren Eigenheimbesitzer. Immerhin waren im Jahre 1986 von den erwähnten 2 Millionen Wohngeldempfängern rund 150 000 Eigenheimbesitzer. Besonders Familien mit Kindern sind vermehrt Nutznießer des staatlichen Wohngeldes. Unsere Wohnungs- und Mietpolitik ist für Vermieter und Mieter gleichermaßen gerecht, ausgewogen und sozial.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Während der Wohnungsneubau in den letzten Jahren zurückgeht, erreichen neuerdings die Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen auf dem Wohnungsbausektor quantitativ und qualitativ ein hohes Niveau. Eine überragende Bedeutung hat im Rahmen der Erhaltung, Bestandspflege und Verbesserung der Wohnqualität in unseren Gemeinden das Städtebauförderungsprogramm. Während der Entwurf des Einzelplans 25 noch auf der Grundlage des ursprünglichen Modells eines Auslaufens der BundLänder-Mischfinanzierung ab 1988 erstellt wurde, wurde im Haushaltsausschuß durchgesetzt, daß das bewährte Städtebauförderungsprogramm weitgehend in der bisherigen Form weitergeführt werden kann.
Dieses Programm ist 1986 und 1987 der „große Renner" bei Maßnahmen der Erhaltung und Verbesserung der Wohnqualität in unseren Städten und Dörfern geworden. Es konnten bei weitem nicht alle Anmeldungen aus den Bundesländern befriedigt werden. Jede Kollegin und jeder Kollege in diesem Hause weiß, welche Erfolge in der ganzen Bundesrepublik mit diesem Programm erzielt werden konnten, und viele — quer durch die Fraktionen — lassen sich in ihren Wahlkreisen für sichtbare Erfolge aus diesem Programm feiern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Städtebauförderungsprogramm sichert aber nicht nur die Verbesserung der Wohnqualität, sondern hilft auch in hohem Maße gerade unserer Bauwirtschaft und sichert Arbeitsplätze. Deshalb ist es goldrichtig, wenn dieses Programm auch in den nächsten Jahren tatkräftig weitergeführt wird. Nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses stehen für 1988 Barmittelzuweisungen an die Bundesländer von 50 Millionen und Verpflichtungsermächtigungen von 610 Millionen DM zur Verfügung, insgesamt ein Volumen von 660 Millionen DM. Wie in den Jahren 1986 und 1987 sollen Bund, Länder und Gemeinden je ein



Dr. Schroeder (Freiburg)

Drittel für ein gemeinsames Städtebauförderungsprogramm tragen, wodurch der Gesamteffekt rund 2 Milliarden DM beträgt. Wir fordern alle Bundesländer — auch Nordrhein-Westfalen — auf, schnellstmöglich mit dem Bund entsprechende Verwaltungsvereinbarungen zu treffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Diese öffentlichen Mittel für Stadt- und Dorfsanierung erzielen durch hinzukommende private Mittel einen Vervielfachungseffekt in vier- bis fünffacher Höhe, so daß von einem Investitionsschub von 8 bis 10 Milliarden DM für unsere Bauwirtschaft ausgegangen werden kann. Damit ist das Städtebauförderungsprogramm das beste Arbeitsbeschaffungsprogramm.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zu einigen Irritationen hat der sogenannte experimentelle Wohnungs- und Städtebau geführt. Über den berechtigten Beanstandungen des Bundesrechnungshofes wegen einer nicht sachgerechten Verwendung von Bundesmitteln für Modellvorhaben ist das eigentliche Anliegen dieser angewandten Ressortforschung vorübergehend in den Hintergrund getreten. Die Mittel für den experimentellen Wohnungsbau sind nicht eine willkommene „Spielwiese" für Städteplaner und Architekten

(Zuruf von der CDU/CSU: Ein gutes Programm!)

oder ein Finanzierungstopf zur Abdeckung von Kostenüberschreitungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

Das Instrument des experimentellen Wohnungs- und Städtebaus soll mithelfen, neue Formen des Bauens und Wohnens in unseren Gemeinden zu erforschen. Hierbei sind an den wissenschaftlichen Charakter von Modellvorhaben strenge Anforderungen zu stellen.
Meine Fraktion erhofft sich von diesem Forschungsvorhaben weiterhin wertvolle Hinweise für Möglichkeiten einer städtebaulichen Nachbesserung von Großsiedlungen in Verdichtungsräumen, Möglichkeiten einer kostensparenden Stadtsanierung, umweltgerechtes und energiesparendes Bauen, Verkehrsberuhigung, städtebauliche Erneuerung von Dörfern und Ortsteilen, Altlastensanierung und anderes mehr, kurzum Erkenntnisse für künftiges qualitätsvolles Bauen und Wohnen zu bezahlbaren Preisen.
Zum Schluß komme ich auf die Aufgabe zurück, die in jüngster Zeit das Bundesbauministerium und insbesondere die Bundesbaudirektion in verstärktem Maße beschäftigt, nämlich als Bauherr und Auftraggeber für bundeseigene Großbauten in Erscheinung zu treten. Das Bundesbauministerium und insbesondere die Bundesbaudirektion tragen die Verantwortung für die sachgerechte Planung und Durchführung zahlreicher Bundesbauvorhaben. Zu den herausragenden Auf gaben gehören derzeit der Bau des neuen Plenarsaals und der Erweiterungsbauten für die Abgeordneten und die Verwaltung des Deutschen Bundestages. Auch der Bau einer Kunst- und Ausstellungshalle und eines Hauses der Geschichte zählen derzeit zu den Aufgaben des Bundesbaudirektion wie die schon erwähnte Vollendung des Gästehauses der Bundesregierung auf dem Petersberg und der Bau zahlreicher
Auslandsvertretungen. Es ist der Wunsch des Haushaltsausschusses — ich gehe davon aus: auch des gesamten Bundestages — , daß diese Baumaßnahmen in den nächsten Jahren zügig realisiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Weil diese Baumaßnahmen viel Personal binden, erschien es dem Haushaltsausschuß vertretbar, aber auch unumgänglich, einer behutsamen Stellenvermehrung im technischen Bereich der Bundesbaudirektion auf eine gewisse Zeit zuzustimmen.
Bei allem Unmut über die Kostensteigerungen auf dem Petersberg ist jedoch an dieser Stelle ein Dank an die Bediensteten der Bundesbaudirektion fällig. Dieses Wasserwerk ist ein Markenzeichen der Baukunst der Bundesbaudirektion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit den öffentlichen Großinvestitionen in der Bundeshauptstadt und in Berlin ist der Bund auch ein wertvoller und gesuchter Auftraggeber für unsere Bauwirtschaft und schafft zusätzliche Arbeitsplätze.

(Carstens [Emstek] [CDU/CSU]: Der Redner hat heute Namenstag!)

— Vielen Dank für die Glückwünsche!
Zum Schluß bedanke ich mich besonders bei Herrn Bundesminister Dr. Schneider, Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Echternach, Herrn Staatssekretär von Loewenich und allen Bediensteten des Bundesbauministeriums für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Klärung von Fragen. Ich bedanke mich aber auch bei den Mitberichterstattern der anderen Fraktionen für die insgesamt konstruktive Zusammenarbeit bei den Berichterstattergesprächen.
Meine Fraktion wird dem Einzelplan 25 zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104314900
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Oesterle-Schwerin.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104315000
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß der Kollege Schroeder so wahnsinnig stolz darauf ist, daß der Staat so viel Wohngeld ausgeben muß.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie haben noch nie etwas davon verstanden, Frau Kollegin!)

Normalerweise will doch jeder Finanzminister sparen, Sie aber sind stolz darauf, daß wir in sozialen Verhältnissen leben, die den Staat dazu zwingen, Wohngeld in Milliardenhöhe auszugeben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie haben nicht den geringsten Schimmer, Frau Kollegin!)

Ich meine, daß es sinnvoller wäre, die Gemeinnützigkeit der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zu erhalten und damit die Preisbindungen dieser Wohnungen, statt infolge der Preissteigerungen, die beim Wegfall der Gemeinnützigkeit eintreten werden, wie-



Frau Oesterle-Schwerin
der mehr Wohngeld ausgeben zu müssen, um diese Preissteigerungen auszugleichen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Wir wollen es!)

Ich will Ihnen aber zum Wohngeld noch etwas anderes erzählen. Eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern, mit einem Nettoeinkommen von 1 266 DM, wohnt in Köln in einer 75 qm großen Wohnung. Die für das Wohngeld anrechnungsfähige Miete beträgt 525 DM. In Wirklichkeit zahlt sie aber 600 DM Miete. Sie bekommt ein Wohngeld von 189 DM und hat jetzt eine Mietbelastung von 411 DM. Zum Leben bleiben ihr 855 DM. Eine Frau mit zwei Kindern hat 855 DM! Wenn Sie das für sozial halten, Herr Kollge Schroeder, empfehle ich Ihnen, einmal zu versuchen, von dieser Summe zu leben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Schauen Sie doch erst mal das Wohngeldgesetz an, Frau Kollegin! — Dr. Schroeder [Freiburg] [CDU/ CSU]: Vorhin haben Sie die Abschaffung des Wohngeldes gefordert!)

— Ich kenne das Wohngeldgesetz ganz genau.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Bei der Beratung war kein Grüner anwesend!)

— Jetzt will ich aber mal zu meiner Rede kommen.
Die falsche Wohnungspolitik aller bisherigen Bundesregierungen steht auf zwei, allerdings ganz verschieden langen Krücken. Die linke, die kurze Krücke, das ist die verfehlte Konzeption des sozialen Wohnungsbaus, die rechte, die wesentlich längere Krücke, die immer länger wird, das ist die unsoziale steuerliche Eigentumsförderung nach § 10 e Einkommensteuergesetz.
Ich will mit der Beschreibung der linken Krücke anfangen.

(Grünbeck [FDP]: Auf welcher steht man besser?)

— Nein, Sie stehen mit diesen beiden Krücken ganz schlecht, und zwar deswegen, weil die Konzeption des sozialen Wohnungsbaus von Anfang an falsch war. Sie war falsch, weil von Anfang an nur eine befristete Preis- und Belegungsbindung vorgesehen war. Das hat dazu geführt, daß heute immer mehr Wohnungen aus der Bindung herausfallen.
Sie war falsch, weil viel zuwenig Wohnungen gebaut wurden, viel weniger, als es die Zahl der Wohnberechtigten erfordert hätte. Das führt dazu, daß Wohnungsuchende um die Wohnungen konkurrieren müssen, während sich die Vermieter diejenigen Mieterinnen aussuchen können, die sie für „pflegeleicht" halten. Wer dabei auf der Strecke bleibt, ist klar: Das sind die sozial Diskriminierten, die Kinderreichen, die Alleinerziehenden und die Ausländerinnen. Wenn Sie das sozial nennen, ist das Ihr Problem.
Der Tod des sozialen Wohnungsbaus ist keineswegs plötzlich und wie eine Naturkatastrophe über die Bundesrepublik hereingebrochen, sondern er war beabsichtigt und von langer Hand vorbereitet. Heute gibt es in der Bundesrepublik noch zirka 4 Millionen Sozialwohnungen. Bei einer Fortsetzung der bisherigen Politik werden es im Jahr 1995 nach einer Berechnung der Gewog nur noch 1 Millionen Wohnungen sein.
Das Sterben des sozialen Wohnungsbaus geht der Bundesregierung aber noch nicht schnell genug. Deswegen geht sie jetzt an die Auflösung der Altbausubstanz im sozialen Wohnungsbau. Im Zuge der sogenannten Steuerreform will die Regierung die Steuerbefreiung für die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen abschaffen und diesen damit den Garaus machen. Die Frage, „woher nehmen, wenn nicht stehlen",

(Dr. Rose [CDU/CSU]: Die Frage stellt sich immer wieder!)

diese Frage belastet Ihren Minister Stoltenberg bei seinem Vorhaben, den Reichen Steuergeschenke zu machen, offenbar überhaupt nicht.
Die Abschaffung der Steuerbefreiung wird für die Mieterinnen der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ganz verheerende Folgen haben. Die Sozialbindungen werden fallen, die Mieten werden steigen, zahllose Wohnungen werden verkauft werden, und die Bewohnerinnen werden dem sogenannten freien Markt ausgeliefert werden. Das wird die Folge Ihrer Politik sein.

(Grünbeck [FDP]: Da klatschen noch nicht einmal die GRÜNEN! — Gegenruf der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE]: Keine Angst! — Beifall der Abg. Frau Vennegerts [GRÜNE])

Jetzt komme ich zu der wesentlich längeren Krücke der Wohnungspolitik. Das ist die steuerliche Eigentumsförderung nach § 10 e EStG. Diese steuerliche Eigentumsförderung war schon immer asozial, weil sie nur den Besserverdienenden zugute kommt, weil sie diejenigen am meisten fördert, die sowieso schon am meisten haben, und weil 60 % der Bevölkerung dabei leer ausgehen.
Nach der Novellierung dieser Förderung von 1986 ist das alles noch viel schlimmer geworden, weil Sie jetzt auch noch den Kauf von Altbauwohnungen ganz massiv fördern. Das führt dazu, daß Besserverdienende regelrecht dazu angeregt werden, Altbauwohnungen zu kaufen, auf die die Einkommenschwächeren ganz massiv angewiesen sind, und diese zu verdrängen.

(Dr. Rose [CDU/CSU]: In der Hafenstraße?)

— Mir ist schon klar, daß Sie das alles nicht gern hören. Aber so ist die Situation.
40 Jahre verfehlte Wohnungspolitik können nicht von einem Tag zum anderen korrigiert werden. Die indirekten Förderungsmittel, die über die steuerliche Eigentumsförderung gewährt wurden — Milliarden und Abermilliarden von Mark — , sind verloren. Die Wohnungen, die schon aus der Bindung gefallen und bereits verkauft sind, die sind auch verloren.
Unsere drei Anträge, die wir heute zur Abstimmung stellen,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sind auch verloren!)




Frau Oesterle-Schwerin
verfolgen das Ziel, zu retten, was noch zu retten ist — für die Mieterinnen und Mieter im Bestand des sozialen Wohnungsbaus und für 1 Million Menschen in der Bundesrepublik, die überhaupt keine Wohnung haben — davon sind 10 000 Frauen — , für Hunderttausende von Menschen, die in Notunterkünften wohnen, und für Hunderttausende von Menschen, die in Wohnungen leben, die weit unter dem zumutbaren Standard liegen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104315100
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104315200
Ja, ich komme zum Schluß.
Wenn Sie das von der UNO proklamierte Internationale Jahr der Menschen in Wohnungsnot auch nur annähernd ernst nehmen, dann müssen Sie unseren Anträgen zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104315300
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1104315400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Schroeder hat in einer sehr detaillierten Darstellung darüber Bericht erstattet, was in der Wohnungspolitik war. Das ist eine erfolgreiche Bilanz dieser Regierung.
Ich möchte mich gern den künftigen Aufgaben in der Wohnungspolitik widmen. Ich glaube, dazu muß man eines feststellen: Die Wohnraumversorgung bei uns ist in Ordnung. Es ist die beste Familienpolitik, die man sich vorstellen kann, wenn ein Staat und ein Volk so viel Wohnungseigentum besitzt und so viel sozialen Wohnungsbau betrieben hat wie alle Bundesregierungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich kann Sie überhaupt nicht verstehen, wenn Sie diese Politik — auch der vorherigen Regierungen — kritisieren.
Sie waren dabei — ich sage das mit großem Ernst —, als kürzlich der Bauminister der DDR bei uns zu Gast war. Meine Damen und Herren, welche dramatischen Engpässe sich aus einer staatlich gelenkten Wohnungspolitik ergeben, hat man aus seinem Bericht erkennen können. Das ist keine Wohnungspolitik mehr, sondern das ist eine Zuweisungspolitik.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine Käfigpolitik!)

Er hat uns dargestellt, daß beispielsweise in der DDR die Scheidungsrate heute relativ hoch ist, daß aber die vielen Familien, in denen die Elternpaare geschieden sind, noch in denselben Wohnungen bleiben müssen, weil die Zuteilungszeit für neue Wohnungen zwei Jahre beträgt. Das muß man sich einmal überlegen.

(Conradi [SPD]: Das müssen sie hier auch wegen des Scheidungsrechts!)

Sie wollen mehr Staat in der Wohnungspolitik. Wir sind genau der gegenteiligen Meinung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich glaube, die Wohnungssituation in der Bundesrepublik stellt sich so dar, daß wir die jetzige Wohnungspolitik in eine marktwirtschaftlich geordnete Politik
überführen müssen, die an der Sozialen Marktwirtschaft überhaupt keine Zweifel läßt. Herr Schroeder hat das hinreichend dargestellt; ich brauche das nicht zu wiederholen.
Ich möchte nur noch einen Satz sagen: Die Bundesregierung hat sich aus dem sozialen Mietwohnungsbau zurückgezogen, weil es die Länder so wollten. Nun wollen die Länder das nicht mehr ganz wahrhaben. Aber ich sage Ihnen dennoch: Wir sollten die Sache bei den Ballungsräumen mit den Engpässen im sozialen Mietwohnungsbau nicht überziehen. Ich bin der Meinung, daß die Ballungsräume entlastet werden sollten und wir die ländlichen Räume stärken sollten. Ihnen können doch die ländlichen Räume nicht Wurscht sein. Ich glaube doch, daß wir uns da einigen, denn, meine Damen und Herren, wir haben in den Ballungsräumen eine Infrastruktur, mit der die Abwasserprobleme, die Wasserversorgungsprobleme, die Abfallprobleme, der Verkehr und der Lärm kaum noch bewältigt werden können. Hier muß eine Entlastung der Ballungsräume zugunsten der ländlichen Räume stattfinden. Das ist unsere Aufgabe. Ich glaube, daß wir mit dieser Politik richtig liegen.
Wenn Sie in bezug auf die Steuerreform kritisieren, da habe man falsch angesetzt, dann, meine Damen und Herren, darf ich eine Bemerkung machen. Wir waren heute vormittag bei der Kundgebung der gemeinnützigen Wohnungsverbände. Ich bin dem Herrn Bundesbauminister dankbar, daß er in seinen Darlegungen für diese Steuerreform eingetreten ist, weil sie eine übergeordnete Bedeutung hat und man nicht ein Segment herausgreifen und daran herummäkeln kann.
Aber ich habe eine Bitte, auch an die Kollegen unseres Koalitionspartners: Ist es der Sache eigentlich dienlich, wenn die CSU im Bayerischen Landtag beschließt, daß der Bundesbauminister und die Bundesregierung aufgefordert werden, sich zu besinnen und diese Steuerbefreiung zu streichen? Oder ist es der Sache dienlich, wenn der Herr Späth dem Vorsitzenden einen Brief schreibt mit den Inhalt, er werde diese Politik im Bundesrat blockieren? Damit können wir auf Dauer gesehen dem Bürger die Steuerreform wahrscheinlich nicht vermitteln. Ich bin der festen Überzeugung, daß in dieser Koalition Einigkeit besteht und daß auch bei den gemeinnützigen Wohnungsverbänden — das hat die heutige Diskussion sehr deutlich gezeigt — Ansätze dafür vorhanden sind, daß der staatlich gelenkte Wohnungsbau entkrampft wird, indem man Wettbewerbsgerechtigkeit zwischen den freien Wohnungsbauunternehmen und allen anderen Unternehmen herstellt,

(Zustimmung bei der FDP)

die den Markt ja zu 75 % beherrschen oder gebaut haben. Deshalb wird keine Katastrophe entstehen und auch keine dramatische Mieterhöhung.
Wir treten dafür ein, daß bei der Bewältigung der Kommunalaufgaben mehr Privatisierung stattfindet. Die Dezentralisierung von Entsorgungsaufgaben ist eine ergänzende Maßnahme, die wir begrüßen. Wir wollen dringend bitten, daß die Privatisierung in allen Kommunen etwas mehr greift. Solange uns die Kommunen bedrängen, daß ihre Finanzen zusammenbre-



Grünbeck
chen, auf der anderen Seite aber jede Privatisierung verweigern, mit der sie ihre Personal- und Finanzhaushalte entlasten könnten, so lange wird das doch nicht glaubhaft.
Warum unterhalten wir in den Kommunen denn sündhaft teure Bauhöfe mit ungeheuren Maschinenparks und Personalvorhaltungen, obwohl die mittelständische Wirtschaft in der Lage wäre, diese Aufgaben bei Bedarf schnell, bürgerfreundlich und kostengünstiger zu erledigen? Ich glaube, das sollten wir auch einmal sagen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Vor allem kostengünstiger!)

Ich weise bei den künftigen Aufgaben noch einmal darauf hin, daß wir dringend eine Entlastung der Verkehrslage brauchen. Das wird für meine Begriffe eine der schwierigsten Aufgaben. Wenn wir das Ifo-Gutachten ernst nehmen wollen, daß der Güterverkehr auf den Straßen im Jahre 2000 gegenüber heute um 70 % zugenommen hat und es zusätzlich noch 30 mehr Personenkraftwagenverkehr gibt, dann müssen wir eine gemeinsame Strategie für eine Änderung der Struktur des Güter- und Personenverkehrs erarbeiten. Dann kann man aber nicht das machen, was die SPD macht, nämlich auf die Straße zu gehen und laut zu sagen: Wir sind für die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene, aber wenn der Güterbahnhof in München gebaut werden soll, sind wir dagegen. — Das ist natürlich keine Politik, die Ihnen auf die Dauer gesehen zur Glaubwürdigkeit verhilft.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/ CSU)

Ich darf vielleicht noch eines erwähnen. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Nehm, für Ihren heutigen Beitrag bezüglich der Kostenüberschreitung. Ich glaube, wir müssen in der Bauwirtschaft einmal zu einer kritischen Betrachtung der eigentlichen Kostenvoranschläge kommen, die für die Haushaltsansätze in der Regel eingebracht werden, und der tatsächlichen Kosten kommen.

(Müntefering [SPD]: Der Bauminister muß zurücktreten!)

— Das ist nicht nur beim Bauminister so. Mein lieber Herr Kollege, nun sehen Sie einmal nach, wo eigentlich Kostenvoranschläge unterschritten werden! Ich kenne aus meiner 24jährigen kommunalpolitischen Tätigkeit fast nur die Überschreitung von Kostenvoranschlägen. Da wollen wir uns nicht gegenseitig in die Tasche lügen. Das sollten Sie wirklich weglassen.

(Walther [SPD]: Wo sind Sie denn zu Hause, Herr Kollege?)

Ich bin auch dafür, daß wir bei der Eigentumsförderung im Wohnungsbau bleiben. Ich kann nicht verstehen, daß die GRÜNEN bis heute noch keine konzeptionelle Beziehung zum Eigentum gefunden haben. Das heißt, sie haben ja eine Beziehung zum Eigentum; das stimmt schon. Aber wir haben die Beziehung zum eigenen Eigentum, und Sie haben immer nur die Beziehung zum Eigentum anderer Leute. Das ist der Unterschied zwischen uns.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wohnungseigentum ist etwas für die Familie, das ist etwas von Nestwärme, das ist etwas von Vermögenspolitik. Daß man dagegen noch polemisieren kann, verstehe ich überhaupt nicht. Ich glaube, die künftigen Schwerpunkte unserer Politik müssen darin liegen, daß der — —

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104315500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Oesterle-Schwerin?

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1104315600
Wenn Sie nicht angerechnet wird, Herr Präsident, gerne.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104315700
Ich rechne sie nicht an.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104315800
Herr Kollege Grünbeck, wenn Sie meinen, daß die steuerliche Eigentumsförderung dazu in der Lage ist, Wohnungseigentum für viele Menschen zu schaffen, dann frage ich Sie: Wie erklären Sie sich denn, daß wir in der Bundesrepublik heute eine Eigentumsquote von 40 haben, die genauso hoch ist wie 1951? Ist das nicht der Beweis dafür, daß diese Art Förderung nicht in der Lage ist, Eigentum für viele zu schaffen?

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104315900
Frau Kollegin, es ist üblich, daß man die Antwort am Mikrophon abwartet.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1104316000
Frau Kollegin, wir haben in diesem Zeitraum nicht nur Eigentumswohnungen gebaut, sondern parallel dazu auch den Mietwohnungsbau — Gott sei Dank — dramatisch erhöht.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Aber das ist kein Eigentum!)

Dadurch, daß wir so viel Mietwohnungen und so viel Eigentumswohnungen gebaut haben, liegt die Mietsteigerung heute bei 1,8 %. Hier haben die marktwirtschaftlichen Instrumente gegriffen. Wir haben das Angebot an Wohnungen vermehrt und damit die Preise stabilisiert. Das ist ein hervorragender Erfolg für die Wohnungspolitik. Da kann man doch nicht widersprechen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich hätte gern nur noch ein Wort zu den Investitionen gesagt. Es gibt doch keinen Zweifel darüber, daß wir bei den künftigen Investitionen auch einmal an die Folgekosten aus diesen Investitionen denken müssen. Ich glaube, wir müssen manchmal etwas Abschied nehmen von dem Gigantismus. Ich glaube auch, daß wir in unseren eigenen Bundesvorhaben — das hat ja Ihr Beitrag bewiesen — dies ebenfalls beherzigen müssen. Ich kündige an, daß wir dies auch bei den künftigen Maßnahmen, z. B. beim Haus der Geschichte oder beim Deutschen Historischen Museum und wo auch immer, tun werden.

(Walther [SPD]: Das wird teuer! Da hat Herr Kohl die Finger drin!)

Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir die
künftigen Investitionen auch daran messen müssen,



Grünbeck
welche Folgekosten aus diesen Investitionen für alle künftigen Haushalte entstehen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich darf für meine Fraktion erklären, daß wir diesem Haushalt zustimmen. Wir danken Ihnen, Herr Minister, und all Ihren Mitarbeitern für die sorgfältige Ausarbeitung. Wir werden bei der Einzelberatung des Haushaltes zweifelsohne zu Schwerpunkten in der Beratung kommen. Aber ich glaube, eine sorgfältige Einzelberatung muß daran gemessen werden, daß wir der Öffentlichkeit nicht nur verkünden können: Wir alle sind für das Sparen, sondern der Deutsche Bundestag ist gut beraten, wenn er mit gutem Beispiel bei der Sparpolitik vorangeht.
Die FDP wird diesem Haushalt zustimmen. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104316100
Das Wort hat der Abgeordnete Scherrer.

Manfred Scherrer (SPD):
Rede ID: ID1104316200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schroeder und Herr Kollege Grünbeck, all Ihre vielen Worte ändern ja nichts an der Tatsache, daß der Etat des Bauministers

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Der größte aller Zeiten ist!)

in seinen Auswirkungen auf gefährliche Weise eindeutig ist. Er bringt weniger Bauförderung und sorgt damit zwangsläufig für weniger Arbeitsplätze. Das ist auch, wenn man das einmal genau unter die Lupe nimmt, ein Negativhaushalt. Von ihm gehen keine zusätzlichen Impulse aus. Dieser Haushalt trägt massiv dazu bei, die Baukonjunktur nach magerem Zwischenhoch vollends in den Keller zu fahren.

(Beifall bei der SPD)

Trotz aller Hilferufe der Gewerkschaften, Unternehmen, der Städte und Gemeinden streicht der Bauminister seinen Etat weiter zusammen. Die Städtebauförderung wird um 340 Millionen DM gekürzt, mehr als um ein Drittel. Ab 1991 soll sie völlig gestrichen werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben ja gar nichts gemacht!)

Die direkte Wohnungsbauförderung wird um rund 250 Millionen DM gekürzt. Modernisierungs- und Energiesparförderung sind und bleiben gestrichen.
Auf 50 000, meine Damen und Herren, schätzen IG Bau und Institute den Arbeitsplatzverlust am Bau im nächsten Jahr. Das sind 50 000 zusätzliche Schicksale. 1982 waren noch fast 1,2 Millionen Menschen am Bau tätig. Heute sind es 200 000 weniger, und es geht leider weiter bergab.
Der Wohnungsneubau hat sich seit 1982 halbiert. Die jüngsten Zahlen zu den Baugenehmigungsanträgen gehen wieder weiter nach unten.
Der Wohnungsbauminister, der sich zu Beginn seiner Amtszeit gerne als Konjunkturminister sah, steht teilnahmslos und tatenlos dabei. Wir meinen, es gibt viel zu tun, und wir sagen: Herr Minister, packen wir es an. Das ist gängig formuliert; das könnte auch ein Minister in seinem Hinterkopf behalten.
Unsere Städte und Gemeinden stehen vor schwierigen Aufgaben bei ihren Bemühungen um ökologische Erneuerung und sinnvolle Entwicklung. Das kostet Kraft; das kostet Geld; das kostet Zeit. Sie müssen wissen, wo es lang geht.
Meine Damen und Herren, auch wir geben uns keinen Illusionen hin. Die Zeiten nach dem Krieg, die Jahre des Wiederaufbaus sind für die Bauindustrie zu Ende. Aber wir meinen, auch das steht heute fest: Es fehlt nicht am Baubedarf; auch heute muß vieles noch neu gebaut, bei vielem muß die Bausubstanz erhalten werden. Aufgaben wie Stadterneuerung, Wohnumfeldverbesserung, soziale Infrastruktur und die Beseitigung von Umweltschäden haben an Gewicht gewonnen.
Wir meinen also: Helfen wir den Menschen vom Bau, den Handwerkern im Bau- und Bauausbaugewerbe! Die Frage gilt, weshalb, wenn man Arbeitslosigkeit wirklich bekämpfen will, diese Chancen dann nicht genutzt werden.
Hinzu kommt — und das müßten doch auch Sie wissen, meine Damen und Herren von der Koalition — : Jede öffentliche Mark für den Städtebau löst das Mehrfache an privaten Investitionen aus. Herr Kollege Grünbeck, nutzen wir das doch!
Brauchen wir noch ein Bundesbauministerium, meine Damen und Herren? Diese Frage ist im politischen Raum und im wohnungspolitischen Umfeld in den vergangenen Jahren oft gestellt worden. Die Sozialdemokraten haben ja gesagt zu diesem Ministerium. Sie, Herr Minister, machen es einem aber schwer, diese Position durchzuhalten; denn Tatsache ist: Der Bund zieht sich Schritt für Schritt aus allen Bereichen des Wohnungs- und Städtebaus zurück, in denen er bisher Verantwortung getragen und auch Ausgaben getätigt hat. Dies gilt für direkte Förderung wie für steuerliche Begünstigung. Dies gilt für Städtebau- und Stadtsanierung genauso wie für den sozialen Wohnungsbau und das Bausparen, genauso wie für die Wohnungsmodernisierung und die Energieeinsparung.
Die letzten neuentdeckten Sparquellen sind jetzt bei Ihnen die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen und der kommunale Straßenbau. Hier haben Sie schon zugeschlagen oder wollen das noch tun.
Es gibt noch Wohnungsprobleme, meine Damen und Herren, insbesondere in den Schwerpunkten unserer großen Städte und Ballungsregionen. Dies ist doch wohl völlig unstrittig. Unsere Wohnungsbestände müssen instandgehalten und modernisiert werden.
Aber was machen Sie, Kolleginnen und Kollegen der Koalition? Den Bau von Mietwohnungen fördert der Bund schon lange nicht mehr. Auf der Abschußliste steht jetzt auch die direkte Eigentumsförderung, d. h. die zielgerichtete, einkommensabhängige und kinderzahlabhängige Förderung des Baues neuer Eigenheime. Allein im Bundeshaushalt 1988 sind weitere Kürzungen in Höhe von 250 Millionen DM vorge-



Scherrer
sehen. Diese Kürzungen sollen mittelfristig fortgesetzt werden. Dagegen wehren sich die Länder — und das sind nicht nur die sozialdemokratisch geführten Bundesländer. Das ist doch die Situation.
Man kann sich vorstellen, daß nicht alles, was hier als Vorwurf aufgezählt ist, der Intention des amtierenden Bauministers entspricht. Möglicherweise wird Ihnen, Herr Minister, vieles aufgezwungen. Wie auch immer, wenn das so sein sollte: Es wäre ehrlicher, wenn Sie, Herr Dr. Schneider, dem Bundeskanzler dann sagten: Unsere Wohnungs- und Städtebaupolitik ist am Ende. Wir machen keine Wohnungs- und Städtebaupolitik mehr. Ich schlage Ihnen vor — so müßten Sie weiter formulieren — : Wir lösen das Ministerium auf. — Das wäre ehrlicher und konsequent.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD-Fraktion halte ich jedenfalls fest: Der Haushalt des Bauministers ist wohnungspolitisch, sozialpolitisch und konjunkturpolitisch verfehlt. Wir lehnen ihn daher ab.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104316300
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104316400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Zuruf von der SPD: Wir nehmen den Rücktritt an!)

Ich darf mich zunächst bei den Berichterstattern, bei Herrn Dr. Schroeder, bei Herrn Nehm und bei Frau Rust, für die Betreuung dieses Haushalts bedanken. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und bei den Mitgliedern des Bauausschusses.
Zur Sache selber darf ich feststellen, daß der Haushalt des Bundesbauministers im Jahre 1988 mit 6,2 Milliarden DM sein höchstes Volumen erreicht.

(Walther [SPD]: Wegen des Petersbergs!)

Ich habe eben mal geblättert, um mich zu vergewissern, ob die Herren von einem anderen Etat reden. — Die Bundesregierung leistet mit diesen Mitteln einen beachtlichen und wirkungsvollen Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Absicherung familiengerechten Wohnens, zur Eigentumsbildung im Wohnungsbau, zur Erhaltung und Erneuerung unserer Städte und Dörfer und gleichzeitig auch zur Stützung der Baukonjunktur.
Die Bundesregierung ist bereit — und dies ist auch vor dem Hintergrund der internationalen Wirtschafts- und Finanzsituation die wichtigste haushaltspolitische Weichenstellung im Einzelplan 25 — , sich weiterhin an der Städtebauförderung zu beteiligen,

(Müntefering [SPD]: Auch über 1991 hinaus?)

und dies in der dreifachen Höhe, die ich vorgefunden hatte, als ich vor über fünf Jahren das Amt übernahm.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Woher nehmen Sozialdemokraten eigentlich das Recht, das zu kritisieren? Stadt- und Dorferneuerung hat erst unter der Regierung Helmut Kohl eine haushaltswirtschaftlich und baupolitisch ansehnliche, beachtliche, bemerkenswerte Dimension erfahren.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Das muß denen gesagt werden!)

An Kassenmitteln stehen im Jahre 1988 für die Städtebauförderung 760 Millionen DM für bereits eingegangene und für neu einzugehende Verpflichtungen zur Verfügung. Mit den Komplementärmitteln der Länder und Gemeinden und zusätzlich ausgelösten privaten Investitionen bedeutet das ein Gesamtinvestitionsvolumen von weit über 8 Milliarden DM, das der Bauwirtschaft zugute kommt.
Für das Wohngeld wenden wir allein 2,1 Milliarden DM von Seiten des Bundes auf. Die Wohngeld-ausgaben des Bundes und der Länder zusammen erreichen etwa 3,7 Milliarden DM, mit steigender Tendenz. Rund 340 Millionen DM — das ist ganz wichtig — fließen dabei in Form des Lastenzuschusses in die Förderung der Eigentumsbildung. Das sind Zahlen, die es zu Ihrer Zeit so überhaupt nicht gegeben hat.

(Müntefering [SPD]: Ach! — Conradi [SPD]: Sie können sich auch der Sozialhilfe rühmen!)

Knapp 2 Millionen Haushalte, darunter ca. 150 000 Eigenheimbesitzer, erhalten ein monatliches Wohngeld von durchschnittlich 144 DM. Beim Lastenzuschuß sind es durchschnittlich 180 DM.

(Reschke [SPD]: Weil sie kurz vor der Zwangsversteigerung stehen!)

Die begünstigten Haushalte können davon über ein Drittel ihrer Wohnkosten abdecken. — Die Zwangsversteigerungen — das hat eine Untersuchung ergeben — gibt es dort am meisten, wo die SPD regiert.

(Lachen des Abg. Müntefering [SPD] — Scherrer [SPD]: Herr Minister, also, ein bißchen seriöser!)

Ich kann diesen Ländern ihre wohnungspolitische Verantwortung nicht abnehmen. Ich wäre hier sehr zurückhaltend.

(Walther [SPD]: Das ist wirklich billig, Herr Schneider!)

— Das ist aber so.

(Dr. Soell [SPD]: Nachdem wir Bayern mit Milliarden finanziert haben!)

Es ist so: Dort, wo die Arbeitslosigkeit am höchsten ist, sind diese Leute auch am meisten gefährdet.

(Dr. Soell [SPD]: Bayern haben wir 20 oder 30 Jahre in Milliardenhöhe gepäppelt! — Dr. Rose [CDU/CSU]: Was wissen Sie denn von Bayern, Herr Kollege? — Geis [CDU/ CSU]: Völlig desinformiert!)




Bundesminister Dr. Schneider
— Die Sehnsucht nach Bayern ist der allgemeine Gemütszustand aller Deutschen.

(Conradi [SPD]: Manisch depressiv!)

Hinzu kommen Wohnungsbauprämienleistungen von 900 Millionen DM. Für das Eingehen neuer Verpflichtungen für Eigentumsmaßnahmen im sozialen Wohnungsbau haben wir im Jahre 1988 immer noch einen Förderrahmen von 450 Millionen DM zur Verfügung. Fragen Sie einmal, wie die Wohnungsbauförderung im Haushalt Nordrhein-Westfalens zurückgeführt wird! Fragen Sie, was in Hamburg geschieht! Fragen Sie, was in Bremen geschieht! Soll denn der Bund diesen Ländern ihre Wohnungsbaumittel ersetzen, die sie selber gestrichen haben?

(Conradi [SPD]: Der Bund soll für gleichwertige Lebensbedingungen sorgen! — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Dann dürft Ihr keine Ausstiegsbeschlüsse fassen!)

Verbunden mit den Aufwendungen für die Bausparförderung — 900 Millionen DM — , den Lastenzuschüssen beim Wohngeld — 340 Millionen DM — und den steuerlichen Entlastungen für die Wohneigentumsförderung wendet der Bund im Jahr 1988 immerhin noch insgesamt 4,5 Milliarden DM für die Förderung der Eigentumsbildung im Wohnungsbau auf. Als Kollegen aus Ihren Reihen Wohnungsbauminister gewesen sind, war es ein Bruchteil von dem. Von was reden Sie eigentlich?

(Beifall bei der CDU/CSU — Conradi [SPD]: Da ist gebaut worden in der Republik!)

Die wohnungspolitischen Entscheidungen und Vorgaben im Einzelplan 25 sind vor dem Hintergrund der Wohnungsversorgung und der Wohnungsmarktentwicklung zu sehen. Wir haben in Qualität, Quantität und Preiswürdigkeit einen Stand der Wohnungsversorgung erreicht,

(Conradi [SPD]: Das ist ein Nichtbauminister!)

wie er in keinem anderen Land, nicht in der Schweiz, in Schweden oder in den Niederlanden, erreicht worden ist.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

In gewissen Verdichtungsräumen gibt es durchaus noch Engpässe. Aber hier sind in erster Linie die Länder gefordert, die in den wenigen Bedarfsfeldern, in denen z. B. noch sozialer Mietwohnungsbau erforderlich ist, einspringen können und einspringen müssen.
Meine Damen und Herren, vor dem dargestellten wohnungswirtschaftlichen Hintergrund ist auch die Entscheidung der Koalition über die Besteuerung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zu sehen. Betroffen sind, was die Mieter angeht, von den 3,4 Millionen Wohnungen nur 200 000, für die beim Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit nicht mehr die gemeinnützigkeitsrechtliche Kostenmiete, sondern die Vergleichsmiete für die Mietpreisgestaltung maßgeblich sein wird.

(Müntefering [SPD]: Das ist falsch!)

Das Vergleichsmietensystem schützt den Mieter aber
in gleicher Weise vor willkürlichen Mieterhöhungen
wie die gemeinnützigkeitsrechtliche Preisbindung. Die Bindungen für die Sozialmietwohnungen, die den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen gehören, bleiben davon ohnedies unberührt.
Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft betreut 3,4 Millionen Mietwohnungen. Sie leistet einen erheblichen Beitrag zur Sicherung des sozialen Wohnens in unserem Lande. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft hat Lobenswertes, Respektables für die Wohnungsversorgung geleistet, aber in jüngster Zeit — seit Jahr und Tag — höre ich, daß die derzeitige Rechtsform und die Möglichkeit wohnungswirtschaftlicher Tätigkeit den Wünschen nicht mehr ganz entspricht. Die Frage nach der Erhaltung der Wirtschaftlichkeit dieser Unternehmungen ist lange gestellt.
Meine Damen und Herren, die Beseitigung der Steuerbefreiung bringt zunächst einmal, rein rechnerisch, Nachteile. Aber die Verantwortlichen der Wohnungsgemeinnützigkeit haben selber gesagt, daß sie dies eigentlich gar nicht fürchten, weil sie ohnedies keine Steuern bezahlen werden. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft ist mehr als nur ein Steuerprivileg. Die soziale Verantwortung dieser Unternehmen erlischt nicht mit der Abschaffung des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes, sie gewinnt neue Chancen. Hier werden neue unternehmerische Möglichkeiten eröffnet.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104316500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104316600
Bitte sehr.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1104316700
Herr Minister, da Sie jetzt hier den Wegfall der Wohnungsgemeinnützigkeit und die Besteuerung der Unternehmen verteidigen, frage ich Sie: Ist es richtig, daß Sie bis in die letzten Tage hinein dafür gestritten haben — ich denke, mit guten Gründen — , daß die Gemeinnützigkeit und die Steuerfreiheit der Unternehmen bestehen bleibt, und woher kommt jetzt Ihr Gesinnungswandel?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1104316800
Ich habe keinen Gesinnungswandel. Ich stelle nur dar, in welche Lage die gemeinnützigen Unternehmungen kommen werden, wenn die Steuerbefreiung weggefallen ist. Ich habe mit guten Gründen für die Beibehaltung der Wohnungsgemeinnützigkeit gekämpft und brauche diese meine Ansicht auch nicht zu ändern. Ich bin sicher, daß die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen im Eigentum der Kirchen, der Gemeinden, der sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts, aber auch anderer Träger, wie der Betriebe, ihr soziales Verhalten ihren Mietern gegenüber nicht ändern werden.

(Conradi [SPD]: Umfaller!)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen:
Erstens. Der Einzelplan 25 erreicht mit 6,2 Milliarden DM im Jahr 1987 ein Spitzenvolumen in der Geschichte unserer Republik. Niemals hatte ein Bauminister ein größeres Haushaltsvolumen.



Bundesminister Dr. Schneider
Zweitens. Mit über 760 Millionen DM haben wir bei der Stadt- und Dorferneuerung nach wie vor das höchste Mittelvolumen, das Dreifache dessen, was unter SPD-Führung möglich war. Gleichzeitig handelt es sich dabei um das wirksamste Beschäftigungsprogramm.
Drittens. Mit dem Baugesetzbuch besitzen wir das im europäischen Vergleich modernste und leistungsfähigste Baurecht, um die künftigen Aufgaben des Städtebaus und Umweltschutzes zu bewältigen.
Viertens. Wir haben mit 3,7 Milliarden DM das höchste Wohngeldvolumen mit dem bei 340 Millionen DM höchsten Förderanteil für Eigenheime.
Fünftens. Wir haben bei der steuerlichen Förderung des Wohneigentums mit einem Gesamtentlastungsvolumen von 6 Milliarden DM den höchsten Förder- und Entlastungseffekt.
Sechstens. Wir haben mit 1,8 % die anhaltend niedrigste Mietsteigerung.
Siebtens. Mit 165 Milliarden DM Aufwendungen für die Wohnungsnutzung leistet der Wohnungssektor einen der größten Beiträge zum Bruttosozialprodukt.

(Conradi [SPD]: Die meisten arbeitslosen Bauarbeiter!)

Achtens. Gleichzeitig herrscht in der Wohnungspolitik die größte soziale Akzeptanz. Das ist ein rühmlicher Posten in der sozialen Erfolgsbilanz dieser Regierung.
Neuntens. Nach Umfang und architektonischem Anspruch steht der Bund als Bauherr vor seinen größten Aufgaben seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland.
Zehntens. Mit den Kulturbauvorhaben in Bonn und Berlin unternimmt der Bund zugleich die größte kulturpolitische Offensive in seiner gesamtstaatlichen Verantwortung und Zuständigkeit.

(Walther [SPD]: Das glaubt doch kein Mensch, noch nicht mal der Kohl!)

Elftens. Das Bausparvolumen erreicht sein Höchstmaß mit 850 Milliarden DM.
Zwölftens. Die Wohnungswirtschaft mit 165 Milliarden DM und die Bauwirtschaft mit 245 Milliarden DM sind am Bruttosozialprodukt mit 20 % beteiligt.
Diese Leistungsbilanz widerlegt alle Mäkeleien, Unkenrufe und tagespolitischen Polemiken der Opposition. Meine Damen und Herren, wir werden weiter bauen, und ich werde auch weiterhin der Anwalt der Mieter bleiben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104316900
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, erteile ich das Wort zu einer Erklärung zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsordnung der Abgeordneten Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1104317000
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Zu meinem Bedauern sehe ich mich außerstande, dem Kap. 0602, hier insbesondere den Titelgruppen 03 und 04 — Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und Deutsches Historisches Museum Berlin — zuzustimmen, und möchte dies auch für weitere Kollegen meiner Fraktion wie folgt begründen:
Erstens. Für beide Vorhaben liegen weder verbindliche Beschlüsse des Bundestages vor noch genaue Kostenvoranschläge für das Gesamtvorhaben.

(Zurufe von der SPD: Richtig!)

Auch hat sich der Deutsche Bundestag für beide Museen bisher nicht mit verbindlichen Konzepten und inhaltlichen Vorstellungen befaßt. Zwar wurde ein Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 10/6268, am 4. Dezember 1986 im Rahmen eines anderen Tagesordnungspunktes zur Kulturpolitik mit aufgerufen und an die zuständigen Ausschüsse überwiesen, er wurde aber nicht mehr beraten und verfiel mit dem Ende der 10. Legislaturperiode. Er wurde bisher nicht wieder eingebracht.
Das gleiche Schicksal erlitt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung eines Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der gar erst am 13. Dezember 1986, also bereits nach Beendigung der Sitzungen der 10. Legislaturperiode, dem Bundestag zugeleitet wurde, der gleichfalls verfiel und bisher nicht wieder eingebracht wurde.
Für die Errichtung des Deutschen Historischen Museums in Berlin gab es bisher überhaupt noch keine Vorlage der Regierung an den Deutschen Bundestag.

(Zuruf von der SPD: Unglaublich!)

Diesbezügliche Erklärungen des Bundeskanzlers, u. a. in seinem Bericht zur Lage der Nation am 27. Februar 1985 und am 14. März 1986, können doch keinesfalls eine geordnete parlamentarische Beratung und Beschlußfassung ersetzen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Zweitens. Angesichts dieser eindeutigen Rechtslage sehe ich mich außerstande, den Haushaltsansätzen für beide Museumsplanungen in Höhe von 11,6 Millionen DM zuzustimmen, die bis Ende des Finanzplanungszeitraums auf fast 20 Millionen DM ansteigen werden. Das gleiche gilt für die geschätzten Baukosten, die schon heute bis Ende des Finanzplanungszeitraumes 66 Millionen DM betragen werden.
Meine Damen und Herren, die Vermutung liegt nahe, daß mit den diesjährigen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelten Haushaltsansätzen vollendete, weiter wirkende und nicht mehr zu korrigierende Tatsachen geschaffen werden sollen, bevor noch klare Vorstellungen über die Gesamtkosten vorliegen. Fachleute schätzen diese Gesamtkosten für das Deutsche Historische Museum bereits auf über 500 Millionen DM und für das Bonner Museum auf weit über 100 Millionen DM. — Herr Kollege Nehm, wenn sie mit dem Petersberg fertig sind, bitte ich Sie sehr, sich dieser fünffachen Dimension des Petersberges einmal anzunehmen. — Insgesamt dürften sich beide Projekte auf etwa dreiviertel Milliarden DM belaufen, und das in einer äußerst angespannten Haushaltslage.



Frau Dr. Hamm-Brücher
In der Regel bedarf jede noch so geringfügige Baumaßnahme im öffentlichen Bereich vor ihrer Genehmigung einer detaillierten Planung und eines Kostenvoranschlages. Um wieviel nachdrücklicher ist dies für Projekte von solchen gigantischen finanziellen Dimensionen zu fordern! Nach Durchsicht der Beratungsprotokolle des Haushaltsausschusses muß ich zu meinem Bedauern feststellen, daß den Mitgliedern des Ausschusses dieser Sachverhalt entweder entgangen ist oder daß sie mit diesem Verfahren einfach einverstanden sind. Ich bedaure das.
Obgleich mir bewußt ist, daß diese Schlußabstimmung im Plenum nur eine Formalität ist, möchte ich mit dieser Erklärung zur Abstimmung meinen Protest gegen das beschriebene Verfahren zu Protokoll geben; einer muß das einmal machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mit der Zustimmung zum Haushalt übt das Parlament sein höchstes und wichtigstes Kontrollrecht aus. Wo kommen wir hin, wenn wir zulassen, daß Projekte, die mit horrenden Kosten verbunden sind, ohne ordnungsgemäße Beschlußfassung in unseren Etat eingeschleust werden? Der Deutsche Bundestag hätte als erste Gewalt im Staat abgedankt. Das aber dürfen wir nicht widerspruchslos hinnehmen.
Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1104317100
Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1282 bis 11/1284. Ich rufe diese Änderungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung auf.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1282? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1283? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1284? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 25. Wer dem Einzelplan 25 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Einzelplan 12 auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
— Drucksachen 11/1062, 11/1081 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Purps Frau Simonis
Windelen
Zywietz
Frau Vennegerts
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1244 bis 11/1252 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Purps.

Rudolf Purps (SPD):
Rede ID: ID1104317200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mittlerweile, ich würde sagen: schlechte Tradition, daß der Verkehrshaushalt kurz vor Ende der Beratungen hier im Plenum behandelt wird. Man muß sich fragen, ob der viertgrößte Haushalt des Bundes, der größte Investitionshaushalt, eine solche Behandlung verdient; denn insbesondere im investiven Teil dieses Haushaltes wird mindestens. eine Million an Arbeitsplätzen tangiert und gesichert. Die Antwort kann nur nein lauten.
Bei dem, was hier vorgelegt wird, kann man nur sagen: Dieser Haushalt hat das Licht des Tages zu scheuen. Denn bei anhaltender Dauerarbeitslosigkeit von mehr als 2 Millionen Menschen pro Jahr und bei der absehbaren Steigerung dieser Beschäftigungslosenrate, bei der absinkenden Konjunktur, bei den weltwirtschaftlichen Risiken ist es schlichtweg unbegreiflich, wie in diesem Jahre der größte Investitionshaushalt des Bundes — hier wird ständig von Investitionen und den Notwendigkeiten von Investitionen gesprochen — mit sinkender Investitionsquote vorgelegt werden kann.
Hier kurz die Fakten: Der Bundeshaushalt steigt um 2,4 %. Der Verkehrshaushalt bringt es auf magere 1 %. Schauen wir uns die Investitionsquote an: Während noch in diesem Jahr der Investitionsanteil am Gesamtvolumen 51 % beträgt, sinkt er im nächsten Jahr auf 49,8 %. Betrachtet man den Investitionsanteil für sich, so zeigt sich, daß er sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen nach unten führt: Die Veränderung beträgt minus 1,5 %.
Meine Damen und Herren, diese Zahlen allein machen deutlich, daß auch im fünften Jahr der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit diese Bundesregierung nicht im geringsten daran denkt, mit den ihr zur Verfügung stehenden Instrumenten den schwachbrüstig gewordenen Investitionen auf die Beine zu helfen, um Arbeit und damit Arbeitsplätze zu schaffen.

(Tillmann [CDU/CSU]: Wie macht das denn Herr Zöpel in Nordrhein-Westfalen?)

— Wir reden hier über Sie und über sonst gar nichts.
Ganz im Gegenteil: Investitionen werden gekürzt, und damit wird weitere Arbeitslosigkeit provoziert. Ein solches Verhalten ist nicht zu entschuldigen und kann auch nicht mit der allgemein beschworenen Finanzknappheit bemäntelt werden, sondern beweist nur, daß aktive Verkehrspolitik bei uns nicht mehr stattfindet, und beweist, daß der neue Verkehrsminister Dr. Warnke genauso unter der Fuchtel und dem



Purps
Diktat von Herrn Stoltenberg steht wie sein Vorgänger. Es gibt auch keine Notwendigkeit des Verweises auf die angeblich leeren Kassen. Dies zieht nicht! Diese leeren Kassen haben Sie sich selbst geschaffen. Sie sind munter dabei, mit einer in ihrer Zielrichtung völlig verfehlten Steuerreform dieses Desaster zu vergrößern.
Nicht erst seit gestern spricht die finanz- und wirtschaftspolitische Fachwelt von der Notwendigkeit, die Investitionen zu verstärken — nicht nur, aber auch beim Staat.

(Walther [SPD]: Richtig!)

Angesichts der weltwirtschaftlich drohenden Niedergänge wird die Binnenkaufkraft, die Binnenkonjunktur beschworen. Das ist richtig. Aber dann frage ich mich: Was ist davon zu halten, wenn sowohl im Verkehrshaushalt wie im Gesamthaushalt zwei wesentliche Punkte nicht angepackt werden: erstens die energische Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, zweitens die Erhöhung der Investitionsanteile an den Staatsausgaben?
Der Verkehrshaushalt macht deutlich: Zwischen den Sonntagsreden und den Tatsachen klafft ein himmelweiter Unterschied.

(Tillmann [CDU/CSU]: Wie in NordrheinWestfalen!)

Lassen Sie mich einige Schwerpunkte dieses Verkehrshaushalts ansprechen, um zu verdeutlichen, wo Defizite und Risiken, aber auch Chancen liegen.
Bei den Finanzbeiträgen der pauschalierten Zinsbeihilfe an die Seeschiffahrt hat die Änderung der Richtlinien sicher eine Entlastung gebracht. Möglicherweise kann die Ausflaggung teilweise gestoppt werden. Die Tatsache, daß die Schiffbaumittel nun in den Einzelplan 09 umgeschichtet wurden und künftig als reine Werfthilfe gewährt werden, führt dazu, daß die Finanzbeiträge im Einzelplan 12 zum tragenden Instrument der Schiffahrtsförderung werden. Sie können diesem Anspruch allerdings nur dann gerecht werden, wenn nach dem Wegfall der Schiffbauzuschüsse an die Reeder entsprechend aufgestockt wird. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, um 60 Millionen aufzustocken. Wir halten dies aus den Gründen, die allgemein bekannt sind — Dollarverfall, sinkendes Ladungsaufkommen, steigende Kosten und Überkapazitäten weltweit — , für richtig. Sie konnten uns nur mit 20 Millionen folgen. Wir halten dies für falsch. Sie werden — davon können wir ausgehen — die Belastungen, die daraus entstehen, zu tragen und zu verantworten haben.
Wir wissen, daß dem Verkehrssystem Straße mittlerweile der Infarkt droht.

(Walther [SPD]: Und wie!)

Wir brauchen ja nur zu vergleichen, wie die Anzahl der Meldungen im Verkehrsfunk über Stau vor zehn Jahren war und wie sie heute ist. Wenn das so weitergeht, haben wir in ein paar Jahren Staumeldungen mit Unterbrechungen durch kurze Musikeinschiebungen.
Abhilfe kann hier nicht durch den verstärkten Zubau von Straßen geschaffen werden. Darüber ist man sich mittlerweile einig. Abhilfe schafft nur ein verstärkter attraktiver und preiswerter öffentlicher Personennahverkehr in den Ballungszentren und auch auf dem Lande, was den Bürger veranlaßt, umzusteigen. Aber mit dem, was Sie vorlegen, können Sie dieses Ziel nicht erreichen. Was tut die Bundesregierung nämlich? Sie kürzt gerade die Mittel für kommunalen Straßenbau und ÖPNV und friert sie bei 2,6 Milliarden ein. Ich werde darauf zurückkommen.
Es wäre auch eine Verbesserung des Lärmschutzes angesagt, um damit zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen geht es um den Schutz des Bürgers vor unzumutbarer Belästigung durch Verkehrslärm, zum anderen um arbeitsintensive Investitionen. Es wäre ein Sonderprogramm Lärmschutz aufzulegen. Es wären diese Mittel zu verstärken. Und es wäre höchste Zeit, aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts Herr Minister, Konsequenzen zu ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Eine Änderung der Richtlinien, eine Zweckbindung der Lärmschutzmittel und eine nachhaltige Senkung der Dezibel-Werte sind angesagt. Ich bin gespannt, ob Sie aus dem Urteil im nächsten Jahr Konsequenzen ziehen und dafür sorgen werden, daß nicht ausgeschöpfte Lärmschutzmittel nicht mehr in den Straßenbau fließen, sondern dem Lärmschutz und damit dem Bürgerschutz zugute kommen.
1992 soll ja der EG-Verkehrsmarkt liberalisiert sein. Nicht nur, daß damit weitere Belastungen auf unser Verkehrsnetz zukommen und daß die Verkehrsdichte besonders durch zunehmenden Schwerverkehr aus unseren europäischen Nachbarländern steigen wird, auch die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Güterverkehrs — sprich Schiene, sprich Straße — wird einer harten Probe ausgesetzt.
Sehr geehrter Herr Minister, ich sage in aller Deutlichkeit, daß wir vom deutschen Verkehrsminister in der EG erwarten, daß die so beschlossene Liberalisierung nicht ohne Harmonisierung stattfindet. Ich habe den Verdacht, daß die Bekenntnisse zu der Verbindung im Bereich der Harmonisierung zum Teil Lippenbekenntnisse sind und daß dahinter nicht die Absicht steht, steuerliche und rechtliche wie auch sozial flankierende Harmonisierungsmaßnahmen bis 1992 rechtsverbindlich zu vereinbaren. Wenn dies nicht geschieht, Herr Minister, wird die Ausflaggung bei der Seeschiffahrt ein laues Lüftchen im Vergleich mit dem sein, was durch die Ausflaggung ganzer Transportunternehmen und Lkw-Flotten im europäischen Verkehrsmarkt stattfinden wird, mit all den für mich noch unübersehbaren Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt; denn im Verkehrsbereich werden sicherlich ca. 1 Million Arbeitsplätze betroffen sein.
Zur Verkehrserziehung auch ein Wort: Herr Verkehrsminister, es ist angesichts steigender Unfallzahlen nicht zu bestreiten, daß auch das Ihnen vom Haushaltsausschuß zugebilligte Sonderprogramm einen Sinn machen wird. Wir wissen, daß auf unseren Straßen — leider mit zunehmender Tendenz — zu schnell, risikoreich und den Verkehrs- und Witterungsverhältnissen unangepaßt gefahren wird — Stichwort: Nebelraser — , Verhaltensweisen, die zu diesen bekla-



Purps
genswerten Häufungen schwerer und schwerster Unfälle und Massenkarambolagen führen.
Ein Grund für die immer weiter steigende Zahl dieser Unfälle ist sicherlich auch die aggressive Werbung, wie wir sie in den Anzeigen der Automobilbranche leider noch allzu häufig erleben. Diese Sachen müßten abgestellt werden. Es ist nicht richtig, damit zu werben, daß das neue Modell noch mehr PS unter der Haube hat, im Anzug noch spritziger ist, noch besser durchstartet, in der Höchst- und Dauergeschwindigkeit neue Weltrekordmaßstäbe setzt. Eine solche Werbung ist unverantwortlich. Denn die Aggressivität, die sich in der Werbung niederschlägt, setzt sich auf unseren Straßen fort. Sie sollten, Herr Minister, dieses Verkehrssicherheitsprogramm, das unter Ihrer Federführung entstehen wird, dazu benutzen, dieser Tendenz entgegenzuwirken, wie Sie es auch im Haushaltsausschuß zugesagt haben, und nicht zu einer privaten PR-Kampagne ausarten lassen. Bedienen Sie sich dabei des Sachverstandes der Verkehrswacht und des Verkehrssicherheitsrates!
Auch im Bereich der Luftfahrt kommen große Probleme auf die Bundesrepublik zu. Die Zunahme der Flugbewegungen im Luftraum der BRD in den letzten Jahren, die Zunahme von Starts und Landungen auf den in ihrer Kapazität begrenzten bundesdeutschen Flughäfen — —

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: „BRD"? Das ist ja nicht zu fassen!)

— Ich glaube, diese Diskussion hatten wir schon einmal, die können wir langsam ad acta legen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ich noch nicht mit Ihnen!)

— Na ja, Herr Bötsch, Sie können's ja sowieso mit keinem.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/ CSU])

— Danke schön, ich mach' jetzt weiter. — Die Zunahme von Starts und Landungen auf den in ihrer Kapazität begrenzten deutschen Flughäfen hat in den letzten Jahren ein Maß erreicht,

(Tillmann [CDU/CSU]: Durch die hervorragende Wirtschaftspolitik!)

das sicher auch von Experten nicht vorhersehbar war. Wenn wir den in der Welt anerkannten Standard unserer Flugsicherung und Flugleitung weiter behalten wollen — und dies ist unumgänglich nötig — , dann muß der Flugverkehr entzerrt werden. Es muß die Einheitlichkeit der Flugüberwachung konzeptionell entwickelt werden, um dem im Jahr 2000 wahrscheinlich mindestens um 50 % höheren Flugverkehr überhaupt noch Rechnung tragen zu können. Eine Bemerkung am Rande: Dies ist, Herr Minister, sicherlich auch irgendwie mit Besoldungshöhe und Besoldungsstruktur zu vereinbaren. Denn wenn man qualifizierten Nachwuchs will — und den braucht man auf diesem Gebiet — , muß man etwas tun.
Sehr geehrter Herr Minister, ich empfehle Ihnen, das Kapitel 12 18 des Einzelplans 12 umzutaufen. Es heißt: Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden. Ich empfehle, das Wort „Verbesserung" zu streichen und es durch das Wort „Verschlechterung" zu ersetzen.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Denn das, was Sie mit der Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes und der Begrenzung seiner Mittel auf 2,6 Milliarden DM für das nächste Jahr und die Zukunft angerichtet haben, kann man nur noch als ein Stück aus dem investitionspolitischen Tollhaus dieser Bundesregierung bezeichnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Mein Kollege Klaus Daubertshäuser hat in seiner Rede hierzu schon auf die Konsequenzen hingewiesen, die diese erneute Verschlechterung der Investitionsmittel der Gemeinden haben wird. Es nützt auch gar nichts, wenn einzelne Punkte dieses Förderungskatalogs, an sich durchaus bedenkenswert, möglicherweise sogar vernünftig sind. Dieses Gesetz krankt einfach daran, daß es für die nächsten Jahre — einschließlich der Komplementärmittel — zu einem Ausfall von rund 2 Milliarden DM vollinvestiver Mittel führt. Was dieser Ausfall für die mittelständische Wirtschaft, für die mittelständische Bauindustrie bedeutet, können Sie sich ausrechnen. Denn in Ihrem Bericht über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 1986 schreiben Sie ja selbst — und ich nehme die Zahlen zusammen —, daß bei einem Volumen von insgesamt 4,5 Milliarden DM 86 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. gebunden wurden. Nun, dann können Sie sich bitte auch ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze Sie vernichten, wenn — nur für die nächsten vier Jahre gerechnet — gegenüber der geltenden Gesetzeslage rund 2 Millarden DM weggeschlagen werden. Es gab und es gibt keinen Spitzenverband — ob Städtetag, ob Gemeindebund oder wen auch immer —, der Ihre Maßnahmen insgesamt auch nur hat verstehen oder loben können.
Womit wollen Sie denn die von Ihnen ständig propagierte Offensive für den öffentlichen Personennahverkehr in der Fläche betreiben, wenn Sie das Geld nicht haben, Herr Minister? Mit schönen Reden? Mit viel Papier? Ich gehe davon aus, daß es im Endeffekt wieder auf die Devise hinausläuft: Es gibt viel zu tun — nichts wie weg.

(Zustimmung bei der SPD)

In den letzten Wochen und Monaten ist die Finanzsituation der Deutschen Bundesbahn immer stärker ins Rampenlicht der öffentlichen Verlautbarungen geraten. Die Bundesbahner haben auf dem Münsterplatz in Bonn nicht deswegen demonstriert, weil es ihnen gut geht, weil sie für die Bahn und ihre Arbeitsplätze rosarote Zeiten sehen, sondern deshalb, weil sie sich Sorgen machen, Sorgen um ihre Arbeitsplätze und um die Bahn, um ihre Bahn; denn Eisenbahner sein, das ist auch heute noch mehr als ein Job oder eine Beschäftigung, und das ist gut so.
Herr Minister, Sie wissen so gut wie ich, daß die Vorgaben des Bundesbahnplans „DB 90" schon jetzt nicht mehr einzuhalten sind, und Sie wissen auch, daß sich in der mittelfristigen Finanz- und Wirtschaftsplanung für die Deutsche Bundesbahn größere Risiken, als sie bisher zugegeben werden, auftun. Wann endlich, Herr Minister, wird die Lösung der Problematik



Purps
der Deutschen Bundesbahn angepackt? Wann endlich werden Konsequenzen aus dem Abs-Gutachten gezogen?
Und wann endlich wird Wettbewerbsgleichheit zwischen Straße und Schiene hergestellt? Zur Zeit ist es doch wohl noch so, daß die beiden Wettbewerber Straße und Schiene auftreten wie zwei Langstreckenläufer, denen man sagt: Nun habt ihr Chancengleichheit bis zum Ziel; aber dem Langstreckenläufer Bahn hängt man zwei Sträflingskugeln an die Beine. Daß man da nicht von Wettbewerbsgleichheit sprechen kann, liegt wohl auf der Hand. Die Bahn trägt die Kosten für ihren Fahrweg, und die Bahn trägt die Kosten für ihre Altschulden. Wann gedenkt die Regierung in diesen Punkten tätig zu werden?
Vielleicht denken Sie und die Bundesregierung, auch der Bundeskanzler, darüber demnächst einmal nach, wenn Sie in dem neuen drucksicheren Luxussalonwagen, den die Bahn, wie man hört, für die Bundesregierung anzuschaffen gedenkt, über die Nebenstrecken fahren und sich davon überzeugen können, wie gut die in Ordnung sind und wie herrlich das dort eingesetzte Wagenmaterial ist. Beides sind nämlich Dinge, die nicht dazu einladen, in der Fläche vom Auto auf den öffentlichen Personennahverkehr umzusteigen.
Wenn der Bahn nicht geholfen wird, wenn ihr nicht Chancengleichheit — auch im Hinblick auf den liberalisierten europäischen Verkehrsmarkt — geboten wird, wird die Deutsche Bundesbahn — sie ist mit 13,6 Milliarden ja immerhin ein guter Kostgänger am Haushaltskuchen — in Zukunft zu einem unkalkulierbaren Haushaltsrisiko werden. Ich sehe dann den Tag nicht mehr fern — und ich male nicht schwarz — , an dem entweder Sie zusätzlich Milliardenzuschüsse geben müssen, um die Bahn vor dem Kollaps zu retten, oder aber sich die Bahn endgültig aus der Fläche verabschiedet und nur noch die neuen Hochgeschwindigkeitszüge betreibt.

(Dr. Struck [SPD]: Das ist wahr!)

Wir werden in der übernächsten Woche noch Gelegenheit haben, darüber im Haushaltsausschuß zu diskutieren.
Eine Anmerkung noch zum Schnellfahrnetz: Ich bin der Meinung, daß es in Verbindung mit dem Schnellfahrnetz der Bundesbahn unabdingbar ist, Nordrhein-Westfalen so schnell wie möglich an die Hochgeschwindigkeitsverbindungen anzuschließen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Es kann nicht sein, daß ein Bundesland mit 17 Millionen Einwohnern bis zum Jahr 2000 von diesem Hochgeschwindigkeitsnetz abgeschnitten sein wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage ganz deutlich, daß ich damit die Strecke Dortmund—Kassel anspreche.

(Tillmann [CDU/CSU]: Da unterstützen wir Sie, Herr Kollege!)

Es ist eine einmalige Situation, daß die Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen, von Hessen und von Bayern, sprich: von SPD, CDU und CSU, einmütig für den kompletten und sofortigen Ausbau dieser Strecke
eintreten. Dies sollte Sie, sollte auch einen bayerischen Bundesverkehrsminister veranlassen, mit hoher Priorität dieses Problem anzugehen und für den Bau zu stimmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Darüber hinaus ein Wort zum Transrapid: Von dieser deutschen Hochtechnologie möchte ich gerne wissen, wie schnell und wo Sie sie ins deutsche Verkehrsnetz einbauen. Es wird nämlich niemand — das ist die Erfahrung auch der Verkehrshaushälter — ein solches Spitzenprodukt der Hochtechnologie kaufen — Stichwort: Amerika und andere Länder —, wenn es nicht irgendwo besichtigbar und vorzeigbar im Streckennetz verankert ist.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erwarte von Ihnen, Herr Minister, daß Sie auch in diesem Punkt mit Priorität die Planungen vorantreiben.
Was, Herr Bundesminister, wird aus dem kombinierten Ladeverkehr? Meine Damen und Herren von der Koalition, ich habe im Haushaltsausschuß ja etwas lachen müssen, als Sie, eine Woche nachdem Sie unseren Antrag, 100 Millionen DM einzusetzen, abgelehnt hatten, mit dem gleichen Antrag — nur mit 80 Millionen — kamen. Dem haben wir zugestimmt. Machen Sie daraus eine Methode, stimmen Sie allen guten Vorlagen der SPD eine Woche später mit leichter Veränderung zu. Dann bekommen wir endlich einen Bundeshaushalt, der sich sehen lassen kann.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Carstens [Emstek] [CDU/CSU])

In diesem Zusammenhang frage ich Sie: Hat man denn aus den fürchterlichen Unglücken, insbesondere Herborn, und den vielen anderen Unfällen nichts gelernt? Ist der Schutz der Menschen, der Verkehrsteilnehmer, nicht die höhere Priorität? Gefährliche Güter, meine Damen und Herren, Herr Minister, gehören auf die Bahn.

(Beifall bei der SPD)

Und wenn es nicht anders geht, müssen hier auch rechtliche und ordnungspolitische Maßnahmen erwogen und ergriffen werden.
Ihrem Vorgänger, Herr Minister, habe ich einmal gesagt: Wir haben Ihren Haushalt gezählt, wir haben ihn gewogen, wir haben ihn zu leicht befunden, wir lehnen ihn ab. Das machen wir auch mit Ihrem Haushalt, denn der ist insgesamt noch schlechter als das, was der Herr Kollege Dollinger in den vergangenen vier Jahren vorgelegt hat.
Wenn Sie die Verkehrspolitik weiterhin so treiben lassen, wie sie treibt, dann empfehle ich Ihnen noch etwas. Wenn Sie das neue Gebäude des Verkehrsministeriums beziehen und wenn als letzte große Handlung das blank glänzende Messingschild angeschraubt wird, auf dem steht „Bundesminister für Verkehr", tun Sie das nur, wenn Sie bis dahin eine andere Verkehrspolitik betreiben! Sonst schreiben Sie doch



Purps
bitte drauf: „Ministerium für Mängelverwaltung in der Verkehrspolitik. "
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104317300
Das Wort hat der Abgeordnete Windelen.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID1104317400
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Purps, es ist leicht, an einer Bundesregierung Kritik zu üben.

(Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Jahn [Marburg] [SPD]: Vor allen Dingen, wenn sie es verdient!)

Ich meine, es wäre besser, sich nicht an den Forderungen messen zu lassen, sondern an den Taten dort, wo man selbst regiert, und zwar mit absoluter Mehrheit, in Nordrhein-Westfalen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dort haben wir in diesen Tagen erlebt, daß Bauunternehmer und Bauarbeiter vor das Verkehrsministerium in Düsseldorf gezogen sind, um gegen die Arbeitsplatzvernichtung und die Kahlschlagpolitik von Staatsminister Zöpel zu protestieren. Herr Kollege Purps, wir kommen beide aus Nordrhein-Westfalen, und ich glaube, wir sind uns einig darüber, daß es dort schwerwiegende Mängel gibt, die zu überwinden wir uns gemeinsam bemühen sollten. Das liegt nicht daran, daß zu wenig Bundesmittel zur Verfügung stehen, sondern das liegt daran, daß die zur Verfügung stehenden Bundesmittel nicht abgerufen und nicht ausgeschöpft werden. Das ist die Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn Sie berechtigt auf den Verkehrsfunk und die vielen Meldungen über Stau und ruhenden Verkehr hingewiesen haben: Die meisten dieser Meldungen kommen aus unserem engeren Heimatland Nordrhein-Westfalen, und auch das ist kein Zufall.
Meine Damen und Herren, der Verkehrshaushalt 1988 ist bei dem begrenzten Finanzrahmen, von dem wir nun einmal ausgehen müssen, ein vernünftiger Kompromiß zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren. Wir brauchen auch künftig leistungsfähige, sichere, umweltgerechte Verkehrswege und Verkehrsmittel. Sie sind Grundlage für eine leistungsfähige Infrastruktur unserer Volkswirtschaft als wichtiger Träger öffentlicher Investitionen für Zehntausende von Arbeitsplätzen und für das Zusammenwachsen der Staaten Europas.
Unsere Verkehrspolitik steht vor großen Herausforderungen, den notwendigen Strukturwandel zu erleichtern, das wirtschaftliche Wachstum zu fördern, dem technologischen Fortschritt zu dienen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen, gleichwertige Lebensbedingungen für alle Bürger zu schaffen und unsere Umwelt zu schonen.
Der Haushaltsausschuß hat — das haben wir gemeinsam getan — in seinen Beratungen Schwerpunkte gesetzt. Er hat nicht nur gesucht, wo noch etwas zu streichen ist, sondern im Gegenteil: Er hat Erhöhungen beschlossen, und er hat neue Schwerpunkte gesetzt. Er hat damit zugleich den Handlungsrahmen des Verkehrsministers nicht nur durch Erhöhungen, sondern auch durch Umschichtungen und durch

(Weiss [München] [GRÜNE]: Kürzungen!)

Verpflichtungsermächtigungen in mehreren Bereichen verstärkt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Verkehrshaushalt 1988 steigt gegenüber dem Vorjahr um 200 Millionen DM auf 25,8 Milliarden DM. Herr Kollege Purps, wir hätten uns auch mehr gewünscht — wünschen kann jeder — , aber wir mußten uns wie auch die anderen Ressorts den haushaltsmäBigen Grenzen beugen. Wir tragen ja Verantwortung für die Bundesfinanzen insgesamt.
Von diesen 25,8 Milliarden DM gehen knapp 50 % in die Investitionen. Der Einzelplan 12 trägt damit 38 % der gesamten Sachinvestitionen des Bundes. Er ist also der größte Investitionshaushalt und hat deswegen für unsere Wirtschaft, für die Beschäftigung, für die Konjunktur besondere Bedeutung.
Die darüber hinausgehenden Ausgabenermächtigungen geben Planungssicherheit für Investoren und für die Bauwirtschaft. Sie verstetigen in diesem Bereich die Baunachfrage sowohl bei Straße wie auch bei Bahn, Wasserstraße, Luftfahrt und bei der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden. Das Geld, das wir hier einsetzen, ist gut angelegt; gut angelegt für die Bedürfnisse unserer Bürger, für die Sicherung von Arbeitsplätzen, vor allem aber für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.
Der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft galten auch die Bemühungen, unserer Seeschiffahrt in einer schwierigen Situation zu helfen. Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten, besonders auf dem Dollarmarkt, belasteten und belasten immer noch die deutsche Handelsschiffahrt schwer. Deswegen wurde die deutsche Seeschiffahrt schon in den vergangenen Jahren aus dem Verkehrshaushalt mit Darlehen gestützt. Das hat dazu beigetragen, daß die deutsche Handelsflotte zu den modernsten der Welt gehört.
Aber die Ausflaggung geht dennoch aus vielfältigen Gründen weiter. Darum hat der Haushaltsausschuß — ich füge hinzu: einvernehmlich — beschlossen, die Finanzbeiträge um 20 Millionen DM zu erhöhen. Wir wollen damit die Ausflaggung stoppen. Wir wollen nach Möglichkeit auch den Weg zur Rückflaggung öffnen. Wir erwarten auch, daß im Blick auf die Verhältnisse in den Nachbarstaaten steuerliche Verbesserungen, steuerliche Anpassungen erfolgen und daß andere kostensenkende Maßnahmen getroffen werden, auch zur Sicherung von Arbeitsplätzen für deutsche Seeleute.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Bei der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden haben wir den Plafond gegenüber dem Regierungsentwurf um 100 Millionen DM auf jährlich 2,6 Milliarden DM angehoben.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Das ist immer noch eine Kürzung!)




Windelen
Er liegt damit immerhin um 230 Millionen DM höher als 1980. Dieser mehrheitlich gefaßte Beschluß des Deutschen Bundestages zeigt, wie wichtig uns die Finanzhilfen zugunsten des öffentlichen Personennahverkehrs und des kommunalen Straßenbaus sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Weiss [München] [GRÜNE]: Warum kürzen Sie denn um 200 Millionen DM?)

Mit der Betonung des öffentlichen Personennahverkehrs, der Erweiterung der Umschichtungsmöglichkeiten zu seinen Gunsten und der Aufnahme der Fahrzeugförderung wurden vom Parlament wichtige Akzente gesetzt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Förderung der Streckenstillegung heißt das!)

Aber eine erfolgreiche Verkehrspolitik ist ganz besonders auf gute Zusammenarbeit mit den Ländern angewiesen. Bundes-, Landes- und Gemeindestraßen bilden ja ein zusammenhängendes Verkehrsnetz. Neubau und Ausbau erfordern deswegen sorgfältige Abstimmung der Planung und Einhaltung der Vorgaben. Das funktioniert im allgemeinen sehr gut. Aber es bedrückt mich ganz besonders, wenn mein engeres Heimatland Nordrhein-Westfalen allein im laufenden Haushaltsjahr, Herr Kollege Purps, über 100 Millionen DM, die für Bundesfernstraßen zur Verfügung standen, für diesen Zweck nicht ausgeben konnte. Sie flossen zum Teil in Erhaltungsmaßnahmen, zum Teil in andere Bundesländer.
Dies ist um so schmerzlicher, als 1987 in Nordrhein-Westfalen die Landesmittel für den kommunalen Straßenbau aus dem Kfz-Steuerverbund von 470 Millionen DM um 180 Millionen DM gekürzt wurden. Für 1988 will das Land den Gemeinden auch noch den Rest von 290 Millionen DM auf Null zusammenstreichen. Zusammen mit den Kürzungen für den Ausbau und die Erhaltung von Landesstraßen um 90 Millionen DM bedeutet dies eine Halbierung des nordrhein-westfälischen Straßenbaus in nur drei Jahren.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104317500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Purps.

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID1104317600
Bitte schön, Herr Kollege.

Rudolf Purps (SPD):
Rede ID: ID1104317700
Herr Kollege Windelen, können Sie bestätigen, daß der nordrhein-westfälische Verkehrsminister in der Lage gewesen wäre, die Mittel, die er für den Neubau nicht verwenden konnte, in dem Erhaltungstitel zu verbauen, wenn der Minister ihm die 22 Millionen DM, die er ihm jetzt genommen hat, gelassen hätte, wie der Verkehrsminister von Nordrhein-Westfalen ihm schriftlich nachgewiesen hat?

Heinrich Windelen (CDU):
Rede ID: ID1104317800
Ja, Herr Kollege, ich habe das ja ausdrücklich gesagt, und ich wiederhole noch einmal, daß Nordrhein-Westfalen allein im laufenden Haushaltsjahr über 100 Millionen DM, die für den Bau von Bundesfernstraßen zur Verfügung standen, für diesen Zweck nicht ausgeben konnte. Sie flossen dann zum Teil in Unterhaltungsmaßnahmen, zum Teil in andere Bundesländer, die über den angemeldeten
Bedarf hinaus fertige Projekte hatten, die dringend waren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nach den Plänen und Haushaltsbeschlüssen in Nordrhein-Westfalen wird den Gemeinden 1988 keine müde Mark mehr aus dem Kfz-Steuerverbund zufließen. Darüber hinaus sollen weitere 80 Millionen DM für die Landesstraßen dem Rotstift zum Opfer fallen. Meine Damen und Herren, was das für die Infrastruktur dieses bevölkerungsreichsten Bundeslandes, seine Standortqualität und die Arbeitsplätze in der Bauwirtschaft bedeutet, kann sich jeder ausrechnen.
Im Bereich Luftfahrt zwingen uns der starke Anstieg des Verkehrs, die Knappheit des Luftraums und die begrenzte Kapazität einiger Großflughäfen zum Handeln.
Der Haushaltsausschuß hat daher einer Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen von 100 Millionen DM für die Flugsicherung zugestimmt. Zum Abbau von Engpässen und Verzögerungen hat der Ausschuß die Voraussetzung dafür geschaffen, daß bei der Flugsicherung mehr und schneller moderne Technologie eingesetzt werden kann. Außerdem sieht der Haushalt 1988 einige Verbesserungen beim Flugverkehrskontrolldienst vor.
Aber ich möchte deutlich darauf hinweisen, daß die Kapazitätsprobleme der Flughäfen nicht der Flugsicherung anzulasten sind. Die Bundesregierung sollte sich im übrigen endlich über eine vernünftige Kooperation zwischen ziviler und militärischer Flugsicherung verständigen.

(Purps [SPD]: Nach dem Münchner Modell!)

— Nach dem Münchener Modell.
Auch eine verstärkte Kooperation zwischen den Flughäfen ist dringend geboten. Ein richtiger Schritt in diese Richtung ist die für den Flughafen Münster/ Osnabrück gefundene Lösung.
Unsere Bundesbahn war 1982 in einer desolaten Lage. Der neue Vorstand verbesserte Führungsinstrument und Organisation. Er konzentrierte sich auf das Machbare. So wurde der Anstieg der Verschuldung gebremst, die Erträge wurden gesteigert, der Aufwand vermindert und der Jahresfehlbetrag unter 3 Milliarden DM abgesenkt.
Doch seit 1986 sind die Schwierigkeiten trotz großer Anstrengungen aller Mitarbeiter wieder gewachsen. Bei steigenden Ausgleichszahlungen des Bundes wächst der Fehlbetrag wieder. Trotz erhöhter Leistungen sinken die Erträge im Güterverkehr und stagnieren im Personenverkehr. Der Strukturwandel im Montanbereich, veränderte Fahrgewohnheiten und zurückgehende Schülerzahlen hinterlassen hier deutlich Spuren. Deswegen muß der Konsolidierungskurs fortgesetzt werden. Der Haushaltsausschuß wird sich schon bald umfassend mit der Bundesbahn beschäftigen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Höchste Zeit!)

Meine Damen und Herren, wir brauchen auch in Zukunft eine moderne und leistungsfähige Bahn. Herr



Windelen
Minister, dazu gehört auch der Ausbau der Strecke Dortmund—Kassel

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

mit dem notwendigen Anschluß Nordrhein-Westfalens an das Schnellverkehrsnetz des Bundes.
Der wichtige Bereich der Verkehrssicherheit darf nicht unerwähnt bleiben. Die Zahl der Unfälle im Straßenverkehr ist immer noch viel zu hoch. Deswegen muß das Verantwortungsbewußtsein aller Verkehrsteilnehmer geschärft werden. Der Haushaltsausschuß hat dafür gesorgt, daß der Bundesverkehrsminister zusätzliche Mittel bis zur Höhe von 3 Millionen DM für Verkehrserziehungsaktionen ausgeben kann.
Alles in allem hat die Bundesregierung im Rahmen des finanziell Möglichen den Verkehrshaushalt zweckentsprechend dotiert. Mit den ergänzenden Beschlüssen des Haushaltsausschusses sind wir zu ausgewogenen Lösungen gekommen.
Verkehrsverwaltungen sind überwiegend Betriebsverwaltungen. Sie sind nicht mit dem üblichen Verwaltungsmaßstab zu messen. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus diesem Bereich gebührt besonderer Dank für ihre verantwortungsvolle Arbeit für das Gemeinwohl unter oft schwierigsten Bedingungen.
Ich bedanke mich aber auch für die kameradschaftliche und konstruktive Zusammenarbeit aller Berichterstatter ebenso wie für die Aufgeschlossenheit und Kooperationsbereitschaft des Verkehrsministers und seiner Vertreter.
Der Ihnen vorliegende Einzelplan 12 ist ein vernünftiger Kompromiß zwischen der Gesamtverantwortung für die Bundesfinanzen und den verkehrspolitischen Notwendigkeiten. Namens der CDU/CSUBundestagsfraktion empfehle ich Ihnen die Annahme.
Schönen Dank für Ihre Geduld.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104317900
Das Wort hat der Abgeordnete Weiss (München)


Michael Weiss (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104318000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Verkehrsminister, angesichts des vorliegenden Einzelplans 12 scheint es mir doch noch einmal dringend erforderlich, Sie darauf hinzuweisen, daß das Wort „Verkehr" nichts mit „verkehrt" zu tun hat; denn das, was Sie uns hier vorlegen und anbieten, ist nichts anderes als ein Kniefall vor den Forderungen des ADAC und der Automobilindustrie.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dabei hatten doch Sie, Herr Minister Warnke, große Versprechungen gemacht. Zu Beginn der Legislaturperiode hatten Sie erklärt, der ÖPNV in der Fläche müsse ein Schwerpunkt der Legislaturperiode werden, die Sanierung der Bundesbahnfinanzen müsse angegangen werden. Nach der Katastrophe von Herborn hatten Sie eine stärkere Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene gefordert.
Mit der Vorlage dieses Haushalts ist jedoch die Stunde der Wahrheit gekommen. Alle Ihre Versprechungen und Ankündigungen haben sich als Nebelkerzenwerferei erwiesen. Von den schönen Worten ist nichts übrig geblieben. Ich weiß nicht, ob Sie von Ihrer Partei zurückgepfiffen worden sind, zu deren Großspendern auch die Auto- und Straßenbauindustrie gehören, oder ob sie Ihre großen Worte gar nicht ernst gemeint haben.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Das ist aber billig, was Sie da verzapfen!)

Das Ergebnis jedenfalls ist ein Asphalt- und Automobilhaushalt, der den Anforderungen einer menschen-.
und umweltgerechten Verkehrspolitik nicht gerecht wird.
Nehmen wir uns die Ankündigungen vor und messen sie an den Zahlen des Haushalts.
Zum ÖPNV in der Fläche: „Mehr als Streckenstillegungen müssen wir uns schon einfallen lassen" , haben Sie gesagt. Das schlägt sich nunmehr darin nieder, daß Sie die Anschaffung von Bussen mit 30 % bezuschussen. In der Begründung der Bundesregierung zur GVFG-Novelle heißt es dann wortwörtlich:
Damit soll die Umstellung von Nebenstrecken der Deutschen Bundesbahn auf Busbedienung erleichtert werden.
Die ÖPNV-Mittel insgesamt werden gekürzt. 1992 sollen, so will es die GVFG-Novelle, weitere Kürzungen vorgenommen werden. Wann, so frage ich, werden sie endlich aufhören, Verkehrspolitik nur aus der Windschutzscheibenperspektive zu betreiben? Wann erkennen Sie endlich an, daß auch Menschen in der Fläche das Recht darauf haben, ihre täglichen Verkehrsbedürfnisse auch ohne Auto mit öffentlichen Verkehrsmitteln befriedigen zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Politik zwingt die Menschen doch dazu, sich ein Auto zuzulegen. Wenn wir von der Bundesregierung einmal ordnungspolitische Maßnahmen verlangen, nämlich Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, dann lehnen sie das mit dem Hinweis ab, daß das dirigistische Maßnahmen sind. Was aber Sie im Nahverkehr betreiben, ist derselbe Dirigismus. Sie zwingen die Leute zum Auto, Sie lassen ihnen nicht die freie Wahl des Verkehrsmittels, denn den ÖPNV gibt es nicht mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Zwang zum Auto, den die Bundesregierung ausübt, zeigt sich auch daran, daß Fußgänger und Radfahrer in diesem Haushalt überhaupt nicht vorkommen. Unter dem Slogan „Mehr Freiheit durch Auto" wird die Freiheit der Nichtautofahrer ständig weiter eingeschränkt.

(Dr. Jobst [CDU/CSU]: Noch nie etwas von Radwegeprogramm gehört? — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ihr laßt euch mit dem Fahrrad fotografieren und fahrt mit dem Dienstwagen heim!)

Die freie Entfaltungsmöglichkeit bei Autos führt dazu,
daß die Fußgänger stärker eingeschränkt werden, daß



Weiss (München)

unsere Straßen einfach nicht mehr wohnbar sind und daß insgesamt die Lebensqualität abnimmt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die grünen Wähler fahren alle Auto!)

Nun komme ich zur zweiten nicht eingehaltenen Ankündigung: der Bundesbahnsanierung. Vor der Wahl hat sogar der Bundeskanzler verkündet, daß die Bundesbahnfinanzen saniert werden müßten. Nichts aber ist passiert. Die Bundesbahn ist einfach nicht in der Lage, ihre Schulden aus eigener Kraft abzubauen. Der Eigentümer, die Bundesregierung, nimmt die Verantwortung nicht ernst. Der Schuldenstand der Bahn steigt, und die Zeit ist abzusehen, zu der die plafondierten Bundesleistungen irgendwann einmal nicht mehr ausreichen werden, um für Zins und Tilgung der Schulden aufzukommen.
Das Ganze läuft dann unter dem Slogan „Die neue Bahn" in den Werbeprospekten, der fast schon so klingt wie „Die Neue Heimat" . Wenn die Bundesregierung nichts tut, wird eines Tages die Bahn so überschuldet sein, daß sie auch nicht mehr mehr als eine Mark wert sein wird.
Herr Verkehrsminister, Sie haben zwar für die Bahn 13 Milliarden DM in den Bundeshaushalt eingestellt. Damit aber kommen Sie Ihren Verpflichtungen überhaupt nicht nach. Es fehlt die volle Abgeltung der von der Bahn erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Es fehlt der Ausgleich für überhöhte Versorgungslasten, die die Bahn zu tragen hat. Es fehlen Schritte hin zu einer echten Sanierung der Bahn. Es fehlen Maßnahmen zur Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der Bahn. Das einzige, was an Investitionsmitteln übrig bleibt, sind 3,9 Milliarden DM für Neubaumaßnahmen, davon 2,2 Milliarden DM für Hochgeschwindigkeitsstrecken. Die Strecke Würzburg—Hannover war früher einmal eine Mittelgebirgslandschaft. Sie haben sie zu einer überdimensionalen Rohrpostanlage umgebaut.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist schuld daran?)

Für die Modernisierung von Zweigstrecken bleibt kein Geld übrig.
Als Grund für die einseitige Förderung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs wird immer nur das Beispiel des TGV in Frankreich angeführt. Abgesehen davon, daß der Vergleich schon falsch ist — die Trasse Paris—Lyon ist bretteleben und dünn besiedelt, so daß ein Kilometer Strecke nur ein Fünftel der deutschen Hochgeschwindigkeitsstrecke kostet — , ist er auch einseitig. Denn wenn Sie schon mit Frankreich vergleichen, dann müssen Sie auch einmal sehen, daß es in Frankreich eine Autobahngebühr gibt, dann müssen Sie sehen, daß die Benzinpreise in Frankreich deutlich höher sind, und dann müssen Sie vor allem sehen, daß es in Frankreich ein Tempolimit gibt, das Sie immer ganz entschieden ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Und daß es keine GRÜNEN gibt, die alles verhindern!)

Im Gegenteil: Sie wissen alle ganz genau, daß ein Tempolimit das effektivste Mittel wäre, der Bahn endlich zu helfen und die Bahn auch ohne Neubaustrekken schnell und konkurrenzfähig zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aber was machen Sie? Statt daß Sie Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen ziehen, veranlassen Sie die Bahn, daß sie eine Studie der Prognos AG bis nach den Bundestagswahlen unter Verschluß hält.

(Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Falsche Behauptung! )

In dieser Studie wird doch klar nachgewiesen, daß der Großversuch mit Tempo 100 seitens der Bundesregierung falsch ausgewertet worden ist.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Jawohl, das stimmt!)

In einer Antwort auf eine schriftliche Frage von mir erklärt Ihr Haus, Herr Verkehrsminister, daß das Nicht-Existieren eines Tempolimits für die Entwicklung der Automobilindustrie sinnvoll sei. Das ist doch skandalös. 9 000 Tote jährlich zum Wohle der Automobilindustrie — auch das ist eine Form der Gewalt, die die Bundesregierung offensichtlich befürwortet.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublicher Hetzer!)

Aber nun zurück zur Bahn. Solange Sie, Herr Minister Warnke, nichts tun, um die Bahn auch im Güterverkehr konkurrenzfähig zu machen, bleibt alles bei leeren Sprüchen. Auch Ihre Zustimmung zu der 40prozentigen Erhöhung der Gemeinschaftskontingente im Juni dieses Jahres durch den EG-Ministerrat ist ein weiterer Schlag gegen die Bahn. Es ist doch eigentlich skandalös, daß heute immer noch die mittlere Transportentfernung von Gefahrguttransporten im Bahnverkehr geringer ist als im Straßenverkehr. Das zeigt doch, daß gerade im Fernverkehr die gefährlichen Güter verstärkt auf der Straße transportiert werden, gerade dort, wo sie am einfachsten zu verlagern wären.
Herr Verkehrsminister, wenn Sie nichts tun, dann wird es tatsächlich zu diesem Verkehrsinfarkt auf unseren Straßen kommen, den Sie ja schon prognostiziert haben.
Zum Abschluß möchte ich bloß noch auf die letzte „Wirtschaftswoche" verweisen und darauf hinweisen, wie dort die Behandlung der Bahn seitens der Bundesregierung gesehen wird. Der Referent im Finanzministerium, Sarazin, sagt: Was die Leute mit Bahnpolitik im Sinn haben, bringt sowieso alles nichts. — Er sagt sinngemäß weiter: Das sind alles Leute, die irgendwann mal eine Spielzeugeisenbahn besessen haben und jetzt damit im großen spielen. — Da sage ich Ihnen eines: Unter diesem Aspekt sollten Sie auch mal die Verteidigungspolitik betrachten und sich fragen, was das vielleicht mit Kriegsspielzeug und ähnlichem zu tun hat. Fangen Sie damit nicht bei der Bahn an.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Da kann ich nicht einmal lachen!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104318100
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.




Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104318200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushalt des Verkehrsministers, der Einzelplan 12, der insgesamt rund 26 Milliarden DM an Ausgaben vorsieht, ist mit etwa der Hälfte, nämlich ca. 13 Milliarden DM, der Haushalt mit dem größten Investitionsanteil. 13 Milliarden DM sind ca. 40 % aller im gesamten Bundeshaushalt vorgesehenen Mittel für Investitionen. Dies ist eine erfreuliche Tatsache, vor allen Dingen, wenn man bedenkt, was 13 Milliarden DM für öffentliche Investitionen an positiver Wirkung auf dem Arbeitsmarkt bedeuten. Investitionen
— daran ist ja wohl nicht vorbeizusehen — sind die Schlüsselgröße für Wirtschaftswachstum, die Schlüsselgröße zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Gerade in diesem Aufgabenbereich, über den wir sprechen, ist der Anteil des Mittelstandes besonders hoch, was wir begrüßen.

(Beifall bei der FDP — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Müder Beifall!)

— Er war nicht mühsam, aber man könnte ihm durchaus folgen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Er war begründet! Besser als das Schreien ohne jeden Grund!)

— Er war begründet.
Es ist allerdings nicht zu übersehen, daß sowohl die Gesamtsumme des Einzelplans 12 als auch die Gesamtsumme der Investitionen stagniert.

(Zuruf von der SPD: Rückläufig ist!)

Dies bedeutet — rechnet man die Inflationsrate und die Lohnsteigerungen dagegen — , daß das Volumen des Verkehrshaushalts wie auch der realen Investitionen in den letzten Jahren leicht zurückgegangen ist.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Lassen Sie mich dies an dem Beispiel des Straßenbaus erläutern: Seit Jahren beträgt hier der Ansatz ca. 6,25 Milliarden DM. Das führt dazu, daß der Anteil für Neubaumaßnahmen kontinuierlich zurückgeht, weil aus dem Gesamttitel bekanntlicherweise auch die Unterhaltskosten geleistet werden müssen, deren Anteil ständig zu Lasten der Neuinvestitionen steigt. Das führt dazu, daß 1988 nur noch 82 km neue Autobahn gebaut werden können.
Bei Licht besehen: Wir halten also ein recht ordentliches Ausgabenniveau für Erhalt und Neubau, mehr nicht. Das muß man sich vor Augen führen. Aber wenn ich das sage, fällt mir auch ein, daß früher der Fraktionsvorsitzende der SPD bei diversen Gelegenheiten gesagt hat: Zu bewahren, zu erhalten, was man geschaffen hat, ist in manchen Situationen auch schon eine gute Leistung. — So gesehen ist das, was wir geschafft haben, gar nicht schlecht. Von einem Verkehrsinfarkt, wie gesagt wurde, sind wir weit entfernt.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Fragen Sie doch Warnke! Das ist ein Zitat von Warnke!)

Bei den Beratungen zum Einzelplan 12 war die Beschlußfassung zum Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz unbefriedigend. Hier hat die Koalitionsvereinbarung vorgesehen, daß zukünftig die Mittel für den kommunalen Straßenbau bzw. den ÖPNV auf einem niedrigeren Niveau plafondiert werden sollten.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig! Das steht nicht drin! Das haben Sie offenbar nicht gelesen!)

Ich will diese Tatsache nicht weiter werten, aber Bundeskanzler und Ministerpräsidenten der CDU haben sich beim Länderfinanzausgleich auf eine Lösung geeinigt, die die Kürzung im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz vertretbar erscheinen ließ. Die Länder sollten nach dieser Vereinbarung rund 680 Millionen DM mehr erhalten und hätten dann die 280 Millionen DM Kürzung verschmerzen können. Deshalb hat uns bei den Haushaltsberatungen die nachgeschobene Erhöhung um 100 Millionen DM schon Schwierigkeiten bereitet. Es kann nicht angehen, daß der Haushaltsausschuß hinsichtlich einer Nothilfe für die Gemeindefinanzen im letzten Augenblick gefragt wird.

(Dr. Weng [Gerlingen] FDP: Vor allem ohne Finanzierung! — Zuruf von der CDU/CSU: Das kann er schon machen!)

Ich meine, eine sorgfältige und verläßliche Beratung wäre wünschenswert gewesen. Das mag zwar normal sein, ich hoffe es nicht, aber selbst wenn es das sein sollte, ist das kein Grund, auf Dinge, die nicht in Ordnung sind, nicht hinzuweisen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Bei wem denn nicht?)

Aber ein Weiteres: Sorgen, aber wirklich ernsthafte Sorgen, bereitet uns die finanzielle Situation der Deutschen Bundesbahn. Obwohl wir jedes Jahr rund 14 Milliarden DM an die Deutsche Bundesbahn
— und das ist mehr als die Hälfte des gesamten Etats, über den wir hier sprechen — überweisen, ist festzustellen

(Weiss [München] [GRÜNE]: Weil der Straßenbau nicht drinsteht, die Straßenbauverwaltung!)

— indem Sie mehr zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren, werden Sie die Bahn nicht sanieren, wenn ich Ihnen richtig zugehört habe —,

(Weiss [München] [GRÜNE]: Da stecken alle Treibstoffkosten drin!)

daß der Fehlbetrag im laufenden Jahr von voraussichtlich 3,8 Milliarden DM bis 1992 auf 6,8 Milliarden DM steigen wird. Die Nettokreditaufnahme beträgt dann wohl 3,8 Milliarden DM, und die Verschuldung wird Mitte der 90er Jahre 70 Milliarden DM betragen, doppelt soviel — grob — wie zur Zeit.
Hier müssen, was die Finanzsituation, aber auch was die Selbständigkeit der Bahn angeht, unbedingt noch in dieser Legislaturperiode grundlegende Entscheidungen fallen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Weiss [München] [GRÜNE]: Ist richtig!)




Zywietz
Ich bin der Auffassung, daß die Bahn zukünftig mehr als bislang so wie ein selbständiges Wirtschaftsunternehmen geführt werden muß.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Das ist der Antrag auf Drucksache 11/1251, dem Sie zustimmen müssen!)

Die Konsolidierungsentscheidung für die Bahn im Jahre 1983 war ein Schritt in die richtige Richtung. Ohne diese notwendige Entscheidung hätten wir heute bereits die Situation erreicht, die ich eben für Mitte der 90er Jahre dargestellt habe.
Bei dieser Gelegenheit erinnere ich an das Zehnpunkteprogramm zur Deutschen Bundesbahn, das mein Kollege Kohn, wenn ich mich recht erinnere, 1985 in diesem Hause vorgestellt hat. Das Konzept Bahn muß fortgeschrieben werden. Dazu gehört auch eine Verbesserung der Unternehmensverfassung. Motivation bei Vorstand und Mitarbeitern erreichen wir nur, wenn auch die Eigenverantwortung gefestigt wird. Meine Partei und Fraktion sind der Auffassung, daß die Bahn, wenn sie genügend Unterstützung erfährt, auf Grund ihrer gegebenen Vorteile wie Sicherheit, Umweltverträglichkeit und Energiesparsamkeit bei besseren Rahmenbedingungen auch noch im nächsten Jahrtausend einen guten Platz in unserer Verkehrswirtschaft behaupten wird.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Abg. Haar [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104318300
Herr Abgeodneter — —

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104318400
Ich möchte fortfahren. Ich habe nur noch drei Minuten.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Klar: Vor dem Vorsitzenden der Eisenbahnergewerkschaft hat er Angst! — Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Da ist sowieso keine neue Idee zu erwarten!)

Ich möchte auf einen Bereich eingehen, der uns am Herzen liegt. Die Situation der deutschen Seeschiffahrt ist ebenfalls nicht einfach. Der Trend zur Ausflaggung — das ist auch von Vorrednern gesagt worden — hat zugenommen und liegt mittlerweile bei über 50 %. Aber fragt man: Was ist Grund?, dann muß man feststellen: Der Grund dafür ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, u. a. auf Grund hoher Lohn- und Lohnnebenkosten. Die Gewerkschaften waren 1986 schlecht beraten, als sie in einem Streik, der fast zum Kollaps der Schiffahrt geführt hat, eine Tarifanhebung von rund 10 % durchgesetzt haben, und das im Zusammenhang mit einer alten Schiffsbesetzungsverordnung, die die deutsche Handelsflotte nochmals benachteiligt. Ich rede hier nicht einer maßlosen Personaleinsparung das Wort. Rationalisierung muß dort ihre Grenzen haben, wo die Sicherheit tangiert wird. Das ist selbstverständlich. Trotzdem ist festzuhalten, daß andere Schiffahrtsländer, auch andere nordische mit moderner Besetzungsordnung, auf dem gleichen Sicherheitsniveau fahren. Was dort möglich ist, muß auch in der Bundesrepublik machbar sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein weiterer Nachteil ist in der Belastung durch die ertragsunabhängigen Steuern zu sehen. Gerade in einkommenschwachen Zeiten treffen diese Steuern die Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Möglichkeit zur Behauptung im Markt besonders hart — logischerweise.
Noch zwei, drei Schlußgedanken — mit Blick auf die Anzeige.

(Ibrügger [SPD]: Dortmund—Kassel nicht zu vergessen!)

— Dortmund—Kassel nicht zu vergessen, auch wenn der Zusammenhang nicht hergestellt ist; aber die anwesenden Experten wissen, was gemeint ist.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Dort ist eine Autobahn!)

— Wenn diese modernen Werbe- und Beeinflussungsmethoden der Deutschen Bundesbahn anempfohlen werden, ist das vielleicht ein Beitrag zur Besserung ihrer Marktchancen.
Wir haben in den Beratungen die Haushaltsmittel für die Verkehrsaufklärung erhöht. Wir sind der Auffassung, daß Verbesserung der Verkehrssicherheit in erster Linie durch Verantwortung des Verkehrsteilnehmers und durch entsprechende Aufklärung gewährleistet wird. Anhebung von Geldbußen und Androhung schärferer Strafen — so ist jedenfalls mein Eindruck — bringen in den meisten Fällen nicht so viel, wie sich manche, die dafür eintreten, denken und erhoffen.

(Beifall des Abg. Gries [FDP])

Lassen Sie mich festhalten: Es ist um die Verkehrssicherheit — nimmt man die Zahlen zu Hilfe — nicht so schlecht bestellt, wie heute behauptet. Ich erinnere daran, daß 1970 bei der Hälfte des Verkehrsaufkommens etwa 20 000 Todesopfer zu beklagen waren, während in diesem Jahr mit rund 8 000 Opfern wohl leider noch zu rechnen ist. Zugegeben: Das ist zuviel. Jeder Tote ist zuviel.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Es ist nicht Verkehrssicherheitspolitik, es ist Ausweitung der Rettungsdienste, daß weniger sterben!)

Aber bei gesteigertem Verkehrsaufkommen mehr als eine Halbierung der Opfer, auch das ist ein Faktum, auf das man hinzuweisen hat.
Eine einzelne Anmerkung. Die Redezeit ist abgelaufen, und ich bin da ein etwas gebranntes Kind, was das Überziehen anbelangt.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Aber lernfähig!)

— Wir sind lernfähig. Meine Fraktion legt großen Wert darauf, daß nunmehr nach der einmütigen Entscheidung in der Verkehrsministerkonferenz unverzüglich die freien Sachverständigen in die KFZ-Überwachung aufgenommen werden sollten.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Das ist überfällig!)

— Dies ist überfällig; ich nehme das gern als Bekräftigung auf.
Ein vorletzter Gedanke: Die Vorredner haben darauf hingewiesen, das Luftverkehrsaufkommen ist größer geworden, es herrscht Enge und Gedränge im Luftraum. Die Verbesserung der Flugsicherheit erfor-



Zywietz
dert Handlungsbedarf; mit einer Verpflichtungsermächtigung von 100 Millionen DM ist ein Schritt gemacht.
Noch zwei Sätze zum Abschluß, wenn ich darf. Dies ist in der Tat noch ein Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung: Bis zum Jahre 1992 ist in der Europäischen Gemeinschaft der Binnenmarkt zu schaffen, und das bedeutet auch einheitlicher Verkehrsmarkt. Hier gilt unsere Devise, daß Liberalisierung nur bei gleichzeitiger Harmonisierung durchgeführt werden kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Harmonisierung bedeutet einheitliche Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger in der EG. Hier dürfen wir nicht naiv sein. Ich möchte damit schließen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104318500
Sie müssen schließen. Es ist jetzt eine Minute drüber. Sie haben einen großzügigen Präsidenten, aber länger hält er es nicht aus.

Werner Zywietz (FDP):
Rede ID: ID1104318600
Zu diesem Schluß komme ich aus Einsicht. Ich bedanke mich für die gute Kooperation im Hause und bedanke mich auch für die freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Berichterstattern.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104318700
Herr Abgeordneter, selbst das Dankeschön muß kürzer gefaßt werden, zumal Sie ja auch die Absicht hatten, die Opfer zu halbieren, was meiner Meinung nach ein unerträglicher Vorgang wäre.

(Heiterkeit — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die FDP ist die Großzügigkeit des Koalitionspartners gewöhnt!)

Jetzt hat der Bundesminister für Verkehr das Wort.

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1104318800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bürger und Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland sind auf ein hochleistungsfähiges Verkehrssystem angewiesen. Der Haushaltsplan für das Jahr 1988 bietet ein sicheres Fundament für die Erreichung dieses Zieles. Der Verkehr der Zukunft wird sich allerdings nicht auf den Bahnen von gestern abspielen und ganz bestimmt nicht nur auf Radwegen, wenn wir auch das Radwegeausbauprogramm fortsetzen werden.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Die Bundesbahn gibt es auch noch!)

Die Bundesregierung hält wie in der vergangenen Legislaturperiode daran fest, für die Schiene besondere Anstrengungen zu unternehmen: Sie erhält mehr als die Hälfte des Verkehrsetats, sie erhält 54 % des Verkehrshaushalts,

(Weiss [München] [GRÜNE]: Das ist eine faule Rechnung!)

und das sind rund 14 Milliarden DM, über 210 Millionen DM mehr als im laufenden Jahr. Die Investitionszuschüsse steigen in diesem Jahr um fast 70 Millionen DM auf damit rund 3 800 Millionen DM.
Die Investitionen für die Bahn der Zukunft haben wir mit den Straßenbauinvestitionen gleichgezogen, und dies war zu Zeiten der früheren Verantwortung im Verkehrsbereich — vor 1982, Herr Kollege Purps — anders. Damals haben die Bruttoinvestitionen für den Straßenbau im Zehn-Jahres-Zeitraum 150 %, ja über 150 % dessen ausgemacht, was der Bundesbahn an Bruttoinvestitionen zugute gekommen ist. Wir haben Investitionsqualität verbessert, um mehr auf die Schiene bringen zu können, um die Schiene im Wettbewerb stärken zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104318900
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haar?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1104319000
Herr Präsident, ich habe meine Redezeit selbst auf 10 Minuten beschränkt um dem Parlament seine Chance zu geben. Aber wenn es nicht auf die Zeit angerechnet wird, lasse ich die Frage gern zu.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104319100
Herr Haar, bitte schön.

Ernst Haar (SPD):
Rede ID: ID1104319200
Herr Minister, würden Sie mir bestätigen, daß in diesem Zehn-Jahres-Zeitraum, von dem Sie sprechen, der vor uns liegt, insgesamt etwa 160 Milliarden DM in kommunalen, Landes- und Bundesfernstraßenbau fließen und die Bahn 35 Milliarden DM erhält, oder würden Sie dem widersprechen?

Dr. Jürgen Warnke (CSU):
Rede ID: ID1104319300
Die Bruttoinvestitionen der Bahn — das teile ich Ihnen gern mit, Herr Kollege Haar — werden im Zehn-JahresZeitraum 1986 bis 1995 47 Milliarden DM betragen. Die Bruttoinvestitionen für die Bundesfernstraßen werden etwa in der gleichen Größenordnung liegen. Das ist die entscheidende Umsteuerung zugunsten der Bahn, die die Regierung Kohl vorgenommen hat und an der sie festhält.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Jobst [CDU/CSU]: Im Gegensatz zur SPD-Regierung!)

Es ist der entschiedene Wille der Bundesregierung, daß auch mehr Gefahrgut von der Straße auf die Schiene verlagert wird. Bis vor einer Stunde hat heute der Gefahrgut-Verkehrs-Beirat getagt. Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen: Wir werden nach Anhörung des Gefahrgut-Verkehrs-Beirates dafür sorgen, daß von dem heute auf der Straße transportierten Volumen an Gefahrgütern ein erheblicher Anteil auf die Schiene verlagert wird.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Wo haben Sie im Haushalt das Geld dafür?)

Das ist der Erfolg einer seit Herborn konsequent betriebenen Politik, allerdings nicht, Herr Kollege Weiss, einer Politik des großen öffentlichen Tönens, sondern des harten Ackerns mit denjenigen, die daran beteiligt sind: mit den Herstellern von Gefahrgütern, mit den Transportunternehmern, mit der Bundesbahn und auch mit den Arbeitnehmervertretungen. So wird Verkehrsstruktur zugunsten der Bahn verändert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Dann müssen sie aber unserem Antrag auf Drucksache 11/1252 zustimmen!)




Bundesminister Dr. Warnke
Meine Damen und Herren, wir werden auch dafür sorgen, daß sich auf der Strecke, die der Kollege Purps angesprochen hat, auf der Strecke Dortmund—Paderborn—Kassel etwas tut. Es wird dort bereits ab dem Frühjahrsfahrplan 1988 der Taktverkehr eingeführt werden. Es wird der Ausbau zur Hochgeschwindigkeitsstrecke im Abschnitt Dortmund—Paderborn Anfang der 90er Jahre beendet sein, und wir werden die Planungen für den anderen Teil unverzüglich aufnehmen, aber wir können den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. Was Sie hier gesagt haben: bis ins Jahr 2000 abgehängt sein, ist schlicht und einfach unzutreffend, wie es leider auch andere Ausführungen in Ihrem Diskussionsbeitrag gewesen sind.

(Purps [SPD]: Abwarten!)

Für die Bundesfernstraßen stehen im kommenden Jahr 6,25 Milliarden DM zur Verfügung; das sind 50 Millionen DM mehr als in der bisherigen Finanzplanung vorgesehen. Der Löwenanteil entfällt mit etwas mehr als 5 Milliarden DM auf Investitionen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, vor allem von der Opposition: Millionen von Bürgern warten darauf, daß unser Autobahnnetz vervollständigt wird, besonders in den revierfernen Gebieten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Nicht in Ostfriesland!)

Die massiven Rückstände in der Anbindung von ländlichen Räumen im Osten, Westen, Norden und Süden unseres Landes, die der Regierung Kohl von der früheren Verkehrspolitik hinterlassen worden sind, werden wir aufarbeiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer wie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen die für den Neubau von Bundesfernstraßen zur Verfügung gestellten Mittel nicht für diesen Zweck verwendet, muß — gleichgültig in welchem Land — damit rechnen, daß sie denjenigen zur Verfügung gestellt werden, die dafür sorgen, daß den Entwicklungschancen der Menschen in der Fläche besser Rechnung getragen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer wie Sie, Herr Kollege Purps, im nordrheinwestfälischen Glashaus sitzt, der sollte die Steine das nächste Mal besser in der Tasche lassen.

(Frau Traupe [SPD]: Oh, was sind das für dumme Sprüche! Das ist doch unter Ihrem Niveau! — Weitere Zurufe von der SPD)

Die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden ist durch die Beratung des Gesetzentwurfes zur Novellierung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes in diesem Hause noch einmal verstärkt worden. Ich danke dafür. Ich nehme zur Kenntnis und bitte Sie, daß Sie das auch zur Kenntnis nehmen, daß das Echo auf die Einbeziehung von Omnibussen in die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs von den Gemeindeverbänden und von den Organisationen des öffentlichen Personennahverkehrs einhellig positiv ist. Damit ist ein Durchbruch erzielt worden zur Herstellung von mehr Gerechtigkeit zwischen Fläche und Ballungsräumen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zurufe von der SPD)

Die Bundeswasserstraßen werden wir in den kommenden Jahren nicht vernachlässigen. Für die Seeschiffahrt kennen wir die Herausforderungen: Überkapazitäten bei den Tankern, Containern und Massengutschiffen, Kostendruck sowie Dollar-Schwäche. Mit der Neuregelung und der kräftigen Aufstockung der Finanzbeiträge wird ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Handelsflotte gegen den Ausfiaggungstrend und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen für die deutschen Seeleute getan.
Für die Luftfahrt stehen 1988 mehr als 630 Millionen DM zur Verfügung, 40 Millionen DM mehr als in diesem Jahr. Der Luftverkehr nimmt zu, und der Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland ist eng. Der Ausbau der Flugsicherung ist daher geboten. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben, daß sich die Sicherheit im Luftverkehr nicht zuletzt dank der verantwortungsvollen Aufgabenerfüllung in den dafür zuständigen Diensten hat gewährleisten lassen. Wir wissen, daß von unseren Fluglotsen viel verlangt wird. Deshalb ist die in diesem Bereich vorgesehene Stellenkürzung dringend überprüfungsbedürftig.

(Zustimmung des Abg. Walther [SPD])

Ich werde dazu in dem für Januar 1988 vom Haushaltsausschuß angeforderten Bericht zur Flugsicherung Stellung nehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte danken den Kollegen des Haushaltsausschusses — einigen ist es schwergefallen — , danken den Kollegen des Verkehrsausschusses, aber auch vielen anderen in diesem Hause, die dazu beigetragen haben, daß der Verkehrshaushalt aus den Beratungen des Bundestages um 112 Millionen DM höher herauskommt, als er hineingegangen ist.

(Weiss [München] [GRÜNE]: Für Straßenbau!)

Dies ist ein ungewöhnliches Ergebnis. Es war die Stunde des Parlaments, und das Parlament hat diese Stunde gut genutzt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wer investiert — wir halten diese Marke von 50 % Investitionsvolumen — , vertraut in die Zukunft. Die Schöpfung bewahren, die Zukunft gewinnen, das ist der Leitgedanke auch für die verkehrspolitische Arbeit dieser Bundesregierung.
Ich schließe mit Dank und Anerkennung für zahlreiche Beschäftigte im öffentlichen wie im privaten Sektor, die in den Bereichen Bahn, Straße, Schiffahrt und Luftfahrt in diesem vergangenen Jahr mit ihrer Bereitschaft, mehr Gefahr und mehr Härte auf sich zu nehmen, wiederum mehr als Beschäftigte in anderen Bereichen, ihren Dienst getan und damit ihren Beitrag zur Entwicklung unseres Gemeinwesens geleistet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104319400
Meine Damen und Herren! Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 11/1244 bis 11/1253. Darf ich mit Ihrer Kooperation rechnen, so daß wir darüber in einem Durchgang abstimmen können?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das geht leider nicht! Sie sind zu unterschiedlich!)

Ich rufe diese Änderungsanträge nach der Reihenfolge der Drucksachennummern zur Abstimmung auf.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/ 1244 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wer für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1245 stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/1246. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Er ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Jetzt kommt der Änderungsantrag auf Drucksache 11/1247. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Er ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1248? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Er ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wir sind bei der Drucksache 11/1249. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Er ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zum Änderungsantrag auf Drucksache 11/1250. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Auch dieser Änderungsantrag wird mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1251? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Er ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 11/1252? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? —
Frau Schoppe, stimmen Sie mir zu, daß wir das in einem Ruck hätten machen können?
Alle diese Änderungsanträge sind also abgelehnt worden, und zwar mit der jeweils gleichen Mehrheit.
Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 12 ab.
Wer dem Einzelplan 12 — Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan 12 ist mit Mehrheit angenommen worden.
Ich rufe auf: Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache 11/1063 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Deres Walther
Frau Rust
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Beratung eine Stunde vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden. Das ist die letzte Stunde der Aussprache heute abend.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Börnsen (Ritterhude).

Arne Börnsen (SPD):
Rede ID: ID1104319500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir, während meines Referats besonders auf die in den letzten Monaten begonnene Diskussion über die Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens Bezug zu nehmen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Wieso Referat? Wir sind hier im Bundestag und nicht in der Universität! Hier werden Reden gehalten! — Anhaltende Unruhe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104319600
Augenblick bitte! Ich möchte gern dem Redner ein bißchen mehr Ruhe verschaffen. Darf ich vorschlagen, daß die Kollegen, die jetzt an dem Platzwechsel beteiligt sind, ihn so schnell vollziehen, daß wir gut zuhören können. Jetzt kann's weitergehen. •
Bitte schön, Herr Börnsen.

Arne Börnsen (SPD):
Rede ID: ID1104319700
Bei jeder Gelegenheit vor Vorlage des Regierungsberichts zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens hat der Bundespostminister einen Dialog mit Bürgern, Verbänden und Gewerkschaftern versprochen. Bei jeder Gelegenheit nach dem 16. September, als dieser Bericht vorgelegt wurde, hat der Bundespostminister eine abgeschlossene und kompromißlose Haltung eingenommen und darüber referiert, aber keinen Dialog durchgeführt.

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! Das ist doch überhaupt nicht wahr!)

Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was versteht der Bundespostminister unter einem Dialog? Vielleicht sollte er sich an seinem Vorvorgänger im Amt, dem früheren Postminister Richard Stücklen, ein Beispiel nehmen. In einem Interview mit der „Deutschen Post" antwortete

(Zurufe der Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU] und Pfeffermann [CDU/CSU])

auf die Frage - Herr Pfeffermann, ganz ruhig bleiben! — : „Ist für Sie also Voraussetzung solcher Anpassungsprozesse und Modernisierungen, daß eine breite Übereinstimmung gesucht und gefunden wird in der Gesellschaft, bei den Bürgern und bei den Beschäftigten?" Herr Stücklen „Uneingeschränkt ja! "

(Hört! Hört! bei der SPD)




Börnsen (Ritterhude)

Die Dialogfähigkeit des Bundespostministers wird wohl eher in einem Fernschreiben der Oberpostdirektion Bremen deutlich. Darin heißt es wörtlich:
Ich halte es für selbstverständlich, daß der oder die Abgeordnete während des Besuches eines Post- oder Fernmeldeamtes vom Amtsvorsteher oder seinem Vertreter begleitet wird. Bei Diskussionen über die geplante Umstrukturierung der Deutschen Bundespost sowie gegebenenfalls über andere aktuelle Fragen (...) erwarte ich von Ihnen, daß Sie die Position des Bundespostministers aktiv vertreten.

(Lachen bei der SPD)

Viel Vertrauen in die Überzeugungsfähigkeit seiner eigenen Argumente scheint also der Bundespostminister nicht zu haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ich würde gern auf weitere Zitate aus dem Interview mit Herrn Stücklen zurückkommen, um deutlich zu machen, daß von kompetenter Seite der Regierungsfraktionen dem amtierenden Postminister gutgemeinte Vorschläge aus der Sorge heraus gemacht werden, daß der eingeschlagene Weg der Postpolitik erkennbar ins Abseits führt. Aber ich möchte die Möglichkeit der Haushaltsberatungen 1988 nutzen, um vor einer endgültigen Regierungsvorlage zur Neustrukturierung der Deutschen Bundespost sowohl die Standpunkte der SPD klar zu formulieren, als mich auch mit den erkennbaren Schwerpunkten in der Meinungsbildung des Ministeriums auseinanderzusetzen, um gemeinsame Positionen, die der Deutschen Bundespost nützen, zu verdeutlichen und um möglicherweise Irrwege zu Lasten der Bürger zu verhindern.
Die SPD-Bundestagsfraktion stellt grundsätzlich die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der Deutschen Bundespost nicht in Frage. Im Gegenteil: Wer jetzt untätig ist, verbaut der Entwicklung der Telekommunikation in der Bundesrepublik Deutschland wichtige Möglichkeiten und verbaut einer Zukunftstechnologie, die für alle Bereiche der Wirtschaft von eminenter Bedeutung ist, die infrastrukturelle Basis. Wir Sozialdemokraten sind dabei allerdings der Überzeugung, daß man der Deutschen Bundespost bei dieser Entwicklung eine entscheidende Schlüsselfunktion zubilligen muß.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Wer die Deutsche Bundespost jetzt schwächt, wer ihr Entwicklungsmöglichkeiten nimmt, wer ihr die finanzielle Basis entzieht, der erweist der technischen Entwicklung einen Bärendienst.

(Beifall des Abg. Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Denn ein erster Investitionszyklus in der Bundesrepublik Deutschland durch ein flächendeckendes Telefonnetz und flächendeckendes Rundfunksendernetz ist abgeschlossen. Vor uns liegt die Evolution der vorhandenen Fernsprechnetze hin zu einer universellen, breitbandigen Telekommunikationsstruktur und einem damit verbundenen erneuten Investitionszyklus, der von ähnlichem Ausmaß sein wird wie die Errichtung des Telefonnetzes selbst.
Eine solche Aufgabe setzt voraus, daß das Netzmonopol der Bundespost uneingeschränkt erhalten bleibt.

(Beifall bei der SPD)

Rosinenpickerei bei lukrativen Netzsegmenten wäre volkswirtschaftlich unverantwortlich.
Eine solche Aufgabe setzt voraus, daß die Bundespost weiterhin finanziell leistungsfähig bleibt, um ihren langfristig angelegten Infrastrukturauftrag zu erfüllen.
Eine solche Aufgabe setzt auch voraus, daß der Bundespost für das Endgeräteangebot und für das Diensteangebot eine Schlüsselfunktion zuerkannt wird. Erstaufträge für Endgeräte durch die Deutsche Bundespost, die sich am Nachfragepotential des jeweiligen Dienstes orientieren, sind unerläßlich.
Die Deutsche Bundespost hat also auch und gerade auf geänderten technologischen Grundlagen künftig Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrzunehmen: Sie muß im Interesse gleichwertiger Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland dafür sorgen, daß alle Bürger — privat und geschäftlich — Leistungen des Post- und Fernmeldewesens zu gleichen Bedingungen und sozial vertretbaren Gebühren in Anspruch nehmen können.
Wir sind bei der Behandlung dieses Themas bereit, über eine Trennung von hoheitlichen und unternehmerischen Aufgaben bei der Deutschen Bundespost zu diskutieren, wenn die politische Steuerung und die gemeinwirtschaftliche Aufgabenstellung gewährleistet bleiben und eine gleichberechtigte Mitbestimmung von Arbeitnehmern in den Aufsichtsgremien verankert wird, wozu bei uns auch die Frage gehört, über die Einrichtung eines Arbeitsdirektors nachzudenken.
Eine solche Haltung einzunehmen, Trennung von hoheitlichen und betrieblichen Funktionen setzt allerdings voraus, daß die Einvernehmensregelungen zwischen Bundespostminister einerseits und Bundesfinanzminister, -innenminister und -wirtschaftsminister andererseits aufgehoben, ersatzlos gestrichen werden. Herr Bundespostminister, es wäre deswegen für die weitere politische Auseinandersetzung gut und hilfreich, wenn Sie uns mitteilen würden, daß der Finanzminister der Post künftig den notwendigen Freiraum bei der Einstellung von Ingenieuren zugesteht. Meine Damen und Herren, angesichts der von allen gewollten Bewältigung technischer Entwicklungen ist es doch geradezu grotesk, daß der Post heute mehr als 2 000 Ingenieure fehlen. Wie soll sie denn diese technische Entwicklung wirklich beherrschen können, wenn sie nicht einmal Ingenieure hat, um dies zu tun?

(Walther [SPD]: Das liegt am Innenminister!)

— Es liegt am Innenminister und am Finanzminister, und deswegen müssen diese Einvernehmensregelungen fallen.

(Walther [SPD]: Die müssen weg, jawohl!)

Ich möchte mich nun mit einem Thema beschäftigen, meine Damen und Herren, das in der aktuellen Diskussion den meisten Zündstoff liefert, nämlich mit



Börnsen (Ritterhude)

der Frage der künftigen Organisationsstruktur der Deutschen Bundespost, der Organisationsstruktur des Unternehmensbereiches.
Mit Datum vom 22. Oktober dieses Jahres wurde im Ministerium ein Entwurf zur Unternehmensverfassung der Deutschen Bundespost fertiggestellt. Um es vorweg zu sagen: Dieser Entwurf ist unqualifiziert.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)

Es wird den Ansprüchen an die politische Dimension der Postreform nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne dafür zwei Beispiele: Erstens. Eine parlamentarische Kontrolle der Unternehmensbereiche findet nicht statt. Die Beteiligung der Bundesländer wird nicht einmal erwähnt. Das ist, meine Damen und Herren, Ausdruck einer mangelnden demokratischen Sensibilität, Ausdruck selbstherrlichen Denkens.

(Dr. Struck [SPD]: Kein Wunder bei diesem Minister!)

Punkt zwei: Der Entwurf zementiert ein Organisationsmodell, nämlich die Trennung von Telekommunikationsdiensten, Post- und Postbankdiensten, dem wir Sozialdemokraten uns kompromißlos widersetzen werden.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich den letztgenannten Punkt näher erläutern: Herr Minister, was veranlaßt Sie eigentlich — entgegen vergleichbaren europäischen Modellen —, Postdienste, Fernmeldewesen und dazu noch Postbankdienste bei uns so radikal trennen zu wollen? Sie begeben sich damit in den Zwang, die bisherige Quersubventionierung mittelfristig aufzuheben, und setzen damit die wirtschaftliche Existenzfähigkeit der traditionellen gelben Post aufs Spiel. Sie, Herr Minister, erliegen — diesen Eindruck haben wir manchmal — der Faszination der technologischen Entwicklungsmöglichkeiten der Telekommunikation,

(Frau Traupe [SPD]: Nein, dem Verdienst, den er damit machen kann!)

vernachlässigen dabei aber den bürgernahen traditionellen gelben Postdienst. Diese technologische Faszination allerdings ist ja so erfüllend auch nicht immer, wenn ich mir anschaue, daß der TV-SAT im Augenblick nicht einmal in der Lage ist, am Himmel seine Klappen auszufahren. Aber selbst wenn wir einmal voraussetzen, daß ihm das noch gelingt, wird er Fernseh- und Rundfunksignale senden, die keiner bei uns empfangen kann. Im Laufe des ganzen Jahres 1988 wird niemand die Möglichkeit haben, sie zu empf an-gen! Das ist nicht gerade ein Beispiel für eine gute Planung.

(Walther [SPD]: Das ist Schwarz-Schillings Blindenfernsehen!)

Zu diesem bürgernahen Postdienst, der vernachlässigt wird, weil man an ihm auch nicht so gut verdienen kann: Eine eigenständige Rechnungsführung unter der hier unsinnigen Vorgabe einer Kostendeckung bei Telekommunikation und Postdiensten gleichermaßen wird jedes Jahr den Postdienst zur Rechtfertigung von Defiziten zwingen, die auf Grund der Verpflichtung und der Notwendigkeit, die Dienstleistungen flächendeckend anzubieten, und auf Grund politischer Vorgaben strukturell bedingt sind. Es besteht doch wohl Übereinstimmung darin, daß auch künftig der Postzeitungsdienst zu nicht kostendeckenden Gebühren geleistet werden muß, nicht nur um dem unter dem Springer-Konzern leidenden Bürger in Berlin den Bezug der „Frankfurter Rundschau" oder der „Süddeutschen Zeitung" zu ermöglichen,

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

sondern auch um in ländlichen Bereichen wie in der kleinen Gemeinde Kirchlinteln — sicherlich weltweit bekannt — überhaupt den flächendeckenden Bezug z. B. der Verdener „Aller-Zeitung" zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Und, meine Damen und Herren, das Weihnachtspaket soll doch wohl auch in den Bayerischen Wald zugestellt werden, und ich glaube, UPS wird das auch in Zukunft nicht tun wollen.
Eine Strangulierung der gelben Post also ist keine Lösung.

(Beifall bei der SPD)

Im Gegenteil, auch die gelben Postdienste müssen modernisiert werden. Sie müssen revitalisiert werden!

(Sehr richtig! bei der SPD)

Auch dort muß die Entwicklungsmöglichkeit zur Kenntnis genommen werden.
Die Konsequenzen Ihrer Politik jedoch, Herr Minister, würden sein, daß die Dienstleistungen verteuert oder eingeschränkt werden und daß als Ausdruck dieser fatalen Logik das Personal der gelben Post systematisch abgebaut wird. Genau deswegen werden wir die schärfsten Gegner einer solchen Politik sein. Meine Damen und Herren, über die Bundesbahn ist gerade zuvor gesprochen worden. Deren Erfahrungen wollen wir hier nicht wiederholen.
Es werden aber nicht nur die politischen Einwendungen sein, die Ihr Konzept, Herr Minister, wenn es so bleiben sollte, wie es jetzt ist — was ich nicht hoffe —, zum Scheitern bringen werden. Denn Sie werden doch nicht im Ernst erwarten, daß angesichts der Haushaltssituation, über die wir in dieser Woche diskutieren, der Bundesfinanzminister bereit sein wird, Defizite der gelben Post auszugleichen, politische Lasten zu finanzieren oder auf Abgaben zugunsten des Bundeshaushalts zu verzichten. Das glaubt doch wohl niemand ernsthaft! Wenn Sie aber solche Behauptungen aufstellen oder Andeutungen in dieser Richtung machen, beweisen Sie, daß Sie nicht nur den politisch falschen Weg der Zerschlagung gewachsener Strukturen gehen, sondern sich gleichzeitig in eine gewisse Isolierung begeben.
Wenn sie zusätzlich den Postbankdienst verselbständigen wollen — möglicherweise als ersten Schritt zur Privatisierung — , entfernen Sie sich außerdem von den Aussagen des Grünbuches der EG-Kommission. Auf diesen sonderbaren Gedanken ist sonst ja auch noch niemand gekommen, Herr Minister.

(Zuruf von der SPD: Das ist wahr!)




Börnsen (Ritterhude)

Zwar erwarten wir gar nicht, daß Sie das Selbstverständliche tun und den Standpunkt der Sozialdemokraten zur Bewahrung des Verbundes des Post- und Fernmeldewesens übernehmen; aber nutzen Sie wenigstens die goldene Brücke des EG-Grünbuches, das nicht nur den Verbund als bewahrungswürdig ansieht, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Quersubventionierung bestätigt.
Nur, Herr Minister, tun Sie uns bitte bei der nachfolgenden Diskussion einen Gefallen: Versuchen Sie nicht, die Bürger und uns für dumm zu verkaufen. Gerade am 21. November antwortete Ihre Presseabteilung auf eine Veröffentlichung meines Freundes Detlef Schneider in dem sicherlich auch hier bekannten „Osterholzer Kreisblatt"

(Heiterkeit)

— ich zitiere —:
Im Bericht der Regierungskommission Fernmeldewesen wird eine Neustrukturierung der Bundespost vorgeschlagen. Von einer Privatisierung und/oder Trennung des Post- und Fernmeldewesens kann jedoch im Zusammenhang mit der notwendigen organisatorischen Reform keine Rede sein. Auch in Zukunft wird die Deutsche Bundespost die Vorteile, die sich aus dem echten Zusammenwirken von Post, Postbank und Fernmeldewesen ergeben, erhalten und ausbauen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Wie verträgt sich eine solche Erklärung mit dem von Ihnen, Herr Minister, verfolgten Drei-Säulen-Modell, bei dem sich die jeweiligen Vorstände einmal im Jahr zu einem Schnäpschen treffen, um ihre Betriebsergebnisse auszutauschen, um anschließend auf dem Vorstandsvorsitzenden der Post herumzuschlagen, weil die immer noch Defizite aufweist? So würde es doch laufen, und das würde zur wirtschaftlichen Existenzgefährdung der gelben Post führen. Wenn Sie dies als Aufrechterhaltung oder gar als Ausbau des Verbundes zwischen Post und Fernmeldewesen darstellen wollen, grenzt das Ganze an arglistige Täuschung.

(Beifall bei der SPD)

Ein böses Erwachen werden aber nicht nur die Bürger erleben, die künftig auf Dienstleistungen der gelben Post verzichten müssen, sondern ein böses Erwachen wird es bei einer solchen Politik auch für die Beschäftigten bei der gelben und grauen Post geben, deren Arbeitsplätze dann gefährdet sein werden. Wir haben im Ausland gesehen, wohin eine solche Entwicklung führt: zum Abbau von ca. 200 000 Arbeitsplätzen in den USA, zum Abbau von 27 000 Arbeitsplätzen bei British Telecom und zum Abbau der Ausbildungsplätze bei British Telecom von bisher 5 400 auf jetzt 37.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Wohin diese Reise personalpolitisch unter diesem Postminister geht, ist ohnehin klar. Jahr um Jahr beschäftigt der Postminister weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, als er auf Grund seiner finanziellen Möglichkeiten und auf Grund seines Personalhaushaltes tun könnte. Er tut dies, obwohl genügend Bedarf bei der Post vorhanden ist. Die eigenen Bemessungsergebnisse weisen dies deutlich aus. Diese Personalpolitik wird der arbeitsmarktpolitischen Gesamtverantwortung nicht gerecht. Nach meiner Auffassung hat die Bundespost als größtes öffentliches Unternehmen sehr wohl eine besondere beschäftigungspolitische Verantwortung in Zeiten hoher Massenarbeitslosigkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Deswegen begrüßt die SPD-Fraktion auch ausdrücklich, daß die Bundespost von der einprozentigen Personalreduzierung ausgenommen werden soll, die im Rahmen dieser Haushaltsberatungen — —

(Walther [SPD]: Im Ministerium nicht!)

— Im Ministerium ist es, glaube ich, nicht so dramatisch, aber für die Beschäftigten der Post ist es wichtig.
Meine Damen und Herren, ich hatte eingangs auf die industriepolitische Dimension des zweiten großen Investitionszyklus für den Ausbau unserer Telekommunikationsinfrastruktur hingewiesen und ausgeführt, daß mit der Digitalisierung des Fernmeldenetzes gewissermaßen der Brückenschlag zum ebenfalls, und zwar von Anfang an, digital arbeitenden Computerbereich geschlagen wird. Dies wird eine Vielzahl von neuen Diensten ermöglichen und damit neue Marktmöglichkeiten erschließen. Schon heute hat der Weltmarkt für den Telekommunikationssektor ein Volumen von etwa 180 Milliarden DM. Die EGKommission schätzt, daß der Anteil dieses Wirtschaftszweiges am Bruttosozialprodukt der Gemeinschaft, der gegenwärtig bei 2 % liegt, auf 7 To bis zur Jahrtausendwende ansteigen wird. Ohne eine finanzstarke Deutsche Bundespost, die in der Lage ist, ihre Fernmeldenetze zu modernisieren und technisch voranzubringen, ohne eine finanzstarke Deutsche Bundespost, die für neue Dienste und Endgeräte sozusagen eine Marktöffnungs- und Hebammenfunktion übernimmt, werden wir diese Herausforderung mit Sicherheit nicht erfolgreich bewältigen können. Darüber sollten sich auch die Privatisierungs- und Wettbewerbsideologen in der FDP klar sein.
Auch die Vorschläge für mehr Wettbewerb und Marktöffnung — das sollte man vielleicht Herrn Bangemann einmal mitteilen — z. B. bei Endgeräten und Fernmeldetechnik sind sehr differenziert zu beurteilen. Es ist ja nicht so, als ob wir auf dem Endgeräte-markt oder auch in der Fernmeldetechnik abgeschottete Märkte hätten. Es ist ja nicht so. Die Deutsche Bundespost — das ist jedem Kundigen bekannt — ist hier wesentlich liberaler als beispielsweise amerikanische Netzbetreiber.

(Walther [SPD]: Richtig!)

Mehr als Randnotiz sei noch darauf verwiesen, daß nach der Deregulierung — und das ist eine nicht uninteressante Randnotiz — in den USA eine schwunghafte Zunahme des Imports aus Fernost zu verzeichnen war. Rund 84 % aller Endgeräteimporte kamen dabei aus Ländern wie Japan und Korea. Wen überrascht es? Parallel zu dieser Entwicklung verlief die Auslagerung von Produktionsanlagen von AT & T und anderen nach Fernost — ein bemerkenswertes Ergebnis der Deregulierung, was Arbeitsplätze und



Börnsen (Ritterhude)

Leistungssteigerung der heimischen Telekommunikationsindustrie anlangt.
Meine Damen und Herren, es ist die Frage, ob wir uns das als Beispiel für die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland nehmen wollen.

(Beifall bei der SPD)

All diese schwierigen Fragen und Probleme, die ich hier nur skizzenhaft anreißen konnte, müssen sorgfältig geprüft und unter dem Aspekt einer leistungsfähigen Post für Wirtschaft und Bürger und eben nicht nur für die Wirtschaft allein geprüft werden. Für den Postminister ist hier offensichtlich kein Prüfungsbedarf. Seine Lösungsvorschläge präsentiert er gewissermaßen im Handumdrehen. Während die Regierungskommission immerhin zweieinhalb Jahre brauchte, um Arbeitsergebnisse vorzulegen, soll die Kabinettsvorlage bereits ein halbes Jahr nach Vorlage des Regierungsberichtes vorliegen, um dann dem Parlament großzügigerweise noch die Zeit bis zur Sommerpause zuzugestehen, damit die Regelungen noch 1989 in Kraft treten können.
Dieses Zeitgerüst verdeutlicht, daß der Postminister an einer sorgfältigen Prüfung und vor allen Dingen an einem umfassenden gesellschaftlichen Konsens über die Neustrukturierung des Fernmeldewesens überhaupt nicht interessiert ist. Ihm geht es vor allem darum, noch vor der nächsten Bundestagswahl vollendete Tatsachen zu schaffen.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Während sein Kabinettskollege, der Bundesforschungsminister, in seinem Entwurf zur Fortschreibung des Berichtes der Bundesregierung zur Informationstechnik noch schreibt, „bei der Umsetzung" — der Empfehlungen der Regierungskommission „Fernmeldewesen" — „wird deshalb insbesondere das Zusammenwachsen von Datenverarbeitung und Fernmeldewesen gründlich analysiert, nicht zuletzt auch im Hinblick auf Folgen für Dienstleistungen des traditionellen Postwesens", hat der Bundespostminister demgegenüber sein Konzept bereits fertig. Von gründlicher Analyse halten Sie, Herr Schwarz-Schilling, offensichtlich nicht soviel.
Wir werden Ihrem Haushalt unter diesen Bedingungen beim besten Willen nicht zustimmen können.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104319800
Das Wort hat der Abgeordnete Deres.

Karl Deres (CDU):
Rede ID: ID1104319900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin schon dankbar, daß der Kollege Börnsen von der SPD heute abend nicht das Wort von der Bürgerpost gebraucht hat. Vielleicht wollte er sich der Postgewerkschaft doch nicht so sehr nähern.
Bei dem Schreckensbild, das er hinsichtlich der Möglichkeiten gemalt hat, die die Post alle hätte haben können, hat er wohl vergessen, daß der ehemalige Bundesfinanzminister Matthöfer die Abgabe an den Bundesfinanzminister von 6 2/3 % auf 10 % erhöht hat. Vielleicht wäre es besser gewesen, Herr Matthöfer wäre früher Bundespostminister geworden. Dann wäre die Entwicklung eventuell etwas anders verlaufen.

(Walther [SPD]: Das hätte Herr Stoltenberg gleich wieder ändern können!)

— Bei der Steuerreform, lieber Kollege Walther, beklagt sich die SPD immer über die Einnahmeausfälle, und hier fordert sie sie. Man weiß nicht, woran man bei der SPD ist.

(Walther [SPD]: Wir beklagen nur, daß die falschen Leute das kriegen!)

Ich habe nur einige Minuten Redezeit, um etwas über dieses große und bedeutende Unternehmen zu sagen. Ich möchte daher das Geplänkel im Vorfeld damit abschließen.
Die Deutsche Bundespost ist und bleibt für uns ein innovatives, leistungsfähiges und modernes Unternehmen. Alle Mitarbeiter der Post haben dazu ihren Beitrag geleistet. An der erfolgreichen Politik der Deutschen Bundespost hat vor allem der Minister selbst, Herr Dr. Christian Schwarz-Schilling, einen maßgeblichen Anteil. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion spreche ich ihm und allen Postmitarbeitern dafür zunächst einmal den herzlichen Dank aus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir wissen alle, daß die Post nicht eine Verwaltung üblicher Art ist, sondern ein Unternehmen. Von dorther begrüßt es auch unsere Fraktion, daß die 1 %ige Kürzung des Personalhaushaltes die Post nicht trifft. Das ist aus verschiedenen Gründen zu rechtfertigen. Ich meine, insbesondere mit Blick auf das, was bei der Post an Erneuerung geschehen muß, sollte man jetzt nicht schon Daten im Personalbestand setzen, die sich anschließend vielleicht als falsch erweisen könnten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Die wirtschaftliche Lage der Post ist insbesondere vor dem Hintergrund der fünfjährigen Gebührenstabilität für Briefe, Päckchen und Pakete und erheblichen Gebührensenkungen im Fernmeldebereich als hervorragend anzusehen. Trotz dieser günstigen Lage der Deutschen Bundespost müssen wir an der heute vorhandenen Struktur des Post- und Fernmeldewesens etwas ändern.
Die Auslöser hierfür sind insbesondere technologischer Art. Die heutige Struktur, die weitgehend vom Monopol der Deutschen Bundespost bestimmt wird, ist nicht mehr zeitgemäß, da die schnelle technologische Innovation zunehmend neue Dienste und Anwendungen ermöglicht, die von einem alleine nicht mehr rechtzeitig und im vollen Umfange in Gang gesetzt werden können. Unsere Fraktion begrüßt daher besonders die Pläne des Postministers, alte Zöpfe bei der Post abzuschneiden und die Voraussetzungen für den Fortschritt zu schaffen.
Das vom Postminister erarbeitete Reformkonzept ist ausgewogen. Extrempositionen haben darin keine Chance. Es bleibt sichergestellt, daß die Deutsche Bundespost nach wie vor ihren traditionellen Verpflichtungen nachkommt und alle Kunden gleichmäßig mit den Diensten des Post- und Fernmeldewesens versorgt. Wer behauptet, der Briefträger komme künf-



Deres
tig nicht mehr an die Haustüre, der sagt schlicht die Unwahrheit. Das, was die Deutsche Postgewerkschaft und die Opposition unter Bürgerpost verstehen, hat mit den wirklichen Wünschen der Postkunden nichts mehr zu tun. Die Postkunden wollen unbürokratisch, schnell und preiswert eine solide Post- und Fernmeldeversorgung und keine hoheitliche Post, die den Kunden nur als Antragsteller behandelt.

(Zurufe von der SPD)

— Herr Kollege Waltemathe, ich persönlich habe ja immer die Befürchtung, daß dieses Eintreten der Deutschen Postgewerkschaft für die Erhaltung der Strukturen eher einer Erhaltung ihrer Machtpositionen dient. Das muß hier einmal in aller Deutlichkeit gesagt werden.

(Waltemathe [SPD]: Das ist wie in der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein!)

Meine Damen und Herren, wir debattieren heute über den Einzelplan 13, der, wie Sie wissen, nur das Gehalt des Ministers und seines Parlamentarischen Staatssekretärs, die Ablieferung an den Bund — eine beachtliche Summe von über 5 Milliarden DM — und die Bundesdruckerei enthält. — Lieber Rudi Walther, diese Form des Etats ist übrigens bei den Berichterstattergesprächen ja in großer Einstimmigkeit besprochen worden. — Das ist natürlich nicht die ganze Bundespost. Diese spiegelt sich in ihrer ganzen Wirtschaftskraft im Posthaushalt wider, dessen Eckdaten eine beeindruckende Größenordnung erreichen.
In der kurzen Redezeit, die mir noch bleibt, möchte ich deswegen die Gelegenheit nutzen, Ihre Aufmerksamkeit auf einige wichtige Punkte zu lenken. Der Haushalt der Deutschen Bundespost für 1988 geht von einem Volumen von 76,3 Milliarden DM aus. Im Betriebshaushalt werden Einnahmen in Höhe von 54 Milliarden DM erwartet. Bei realer Betrachtung ergibt sich eine Steigerungsrate von 4 %. Die Betriebsausgaben steigen auf 53 Milliarden DM. Die reale Steigerungsrate beträgt hier 5,5 %. Der Betriebshaushalt schließt insgesamt — ich erinnere noch einmal an die von mir soeben erwähnte fünfjährige Gebührenstabilität — mit einem Gewinn von 1 Milliarde DM ab. Damit liegt der erwartete Gewinn unter dem des laufenden Jahres. Die Ursache für diese Entwicklung ist ein weiterer Anstieg bei den Betriebskosten. Dieser Anstieg ist zwar — absolut gesehen — sehr maßvoll, er liegt aber deutlich über dem Zuwachs bei den Umsatzerlösen.
Im Anlagehaushalt steigen die Gesamtinvestitionen gegenüber 1987 noch einmal um 1,8 % auf 18,9 Milliarden DM an. Die Deutsche Bundespost wird damit auch im kommenden Jahr einen vorbildlichen Beitrag zur Konjunktur-, Wirtschafts- und damit auch zur Beschäftigungspolitik der Bundesregierung leisten.
Meine Damen und Herren, man kann nicht erwarten, daß der Postminister alle diejenigen einstellt, die gerne zur Post wollen, aber er hat die große Verpflichtung, mit für einen hohen Beschäftigungsstand in unserer Wirtschaft zu sorgen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen abschließend sagen, daß die menschlich nette Art der Beratung unter den Kollegen und in den Fachausschüssen hoffentlich erhalten bleibt, selbst wenn wir uns in der Sache dennoch hart auseinandersetzen. Ich danke auch dem Bundespostminister und den Mitarbeitern, die uns zur Verfügung gestanden haben.

(Paterna [SPD]: Bei der Abfassung Ihrer Rede! — Heiterkeit bei der SPD)

Die CDU/CSU-Fraktion stimmt dem Einzelplan 13, dem Haushalt des Bundespostministers, zu.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104320000
Sie haben Redezeit gespart. Das muß man hier ab und zu auch einmal erwähnen.
Herr Dr. Briefs hat als nächster das Wort.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104320100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beratung, die wir hier heute führen, ist ein Treppenwitz. Wir beraten über das Gehalt des Ministers, das Gehalt seines Staatssekretärs und einige kleinere Posten. Der gesamte Etat der Bundespost von weit mehr als 70 Milliarden DM ist der parlamentarischen Beratung entzogen. Das kann nicht so bleiben. Wir protestieren gegen diese Handhabung. Wir halten das für absolut undemokratisch. Wir werden uns im weiteren überlegen, ob hier nicht auch verfassungsrechtliche Schritte zu unternehmen sind, damit man diesem Zustand endlich einmal abhelfen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Haushalt 1988 ist ein getreuer Ausdruck der sozialreaktionären Politik dieser Koalition. Der Bundesfinanzminister gibt den Reichen, die eh schon zu reich sind, mit einer Kaltschnäuzigkeit sondergleichen zusätzliche Mittel; er gibt den Reichen, deren Betriebe inzwischen durch riesige Überkapazitäten gekennzeichnet sind, was insbesondere auch zu immer weiterem Rationalisierungsdruck führt. Dazu soll in der weiteren Entwicklung jetzt gerade auch die Bundespost beitragen.
Der Bundesfinanzminister gibt denjenigen zusätzliche Mittel, die, wie wir alle insbesondere aus den Vorgängen der letzten Wochen an den Aktienmärkten wissen, über riesige vagabundierende Kapitalien verfügen, Gelder, die schlicht und einfach keine richtige Anlage mehr finden. Auch das ist ein Punkt, der zu weiterem Druck in den Betrieben führt, zu Druck insbesondere in Richtung auf weitere Rationalisierung. Hierzu übrigens dient das gigantische Projekt der Technisierung, das mit der Bundespost und mit dem Aufbau des ISDN-Systems — ich komme gleicht dazu — in die Wege geleitet werden soll.
Es wundert mich nicht, daß die SPD auch hierzu wieder ihr traditionelles Jein sagt, und das ganz entschieden.

(Dr. Struck [SPD]: Das ist ja Quatsch! Dummes Zeug!)

Von einer anderen Seite stößt in diese Entwicklung der Bundesminister für Forschung und Technologie hinein, der auf der einen Seite jetzt die Weichen dafür stellt, daß in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich erheblich mehr als 30 Milliarden DM für ein gesellschaftlich und auch von der Lebenslage der Bür-



Dr. Briefs
gerinnen und Bürger her gesehen völlig unsinniges Welt- und Raumfahrtprojekt ausgegeben werden sollen, und gleichzeitig die Frechheit besitzt, ausgerechnet bei dem viel zu mickrigen Regierungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens jetzt Einsparmaßnahmen vorzunehmen. Aufträge für die Industrie und Profite der Industrie gehen offenbar eindeutig über Maßnahmen, die dazu dienen, an den Arbeitsplätzen für bessere und insbesondere auch gesündere Bedingungen zu sorgen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das nehmen Sie sofort zurück!)

Das ist die Logik Ihrer Haushaltspolitik.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104320200
Herr Abgeordneter, lassen Sie sich einmal einen Moment unterbrechen. Ich muß sagen: Der Ausdruck „Frechheit", bezogen auf eine Person, ist nicht parlamentarisch. Das sollten Sie in Ihrer Rede unterlassen.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104320300
Ich meinte das nicht zur Person, sondern ich meinte das selbstverständlich zur Institution,

(Pfeffermann [CDU/CSU]: Das ist noch schlimmer! — Heiterkeit)

dem Bundesministerium für Forschung und Technologie. — Es ist deshalb schlimmer, weil es noch mehr zutrifft.
Der Bundespostminister sattelt da drauf. Er stellt jetzt die Weichen dafür, daß in den nächsten Jahren das gigantische Projekt der Verkabelung, die Entwicklung des ISDN-Projektes vorangetrieben wird. Dazu will er die Bundespost jetzt ganz neu organisieren. Um diese eben gehabte Kontroverse gleich zu vermeiden: Ich meine natürlich nicht den Bundespostminister persönlich, obwohl er natürlich auch sehr persönlich daran beteiligt ist, sondern ich meine die Einrichtung, die Institution, und ich meine durchaus auch Sie dabei.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die freche Post! — Heiterkeit)

Ich meine das auch mit den gleichen Attributen, wenn Sie das hören wollen.
Der Bundespostminister stellt jetzt die Weichen dafür, daß wir mit einem riesigen Aufwand — es sind 300 Milliarden DM in der Diskussion — eine Entwicklung in Gang setzen, die im weiteren ganz zwangsläufig insbesondere zu Lasten der Arbeitsplätze geht, zu Lasten der Arbeitsplätze bei der Bundespost, zu Lasten der Arbeitsplätze in allen möglichen Anwenderbereichen, zu Lasten insbesondere aber auch — das möchte ich an dieser Stelle einmal ganz deutlich unterstreichen — der Umweltbedingungen. Es ist nicht einfach so, wie es von naiven Stimmen aus Ihren Reihen häufig behauptet wird, daß mit diesen scheinbar so harmlosen Informations- und Kommunikationstechnologien die Umweltbedingungen deutlich und drastisch und nachhaltig verbessert werden können. Das ist schlicht und einfach nicht richtig. In der Produktion findet längst ein ganz anderer Prozeß statt. Aus Zentren der Produktion dieser Informations- und Kommunikationstechnologien werden uns längst Berichte gegeben, daß gerade von den berühmten
Chipsfabriken — mit Chips sind hier nicht Kartoffelchips gemeint, sondern höchst integrierte Schaltungen; das nur, damit Sie das verstehen — erhebliche Grundwasserbelastungen ausgehen. Warum? Weil das inzwischen längst keine elektromechanische Fertigung mehr ist, sondern eine fast rein chemische Fertigung, bei der hochgiftige Substanzen eingesetzt werden. Bei dieser Fertigung wird im weiteren z. B. das derzeit noch weitgehend eingesetzte Silizium durch Stoffe wie etwa das Galliumarsenit ersetzt werden usw. usf. Ich will das ausdrücklich noch einmal unterstreichen: Auch unter Umweltgesichtspunkten ist die Entwicklung des ISDN-Systems, ist der Prozeß der Verkabelung der Bundesrepublik, ist dieses riesige technische Projekt einer gigantischen Telekommunikationsinfrastruktur nicht sinnvoll, sondern es führt deutlich an vielen Punkten zu weiteren Verschärfungen und nicht zu Lösungen.
In Ihr Stammbuch sei ebenfalls noch geschrieben: Wenn Sie die Augen etwas offen hätten — das sage ich auch gerne im Hinblick auf die Diskussion bei den Kollegen der SPD — , dann würden Sie längst wissen, daß das auch keine Lösung für die Situation am Arbeitsmarkt und für die Situation bei den verbleibenden Arbeitsplätzen bereitstellen kann. Von 1975 bis 1980 — das war, als die SPD noch an der Ohnmacht war —

(Walther [SPD]: Er denkt, es ist ein Witz! Aber er kann selber nicht darüber lachen!)

— nein, das ist kein Witz, ganz und gar nicht — , hat der Wert der Mikroelektronikproduktion in der Bundesrepublik von 3,4 Milliarden DM auf 4,4 Milliarden DM zugenommen. Mengenmäßig wäre der Ausdehnungseffekt noch größer. Im gleichen Zeitraum sind in diesem Bereich über 8 % der Arbeitsplätze abgebaut worden.

(Walther [SPD]: Wo?)

— In der Mikroelektronikproduktion. Das stammt aus einer Studie, die damals noch von Ihrer Bundesregierung erstellt worden ist.
Der Verfünffachung der Produktion im Bereich der Computerindustrie und Computerzubehörindustrie steht lediglich eine Verdoppelung der Arbeitsplätze in diesen Bereichen gegenüber. In klaren, nüchternen Zahlen sind das ca. 40 000. Wir haben, wenn wir die Dunkelziffer mitzählen, über drei Millionen Arbeitslose. Also auch von daher sehen Sie, wie illusorisch es ist, mit dieser Art von technischer Entwicklung für wesentliche Verbesserungen am Arbeitsmarkt sorgen zu wollen.
Sie denken — das wird Ihnen jetzt wahrscheinlich im Kopf herumgehen — jetzt vielleicht an die Banken, wo in der Tat trotz des massiven Einsatzes von Computern und anderen informationstechnischen Systemen die Beschäftigtenzahl zumindest stabil geblieben ist bzw. sich allenfalls schwach erhöht hat. Das ist schlicht und einfach damit zu erklären, daß in den Banken der trotz Krise und trotz Massenarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik weiterhin produzierte Reichtum wegen der Entwicklung bei den vagabun-



Dr. Briefs
dierenden Kapitalien, die ich eben angesprochen habe,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Im Augenblick vagabundieren Sie in Gedanken, den Eindruck habe ich!)

immer stärker zusammenfließt. Das dadurch bedingte und immer größer werdende Transaktionsvolumen konnte nur deshalb mit vergleichsweise schwach steigenden Belegschaften bewältigt werden, weil eben diese Art von Technik zur Verfügung stand. Ich denke, das müssen Sie sich einfach einmal ganz nüchtern und klar ins Stammbuch schreiben. Ich wiederhole noch einmal: Sie schaffen damit nicht Lösungen, sondern Verschärfungen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104320400
Ich wollte Sie gerade einmal mahnen, einmal auf den Kleincomputer vor Ihnen zu gucken.

(Heiterkeit)


Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104320500
Ja, gerne. Das ist zwar kein ganz richtiger Computer, aber wenn Sie das als Computer bezeichnen wollen, bitte schön.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104320600
Ich habe „Kleincomputer" gesagt. Trotzdem ist Ihre Redezeit abgelaufen.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104320700
Ich möchte nur noch auf drei Dinge kurz hinweisen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104320800
Lieber Kollege, das geht nicht, wir sind hier noch manuell und mit dem Wort tätig, und da ist die Zeit abgelaufen. Es tut mir furchtbar leid.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104320900
: Lassen Sie mich noch zwei kurze Sätze sagen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321000
Einen Satz gestatte ich noch.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104321100
Wir wenden uns im weiteren auch gegen die undemokratischen Maßnahmen, die gerade in der Bundespost gelaufen sind und die dazu geführt haben, daß in den letzten Monaten eine Reihe von Kollegen von Berufsverboten betroffen worden ist. Das ist ein Skandal. Das macht uns in anderen Ländern durch und durch unglaubwürdig. Berufliche Behinderungen dürfen kein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.
Wir versichern die Kolleginnen und Kollegen der DPG, der Deutschen Postgewerkschaft, unserer Solidarität. Wir hoffen, daß sie mit ihren Maßnahmen Erfolg haben. Wir würden uns wünschen, daß sie in der Zukunft noch stärker, als das je der Fall gewesen ist —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321200
Herr Kollege, jetzt muß ich wirklich unterbrechen.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104321300
— auf das Streikrecht zurückgreifen würden, daß sie Dienst nach Vorschrift machen und dafür sorgen würden, daß in den Betrieben und in der Öffentlichkeit angemessene Unruhe entsteht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321400
Herr Kollege, Sie müssen sich auch ein bißchen nach dem richten, was hier oben gesagt wird. Es tut mir leid.

Dr. Ulrich Briefs (PDS/LL):
Rede ID: ID1104321500
Wir werden sie bei ihren Maßnahmen solidarisch unterstützen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321600
Herr Dr. Briefs. Dr. Briefs (GRÜNE): Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321700
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.

Rainer Funke (FDP):
Rede ID: ID1104321800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegen! Die Beratungen des Haushalts für das Post- und Fernmeldewesen finden an einer entscheidenden Wendemarke für das Schicksal der Deutschen Bundespost statt. Die Regierungskommission für die Neuordnung der Telekommunikation für das Fernmeldewesen hat am 16. September ihr Gutachten dem Bundeskanzler übergeben. Hierin werden eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die weitgehend auch die Zustimmung der FDP finden. Meine Fraktion teilt darüber hinaus die Auffassung des Minderheitenvotums, wonach das Netzmonopol der Deutschen Bundespost aufgelockert werden soll.
Es wird nunmehr im Zuge der Beratungen der Vorschläge der Regierungskommission darum gehen, entsprechende Gesetzesvorschläge auszuarbeiten und sie im nächsten Jahr parlamentarisch zu beraten. Dieses wird zügig, Herr Börnsen, ohne Hetze und auch gründlich im nächsten Jahr erfolgen.
Dabei werden die Interessen der Arbeitnehmer selbstverständlich mit berücksichtigt werden. Schließlich handelt es sich bei der Deutschen Bundespost um das größte Dienstleistungsunternehmen in Europa mit über 550 000 Mitarbeitern.

(Paterna [SPD]: Das wollt ihr jetzt beenden! — Waltemathe [SPD]: Das muß zerschlagen werden!)

Wir Liberalen wissen sehr wohl die Leistungen der Mitarbeiter zu würdigen, die es mit geschafft haben, daß die Deutsche Bundespost heute ein durchaus leistungsfähiges Unternehmen ist.

(Paterna [SPD]: Das wird ihr jetzt zum Verhängnis!)

Wir haben jedoch wenig Verständnis, wenn einige wenige Funktionäre, insbesondere der Deutschen Postgewerkschaft, versuchen —

(Zuruf des Abg. Börnsen [Ritterhude] [SPD])

— „Funktionäre" habe ich gesagt; es gibt ja die Gefahr, daß wir ein Funktionärsstaat werden, aber kein Mitarbeiterstaat — , Furcht und Angst bei den Mitarbeitern der Deutschen Bundespost vor möglichen Neuerungen zu schüren.

(Waltemathe [SPD]: Ist ein Syndikus eigentlich auch Funktionär?)




Funke
— Nein, Arbeitnehmer, Herr Kollege.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Das ist aber eine feinsinnige Unterscheidung!)

Die Aktion der Deutschen Postgewerkschaft am Buß- und Bettag

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: War gut!)

hat sicherlich nicht zur Versachlichung der Diskussion beigetragen. Ich gehe einmal davon aus, Herr Börnsen, daß Sie das, was dort in dem Blättchen geschrieben worden ist, auch gelesen haben. Dann werden Sie mir auch zustimmen, daß dies kein sachlicher Beitrag gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Ich habe es sogar verteilt!)

Wir müssen jetzt versuchen, die Diskussion wieder zu versachlichen. Wir werden das Unternehmen Bundespost stärken und damit auch die Arbeitsplätze sicherer machen. Es kommt darauf an, nicht nur die Arbeitsplätze sicherer zu machen, sondern auch die Interessen der Verbraucher und Benutzer der Postdienstleistungen zu berücksichtigen.

(Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

Die Deutsche Bundespost kann und darf nicht abgekoppelt werden von der dynamischen Wachstumspolitik und dem Wettbewerb. Die wirtschaftlichen Erfolge der Bundesrepublik wären nicht zu denken ohne die Soziale Marktwirtschaft, ohne Wettbewerb. Ein so bedeutendes Dienstleistungsunternehmen mit einem Investitionsvolumen von fast 18 Milliarden DM braucht wie jeder andere Großkonzern den Wettbewerb, um Wachstumskräfte zu mobilisieren. Durch die Neuordnung des Postwesens soll eine neue Dynamik für die Post entstehen.
Die Bildung von drei Unternehmensbereichen, nämlich gelbe Post, Postbankdienste und Telecom, scheint uns eine zweckmäßige Aufteilung zu sein.
Naturgemäß steht die Neuordnung des Fernmeldewesens im Mittelpunkt der Überlegungen, da hier auch der größte Wachstumsmarkt erwartet wird. Sie wissen, daß nach einer Untersuchung der Europäischen Gemeinschaft 1984 etwa 2 % des Bruttosozialprodukts aus dem Bereich der Telekommunikation stammten. Im Jahre 2000 sollen dies bereits 7 To sein. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, daß die Wettbewerbsfähigkeit von vielen, vielen Arbeitsplätzen in Europa mit von der Telekommunikation abhängt. Deswegen muß hier eine Reform erfolgen.
Dieser Wirtschaftsbereich der Telekommunikation wird Impulse nicht nur für den eigentlichen Bereich der Telekommunikation geben, sondern auch für andere Wirtschaftsbereiche. Die EG-Kommission hat das mit ihrem Grünbuch deutlich gemacht und zuletzt, in der letzten Woche, der Sachverständigenrat in seinem Gutachten.

(Paterna [SPD]: Der von der Post erfahrungsgemäß keine Ahnung hat!)

— Herr Paterna, das ist überhaupt nicht wahr. (Paterna [SPD]: Keine Ahnung!)

Des Sachverständigenrats haben sich im übrigen auch sozialliberale Koalitionen bedient.

(Paterna [SPD]: Auch das schützt vor Torheit nicht!)

— Entschuldigen Sie, ich kann mich sehr wohl erinnern, daß Sie damals durchaus bereit gewesen sind, auf den Sachverständigenrat zu hören.

(Paterna [SPD]: Wenn es nach mir ginge, wäre er längst abgeschafft! Das wäre eine echte Sparmaßnahme!)

Beispielsweise Professor Schiller hat sich intensiv darauf gestützt.
Der Sachverständigenrat weist zu Recht darauf hin, daß Telecom wie ein privates Unternehmen in den Wettbewerb gestellt werden müsse und nicht jenseits von Angebot und Nachfrage gehalten werden dürfe.

(Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])

Die Gebühren von Telecom seien nach den Bedingungen des Marktes festzusetzen und „im Kontakt mit den Kosten" . So das Zitat aus dem Sachverständigenrat. Wir Freien Demokraten unterstützen diese Feststellung des Sachverständigenrats sehr.

(Waltemathe [SPD]: Wir drei Freien Demokraten! Mehr sind nicht da!)

Es ist überhaupt nicht einsehbar, daß in einer Gesellschaft, in der Leistung und Wettbewerb zählen, einzelne Bereiche der Wirtschaft ausgenommen sein sollen. Wettbewerb nutzt der Volkswirtschaft und schadet ihr nicht. Dasselbe gilt auch für die Mitarbeiter der Post. Wenn die Post durch stärkeren Wettbewerb und größere Leistungsdichte ein gesundes Unternehmen bleibt, profitieren in erster Linie die Mitarbeiter und ihre Familien. Die Post kann im Rahmen einer Wettbewerbswirtschaft keinen Naturschutzpark darstellen. Wettbewerb wird dazu führen, daß die Kosten für die Verbraucher sinken. Verbraucher sind nicht nur Privatleute, sondern in einem erheblichen Umfang auch die Wirtschaftsunternehmen. Ich glaube daran.

(Dr. Struck [SPD]: Was sagt der Pfeffermann dazu?)

— Das wird er Ihnen sicherlich schon einmal erklärt haben.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Aber das nicht!) Auf jeden Fall besteht die Möglichkeit dazu.

Die Telekommunikationskosten werden für die Wirtschaft zukünftig ein wesentlicher Faktor sein.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Sie glauben zuviel und wissen zuwenig!)

Wenn diese Kosten im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz zu hoch liegen, schwächt das automatisch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Wir müssen alles tun, um diese Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Das wissen Sie ganz genauso, Herr Paterna.

(Beifall des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP])




Funke
Die Neustrukturierung der Deutschen Bundespost soll und kann aber auch im Bereich der gelben Post zu höherer Effizienz der Dienstleistungen führen. Auch die Post wird sich mehr denn je als Dienstleistungsunternehmen fühlen und so handeln müssen. So könnte schon alsbald der Paketdienst, der bekanntermaßen schon den freien Wettbewerb spürt,

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Das merkt man! An den Defiziten, Herr Funke, merkt man das!)

dadurch attraktiver gemacht werden, daß eine zweite Zustellung am späten Nachmittag erfolgt, damit auch Berufstätige, nämlich Arbeitnehmer — die Sie besonders schützen wollen —,

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Sie haben recht!)

die bei der ersten Zustellung am Morgen nicht anwesend sind, das Paket direkt an der Haustür empfangen können. Durch eine solche Erweiterung des Leistungsumfangs können Marktanteile, die an private Paketdienste verlorengegangen sind, zurückgewonnen werden.

(Waltemathe [SPD]: Dann ist das Defizit noch höher!)

In anderen Ländern ist es durchaus möglich, daß die gelbe Post profitabel arbeitet. Das ist auch in der Bundesrepublik möglich, dann nämlich, wenn ich die Post von den politischen Aufgaben finanziell entlaste.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum dritten Bereich der Deutschen Bundespost sagen. Die Postbankdienste und insbesondere der Postsparkassen- und girodienst müssen ständig modernisiert werden, um gegenüber den Mitbewerbern konkurrenzfähig bleiben zu können. Ich bin sicher, daß der Bundespostminister bei seinen Bemühungen auf diesem Gebiet erfolgreich sein wird. Es hat aber keinen Sinn, den Erfolg dadurch herbeizuführen, daß sich der Postbankbereich neuen Bankdiensten zuwendet.

(Waltemathe [SPD]: Siehste!) also eine Art Vollbank wird.


(Waltemathe [SPD]: Also doch Funktionärsregeln!)

— Ich wollte das mit dem nächsten Satz begründen, wenn ich darf.

(Dr. Briefs [GRÜNE]: Also begrenzter Wettbewerb!)

Der Staat sollte

(Paterna [SPD]: Weil du Angst um deinen Arbeitsplatz hast, Rainer!)

auf Grund des nach dem Grundgesetz geltenden Subsidiaritätsprinzips, das ja auch der SPD bekannt sein dürfte, nur dort tätig werden bzw. seine Aufgaben erweitern, wo dies auf Grund des öffentlich-rechtlichen Auftrags notwendig ist. Bei den zahlreichen Banken, die alle Dienste anbieten, sehe ich keinen Bedarf für die Ausweitung der Bankdienste der Post.

(Börnsen [Ritterhude] [SPD]: Vielleicht sehen die Bürger den Bedarf! — Paterna [SPD]: Etwas mehr Wettbewerb wäre doch schön!)

Die Post sollte sich auf das beschränken, was ihr historisch zugewachsen ist, was sie kann und was sie ohne weiteres verbessern kann. Dann werden auch die Postbankdienste am Markt erfolgreich sein können.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Niemand will die Deutsche Bundespost zerschlagen, niemand will sie privatisieren. Sie soll lediglich neu strukturiert werden, dem Wettbewerb stärker ausgesetzt werden. Diese Ziele dienen der Post, den Mitarbeitern, und den Verbrauchern.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104321900
Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1104322000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich sagen, daß offensichtlich sehr viel mehr Dialoge stattfinden, als sie von Ihnen, Herr Börnsen, zugegeben werden. Wir haben uns im Ausschuß lange über die Fragen unterhalten, wir haben fast pausenlos Gespräche mit den verschiedenen Gewerkschaften geführt. Heute habe ich wieder mehrere Stunden mit der Postgewerkschaft gesprochen. Wir haben auch mit Verbänden gesprochen. Ich glaube, daß es kaum eine Zeit gegeben hat, in der der Minister für das Post- und Fernmeldewesen so viel mit den verschiedenen Gruppen unserer Gesellschaft diskutiert hat, um dieses wirklich wichtige Anliegen möglichst auch in einem weitgehenden Konsens auf den Weg zu bringen.
Wir haben zunächst einmal festzustellen, daß sich die Post in einer ausgezeichneten Verfassung befindet. Wir haben in den letzten beiden Jahren zum erstenmal auch wieder Volumensteigerungen im gelben Bereich, bei Briefpost und Paketen, was über zwölf Jahre nicht der Fall war. Mit Sicherheit ist die Stabilität der Gebührenordnung auch ein Grund dafür gewesen, daß sich die Bevölkerung wieder stärker der Printmedien aller Art und der Pakete bedient hat.
Wir haben ausgezeichnete Steigerungsraten in den neuen Diensten, im alten Dienst des Telefons große Zuwächse, auch an Neuanmeldungen. Wir haben bei den neuen Diensten im Telefax-Dienst über 80 % Zuwächse, im BTX-Dienst über 60 % , und wir kommen jetzt auf ein erfreuliches Wachstum. Manche Leute merken erst jetzt, daß die Dinge auch auf diesem Gebiet nun tatsächlich gewaltig ins Rollen kommen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ein einziger Flop!)

Zum Kabelfernsehen kann ich nur sagen: Es ist heute bereits der zweitgrößte Massendienst der Deutschen Bundespost

(Walther [SPD]: Defizit!)

mit über 3 Millionen angeschlossenen Teilnehmern,
mit Zuwachsraten von 35 %. Ich wüßte kaum ein langlebiges Wirtschaftsgut, das jemals mit einer solchen



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
Zuwachsrate in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden konnte.

(Paterna [SPD]: 10 Milliarden DM Minus! — Walther [SPD]: Mit dem zweithöchsten Defizit nach dem Paketdienst!)

Das zeigt den Erfolg der Politik, die wir gegen alle Widerstände in dieser Zeit durchgeführt haben.

(Zuruf von der SPD: Wo ist da die Kostendekkung? Ich möchte auch dem Personal der Deutschen Bundespost hier ausdrücklich danken; denn diese gewaltigen Leistungen wären nicht möglich, wenn wir uns nicht auf diese Fragen konzentriert und uns gegenseitig geholfen hätten und wenn die Aufgaben, die der Bundespost obliegen, nicht mit großem Elan und großer Motivation durchgeführt würden. Ich darf auch den Berichterstattern, den Kollegen Deres und Funke, danken, die sich hier auch anerkennend über diesen Bereich geäußert haben. Letztlich sind diese Steigerungsraten erforderlich, um eine entsprechende Arbeitsplatzsicherung bei der Bundespost und in der Wirtschaft sicherzustellen. Noch ein Punkt: Allein 16 600 Nachwuchskräfte übernimmt die Deutsche Bundespost in diesem Jahr. Im Jahresdurchschnitt haben wir mehr als 32 000 Jugendliche im Ausbildungsverhältnis oder im Vorbereitungsdienst. Das heißt, die Deutsche Bundespost nimmt ihre Verantwortung in diesem Bereich gerade auch bei den jungen Menschen sehr ernsthaft wahr. Wir haben in diesem Jahr Investitionen von über 18 Milliarden DM und werden im Jahr 1988 bei rund 19 Milliarden DM liegen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte doch einmal sagen; wenn hier so viel von mehr öffentlichen Investitionen gesprochen wird: Es hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch keine Zeit gegeben, in der die Deutsche Bundespost ein so riesiges Investitionsvolumen hatte, was wir ja eigentlich alle wünschen: von 12 Milliarden DM um 50 % seit 1982 gesteigert auf annähernd 19 Milliarden DM im Jahre 1988. Insbesondere im Bereich der Fernmeldetechnik sind wir dabei, nicht nur die rasante Entwicklung in der Digitaltechnik, im ISDN und in der Glasfasertechnik bei uns nachzuvollziehen, sondern uns an die Spitze der Entwicklung zu setzen. Wir wissen, daß wir in der Standardisierung und in der weltweiten Telekommunikation heute wieder eine Spitzenstellung einnehmen. Ich glaube, wir alle können stolz darauf sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Wenn das alles so prima ist, warum ändern wir das dann?)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


(Frau Traupe [SPD]: Mit so viel Schulden!)

Meine Damen und Herren, wir befinden uns weltweit in der Frage der Telematik, der Telekommunikation in dem Prozeß des Zusammenwachsens von Kommunikation, Datenverarbeitung, Bürokommunikation und Unterhaltungselektronik. Bei uns ist der eine Bereich traditionell im Monopol: das Fernmeldewesen, alle anderen Bereiche sind im privaten Sektor entwikkelt. Da diese Dinge technisch zusammenwachsen, ist es unausbleiblich, daß wir eine neue ordnungspolitische Schnittstelle zwischen Monopol und Wettbewerb finden müssen, weil sonst bei uns diese rasante Entwicklung nicht zu einer entsprechenden dynamischen Auslösung der Marktprozesse führen könnte.

(Zuruf von der FPD: Das ist dringend notwendig!)

Aus diesem Grunde müssen wir hier neue Lösungen finden. Wir haben 1982 nicht aus der Hüfte geschossen, sondern gesagt: Wir wollen das genau analysieren. Die Regierungskommission hat ihre Empfehlungen ausgesprochen. Ich möchte sagen, daß auch das, was wir uns hier vornehmen, eine Reform sein wird mit Umsicht und Augenmaß, die Extreme vermeidet.
Herr Börnsen, Sie haben gemeint, die Trennung von Post- und Fernmeldebereich sei in Europa nirgendwo vorgezeichnet. Ich muß Ihnen leider sagen: Wir wollen in diesem Bereich keine Trennung, sondern wir wollen einen starken Verbund, im finanziellen Bereich oberhalb der drei Bereiche Post, Telekommunikation und Postbank, um genau das zu tun, was sie anmelden, nämlich den Finanzausgleich weiter zu ermöglichen; auch das nicht mit einer Zeitbegrenzung, wie es die Empfehlung der Regierungskommission ist, sondern solange es notwendig ist. Wir wissen nicht, wann wir in der Lage sein werden, dieses nicht mehr tun zu müssen. Das hängt mit den Abgaben an den Finanzminister zusammen, das hängt mit der Frage des Mehrwertsteuersystems zusammen und mit den politischen Lasten, die dem einen oder anderen Bereich zugeteilt werden.
Sie können aber versichert sein, daß wir genau dieses Scharnier wollen. Insofern, glaube ich, befinden wir uns gar nicht so weit auseinander. Ich habe auch das, was die SPD zu diesem Punkt gesagt hat, sehr genau gelesen und die Erklärungen verfolgt, wo genau dieser Punkt enthalten ist, daß das garantiert sein muß und daß Sie mit aller Entschiedenheit gegen eine Trennung sind, sofern diese Frage nicht gelöst ist. Auf dieser Basis können wir uns mit Sicherheit auch treffen.
Meine Damen und Herren, es wäre wirklich unverantwortlich, wenn wir in dem Bereich, in dem sich weltweit das größte Wachstum abspielt, die Deutsche Bundespost nicht auch durch entsprechende Organisationsveränderungen wettbewerbsfähig machen. Wir können nicht sagen — das muß ich hier dem ganzen Hause sagen — , daß der Wettbewerb in Zukunft sozusagen weltweit auch das Gebiet der Telekommunikation beherrscht und auf der anderen Seite das Unternehmen Deutsche Bundespost nicht wettbewerbsfähig gemacht wird. Das wäre unverantwortlich.
Zur Frage der Organisation: Sie können nicht bei einem Unternehmen dieser Größenordnung in einem Vorstand die Fragen der Briefkastenleerungen bis zu den Mikrochips für die Satellitentechnik entscheiden. Das ist einfach nicht möglich. ,,conglomerates" dieser Art,

(Kühbacher [SPD]: Was war das?)

die verschiedenste Produktlinien in einem Vorstand
haben, haben alle ihre Probleme gehabt. Aus diesem
Grunde müssen wir für die Neuorganisation die welt-



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
weiten Erfahrungen mit einbeziehen und uns konzentriert in drei Vorständen mit den jeweiligen Aufgabengebieten beschäftigen, schnelle Entscheidungen treffen und nicht Entscheidungen lange hinauszögern, wie es bei einem Vorstand dieser Art der Fall wäre.

(Kühbacher [SPD]: Herr Minister, was sind „ conglomerates" ? — Weitere Zurufe von der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte des weiteren sagen: Hier wurde von Ihnen ja auch noch die Frage des TV-Sat angesprochen, Herr Börnsen. Ich darf Ihnen vielleicht aus dem letzten „ärztlichen" Bulletinbericht aus Oberpfaffenhofen mitteilen:
Der Zustand des Satelliten ist momentan stabil. Nachteilige Auswirkungen auf den Satelliten sind nicht erkennbar.
Wir haben den Satelliten bisher noch gar nicht abgenommen. Er befindet sich noch gar nicht in unserer Hand. Er ist immer noch in der Hand des Forschungsministers.

(Heiterkeit)

Wir werden uns natürlich die Abnahmebedingungen sehr genau überlegen: Wie der Auftrag lautete, und wie uns der Gegenstand übergeben wird. Darauf können Sie sich verlassen.
Meine Damen und Herren, ich darf mich bei allen bedanken, die uns in diesem Jahr sachkundig beigestanden haben. Ich möchte Ihnen versichern, daß meine Mitarbeiter und ich allen zur Verfügung stehen werden, um die Fragen der Neuordnung mit allen Gruppen unserer Gesellschaft zu besprechen. Wir haben noch keine abschließende Vorlage. Wir sind dabei, sie zu erarbeiten und zu beraten. Ich lade alle ein, mit Argumenten und nicht mit Schlagworten zu diesem Prozeß einen konstruktiven Beitrag zu leisten. Dann werden wir auch in dieser Frage zu einer Lösung kommen.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104322100
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 13. Wer dem Einzelplan 13 — Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen — in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun auf :
Haushaltsgesetz 1988
— Drucksachen 11/1079, 11/1080 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens (Emstek)

Roth (Gießen)

Dr. Weng (Gerlingen)

Esters
Frau Vennegerts
Ich habe soeben gehört, daß es hierzu eine Wortmeldung gibt, die unter den Fraktionen abgesprochen ist.
Dann gebe ich dem Abgeordneten Kühbacher dazu das Wort.

Klaus-Dieter Kühbacher (SPD):
Rede ID: ID1104322200
Herr Präsident! Wer sich wie ich die Mühe gemacht hat, diese 105seitige Empfehlung der fünf Berichterstatter durchzulesen, der muß zunächst einmal für die ungeheure Arbeit danken.
Bei der Lektüre dieses Berichtes aber ist mir auf der Seite 79 im besonderen Teil im letzten Absatz eine Frage gekommen. Dort heißt es:
Im Haushaltsjahr 1988 sind auf Grund des Haushaltsgesetzes 1 % der im Haushaltsplan einschließlich seiner Anlagen ausgebrachten Planstellen für Beamte und Stellen für Arbeitnehmer einzusparen.
Bei der Durchsicht finde ich die entsprechende Passage im § 21 a des Haushaltsgesetzes schwarz gedruckt neu. Dort heißt es:
Die Einsparungsquoten nach Abs. 1 werden auf die Einzelpläne in dem Verhältnis aufgeteilt, das dem Anteil des jeweiligen Einzelplans am jeweiligen Gesamtsoll der Stellen im Bundeshaushalt einschließlich seiner Anlagen entspricht.
Die Anlage B und die Anlage C zum Haushaltsplan sprechen jedoch nicht von Beamten oder Angestellten und Arbeitern, sondern bei B über Richter und Staatsanwälte und bei C über Professoren und Hochschulassistenten.
Meine Frage an die Berichterstatter ist nun: Sind diese Personenkreise mit jeweils 500 Mitarbeitern mitgemeint oder nicht gemeint? Das hätte ich gerne von den Berichterstattern klargestellt. Der Kollege Roth und Frau Vennegerts sind im Saal. Einer wird das beantworten können.

(Heiterkeit — Beifall bei der SPD und Abgeordneten der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Frau Vennegerts!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104322300
Vielleicht nutzen wir die Möglichkeiten der Telekommunikation der dritten Direktion oder des künftigen Vorstands, um diese Frage schnell zu klären. — Frau Vennegerts.

Christa Vennegerts (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1104322400
Also ich finde, bei einer so wichtigen Frage dürfen die Berichterstatter nicht kneifen, die sonst immer so große Worte führen.

(Beifall bei allen Fraktionen — Bohl [CDU/ CSU]: Was macht die B-6-Stelle in Tirana?)

— Ich weiß, Herr Bohl, Sie sind immer noch neidisch, daß ich in Tirana war und Sie nicht. Dafür kann ich aber nun nichts. Es tut mir wirklich leid. Es war sehr schön. Die B-6-Stelle ist da sehr gut angebracht.
Aber jetzt zu der Frage. Es ist natürlich — das muß man ganz klar sagen — hier ein Fehler unterlaufen. Natürlich hat der Kollege mit Recht festgestellt, daß die Anlagen B und C das ja wohl nicht sein können, was im Haushaltsgesetz mit der 1%igen Kürzung vorgesehen ist. Das wäre ja wohl ein absoluter Wahnsinn.
Ich kann nur sagen:

(Dr. Vogel [SPD]: Zurückzuverweisen!)




Frau Vennegerts
Da wir, die Fraktion DIE GRÜNEN, sowieso gegen diese 1%ige Personalkürzung sind,

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)

meine ich, es wäre Aufgabe der Koalitionsfraktionen gewesen, vor allem dies nachzuprüfen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104322500
So angenehm die Sache ist: Denken Sie bitte daran, daß manche von uns Feierabend haben möchten!

(Heiterkeit bei allen Fraktionen — Bohl [CDU/CSU]: Es ist 20.15 Uhr!)

Herr Carstens (Emstek), bitte.

Manfred Carstens (CDU):
Rede ID: ID1104322600
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der letzten Äußerung des Herrn Präsidenten kann man entnehmen, daß er selber mehrere Jahre dem Haushaltsausschuß angehört hat.

(Walther [SPD]: Ja, da hat er etwas gelernt!)

An sich müßte ich jetzt, Herr Präsident, Unterbrechung beantragen, weil wir das ja ausführlich beraten müssen.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen — Dr. Vogel [SPD]: Zurück in den Ausschuß!)

Aber da ich feststelle, daß noch einige hundert Abgeordnete hier im Saal sind, sollten wir das hier entscheiden können.

(Walther [SPD]: Richtig!)

Ich kann also feststellen, daß sowohl die Beschlußfassungsvorlage als auch die Anlagen bestens in Ordnung sind. Zwar müssen wir die Einzelheiten später im Haushaltsausschuß genau überprüfen;

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

aber ich kann nur allen empfehlen, das, was vorgelegt wurde, jetzt anzunehmen, da es bestens ausgearbeitet wurde. Meine Unterschrift, die darunter steht, garantiert das.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Heiterkeit bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104322700
Also doch eine volle Runde, obwohl auf meinem Spickzettel steht: „Eine Aussprache ist nicht vorgesehen."

(Heiterkeit bei allen Fraktionen) Bitte schön, Herr Dr. Weng.


Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1104322800

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Heiterkeit bei allen Fraktionen — Dr. Vogel [SPD]: Was ist nun? Völlig unklar! Worüber wird abgestimmt?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1104322900
Dem Präsidenten haben Sie es natürlich sehr schwer gemacht. Er weiß nicht, ob er den entsprechenden Paragraphen jetzt mit oder ohne Veränderungen zur Abstimmung stellen soll.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen — Rossmanith [CDU/CSU]: Mit/ohne!)

Deswegen schlage ich vor, das Ganze als eine redaktionelle Änderung zu betrachten, die nachträglich vorgenommen werden kann. Dann haben die Stenographen etwas in ihrem Protokoll, auf das sich der Haushaltsausschuß berufen kann.
Ich stelle noch einmal fest, daß eine Aussprache eigentlich nicht vorgesehen war.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung.
Ich rufe die §§ 1 bis 30 und den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf.
Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind mit Mehrheit angenommen. Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) abgeschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991
— Drucksachen 11/701, 11/970, 11/1183 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens (Emstek) Dr. Weng (Gerlingen)
Esters
Frau Vennegerts
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991.
Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 11/1183 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist mit Mehrheit angenommen.
Ich kann Ihnen die freudige Mitteilung machen, daß wir am Schluß der zweiten Lesung und der Beratungen des heutigen Tages sind.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 27. November 1987, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.