Rede:
ID1104312400

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 6
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. Herr: 1
    5. Abgeordneter: 1
    6. Marschewski.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 Inhalt: Wahl der Abg. Frau Dempwolf zur Schriftführerin als Nachfolgerin der Abg. Frau Hoffmann (Soltau) 2923 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 11/1061, 11/1081) Sieler (Amberg) SPD 2923 C Strube CDU/CSU 2926 B Hoss GRÜNE 2930 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 2931D Dreßler SPD 2934 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA 2937 B Frau Unruh GRÜNE 2942 A Egert SPD 2943 A Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (Drucksachen 11/1065, 11/1081) Waltemathe SPD 2945 D Rossmanith CDU/CSU . . 2948 B Frau Wilms-Kegel GRÜNE 2951 C Zywietz FDP 2954 A Jaunich SPD 2956 D Link (Diepholz) CDU/CSU 2958 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2960 B Eimer (Fürth) FDP 2962 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 2963 B Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 11/1066, 11/1081) Waltemathe SPD 2967 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 2970 A Dr. Knabe GRÜNE 2973 D Baum FDP 2975 C Dr. Hauff SPD 2976 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 2979 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 2980D, 2985 B Schäfer (Offenburg) SPD 2984 A Frau Vennegerts GRÜNE 2985 D Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksachen 11/1057, 11/1081) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 11/1067, 11/1081) Bachmaier SPD 2986 C Marschewski CDU/CSU 2988 B Häfner GRÜNE 2992 A Kleinert (Hannover) FDP 2993 C Wiefelspütz SPD 2994 D Engelhard, Bundesminister BMJ 2996 B Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 11/1070, 11/1081) Nehm SPD 2998 A Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . . 2999 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 3001D Grünbeck FDP 3003 A Scherrer SPD 3005 A Dr. Schneider, Bundesminister BMBau . . 3006 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 31 GO) 3008 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 11/1062, 11/1081) Purps SPD 3009 C Windelen CDU/CSU 3013 A Weiss (München) GRÜNE 3015B Zywietz FDP 3017 A Dr. Warnke, Bundesminister BMV . . . 3019B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 11/1063) Börnsen (Ritterhude) SPD 3021 A Deres CDU/CSU 3025 B Dr. Briefs GRÜNE 3026 C Funke FDP 3028 C Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 3030 C Haushaltsgesetz 1988 (Drucksachen 11/1079, 11/1080) Kühbacher SPD 3032 C Frau Vennegerts GRÜNE 3032 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 3033 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 3033 B Tagesordnungspunkt II: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksachen 11/701, 11/970, 11/1183) Nächste Sitzung 3033 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3034* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 2923 43. Sitzung Bonn, den 26. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 27. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Dr. Biedenkopf 26. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Dr. Feldmann * 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Glotz 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Hiller (Lübeck) 27. 11. Hörster 26. 11. Frau Kelly 26. 11. Kiechle 26. 11. Dr. Klejdzinski * 26. 11. Klose 27. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Knabe 26. 11. Kreuzeder 27. 11. Lemmrich * 26. 11. Lenzer * 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 27. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 27. 11. Niegel 26. 11. Frau Pack 27. 11. Paintner 27. 11. Petersen 27. 11. Pfeifer 27. 11. Reddemann * 26. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. Schmidt (München) * 27. 11. von Schmude 27. 11. Dr. Spöri 26. 11. Spranger 26. 11. Dr. Todenhöfer 27. 11. Frau Dr. Vollmer 26. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11. Dr. Zimmermann 26. 11.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hermann Bachmaier


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Bild, das diese Bundesregierung auf dem Gebiet der Rechtspolitik nunmehr schon seit fünf Jahren bietet,

    (Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Ist ausgezeichnet!)

    ist einerseits gekennzeichnet durch eine inzwischen unerträglich gewordene Tatenlosigkeit und andererseits von hektischer und nicht selten gefährlicher Betriebsamkeit, die ihren Ursprung meist im Innenministerium hat. In den Bereichen, in denen dringend gehandelt, d. h. rechtspolitisch gestaltet werden müßte, schiebt die Regierung die notwendigen Entscheidungen schon seit Jahren vor sich her. Vielfach ist es sogar so, daß die erforderlichen Vorarbeiten noch nicht einmal getätigt worden sind.
    Auf anderen Gebieten, und hier insbesondere auf dem sehr sensiblen Gebiet und Feld des Demonstrationsstrafrechts, werden ohne Not und ohne das notwendige Maß an Besonnenheit Gesetze aus dem Boden gestampft, von deren positiver Wirkung noch nicht einmal diejenigen überzeugt sein können, die sie so lautstark fordern. Durch gesetzgeberische Scheinaktivitäten in einem so schwierigen Gelände wie dem der inneren Liberalität werden in keinem Fall die Erwartungen erfüllt, die erweckt worden sind. Diese Gesetze sind weit eher geeignet, Schaden zu stiften, statt Wohltaten zu bringen.
    Meine Damen und Herren, wenn der Vorsitzende der FDP noch Anfang September dieses Jahres unter dem Jubel seiner Parteitagsdelegierten in Kiel wörtlich ausführte, die FDP werde nicht Stammtischgerede nachgeben, um den Rechtsstaat zu beschädigen,

    (Baum [FDP]: Ein gutes Wort!)




    Bachmaier
    und dann, nur zweieinhalb Monate später, Herr Baum, genau das tut, was er erst wenige Wochen vorher gebrandmarkt und gegeißelt hat, dann gibt er nicht nur einen tiefen Einblick in die rechtsstaatliche Standfestigkeit der Führungsgremien seiner Partei, er fügt vielmehr der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit unseres Gemeinwesens in schwieriger Zeit weiteren, nicht unerheblichen Schaden zu.

    (Beifall bei der SPD — Baum [FDP]: Warten Sie mal ab!)

    Dabei wissen wir inzwischen doch sehr zuverlässig, daß auch bei einem über den bisherigen Rahmen hinaus strafrechtlich weiter verschärften Vermummungsverbot der schlimme Mord an den beiden Frankfurter Polizeibeamten nicht hätte verhindert werden können. Wir wissen auch, daß eine Verschärfung des Vermummungsverbotes denjenigen, die vor Ort als Polizeibeamte ihren Kopf hinhalten müssen, Steine statt Brot geben wird.
    Einer, der weiß Gott weiß, wie schwierig eine besonnene Arbeit der Polizei vor Ort ist, der langjährige Berliner Polizeipräsident, Klaus Hübner, hat in diesen Tagen nachdrücklich davor gewarnt, „patente Lösungen" — wie er wörtlich sagt — „mit harter Hand, aber überhitztem Kopf behend herbeizuführen". In diesen Tagen der aufgewühlten und zum Teil auch aufgeheizten Stimmungen hätte man vom Bundesminister der Justiz in der Tradition seiner großen Vorgänger einen Appell zum besonnenen, behutsamen und pfleglichen Umgang mit den strafrechtlichen Instrumentarien erwarten können. Statt dessen hat er sich ganz offensichtlich schleunigst in die Reihen derjenigen eingefügt, denen symbolträchtige legislative Kraftakte noch immer wichtiger sind als die notwendige Kärrnerarbeit zur Beseitigung der uns bedrükkenden Probleme.
    Im diametralen Gegensatz zu dieser hektischen Geschäftigkeit bei der Fertigung von legislativen Scheinlösungen steht die absolute Tatenlosigkeit dieser Regierung auf wichtigen Feldern der Rechtspolitik, die dringend und unaufschiebbar der Gestaltung bedürfen.
    Lassen Sie mich noch einige Beispiele in aller Kürze nennen. Da wissen wir doch mittlerweile recht präzise, daß unserer Umwelt jährlich reparable und irreparable Schäden in unermeßlicher Höhe zugefügt werden und unsere Lebensgrundlagen in vielen Bereichen existentiell bedroht sind.
    Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr Parteifreund, der Direktor beim Bundesumweltamt, Lutz Wicke, schätzt die meßbaren Schäden jährlich auf weit über 100 Milliarden DM. Wir wissen auch, daß eine Überarbeitung des Umweltstraf- und Bußgeldrechtes, eine an den Belangen der Geschädigten statt der Schädiger orientierten Novellierung unseres zivilrechtlichen Schadensersatzrechtes erhebliche Verbesserungen bringen würde. Wir wissen ebenfalls, daß im Bereich des Schadensersatzrechtes für Umweltschäden die Gefährdungshaftung ausgebaut werden muß und Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten eben dieser Geschädigten geschaffen werden müssen. Mit einem verbesserten straf-, bußgeld- und schadensersatzrechtlichen Instrumentarium kann nicht nur manchen Geschädigten geholfen werden, sondern insbesondere auch ein kräftiger und nachhaltiger Druck auf diejenigen ausgeübt werden, die unsere Umwelt zu ihrem privaten Nutzen unerträglich weiter belasten.

    (Beifall bei der SPD)

    Nur dann, wenn sich Umweltverschmutzung und Umweltvergiftung nicht mehr lohnen, nicht mehr rentieren, sondern diejenigen, die bislang daraus ihren höchstpersönlichen und wirtschaftlichen Vorteil gezogen haben, damit rechnen müssen, daß sie zur Rechenschaft gezogen werden, können wir in weiten Bereichen den verhängnisvollen Kreislauf durchbrechen und eine Dynamik zur Verbesserung unserer natürlichen Lebensgrundlagen in Gang setzen.
    Das Strafrecht, das Bußgeldrecht und das zivilrechtliche Schadensersatzrecht können, wenn sie wirkungsvoll dieser Herausforderung entsprechend ausgestaltet sind, hierzu einen wertvollen und unersetzbaren Dienst leisten. Das weiß auch die Bundesregierung seit Jahren, doch geschieht praktisch bis zum heutigen Tage nichts. Noch nicht einmal unsere Große Anfrage zum Umweltstrafrecht, die der Bundesregierung seit Sommer vergangenen Jahres vorliegt und nach der Bundestagswahl im Frühjahr dieses Jahres wieder eingebracht worden ist, konnte bis zum heutigen Tage beantwortet werden.
    Auch bei der Verankerung des Umweltschutzes im Grundgesetz haben wir bislang außer Lippenbekenntnissen nichts gesehen. Manche Äußerungen deuten eher darauf hin, daß entweder gar nichts geschieht oder — dies erscheint inzwischen als wahrscheinlicher — eine Formulierung gesucht wird, die das Papier nicht wert ist, auf dem sie steht. Wir Sozialdemokraten — das sei hier nochmals mit aller Deutlichkeit gesagt — werden uns an einem Etikettenschwindel dieser Art nicht beteiligen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, nehmen wir ein weiteres wichtiges Feld, auf dem dringender rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht: das Insolvenzrecht. Nach wie vor bewegen sich die Insolvenzen auf einem außerordentlich hohen Niveau. Nach wie vor verlieren mindestens 150 000 Menschen jährlich ihren Arbeitsplatz durch die Pleite ihrer Arbeitgeberfirma. Nach wie vor beträgt der verursachte volkswirtschaftliche Gesamtschaden jährlich gut und gerne 20 Milliarden DM. Noch immer werden die meisten Konkursverfahren noch nicht einmal eröffnet, weil die zur Durchführung des Verfahrens notwendigen Mittel fehlen. Eine deutliche Sprache spricht auch der hohe Anteil der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, den diese Unternehmensrechtsform an den noch nicht einmal eröffneten Konkursverfahren hat. Seit einigen Jahren liegen nunmehr die detaillierten Vorschläge der vom damaligen Justizminister Hans-Jochen Vogel noch während der sozialdemokratischen Regierung eingesetzten Insolvenzrechtskommission vor. Geschehen ist bis zum heutigen Tage auch hier nichts.
    Nimmt man die Äußerungen des Bundesjustizministers aus der zurückliegenden Zeit, dann kann man unschwer erahnen, daß mit einer Reform des Insolvenzwesens mit wesentlich verbesserten Möglichkeiten zur arbeitsplatzerhaltenden Sanierung statt der



    Bachmaier
    bisher im Vordergrund stehenden Liquidierung sowie zur Einführung eines Insolvenzverfahrens, das auch unverschuldet in Not geratenen Arbeitnehmern und deren Gläubigern hilft, nicht mehr zu rechnen ist. Wenn Sie allerdings noch darauf spekulieren, daß das schon heute unzulängliche Gesetz zur Absicherung der Sozialplanforderungen im Konkurs heimlich, still und leise am 31. Dezember 1988 ausläuft — Herr Kleinert, hören Sie genau zu — , dann muß ich Sie enttäuschen.

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Oh!)

    Wir werden schon bald im nächsten Jahr einen Gesetzentwurf einbringen

    (Kleinert [Hannover] [FDP]: Entwurf!)

    und Ihnen wieder einmal Gelegenheit geben, Farbe zu bekennen, so daß rechtzeitig vor dem 31. Dezember 1988 wieder eine Entscheidung — ich hoffe, eine Entscheidung zugunsten der konkursbetroffenen Arbeitnehmer — getroffen werden kann.

    (Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Ihr habt schon viele Entwürfe eingebracht, und es hat nichts geholfen!)

    — Das letzte Mal haben wir ein bißchen Glück gehabt, Herr Stark. Ich weiß, daß es Ihnen nicht gepaßt hat. Wir haben es aber trotzdem hinbekommen.
    Dies waren nur einige wenige Beispiele der vielen Handlungsdefizite der Regierung auf wichtigen rechtspolitischen Feldern.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie uns in einem kräftigen Wettstreit über die besseren Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten in den Bereichen eintreten, in denen wir dringenden Handlungsbedarf haben. Lassen Sie die Finger von den Bereichen, in denen eine Einmischung des Gesetzgebers im gegenwärtigen Zeitpunkt nur Schaden stiften könnte.
    Herzlichen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Annemarie Renger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat Herr Abgeordneter Marschewski.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Erwin Marschewski


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Bachmaier, Sie können sich darauf verlassen: Wir werden streiten. Wir werden deswegen streiten, weil wir eine gute Rechtspolitik betreiben; denn die Rechtspolitik war ein Glanzstück dieser Koalition.

    (Dr. Jens [SPD]: Was?)

    — Sie können sich gleich zur Zwischenfrage melden. Ich werde alles beantworten, was Sie wollen.
    Wir sind angetreten, dies zu wiederholen. Wir müssen dies tun; denn dies zeigen gerade die letzten Ereignisse bis hin zur Hafenstraße:

    (Zuruf von der SPD: Was?)

    Der Rechtsfrieden ist nur dann dauerhaft gesichert, wenn die Rechtsordnung im Bewußtsein der Bevölkerung verankert ist und verankert wird. An deren Grundüberzeugungen müssen sich Recht und Gesetz orientieren, sonst verursachen sie Unsicherheiten, Unfrieden, Konfrontation und Gewalt. Daher war
    Hamburg kein Sieg des Rechts. Die faktische Anerkennung langjähriger rechtswidriger Zustände war eine Verbeugung vor denen, die Recht brechen, war eine Kapitulation vor den Rechtsbrechern.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Stimmt nicht!)

    — Nein, nein, das Recht allein muß die Gewalt bleiben, die der Gewalt das Recht ganz und endgültig streitig macht. Gerade wir als Rechtspolitiker dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen, daß der Staat fähig und bereit ist, Übergriffe auf Leib und Leben und Eigentum abzuwehren und Gesetze, die verfassungsgemäß zustande gekommen sind, mit aller Entschlossenheit durchzusetzen.
    Aber Zweifel — jetzt komme ich zu Ihnen auf der linken Seite — muß man an Ihnen, Herr Kollege Bachmaier und der SPD haben, einfach deswegen, weil ich mich mit Ihrem Verständnis von Rechtspolitik auseinandergesetzt habe. Da fordert zum Beispiel die „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen"
    — ich zitiere — , Klassenrecht und Klassenjustiz müßten beseitigt werden.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Recht hat sie!)

    Ein anderer prominenter Sozialdemokrat begreift Recht als grundsätzliches Infragestellen gesellschaftlicher Strukturen.

    (Singer [SPD]: Ja!)

    — Sie können gleich dazu Stellung beziehen. — Der Nürnberger Parteitag versteigt sich zu der Behauptung, das Demonstrationsrecht werde gefährdet durch Polizeiführungen, die sich in der Wahl der polizeilichen Mittel vergriffen

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Richtig!)

    und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzten.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, natürlich!)

    Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, welche Demonstrationen und welche Polizeibeamten meinen Sie denn eigentlich mit dieser Anklage?
    Ich bin durchaus darüber im klaren: Auch die Berufung auf widerlegendes Tatsächliches — unbestrittene Zeitgeschichte nenne ich dies — trägt oft zu Mißverständnis unter Demokraten, zur Spaltung bei. Wie haben Sie noch im letzten Wahlkampf gesagt: Nicht spalten, sondern versöhnen!

    (Dr. Soell [SPD]: Was?)

    — Nicht spalten, sondern versöhnen! Ich teile Ihre Meinung. Aber, Herr Kollege, warum sagen Sie dann in Nürnberg, Konservative — und Sie meinten damit doch uns — neigten dazu, Gewalt zu provozieren, um den politischen Gegner leichter diffamieren zu können? Eine verletzende Aussage!

    (Singer [SPD]: Die Wahrheit ist manchmal verletzend!)

    Vielleicht ist das — ich konzediere — nur unüberlegte Folge des Wahlkampfgetümmels.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sie haben es nötig!)




    Marschewski
    Oder ist es doch intellektuelle Verwirrung einer
    Rechtspolitik, bei der die Ideologie das Recht überlagert, einer Politik, von der Wassermann gefordert hat
    — er gehört ja nicht zu uns, das wissen Sie; er hat ja für Sie da gearbeitet —

    (Bachmaier [SPD]: Oho!)

    daß nämlich — ich zitiere — „Schritt für Schritt der rechtliche Überbau unserer Gesellschaft durch eine den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragende Rechtspolitik den Basisveränderungen angepaßt werden müsse"?
    Ich kenne die Herkunft dieser Begriffe, und ich gehe davon aus, sie sind wohl auch Ihnen bekannt. Aber dies ist nicht unsere Politik. Eine Politisierung und Ideologisierung des Rechts als Instrument der Gesellschaftsveränderung

    (Bachmaier [SPD]: Ständig praktizieren!) schadet nur dem Rechtsbewußtsein.

    Wir haben uns hier anders verhalten. Mit unseren klaren Aussagen zur Ehe und Familie, zum Wert menschlichen Lebens, zur Sicherung der Freiheit des einzelnen Bürgers und zur Gleichheit der Rechtsanwendung haben wir ein Terrain zurückgewonnen, das in den Jahren sozialdemokratischer Regierungsverantwortung weithin verlorenzugehen drohte.

    (Zurufe von der SPD: Vorsicht!)

    Wir werden in einem Fünf-Punkte-Programm — ich werde es Ihnen gleich vortragen, wenn Sie in Ruhe zuhören —

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Schon wieder ein Programm!)

    beweisen, daß wir keine Reparaturkolonne sind, die im Troß einer orientierungslos dahinstolpernden Gesellschaft bloß hinterherläuft, um Schadensfälle zu beheben. Recht hat eben, meine ich, keine nur nacheilende Funktion. Diese Koalition wird sich daher an den Schlüsselfragen dieser Zeit gestaltend zu beteiligen wissen.
    Erstens. Die CDU/CSU und die FDP werden auf die neuen Herausforderungen der Fortpflanzungsmedizin Entscheidungen anbieten, die der Menschenwürde, dem Schutz des Lebens, Ehe und Familie und dem Kindeswohl entsprechen. Wir werden natürlich auch auf das eingehen, was Sie, Frau Kollegin, neulich in einer Pressekonferenz etwas polemisch gesagt haben.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Nur zu Ihrer Information: Schon vor zwei Jahren!)

    — Vielleicht stimmen Sie gleich meinen Grundsätzen zu. Ich werde noch ein wenig darüber ausführen.
    Zweitens. Wir werden das von Gewalttätern bedrohte Recht auf friedliche Demonstrationen gewährleisten und den Terrorismus wirksam bekämpfen.
    Drittens. Unsere herausragende Umweltpolitik

    (Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

    werden wir durch die Aufnahme eines Staatsziels Umweltschutz

    (Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

    — hören Sie zu — grundgesetzlich sichern. (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Morgen!)

    — Da darf doch keine Hektik Platz greifen. Entscheidend ist doch: Wir betreiben Rechtspolitik mit Blick über den Tag hinaus. Effekthascherei und ähnliches dürfen doch bei uns überhaupt keinen Platz haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Lachen und Zurufe von der SPD — Frau Unruh [GRÜNE]: Ihre Flugblätter sagen etwas anderes aus!)

    Viertens — verehrte Kollegin, da stimmen Sie sicherlich auch zu — : Wir werden die Bürgerrechte stärken,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Ja, hoffentlich!)

    sowohl gegen öffentliche als auch gegen private Eingriffe.
    Wir werden fünftens, Herr Kollege Bachmaier, der Sozialen Marktwirtschaft geeignete Rahmenbedingungen für ihre weitere Entfaltung setzen, die auch dem Schutzbedürfnis des schwächeren Marktteilnehmers Rechnung tragen.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Sehr gut!)

    Meine Damen und Herren, zum ersten Programmpunkt: Die wissenschaftlich-technische Entwicklung hat durch die Fortpflanzungsmedizin neue Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Das eröffnet Chancen und Risiken gleichermaßen. Es ist daher unsere Aufgabe, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu nutzen, wo er zum Wohl des Menschen eingesetzt werden kann. Und dabei kennen wir die Grenzen für das Selbstbestimmungsrecht und auch die Grenzen für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.
    Ich darf Ihnen sagen, welche Auffassung wir zu diesem wichtigen Problembereich besitzen.
    Erstens. Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle, der sogenannten Konjugation. Es ist schutzwürdig und schutzbedürftig von diesem Zeitpunkt an.
    Zweitens. Die künstliche Befruchtung ist nur vertretbar, um eine auf natürliche Weise nicht erreichbare Schwangerschaft herbeizuführen. Sie darf grundsätzlich nur in homologer Form stattfinden. Das heißt: Eizelle und Samenzelle stammen von den Ehepartnern. Eine Insemination bei Unverheirateten oder Alleinstehenden lehnen wir ab. Die Insemination post mortem, also die Verwendung von Samen eines Verstorbenen, ist zu untersagen.
    Drittens. Es dürfen nur so viele Eizellen befruchtet werden, wie zur Herbeiführung einer Schwangerschaft unverzüglich übertragen werden. Die Befruchtung einer Eizelle zu experimentellen Zwecken ist mit der Würde des Menschen unvereinbar.
    Viertens. Der Mensch hat das Recht auf Kenntnis seiner blutsmäßigen Abstammung. Bei der Samenspende gilt die Ein-Spender-Regelung und das Entgeltverbot.
    Fünftens. Die verschiedenen Formen der Ersatzmutterschaft — sprich: Leihmutterschaft — sind abzulehnen. Die Werbung hierfür ist strafbar.



    Marschewski
    Sechstens. Das sogenannte Klonen, also die asexuelle Herstellung gewissermaßen identischer Nachkommen, das Schaffen von Schimären und Hybriden wird unter Strafe gestellt.
    Meine Damen und Herren, sehr verehrte Frau Kollegin Däubler-Gmelin, wir wissen, daß es erforderlich wird, Gesetzentwürfe anzubieten.

    (Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Es ist gut, daß Sie das wissen!)

    Ich jedenfalls danke der Bundesregierung natürlich für das Embryonenschutzgesetz — das war ein Anfang — und natürlich auch für das Ersatzmuttervermittlungsverbot, das Frau Süssmuth anstrebt. Ich weiß, daß wir nach dem Werbe-Leihfall in Frankfurt natürlich gezwungen sind, zu handeln,

    (Frau Dr. Däbler-Gmelin [SPD]: Bald!)

    und daß wir Lösungen brauchen; da sind wir sicherlich einer Meinung. Aber lassen Sie mich doch eines sagen, wie es — gestatten Sie — Fontane einmal formulierte: „Das ist ein weites Feld, Luise." Und Roman Herzog fügte zu Recht hinzu: „Vermint ist hier doch jeder halbe Meter." Meine Damen und Herren, ich glaube, darin werden wir eine große Übereinstimmung erzielen.
    Meine Damen und Herren, ein paar Anmerkungen zum zweiten Bereich, zur Sicherung der Demonstrationsfreiheit. „Wer Gewalt verharmlost, baut Gewalthemmungen ab", so hat der Bundeskanzler dieser Tage zu Recht ausgeführt. Ist nicht die Auffassung der SPD-Fraktion, die ich gerade gehört habe, Herr Kollege Bachmaier, eine Strafbarkeit der Vermummung abzulehnen, doch irgendwie eine Verharmlosung — ich habe daran gedacht — der Geschehnisse der letzten Wochen?

    (Bachmaier [SPD]: Was soll denn das?)

    Denn es ist doch so: Die Vermummung ist — das hat die Praxis jetzt leider gezeigt — eine Vorstufe der Gewalt geworden. Sie gebiert Gewalt und wird dadurch zum kriminellen Unrecht. Meine Damen und Herren, wer in der Bundesrepublik Deutschland, dem freiesten Staat, den es auf deutschem Boden je gab, mit der freiheitlichsten Verfassung, die ein deutscher Staat je hatte, seine Meinung ausdrücken will, der kann sein Gesicht zeigen, der braucht keine Vermummung, den fordere ich auf, den Knüppel aus den Händen zu legen, meine Damen und Herren.