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ID1104300200

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    Plenarprotokoll 11/43 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 43. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 Inhalt: Wahl der Abg. Frau Dempwolf zur Schriftführerin als Nachfolgerin der Abg. Frau Hoffmann (Soltau) 2923 A Tagesordnungspunkt I: Fortsetzung der zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1988 (Haushaltsgesetz 1988) (Drucksachen 11/700, 11/969) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses Einzelplan 11 Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (Drucksachen 11/1061, 11/1081) Sieler (Amberg) SPD 2923 C Strube CDU/CSU 2926 B Hoss GRÜNE 2930 A Cronenberg (Arnsberg) FDP 2931D Dreßler SPD 2934 B Dr. Blüm, Bundesminister BMA 2937 B Frau Unruh GRÜNE 2942 A Egert SPD 2943 A Einzelplan 15 Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (Drucksachen 11/1065, 11/1081) Waltemathe SPD 2945 D Rossmanith CDU/CSU . . 2948 B Frau Wilms-Kegel GRÜNE 2951 C Zywietz FDP 2954 A Jaunich SPD 2956 D Link (Diepholz) CDU/CSU 2958 C Frau Schmidt (Nürnberg) SPD 2960 B Eimer (Fürth) FDP 2962 C Frau Dr. Süssmuth, Bundesminister BMJFFG 2963 B Einzelplan 16 Geschäftsbereich des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Drucksachen 11/1066, 11/1081) Waltemathe SPD 2967 A Schmitz (Baesweiler) CDU/CSU 2970 A Dr. Knabe GRÜNE 2973 D Baum FDP 2975 C Dr. Hauff SPD 2976 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 2979 B Dr. Töpfer, Bundesminister BMU 2980D, 2985 B Schäfer (Offenburg) SPD 2984 A Frau Vennegerts GRÜNE 2985 D Einzelplan 07 Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz (Drucksachen 11/1057, 11/1081) II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 in Verbindung mit Einzelplan 19 Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 11/1067, 11/1081) Bachmaier SPD 2986 C Marschewski CDU/CSU 2988 B Häfner GRÜNE 2992 A Kleinert (Hannover) FDP 2993 C Wiefelspütz SPD 2994 D Engelhard, Bundesminister BMJ 2996 B Einzelplan 25 Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Drucksachen 11/1070, 11/1081) Nehm SPD 2998 A Dr. Schroeder (Freiburg) CDU/CSU . . . 2999 D Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 3001D Grünbeck FDP 3003 A Scherrer SPD 3005 A Dr. Schneider, Bundesminister BMBau . . 3006 B Frau Dr. Hamm-Brücher FDP (Erklärung nach § 31 GO) 3008 B Einzelplan 12 Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (Drucksachen 11/1062, 11/1081) Purps SPD 3009 C Windelen CDU/CSU 3013 A Weiss (München) GRÜNE 3015B Zywietz FDP 3017 A Dr. Warnke, Bundesminister BMV . . . 3019B Einzelplan 13 Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen (Drucksache 11/1063) Börnsen (Ritterhude) SPD 3021 A Deres CDU/CSU 3025 B Dr. Briefs GRÜNE 3026 C Funke FDP 3028 C Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 3030 C Haushaltsgesetz 1988 (Drucksachen 11/1079, 11/1080) Kühbacher SPD 3032 C Frau Vennegerts GRÜNE 3032 D Carstens (Emstek) CDU/CSU 3033 A Dr. Weng (Gerlingen) FDP 3033 B Tagesordnungspunkt II: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Der Finanzplan des Bundes 1987 bis 1991 (Drucksachen 11/701, 11/970, 11/1183) Nächste Sitzung 3033 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . 3034* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 26. November 1987 2923 43. Sitzung Bonn, den 26. November 1987 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 27. 11. Frau Beck-Oberdorf 27. 11. Dr. Biedenkopf 26. 11. Böhm (Melsungen) * 27. 11. Büchner (Speyer) * 27. 11. Bühler (Bruchsal) * 26. 11. Dr. Dollinger 27. 11. Duve 27. 11. Ehrbar 27. 11. Dr. Feldmann * 27. 11. Frau Fuchs (Verl) 27. 11. Dr. Geißler 27. 11. Dr. Glotz 26. 11. Dr. Haack 27. 11. Frau Dr. Hartenstein 26. 11. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 27. 11. Frau Dr. Hellwig 27. 11. Heyenn 27. 11. Hiller (Lübeck) 27. 11. Hörster 26. 11. Frau Kelly 26. 11. Kiechle 26. 11. Dr. Klejdzinski * 26. 11. Klose 27. 11. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Knabe 26. 11. Kreuzeder 27. 11. Lemmrich * 26. 11. Lenzer * 27. 11. Frau Luuk * 27. 11. Mischnick 27. 11. Dr. Möller 27. 11. Dr. Müller * 27. 11. Dr. Neuling 27. 11. Niegel 26. 11. Frau Pack 27. 11. Paintner 27. 11. Petersen 27. 11. Pfeifer 27. 11. Reddemann * 26. 11. Schäfer (Mainz) 26. 11. Schmidbauer 26. 11. Schmidt (München) * 27. 11. von Schmude 27. 11. Dr. Spöri 26. 11. Spranger 26. 11. Dr. Todenhöfer 27. 11. Frau Dr. Vollmer 26. 11. Dr. Waigel 27. 11. Graf von Waldburg-Zeil 27. 11. Wieczorek (Duisburg) 27. 11. Wischnewski 27. 11. Würtz 27. 11. Zierer * 26. 11. Dr. Zimmermann 26. 11.
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    Rede von Wolfgang Sieler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Generalaussprache über den Bundeshaushalt 1988 gibt mir heute mit dem vorliegenden Einzelplan 11 im Bundeshaushalt Gelegenheit, die Fehlentwicklung der Politik dieser Regierung im allgemeinen und der Sozialpolitik im besonderen aufzuzeigen.

    (Rossmanith [CDU/CSU]: Sie sprechen wohl noch von der Zeit vor 1982!)

    — Ich komme noch auf die Tatsachen, Herr Kollege. Lassen Sie mich mit drei Feststellungen beginnen.
    Erstens. Die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit findet in diesem Bundeshaushalt nicht statt.

    (Dreßler [SPD]: So ist es!)

    Der Mangel der Beschäftigung wird weiter in Buchhaltermanier verwaltet.

    (Dreßler [SPD]: Leider wahr!)

    Zweitens. Der Einzelplan 11 und der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit werden wieder einmal zum Verschiebebahnhof für den Bundeshaushalt gemacht.
    Drittens. Die sich abzeichnenden Konturen der angekündigten Strukturreform im Gesundheitswesen zeigen einen verhängnisvollen Weg aus der gesellschaftlichen Solidarität in ein System der Ellbogengesellschaft, die wir als Sozialdemokraten in unserer Regierungszeit abzubauen versucht haben.
    Nun zum ersten Punkt: Wir wissen natürlich auch, daß die Ausgaben im Einzelplan 11 mit über 60 Milliarden DM zu 99,5 v. H. rechtlich gebunden sind und kaum Raum für investive Aufgaben lassen. Aber angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit müßte es zur selbstverständlichen Aufgabe eines Bundesministers für Arbeit gehören, um Arbeit für alle zu kämpfen und auch darum zu streiten.

    (Kolb [CDU/CSU]: Und was machen die Tarifpartner?)

    Im Kabinett und in der Öffentlichkeit, Herr Kolb, müßte eigentlich der Herr Minister angesichts der traurigen und hoffnungslosen Situation von mehr als



    Sieler (Amberg)

    2 Millionen arbeitsloser Bürger Laut geben. Doch da hören wir leider nichts, Fehlanzeige. Die Allzweckwaffe Norbert Blüm im Kabinett Kohl hat in dieser Frage sichtbare Ladehemmung. Die Finanzierung der Steuerreform zugunsten hoher und höchster Einkommen hat wohl Vorrang vor staatlichen Investitionsprogrammen, die tatsächlich mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslose zur Folge hätten. Ist es denn nicht bedauerlich, Herr Minister, daß Sie angesichts dieser Tatsachen gezwungen sind, Zahlenkosmetik zu betreiben, damit die noch arbeitenden Bürger die Zahl der Arbeitslosen noch als erträglich betrachten, statt aktiv Arbeitsmarktpolitik machen zu können?
    Bezeichnend dafür war doch Ihre Reaktion im Haushaltsausschuß am 4. November: Als der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, der Arbeitgebervertreter Dr. Himmelreich, auf die wachsende Arbeitslosigkeit und ihre sich verschärfende Strukturproblematik hinwies, erklärten Sie erregt, es gebe keine wachsende Arbeitslosigkeit,

    (Egert [SPD]: Ist ja ungeheuerlich!)

    es könne eigentlich nur davon gesprochen werden, daß die Arbeitslosigkeit nicht genügend gesunken sei.

    (Dreßler [SPD]: Hört! Hört!)

    Herr Minister, mich erinnert das an das Beispiel mit der gefüllten Flasche: Sie behaupten, die Flasche sei noch halbvoll; Herr Himmelreich hat gesagt, die Flasche sei schon halbleer. Im Grunde der gleiche Tatbestand, aber Sie bestreiten zunächst einmal, daß wir eine steigende Arbeitslosigkeit haben.

    (Dr. Becker [Frankfurt] [CDU/CSU]: Die 800 000 neuen Beschäftigten sind vergessen?)

    — Langsam, ich komme noch auf die Zahlen zu sprechen.
    Herr Himmelreich hat Ihnen dann vorgehalten, daß nur durch die zeitlich begrenzte Herausnahme von 110 000 Personen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und 150 000 Arbeitslosen in Qualifizierungsmaßnahmen aus dem Kreis der über 2 Millionen Arbeitslosen, die Tatsache der steigenden Arbeitslosigkeit verdeckt werde.

    (Beifall bei der SPD)

    Auch der stellvertretende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr, der auch Stellvertreter im Vorstand der Bundesanstalt ist, hat dies bestätigt. Er hat noch einmal darauf verwiesen, daß im Oktober dieses Jahres 85 000 mehr Arbeitslose vorhanden waren als im gleichen Monat des Vorjahres.
    Die Sachverständigen, meine Damen und Herren, haben erst vor kurzem für 1988 eine weitere Zunahme um 70 000 Arbeitslose prognostiziert. Dabei gehe ich davon aus, daß diese Herren sehr, sehr vorsichtig geschätzt haben.
    Sie, Herr Minister, haben sich in der vergangenen Haushaltsdebatte, aber auch in der ersten Lesung, nicht mit den tatsächlichen Arbeitslosenzahlen auseinandergesetzt, sondern Sie haben, immer ausweichend, auf die Zunahme der Beschäftigung verwiesen.

    (Andres [SPD]: So macht der das doch immer!)

    Betrachten wir doch genau diesen Punkt einmal vor dem Hintergrund des Zahlenmaterials der Bundesanstalt für Arbeit — ich zitiere hier aus der offiziellen Statistik der Bundesanstalt — :
    Von 1975 bis 1981
    — also in der Zeit des Kanzlers Helmut Schmidt und der hier so oft geschmähten Beschäftigungsprogramme —
    stieg die Zahl der beitragspflichtigen Beschäftigten um 1 087 000
    — und das trotz Weltwirtschaftskrise und trotz Ölpreiskrise.

    (Egert [SPD]: Das ist der Punkt!) Von 1982 bis 1987

    — also in Ihrer Regierungszeit —
    hat sich die Zahl der beitragspflichtigen Beschäftigten um rund 350 000 verringert
    — und das trotz steigender Konjunktur, Beschäftigungsförderungsgesetz und Zunahme der Teilzeitbeschäftigung. Das müssen wir doch mal sehen.
    Wie würde man denn den Verkauf einer Packung bezeichnen, in der die Ware schlicht und einfach fehlt?

    (Zuruf von der SPD: Mogelpackung!)

    — Mogelpackung oder Etikettenschwindel? (Andres [SPD]: Blüm ist der Meister darin!)

    Ich überlasse es Ihrer Phantasie, meine verehrten Damen und Herren, sich vorzustellen, welche Konsequenzen so etwas draußen im normalen Leben hätte.
    Nüchtern und pragmatischer sieht das wohl der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Heinrich Franke. Er hat auf unsere Fragen im Ausschuß erklärt, daß er für eine Aufstockung der Mittel für Städtebauförderung und Dorferneuerung auf ein Gesamtvolumen von 10 Milliarden DM eintrete. Denn nach der Berechnung der Bundesanstalt für Arbeit könnten dadurch pro 1 Milliarde DM 15 000 bis 30 000 Menschen Beschäftigung bekommen.

    (Müller [Schweinfurt] [SPD] zur CDU/CSU: Aber Sie tun nichts!)

    Nur so, sagte Herr Franke, sei das Ziel, die Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit unter die Zwei-MillionenGrenze zu senken, zu erreichen.

    (Beifall bei der SPD — Egert [SPD]: Recht hat der Mann! Wie hieß der noch mal?)

    Herr Minister, wir vermissen hier leider den Willen und die Bereitschaft dieser Regierung, ernsthaft am Zustand der Arbeitslosigkeit etwas zu ändern. Wenn dann ein Arbeitsloser mit 600 DM Arbeitslosengeld oder -hilfe im Monat dem Kanzler am Dienstag dieser



    Sieler (Amberg)

    Woche zugehört hat, der da gesagt hat, seine Stabilitätspolitik sei die beste Sozialpolitik,

    (Kolb [CDU/CSU]: Dann hat er vorher 1 000 DM netto gehabt, also 1 600 DM verdient, Herr Kollege! — Ein toller Arbeitsloser!)

    dann muß er sich echt veralbert vorkommen, Herr Kolb.

    (Beifall bei der SPD)

    Wie sehr schon im Hinblick auf die zukünftige Arbeitsmarktentwicklung der ursprüngliche Ansatz für die Arbeitslosenhilfe überholt war, zeigte die Erhöhung des Titels Arbeitslosenhilfe um 434 Millionen DM auf 8 130 Millionen DM. Ob diese Mittel ausreichen werden, wird sich allerdings noch zeigen. Ich habe leider die Sorge — sie wird nicht nur von mir so formuliert — , daß diese Mittel auch im nächsten Mittel wieder erhöht werden müssen.
    Nicht ausreichend waren auch die Mittel bei der Bundesanstalt für Arbeit für das Haushaltsjahr 1987. Im Nachtragshaushalt mußten 1 686 Millionen DM aus der Rücklage entnommen werden. Für 1988 errechnet die Bundesanstalt für Arbeit eine weitere Finanzlücke von 3,4 Milliarden DM, die aus der vorhandenen Rücklage gerade noch gedeckt werden können.
    Damit wäre ich beim Punkt 2, dem „Verschiebebahnhof" Bundesanstalt für Arbeit. Mit der 8. Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz hat die Koalition aus dem Bundeshaushalt rund 950 Millionen DM lupenreine Bundesausgaben als Belastung auf die Bundesanstalt für Arbeit übertragen, die in deren Haushalt noch gar nicht berücksichtigt waren. Auch hier hat der Vorstandsvorsitzende, Dr. Himmelreich, bekräftigt, was er schon in der Anhörung im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung gesagt hat, nämlich: Die Bundesanstalt für Arbeit bezweifelt, daß dieser Gesetzentwurf mit der Verfassung in Übereinstimmung ist. Sie werden eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes veranlassen. Außerdem stellt die Selbstverwaltung in Frage, wie 1989 unter der Geltung dieses Gesetzes und der dann verbrauchten Reserven bei der Bundesanstalt überhaupt noch Arbeitsmarktpolitik stattfinden kann.
    Wir haben ja gefragt. Es gibt nur drei Möglichkeiten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Erstens, man erhöht die Beiträge. Zweitens, man kürzt die Leistungen. Drittens, man stellt wieder einen Bundeszuschuß in den Haushalt ein. Die Vertreter der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit haben ihren erbitterten Widerstand etwa gegen eine Erhöhung der Beiträge oder gegen Leistungskürzungen angekündigt. Sie weisen mit Recht darauf hin, daß dies geradezu kontraproduktiv im Rahmen ihrer Bemühungen sei, das arbeitsmarktpolitische Instrument der Bundesanstalt für Arbeit wirklich zu nutzen.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, auch wir Sozialdemokraten warnen vor einem solchen Irrweg. Wenn man allerdings die bisherige Praxis der Bundesregierung betrachtet, ist wohl zu befürchten, daß man den Weg der drastischen Leistungsverschlechterungen zur Finanzierung der Haushaltsdefizite weitergehen wird.

    (Günther [CDU/CSU]: Das haben Sie immer gemacht!)

    Im Zusammenhang mit der 8. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes wurde von der Selbstverwaltung der Bundesanstalt für Arbeit auch auf die zusätzliche Belastung im personellen Bereich hingewiesen. Allein die rund 260 000 Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen erfordern ein hohes Maß an zusätzlichen intensiven Betreuungs- und Verwaltungsarbeiten, die durch die Beschäftigten der Bundesanstalt für Arbeit geleistet werden müssen, zum erheblichen Teil mit Mehrarbeit und mit Sondereinsatz. Wir sind der Meinung, daß an diesen beiden Ecken der Arbeitsmarktpolitik nicht gespart und nichts eingeschränkt werden darf.

    (Beifall bei der SPD)

    Meine Damen und Herren, ich möchte hier keine Personaldebatte über die Bundesanstalt für Arbeit führen; denn die werden wir an einer anderen Stelle und zu einem anderen Zeitpunkt noch zu führen haben. Aber im Zusammenhang mit der vorher erwähnten 8. Novelle Arbeitsförderungsgesetz ist es nach unserer Überzeugung geradezu ein Aberwitz, wenn entgegen unseren Argumenten, Hinweisen und Befürchtungen Sie, meine Damen und Herren, die Forderung, die einprozentige Stellenkürzung auch auf die Bundesanstalt anzuwenden, aufrechterhalten wollen.

    (Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Wir haben doch 70 000 Beschäftigte! — Kolb [CDU/CSU]: Und wie ist das mit den modernen Techniken dort?)

    Dies würde bedeuten, daß im nächsten Jahr 700 Vollkräfte bei der Bundesanstalt in den Arbeitsämtern vor Ort, wo die Arbeit gemacht werden muß, fehlen werden.

    (Egert [SPD]: Skandalös!)

    Wie Sie, meine Damen und Herren, angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit und der zusätzlichen Belastung der Arbeitsämter das den Beschäftigten in den Ämtern und den ratsuchenden Arbeitslosen erklären wollen, darauf sind wir echt gespannt. Ich fordere Sie daher erneut auf, von diesem Unfug Abstand zu nehmen.
    Nicht minder besorgniserregend ist der dritte Punkt. Was sich jetzt an Konturen einer längst fälligen Strukturreform im Gesundheitswesen abzeichnet, läßt Schlimmes für die Versicherten befürchten. Die Reformbemühungen bleiben an der Oberfläche der Leistungen und der Geldströme hängen; nichts ist zu hören von einer Reform des gegliederten Systems unserer Krankenversicherung oder der Struktur unserer Krankenhäuser.
    Hauptbestandteil der bisherigen Bemühungen der Koalition ist dagegen ein Sparkatalog von 14,5 Milliarden DM zu Lasten der Versicherten.

    (Egert [SPD]: „Sparkatalog" ? Das ist ein Leistungskürzungskatalog ! )

    Konsequent verfolgt die Regierung den Weg der verstärkten Kostenbeteiligung der Familien, Kranken



    Sieler (Amberg)

    und älteren Bürger. Neben den schon hohen Beiträgen zur Krankenkasse sollen nun alle Versicherten noch zusätzliche Krankheitskosten für ärztliche Leistung, Arzneimittel, Kuren, Heil- und Hilfsmittel, Brillen usw. übernehmen. Herr Minister Blüm, wir werden Sie daran messen, und Sie müssen sich daran messen lassen, wie das Ergebnis der Lastenverteilung bei dieser Reform am Ende aussehen wird.

    (Egert [SPD]: Er wird wie immer zurückspringen!)

    Wir, Herr Minister, werden jedenfalls diesen Weg nicht mitgehen.
    Lassen Sie mich noch ein abschließendes Wort zum Thema Rentenversicherung sagen. Die Finanzentwicklung in der Rentenversicherung gibt seit Jahren Anlaß, über die Funktionsfähigkeit des Generationsvertrages nachzudenken.

    (Glocke des Präsidenten)

    — Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident.
    Wenngleich auch im Moment für die Zuschüsse an die Rentenversicherungsträger von 39,5 Milliarden DM keine zusätzlichen Mittel erforderlich sind, so wird doch in absehbarer Zeit ein enormer Bedarf an Finanzierungsmitteln für die gesetzliche Rentenversicherung erforderlich. Eine Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ist aber nur mit den Sozialdemokraten, mit den Gewerkschaften und den Sozialverbänden möglich.
    Herr Minister, wir warten auf Ihre Vorschläge. Ich möchte mich — meine Zeit ist leider abgelaufen — zunächst auch bei den Herren Mitberichterstattern recht herzlich bedanken für die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit in der Vorbereitung dieses Haushalts. Ich bedanke mich vor allem auch bei Herrn Staatssekretär Baden, der hier wohl seine letzte Amtshandlung begeht, für die gute Zusammenarbeit.

    (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

    Meine Damen und Herren, weil dieser Einzelplan 11 erneut zum Verschiebebahnhof für den Bundeshaushalt benutzt worden ist, lehnen wir Sozialdemokraten diesen Einzelplan ab.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Philipp Jenninger
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strube.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hans-Gerd Strube


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Sieler, einen Augenblick habe ich geglaubt, Sie hätten eine sozialpolitische Botschaft,

    (Egert [SPD]: Er hat eine! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Sie haben wieder nicht zugehört!)

    aber dann wurde es doch nur ein Einreihen in die Einheitsfront Ihrer Partei.

    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Lieber Wolfgang Sieler, das war also keine Botschaft, allenfalls — sagen wir einmal — ein Ich-bin-beieuch.

    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat für ihre Bürger die beste soziale Sicherung geschaffen, die es auf dieser Welt gibt.

    (Zuruf von der SPD: Die Sie jetzt abbauen wollen! — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Kein Grund, sie kaputtzumachen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Wir beraten heute den Haushalt des Ministers für Arbeit und Sozialordnung. Dieser Haushalt ist ein sichtbares Zeichen der Sozialpolitik dieser Bundesregierung, der Koalitionsparteien und des Ministers Norbert Blüm.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg. Egert [SPD])

    60,7 Milliarden DM! Noch nie war der Etat des Bundesarbeitsministers so hoch wie heute. Dieser Haushalt ist solide, und alle Bürger, die davon profitieren, können vertrauensvoll auf diese Leistungen bauen.
    60,7 Milliarden DM heißt aber auch, daß es sich wie im Vorjahr um den größten Einzelplan des Bundeshaushalts handelt. Jede dritte Mark gibt der Bund für die Sicherung unseres sozialen Netzes aus.
    Noch ein Hinweis vorweg: Seit dem Regierungswechsel 1982

    (Zuruf von der SPD: Haben Sie erhebliche Leistungskürzungen vorgenommen!)

    haben wir eine Konsolidierungspolitik betrieben, die es uns zum viertenmal hintereinander erlaubt, einen Haushalt vorzulegen ohne Haushaltsbegleitgesetz und ohne Haushaltsstrukturgesetz, also wieder ein Jahr ohne Sparmaßnahmen im Sozialbereich.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Im Gegenteil: Nachdem wir die Trümmer unserer Vorgänger beseitigt haben,

    (Lachen bei der SPD)

    erlaubt es uns unsere Konsolidierungspolitik, neu gewonnene finanzpolitische Handlungsräume im sozial-und familienpolitischen Bereich zu nutzen.

    (Kolb [CDU/CSU]: 7 Milliarden DM Defizit 1982 bei der Bundesanstalt!)

    Der Sozialstaat steht wieder auf festen Füßen, und die Sozialpolitik lebt wieder in Harmonie mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist wahr, die ist auch schwach!)

    Die Inflation ist besiegt, und die Preise sind stabil. Das ist ein großes Stück Sozialpolitik und beruhigt zu Recht unsere Mitbürger.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Noch wichtiger erscheint mir, daß unsere Jugend immer mehr erkennt, daß die Utopie des totalen Sozial- und Versorgungsstaats, die allzulange propa-



    Strube
    giert wurde, letztendlich ein Unrecht am Menschen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von der SPD: Davon träumen Sie! — Dr. Vogel [SPD]: Wiederholen! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Diese Utopie wiegt den Menschen in der Illusion, ihm könne der Lebenskampf erspart bleiben. Eine unnatürliche Passivität und eine falsche Einstellung zur Leistung sind die Folgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der hier zu diskutierende Haushalt ist durch drei große Ausgabenblöcke gekennzeichnet: erstens die Zuschüsse an die Sozialversicherung mit 39,5 Milliarden DM, zweitens die Ausgaben für die Kriegsopfer mit 12,4 Milliarden DM und drittens die Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz und gleichartige Leistungen mit rund 8 Milliarden DM.
    Meine Damen und Herren, bei der Vorbereitung dieses Haushalts haben Gespräche mit den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherungen Übereinstimmung ergeben, daß die kurz- und mittelfristige Finanzentwicklung in der gesetzlichen Rentenversicherung als gesichert angesehen werden kann.

    (Zurufe von der SPD: Wie lange?)

    Die Finanzierungsverpflichtungen sind gesichert. Wie in diesem Jahr, so wird auch 1988 eine mehr als ausreichende Schwankungsreserve zur Verfügung stehen.

    (Egert [SPD]: Wie sieht es mit der mittelfristigen Finanzplanung aus?)

    Das gilt auch für die vorgeschriebene Mindestliquidität. Bis 1990 sind auch bei einer unterstellten ungünstigen Entwicklung keine Schwierigkeiten zu befürchten.
    Meine Damen und Herren, vor uns liegt die große Aufgabe der Strukturreform der Rentenversicherung. Norbert Blüm hat keine Zweifel aufkommen lassen, daß es sich um die Weiterentwicklung des Systems handelt. Im Klartext: Renten bleiben lohnbezogen, Renten und verfügbare Arbeitnehmereinkommen sollen sich gleichgewichtig entwickeln. Die Mehraufwendungen, die sich aus den demagogischen — —

    (Egert [SPD]: Demagogische Reden, wie der Minister sie führt! — Gegenruf des Abg. Kolb [CDU/CSU]: Bei euch fällt uns immer nur Demagogie ein!)

    — Entschuldigung. Ja, Sie können sich nicht versprechen, das ist mir klar. Ja, ereifern Sie sich ruhig.
    Ich sage es noch einmal: Die Mehraufwendungen, die sich aus den demographischen Veränderungen ergeben, sollen auf alle Schultern verteilt werden. Also nicht nur Rentner und Beitragszahler sind angesprochen, sondern auch der Bund, der Dritte in der Verantwortung, muß einen höheren Zuschuß zahlen.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Wo steht das?)

    Dieses Grobmuster wird von vielen mitgetragen. Es
    wäre wünschenswert, wenn es bei den notwendigen
    Feinabstimmungen zu einem breiten gesellschaftspolitischen Konsens kommen würde; denn die Reform muß möglichst für Jahrzehnte Gültigkeit haben. Die Angst der älteren Bürger vor dem Zusammenbruch der Rentenversicherung, wie aus der jüngsten Vergangenheit bekannt, aber auch das demagogische Spiel mit der Angst unserer Rentner — Stichwort „Rentenlüge" — darf zukünftig nicht mehr möglich sein.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was war denn mit dem „Rentenbetrug"?)

    Als Haushaltspolitiker möchte ich zum Thema Sozialversicherung noch zwei Hinweise geben. Ich bekenne mich dazu, daß der Staat zukünftig höhere Zuschüsse leisten muß. Dies darf aber nicht zur einfachen Lösung, zum bequemsten Weg werden; denn jede stärkere Belastung des Staates ist gleichzeitig eine Hypothek für die Zukunft zu Lasten der jüngeren Generation. Deshalb fordere ich die Beteiligten dazu auf, zunächst einmal im eigenen Haus zu suchen, ob sich dort nicht eigene Hilfen finden lassen.
    Eine Schwachstelle ist für mich die Überwachung des Beitragseinzugs durch die Rentenversicherung. Der Bundesrechnungshof hat darauf hingewiesen, daß seit Jahren nicht unerhebliche Beitragsausfälle hingenommen werden. Es wurde sogar der Betrag von 1 Milliarde DM pro Jahr genannt. Wenn das wirklich so sein sollte, hielte ich das für eine skandalöse Höhe. Ich fordere deshalb die deutsche gesetzliche Rentenversicherung auf, hier für Klarheit zu sorgen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ein anderes Thema ist in diesem Zusammenhang die illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Schattenarbeit. Jeder weiß davon, alle reden darüber. Wie viele handeln eigentlich?

    (Dreßler [SPD]: Und die Regierung tut nichts!)

    Wir wissen, daß unsere Volkswirtschaft, den Staatsfinanzen und der Sozialversicherung pro Jahr Milliarden entgehen. Es gibt zwar in der Zwischenzeit Erfolge. 1986 z. B. sind 150 Millionen DM zusätzlich an Beiträgen in der Renten- und Krankenversicherung sowie in der Arbeitslosenversicherung eingenommen worden. Es gibt dort aber noch mehr zu holen, allerdings auch noch mehr zu tun.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Was wollen Sie denn da holen?)

    Meine Damen und Herren, die Situation im Bereich Kohle und Stahl ist ernst, so ernst wie nie zuvor. Neue Technologien, veränderte Nachfragen und neue Wettbewerbssituationen am Markt haben zu strukturellen Veränderungen geführt, die eine Anpassung für die Zukunft notwendig machen. Die Notwendigkeit spüren wir wie in anderen Einzelplänen, z. B. des Bundeswirtschaftsministers, auch im Einzelplan des Bundesarbeitsministers. Für Anpassungshilfen nach dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl stehen für 1988 über 300 Millionen DM zur Verfügung. Entsprechendes gilt für die Finanzplanung bis 1991. Es sind Mittel vorgesehen wie noch nie in der Vergangenheit: allein im Vergleich zu 1987 eine Steigerung um 26,7 %.



    Strube
    Mit großer Sorge betrachte ich die knappschaftliche Rentenversicherung.

    (Beifall des Abg. Cronenberg [Arnsberg] [FDP])

    Als Bundeszuschuß zur Bundesknappschaft ist im Haushalt ein Betrag von 9 Milliarden 125 Millionen DM vorgesehen. Zum Vergleich: 1957, als die Defizithaftung des Bundes die bis dahin geltende Regelung ablöste, zahlte der Bund einen Zuschuß von 519 Millionen DM. Heute sind es fast 18mal soviel. Die Beteiligung des Bundes an den Rentenausgaben der knappschaftlichen Rentenversicherung liegt mittlerweile bei fast 90 %. In einer Zeit, in der für Zukunftsinvestitionen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze dringend Geld gebraucht wird, fließen Milliarden in rein konsumtive Ausgaben. Deshalb müssen sich alle an der Knappschaftsversorgung Beteiligten die Frage gefallen lassen, ob es nicht möglich ist, Umschichtungen zugunsten von Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen vorzunehmen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich erinnere an die vielen Beiträge zum Thema Arbeitsplatzbeschaffung und Arbeitslosigkeit, die wir im Rahmen dieser Haushaltsdebatte bereits gehört haben.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Fangen Sie doch mal bei den Pensionen an!)

    Ich fordere deshalb die Überprüfung der knappschaftlichen Rentenversicherung.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Das ist unverschämt, was Sie sagen!)

    Die kritischen Elemente sind bekannt: hohe Rentenleistungen auch an diejenigen, die nicht der belastenden Situation der Untertagearbeit ausgesetzt sind.
    Lassen Sie mich bei diesem Thema ein Beispiel bringen. Es ist nicht irgendein aus der Luft gegriffenes Beispiel, nein, vielmehr ein Fall, der sich kürzlich in der Praxis tatsächlich ereignet hat. Ich habe dabei lediglich die Namen weggelassen und die Daten ein wenig gerundet, aber mich im übrigen an den Fall gehalten. Wenn Sie dieses Beispiel gehört haben, wird jeder die Frage nach der Stimmigkeit der knappschaftlichen Rentenversicherung mit mir stellen.
    Da sind zwei Krankenschwestern, die ihren Beruf treu und redlich ausgeübt haben. Beide sind 50 Jahre alt, und beide sind erwerbsunfähig geworden. Beide wohnen im selben Ort. Beide haben ihr ganzes Arbeitsleben lang in derselben Stadt in einem Krankenhaus gearbeitet. Der Unterschied liegt nur darin, daß die eine in einem städtischen Krankenhaus und die andere in einem Krankenhaus der Bundesknappschaft gearbeitet hat. Die Krankenschwester aus dem städtischen Krankenhaus erhält eine Jahresrente von 17 983 DM, die in der Knappschaft versicherte Dame erhält 23 980 DM. Das ergibt eine Differenz von 5 997, also rund 6 000 DM, oder monatlich 500 DM.

    (Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Für die Untertagearbeit!)

    Bewußt habe ich dieses Beispiel gewählt, nicht um Bergleute allgemein zu diskriminieren oder um den Bergmann zu treffen, der eine Zeit unter Tage gearbeitet hat und dann im selben Betrieb irgendwo über Tage eingesetzt war. Ich habe vielmehr zwei Fälle aus dem Berufsleben zitiert,

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Reden Sie doch mal über die Beamten!)

    die mit Untertagearbeit wirklich nichts zu tun haben, die aber dennoch wegen der Rentenzahlung gut miteinander vergleichbar sind.
    Ich kenne auch die Gründe, die für die Erhaltung des Systems angeführt werden: Wahrung des Betriebsfriedens zwischen den unter Tage und den über Tage Arbeitenden; Bifunktionalität der Rentenversicherung, also Betriebsrente neben üblicher Alterssicherung.
    Aber wo gibt es das sonst, daß Betriebsrenten mit staatlicher Hilfe gefördert werden?

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Da liegt der Hund begraben!)

    Ich meine, es ist an der Zeit, daß alle Beteiligten im Konsens miteinander die Fragen im Rahmen der Strukturreform der gesetzlichen Rentenversicherung prüfen und für Handlungsspielräume sorgen.

    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

    Ob es die anstehende Rentenreform oder die Strukturreform im Gesundheitswesen ist — beide werden hohl bleiben, wenn die Mitbürger nicht erkennen und wenn wir Politiker ihnen nicht verdeutlichen können, daß ohne ihre Mitwirkung alle Initiativen vergeblich sind. Es muß herausgearbeitet werden, daß die Politik im Einklang mit den Lebensinteressen des einzelnen handelt. Initiativen mit dem Ziel einer stärkeren Solidarisierung sind daher gefragt. Wer sich verweigert, wer nicht bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, verhindert Reformen, die im Interesse der Gemeinschaft geschehen müssen.
    Gestatten Sie mir einige Sätze zur Krankenversicherung. Ich will nicht über künftige Leistungskataloge spekulieren.

    (Egert [SPD]: Das glaube ich!)

    Ich will auch nicht über die ungezählten, meistens unsinnigen Eingaben der Verbandsfunktionäre reden.

    (Zurufe von der SPD)

    Vielmehr spreche ich die Lage der gesetzlichen Krankenkassen in strukturschwachen Gebieten an. Meine Damen und Herren, das Stichwort „Subsidiarität" sollte nicht nur fallen, wenn an den Staat appelliert wird, finanziell auszuhelfen, sondern auch die mittelbaren Träger der Staatsverwaltung selbst sollten dieses Prinzip beherzigen.
    Die Probleme der gesetzlichen Krankenkassen sind uns bekannt; die Ortskrankenkassen drückt es besonders. Eine Skizze aus meinem Wahlkreis: Es gibt Probleme am Arbeitsmarkt. Arbeitskräfte pendeln in entfernte Gebiete, lassen sich aber nach der Saison zu Hause ärztlich behandeln, belasten also die örtliche AOK. Wir verzeichnen einen großen Kinderreichtum, 13,2 Geburten auf 1 000 Einwohner. Im Vergleich: Im



    Strube
    Bundesdurchschnitt sind es 7 Geburten auf 1 000 Einwohner. Das ist für die Kassen sehr problematisch; denn die Kinder sind durch ihre Eltern bei der AOK mitversichert. Die Beitragsschraube dreht sich immer schneller. Hinzu kommt, daß gute Risiken abwandern; Gründung von Betriebskrankenkassen. Dadurch wird die Grundlohnsumme immer geringer.

    (Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Folge?)

    Die Ansiedlung neuer Unternehmen, die dringend notwendig wäre, ist bei 15 und mehr Punkten Krankenkassenbeitrag kaum machbar. Ein Ausbrechen aus dem Teufelskreis erscheint unmöglich.

    (Zuruf von der SPD: Und was macht ihr dann? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Forderung lautet: Hier, wo demographisch die Zukunft des Landes heranwächst, muß ein sozialer Ausgleich unter den Kassen geschaffen werden. Der Familienlastenausgleich ist nicht auf die staatliche Förderung beschränkt. Auch die Sozialversicherung sollte ihn berücksichtigen.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Frau Fuchs [Köln] [SPD]: Der Gedanke ist gut! — Zuruf von der SPD: Machen Sie mal weiter so! — Weitere Zurufe von der SPD)

    Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung vom 18. März 1987 versichert, daß das Leistungssystem der Kriegsopferversorgung durch strukturelle Verbesserungen weiterentwickelt wird. Dieses Versprechen werden wir erfüllen. Nach den Vereinbarungen unter den Koalitionsparteien kommt dafür das Jahr 1989 in Frage. Die Zeit bis dahin verstreicht nicht ungenutzt. Änderungen eines so umfassenden und ausgabeträchtigen Leistungssystems wie des Systems der Kriegsopferversorgung bedürfen sorgfältiger Vorbereitung. Die Vorarbeiten sind schon seit einiger Zeit im Gange.

    (Egert [SPD]: Ach ja?)

    Ziel weiterer struktureller Änderungen in der Kriegsopferversorgung kann nur sein, ein sozial ausgewogenes Versorgungsniveau zu schaffen. Lineare Leistungsverbesserungen sind nicht mehr vertretbar. Sie verursachen unangemessen hohe Aufwendungen und begünstigen in weitem Umfang auch diejenigen, die einer zusätzlichen Hilfe nicht bedürfen. Die Zeiten, in denen Versorgungsberechtigte wirtschaftlich schlecht gestellt waren, sind lange vorbei. Heute gilt es, gezielt zu helfen. Beim Blick in die Zukunft dürfen wir aber nicht vergessen, was seit 1982 zur Verbesserung der Lage der Kriegsopfer schon alles getan worden ist.

    (Egert [SPD]: Sagen Sie mal etwas!)

    Ich will abschließend noch einen Bereich der gesetzlich nicht gebundenen Mittel ansprechen. Meine Damen und Herren, in der Menge liegt nicht immer die Größe. Immer größer, immer höher, immer mehr — das sind häufig die Schlagzeilen unserer Gesellschaft, an denen die Erfolge gemessen werden, Leistungsgesellschaft. Je größer, um so erfolgreicher — Schlagworte, über die manches Mal das Menschliche, die Sorge des einzelnen Menschen in Vergessenheit gerät.
    Wir dürfen aber nie vergessen, daß es neben den I großen sozialen Leistungen, z. B. der Sicherung der Renten und der Versorgung der Kriegsopfer, auch im kleinen manches Leid gibt, um das man sich kümmern muß. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Gesellschaft die Betroffenen ihrem Schicksal überläßt.
    Zwei Beispiele — neben vielen anderen — machen deutlich, daß es sich beim Einzelplan 11 um den Sozialhaushalt handelt.

    (Beifall bei der SPD)

    Rheuma, multiple Sklerose, Parkinsonsche Krankheit, Epilepsie — das sind Plagen der Menschheit.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Das war eine tiefgreifende Aussage! Wie lange haben Sie dafür überlegt? — Weitere Zurufe von der SPD)

    Sie kosten die Volkswirtschaft ein Vermögen. Viel schlimmer aber ist das einzelne menschliche Leid. Wir haben deshalb Mittel in den Haushalt aufgenommen, um zu einer besseren Versorgung der Betroffenen zu kommen. Es sind keine Milliarden, es sind nur neun Millionen. Erfolge aber sind nicht immer nur eine Folge von großen Zahlen. Die Modellmaßnahmen, die damit finanziert werden, sollen zur Verbesserung der Prävention, der Akutbehandlung und der Nachsorge beitragen.
    Das zweite Beispiel dafür, daß der Sozialhaushalt nicht von Zahlen, sondern von Menschen beherrscht wird: Krebs, bei Erwachsenen ein Schicksal, bei Kindern mehr als ein Schicksal. Wenn Kinder, die am Anfang des Lebens stehen, davon betroffen werden, brauchen sie erstklassige medizinische Hilfe. Das ist aber nicht alles. Sie brauchen insbesondere menschliche Betreuung. Deswegen haben wir Mittel eingestellt, um die Versorgungsstrukturen weiter auszubauen, um insbesondere die psychosoziale Betreuung krebskranker Kinder zu verbessern.
    Ich muß aber darauf hinweisen, daß es sich in beiden Fällen nur um Modellmaßnahmen des Bundes handeln kann, weil für die Dauerförderung keine Zuständigkeit besteht. Die Pilotprojekte in Sachen Krebs haben dazu geführt, daß mittlerweile 24 Tumorzentren, 30 Einrichtungen der Kinderkrebsbehandlung, 32 onkologische Schwerpunkte und zehn Schwerpunktpraxen

    (Frau Garbe [GRÜNE]: Sorgen Sie dafür, daß die Schadstoffe aus der Luft genommen werden!)

    mit Bundesmitteln in Höhe von rund 150 Millionen DM gefördert worden sind.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Geht mal ran an die Chemie!)

    Nach ersten Gehversuchen erfolgt schrittweise die Überführung in die Regelfinanzierung.

    (Frau Unruh [GRÜNE]: Mir kommen die Tränen!)

    So kann und muß dieses Modellvorhaben abgeschlossen werden.
    Meine Damen und Herren, ich konnte hier einige sozialpolitische Brennpunkte ansprechen.

    (Zuruf von der SPD: Ja?)




    Strube
    Mein Fazit: Wir haben seit der Wende in der Sozialpolitik viel erreicht.

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: Ja, Leistungen gekürzt!)

    Wir arbeiten mit Nachdruck

    (Dr. Klejdzinski [SPD]: An weiteren Leistungskürzungen!)

    an den Konzeptionen für die Zukunft. Wir christlichen Demokraten wissen, daß wir „niemals fertig" werden.

    (Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Das stimmt! — Alles halbe Sachen!)

    Unser Auftrag lautet, „ständig unterwegs" zu sein.

    (Weitere Zurufe von der SPD)

    Unsere Bürger können sich auf uns, auf die Christlich Demokratische und die Christlich-Soziale Union, verlassen. Meine Fraktion stimmt deshalb dem Einzelplan 11 in der Ausschußfassung zu.

    (Beifall bei der CDU/CSU — Egert [SPD]: Ein überraschender Schluß!)