Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt II der Tagesordnung auf:
Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982
— Drucksachen 9/2049, 9/2138 —Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksachen 9/2276, 9/2286 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Hoppe
Carstens
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist eine Runde vereinbart worden. Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Es ist damit so beschlossen.
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Abwicklung des Bundeshaushalts 1982 geht eine Zeit finanzpolitischer Entscheidungen SPD-geführter Bundesregierungen zu Ende,
die sehr negative Auswirkungen für unser Land gebracht hat und leider noch weiter bringen wird.
Das scheint mir der geeignete Zeitpunkt für eine finanzpolitische Bestandsaufnahme zu sein. Der zweite Nachtragshaushalt 1982 macht deutlich, daß wir in unserem Land überaus große wirtschaftliche
und finanzielle Probleme haben. Die Nettoneuverschuldung, die mit etwa 26,7 Milliarden DM vorgesehen war, mußte auf etwa 40 Milliarden DM aufgestockt werden. Die Differenz war dafür zu verwenden, daß die drastischen Steuerausfälle abgedeckt werden konnten, die Kosten für die Arbeitslosigkeit und Reparaturkosten für notleidend gewordene Wirtschaftsbereiche getragen werden konnten.
Die Lasten der Schulden und der Arbeitslosigkeit drücken schwer. Die SPD hat uns in der Tat große, schwere Hypotheken überlassen, die wir uns abzutragen bemühen. In diesem Zusammenhang lassen Sie mich sagen, meine Damen und Herren, daß ich für vieles in der Politik Verständnis habe, aber nicht dafür, daß die SPD nun so tut, als habe sie mit den Problemen und Schwierigkeiten unseres Landes überhaupt nichts zu tun.
Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sind es doch gewesen, die uns diese Probleme eingebrockt haben. Es ist schon schlimm, wie Sie versuchen, sich für Ihr Versagen aus der Verantwortung zu stehlen.
In diesem Zusammenhang möchte ich kurz darauf abheben, was in den letzten Stunden, vor allen Dingen im Laufe des gestrigen Tages, an Anträgen von seiten der SPD ins Plenum geflattert ist.
Da liegen nun mittlerweise -zig Anträge vor, die jedem und allem noch neues Geld versprechen. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie verteilen Geld, das Sie gar nicht haben.
Wir werden dafür sorgen, daß diese Anträge abgelehnt werden. Unter der Regierung von CDU/CSU
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Carstens
und FDP werden in Zukunft die Staatsfinanzen solide verwaltet werden. Dafür werden wir sorgen.
Meine verehrten Damen und Herren, zur finanzpolitischen Bestandsaufnahme gehört, daß man dort anfängt, wo Sie die Regierung übernommen haben, nämlich 1969. 1969 hatten wir — das vermögen die Bürger weithin nicht für möglich zu halten — einen Überschuß in der Bundeskasse.
Bis 1969 sind Wohlstand und Sozialstaat ohne nennenswerte Kreditaufnahme finanziert worden. In 20 Jahren zusammengenommen haben CDU-geführte Regierungen soviel Kredit aufgenommen, wie Sie in vier bis fünf Monaten zur Finanzierung des Bundeshaushalts aufgenommen haben.
Unser Land war ein blühendes, erfolgreiches Gemeinwesen ohne Ängste vor der wirtschaftlichen Zukunft. Das ganze Volk — und das ist das Besondere hieran — hatte Anteil an diesem wirtschaftlichen Erfolg, Arbeitnehmer wie Arbeitgeber. Das war ein großer Erfolg unionsgeführter Bundesregierungen bis 1969.
Diesen Wohlstand und diesen wirtschaftlichen Erfolg haben wir mit einer Staatsquote von 38 bis 39 % zustande gebracht,
d. h. diejenigen, die etwas erarbeiteten, die etwas leisteten, behielten das meiste von dem, was sie erarbeitet und geleistet hatten. Allein auf Grund des Wachstums der Wirtschaft, aus der Wirtschaftskraft heraus, war es uns möglich, diesen beispielhaften Sozialstaat zu bauen.
Und dann begannen Sie 1970 mit Ihrer Regierung
und taten das, was alle tun, die sozialistisch denken. Sie gingen als erstes daran, den öffentlichen Korridor zu erweitern. Sie wollten die vermeintlich öffentliche Armut abbauen. Wie gesagt: Das ist das Ziel aller, die sozialistisch denken.
Sie erhöhten die Abgabenlast der Bürger und vermehrten die Kreditaufnahme und das nicht nur einmal, sondern Jahr für Jahr neu. Das hat dazu geführt, daß wir 1982 bei der Staatsquote erstmals auf
über 50 % gekommen sind. Wir haben nun eine Staatsquote von 50,3 %. Im „Orientierungsrahmen" der SPD waren nur 45 % vorgesehen. Selbst diesen Rahmen hat man um 5 % überschritten. Wenn man das jetzt volkswirtschaftlich ausdrückt, heißt das, daß 11 bis 12 % des Bruttosozialproduktes, dessen, was alle Bürger erarbeiten — das sind 180 Milliarden DM —, nicht mehr von denen ausgegeben werden können, die sie erarbeitet haben, sondern dieses Geld fließt über öffentliche Kassen und wird von der öffentlichen Hand ausgegeben.
Und hierin liegt der Hauptgrund für die jetzige Misere unseres Landes.
Meine Damen und Herren, überall in der Welt, wo man auf diese Politik vertraut hat, ist man gescheitert. Und überall, wo man darauf vertrauen wird, wird man auch in Zukunft scheitern, so wie die SPD in Deutschland gescheitert ist.
Der Hauptgrund wird von der SPD dann in Ausreden gesucht: im Ausland, beim Öl, bei den hohen Zinsen usw.
Aber ich kann Ihnen sagen, daß wir nach dem Kriege schon andere Krisen meistern mußten. Es gab immer Krisen: die Korea-Krise, die Kuba-Krise, die Vietnam-Krise.
Mit diesen Problemen sind wir fertig geworden in unserem Lande. — Das sind nur faule Ausreden für Ihr Versagen.
Diese Politik soll vermeintlich für den kleinen Mann sein. Das ist sie aber nur für eine Übergangszeit von wenigen Jahren, solange man noch aus dem Vollen schöpfen kann. Dann schlägt sie dem kleinen Mann voll ins Gesicht, wie wir es jetzt erleben.
Die Wirkung dieser Abgabenlasterhöhung liegt nämlich darin, daß dem einzelnen trotz harter Arbeit nur ein sehr niedriges Nettoeinkommen verbleibt. Der Anreiz für Fleißige fehlt. Die Betriebe haben ein zu niedriges Eigenkapital. Es gibt zuwenig Zukunftsinvestitionen. Das ist die eine Seite. — Auf der anderen Seite wirkt diese Abgabenlasterhöhung bei den anderen, die daraus Geld bekommen, so, daß das Anspruchsdenken gefördert wird. Das ist ein Hindernis für die Eigeninitiative. Es gibt viele Bereiche, in denen man nachweisen kann, daß sich vermehrter Einsatz, vermehrte Arbeit überhaupt nicht mehr lohnen, weil dem Bürger von dem, was er mehr leisten möchte, netto nichts verbleibt.
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Carstens
Also ist das ein Hindernis für mehr Eigeninitiative.
Die Wirkung der Kreditaufnahme ist wie folgt zu beschreiben:
Der Staat nimmt die Kredite auf
und verwendet sie in erster Linie für konsumtive Zwecke
oder für investive Maßnahmen, die aber meistens sehr hohe Folgekosten haben und nur für eine sehr kurze Zeit Arbeitsplätze schaffen. Aber selbst diese Investitionen des Staates sind trotz der erhöhten Kreditaufnahme ganz entscheidend zurückgegangen. Im Vergleich zu 1969 haben wir heute 4 % weniger Investitionen in den Haushalten. Das ist bei dem Volumen des jetzigen Haushaltsjahrs jährlich eine Summe von etwa 10 Milliarden DM.
Auf der anderen Seite steigen durch die Kreditaufnahmen des Staates die Zinsen. Die private Seite kann nicht mehr investieren. Denken Sie an die letzten Jahre! Welcher Privatmann war noch in der Lage, sich ein Haus zu bauen? Welcher mittelständische Betrieb war noch in der Lage, Investitionen durchzuziehen? So nimmt es nicht wunder, daß die Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland — wiederum im Vergleich zu 1969 — um 5,2 % zurückgegangen sind. Das ist ein Volumen von über 80 Milliarden DM. Wenn heute noch so viel investiert würde wie 1969, hätten wir Mehrinvestitionen von 80 Milliarden DM, und über Arbeitslosigkeit brauchten wir in diesem Parlament überhaupt nicht zu reden.
Zum weiteren kommen erhebliche Zinslasten auf den Bund zu. Sie von der SPD, meine Damen und Herren, lamentieren über unsere Kürzungsvorschläge, über unsere Kürzungsbeschlüsse. Gestern haben wir das den ganzen Tag über uns ergehen lassen müssen.
Das Gesamtpaket beinhaltet Kürzungen von 5,6 Milliarden DM. Der Bund muß alleine im Jahre 1983 28 Milliarden DM Zinsen für seine Schulden zahlen. Das ist das Fünffache von dem, was wir hier zur Kürzung vorschlagen. Das heißt, wenn wir diese Zinslast nicht hätten, dann brauchten wir über Kürzungsmaßnahmen unserer Regierung überhaupt nicht zu reden. Sie sind es, die diese Kürzungsvorschläge und Kürzungsanträge und -beschlüsse verursacht haben, und Sie sind es, die die Verantwortung dafür zu tragen haben.
Dann reden Sie von Umverteilung von unten nach oben. Von 1974 bis 1982 sind allein vom Bund
hundert Milliarden Mark Zinsen bezahlt worden. Nun frage ich Sie: Wer hat die Zinsen bekommen, und wer hat sie gezahlt? Einmal sind es die Saudis und zum anderen die Bürger, die in Deutschland Geld haben, und bezahlt wurde es über die Steuern, die in erster Linie die Arbeitnehmer, die kleinen Leute aufzubringen hatten.
Ergebnis dieser Politik sind eine totale Verschuldung unseres Staates, und jeglicher finanzpolitische Spielraum ist aufgebraucht, allein schon wegen der Zinslast. Wir haben mittlerweile 2 Millionen Arbeitslose, und jeder Bürger muß wissen, daß wir im Januar/Februar 2½ Millionen Arbeitslose haben werden und 1 Million Kurzarbeiter.
3½ Millionen Arbeitslose und Kurzarbeiter in Deutschland — das ist das Ergebnis der SPD-Politik.
Wir müssen das wegräumen, was in unserem Lande durch Ihre Politik bewirkt wurde.
Die SPD-Politik verdient die Note ungenügend, die SPD hat versagt, Sozialdemokraten haben in Deutschland abgewirtschaftet.
Nun liegt es dem deutschen Volk eigentlich gar nicht, auf Pump zu leben.
Das ist von der ehemaligen Regierung dem deutschen Volk verordnet worden,
und nun müssen es alle ausbaden.
Um ein Wort von Ihnen umzuwandeln, möchte ich sagen: Sie haben unser Land kaputtverschuldet, und wir müssen es nun gesundsparen.
Und Sie erdreisten sich auch noch, so zu tun, als ginge Sie das alles nichts an. Vor allen Dingen die Arbeitnehmer haben den Nachteil zu tragen. Die Arbeitnehmer mit ihren Familien sind die Leidtragenden.
Viele Frauen können nicht mehr mitarbeiten, obwohl sie es gerne täten. Überstunden können nicht mehr gemacht werden. Statt dessen ist Kurzarbeit zu leisten. Die Einnahmen, auf die man sich in den Familien eingerichtet hat, kommen nicht mehr. In vielen Bereichen muß man durch die Politik, die Sie verursacht haben, kurzertreten.
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Carstens
Nun sind wir ans Werk gegangen.
Nun haben wir mit dem Haushalt 1983 den ersten Schritt gemacht, der nötig war. Wenn wir diese Arbeit nicht geleistet hätten, wären 55 Milliarden Mark Neuverschuldung im Jahre 1983 auf uns zugekommen.
Durch unsere Beschlüsse — teilweise durch Übernahme derer, die Sie vorbereitet haben — ist es nun gelungen, auf 40 Milliarden zu kommen, ein gewaltiger Kraftakt, der von uns gemeinsam mit der FDP in dieser kurzen Zeit geleistet wurde.
Wir haben den Haushalt zwar nur kurz beraten können, aber er ist nicht oberflächlich beraten worden. Es kommt hinzu, daß wir der Wohnungswirtschaft kräftige Impulse gegeben und steuerliche Entlastungen für die mittelständischen Betriebe beschlossen haben, denen Schwierigkeiten gemacht wurden durch die Steuerschraube und durch die Abgabenlast, die immer höher wurde.
Ich möchte damit abschließen,
daß ich zum Ausdruck bringe: Wir von der Union sind die große politische Kraft,
die in der Lage ist, das Ruder herumzureißen.
Ich freue mich darüber, daß uns die FDP dabei helfen will. Das ist uns sehr willkommen. Es wäre für unser Land verhängnisvoll, wenn nach dem 6. März 1983 die SPD mit den Grünen, die rot-grüne Koalition also regieren würde. Das wäre eine Koalition der Verneinung, die für unser Land Unheil brächte.
Unsere Aufgabe ist es nun, das zurückzudrehen, was in Deutschland über zehn Jahre lang falsch gemacht wurde. Das ist nur so zu bewirken, daß wir die Ausgaben des Staates zurückfahren, aber nicht um zu sparen, sondern um dadurch weniger Kredit aufnehmen und um dadurch die Abgabenlast zurücknehmen zu können. Das, was zehn Jahre lang in die falsche Richtung ging, muß von uns langsam, aber sicher wieder zurückgenommen werden. Ich bin froh darüber, daß die überwältigende Mehrheit der Bürger diese Notwendigkeit einsieht. Die Bürger wissen, daß die Opfer von heute die Investitionen und die Arbeitsplätze von morgen sind.
Wir müssen alle zusammenstehen, wir müssen alle eine große gemeinsame Anstrengung unternehmen. Die Unternehmer — sie müssen mehr investieren, und sie müssen Preisdisziplin wahren. Ich möchte gerade die jungen Menschen anregen, Mut zu haben, sich in dieser Zeit selbständig zu machen. Das ist das, was wir brauchen: neue Existenzgründungen in unserem Lande.
Die Tarifpartner — sie müssen mit einer verantwortungsvollen Lohnpolitik zum Aufschwung beitragen. Dazu gehören Qualitätsarbeit und Fleiß aller Arbeitnehmer. Der Staat, der Bund muß mit dem Abbau der öffentlichen Verschuldung weitermachen, damit weitere Zinssenkungen möglich sind.
Er muß weitere Schritte zur Investitions- und Wachstumsförderung unternehmen, zur Ausgestaltung des Steuersystems — spätestens ab 1984 — in diesem Sinne.
Wir müssen politische und bürokratische Hemmnisse abbauen. Ich darf sozusagen in einer Klammer hinzufügen, daß auf Grund unseres Beschlusses im Bundestag in der letzten Woche die Kraftwerks-Union z. B. ihre angekündigte Entscheidung, Kurzarbeit durchzuführen, zurückgenommen hat.
Der Bundesbank möchte ich empfehlen, weitere Spielräume für Zinssenkungen zu nutzen.
Die Kreditwirtschaft möchte ich auffordern, diese Zinssenkungen in vollem Umfang an die Wirtschaft weiterzugeben.
Alle aber müssen wir uns darauf einstellen, noch ein, zwei Jahre kürzer zu treten. Ein, zwei Jahre wird es dauern, bis wir die ersten sichtbaren Erfolge vorweisen können.
Dem ganzen Volk rufe ich zu:
Haben Sie Vertrauen zur Politik der Sozialen Marktwirtschaft und zur Leistungsfähigkeit des deutschen Volkes.
Vielleicht ist dies die richtige Minute,
um schon jetzt den Beamten im Finanzministerium für ihre Arbeit zu danken, die sie bei der Erstellung dieses Haushaltes geleistet haben, vor allen Dingen aber um Dank zu sagen dem Minister, dessen Handschrift dieser Haushalt trägt: unserem Finanzminister Dr. Gerhard Stoltenberg.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach-
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Wieczorek
dem wir gestern den Einzelplan 04 beraten und dabei die Grundzüge der Politik — einschließlich der Schaufensterreden — gehört haben,
habe ich eigentlich erwartet, Herr Kollege Carstens, daß wir uns heute sachlich mit dem Haushalt auseinandersetzen, daß wir jetzt wirklich zwei Tage lang eine Haushaltsdebatte führen, wobei auch die politischen Begleitumstände angesprochen werden.
Ich muß allerdings sagen: Sie haben an das angeknüpft, was gestern hier schon von Ihrem Bundeskanzler gesagt wurde. Ich möchte daran nicht Kritik üben, sondern versuchen, mit der gebotenen Sachlichkeit an dieses Thema heranzugehen.
Meine Damen und Herren, der jetzt aufgerufene Nachtragshaushalt ist die Basis für den Haushalt 1983 und für die folgenden Jahre. Leider hat es diese Regierung gescheut, Licht in die mittelfristige Finanzplanung zu bringen.
Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit scheinen unter dem Gesichtspunkt der bevorstehenden Wahlen nicht mehr oberstes Gebot zu sein.
Ohne die Debatte während der Aktuellen Stunde noch einmal aufrollen zu wollen, nur eine Anmerkung dazu: Alle Kreise unserer Bevölkerung, die Wirtschaft wie die Gewerkschaften, können das vielzitierte Vertrauen in unseren Staat nur gewinnen, wenn sie wissen, was der Staat in den nächsten Jahren von ihnen erwartet, und wenn sie wissen, was sie vom Staat zu erwarten haben.
In der Debatte ist gestern sowohl vom Bundeskanzler als auch vom Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger immer wieder der Versuch unternommen worden, unter Außerachtlassung der dringend gebotenen intellektuellen Redlichkeit an die Existenzangst und an die Gefühle der Menschen draußen zu appellieren. Die Verschleierungspolitik mündete in einer Verleumdungskampagne gegenüber der sozialliberalen Koalition.
Es ist schon erstaunlich, meine Damen und Herren, mit welcher Selbstgefälligkeit Herr Dr. Dregger Eigenlob verteilt, und es fehlt jeder Ansatz, ja jede Fähigkeit zur Selbstkritik.
Alle positiven Entwicklungen der letzten Wochen wie beispielsweise die Zinssenkungen werden als persönliches Verdienst verfrühstückt, während alle nicht gestoppten negativen Entwicklungen kaltschnäuzig der letzten Regierung zugeordnet werden.
Meine Damen und Herren, für die Beratung des Haushaltsplans 1983 auf der Basis des Nachtrags
1982 war Geschäftsgrundlage — das hat Herr Dr. Dregger sehr deutlich gemacht — der Wunsch aller Parteien, zu Neuwahlen zu kommen. Der Haushaltsausschuß hat sich bemüht, mit Hilfe der mitberatenden Ausschüsse, die einen Großteil der Arbeit übernommen hatten, trotzdem noch eine der Wichtigkeit der Aufgabe entsprechende seriöse Beratung durchzuführen. Man konnte sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß die Kollegen aus der neuen Koalition im Ausschuß nicht frei in ihren Entscheidungen waren. Aber, meine Damen und Herren, Eindrücke zählen nicht, sondern Mehrheiten entscheiden.
Nur müssen wir uns darüber klar sein, daß die Glaubwürdigkeit unseres demokratischen Prinzips auf dem Spiel steht, wenn auf der einen Seite die Kontinuität der Regierungsarbeit beschworen wird und auf der anderen Seite eine radikale Abkehr von den Grundannahmen einer sozial orientierten Politik erfolgt.
Das Glück der Leistung, Herr Dr. Dregger, ist unbestritten für den arbeitenden Menschen und auch für uns ein sehr hoch anzusetzender Gradmesser für die persönliche Befriedigung. In Ihrer Lesart heißt das aber, daß Sie diejenigen, die sich erst auf die Leistungsfähigkeit vorbereiten wollen, nicht in die Lage versetzen, die Voraussetzungen für dieses von Ihnen beschworene Glücksgefühl zu schaffen, indem Sie nämlich den Fähigsten unter unseren jungen Menschen den Zugang zu den Bildungseinrichtungen dieses Staats verwehren, indem Sie ihnen die materiellen Voraussetzungen — beispielsweise beim BAföG — beschneiden,
ohne — das möchte ich noch einmal betonen — daß der Bundeshaushalt dadurch entlastet wird. Das ist eine Verlogenheit Ihrer Politik!
Ich kann daraus und auch aus Ihrer Vernebelungstaktik im Grunde genommen nur die Schlußfolgerung ziehen, daß Sie die Krise benutzen wollen, um damit soziale Entwicklungen, soziale Reformen der vergangenen Jahre brutal zurückzudrehen, zum Schaden des kleinen Mannes, des schwächsten Glieds in dieser Kette.
Meine Damen und Herren, auch wir Sozialdemokraten sind betroffen darüber, daß für das Haushaltsjahr 1982 ein zweiter Nachtrag nötig ist.
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Wieczorek
Auch wir hätten diesen zweiten Nachtrag einbringen müssen.
Ich kann Ihnen allerdings versprechen, daß die Ergebnisse des zweiten Nachtrags anders ausgesehen hätten, als Sie sie uns heute hier mit Ihrem Entwurf vorlegen.
Ich würde gern mit der gebotenen Sachlichkeit eine kurze Analyse dessen geben, was einfach notwendig ist, Herr Kollege, um die Dinge zu verstehen. Entschuldigen Sie, wenn es bei Ihnen dann wie Nachhilfeunterricht ankommt. Aber nach den Reden, die ich von Ihnen bisher gehört habe, scheint mir Nachhilfe durchaus notwendig zu sein.
Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß nach den neuesten Schätzungen, die wir haben — beispielsweise vom IWF —, das Exportvolumen der Industrieländer insgesamt um fast 11 % gesunken ist. Nehmen Sie doch weiter zur Kenntnis, daß die Franzosen, unsere Nachbarn, bei denen der Bundeskanzler seinen Besuch gemacht hat, einen Fehlbetrag von 50 Milliarden Franc allein im Handelsverkehr haben. Nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, daß es in den USA mittlerweile 12 Millionen Arbeitslose gibt.
— Sie wollen doch gar nicht wissen, woher die Krise kommt, weil es sonst Ihre eng gestrickte, kurzatmige Lesart hier überspielen würde, Herr Kollege.
Sie wollen auch nicht zur Kenntnis nehmen, daß wir in den 15 Staaten der Europäischen Gemeinschaft mittlerweile fast 30 Millionen Arbeitslose haben.
Das sind Fakten, die Sie einfach zur Kenntnis nehmen müssen.
In dieser wirklich dramatischen weltwirtschaftlichen Situation spricht die CDU in ihrer komischen Dokumentation aber von anderen Dingen. — Aber ich weiß gar nicht, warum das eine Dokumentation sein soll. Unter einem Dokument habe ich mir bisher eigentlich etwas vorgestellt, was eine notariell beglaubigte Wahrheit enthält. Was ich jedoch bei Ihnen als „Dokumentation" sehe, sind Pamphlete, keine Dokumentation. Das ist auch wieder ein Teil der Kampagne, dieses deutsche Volk für dümmer zu halten, als es in Wirklichkeit ist.
Sie wollen, meine Damen und Herren, bis zum 6. März dem Wähler Sand in die Augen streuen.
Hier soll von Ihnen wieder die Erblastlegende — und ich sage ganz offen: die Erblastlüge — untermauert werden.
Meine Damen und Herren, auch der SPD nicht unbedingt nahestehende Persönlichkeiten — sehr vorsichtig ausgedrückt — wundern sich über die von der CDU/CSU kaltschnäuzig vertretene und von der FDP leider mitgetragene Erblasttheorie. Sie sollten darüber einmal mit Herrn Professor Dahrendorf reden. Er wird von der FDP j a wirklich sehr geschätzt. Wenn ich richtig orientiert bin, ist er von Herrn Genscher j a wohl als Leiter der Naumann-Stiftung vorgesehen gewesen.
— Er ist es mittlerweile also schon.
Ich würde Ihnen gern einmal eine Passage von Herrn Dahrendorf vorlesen. Sie geht mir sehr genüßlich über die Lippen. Herr Dahrendorf hat gesagt — ich zitiere —:
Von Erblast sprechen neue Regierungen immer und überall. Im Fall der Bundesrepublik ist das vielleicht merkwürdig, weil die alte Regierung ja in der neuen Regierung, z. B. im wirtschaftlichen Bereich, vertreten ist.
Er sagt weiterhin:
Die Bundesrepublik hat in dieser schwierigen Zeit vergleichsweise gut abgeschnitten. Auch die Staatsverschuldung in der Bundesrepublik ist keineswegs ungewöhnlich.
Er hat die Darstellungen mit einer Zahlenreihe untermauert, die Sie sich wirklich noch einmal vor Augen führen sollten.
Er hat auf einige Länder Bezug genommen. Beispielsweise hat er dargestellt, daß die Bundesrepublik eine Verschuldungsrate, gemessen am Bruttosozialprodukt, von 34 % hat, während sie in Belgien 70 %, in Dänemark 44 %, in Großbritannien fast 60 %, in den USA — im vielgeliebten und vielgerühmten Amerika — 48 % beträgt.
— Herr Kollege, ich habe ja gesagt, ich gebe Nachhilfeunterricht. Wenn Sie mich fragen wollen, gebe ich Ihnen gern noch nähere Auskünfte. — In der Schweiz sind es 26 %, in Japan 46 % und in Frankreich 16 %. Meine Damen und Herren, daraus ist zu ersehen, daß die Bundesrepublik keineswegs einen so schlechten Stand hat, wie Sie es in Ihren Horrormeldungen dem deutschen Volk deutlich machen wollen.
Daß diese wirtschaftspolitischen Krisen die Bundesrepublik als einen typischen Industrie- und Exportstaat nicht unbeeinflußt lassen, ist doch selbst für Sie einsehbar. Meine Damen und Herren, wir
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sind ein rohstoffarmes Land. Unser Reichtum liegt in der Intelligenz und der Arbeitskraft der Menschen dieses Landes. Wir müssen Rohstoffe einführen, sie veredeln und wieder exportieren. Dazu brauchen wir aber gut ausgebildetes Personal. Deshalb — das sei nur angemerkt — halte ich die BAföG-Kürzungen allein aus diesem Grunde für Schwachsinn.
Die Rechtskoalition streicht damit nämlich nicht nur Etatansätze; sie streicht oder, besser gesagt, sie vermindert damit unsere Zukunftsaussichten.
Lassen Sie mich aber zum gedanklichen Ausgangspunkt zurückkommen. Seit 1973 halten die Ausfuhren der Industrieländer mit dem Wachstum der Weltexporte nicht mehr Schritt. In den letzten acht Jahren ging ihr Anteil am internationalen Warenaustausch um 7 % zurück. Besonders schleppend verlief der Handel zwischen den Industrienationen selbst. Machte ihr Warenaustausch 1973 noch mehr als die Hälfte der gesamten Weltexporte aus, so ist ihr Anteil inzwischen auf knapp 40 % gefallen. Als Folge der Ölverteuerung konnten auch die ölexportierenden Länder ihren Anteil ausweiten. Auch die sonstigen Entwicklungsländer konnten gegenüber 1973 Anteile dazugewinnen. Das weitere kraftvolle Drängen der Schwellenländer auf den Markt hat den Absatz nur noch durch Verdrängung der Konkurrenten möglich gemacht.
Meine Damen und Herren, das alles führt zu einem Anpassungsbedarf, der uns zweimal trifft. Auch hier wird im Augenblick eine Verschleierungstaktik betrieben. Wir haben es mit einer strukturellen Krise zu tun. Wir haben es aber auch mit einer gleichzeitig ihren Höhepunkt findenden konjunkturellen Krise zu tun. Als Beispiel könnte man die Flugzeugindustrie nehmen. Als Beispiel könnte man aber auch auf den Werftbereich verweisen. Ebenso könnte man die Stahlindustrie als Beispiel nennen. Man könnte auch über den Kohlenbergbau sprechen.
Lassen Sie mich wegen der Kürze der Zeit beispielhaft nur auf den Kohlenbergbau eingehen. Aus der laufenden Förderung gehen zur Zeit wegen der gedrosselten europäischen Stahlerzeugung, der allgemeinen konjunkturellen Schwierigkeiten und der Stagnation im Stromverbrauch monatlich etwa eine Million t auf Halde. Diese werden die Rekordhöhe des Frühjahrs 1978 wohl übersteigen. Damals waren etwa 23 Millionen t unverkäuflich. Hinzu kommt noch die nationale Kohlereserve mit 10 Millionen t. Damit haben wir Kohleberge, die mehr als ein Drittel der Jahresproduktion betragen, Kohleberge mit einem Wert von 8 Milliarden DM.
Die Ursachen dafür liegen im Kern doch in der Weltwirtschaftskrise. Sie sind doch nicht hausgemacht; das wissen Sie. Hausgemacht und bedenklich ist es aber, wenn Sie im Bundeshaushalt Streichungen bei den Forschungstiteln vornehmen, und zwar bei Kohletechnologien und bei der Stahlforschung.
Damit werden die Zukunftsaussichten für den deutschen Kohle- und Stahlmarkt zusammengestrichen.
Schauen Sie sich als weiteres Beispiel den Stahlmarkt an. Nur ein Bruchteil der ursprünglich vorgesehenen Stahlproduktion kann abgesetzt werden. Der Stahlmarkt unterliegt einem Preiskampf, der von den einzelnen Ländern mit Milliardenbeträgen gestützt wird. So hat die britische Regierung in den letzten Wochen der staatlichen British Steel die Schulden in Höhe von 4 Milliarden DM erlassen. Das RWI spricht in einer Studie von weiteren Verdüsterungen des westdeutschen Stahlmarktes. Vor allem die Aufträge der Investitionsgüterindustrie aus dem Inland und aus dem Ausland seien bedenklich gesunken. Der Rückgang vom ersten zum zweiten Quartal betrug bei den Rahmenwerten sogar 18 %. Graf Lambsdorff, ich möchte Sie gerne fragen: Was haben Sie eigentlich in Brüssel getan, um eine vernünftige Konstruktion in den westdeutschen Stahlmarkt zu bringen? Wo sind eigentlich die von der Bundesrepublik initiierten EG-Beschlüsse? Wo haben wir uns ein Instrumentarium geschaffen, um mit der Stahlkrise und der damit einhergehenden Kohlekrise fertig zu werden. Denken Sie daran: Wir haben Mitte der 70er Jahre in diesem Bereich noch über 470 000 Beschäftigte gehabt. Heute haben wir nur noch 258 000 Mitarbeiter.
Meine Damen und Herren, man kann die Weltwirtschaftskrise nicht beschreiben. Man kann nur versuchen, sie an einzelnen Stellen darzustellen. Man muß einfach zur Kenntnis nehmen, daß wir in diese Krise eingebunden sind. Es zeugt schon von einer ungeheuren Ignoranz, zu sagen, nicht Nachfrageschwäche und weltwirtschaftliche Abhängigkeiten, sondern die hausgemachten Ursachen des wirtschaftlichen Abschwungs hätten viele Unternehmen zur Aufgabe gezwungen. Das alles ist eine Haltung der Ignoranz und nimmt die wirklichen Dinge nicht zur Kenntnis.
Wenn wir im politischen Raum so arbeiten, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn den etablierten Parteien Mißtrauen entgegengebracht wird, ja wenn man sich anderen politischen Organisationen zuwendet.
Die Sozialdemokraten werden diesen Nachtragshaushalt ablehnen. Bei der Einbringung des Haushalts habe ich noch davon gesprochen, daß wir ihn in den Teilen annehmen wollten, wo wir glauben, daß er auch von uns hätte eingebracht werden müssen. Sicher hätten wir den Bereich der Steuermindereinnahmen auch von uns aus mitgetragen. Nur, die Lösungsmöglichkeiten, die Sie in diesem Nachtragshaushalt gefunden haben, halten wir nicht für sinnvoll. Wir glauben, daß Sie diesen Nachtragshaushalt nicht ehrlich gemacht haben. Wir glauben, daß dieser Nachtragshaushalt und die nichtvorgelegte mittelfristige Finanzplanung einer Gesamtplanung von Ihnen unterliegen, die da heißt: Ihr eigenes und eigentliches Regierungsprogramm, das Sie nach dem 6. März umsetzen wollen, nämlich das Programm, das in dem Papier des Wirtschaftsministers als „Lambsdorff-Papier" zusammengefaßt ist, das Sie hier aber nicht gern nennen wollen. Aus die-
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sem Grund lehnen wir diesen Nachtragshaushalt ab.
Meine Damen und Herren! Darf ich zu den zwischenmenschlichen Beziehungen im Hause einen kleinen Beitrag leisten: Der Herr Abgeordnete Magin hat heute seinen 50. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Zumpfort.
— Einen Moment, Herr Abgeordneter Dr. Zumpfort. Was sollte der Zwischenruf bedeuten?
— Nein, nein; das mache ich schon selber. Was ist?
— Herzlichen Glückwunsch, Herr Esters, zu Ihrem Geburtstag!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion darf ich dem Kollegen Esters, dem Vorsitzenden unseres Haushaltsausschusses, auch von dieser Stelle herzliche Glückwünsche aussprechen und gleichzeitig recht herzlich für seine faire und stets der Sache dienende Wahrnehmung der Vorsteherfunktion danken.
Ohne diese Arbeit wären wir, glaube ich, nicht so weit und nicht so problemlos über die Runden gekommen.
Wir reden hier über den Nachtragshaushalt 1982, sprich: über ein Stück Geschichte. Herr Kollege Wieczorek, ich schätze Sie als sachlichen und fairen Kollegen, aber ich bin etwas verwundert, daß Sie diesen Teil der Geschichte nicht akzeptieren wollen, der j a unser gemeinsames Erbe ist, und daß Sie sagen, Sie stimmen dem nicht zu. Es bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen, weil wir das, was jetzt im zweiten Nachtragshaushalt auf uns zukommt, als FDP/SPD-Regierung beschlossen haben und daher gemeinsam verantworten müssen.
Eine Bemerkung zu einem anderen Thema. Sie sagten soeben, daß man bei der Kohleforschung und der Stahlforschung nicht kürzen dürfe. Ich nehme an, Sie haben bei Ihrem Vortrag zu wenig Zeit gehabt, sonst hätten Sie darauf eingehen müssen, daß zur Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe der alte Forschungsminister nicht etwa bei Mikroelektronik gekürzt hat — da hat er zugelegt —, sondern gerade bei den Punkten, wo Sie es
jetzt beklagen. Da muß man also bei der Wahrheit bleiben.
Das ist nicht etwas, was man der neuen Regierung anlasten kann.
Ich schließe eine recht persönliche Bemerkung an. Als wir nach den sehr intensiven Verhandlungen und Beratungen über den Haushalt 1982, die ja in ihrer Sprengwirkung und in der Intensität der Arbeit für uns Haushälter so schwierig waren wie die Beratungen über den jetzigen Haushalt 1983, im 25. Stock im Haushaltsausschußsekretariat zusammensaßen, gab der Kollege Claus Grobecker ein kleines Beispiel seiner Schauspielkunst. Er stellt dar, wie eigentlich der wirkliche Haushälter nach solch einer Marathonaufgabe auszusehen hat, nämlich wie ein Buchhalter, der 50 Jahre hintereinander immer Zahlen addieren und subtrahieren mußte und der dann eigentlich nur noch depperte Reflexbewegungen macht.
Und so eilte Grobecker mit schiefer Kinnlade an der Wand vorbei und sagte: Gott sei Dank, der Haushalt ist beraten, aber keine Zahl stimmt.
Keine Zahl stimmt! Dieser Scherz — das müssen wir heute merken, und das verstehen eigentlich nur die Haushälter — ist leider wahr geworden. Er ist viel schneller wahr geworden, als wir uns das haben träumen lassen.
Wir stehen heute vor der Tatsache, daß wir zum zweitenmal einen Haushalt, von dem man normalerweise annimmt, daß er endgültig feststeht und daß er für die Zukunft die Probleme richtig beschreibt und so gefahren werden kann, ergänzen müssen. Wir müssen den Ansatz für 1982 zum zweitenmal korrigieren. Wir ahnten zwar damals, daß wir in irgendeiner Form nachbessern müßten, schon allein deswegen, weil sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht nach oben bewegte, sondern nach unten. Wir hofften aber eigentlich bis zuletzt, daß es nicht so dramatisch zugehen würde, wie es dann eingetreten ist. Wir hatten eigentlich stets gehofft, daß die Zahlenansätze, wie sie geschätzt waren und wie man sie einbringen mußte, korrekt waren. Darin wurden wir jedoch, je länger das Haushaltsjahr lief, getäuscht. Die Verschlechterung trat Mitte des Jahres ein und bedingte den ersten Nachtragshaushalt; jetzt haben wir den zweiten Nachtragshaushalt.
Man kann diese Entwicklung am besten an einer Zahl deutlich machen. Wir begannen im Herbst 81 mit einer Nettoneuverschuldung von 27 Milliarden DM, und wir landen jetzt Ende 82 bei einer Nettoneuverschuldung von über 40 Milliarden DM. Dies ist traurig. Man muß dieses aber erläutern. Man darf das einfach nicht so stehenlassen. Man muß versuchen, aus solchen Erfahrungen zu lernen.
Wir müssen mit diesem Nachtragshaushalt zum zweitenmal die positiven Ansätze einer Regierung an die negative, an die schlechtere reale Entwicklung anpassen. Die Wirtschaftsentwicklung ist, seit-
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Dr. Zumpfort
dem wir den ersten Nachtragshaushalt verabschiedet haben, weiterhin rückläufig, so daß wir als Ergebnis im Bereich der Steuern Einnahmeausfälle von über 4,5 Milliarden DM beklagen und bei der Bundesanstalt für Arbeit zusätzliche Ausgaben in einer Größenordnung von 250 Millionen DM finanzieren müssen. Außerdem müssen wir realisieren, daß eine Ausgleichszahlung der Länder, die sogenannte Kindergeldmilliarde, nicht mehr gezahlt wird und daß dadurch ein zusätzliches Loch von 1 Milliarde DM entsteht. Neben diesen allgemein wirtschaftlich bedingten Mehrbelastungen sind Mehrausgaben, die jetzt finanziert werden müssen, in zwei weiteren Fällen unabdingbar, nämlich eine Sonderhilfe für den Eschweiler Bergwerksverein in Höhe von 40 Millionen DM sowie zusätzliche Mittel in Höhe von 600 Millionen DM für die beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien.
Hier kann ich noch einmal aufgreifen, Kollege Wieczorek, was ich einleitend gesagt habe: Diesen Mehrausgaben dürfen Sie sich eigentlich nicht verschließen, wir müssen sie finanzieren. Sie müssen diesem Nachtragshaushalt zutimmen, wie wir das heute als FDP-Fraktion auch tun. Ich möchte auch nicht nachtragend sein, — um mit dem Wort „Nachtrag" zu spielen — gegenüber der alten Regierung, ich möchte nur eigene Worte nachtragen. Es zeigt sich nämlich, daß in diesem Nachtragshaushalt praktisch alle Grundprobleme des Haushalts stekken, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten und mit denen wir es auch in Zukunft noch zu tun haben werden, daß nämlich erstens jede Regierung — die neue wie die alte — mit konjunkturellen Unwägbarkeiten rechnen muß. Um das in einer Zahl deutlich zu machen: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung sich so verändert, daß die Wachstumsraten um 1 % sinken oder steigen, bedeutet dies allein für die Bundeskasse Minder- oder Mehreinnahmen von 4 Milliarden DM und mindestens 150- bis 200 000 Arbeitslose mehr oder weniger. In den letzten Jahren ging die Entwicklung immer nur in den Keller, man mußte die Erwartungen mit negativen Folgen für den Etat immer nach unten korrigieren.
Zum zweiten haben wir es in der Wirtschaft — das hat wiederum Auswirkungen auf den Haushalt — mit strukturellen Problemen zu tun. Strukturen wie Stahl, Bergbau, Schiffbau sind nicht in der Lage, aus eigenen Kräften zu leben. Es gibt in diesen Branchen einen Subventionswettlauf im internationalen Maßstab, aber auch eigene Subventionierung. Wir müssen entweder nachfinanzieren oder, wie z. B. beim Eschweiler Bergwerksverein, Sterbehilfe geben. Hier erhebt sich für uns die Frage, wie wir durch die Gestaltung des Haushalts zukünftig nicht mehr dafür sorgen, daß die konjunkturelle Entwicklung wieder nach oben geht, sondern auch dafür, daß nicht zusätzliche strukturelle Probleme unserer Wirtschaft dadurch entstehen, daß wir zuviel subventionieren. Wir müssen eben weniger subventionieren.
Ein dritter Punkt zeigt sich an der Kindergeldmilliarde. Es ist das eigentliche strukturelle Problem im Haushalt selber: Wir haben, gemessen an
den zukünftigen Einnahmen im Bundeshaushalt, zu großzügig Sozialpolitik betrieben. Dies berührt — das merken wir jetzt — nicht nur den Bürger, sondern auch das Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Die Länder wollen die Kindergeldmilliarde nicht mehr zahlen. Wenn das Wort, daß wir Sozialpolitik auf Pump machen, irgendwo stimmt, dann hier. Wir müssen nämlich die bisher von anderer Stelle gekommene Milliarde, die jetzt fehlt, auf Kredit finanzieren, und dies passiert in zu vielen anderen Bereichen des Haushaltes auch. Das darf nicht sein, denn irgendwann müssen wir die Gelder zurückzahlen, und irgendwann müssen wir zu der Erkenntnis kommen, daß man Sozialpolitik eben nicht auf Pump machen kann. Sie muß durch Einnahmen finanziert werden, und wenn die Einnahmen nicht da sind, muß man alles aneinander anpassen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es!
Ein viertes Grundproblem steckt in diesem Nachtragshaushalt, und das ist ein für uns Haushälter, aber auch für das gesamte Parlament und für die Regierung sehr schlimmes: Wir selber haben dort Fehler eingebaut, bzw. sie sind von der Regierung eingebaut worden. Ich denke an die großen Projekte wie Schneller Brüter oder Hochtemperaturreaktor — es gibt noch viele andere mehr, etwa den Rhein-Main-Donau-Kanal —, die ja allesamt vor dem Hintergrund geplant worden sind, daß man sie auch finanzieren könnte.
Jetzt stellen wir fest, daß es da verschiedene Ausgaben-Pipelines gibt, daß wir aber nur eine Einnahmen-Pipeline haben; wir haben nicht die Einnahmen, um alles zugleich zu verwirklichen.
Die Kosten laufen uns — das sehen wir — in diesen Bereichen davon, und es wird die Aufgabe der neuen Regierung nach dem 6. März 1983 sein, die verschiedenen Aufgaben auf ihre Finanzierung hin zu überprüfen und dann auch Entscheidungen in der Frage zu treffen, was gemacht werden kann und was nicht gemacht werden kann.
Aber — und das ist das fünfte Grundproblem — wenn und solange man beschlossen hat, so etwas zu finanzieren, muß man es auch real im Haushalt ausweisen. Wir müssen gerade im zweiten Nachtragshaushalt bezüglich des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors feststellen, daß wir etwas nachfinanzieren müssen, was vorher als Aufgabe im Haushalt nicht richtig ausgewiesen war. Die Prinzipien der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit waren hier verletzt; dazu habe ich an anderer Stelle schon einmal gesprochen. Auch dies ist gerade in diesem kleinen Nachtragshaushalt deutlich geworden.
Meine persönliche Schlußfolgerung war, als man dies alles Mitte des Jahres erkannte, die, den Ergebnissen der damaligen Koalitionsvereinbarungen zum Haushalt 1983 nicht zuzustimmen, weil erkennbar war, daß man all diese Grundprobleme nicht etwa gelöst hatte, sondern daß sie weiter be-
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standen. Vor diesem Hintergrund sind ja eigentlich auch die Probleme der alten Koalition zu erklären gewesen.
Welche Schlußfolgerungen muß man daraus nun ziehen? Erstens. Ich glaube, wir alle haben uns etwas vorgemacht, wenn wir davon ausgegangen sind, daß es vernünftig ist, optimistische Obergrenzen in einen Haushalt einzusetzen. So fing man mit 27 Milliarden Nettoneuverschuldung an und landete schließlich bei 40 Milliarden. Das, was die jetzige Regierung tut, indem sie sofort mit pessimistischen Untergrenzen arbeitet, ist das Vernünftige. Zwar bedeutet das, daß man sehr viel Mut aufbringen muß, die volle Wahrheit jetzt schon festzustellen; nur bewirkt es auch, daß man von vornherein härter an das unausweichliche Sparen und dort, wo man nicht mehr sparen kann, an das unausweichliche Nachfinanzieren herangeht.
Zweitens. Wenn man sofort die realistischeren Zahlen eingesetzt hätte, wäre der Druck zum Handeln auch in der alten Koalition größer gewesen. Das ist das Problem, das wir als Haushälter immer gesehen haben, der Punkt, an dem wir gedrägt haben: Bitte, tut doch mehr! Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich hier vom Rednerpult des Deutschen Bundestages gefragt habe: Wie hoch muß das Defizit in einem Haushalt noch werden — ich habe nicht von den Arbeitslosen gesprochen, obwohl das viel pragmatischer gewesen wäre —, bis auch der letzte Abgeordnete merkt, daß wir beim Haushalt mehr tun müssen, daß wir mehr sparen müssen?
Das haben wir unseren Kollegen nicht in ausreichendem Maße deutlich gemacht, und das ist einer der Fehler, die wir uns auch selber zuschreiben müssen.
Einige von uns haben das gesehen; wir Haushälter z. B. Wir haben gedrängt, und es gab ja auch einen Finanzminister, Herrn Matthöfer, der das klar beschrieben hat. Ich denke, es waren auch und nicht zuletzt diese Gründe, die ihn bewogen haben, dieses Amt schließlich nicht mehr auszuüben.
Deswegen finde ich es unredlich, — ich weiß nicht, ob Herr Matthöfer schon im Raum ist; da ist er —, wenn Sie, Herr Matthöfer, sagen, wir, die FDP, wollten mit Ihnen nur 28 Milliarden Neuverschuldung, mit der neuen Regierung machten wir 40 Milliarden. Diese 40 Milliarden oder 55 Milliarden, wenn man nichts getan hätte, hätten wir auch gemeinsam dann machen müssen, wenn es in einer alten Regierung geblieben wäre. Das sind die Dinge, die wir, SPD und FDP, gemeinsam verantworten müssen, die man uns nicht einseitig in Form eines Schwarzen Peters in die Tasche schieben darf.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?
Ist es richtig, Herr Kollege Zumpfort, daß Herr Genscher, als er Vorwände für seinen Wortbruch gegenüber dem Wähler suchte,
erklärt hat, daß die Begrenzung der Neuverschuldung auf 30 Milliarden DM die Bewährungsprobe der alten Koalition gewesen sei?
Nein. Herr Matthöfer, erstens haben wir keinen Wortbruch gemacht.
Zweitens lag auch bei Herrn Genscher genauso wie bei Ihnen die klare Erkenntnis vor: Wenn wir die allzu optimistischen Eckwerte — nämlich 3 % reales Wachstum und 1,8 Millionen Arbeitslose — nicht halten können, dann müssen wir uns weiter verschulden bzw. müssen wir mehr sparen. Genau vor dieser Aufgabe ist die alte Regierung damals davongelaufen bzw. sie hat damals nicht die Kraft gehabt, realistisch an diese Aufgabe heranzugehen. Wir Liberalen haben aber gesagt: Wir stellen uns der Aufgabe. Herr Matthöfer, wir sind nicht davongelaufen als FDP. Deswegen haben wir auch die Verantwortung übernommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, entschuldigen Sie bitte, aber ich habe keine Zeit mehr.
Deswegen haben wir auch die Verantwortung übernommen, diesen Haushalt hier einzubringen, um uns dann unserer Verantwortung entsprechend dem Wähler zu stellen. Ich glaube, wir haben das richtig gemacht.
Ich möchte hier keine unpassende Schärfe hineinbringen. Ich wollte nur sagen, Herr Matthöfer, wir sollten ein bißchen fairer miteinander umgehen, auch wenn Wahlkampf ist. Bestimmte Dinge müssen wir gemeinsam verantworten. Es ist ja auch eine Freude, 13 Jahre sozialliberaler Regierungsgeschäfte zu verantworten, weil ja auch gute, positive Dinge geschehen sind.
Man darf aber nicht alles schlecht machen, wie Sie es tun.
Ich komme zum Schluß mit einer eindringlichen Mahnung an den neuen Finanzminister. Wir haben jetzt die 40 Milliarden Nettoneuverschuldung eingesetzt. Ich habe das begrüßt. Das ist ein Akt der
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Haushaltswahrheit und ein Akt der Haushaltsklarheit. Ich sehe aber auch die Gefahren, die darin stecken, Herr Finanzminister, wenn wir auf ein so hohes Niveau gehen. Man kann sich nämlich an diese Größenordnung gewöhnen. Ich sehe auch das Problem, daß wir viele neue Minister haben, die nicht einfach nur verwalten müssen und verwalten wollen, was dort an Überkommenem auf sie harrt. Sie wollen Politik gestalten, und Politik gestalten bedeutet: man muß auch Geld haben. Dennoch, glaube ich, darf man den Geldforderungen nicht nachkommen. Sonst steigt in zukünftigen Jahren die Nettoneuverschuldung über das Niveau hinaus, das wir jetzt schon haben. Es kann leicht über 50 Milliarden gehen, wenn man nicht energisch genug dagegen anhält. Sie und wir alle, Herr Finanzminister, müssen uns ein ganz einfaches Rezept zu eigen machen, das da heißt: Der Finanzminister muß öfter nein sagen, der Haushaltsausschuß muß öfter nein sagen, und dieses Parlament muß öfter nein sagen.
Denn das Gebot der Stunde heißt: Wir müssen uns verweigern gegen unberechtigte Mehranforderungen, wir dürfen nur das neu finanzieren, was unbedingt notwendig ist, und wir müssen das korrigieren, was falsch und zu hoch ist. Und dies ist nicht nur ein Gebot der Stunde, sondern ein Gebot für zukünftige Perioden dieses Deutschen Bundestages.
Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über das Nachtragshaushaltsgesetz 1982, Drucksachen 9/2049 und 9/2276, in der Einzelberatung.
Ich rufe die Nachträge zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1982 auf, Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 1982, Drucksache 9/2276, Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung. Die Abstimmung hierüber wird mit der Schlußabstimmung verbunden. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieses Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir fahren mit der zweiten Beratung des Haushaltsgesetzes, Tagesordnungspunkt I a, fort:
I. a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1983
— Drucksachen 9/1920, 9/2050, 9/2139 —
Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses
Ich rufe dazu den Tagesordnungspunkt Ib) auf:
I. b) Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts
— Drucksachen 9/2074, 9/2140 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses
— Drucksachen 9/2283, 9/2290 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek Hoppe
Carstens
Wir fahren in der Beratung der Einzelpläne fort. Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
— Drucksachen 9/2148, 9/2281 —
Berichterstatter: Abgeordnete Esters Dr. Hackel
Glos
Einzelplan 32
Bundesschuld
— Drucksache 9/2163 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Löffler Echternach
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung — Drucksache 9/2167 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Walther Dr. Dübber
Hoffmann Hoppe
Carstens
Einzelplan 20
Bundesrechnungshof
— Drucksachen 9/2157, 9/2281 —
Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Dr. Hackel
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Präsident Stücklen Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
— Drucksachen 9/2149, 9/2281 —
Berichterstatter: Abgeordnete Glos Frau Simonis
Gärtner
Ich rufe dazu die Beratung der Art. i bis 7 a und 8 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 und 9/2290, auf.
Weiter rufe ich dazu auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1982 bis 1986 — Drucksachen 9/1921, 9/2287 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hoppe Dr. Riedl
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verbundene Debatte für die Einzelpläne 08, 32, 60, 20, 09, die aufgerufenen Artikel des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 und den Finanzplan des Bundes 1982 bis 1986 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? — Dies ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wirtschaftspolitik hat in der gestrigen Debatte schon eine beachtliche Rolle gespielt. Ich will nur auf wenige Aussagen von gestern zurückkommen. So hat der Kollege Ehmke gemeint, seiner neuen Linie treu bleiben zu müssen und politische Sachaussagen durch Rundumschläge ersetzen zu sollen. Dabei hat er allerdings, um seine neue Lieblingswendung zu gebrauchen, geradezu brutal klargemacht, daß die SPD nicht in der Lage ist, die vielbeschworene Lernfähigkeit unter Beweis zu stellen. Bei dem unsachlichen Angriff gegen den sogenannten wirtschaftlichen Sachverstand versuchen die SPD und Ehmke nichts anderes, als den Eindruck zu erwekken, der ökonomische Sachverstand in diesem Land sei ausschließlich vom Abgeordneten Schmidt und allenfalls vielleicht noch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin gepachtet. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie müssen sich damit abfinden, daß Sie dabei bei der Ökonomie, bei der Wissenschaft, bei den Instituten, bei den Sachverständigen eine verschwindende Minderheit darstellen und der überwiegende ökonomische Sachverstand der Wirtschaftspolitik in diesem Lande eine völlig andere Politik vorschlägt, als Sie sie im Moment empfehlen, betreiben oder konzipieren.
Eine der unschönsten Ausführungen gestern war die Bemerkung des Kollegen Ehmke, bei uns stünden Fabriken still, an deren Toren das Schild angebracht werden könnte: „Wegen ungerecht verteilten Reichtums geschlossen". Ich weiß nicht, ob man ein solches Schild in absehbarer Zeit am Eingang des „Vorwärts" anhängen muß.
Nur kann man dort wahrscheinlich nicht hinschreiben „Wegen Reichtums geschlossen", sondern „Wegen Unfähigkeit der Eigentümer und des Verlegers geschlossen". Und das ist kein gutes Zeichen für Sie.
Jedenfalls sind die Arbeitsplätze beim „Bayernkurier" sicherer als beim „Vorwärts".
Eines ist aber klar: Eine solche Aussage ist ein Hohn für die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber jener zigtausend Unternehmen, die in den vergangenen Jahren den Gang zum Konkursrichter antreten mußten.
Wenn gestern der Kollege Ehmke von den großen Anstrengungen sprach, die jetzt notwendig seien, gebe ich ihm recht. Es bedarf in der Tat einer großen gemeinsamen Anstrengung, um den von ihm und seiner Partei hinterlassenen Scherbenhaufen in der Wirtschaftspolitik zu beseitigen.
Unsere Wirtschaft befindet sich gegenwärtig in der schwierigsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik. Diese Krise hat — das wissen wir — nationale und internationale Ursachen.
— Das ist nicht neu. Sie waren offensichtlich bei unseren letzten Reden nicht dabei.
Wenn Sie heute in der Frühe zum erstenmal zuhören, dann tut es mir leid, daß Sie nicht in der Lage sind, mehrere Debatten konsequent zu verfolgen. Aber das ist Ihr intellektuelles Aufnahmeproblem und nicht das meine.
Hauptproblem ist dabei die Arbeitslosigkeit. Die westlichen Staaten und auch wir stehen vor unvorstellbaren Haushaltsdefiziten. Es herrscht eine ungebrochene Inflation und eine in den meisten Ländern defizitäre Leistungsbilanz. Unsere Wirtschaft befindet sich in einer anhaltenden Stagnation. Ein Ende der Talsohle ist vorläufig noch nicht in Sicht. Die Arbeitslosenzahlen hat die Zwei-MillionenGrenze überschritten. Neue schlimme Zeiten stehen uns bevor.
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— Das ist die Konsequenz dessen, was Sie mit Ihrer Politik herbeigeführt haben. Und Sie tragen dafür die Verantwortung.
Sie sollten sich schämen, jetzt höhnisch auf das hinzuweisen, was Sie mit verursacht haben.
Ein realer Verteilungsspielraum besteht heute nicht mehr. Die öffentlichen Finanzen sind zerrüttet. Die finanzpolitischen Handlungsspielräume sind angesichts der Schuldensituation und der daraus resultierenden Zinsbelastung in der Nähe des Nullpunkts angelangt.
Natürlich weiß jeder von uns um die Einwirkung vom internationalen Bereich her. Die Ölpreisexplosion, das Problem der Japaner, der Schwellenländer, Protektionismus, künstliche Handelshemmnisse sind uns allen bekannt. Nur wäre es zu billig und zu einfach — das war immer wieder das Rezept von Helmut Schmidt —, den Schwarzen Peter ins Ausland zu schieben. Derartige Versuche, die Ursachen der gegenwärtigen Misere in den internationalen Bereich abzuschieben, sind zwar politisch bequem, aber intellektuell unredlich, weil mit einer solchen Sündenbockstrategie nur von den binnenwirtschaftlich bedingten Fehlentwicklungen abgelenkt werden soll. Wir können angesichts der Dimension, die die Probleme jetzt erreicht haben, nicht auf internationale Konferenzen und internationale Strategien warten. Wir müssen vielmehr alles daransetzen, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln die hausgemachten Fehler und Versäumnisse zu korrigieren.
— Wenn Sie übrigens etwas gegen den Protektionismus tun wollen, dann reden Sie bitte intensiver mit Ihren sozialistischen Freunden in der Welt und in Europa.
— Wir tun es. Aber Sie könnten es z. B. mit Frankreich, mit einigen sozialistischen Freunden dort, machen. Von dort kommen die meisten Gefährdungen des freien Handels, die meisten Handelshemmnisse und Abschottungen der Märkte.
Die SPD hat sich auf dem Münchener Parteitag und auch jüngst wieder in Bonn dafür ausgesprochen, die vor uns liegenden Probleme mit mehr Staat, mehr öffentlichen Ausgaben, mehr Verschuldung sowie höheren Steuern und Abgaben anzugehen. Dies halten wir für den falschen Weg.
Die Erfahrungen seit Beginn der 70er Jahre zeigen eindeutig, daß in der Strategie „Mehr Staat und
weniger Markt" die eigentliche Ursache der Fehlentwicklung liegt. Die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden, also ohne Post, Bahn und Sozialversicherung, hat die 600-Milliarden-DMGrenze überschritten. Allein die Schulden des Bundes haben sich seit 1970 explosionsartig von 50 Milliarden DM auf rund 350 Milliarden DM in 1982 versechsfacht.
Die Zinsquote, d. h. der Anteil der Zinsen an den Gesamtausgaben des Bundes, stieg von knapp 3 in 1970 auf über 9 % in 1982. Das heißt, fast jede zehnte Mark muß der Bund für Zinsen ausgeben. Im kommenden Jahr sind das rund 27 Milliarden DM. Damit liegen die Zinszahlungen über dem Aufkommen aus der Mineralöl- und der Branntweinsteuer. Für Zinsen muß der Bund mehr ausgeben als beispielsweise für Kindergeld und Wohngeld zusammen.
Die Steuer- und Abgabenquote, d. h. der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am Bruttosozialprodukt, stieg von 36,5 % in 1970 auf 42,5 % in 1982. Immer mehr Arbeitnehmer werden von der Tarifprogression erfaßt. Das ifo-Institut hat vor einiger Zeit und das Karl-Bräuer-Institut hat erst vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, daß den Arbeitnehmern von einer DM Lohnerhöhung durchschnittlich nur noch 40 Pfennig verbleiben.
Wer angesichts dieser Tatsache wie der nordrhein-westfälische Finanzminister Posser keinen Bedarf für Steuerentlastung erkennt, hat offensichtlich Leistungsbestrafung zum Leitbild seiner Politik erkoren.
Die Staatsquote stieg von 37,9 % in 1970 auf rund 48 % in 1982. Obwohl also ein immer größerer Teil des Sozialprodukts durch die öffentlichen Kassen fließt, ist es nicht gelungen, die Wachstums- und Beschäftigungsprobleme zu lösen und die Sozialversicherungsfinanzen auf eine solide Grundlage zu stellen. Allein diese Tatsache müßte doch bei der SPD die vielbeschworene Lernfähigkeit mobilisieren und klarmachen, daß wir so nicht weiterwirtschaften können.
Die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote, d. h. der Anteil der für das Wirtschaftswachstum und den Beschäftigungsstand entscheidenden Anlageinvestitionen am realen Sozialprodukt, ist von 24 % in 1970 auf unter 20 % in 1982 gesunken. Der Anteil der Investitionen an den gesamten öffentlichen Ausgaben ging im gleichen Zeitraum von 24,5 % auf 16,5 % zurück.
Trotz einer wahren Flut von Ausgabenprogrammen des Bundes nahm die Investitionsquote im Bundeshaushalt von 17 % in 1970 auf nur noch 13,5 % in 1982 ab. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir nicht durch das Sofortprogramm eine Umschichtung von der Konsumdynamik zur Investitionsdynamik durchgesetzt hätten, wäre die Investitionsquote noch weiter abgesunken und
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Dr. Waigel
hätte diesen Stand von 13,5 % nicht einmal erreicht.
Herr Abgeordneter Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja.
Herr Waigel, ist es richtig, daß Sie die Investitionsquote in dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf nur dadurch hochhalten, daß sie beim BAföG von Zuschuß auf Darlehen umstellen und dies in unserer Rechnungssystematik dann zu den Investitionen gerechnet wird?
Sie wissen ganz genau, daß angesichts der Situation beim BAföG die entscheidenen Auswirkungen nicht nächstes Jahr kommen werden, sondern daß wir bereit sind, bereits jetzt, vor Wahlen, strukturelle Verbesserungen für später durchzuführen, und wir damit mehr Mut und mehr Wahrheit vor Wahlen und vor der Bevölkerung beweisen, als Sie dazu je in der Lage gewesen sind.
Die privaten Unternehmen sehen sich bei anhaltendem Kostendruck erheblich geringeren Erträgen gegenüber. Nach Angaben der Bundesbank haben sich die Unternehmenserträge in den beiden vergangenen Jahren zusammen nach Steuern um fast 30 % verringert. Die Jahresüberschüsse sind damit auf das Niveau des Jahres 1973 zurückgefallen. Die Rendite des in Unternehmen investierten Kapitals liegt seit Jahren unter der Umlaufrendite für festverzinsliche Wertpapiere. Damit wurde es — gerade für jene Unternehmen, die z. B. gestern vom Kollegen Ehmke in der Debatte über die Regierungserklärung erwähnt wurden — attraktiver, Kapital in Staatspapieren, anstatt in Unternehmen anzulegen. Auch das ist eine Konsequenz Ihrer Finanzpolitik und hat genau die verderblichen Strukturverzerrungen in unserer Wirtschaft herbeigeführt, vor denen wir jetzt stehen, die wir bewältigen müssen, die Sie uns in unverantwortlicher Weise hinterlassen haben.
Ein besonders bedauerliches Bild zeigt die Situation der Eigenkapitalquote, d. h. der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme. Diese Eigenkapitalquote ist von knapp 27 % im Jahre 1970 auf nur noch 21 % im Jahre 1982 abgesunken. In der Bauwirtschaft liegt die Eigenkapitalquote bereits unter 10 %. Wer in Sonntagsreden für eine Verstärkung der Eigenkapitalquote eintritt und gleichzeitig eine höhere steuerliche Belastung der Unternehmenserträge, von der Anhebung des Spitzensteuersatzes angefangen bis hin zur Einführung einer Ergänzungsabgabe, weiterhin fordert, handelt in höchstem Maße unredlich, und angesichts dessen, daß man weiß, wie sich Rendite-, wie sich Gewinn-, wie sich Eigenkapitalssituationen ergeben haben und wie sie von der Bundesbank dargestellt werden, ist eine solche Rede, wie sie gestern Herr Ehmke gehalten hat, ein Hohn auf das, was sich wirtschaftlich wirklich vollzogen hat.
Nicht jedes Unternehmen ist wie beispielsweise die Neue Heimat in der Lage, in Krisenzeiten auf finanziell potente Aktionäre zurückgreifen zu können. Im gewerblichen Bereich ist im Jahre 1982 mit über 12 000 Konkursen und Vergleichen zu rechnen.
Diese Entwicklung können wir nur stoppen, wenn in unserem Land Unternehmensgewinne nicht mehr diffamiert, sondern als das anerkannt werden, was sie sind, nämlich Grundlage für die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit.
Meine Damen und Herren, ich wünsche jedem Arbeitnehmer, daß er in einem Betrieb arbeitet, der Gewinne macht, weil er nur dann einen sicheren Arbeitsplatz hat, weil er nur dann sicher sein kann, daß dort investiert wird, sein Arbeitsplatz gesichert wird und möglicherweise neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Wenn es zu Krisen in unserem Staatswesen kam, waren CDU und CSU stets bereit, Verantwortung zu übernehmen und ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise zu leisten. Ich erinnere zunächst an die Jahre unmittelbar nach der Währungsreform, wo es galt, mit marktwirtschaftlichen Lösungsprinzipien den Wiederaufbau unseres vom Krieg zerstörten Landes in Gang zu setzen, die Wohnungsnot abzubauen und Millionen von Heimatvertriebenen einzugliedern. Damals waren es die Ideen Ludwig Erhards, die die Wirtschaft überhaupt wieder in Schwung brachten. Und damals trug Fritz Schäffer als erster Finanzminister Verantwortung. Er brachte die Bundesfinanzen in Ordnung und schuf ohne zusätzliche Steuern und ohne zusätzliche Schulden die finanziellen Voraussetzungen zur Einführung der Bundeswehr und zum Beitritt der Bundesrepublik zur westlichen Allianz — eine wahrhaft großartige Leistung in diesen Jahren!
Im Jahre 1967, als es wegen heute geradezu als unbedeutend erscheinender Beiträge zum Bruch der Koalition zwischen CDU/CSU und FDP und zur Bildung der Großen Koalition kam, übernahm Franz Josef Strauß das Bundesministerium der Finanzen. Er brachte den Haushalt in Ordnung, hinterließ geordnete Staatsfinanzen und zahlte Schulden zurück — in einem Wahljahr!
Er übergab seinem Nachfolger eine Schlußbilanz, die den Namen „stocksolide" auch tatsächlich verdiente.
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Dr. Waigel
Auch heute, wo die Probleme ungleich größer sind als 1967, ist die CSU bereit, Verantwortung zu übernehmen. Die neue Koalition wird in dieser Woche das Sofortprogramm verabschieden, mit dem wir erste Maßnahmen ergriffen haben einmal zur Sicherung der Finanzlage der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung für 1983; dann zum Abbau des strukturellen Haushaltsdefizits, d. h. des Teils des Defizits, das nicht auf rein konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen und Mehrausgaben beruht; zur Entlastung der Wirtschaft im Bereich der ertragsunabhängigen Steuern sowie zur Ankurbelung des Wohnungsbaus.
Wir haben ferner — das ist nicht minder wichtig als das, was sich im ökonomischen Bereich vollzieht — der Bevölkerung reinen Wein über den tatsächlichen Ernst der Lage und über die realistischen Zukunftsaussichten eingeschenkt. Es hat keinen Zweck, der Bevölkerung illusionäre Zukunftshoffnungen zu machen. Wir können heute keine Schecks mehr ausstellen, die dann später nicht mehr einlösbar sind.
In den vergangenen Jahren gingen die Zusammenhänge zwischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik weitgehend verloren. Auf Dauer aber — das weiß jeder — können wir nicht über unsere Verhältnisse leben. Jede Mark unseres Sozialprodukts kann nur einmal verteilt werden. In dieser Gesamtwirtschaftlichen Verteilungspolitik wurden entscheidende Fehler begangen. Der vordergründige Erfolg der Tarifpolitik der vergangenen zwölf Jahre bestand darin, den Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen von 66 % auf nahezu 74 % zu steigern. Der Anteil des Nettoeinkommens aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen ging jedoch im selben Zeitraum von über 44 % auf rund 41 % zurück. Für die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer sind jedoch nicht die Brutto-, sondern die Nettolöhne entscheidend, so daß jene Verteilungspolitik, die mit soviel Euphorie gefeiert wurde, den Arbeitnehmern letztlich nicht mehr, sondern weniger eingebracht, uns aber insgesamt zusätzlich in eine Wachstums- und Investitionsschwäche hineingeführt hat. Diese Verteilungspolitik ist damit die Ursache für die Massenarbeitslosigkeit dieser Tage.
Von der Verwendungsseite her wurde das Sozialprodukt mehr und mehr von den Investitionen hin zum privaten und vor allem zum öffentlichen Konsum verlagert. Der Rückgang der Investitionstätigkeit war die logische Folge dieser Entwicklung.
Hauptursache der Krise der Staats- und Sozialversicherungsfinanzen ist die Überforderung mit Ansprüchen. Das betrifft vor allem die Subventionen und die Sozialleistungen. Wir können auf die Dauer Subventionen und Sozialleistungen nicht mit Krediten finanzieren, wie es vorher der Kollege Carstens schon dargelegt hat. Wir können auf Dauer keine Subventions- und Sozialleistungsansprüche befriedigen, wenn darunter die Finanzierung der Zukunftsaufgaben leidet. Wer heute mehr fordert oder wer sich heute den notwendigen Kürzungen verschließt, muß wissen, daß er die Last damit der nächsten Generation aufbürdet, ohne Kenntnis davon zu haben, ob dann die ökonomischen Umstände nicht noch viel schwieriger sind als in unserer Zeit. Wir haben kein Recht, noch mehr zu Lasten der zukünftigen Generationen zu verbrauchen. Wir müssen endlich zu mehr Verantwortung für die nächsten Generationen zurückfinden.
CDU und CSU sind bereit, die neue Koalition der Mitte über den 6. März 1983 hinaus fortzusetzen. Die Hauptaufgaben im innenpolitischen Bereich bilden dabei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Behebung der Wachstumsschwäche sowie die Sicherung der Staats- und Sozialversicherungsfinanzen. Unserem Sofortprogramm müssen deshalb — auf mehrere Jahre verteilt — weitere Maßnahmen folgen.
Der Anstieg der öffentlichen Gesamtausgaben muß über Jahre hinweg deutlich unter dem Anstieg des nominalen Sozialprodukts liegen. Nur so ist es möglich, die jährliche Neuverschuldung schrittweise zu reduzieren, die Staatsquote auf ein gesamtwirtschaftlich vernünftiges Niveau zu senken und einen weiteren Anstieg der Steuer- und Abgabenbelastung zu verhindern. Nur so ist es möglich, den zur Bewältigung der Zukunftsaufgaben erforderlichen finanzpolitischen Handlungsspielraum in den öffentlichen Haushalten wiederzugewinnen. Die Investitionen in den öffentlichen Haushalten müssen verstärkt werden. Wir müssen auch hier wieder weg von einer Konsumdynamik hin zu einer Investitionsdynamik finden. Weitere Kürzungen, weitere Umschichtungen werden unerläßlich sein.
Auch bei der Besteuerung ist eine weitere Umstrukturierung mit dem Ziel einer steuerlichen Entlastung der Wirtschaft, vor allem des Mittelstands, erforderlich. Wir müssen dabei in einem weiteren Abschnitt auch die Reform des Tarifs in Angriff nehmen, nicht, um weitere Steuererhöhungen durchzuführen, sondern um mit einer wachstums-
und leistungsfördernden Umgestaltung des Steuersystems neue Impulse zu setzen.
Das soziale Netz muß wieder mit dem gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögen in Einklang gebracht werden. In erster Linie ist dies über die Ausgabenseite zu bewerkstelligen. Die finanziellen Spielräume für Bundeszuschüsse und für weitere Abgabenerhöhungen sind weitgehend ausgereizt.
Von den gesamten Investitionen werden rund 80% vom privaten Sektor getragen. Die privaten Investitionen sind der Schlüssel für Wachstum und für Vollbeschäftigung. Mit defensiven Strategien wie etwa der Arbeitszeitverkürzung können vielleicht gewisse Entlastungen erreicht, aber nicht die Probleme gelöst werden.
Die Lösung der wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Probleme ist nur auf der Grundlage einer wachsenden Wirtschaft möglich. Offensichtlich ist diese Einsicht Teilen der SPD verlorengegangen,
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wie die Diskussion über die Thesen von Professor Löwenthal in der SPD zeigt.
Aber alle jene, die glauben, Wohlstand, saubere Umwelt und soziale Sicherheit gebe es zum Nulltarif, unterliegen einem gewaltigen Irrtum. Wie in der Zeit des Wiederaufbaus müssen in den kommenden Jahren Fleiß, Leistungsbereitschaft, Unternehmensgeist und Mut zum Risiko im Vordergrund stehen.
Ich will auch zu einem Antrag der SPD in Sachen Grundig/Thomson-Brandt eine Bemerkung machen. Nach Lage der Dinge kann der Grundig-Konzern ohne ein Zusammengehen mit anderen Unternehmen — ob auf bloß vertraglicher oder aber kapitalmäßiger Grundlage, sei einmal dahingestellt — mittelfristig nicht überleben. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion würde es begrüßen, wenn es gelänge, eine nationale Lösung zu finden.
Ich denke dabei vor allem an die Bosch-Gruppe und an den Siemens-Konzern. Sollte es jedoch zu einer europäischen Lösung kommen, dann können wir das nur unterstützen, wenn sichergestellt wird, daß dabei die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben und kein Ausverkauf deutscher Spitzentechnologien stattfindet.
Was jedoch den Antrag der Opposition, über den man in der Sache durchaus diskutieren kann, betrifft, kann ich nicht umhin, Ihnen eine kritische Frage zu stellen. Was soll denn eigentlich Ihr Bekenntnis zur Sozialistischen Internationale, zur Arbeitnehmerfreundlichkeit der Sozialisten, wenn Sie befürchten, daß Ihre französische Schwesterpartei, die ja bekanntlich bei Thomson-Brandt das Sagen hat, im Fall der geplanten Fusion Arbeitsplätze in Deutschland vernichten würde? Mit der Arbeitnehmerfreundlichkeit der Sozialisten scheint es offensichtlich auch hier nicht sehr weit her zu sein.
Noch eine Bemerkung zur Seerechtskonvention. Gestern ist hier von der SPD gesagt worden, man solle sie zeichnen. Ich bin der Bundesregierung dankbar, daß sie jedenfalls jetzt nicht bereit ist, eine Zeichnung dieser Konvention vorzunehmen.
Hier sind gravierende Nachteile für die Bundesrepublik Deutschland zu befürchten. Hier ist zu befürchten, daß Zeichen für eine neue Weltwirtschaftsordnung gesetzt werden, die nicht in unserem Sinne liegen kann, wo nur mehr Dirigismus, mehr Umständlichkeit und mehr Marktfeindlichkeit eintreten, statt auch hier dem Markt und den Möglichkeiten der Industriestaaten die entsprechenden Chancen zu geben. Wir sind hier der Hauptbetroffene. Es handelt sich dabei um die größte „Landnahme zur See". Wir brauchen uns
dann ganz bestimmt nicht zu beeilen, als erste dabei zu sein.
Finanzminister Stoltenberg hat die wirtschaftspolitische Herausforderung, vor der wir heute stehen, treffend mit der Formel umschrieben: „Umverteilen zugunsten von Investitionen". Ein derartiger Umweltverteilungsprozeß hat nichts mit sozialer Demontage oder einer Umverteilung von unten nach oben zu tun. Eine Ankurbelung der privaten Investitionen ist nur möglich, wenn der für Investitionen benötigte Teil des Volkseinkommens zu Lasten konsumtiver Zwecke erhöht wird. Wer diese Zusammenhänge nicht einsehen will, verkennt den Ernst der Lage, vor der wir stehen.
Einige gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen haben sich Gott sei Dank in erfreulicher Weise verändert. Der Preisauftrieb hat sich verlangsamt, und beim Abbau des Leistungsbilanzdefizits sind Fortschritte zu verzeichnen. Dank der klaren und einschneidenden finanzpolitischen Entscheidungen dieser Bundesregierung und dieser Koalition sah sich die Bundesbank in der Lage, innerhalb weniger Wochen die Leitzinsen zweimal um jeweils einen Prozentpunkt zu senken.
— Ich kann verstehen, daß es Sie schmerzt. Aber das Vertrauen der Bundesbank in Sie war nicht groß genug, um das vorher durchführen zu können.
Herr Abgeordneter Waigel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
Nein.
Das würde als Zeit Ihrer Rede gelten.
Es gibt einige ermutigende Anzeichen, die auf ein Ende der Talfahrt hindeuten. Die private Baunachfrage zeigt erste Ansätze zu einer Belebung. Die Versicherungswirtschaft hat versichert, daß sie auf Grund der von uns durchgesetzten Änderungen bereit ist, ihre Kapitalanlagen im Wohnungssektor nachhaltig zu verstärken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch ein ganz entscheidendes Zeichen, nachdem es das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen seinen Mitgliedern gar nicht mehr zumuten konnte, Geld im Wohnungsbau zu investieren, weil die Mindestrendite für Anlagen nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Wir begrüßen auch, daß zahlreiche große Industrieunternehmen auf der Berlin-Konferenz, zu der der Bundeskanzler eingeladen hatte, verbindliche Zusagen gemacht haben. Damit soll das Engage-
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Dr. Waigel
ment in Berlin erhöht und ein wichtiger Beitrag zur Schaffung neuer, zukunftsträchtiger Arbeitsplätze geleistet werden.
Auch aus Bayern gibt es im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze positive Impulse. Es ist nicht zuletzt auf die Bemühungen der CSU- geführten Staatsregierung zurückzuführen, daß die Zentrale des BMW-Konzerns zum Aufbau einer neuen Produktionsstätte in der Region Regensburg bereit ist. Wir sind für diese Zeichen, für diese Impulse, für diese Entscheidungen sehr dankbar. Damit zeigt sich, daß der Mut zum Risiko im unternehmerischen Bereich auch weiterhin vorhanden ist.
Es wäre jedoch völlig falsch, aus diesen Anzeichen auf eine kurzfristige Lösbarkeit der Probleme zu schließen. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, vor denen wir heute stehen, sind nicht erst in den letzten Jahren entstanden. Sie sind vielmehr das Ergebnis langfristiger Fehlentwicklungen und Strukturverwerfungen im wirtschaftlichen Bereich. Deswegen können diese Probleme auch nicht von heute auf morgen gelöst werden. Dauerhafte Fortschritte auf dem Weg zur Vollbeschäftigung erfordern Jahre.
Der Staat kann die Probleme im übrigen nicht allein lösen. Erforderlich ist deshalb eine Zusammenarbeit der Wirtschaftspolitik mit den Vertretern der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Bundesbank.
Ich würde es daher sehr begrüßen, wenn es endlich wieder gelänge, möglichst in straffer Form zu einer Wiederbelebung der Konzertierten Aktion zu kommen. Was muß in unserem Land im Bereich der Arbeitslosigkeit eigentlich noch passieren, damit sich alle Betroffenen und Beteiligten endlich an einem Tisch zusammensetzen? Wenn dieses Instrument im Gesetz zur Förderung von Wachstum und Stabilität geschaffen wurde, dann wäre doch genau jetzt der Zeitpunkt, wo sich Gewerkschaften, Arbeitgeber, Bundesbank, Bund und Länder an diesen Tisch setzen und bereit sein sollten, miteinander wenigstens die notwendigen Daten auszutauschen, um zu entsprechenden gemeinsamen Aktionen zu kommen.
Zur Bewältigung der ökonomischen Krise bedarf es politischer und geistiger Führung. Dazu gehört der Mut zur Wahrheit, damit wieder Vertrauen in die Politik zurückkehrt. Wahrheit ist bei der Darstellung der wirtschafts-, Finanz- und sozialpolitischen Probleme notwendig. Zur Wahrhaftigkeit in der Politik gehört es, Opfer, Verzicht und Belastungen vor der Wahl anzusprechen. Zur politischen Wahrhaftigkeit gehört es auch, Möglichkeiten und Grenzen der Politik ehrlich aufzuzeigen. Ein Zuviel an Programmen und Programmierung, eine Oberschätzung des Machbaren, die utopische Hoffnung auf die totale Steuerbarkeit des wirtschaftlichen Geschehens hat die Menschen verunsichert und enttäuscht. Im Spannungsverhältnis von Freiheit und Gleichheit hat die Nivellierungspolitik des letzten Jahrzehnts Leistung, persönliche Solidarität
und gesellschaftliches Engagement behindert und zerstört.
Wer die Gleichheit des Menschen ohne Rücksicht auf individuelle Eigenart, Leistung und Natur anstrebt, schränkt Freiheit ein. Es entspricht dem Grundsatz der Solidarität, den schwachen zu helfen, und es entspricht dem Prinzip der Subsidiarität, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Nur so können neue Kräfte geweckt, Eigenverantwortung gestärkt und Mißbrauch bekämpft werden.
Unsere gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und staatlichen Ordnungsprinzipien beruhen auf dem freiheitlichen Rechtsstaat, der parlamentarischen Demokratie und der Sozialen Marktwirtschaft. Als Fritz Schäffer und Ludwig Erhard auf Tugenden wie Fleiß, Tüchtigkeit, Sparsamkeit und Ehrlichkeit hinwiesen, wurden sie verlacht. Eine angeblich neue Politik setzte auf Problemanalyse, Prognosen, Strukturdiagnosen, alternative Wachstumspfade, Globalsteuerung und ähnliches mehr. Doch die Verwirklichung des magischen Viereckes von angemessenem Wachstum, Vollbeschäftigung, Stabilität des Preisniveaus und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht kann allein mit ökonomischen Instrumenten nicht erreicht werden. Hierzu bedarf es der Aktivierung jener Werte, auf denen Wohlstand und soziale Sicherheit beruhen, nämlich Sparsamkeit, Fleiß, Mut, Leistungsbereitschaft, Eigenverantwortung. Das waren die Tugenden, mit denen die Not nach dem Krieg gewendet wurde. Sie sind auch in unserer Zeit notwendig. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthöfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zehn Wochen Beschäftigungs-, Haushalts- und Finanzpolitik der neuen Regierung geben genug Anschauungsmaterial, alte Versprechen und tatsächliches Verhalten der Rechtskoalition miteinander zu vergleichen.
Wo bleibt die Rückgabe heimlicher Steuererhöhungen,
die CDU/CSU-Redner mit großem Pathos zu fordern hier nicht müde wurden?
Lehnte man nicht noch vor drei Monaten eine Mehrwertsteuererhöhung deshalb ab, weil die beabsichtigte Senkung der Lohn- und Einkommensteuer nicht im selben Gesetz geregelt war?
Soll jetzt keine Senkung beschlossen werden und
das ungeheuer dynamische Wachstum des Lohn-
8702 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Matthöfer
steueraufkommens einfach so weiterlaufen, gewissermaßen als zusätzlicher Beitrag zur Umverteilung zugunsten der oberen Einkommensschichten? Es nützt überhaupt nichts, Herr Kollege Waigel, wenn Sie hier die hohe Belastung der Arbeitnehmer beklagen, aber die von uns geplante Lohnsteuersenkung zum 1. Januar 1984 nicht durchführen.
Bedrückt es den Herrn Bundeskanzler nicht, daß er trotz aller schwerwiegenden Bedenken, die er hier von diesem Platz vor kurzer Zeit vorgetragen hat, die Mehrwertsteuer nun doch erhöhen will, eine Zwangsanleihe einführen will und mit höheren Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, vorgezogenen Beitragserhöhungen zur Rentenversicherung die Abgabenlast kräftig erhöhen will, Herr Waigel? Ist es richtig, Herr Bundeskanzler, daß Sie für die Zeit nach dem 6. März weitere Mehrwertsteuererhöhungen planen?
Sie haben versprochen, Bürokratie abzubauen. Und was tun Sie? Statt der verfassungsrechtlich einwandfreien Ergänzungsabgabe führen Sie eine fragwürdige bürokratieerzeugende Zwangsanleihe mit komplizierter Investitionsgegenrechnung ein. Die konzentrationsfördernde Insolvenzrücklage, die Umwandlung von BAföG-Zahlungen in Darlehen, die Kostenbeteiligung beim Krankenhausaufenthalt sind gleichfalls mit enormem bürokratischem Aufwand verbunden.
Was kostet die Einführung der Einkommensgrenze beim Kindergeld wirklich, Herr Bundesfinanzminister?
Wie hoch ist das Aufkommen? Müssen wir nur mit 150 oder 200 Millionen DM Verwaltungskosten rechnen? Ich halte die 100 Millionen DM, die der Haushaltsausschuß eingesetzt hat, nach den mir damals vorgelegten Zahlen, die ich sorgfältig geprüft habe, für viel zu niedrig. Sind die Kosten für die Millionen nicht betroffener Kindergeldbezieher, die ja wohl ebenfalls — es ist technisch gar nicht anders zu machen — eine Erklärung abgeben müssen, und die Kosten der Finanzämter, die die Bescheinigungen ausstellen müssen, in diese bürokratieerzeugende Maßnahme einbezogen?
Sie haben versprochen, die Nettokreditaufnahme zu senken. Noch im September haben Sie eine vom jetzigen Bundeskanzler und von den anderen Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion unterzeichnete Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, in der die Höhe der damaligen Nettokreditaufnahme für 1981 und für 1982 als verfassungswidrig bezeichnet wurde. Wenige Wochen später erhöhen Sie diese angeblich schon verfassungswidrige Nettokreditaufnahme ohne jede weitere Begründung um viele Milliarden, ohne auch nur den Versuch zu machen, mit allen Mitteln der Ausgabekürzung die Notwendigkeit, Kredite aufzunehmen, zu vermindern.
Die Begründung, Sie hätten zuwenig Zeit gehabt, Herr Bundesfinanzminister, kann ich nicht akzeptieren. Auch sozialdemokratische Finanzminister haben in kurzer Frist reagiert, wenn sich wirtschaftliche Daten veränderten. Und Sie hätten gewiß schneller, gründlicher und besser arbeiten können, wenn Sie nicht so viele loyale, qualifizierte und leistungsfähige Beamte Ihres Ministeriums aus dem aktiven Dienst vertrieben
oder nur deshalb von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen hätten, weil sie Sozialdemokraten sind.
Was ist denn eigentlich aus der fünf-, acht- oder auch zehnprozentigen Minderung aller Subventionen geworden, die Sie immer und immer wieder gefordert haben, obwohl ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, ausführlich die Undurchführbarkeit dieses Vorschlags dargelegt hatte? Nun stellt sich heraus, daß er offenbar gar nicht ernstgemeint war und nur zur Täuschung und Irreführung der Wähler diente. Jetzt, wo Sie die Mehrheit hätten, um ihn zu verwirklichen, versuchen Sie das nicht einmal.
Als besonders unpassend empfinde ich, Herr Bundesfinanzminister, daß Sie einerseits von einer weltweiten Wirtschaftskrise sprechen, andererseits die Folgen der Änderung der vorausgeschätzten Wirtschaftsdaten als Erblast bezeichnen.
Und der für die Schätzung verantwortliche federführende Wirtschaftsminister sitzt daneben und lächelt und nickt Zustimmung.
Haben Sie sich denn entschlossen, Herr Graf Lambsdorff, die Frage des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß nach Ihrem Aufenthaltsort in den letzten zehn Jahren zu beantworten?
Wo waren Sie denn? Auf dem Mond? Auf einem
Stern? In einer Taucherglocke in der Tiefsee? Ver-
schollen im indischen Dschungel? In einem sibiri-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8703
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schen Schweigelager? Wo sind Sie denn in den zehn Jahren gewesen?
Oder haben Sie wirklich doch an allen wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungsprozessen maßgeblich teilgenommen —
um dann natürlich anschließend Herrn Hoppe loszulassen, der sich von den auch mit seiner Zustimmung einvernehmlich erzielten Ergebnissen regelmäßig öffentlich distanzierte, offenbar um so den Wechsel vorzubereiten,
mit dem Sie sich dann endgültig aus der Verantwortung für die gemeinsame Politik schleichen wollen?
Aber dieser Wechsel wird platzen. Das deutsche Volk wird Ihnen am 6. März nicht nur für Ihren Wortbruch, sondern auch für diese Art politischer Drückebergerei die richtige Quittung geben.
Mißverstehen Sie mich nicht, Herr Bundesfinanzminister; ich halte die erhöhte Nettokreditaufnahme für 1982 und 1983 für richtig. Alles andere wäre wirtschafts- und finanzpolitischer Wahnwitz gewesen; Sie hätten noch größeren Schaden angerichtet, als Sie es sowieso schon tun.
Ich hätte aber doch gerne eine Antwort: Handeln Sie nun nach Ihren eigenen Kriterien, wie Sie sie in der Klagebegründung auf vielen Seiten dargelegt haben, bewußt verfassungswidrig, oder haben Sie Ihre Klagebegründung gar nicht ernstgemeint?
Haben Sie den Vorwurf verfassungswidrigen Handelns leichtfertig erhoben und das Bundesverfassungsgericht zum Instrument des politischen Tageskampfes herabgewürdigt?
Der Sachverständigenrat schreibt, die sozialliberale Bundesregierung habe die Grundlagen für den mittelfristigen Abbau des sogenannten strukturellen Defizits gelegt, und deshalb könne ein konjunkturell bedingter Anstieg der Neuverschuldung hingenommen werden. Sie, Herr Bundesfinanzminister, haben diese von uns immer vertretene Argumentation aufgegriffen. Wenn sie Ihnen hilft, den Anstieg der Neuverschuldung auf über 40 Milliarden DM — dabei wird es vor allen Dingen auch im
nächsten Jahr noch lange nicht bleiben — hinzunehmen, so soll uns das recht sein.
Wenn Sie sagen, hier würden zum erstenmal solide Zahlen geschätzt: Solange derselbe Wirtschaftsminister Ihnen die Zahlen liefert, so lange bleibe ich mißtrauisch gegenüber allen Prognosen, die ja immer auch einen berechtigten normativen Charakter haben müssen.
Sie halten es für richtig, trotz der konjunkturellen Verschlechterung, die sich im Rückgang des Bruttosozialprodukts im dritten Vierteljahr um 1,5 % oder im Jahresvergleich um 2 % zeigt, mit ungewöhnlicher Hektik mit starken Kürzungen in die Systeme der sozialen Sicherheit, des Familienlastenausgleichs, des Wohnungsbaus und Wohnungsmarktes und der Bildungschancen einzugreifen. Sie beschreiten damit einen gefährlichen Weg.
Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem sich nach einer anhaltenden Stockungsphase eine tiefe Rezession anbahnt, entziehen Sie dem volkswirtschaftlichen Kreislauf Kaufkraft und Nachfrage in einer Größenordnung von einem Prozent des Bruttosozialprodukts
und schaffen damit zusätzliche Arbeitslosigkeit weit über das aus weltwirtschaftlichen Gründen unvermeidliche Maß hinaus. Wir bezweifeln, ob es richtig ist, über das bereits von uns geplante Maß hinaus Haushaltskonsolidierung in einer verstärkt rezessiven Phase zu betreiben, und wir bezweifeln, daß dies der Schlüssel zur Belebung der Investitionstätigkeit und zur Schaffung von Arbeitsplätzen sein kann. Eine ausreichende Nachfrage — dies habe ich Ihnen als Bundesfinanzminister hier immer wieder gesagt, meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion —,
ein stetig steigendes Masseneinkommen
sind gewiß keine hinreichende, aber eine unabdingbar notwendige Bedingung für Wachstum und Beschäftigung.
Der Sachverständigenrat schreibt völlig zu Recht:
Wenig Unterstützung kommt 1983 voraussichtlich vom Export. Für diese Einschätzung braucht man kein sonderlich pessimistisches Szenario für die Weltkonjunktur zu zeichnen. Die schwache Stelle ... ist und bleibt 1983 der private Verbrauch.
Wir sagen Ihnen, es ist eine außerordentlich riskante, ja geradezu unverantwortliche Strategie, so-
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wieso schwache Stellen durch bewußte politische Entscheidungen noch weiter zu schwächen.
Aber was kann man von einem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden erwarten, der wirklich ernsthaft zu glauben scheint, im kommenden Wahlkampf dem deutschen Volk einreden zu können, die weltweite Wirtschaftskrise, von der der Bundesfinanzminister neuerdings immer wieder spricht, sei von der SPD dadurch verursacht worden, daß sie eine Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensschichten vorgenommen habe — die „Nivellierung" von Herrn Waigel von vorhin —, und man könne die Welt dadurch wieder in Ordnung bringen, daß man den Reichen in der Bundesrepublik Deutschland mehr Geld verschaffe.
Muß jemand, der einen solchen Unsinn verbreiten läßt und verbreitet, nicht notwendigerweise eine falsche Politik machen?
Nun habe ich gestern mit großer Freude gehört, daß der Herr Bundeskanzler von einem konjunkturell bedingten Defizitanteil sprach. Das ist ein wirklicher Fortschritt! Nun, wie hoch ist dieser konjunkturell bedingte Anteil?
Wenn man Haushalte aufstellt, hört — das wissen die Herren Haushälter ganz genau — das allgemeine Gesabbel auf;
dann muß man Zahlen nennen. Wie hoch ist dieser Anteil'?
Beträgt er 15 Milliarden Steuerausfall und 10 Milliarden zusätzliche Mehrausgaben — mit unterschiedlicher Gewichtung dieser Faktoren; darüber läßt sich reden —,
also etwa 25 Milliarden DM? Warum, Herr Bundeskanzler, sagen Sie uns nicht, wie hoch Sie ihn schätzen?
Und wenn Sie uns dann gesagt haben, wie hoch dieser konjunkturbedingte Anteil ist: Wie hoch schätzt man dann den anderen notwendigen Anteil des Defizits, nämlich den kreislaufbedingten Anteil des Defizits? Ich empfehle Ihnen den Ihnen als Bundestagsdrucksache zugestellten Jahresbericht des Sachverständigenrates zur Lektüre. Dort finden Sie auf Seite 112 eine Darstellung dieses auch in normalen Vollbeschäftigungsjahren aus Kreislaufgründen notwendigen Defizits der öffentlichen Hände. Der Sachverständigenrat schätzt dieses Defizit auf etwa 20 Milliarden. Es gibt andere, die sagen: Es sind 40 Milliarden. Dies hielte ich für zu hoch; ich selbst meine, daß es zwischen 28 und 30 Milliarden DM sind, davon 15 Milliarden Bundesanteil.
Das ist das in Normaljahren erforderliche Defizit der öffentlichen Hände.
Wenn Sie nun die 25 Milliarden, die wir vorhin als konjunkturbedingt bezeichnet haben, und die kreislaufbedingten 15 Milliarden nehmen, kommen Sie auf den Betrag von 40 Milliarden DM, der in diesem Jahr in der Tat als Defizit entstanden ist. Das berühmte Märchen vom strukturellen Defizit, das durch die „hemmungslose Ausgabenwirtschaft" — Herr Finanzminister, Sie erinnern sich noch an Ihre Rede in München — und durch die „Schuldenmacherei" entstanden sei,
bricht in sich zusammen.
Ihre perfide Kampagne der letzten Jahre — „Schuldenmacherei" —
und der geplante Wahlkampf, der ja jetzt schon mit Zeitungsanzeigen anfängt, brechen in sich zusammen.
Sie werden, wenn Sie sich vernünftig verhalten, genauso viele Kredite aufnehmen müssen wie wir, oder Sie werden Massenarbeitslosigkeit erzeugen und anschließend ein noch höheres Defizit haben.
Es nützt ja nichts, über die Tücken des volkswirtschaftlichen Kreislaufzusammenhangs — —
Herr Abgeordneter Matthöfer — —
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Präsident Stücklen
— Einen Moment! Jede Erregung ist zulässig, nur darf sie nicht so störend wirken wie im Augenblick.
Ein Weiteres: Dies ist eine Aussprache, und ich habe nicht gesehen, daß — —
— Herr Wehner, einen Augenblick, bitte! Ich habe nicht gesehen, daß die Aussprache begrenzt wäre. Also haben Sie die Möglichkeit, zu antworten. Ich möchte doch darum bitten, daß Sie davon Gebrauch machen.
Fahren Sie bitte fort!
Es nützt nichts, meine Damen und Herren von der Regierungspartei, von der Rechtskoalition, über die Tücken der volkswirtschaftlichen Kreislaufzusammenhänge im kapitalistischen Wirtschaftssystem zu jammern. Die sind so, wie sie sind, und man muß sie akzeptieren. Das ist ja eine Einsicht, die auch meinen französischen Genossen jetzt deutlicher ist als noch vor zwei Jahren.
Wir sind stolz darauf,
daß wir in der Bundesrepublik Deutschland
1,2 Millionen Arbeitslose weniger haben als es dem
Schnitt der OECD-Länder — mit Ausnahme Japans
— entspricht.
Wir sind stolz darauf, daß wir nicht wie Großbritannien 14 % Arbeitslose haben; das wären bei uns nämlich 3,8 Millionen, 1,8 Millionen Arbeitslose mehr — wie in dem seit dreieinhalb Jahren konservativ regierten Land.
Wir sind stolz darauf, daß wir nicht knapp 11 % Arbeitslose haben wie die Vereinigten Staaten, weil unsere niedrigen Arbeitslosenzahlen das Ergebnis einer bewußten und von uns zu verantwortenden Politik sind.
Ich weise die Arroganz in der Bemerkung des Herrn Bundeskanzlers von gestern zurück, der mir untersagen wollte, in dieser Debatte zu reden.
Ich würde nicht so selbstsicher daherkommen, wenn ich durch Wortbruch meines Koalitionspartners für eine kurze Übergangszeit Bundeskanzler geworden wäre.
Was lernen Sie denn eigentlich aus den Erfahrungen anderer Länder? Das Schicksal hat es doch recht günstig mit der damaligen Opposition gemeint. Es gab Ihnen doch die leider ungenutzte Chance, nicht in Ihren Klischeevorstellungen verfangen zu bleiben, sondern aus den Erfahrungen der Politik Ihrer konservativen Schwesterparteien in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten zu lernen, wo man die gleichen oder ähnliche Rezepte, wie sie die CDU/CSU jetzt in der Bundesrepublik anwenden will, schon in der Wirklichkeit erprobte. Das Ergebnis: Nach dreieinhalb Jahren konservativer Politik in Großbritannien ist die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie bei uns.
Was ist denn aus der von Herrn Strauß damals sehr begrüßten Ankündigung des amerikanischen Präsidenten Reagan geworden, für das Fiskaljahr 1984 — das bei denen im Oktober 1983 beginnt — einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen? „Strauß begrüßt Reagans Finanzpolitik", hieß es. Nach dem jetzigen Stand der Meinungsbildung wird der Präsident am 17. Januar einen Haushalt mit einem Defizit von 155 Milliarden Dollar vorlegen,
einem Defizit, doppelt so groß wie das irgendeines seiner Vorgänger, obwohl eine viel zu hohe Wachstumsrate des Sozialprodukts angenommen wurde, obwohl Einschnitte in das System der sozialen Sicherheit vorgesehen sind, die dieser Kongreß niemals verabschieden wird, und obwohl die entgegen allen Wahlversprechungen erhöhten Steuern mit berücksichtigt worden sind. Realisten schätzen deshalb das Defizit auf eher 200 Milliarden Dollar.
Ich sage Ihnen: Massenarbeitslosigkeit und höhere Defizite, das wird auch Ihr Schicksal sein, wenn Sie hartnäckig an Ihren falschen Vorstellungen festhalten, aus den Erfahrungen anderer nichts lernen und den in den letzten zehn Wochen eingeschlagenen Weg weitergehen.
Unsere Schwierigkeiten sind die Folge einer weltweiten kapitalistischen Abschwungsphase, verstärkt durch die Ölpreiskrise, verstärkt durch die Art und Weise, wie die Amerikaner den Vietnam-Krieg finanziert haben, nämlich durch Erzeugen hoher Leistungsbilanzdefizite.
— Dies ist etwas, was ich lange und ausführlich mit meinen amerikanischen Kollegen besprochen habe.
Niedrige Zinsen in der ganzen Welt sind die Voraussetzungen für die Beendigung der wirtschaftli-
8706 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Matthöfer
chen Talfahrt. Haben Sie, Herr Stoltenberg und Herr Pöhl, von Ihren amerikanischen Kollegen Zusicherungen bekommen, daß die Federal Reserve die Voraussetzungen für eine international konzertierte Zinssenkungskampagne schaffen wird? Hat der Bundeskanzler dies im Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten gleichfalls gefordert? Ich frage: Welche konkreten Formen hat die auf dem Wirtschaftsgipfel in Versailles vereinbarte engere währungspolitische Zusammenarbeit der fünf großen Länder zwischenzeitlich angenommen? Welche Absprachen haben Sie mit Ihren US-Kollegen getroffen, um mögliche Fehlentwicklungen zu verhindern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Was gedenken Sie zu tun, um den weiteren Marsch in den Protektionismus zu stoppen und unser vitales nationales Interesse an offenen Weltmärkten zu sichern?
Wenn Sie, Herr Waigel, sagen, wir möchten da mit unseren sozialistischen Freunden in Frankreich sprechen, dann will ich Ihnen einmal folgendes sagen: Die französischen Bemühungen, ihre Wirtschaft wieder anzukurbeln, verbunden mit dem von Ihnen bekämpften Europäischen Währungssystem, haben dazu geführt, daß in den ersten neun Monaten dieses Jahres der deutsche Handelsüberschuß nach Frankreich um 7,5 Milliarden DM zugenommen hat. Dies ist ein Beschäftigungsprogramm,
das wir als Nutznießer der französischen Ankurbelungspolitik gewissermaßen frei Haus geliefert bekommen haben, und ich frage mich, wie weit die Franzosen dies uns gegenüber noch weitermachen können.
Herr Waigel, ich kann nur lachen, wenn Sie sagen, die gute wirtschaftliche Lage von BMW sei ein Verdienst der bayerischen Staatsregierung. Die Ausfuhr von BMW-Wagen nach Frankreich ist im letzten Jahr um 40 % angestiegen, und da liegt der Grund für die gute Beschäftigung.
Das ist ein Verdienst der Politik der französischen Regierung und nicht der bayerischen Staatsregierung.
Da muß der Bundeskanzler aktiv werden, und das kann niemand anders machen. Ich frage mich: Hat er, als die GATT-Konferenz zu diesem Ergebnis führte, wirklich mit den Regierungschefs und Staatsoberhäuptern gesprochen, hat er sich eingeschaltet, hat er erkannt, daß wir ein vitales Interesse daran haben, daß der Welthandel frei bleibt?
Die Berichte über die Tagung des Europäischen Rats, wobei man auch gern etwas darüber wissen
möchte, was da beschlossen worden ist, um den Protektionismus abzubauen und keinen neuen gegenüber dem Rest der Welt einzuführen, werfen auch finanzpolitische Fragen auf. Wir begrüßen es ausdrücklich, daß der Bundeskanzler in der Frage des Eintritts von Spanien und Portugal in die Europäische Gemeinschaft eine so klare und eindeutige Haltung einnimmt. Wir werden ihn in dieser Frage unterstützen. Aber wie wollen Sie, Herr Bundeskanzler, den Widerspruch lösen zwischen Ihrer Absicht, an der Beschränkung der Mehrwertsteuerablieferung an die EG auf maximal 1% der Bemessungsgrundlage festzuhalten, und unserem gemeinsamen Interesse, Spanien und Portugal möglichst bald in die EG aufzunehmen? Das müßte man einmal konkret hören. Wie und mit welchen Mitteln wollen Sie ein Durchstoßen dieser Ein-ProzentGrenze als Folge eines unkontrollierten Anstiegs der Agrarmarktausgaben verhindern, was schon ohne weitere Beitritte für 1983 eine reale Möglichkeit ist?
Ich frage die Bundesregierung — ich bitte um Auskunft an die Opposition —: Werden Sie sich, Herr Bundeskanzler, gemeinsam mit dem Kanzlerkandidaten der SPD, Hans-Jochen Vogel, für einen Beschäftigungspakt der großen Industriestaaten einsetzen?
Was werden Sie tun für eine gemeinsame beschäftigungsorientierte und investitionsfördernde Finanz-und Geldpolitik der Industrieländer, einen Währungsverbund, in dem auf Abwertungen zur Verbesserung der eigenen Ausfuhr verzichtet wird, eine Geldpolitik, die ein niedriges Zinsniveau in allen Teilnehmerländern ermöglicht, eine gegen den Protektionismus gerichtete Politik, die den Austausch von Gütern und Dienstleistungen, von Kapital und technischem Wissen nicht behindert, sondern weiter verstärkt? Werden Sie sich dafür einsetzen, daß die wirklichen Ursachen der Krise beseitigt werden, oder glauben Sie tatsächlich an Ihre eigene Wahlpropaganda?
Wie soll es bei uns in der Bundesrepublik weitergehen? Es besteht rein verbale Übereinstimmung zwischen den Parteien, daß wir uns nicht passiv mit Stagnation und zunehmender Arbeitslosigkeit abfinden wollen, daß wir eine neue Wachstumsdynamik durch mehr Wettbewerb, durch Unternehmensgründungen, durch Innovationen, technischen Fortschritt und neuartige Lösungen, aber auch durch besseres und umweltfreundliches Wachstum suchen, daß dies alles nicht allein vom Staat gemacht werden kann, daß der Erfolg des Wirtschaftens von Leistung und Geschick aller am wirtschaftlichen Geschehen Beteiligten abhängt und daß man dabei die Regelmechanismen des marktwirtschaftlichen Wettbewerbs eine wesentliche Rolle spielen lassen muß.
Eine Wachstumsoffensive, eine zukunftsgerichtete Politik darf aber auf gar keinen Fall mit der
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Matthöfer
Kürzung von Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung beginnen.
Die Ausbildung junger Menschen, ihre Vorbereitung für die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht nur der 90er Jahre, sondern auch darüber hinaus ist die wichtigste Zukunftsinvestition. Kürzungen hier sind keine Antworten auf unsere Probleme. Sie schaffen Probleme.
Wir können nicht kritisieren, daß der Ergänzungshaushalt keine neuen Konzepte der sozialen Sicherheit ausweist. Wir alle stehen erst am Anfang beim Überdenken der Frage, wie in Zukunft bei schwierigeren Wachstumsbedingungen, vielleicht längerfristig schwachen Wachstumsraten die Systeme der sozialen Sicherheit gestaltet werden können. Wir kritisieren allerdings, daß die CDU/CSU und die FDP, ohne ein solches Konzept zu haben, massive Eingriffe beschließen. Man hätte in ruhigeren Zeiten zwischen allen Parteien diskutieren können,
wie ein Gleichklang zwischen der Entwicklung der Nettoeinkünfte der Erwerbstätigen und der Rentner hergestellt werden kann.
Die CDU/CSU hat bis zuletzt daran festgehalten, daß es bei der Bruttoanpassung bleiben müsse. Ihre merkwürdige Erblasttheorie wird nicht durch die Art und Weise glaubwürdiger,
in der Sie das zeitweilige Aussetzen der Bruttoanpassung publizistisch begleitet haben.
Ich bin mir sehr wohl bewußt, wie schwierig es ist, Anforderungen an den Bundeshaushalt auf ein finanzpolitisch vertretbares Maß zurückzudrängen. Es hat aber auf Dauer keinen Sinn, in einer sachlich nicht überzeugenden Weise in Systeme einzugreifen, nur, um kurzfristig Einsparungserfolge zu erzielen, die sich nachher als nur scheinbar erweisen.
Mit Kürzungen bei landwirtschaftlichen Sozialleistungen z. B. kommen wir dem Ziel einer weniger subventionierten, marktwirtschaftlich organisierten Marktwirtschaft keinen Schritt näher. Dies setzt nämlich Änderungen der Marktordnungen der Europäischen Gemeinschaft voraus.
Ich kann aber auch nicht erkennen, daß die andere Seite der Umstrukturierung, die Verstärkung der wachstumsfördernden, der innovativen und investiven Ausgaben in diesem Ergänzungshaushalt berücksichtigt sind. Im Gegenteil: Wir stellen bei einer Reihe von Titeln für investive Ausgaben unvertretbare Kürzungen fest. Wenn Sie etwa Mittel für Kohleheizwerke, Fernwärme und Kohleveredelung streichen, fällt der Anspruch der Umstrukturierung des Haushalts völlig in sich zusammen. Wo sonst denn, wenn nicht bei der Energie-Infrastruktur, kann die öffentliche Hand produktive Zukunftsinvestitionen leisten?
Ein besonderes Beispiel Ihrer arbeitsplatzgefährdenden und vergangenheitsorientierten Politik ist die Politik der Regierung auf dem Gebiet der Mikroelektronik. Die Zukunft vieler Arbeitsplätze und Unternehmen in der Bundesrepublik wird davon abhängen, ob wir auf diesem Gebiet erfolgreich sind. Das gilt für die Elektroindustrie wie für den Maschinenbau. Es gilt allgemein für unsere exportabhängige Wirtschaft.
Nun haben die frühere Opposition und die FDP in der Technologiepolitik noch nie ein klares Konzept erkennen lassen. Sie haben sich statt dessen darauf konzentriert, eine Bevorzugung der indirekten Förderung durchzusetzen. Gestern habe ich zu meinem Erstaunen gehört, daß der Herr Genscher die großartige Entwicklung der Mikroelektronik in den Vereinigten Staaten auf den Beitrag vieler kleiner Unternehmen zurückführt. Nun ist es zweifellos richtig, daß es dort viele kleine Unternehmen gibt. Aber weiß denn der Herr Genscher nicht, daß Voraussetzung für die Existenz dieser vielen kleinen Unternehmen viele, viele Milliarden Dollar aus dem Verteidigungshaushalt, aus dem Haushalt der amerikanischen Weltraumbehörde waren? Mit diesem Geld wurde das Entstehen der Mikroelektronik überhaupt erst möglich gemacht.
Die Behauptung, viele kleine Unternehmen trieben die Mikroelektronik voran, ist ein Beispiel für Ideologie im alten Marxschen Sinne — ein interessebedingtes, notwendigerweise falsches Bewußtsein von der Wirklichkeit. Es wird wirklich gefährlich, wenn ein solcher Mann in einer Schlüsselstellung im politischen Entscheidungsprozeß sitzt.
Ich hatte in den Koalitionsgesprächen nach der Wahl 1980 ein Mikroelektronik-Programm in Höhe von einigen hundert Millionen Mark mit steigender Tendenz vorgeschlagen. — Übrigens bitte ich dem Herrn Bundeskanzler zu sagen, daß beabsichtigt war, den Großteil davon nach Berlin zu bringen. Ich freue mich ja, daß er Investitionen nach Berlin lenken will.
Es wäre gut, wenn wir aus Berlin ein Zentrum der Mikroelektronik machen könnten.
Ich habe das als Forschungsminister, dann als Finanzminister, die Berliner haben dazu beigetragen.
Es wäre gut, wenn man weitermachen könnte. —
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Matthöfer
Aber dieses Programm wurde von Herrn Genscher abgelehnt. „Wir haben doch nicht den Wahlkampf gegen die direkte und für die indirekte Forschungsförderung geführt, um jetzt dieses Programm zu beschließen", so hieß es. — Man weiß ja, wie ernst der Herr Genscher Wahlkampfaussagen nimmt.
Sind denn die technologischen Durchbrüche auf dem Gebiet der Mikroelektronik durch Marktnachfrage oder durch indirekte Forschungsförderung entstanden? Wenn ich jemals ein Beispiel für einen staatlich organisierten Technologie-Push gesehen habe, dann auf diesem Gebiet.
Heute erleben wir den für die deutsche Marktwirtschaft glorreichen Tag, an dem Grundig, eines der wenigen Beispiele erfolgreichen Unternehmerwirkens nach dem Zweiten Weltkriege, an einen französischen Staatskonzern verkauft werden soll. Und einer der für den Verkauf Verantwortlichen sagt: „Wenn ich heute die Frage höre, warum wir nicht an Deutsche verkauft haben, dann muß ich auch fragen: Was soll denn ein Unternehmer machen, wenn die Regierung unseres Landes die Entwicklung der Elektronik als Zuschauer betrachtet?" — Die neue Regierung hat die direkte Förderung der Elektronik, der Informations- und Kommunikationstechnik und der neuen Fertigungstechniken um 48 Millionen DM gekürzt. Gleichzeitig verstärkt die japanische Regierung ihre Anstrengungen, die USA zu überholen. 55 Milliarden Franc öffentlicher Mittel investiert die sozialistische Regierung Frankreichs in ihre Elektronikindustrie, um auf diesem strategischen Gebiet eine Schlüsselposition zu erlangen.
Da Sie die direkte Förderung als ersten Schritt zum Sozialismus für verwerflich halten, indirekte Förderung aber überaus teuer ist oder als feinverteilter Geldregen wirkungslos verpufft, auf keinen Fall so aber auf dem Gebiet der Mikroelektronik Durchbrüche erzielt werden können, schaut die Regierung der Bundesrepublik ohne eigene Initiativen zu, wie andere mit staatlicher Förderung an der deutschen Elektronikindustrie vorbeiziehen oder diese aufkaufen. Es lebe die abstrakte Marktwirtschaft! Wen interessieren die konkreten Arbeitsplätze deutscher Arbeitnehmer?
Noch haben wir die stärkste Elektronikindustrie in Europa. Aber wenn die Politik der neuen Regierung zu Ende geführt wird, dann wird sich diese Bastion nicht halten lassen.
Jetzt hören wir von der Verkabelung als Rettungsanker.
Verkabelung ohne Rücksicht auf Anschlußdichte und Rentabilität stürzt die Post in unverantwortliche Verlustgeschäfte. Volkswirtschaftlich und innovatorisch gewinnen wir durch Kupferverkabelung nichts. Die Behauptung, daß damit Innovationen ausgelöst werden könnten, halte ich für naiv. Welche Investitionen denn? Bei Koaxialkabeln gibt es nichts mehr zu erfinden. Die wesentlichen Kosten der Verkabelung mit Kupfer, 70 bis 80 %, fallen bei Verlegung und Montage an, d. h. dabei, Straßen und Wege aufzureißen, die Kabel zu verlegen und dann wieder zuzuschütten.
Gleichzeitig wird die Möglichkeit vertan, in die Technologien der Zukunft, in die optische Nachrichtentechnik, in digitalisierte, dienstintegrierte Netze, in neue Endgeräte, in Mobilfunk für große Teilnehmerzahlen oder neue Formen der geschäftlichen Kommunikation zu investieren.
Was tut denn die Rechtskoalition sonst noch zur Beschäftigungssicherung? Beim Hochschulbau haben wir weder konjunkturelle Wirkungen noch Wachstumsimpulse zu erwarten. Das gleiche gilt für den Rhein-Main-Donau-Kanal oder für ihre Autobahnpläne. Wann werden wir denn endlich erfahren, ob der Bundesverkehrsminister nun neue, unsinnige Straßenprojekte forcieren oder ob er wirklich nur alte Planungen ausführen will? Wie steht es denn eigentlich mit der Auflösung des Genehmigungsstaus bei den Kernkraftwerken? Wie viele Milliarden DM an Auftragsvolumen wollte Herr Dr. Dregger doch damals dadurch mobilisieren.
Darf man erfahren, welche Maßnahmen der neue Innenminister Zimmermann in den letzten 10 Wochen unternommen hat, um dieses angebliche Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung wegzuräumen?
Trifft es zu, daß er gar nichts unternommen hat, weil nichts zu unternehmen war, weil Sie und andere dem deutschen Volk Märchen erzählt haben, Herr Dr. Dregger?
Die weitere Aushöhlung der Gewerbesteuer, die von Ihnen beabsichtigt ist, begünstigt keineswegs den Mittelstand, wie auch der Wirtschaftsminister fälschlicherweise immer wieder behauptet; der ist weitgehend durch die hohen Freigrenzen freige-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8709
Matthöfer
stellt. Sie bedeutet aber eine weitere Aushöhlung der Finanzautonomie der Gemeinden, von dem fast unlösbaren Finanzausgleichsproblem einmal abgesehen.
Es setzt schon einen starken Glauben in die eigene Propaganda voraus, die jetzt vorgeschlagene Umsatzsteuererhöhung als etwas Besseres darzustellen als die Steuererhöhung, die Sie noch im Mai abgelehnt haben.
Herr Stoltenberg sagt, er beabsichtige, aus Mitteln der Umsatzsteuererhöhung die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen zu fördern — das wollen wir auch; wir werden einen Gesetzentwurf einbringen.
Unser Vertrauen in Ihre zukünftige Gesetzesinitiative wird auch nicht größer, wenn wir hören, daß in Ihren Koalitionsvereinbarungen steht, daß nur eine Umschichtung innerhalb des 624-DM-Gesetzes beabsichtigt ist. Das wäre ein kostenneutrales Minimalkonzept, mit dem Sie das Verhalten der Tarifpartner nicht beeinflussen können; und darauf kommt es ja wohl an.
Ihre sogenannte Insolvenzrücklage ist konzeptionell völlig verfehlt und eine weitere Steigerung in der unseligen Verkomplizierung von Steuerrecht und Steuerverfahren. Es gibt überhaupt keine handhabbaren Abgrenzungskriterien, wann ein Unternehmen vom Konkurs bedroht ist. Das geplante Bescheinigungsverfahren ist reine Augenwischerei. Keine Behörde kann ein fundiertes und objektives Urteil über die Zukunftsaussichten eines Betriebes abgeben.
Wie soll denn das wohl aussehen!
Ihre sogenannte Investitionshilfeabgabe kann nur noch als Verirrung politischer Kompromißphantasie bezeichnet werden.
Meine Fraktion hat oft genug die soziale Unausgewogenheit eines angeblichen Solidarbeitrages der höheren Einkommensschichten deutlich gemacht, der dann nach drei Jahren zurückgezahlt werden soll.
Er ist auch deswegen sozial unausgewogen, weil Sie mit dem viel zu günstigen Investitionsquotienten von 20 % alle Unternehmenseigner, Selbständige, Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater völlig von dieser Ergänzungsabgabe ausnehmen. Das erklärt auch das niedrig geschätzte Aufkommen. Außerdem muß man ja das Ausweichverfahren dieser Gruppen wohl auch noch abwarten.
Ich wundere mich über die Bedenkenlosigkeit, mit der Sie sich über rechtliche Fragen hinwegsetzen. Die Regierung beschließt einen Gesetzentwurf, obwohl ihr eigener Justizminister zu Protokoll gibt, daß er ihn für rechtswidrig hält. In welche Lage, Herr Bundesfinanzminister, bringen Sie da den Bundespräsidenten?
Ihre Zwangsanleihe bürdet der ohnehin überlasteten Finanzverwaltung sinnlose bürokratische Mehrarbeit auf. Sie erhöhen die angeblich gefährliche und verfassungswidrige Staatsverschuldung — überdies mit extrem kurzer Laufzeit — und werden bis zum Bundesfinanzgericht zitiert werden und dann möglicherweise Ihre Zwangsanleihe umschulden müssen.
Ich fasse zusammen. Das fachliche Urteil über den beschäftigungs-, haushalts- und steuerpolitischen Einstand der Übergangsregierung Kohl/Zimmermann/Genscher fällt verheerend aus,
CDU/CSU, FDP, Kohl/Zimmermann/Genscher! In der vielleicht gut gemeinten Absicht, möglichst rasch von der steuerlichen Seite her Ausgleich für den Nachfrageentzug der Haushalts- und Sozialkürzung zu schaffen,
haben Sie unausgegorene Fehlkonstruktionen beschlossen. Erfolgversprechende Wege, nämlich die Erarbeitung einer Strategie zur Bildung von mehr unternehmerischem Risikokapital und stärkerer Beteiligung der Arbeitnehmer, wurden von Ihnen nicht beschritten.
Stückwerk und Fehlentwicklungen wie die Aushöhlung der Gewerbesteuer und der Finanzkraft der Gemeinde drohen mehr Schaden anzurichten, als Nutzen zu stiften. Ihre Zwangsanleihe ist rechtswidrig. Sie ist nicht geeignet, unvermeidbare Lasten sozial gerechter zu verteilen; ihr Aufwand ist wahrscheinlich höher als ihr Nutzen. Die Einschnitte in die Renten-, in die Arbeitslosenversicherung, in die Ausbildungsförderung und andere Leistungen, die Abgabenerhöhung, insbesondere Umsatzsteuererhöhung, richten Schaden an und vermindern die Nachfrage,
ohne daß dafür ein nachhaltiger Nutzen für den wirtschaftlichen Aufschwung entsteht.
8710 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Matthöfer
Der Herausforderung, neue Wachstums- und Beschäftigungschancen zu erschließen, wird der Ergänzungshaushalt nicht gerecht. Wir müssen befürchten, daß die Arbeitslosigkeit noch wesentlich stärker steigt, als sich bisher wegen der weltweiten Krise als unvermeidlich abgezeichnet hat.
Zehn Wochen Haushalts- und Finanzpolitik dieser durch Wortbruch zustande gekommenen Rechtskoalition
waren zehn Wochen verlorener Glaubwürdigkeit,
falscher Analysen,
nicht eingehaltener Versprechungen, des Offenbarwerdens einer systematischen Wählertäuschung durch die Oppositionsredner der vergangenen Jahre,
des Zusammenbruchs amateurhafter und naiver Illusionen und der Verunsicherung der Wirtschaft.
Wir können im Interesse des deutschen Volkes nur hoffen, daß der Wähler am 6. März 1983 dem konservativen Zwischenspiel ein schnelles Ende bereitet,
damit Sie daran gehindert werden, die von Ihnen für die Zeit nach der Wahl geplanten, noch schlimmeren Maßnahmen verwirklichen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Gärtner.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Matthöfer, ich weiß nicht, ob Sie gestern hier waren, als der Kollege Leber, Ihr Freund aus Hessen, seine Rede gehalten hat. Ich kann mir nicht gut vorstellen, daß Sie diese Rede vollständig gehört haben.
In aller Freundschaft: Das, was wir in 13 Jahren zusammen in den Haushaltsberatungen und Sie in den letzten Jahren als Finanzminister gemacht haben, war ja auch nicht so, als könnte man nicht gemeinsam über das Thema „politische Erblast" und Probleme der Finanzpolitik der letzten Jahre streiten.
Wir haben doch gelegentlich ein paar Meinungsunterschiede gehabt. Ich darf Sie z. B. an Ihre eigene Prognosefähigkeit erinnern, an die Sitzung des Haushaltsausschusses am 12. Juni 1980, als wir zusammen die Frage geprüft haben, welche Risiken in den nächsten Jahren auf uns zukämen. Oder ich darf Sie noch einmal an Ihren eigenen Wende-Brief erinnern, den Sie im Januar 1981 an Ihre eigene Fraktion geschrieben haben.
Das muß man ja wenigstens noch miteinander diskutieren können.
— Herr Kiechle, Sie haben nach mir wahrscheinlich noch die Möglichkeit zu reden. Ihr Auftritt kommt noch.
Ich möchte auch noch einmal auf den Kollegen Waigel eingehen, weil ich es langsam leid bin — ich finde das ärgerlich —, daß Haushaltsberatungen nur noch in Schuldzuweisungsdiskussionen ausarten.
— Ja, man muß sich dabei nur fragen, welchen Teil des Schadens man selbst verursacht hat. Ich kann Ihnen ja einmal die Liste der Gesetze vorlesen — von 1970 an —, denen Sie alle zugestimmt haben. Heute will das keiner mehr wahrhaben. Wer hat denn, angefangen beim Bundesversorgungsausgleichsgesetz 1970 bis hin zum Mutterschaftsgeld, zugestimmt? Und wenn Sie nicht zugestimmt haben, dann deshalb, weil Ihnen die Gesetze nicht teuer genug waren, weil beispielsweise im Zusammenhang mit dem Mutterschaftsgeld nur die berufstätige Mutter berücksichtigt wurde.
Jeder tut so, als ob er in den letzten Jahren nicht die Haushaltsberatungen verfolgt hätte. Es war doch erkennbar, daß es nicht ohne Auswirkungen bliebe, und zwar in Milliardengrößenordnungen, und daß es in diesem Lande, so wie die Strukturen im Augenblick sind, in einigen Branchen Probleme geben würde.
Herr Kollege Matthöfer, was das Unternehmen mit der Mikroelekronik anlangt, bitte ich Sie doch herzlich, noch einmal Ihre Kollegen in der EnqueteKommission „Neue Medien" zu fragen, welche Gedanken sie sich in diesem Zusammenhang über Wachstumseffekte und Arbeitsplatzverluste gemacht haben. Ich halte es schon für richtig, daß man über das Problem diskutiert, wo neue Arbeitsplätze, neue Wachstumsfelder geschaffen werden können. Aber dann sollte man fairerweise hinzufügen, daß das auch Probleme auf dem Arbeitsmarkt bringen kann. Das kann man nicht über die Statistik hinbiegen; vielleicht auf kurze Zeit, aber ich meine, das gehört dazu.
Man sollte einmal bei Johano Strasser nachlesen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8711
Gärtner
— Ich glaube, Sie selbst würden da auch noch ein paar Stichworte finden, die Sie überzeugen können.
Er schrieb im Februar 1982 — ich darf zitieren —:
Der Haken an aller Wachstumsförderung, gleich welcher Art, ist, daß sie nirgends mehr so funktioniert, wie ihre Verfechter uns weismachen wollen.
Er fährt fort:
Die meisten Sozialdemokraten und Gewerkschafter wollen nicht wahrhaben, daß die gegenwärtige Krise nicht eine übliche Konjunkturkrise ist und daß deswegen auch die keynesianischen Rezepte nur sehr bedingt Abhilfe schaffen können.
Wenigstens an der Stelle merke ich, daß Ihnen der Text gefallen hat. Ich hoffe, daß Sie dies genauso kritisch lesen wie das, was der Kollege Häfele vor dem Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels sagte, als er auf die wahnwitzige Idee kam zu glauben, man könnte die Neuverschuldung des Staatshaushalts auf Null bringen. Auf diese Idee kann nur jemand kommen, der die Ökonomie noch nicht begriffen hat und das mit „Ökumene" verwechselt.
Die Probleme, die in den nächsten Jahren vor uns liegen, sind vergleichsweise klein, wenn man sich anschaut, was jenseits unserer Grenzen passiert. Wenn man über die Grenzen hinausschaut, kann man nicht so reden wie Herr Waigel und auch Herr Matthöfer, frei nach dem Motto „Protektionisten aller Länder, vereinigt euch!" Man kann die geplante Fusion zwischen Grundig und Thomson-Brandt nicht so beurteilen, aber in demselben Satz erklären, man wolle ein gemeinsames Europa schaffen.
Es ist mir völlig unverständlich, wie man über ein gemeinsames Europa reden — Herr Matthöfer sprach sogar die Frage an, inwieweit wir die 1 %-Regelung noch nach oben drücken können; fragen Sie einmal Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß, was die davon halten — und gleichzeitig über eine solche Fusion in dieser sehr nationalistischen Art und Weise diskutieren kann.
— Lieber Herr Kollege Spöri, wenn man — wie wir gemeinsam — das Ergebnis der GATT-Verhandlungen kritisiert, kann man doch nicht auf dem Standpunkt stehen: Das gilt alles nur dann, wenn es uns nutzt; wenn es uns möglicherweise schadet, sind wir prinzipiell dagegen! Das kann, wie ich finde, nicht überzeugend und ehrlich sein. Wollen wir vielleicht soweit kommen wie die Franzosen, die sozusagen in Anlehnung an die Geschichte in Poitiers, wo früher einmal die Mauren geschlagen wurden, jetzt versuchen, die Japaner zu schlagen? Das kann
man doch wohl nicht ernsthaft auf diese Art und Weise betreiben. Das ist jedenfalls eine Position, die gegen alle internationalen Absprachen verstößt.
Lösungsansätze sind hier fast gar nicht diskutiert worden. Der Kollege Matthöfer hat allerdings auf ein paar Positionen hingewiesen, die auch von uns sehr kritisch gesehen werden. Das betrifft beispielsweise den Ausbau des Fernstraßennetzes. Der Kollege Stoltenberg wird hoffentlich im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung sagen, ob der Kollege Dollinger für seine großen Pläne überhaupt das Geld bekommen kann. Der Kollege Leber hat gestern in seiner Rede an seine Vergangenheit erinnert, als die Straßenbaupolitik sozusagen nach vorn ging. Er hat allerdings bei seiner kritischen Position geflissentlich übersehen, daß zu seiner Zeit der Spatenstiche und Neueinweihungen eine ganze Menge von Brücken entstanden sind, die den berühmten Namen „So-da-Brücken" tragen, weil sie so da in der Landschaft stehen und nicht angeschlossen sind. Da sind eine ganze Menge von Ruinen vorhanden. Ich will hoffen, daß das bei der neuen Regierung, daß das überhaupt bei kommenden Regierungen nicht wieder vorkommt.
— Der Kollege Dollinger wird wohl nicht viel mehr übernehmen können, als ihm der Bundestag genehmigt. Ich weiß nicht, ob die Kollegen der CDU/CSU bereit sind, an irgendeiner Stelle Kürzungen vorzunehmen. Ich wage zu bezweifeln, daß wir für ein funktionierendes Straßensystem der Bundesrepublik noch ein paar Kilometer zusätzlich brauchen.
Zu der Frage, ob das etwas bringt, möchte ich Ihnen, Herr Kollege Matthöfer, die Lektüre der „Frankfurter Rundschau" vom heutigen Tag empfehlen. Dort inseriert eine Ihnen bekannte Bank, nämlich die Bank für Gemeinwirtschaft, unter dem Titel „Rückgewinn für Bauherren" mit einem Sonderprogramm für öffentlich gefördertes und steuerbegünstigtes Wohnungs- und Hauseigentum. Das steht unter der Überschrift „Tut Bonn etwas?". Dann wird das Programm vorgetragen.
Ich glaube, wenn das nicht wäre, was hier beschlossen wird, verstünde sich die Bank für Gemeinwirtschaft kaum zu einer solchen Anzeige.
Dennoch: Das, was im Haushaltsentwurf 1983 steht, ist ja in allen Teilen so neu nicht. Das müssen wohl alle, die sich im Hauhaltsausschuß mit den Einzelansätzen beschäftigt haben, feststellen. Von daher ist die Diskussion durch die Begriffe „Erblast" und „Erbschleicherei" zwar sehr polemisch, aber wenig an der Sache orientiert.
Wir haben uns in vielen Fällen auch mit Problemen der Vergangenheit herumzuschlagen. Ich sage dazu etwas selbstkritisch zu uns allen, weil wir die Sache ja auch gemeinsam diskutiert und verabschiedet haben. Ich meine das Thema der kreditfinanzierten öffentlichen Ausgabenprogramme. In dieser Debatte ist viel von einer Umverteilungsak-
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Gärtner
tion von unten nach oben, von oben nach unten und wie auch immer die Rede gewesen. Das wird auch in den nächsten Debatten so sein. Dafür werden dann Leistungsgesetze in Anspruch genommen, die sich jetzt zur Vornahme von Kürzungen anbieten.
Die heutige Diskussion hat der Kollege Matthöfer bestritten. Er hatte auf die Umverteilungseffekte kreditfinanzierter Ausgabenprogramme schon einmal im Ausschuß hingewiesen, aber nicht hier in der Öffentlichkeit. Wenn wir in der einen Hinsicht jetzt durch ein Haushaltsbegleitgesetz 5,6 Milliarden DM einsparen, dann ist das weniger als das, was die Steigerungsrate des Einzelplans 32 für die Zinslasten von 1982 auf 1983 ausmacht. Das ist doch etwas, was uns irgendwo zu denken geben muß. Das ist mit Sicherheit auch eine Umverteilung an diejenigen, die es sich möglich machen können, mit festverzinslichen Papieren zu leben. Ich muß sagen: Das ist etwas, was nicht einen Facharbeiter, sondern den betrifft, der weit über 50 000 DM im Jahr hat. Auf diese Funktion wollte ich noch einmal hinweisen.
Sicherlich gibt es im Haushalt auch eine ganze Menge Probleme, wo wir durch vergangenes Tun auch heute noch einiges nachfinanzieren müssen. Ich will gar nicht an Ruinen erinnern, die wahrscheinlich jeder von uns in irgendeinem der späteren Haushalte finden wird. Aber, Herr Kollege Matthöfer, den SNR 300 kann ich Ihnen nicht schenken. Den schenke ich niemandem mehr in diesem Hause. Das ist auch ein Stück Erblast, wo man zu Lasten der Förderung alternativer Technologien und der Mikroelektronik — Sie haben beklagt, daß sie nicht direkt gefördert wird — heute nachfinanzieren muß.
Ganz witzig finde ich, daß Ihre Fraktion nicht bereit ist, wenigstens das zu bezahlen, was bestellt worden ist, nämlich von dem Kollegen von Bülow. Ich weiß nicht, ob Herr von Bülow in der Fraktionssitzung war, als der Änderungsantrag beschlossen wurde. Darin steht nämlich, daß man beim THTR und beim SNR 300 jeweils um 100 Millionen DM kürzen will. Das halte ich schon für ein kleines Bubenstück in der Haushaltspolitik.
Herr Abgeordneter, gestatten sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann?
Herr Kollege Gärtner, würden Sie, nachdem Sie jetzt ein paar bissige Bemerkungen auch an die SPD gerichtet haben, die wir natürlich so nicht teilen, bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir sehr respektieren, welche Arbeit Sie im Haushaltsausschß gemacht haben, und daß die Vorwürfe, die wir an die andere Seite, an die FDP, richten, deshalb nicht ihnen gelten, weil wir Sie im Haushaltsausschuß als einen fairen Kollegen respektieren?
Ich finde, ein Lob von Kollegen darf nicht als rufschädigend ausgelegt werden.
Dennoch ist es wichtig, lieber Kollege Hoffmann, sich in einer Diskussion auch unter Freunden sozusagen in offener Art und Weise etwas vorzuhalten, wenn man feststellen muß, daß einige zu leicht über die Dinge hinweggegangen sind. Sonst vermittelt man draußen nämlich den Eindruck, als ob das, was man gemeinsam gemacht hat, alles in Ordnung sei. Ich finde, Selbstkritik und das Bekennen von Fehlern sind das mindeste, was sich ein Politiker anerziehen sollte.
Wenn alles so richtig wäre, dann würde ich sagen, daß z. B. die Diskussion über einen Bericht wie „Global 2000" gar nicht notwendig wäre. Aber gerade das, was darin steht, zeigt deutlich, daß wir, wenn die Politik nach alten Strickmustern weitergeht, eben zu ganz katastrophalen Verhältnissen kommen. Da gibt es eben Probleme, wo wir uns fragen müssen, ob wir eigentlich eine sichere Zukunftsperspektive darin sehen, daß es im Jahr 2000 5 Milliarden Menschen gibt, die in unterentwickelten Ländern leben und die sozusagen durch ihren Beitrag den Wohlstand von 1,35 Milliarden Menschen im Norden finanzieren. Ob die das auf die Dauer mitmachen, wage ich zu bezweifeln. — Frau Präsidentin, können Sie bitte einmal das rote Licht hier ausmachen? Das stört mich doch.
Eigentlich ist es nicht so schlimm, eine Zeitlang geht es gut. Aber irgendwann wirkt es ein bißchen irritierend.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Schluß meines Beitrags zu einer haushaltspolitischen Debatte, die jetzt durch den Bundesfinanzminister noch weitergeführt wird, will ich von meiner Seite aus den Kolleginnen und Kollegen für die schöne Zusammenarbeit recht herzlich danken. Ich möchte noch feststellen, daß ein Großteil dessen, was man im Haushaltsausschuß nicht bewegen konnte, im Plenum leider auch nicht zu bewegen war. Wenn dadurch die Neigung von vielen Kollegen wächst, Herr Kollege Westphal — an Ihnen ist das nicht immer spurlos vorbeigegangen; das will ich gerne einräumen —, öfter einmal in den Haushaltsausschuß zu gehen, nicht um sich zu beschweren, sondern um vielleicht den einfachen Zusammenhang zu lernen, daß zwischen Einnahmen und Ausgaben eine Lücke entsteht, die man nicht beliebig vergrößern kann, und daß es, wie heute morgen auch schon einmal gesagt worden ist, vielleicht auch eine Philosophie ist, öfter einmal nein zu sagen, eine Philosophie, die in den nächsten Jahren von grundlegender Bedeutung ist, dann käme vielleicht ein bißchen mehr dabei herum. Dann käme es vielleicht bei der Frage von Anspruchsinflation und bei Kürzungen dessen, was notwendig ist, eben nicht zu hektischen Entscheidungen. Es ist doch das Problem, daß wir im Grunde offenbar nur lernfähig sind, wenn die Katastrophe vorhanden ist. Wir neigen am allerwenigstens dazu, uns einmal prophylaktisch zu fragen, ob wir all das noch verfrüh-
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Gärtner
stücken können, was wir uns in den letzten Jahren angewöhnt haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch schöne Beratungen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen, Dr. Stoltenberg.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 10. November, also vor fünf Wochen, haben wir hier in der ersten Lesung ausführlich über den neu gefaßten Bundeshaushalt und die neuen Begleitgesetze diskutiert. In dieser kurzen Zeit bis jetzt, bis zur heutigen zweiten und morgigen dritten Lesung hat sich für alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, vor allem aber für die Mitglieder des Haushalts- und Finanzausschusses eine ungewöhnlich große Aufgabe gestellt, nämlich die Aufgabe, in so kurzer Zeit anspruchsvoll in der vollen Weite der Probleme zu verhandeln und zu beraten. Ich möchte — ich habe es gegenüber den Mitgliedern der beiden Ausschüsse schon getan — allen Kolleginnen und Kollegen des Bundestages sehr herzlich dafür danken, daß sie sich dieser Aufgabe gestellt haben und daß es möglich ist, nach der Beratung im federführenden Ausschuß und in den Fachausschüssen heute und morgen fristgerecht, d. h. vor Beginn des neuen Haushaltsjahres und vor der geplanten Auflösung des Bundestages, unserer Finanzwirtschaft für das kommende Jahr die erforderliche gesetzliche Grundlage zu geben.
Zur Debatte muß ich allerdings sagen, daß nach meinem Eindruck gestern und heute insbesondere in den Beiträgen der sozialdemokratischen Sprecher im wesentlichen dieselben Grundformeln, dieselben Grundmuster — auch der Polemik — erkennbar wurden wie schon in der ersten Lesung oder auch in der Diskussion nach der Regierungserklärung im Oktober.
Es war dasselbe Muster, es waren dieselben Klischees und, wenn ich Herrn Ehmke anspreche, dieselben Leute, die in der Qualität ihrer Aussagen nicht besser geworden sind.
Es gab wenig Variationen zum selben Thema.
— Seien Sie doch zurückhaltend. Ich verwende noch gar nicht Reizworte wie „brutal", die Herr Ehmke, wenn er uns kennzeichnet, sogar in seine Pressefassung hineinschreiben läßt. Meine Damen und Herren, Sie können aber ganz sicher sein, daß die Art und Weise, wie vor allem der Kollege Ehmke hier mit einer Fülle von Unterstellungen, Verdrehungen und Kränkungen gearbeitet hat, auch diesmal die Antwort bekommt, die in der Sache angemessen ist.
Ich werde Ihre Erwartungen in dieser Hinsicht nicht enttäuschen.
Die Tatsachen müssen, wie ich glaube, demgegenüber zunächst einmal in den Vordergrund gestellt werden. Wir haben seit 1980 unter den Bedingungen der Stagnation und der Rezession alle miteinander in den verschiedenen Funktionen — diese haben gewechselt — eine dramatische Verschlechterung der Haushaltssituation vor allem des Bundes, aber auch der Länder und Gemeinden erlebt. Bei steigender Arbeitslosigkeit sind insbesondere seit 1980 die Ausgaben des Bundes für öffentliche und private Investitionen — bei den öffentlichen Investitionen direkt, bei den privaten Investitionen in den Förderprogrammen — nicht nur relativ, sondern in wichtigen Bereichen auch absolut zurückgegangen.
Seit 1980 kann man sagen, daß der Einzelplan Bundesschuld, also im wesentlichen die Zinslasten, stärker als der gesamte Bundeshaushalt steigt. Ich beziehe mich hier — auch gegenüber einigen erstaunlichen und abwegigen Bemerkungen des Kollegen Matthöfer, mit denen ich mich noch auseinandersetzen möchte — auf die j a noch vorliegenden Zahlen und Eckwerte des letzten Haushaltsentwurfs der Regierung Schmidt, der im September von meinem Vorgänger, Herrn Lahnstein, noch hier im Hause begründet und als solide gekennzeichnet wurde.
In diesem letzten Haushaltsentwurf, Herr Kollege Matthöfer, den Sie noch als Kabinettsmitglied voll mitvertreten haben, ist es so, daß die Ausgaben des Bundes allein für Zinsen 1983 stärker als der gesamte Bundeshaushalt stiegen,
daß also mit Ausnahme der Zinsbelastungen der Gesamtbereich des übrigen Haushalts durch Schrumpfung und Rückgang bestimmt war — in derselben Zeit, in der wir in die schwerste Wirtschaftskrise und die höchste Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit hineinliefen.
— Ich bitte, mich jetzt im Zusammenhang sprechen zu lassen. Wir haben so viele Reden gehört, Herr Reuschenbach. Jetzt will auch ich mal im Zusammenhang vortragen. Das werden Sie mir freundlicherweise gestatten.
— Nein.
Vor dem Hintergrund dieses Dokuments muß ich den Herren Matthöfer und Ehmke und vielen anderen sagen: Was Sie hier an Kritik, an Unterstellungen, an Forderungen vortragen,
hat in Ihrer eigenen Finanzpolitik der ständigen
Vernachlässigung der Wirtschaft und des Arbeits-
8714 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Stoltenberg
marktes und der Zukunftsvorsorge überhaupt kein Fundament, weder intellektuell noch politisch noch in Zahlen.
Wer dieses Dokument noch einmal sieht, der muß sagen: Eine neue Politik der Umschichtung, der Sparsamkeit war überfällig, und zwar einer Umschichtung zugunsten der Stärkung der Wirtschaft, zugunsten der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zugunsten der von Ihnen und Ihren Vorgängern, Herr Matthöfer, sträflich vernachlässigten Zukunftssicherung.
Einzelne interessante Bemerkungen über frühere Auseinandersetzungen über ein Elektronikprogramm und ähnliche Dinge, über die man ja reden kann — ich bin an diesen Kontroversen nicht beteiligt gewesen —, können doch überhaupt nicht den fundamentalen Sachverhalt verwischen, daß sozialdemokratisch geführte Regierungen seit 1970 ständig den Konsum, die laufenden Subventionen, eine neue Leistungsgesetzgebung auf Kosten der Zukunftssicherung und damit der Arbeitsplätze und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit betrieben haben. Das ist Ihre Politik gewesen.
Das muß man auch dem Herrn Kollegen Ehmke hier ins Stammbuch schreiben: viel Kritik, viel Polemik und noch mehr Entstellung und Verfälschung. Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen, weil die Rede von Herrn Ehmke offenbar ein bißchen das Drehbuch für die Bundestagswahl darstellen sollte, mir erlauben, etwas vertiefte Textkritik im Hinblick auf Herrn Ehmke zu betreiben.
Der Vergleich der Zahlen und Tatsachen macht deutlich: Gegenüber dem Entwurf der Regierung Schmidt vom September, hier beraten, mußten wir nach dem Regierungswechsel auf Grund realistischerer neuerer Prognosen für das Jahr 1983 davon ausgehen, daß wir rund 10 Milliarden DM weniger Steuern einnehmen werden, als Sie geplant haben.
— Sie müssen das nur in der richtigen Reihenfolge nehmen, Herr Reuschenbach. Wir kommen Punkt für Punkt auch zu den Schulden. Aber zunächst einmal kommen in einem geordneten Denken — aber Ihres ist eben nicht geordnet — die Einnahmen und Ausgaben, und dann kommen die Schulden.
Wir alle miteinander — denn wir alle stehen ja in der Mitverantwortung — werden im nächsten Jahr rund 10 Milliarden DM weniger Steuern einnehmen, als Sie noch im Sommer und Herbst vermutet hatten. Das ist eine drastische Verschlechterung. Dieser Wert wird von Ihnen heute in der Prognose auch nicht grundsätzlich bestritten. Die sachkundigen Kollegen der SPD — ich meine die, die im Haushaltsausschuß die Arbeit getragen haben; das
sind andere als die, die hier die großen Reden für Sie halten;
auch das kann man merken — haben ja in ihrer Pressekonferenz auf einzelne Risiken hingewiesen, die es auch in der neuen Prognose gibt. Da gibt es Unterschiede in der Bewertung in Nuancen. Wir halten diese Prognose aber im wesentlichen für realistisch. Wir haben auf Grund der erschreckend steigenden Arbeitslosigkeit nach bisherigem Recht Grund, 8 Milliarden DM mehr allein für die soziale Sicherung der Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen. Dennoch haben wir gegenüber dem Entwurf der Regierung Schmidt eine halbe Milliarde Mark mehr für die Investitionsförderung allein für die großen Gemeinschaftsaufgaben eingesetzt.
Herr Matthöfer, es hat mich schon sehr überrascht, daß Sie hier so dahinsagen, vom Hochschulbau — das haben Sie damit ja gemeint — gingen keine Wachstumsimpulse aus. Ich will Ihnen zwei Dinge dazu sagen. In Ihrer Zeit als Finanzminister nach 1980 hat der Bund die nach dem Hochschulbauförderungsgesetz gemeinsam beschlossenen Vorhaben, die mit den Ländern abgestimmt waren, finanziell nicht mehr bedient. Ihre sozialdemokratischen Kollegen aus Nordrhein-Westfalen — nicht Herr Posser, der nachher reden wird, aber Innenminister Schnoor — haben in diesem Zusammenhang von einem „verfassungspolitischen Skandal" gesprochen, was Ihr Verhalten gegenüber den Bundesländern anbetrifft.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu diesem Punkte, Herr Westphal. Dies ist ein zentraler Punkt. Aber das ist dann die einzige Zwischenfrage, wenn Sie mir das konzedieren.
Zu diesem Punkt, Herr Stoltenberg. Ist es richtig, und würden Sie mir das als ehemaliger Ministerpräsident eines Landes bestätigen, daß der Bund gerade bei der Hochschulbaufinanzierung über viele, viele Jahre vorgeleistet hat und dann endlich gekommen ist und gesagt hat: „Nun, Länder, dürft ihr auch einmal vorfinanzieren"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, Herr Kollege Westphal,
diese Darstellung ist, wenn ich sie exakt bewerte, nicht korrekt. Es ist nach meiner sicheren Erinnerung so, daß der Bund — das galt übrigens schon in der Zeit, als ich die Ehre hatte, das zuständige Ministerium zu leiten, nicht erst seit 1969 — vorfinanziert hat, auch in den 70er Jahren. Aber es ist richtig, daß die Länder nachher in der zweiten Hälfte der 70er Jahre überwiegend mit ihren Finanzleistungen nachgezogen haben. Der auf dieser Grundlage vereinbarte Ausbauplan ist durch die Finanzentscheidungen des Bundes seit 1980 in schlimmer
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8715
Bundesminister Dr. Stoltenberg
Weise erschüttert worden. Ich bezweifle persönlich auch die verfassungsmäßige Legitimität dieses Verhaltens.
Was mir aber noch wichtiger ist, Herr Matthöfer, man kann nicht über zehn Jahre Bildungsexpansion mit dem vorrangigen Ziel des Hochschulstudiums in den Mittelpunkt linker Bildungsplanung und -werbung stellen und in dem Moment, in dem die meisten Absolventen aus den starken Jahrgängen die Hochschulen aufsuchen wollen, sagen, das sei überflüssig oder das sei nicht wachstumsfördernd oder das sei eine Sparkasse für unvermeidliche Kürzungsentscheidungen. Hier liegt der Punkt.
Wir haben die Gemeinschaftsaufgaben kurzfristig gestärkt. Wir haben das schon kurz erwähnte Sonderprogramm in Höhe von 2,5 Milliarden DM für den Wohnungsbau in den Jahren 1983/84 ermöglicht. Wir können noch lange über die Einzelheiten der Investitionshilfeabgabe streiten und diskutieren, ohne diese Entscheidung der neuen Koalition könnten wir 1983 und 1984 nicht den Verfügungsrahmen von 2,5 Milliarden DM ausschöpfen, um damit wesentlich höhere private Investitionen — in dem Sinne ja auch Nachfrage nach vielen Gütern anderer Wirtschaftszweige — auszulösen. Manche Sachverständige meinen, daß hierdurch eine private Investition von bis zu 10 Milliarden DM ermöglicht wird. Ich stelle mit großer Freude fest — es ist eben von Herrn Gärtner schon gesagt worden —, wie sehr sich nun auch Institute wie die Bank für Gemeinwirtschaft, die Neue Heimat, viele sozialdemokratisch bestimmte Wohnungsbaugesellschaften in ihrer Werbung und in ihren Dispositionen auf die große Möglichkeit einstellen. Ich hoffe übrigens, daß das auch viele sozialdemokratische Mitglieder und Wähler tun werden, denn dieses ist ein Angebot für Bürger aus allen soziologischen Gruppen, und es ist ein Angebot für Bürger aller politischen Orientierungen, die sich ein Eigenheim oder Eigentum in einer Kleinsiedlung schaffen wollen.
Spätestens, Herr Ehmke, Herr Matthöfer, an diesem Schwerpunkt unseres neuen Programms wird doch klar, wie unsinnig dieses ganze Gerede von der Umverteilung von unten nach oben ist.
Wer will denn bauen in diesem Lande? Wer sind denn diejenigen, die in großer Zahl für sich und ihre Familien Eigenheime oder Kleinsiedlungen schaffen wollen? Das sind doch genauso wie Angestellte und Beamte, wie Selbständige auch sehr viele Arbeiter, und für sie alle bietet das Angebot der neuen Bundesregierung eine Möglichkeit, die sie — auch zum Nutzen der Bauwirtschaft und der Bauarbeiter — nutzen werden.
Der dritte Punkt, den wir unter diesen radikal verschlechterten Bedingungen geschaffen haben, ist die Entscheidung für vorgezogene Steuerentlastungen. Ab 1. Oktober 1982 gilt, wenn der Bundes-
tag jetzt so beschließt, der Schuldzinsenabzug für den Wohnungsbau, für eigengenutzte Häuser und Wohnungen. Ab 1. Januar 1983 gilt die Entlastung bei der Gewerbesteuer, die für den Schuldzinsenabzug bei Dauerschulden dringend notwendig ist, eine Entlastung mit einer Ausgleichsregelung, Herr Kollege Matthöfer, die den Städten und den Gemeinden insgesamt mehr bringt, als diese hierdurch verlieren. Mit Ihrer Kritik sollten Sie ein bißchen vorsichtig sein, wenn ich einmal an Ihre Politik in den vier Jahren, in denen Sie Bundesfinanzminister waren, bezüglich der Steuer- und Finanzverteilung im Hinblick auf Länder und Gemeinden erinnere.
Das haben Sie in dieser Form nicht fertiggebracht, obwohl — das füge ich hinzu — das Aufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung erst ab Jahresmitte 1983 zur Verfügung steht.
Sie können das hier noch ein paarmal ansprechen, aber es läßt sich überhaupt nicht bestreiten, daß wir die Mehrwertsteuererhöhung in einem unmittelbaren Gesetzgebungs- und Sachzusammenhang mit den steuerlichen Entlastungen sehen, während Sie sie immer wieder dazu benutzen wollten, Deckungslöcher zu stopfen.
Als vierten Punkt will ich schließlich die Sofort-entscheidung dieser Woche zur Festigung der erschütterten finanziellen Situation der Sozialversicherung, insbesondere der Rentenversicherung, hervorheben. Auf diesem Felde habe ich durch die bedrückende Entwicklung der letzten Monate und Jahre noch einiges dazugelernt. Obwohl wir die Rentenanpassung, die nächste Rentenerhöhung, um sechs Monate hinausschieben, mußten wir kurzfristig gegenüber Ihrer Beschlußlage Milliardenbeträge mobilisieren, damit die Liquidität der Rentenversicherung 1983 gewährleistet ist.
— Natürlich ist das richtig! Aber selbstverständlich, Herr Kollege Westphal!
— Meinen Sie denn, es hat uns Freude gemacht, die Beitragserhöhung um vier Monate vorzuziehen? Nicht nur die Rentenversicherer, sondern auch die Mitarbeiter Ihres früheren Ministeriums und meines Ministeriums haben das in eindringlicher Form verlangt. Natürlich haben wir den Finanzrahmen insgesamt gestärkt und verbessert.
Die ständige Schwächung und Aushöhlung der Finanzgrundlagen der sozialen Sicherung ist die schwerste sozialpolitische Sünde, die die Sozialdemokratische Partei — neben der Verantwortung, die sie für die steigende Arbeitslosigkeit übernehmen muß — begangen hat.
Lieber Herr Matthöfer, ich kann mich nur darüber wundern, daß Sie bei diesem Bild einer in
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
wenigen Monaten so drastisch verschlechterten Finanzlage,
wie ich sie an Hand der Eckdaten noch einmal dargestellt habe, hier in Ihren Eingangsworten ausrufen: Wo bleibt die Rückgabe der heimlichen Steuererhöhungen? Das ist doch ein makabrer Witz!
Sie haben hier noch im September mit Herrn Lahnstein erklärt, die Finanzen des Bundes seien für 1983 um 18 Milliarden DM besser, als wir es vier Wochen später feststellten.
Und dann kommen Sie im Dezember hierher und fragen, wo die Rückgabe der heimlichen Steuererhöhungen bleibt! Nein, zunächst einmal muß der Schutt weggeräumt werden, den Sie uns hinterlassen haben, ehe wir über weitergehende Dinge reden können.
Lieber Herr Matthöfer, ich bitte Sie nun wirklich! Um 18 Milliarden DM in sechs Wochen hat sich die Lage verschlechtert, und Sie kommen hierher und fragen: Wo bleibt die Rückgabe der heimlichen Steuererhöhungen? Nein, wir haben noch ein paar Jahre — auf die Perspektiven nach der Wahl komme ich noch zu sprechen — in einer großen Gemeinschaftsleistung zu tun. Ich nehme an, daß Sie sich auch in der nächsten Wahlperiode von den Bänken der Opposition aus etwas tatkräftiger an der Lösung der Probleme beteiligen werden, als Sie es jetzt vor der Wahl in Ihren Reden tun.
Ich muß das auch einmal zu einigen anderen Ausführungen hier wirklich sagen, die ich sehr schwer verstehen kann. Zunächst einmal sind Sie einer Fehlinformation aufgesessen; ich sage das wirklich in der höflichsten Form. Sie behaupten, die Regierung beschließt einen Gesetzentwurf zur Investitionshilfeabgabe, obwohl der Justizminister zu Protokoll gibt, daß er ihn für verfassungswidrig hält. Dies ist eine Fehlinformation. Seien Sie etwas vorsichtiger mit dem, was in den einschlägigen Organen über Kabinettsitzungen berichtet wird — bis zum PPP allerdings; Sie haben da Ihre eigenen Erfahrungen, daß das nicht immer ganz stimmt, was in wörtlichen Zitaten montags und donnerstags aus Hamburg und von woanders auf den Markt kommt. Da Sie selbst gelegentlich der Leidtragende waren und sind, empfehle ich, sich zuvor zu erkundigen. Auch dieser Beschluß des Kabinetts zur Investitionshilfeabgabe ist einstimmig gefaßt worden. Der Justizminister hat in der Debatte gesagt, es gebe unter den vielen hervorragenden Juristen einige, die gewisse rechtliche Probleme sehen würden. Das ist Ihnen ja auch nicht ganz neu, daß Justizminister gelegentlich so etwas sagen, auch zu Kabinettsbeschlüssen, die Sie vertreten haben. Dies ist einstimmig gefaßt worden, nachdem noch einmal die
Rechts- und Verfassungsjuristen des Finanzministeriums — die kennen Sie, die haben sich nicht verändert —, des Innen- und Justizministeriums nach gewissenhafter Prüfung gesagt haben: Jawohl, die Verfassungs- und Rechtsgrundlagen sind in Ordnung. — Nun wird irgend jemand dagegen klagen. Ja, wogegen wird in Deutschland nicht geklagt, Herr Matthöfer? Es wird fast kein Gesetz und keine Verordnung verkündet, gegen die nicht geklagt worden ist. Unser Wunsch ist es allerdings, die Zahl der für den Finanzminister und die Bundesregierung so negativen Verfassungsgerichtsurteile, wie Sie sie bekommen haben, in der Quote ein ganzes Stück herunterzubringen.
Deswegen nehmen wir auch manche Dinge etwas ernster.
Ich will auf Ihre Bemerkungen zu meiner Personalpolitik nicht eingehen. Ich sage das in Ihrem Interesse, Herr Matthöfer, daß ich darauf nicht eingehe. Ich sage nur eins. Wenn Sie das weitermachen — oder andere von Ihnen —, dann werden Sie sich natürlich an dem Beispiel messen lassen müssen, das Alex Möller 1969 im Finanzministerium gesetzt hat. Er hat den Kahlschlag gemacht und nicht ich. Das ist der Unterschied.
Aber ich gehe darauf aus Gründen, die ich mir überlegt habe, nicht weiter ein, obwohl es politisch gar nicht ohne Reiz wäre, das ein bißchen zu vertiefen. Ich schlage vor, daß wir diese Diskussion beenden. Unsere Personalpolitik ist überwiegend durch Kontinuität bestimmt. Ich habe, das will ich gerne Ihnen und meinen Vorgängern auch sagen, sehr viele tüchtige und erfahrene und fähige Beamte in einem insgesamt sehr leistungsfähigen Ministerium kennengelernt. Das ist ein positiver Teil der Erblast — um diesen Punkt auch einmal unter uns freundschaftlich hier abzuschließen.
Das gilt übrigens auch für den großen Rechtsprofessor Ehmke. Der hat ja seine Rede hier als Manuskript verteilt. Das ist immer sehr verdienstvoll. Er sagt auch unbekümmert weiter — als einen der großen Vorwürfe —, daß wir die von der sozialliberalen Koalition bereits beschlossene Begrenzung der Vorteile aus dem Ehegattensplitting wieder rückgängig machen. Nun gibt es ja mittlerweile ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang November. Daraus will ich dem Rechtsprofessor Ehmke — er ist mittlerweile da; das ist eine große Freude — einen Kernsatz vorlesen:
Das Ehegattensplitting ist keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung, sondern unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare orientierte sachgerechte Besteuerung.
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
Es steht nicht zu Ihrer Disposition, Herr Ehmke, in der Form, wie Sie sich das vorgestellt haben.
Dieses Urteil läßt dann die Möglichkeit offen, es in ein Familiensplitting umzuwandeln.
— Es geht um den Grundsatz, daß es in der von Ihnen gewählten willkürlichen Kappungsform nicht zur Disposition steht, Herr Ehmke.
— Machen Sie sich keine Sorge. Sie werden mit Ihrer Auffassung in der ernsthaften sachverständigen deutschen Öffentlichkeit praktisch keine Unterstützung mehr finden. Das ist die schlichte Wahrheit.
— Da kommen, Herr Spöri, die Zwischenrufe von jenen Finanzpolitikern der SPD, die jene Gesetzgebung zu vertreten haben, die das Verfasungsgericht im selben Urteil auch in Frage stellt wegen Benachteiligung der alleinstehenden Erzieher und der Familien. Seien Sie ein bißchen vorsichtiger, gehen Sie in sich, wenn solche Urteile über ihre Taten der vergangenen acht bis zehn Jahre hier jetzt zum Zeitpunkt des Regierungswechsels kommen!
Meine Damen und Herren, die von mir genannten vier Punkte der neuen Politik zeigen: Nur durch konsequente Sparentscheidungen gewinnen wir den Handlungsspielraum für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wieder.
Bis heute wird von den Sozialdemokraten dieser Zusammenhang und die Begründung der einzelnen Sparentscheidungen im Interesse des vorrangigen Ziels, Mittel, Kräfte zur Lösung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme zu mobilisieren, systematisch verschwiegen und systematisch verdreht, wenn ich die Rede von Herrn Ehmke von gestern noch einmal unter diesem Gesichtspunkt bewerte.
Die eigene Verantwortung für die Krise wird geleugnet. Es ist die bekannte Methode, Herr Ehmke, der letzten 12 Jahre: Immer, wenn es aufwärtsging, war das ein großer Erfolg der Regierungen Brandt und Schmidt; aber immer wenn es abwärtsging, wenn die Talfahrt begann, gab es nur einen Verantwortlichen: die anonyme Weltwirtschaft und ihre Krise.
Dieses simple Grundmuster nehmen Ihnen die meisten, nimmt Ihnen die große Mehrzahl der urteilsfähigen Bürger unseres Landes nicht mehr ab.
Sie sollten, wenn Sie unsere Positionen kennzeichnen, von diesen Klischees einmal herunterkommen.
Wir haben in der ersten Lesung hier in mehreren Beiträgen aller Fraktionen eine vertiefte und ernsthafte Erörterung der nationalen und internationalen Ursachen für die Krise in ihren verschiedenen Komponenten und Elementen geführt. Es ist einfach schlicht unwahr, wenn Sie bestreiten, daß viele von uns, auch ich in meinen Reden von der Bank des Bundesrates, in den vergangenen Jahren jemals bestritten oder geleugnet hätten, daß es neben nationalen Fehlentscheidungen, deren Folgen offenkundig sind, auch schwerwiegende Folgen weltwirtschaftlicher Prozesse und Verwerfungen gibt. Sie unterschätzen uns in unserer Weite der Betrachtung und in unserem Verantwortungsbewußtsein der vergangenen Jahre, wenn Sie das weiter behaupten wollen.
Aber wahr ist auch, Herr Kollege Ehmke, Herr Kollege Matthöfer, daß vor mehr als zehn Jahren zwei namhafte sozialdemokratische Bundesfinanzminister zurückgetreten sind, weil sie die Verantwortung für eine Politik nicht mehr tragen wollten, deren schlimme Spätfolgen uns alle jetzt ergreifen und belasten.
Herr Ehmke geht zwar leichtfertig mit den Tatsachen um, wie er gestern wieder bewiesen hat,
aber er wird doch jedenfalls noch den Kalender respektieren. Der Rücktritt von Alex Möller 1971 und der Rücktritt von Karl Schiller im Frühjahr 1972 lagen vor der ersten Weltwirtschaftskrise, um die Kausalitäten und Zusammenhänge einmal richtig darzustellen.
Wir müssen sehr auf Herrn Ehmke aufpassen, sonst wird er die Weltwirtschaftskrise demnächst auch noch um zwei Jahre zurückverlegen, in der Art, wie er sonst hier mit den Fakten umgegangen ist.
Herr Ehmke, Sie haben Ihre ganz besondere Form der Mitwirkung gerade beim Rücktritt von Karl Schiller gehabt, was man alles bei Baring nachlesen kann.
Ihre Rolle wollen wir hier gar nicht näher erörtern. Das ist von dem bedeutenden sozialdemokratischen Politikwissenschaftler Arnulf Baring in seinem lesenswerten Buch „Machtwechsel" schon im einzelnen beschrieben. Darauf gehe ich aus Zeitgründen
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jetzt nicht ein. Herr Ehmke, das behalte ich mir für eine spätere Debatte vor, wenn Sie hier noch einmal in der Form antreten, wie Sie das gestern getan haben. Das ist etwas mehr für Kenner und Beteiligte.
Die Rücktrittsschreiben dieser beiden bedeutenden sozialdemokratischen Politiker sind Schlüsseldokumente nicht nur für die spätere historische Forschung, sondern auch für die aktuelle vertiefte politische Diskussion, weshalb wir in diese schlimme Lage hineingekommen sind, die wir jetzt mit einer großen Kraftanstrengung und auch manchen Einschränkungen für die Bürger überwinden müssen. Das ist der entscheidende Punkt.
Herr Kollege Wieczorek, damit wir die entscheidenden Tatbestände richtig sehen: In der Momentaufnahme ist das sicher richtig, was Sie hier vorgetragen haben über den Umfang der Verschuldung einer Reihe namhafter westlicher Länder, gemessen am Sozialprodukt.
In der Momentaufnahme ist das sicher richtig. Aber seit zwei, drei Jahren, Herr Kollege Westphal, ist es so, daß wir uns im Tempo der Neuverschuldung bedrohlich der Spitzengruppe nähern. Im Tempo der Neuverschuldung hat sich die Position der Bundesrepublik Deutschland leider — spätestens seit 1980 spürbar — verschlechtert, übrigens auch im Vergleich zu einem Land wie Großbritannien, das hier in seinen Schwierigkeiten ein bißchen abfällig und mit einem bißchen Überheblichkeit zitiert wurde, die Ihnen, Herr Kollege Matthöfer, eigentlich nicht mehr zusteht.
Das Problem des Tempos der Neuverschuldung ist das eigentlich Beunruhigende, nicht die Momentaufnahme, die ja nicht so sehr aussagekräftig ist.
— Ja, zwei Währungsreformen und die Tatsache,
daß wir bis 1969 keine Schulden gemacht haben,
das alles geht natürlich in diese Rechnung mit ein.
Meine Damen und Herren, Kürzungen tun weh. Diese Erfahrung hat jeder Bundesfinanzminister gemacht, auch der Herr Kollege Matthöfer. Ich will den großen Redner der SPD, Herrn Ehmke, noch einmal an die Erfahrung vor gut einem Jahr erinnern, nachdem er schon bemüht war, die Erinnerung an den September aus seinem Bewußtsein zu tilgen.
Ich gehe jetzt sogar ein Jahr zurück. Vor einem Jahr hatten wir im Bundestag, im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß die großen Debatten über die sogenannte Operation 1982 der Regierung Schmidt. Ich will hier ausdrücklich bestätigen, daß es damals auch von uns Kritik an Einzelpunkten
Ihrer Kürzungsvorschläge gegeben hat, etwa in den Stellungnahmen des Bundesrats.
— An einer Reihe von Punkten. Frau Simonis, ich spreche hier für den Bundesrat und für mich und mit gewissen Varianten — denn wir sind nicht ein uniformer Block in Bundestag und Bundesrat — auch für die damalige CDU/CSU-Fraktion. So erinnere ich mich, daß wir damals Ihre Kabinettsentscheidung kritisiert haben, die Anfangsförderung bei den Werkstätten für Behinderte abzuschaffen oder die originäre Arbeitslosenhilfe zu streichen. Wir haben dann im Vermittlungsverfahren gewisse Korrekturen erreicht.
— Herr Kollege Matthöfer, ich komme gleich noch auf diesen Punkt.
Ich erinnere Sie aus zwei Gründen: einmal, weil die von Ihnen begonnene, aber in den Ergebnissen
eben nicht überzeugende Politik der Einsparungen nach 1980 auch leider gar nicht daran vorbeikam, wenn man kürzen mußte — und Sie mußten es vor ein, zwei Jahren auch —,
soziale Bereiche, Besitzstände, auch der unteren und mittleren Einkommensgruppen anzutasten — hier sogar, was ich als eine Härte empfunden habe, bis in den Bereich der Behinderten hinein.
— Herr Spöri, Sie sollten bei dem, was Sie jetzt vortragen, nicht vergessen, was Kürzungspolitik in Ihrer Verantwortung im Grundsatz bedeutet hat.
Es gibt so Sprüche des Herrn Hans-Jochen Vogel
— ich will einmal etwas freundlicher „Reden" sagen —, denn man muß im Moment darüber diskutieren, wie der Herr Ehmke hier zustimmend zitiert
— ich suche das aus der Ehmke-Rede heraus, die wirklich eine wahre Fundgrube ist —:
„Maßhalten beginnt nicht bei der Sozialhilfe, sondern bei der Vergütung von Aufsichtsräten."
Ich habe nichts dagegen, daß die Aufsichtsratsvergütungen herabgesetzt werden.
Es gibt eine Reihe bedeutender Mitglieder in Aufsichts- und Verwaltungsräten aus Ihrem politischen Lager, für die ich heute Verantwortung trage. Ich warte auf den ersten, der dort einmal Anträge stellt,
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meine Damen und Herren. Ich werde keine Schwierigkeiten machen, wenn die Vorlagen kommen.
Ich kann insofern dem Herrn Kollegen Hans-Jochen Vogel zustimmen, daß es in dieser schwierigen Situation auch einmal an der Zeit ist, in den Vorständen und Aufsichtsräten darüber zu reden, ob man nicht ein Zeichen der Solidarität in freiwilligen Entscheidungen gibt, ein Stück nach unten zu gehen. Ich begrüße es, daß Herr Esser an die Wirtschaft appelliert hat, auch öffentlich, in der Frage der Besoldung der leitenden Angestellten einigen Überlegungen von Norbert Blüm näherzutreten, als das andere getan haben. Ich bin damit einverstanden. Nur, wenn ein führender Politiker meint, den Eindruck erwecken zu können — und Herr Ehmke das hier zitiert —, als ob es eine Alternative zwischen Begrenzungen bei den Aufsichtsräten und Kürzungen und Eingriffen in soziale Besitzstände gäbe,
dann wäre das eine grobe Täuschung.
Im übrigen, Herr Ehmke, hat mich Ihre neue Art des Zitierens sehr beeindruckt. Der Herr Kollege Ehmke — wir werden das, sicher nicht mehr in diesem Hohen Hause, aber vielleicht später, noch ein paarmal erleben — hat also gesagt, daß der geschätzte Kollege Hans-Jochen Vogel den Papst Johannes Paul II. richtig zitiert habe. Warum zitieren Sie den Papst nicht selbst? darf ich einmal fragen.
Herr Kollege, diese Methode ist erweiterungsfähig. Das nächste Mal sagen Sie dann — ich gebe mal eine Anregung —, daß Willy Brandt zu Recht das Zitat von Hans-Jochen Vogel hervorgehoben habe, in dem er auf die hervorragenden Worte des Heiligen Vaters hingewiesen habe.
Wir geben Ihnen bessere Anregungen, als Sie sie uns bisher in den Fragen der Finanzpolitik gegeben haben. Das müssen Sie doch absolut zugeben.
Aber ich will zur Sache zurückkehren. Kürzungen tun weh. Ich will das hier in allem Ernst sagen. Ich habe die Beispiele aus Ihren Sparvorschlägen vor einem Jahr genannt. Man kommt daran nicht vorbei — und das hat der frühere Bundeskanzler Schmidt zu Recht gesagt —, wenn man drastisch sparen muß, die breiten Schichten der Bevölkerung und Sozialleistungen nicht freizustellen.
— Es geschieht dazu j a auch einiges.
Darauf komme ich noch.
Ich will daran erinnern, daß wir vor einem Jahr
— bei aller Kritik an vielen Ihrer Entscheidungen
— Mitarbeit, Mitverantwortung und eigene Vorschläge geleistet haben.
— Nein, nicht nur. Zu Ihrer Rede über Sozialhilfe und dem, was Herr Ehmke hier gesagt hat, sage ich nur — das war ziemlich schlimm —:
Sie wissen ganz genau aus öffentlichen Erklärungen sozialdemokratischer Ministerpräsidenten — schauen Sie sich nur noch einmal die Erklärungen der Bremer und des Hamburger Senats an; ich könnte auch andere zitieren, die es mir gesagt haben —, daß es die einmütige Meinung der Verantwortlichen in den Ländern wie den kommunalen Spitzenverbänden war, daß die Kostenexpansion bei der Sozialhilfe durch gesetzliche Entscheidungen abgebremst werden muß,
Herr Ehmke, auch aus Gründen, die in der Diskussion der Gewerkschaften und anderer eine Rolle spielen. Die Zahl der Stellungnahmen, Eingaben und kritischen Bemerkungen gerade aus dem Bereich der Gewerkschaften und Berufsverbände, in denen wir alle darauf hingewiesen werden, daß manche Berufstätige, die vielzitierte Frau mit 30 Jahren, verwitwet oder geschieden, mit zwei Kindern, die als Verkäuferin arbeitet, nach Meinung der Gewerkschaft ÖTV und des Deutschen Beamtenbundes auch manche in den untersten Einkommensgruppen des öffentlichen Dienstes, ein geringeres Familieneinkommen haben als manche aus der Sozialhilfe, nimmt doch zu.
Auch ich bin der Meinung, daß man Veränderungen in der Sozialhilfe im Rahmen einer Neuordnung des Systems sehr sorgfältig im Hinblick auf Wirkungen und soziale Härten hin entwickeln und diskutieren muß und das, was wir hier vorgesehen haben, nur ein Übergangsschritt sein kann.
Ich habe in einem Gespräch, das der Bundeskanzler mit den kommunalen Spitzenverbänden geführt hat, an sie appelliert, mit ihrem Sachverstand dafür sorgfältig erwogene Vorschläge zu machen. Aber, Herr Ehmke, es ist nicht nur eine finanzielle Frage — für die Kommunen in einer schon bedrängenden Weise —, es ist auch eine sozial-ethische Frage für uns, ob wir nicht in eine Entwicklung hineingekommen sind, in der immer mehr berufstätige Menschen, gerade Menschen mit kleinen Einkommen, sich fragen, ob ihnen im Vergleich zu anderen, die vergleichbar sind, nicht die materielle Anerkennung für berufliche Tätigkeit und Leistung vorenthalten wird.
Diese Frage muß man auch ernst nehmen, wenn
man über das Verhältnis von Arbeitnehmereinkommen, aber auch von manchen Selbständigen in den
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unteren Einkommensgruppen und bestimmten sozialen Leistungen, heute redet.
Meine Damen und Herren, ich will nur noch folgendes sagen. Sie haben Kritik an Sparbeschlüssen geübt. Sie haben uns jetzt Einzelentscheidungen der Regierung Schmidt angelastet. Herr Ehmke sagt auf Seite 8 seines Manuskripts — ich bin ja nun schon einiges von ihm gewohnt, aber ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich das las —, die Selbstbeteiligung an den Krankenhauskosten sei ein Beispiel unsinniger Bürokratie.
— Das habt ihr doch beschlossen im Sommer vergangenen Jahres, verehrte Kollegen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Westphal, bitte sehr.
Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir speziell zu dieser Frage eine Zusatzfrage erlauben. Ich bin derjenige, der das zu unterschreiben hatte; aber ich habe vom ersten Tage an — und Sie würden mir das bestätigen müssen, wenn ich Sie so frage — öffentlich gesagt, daß ich mit der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme nicht in Anspruch genommen werden möchte,
weil sie einfach keinen Sinn gibt. Selbst aus der Sicht von Herrn Lambsdorff gibt sie keinen Sinn.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber, Herr Kollege Westphal, Sie heben eine persönliche Distanzierung hervor; das ist Ihr gutes Recht; das respektiere ich.
Es kann aber nicht angehen, daß das, was Sie, wenn auch mit Vorbehalten, beschlossen haben, jetzt uns angelastet wird als ein Beispiel unsinniger Bürokratie. Das geht nun entschieden zu weit.
Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage von Graf Lambsdorff?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein, ich möchte fortfahren.
Graf Lambsdorff wollte noch gern eine Zwischenfrage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl.
Vielen Dank, Herr Minister Dr. Stoltenberg. — Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich schon damals der Auffassung war, daß die Selbstbeteiligung an den Krankenhauskosten eine sinnvolle Sache war, daß ich schon damals daran gescheitert bin, und zwar u. a. am Kollegen Westphal, eine weiterreichende Lösung zu finden, und daß ich sehr wohl der Meinung bin, daß die jetzt getroffene Lösung besser ist als die damalige und daß sie im Kern richtig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jawohl. Ich bedanke mich für die Erweiterung meines Informationsstandes, Herr Kollege Graf Lambsdorff.
Meine Damen und Herren, das gilt ja übrigens auch, wie der Kollege Schneider Ihnen hier in der Wohnungsbaudebatte am Freitag vorgehalten hat, zu dem von Herrn Ehmke wiederaufgenommenen Thema Mietrecht. Es kann doch wohl nicht wahr sein, daß der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Jahn in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Mieterbundes hier demagogische und entstellende und in wichtigen Punkten wahrheitswidrige Flugblätter gegen uns verbreitet,
wobei in entscheidenden Punkten Beschlüsse angegriffen und verdreht werden, die die alte Koalition unter der Federführung des Bundeskanzlers Schmidt beschlossen hat. Das Protokoll des Bundestages weist auf, daß Herr Jahn seinen Protest denn gerade bis zur Stimmenthaltung vorgetrieben hat.
Meine Damen und Herren, ich muß Sie wirklich dringend bitten, sich in dieser Hinsicht zu mäßigen und nicht mit den Sorgen mancher Bürger Schindluder zu treiben,
wie Herr Ehmke das getan hat.
Herr Ehmke, wenn Sie, alles sorgfältig aufgeschrieben, diese Reform des Mietrechts mit dem Ausdruck „Bauernlegen" bezeichnen, dann ist das eine üble Entgleisung
einer politischen Gruppierung, die zu den konkreten Zukunftsproblemen unseres Landes nicht mehr
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viel beizutragen hat, eine Entgleisung, die nichts weiter als Angst und Panikmache bedeutet.
Meine Damen und Herren der SPD, Sie haben auch in dieser Debatte kein eigenes Konzept für die Lösung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme vorgetragen.
Nach dem Ausscheiden des Bundeskanzlers Schmidt aus der tatsächlichen Führung auch der SPD entwickelt sich die Sozialdemokratische Partei zunehmend zu einer linken Protestpartei; das ist ihre neue Funktion;
zu einer Partei, die die im Ansatz durchaus verständliche Kritik mancher Menschen über die jetzt kommenden Kürzungen benutzen will, um eine Massenbewegung der Angst, der Sorge und der Emotionen bis zur Bundestagswahl parteipolitisch für sich zu mobilisieren. Das ist Ihre gegenwärtige Rolle, die Sie in dieser Debatte übernehmen.
Gleichzeitig — Herr Ehmke, daran kommen Sie nicht vorbei — suchen Sie die neue Mehrheit mit den Grün-Alternativen, wie das Ihr Bundesvorsitzender Brandt in einer Stunde für ihn ungewöhnlicher Offenheit am Abend der Hessenwahl verkündet hat. Das soll die neue negative Mehrheit mit den Grün-Alternativen sein. Aber mit dieser Kursänderung verstoßen Sie gegen die elementaren Interessen der Arbeitnehmer, derjenigen, die Sorge über ihre wirtschaftliche Zukunft haben. Es ist schon ein Symptom für die Situation der Sozialdemokratischen Partei, daß Georg Leber eine Abschiedsrede hält und Herr Ehmke ein Comeback im neuen Bundestag anstrebt. Auch das scheint mir nicht ganz untypisch zu sein.
Herr Ehmke, die klassenkämpferischen Töne nehmen zu. Bisher waren es die Leute mit den breiten Schultern, die die Lasten tragen sollen. Jetzt sind es nach dem Text Ihrer Rede die Leute mit dem Bauchspeck. Wir werden noch weitere erstaunliche Bilder vor Augen geführt bekommen. Wenn wir die Leute mit dem Bauchspeck suchen, fällt der Blick auch auf den einen oder anderen in Ihren Reihen; übrigens in mehr als in einer Hinsicht.
Da seit 1970 die Investitionen nur noch um 6 % gestiegen sind, aber der private Konsum um 32 %, ist natürlich die Zahl der wohlbeleibten und gut genährten Männer — das sage ich jetzt nur aus Höflichkeit — in allen politischen Gruppierungen noch groß. Nur, wenn wir jetzt einmal die wirtschaftliche Situation mit der schlimmen Vernachlässigung der Investitionen hinzuziehen, müssen wir feststellen, daß die Zahl derer, die ökonomisch noch erhebliche Mehrbelastungen ertragen können, eben doch leider sehr zusammengeschmolzen ist,
auch wenn wir immer von den sogenannten Reichen soviel hören.
Wir müssen die Grundlagen für eine Gesundung der Wirtschaft und eine Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in diesen wenigen Wochen schaffen. Diese Politik muß fortgesetzt werden. Das gilt auch für 1984 und die mitttelfristige Planung. Weitere Sparbeschlüsse zugunsten der Investitionen sind erforderlich. Wenn wir Ihnen jetzt nicht nach wenigen Wochen sozusagen aus dem Handgelenk schon wieder ein neues komplettes Programm vorlegen, dann hat das nichts mit finsteren Absichten oder dunklen Geheimüberlegungen zu tun, wie Sie schon wieder großzüzig unterstellen.
— Herr Ehmke, die letzte Unterstellung stammt ausnahmsweise nicht von Ihnen. Aber auch einige andere Mitglieder der SPD sind doch in der Lage, mit Unterstellungen zu arbeiten.
Nein, es geht um die schlichte Tatsache, daß nach dem festen Brauch auch unserer Vorgänger der Jahreswirtschaftsbericht Ende Januar gründlich beraten und dann beschlossen wird. Natürlich kann man nur auf der Basis dieses Jahreswirtschaftsberichts in seiner Prognose für 1983 und für 1984 überhaupt eine Finanzplanung aufbauen. Die Mitglieder des Haushaltsausschusses aus Ihrer Fraktion wissen das ganz genau. Deswegen reden j a auch andere um so unbekümmerter über Dinge, über die man überhaupt nicht zu streiten braucht.
Natürlich hat es eine schmerzliche Enttäuschung hinsichtlich der letzten Prognose gegeben. Deswegen wollen wir es nach Kräften sorgfältiger machen. Natürlich hat auch der Bundeswirtschaftsminister, den Sie pausenlos attackieren, eine Verantwortung. Aber das gesamte Kabinett hat eine Verantwortung. Die wollen wir dann auch ohne Zeitdruck wahrnehmen. Es belustigt mich doch etwas, in dieser Debatte die neueste Variante der Verratslegende zu hören. So wie Sie das gestern und heute vorgetragen haben, klingt das so, als ob ein edler, ahnungsloser Bundeskanzler — der andererseits ständig als der größte Weltökonom gepriesen wurde — von dem Bundeswirtschaftsminister heimtükkisch in die Irre geführt worden sei. Das ist die neueste Variante.
Der Bundeskanzler bestimmt immer noch die Richtlinien der Politik, und ohne den Bundeskanzler Helmut Schmidt ist diese Prognose nicht verabschiedet worden. Er und Sie müssen dafür die volle Verantwortung übernehmen.
Sie sollten auch hier Schluß machen mit den Verratslegenden, die für rührselige Zeitgenossen in immer neuen Kapiteln weitergeschrieben werden.
Herr Kollege Zumpfort hat vollkommen recht: Die Neuverschuldung von über 40 Milliarden DM ist noch viel zu hoch. Wir müssen auch sehen, daß
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wir ungern, aus der Notsituation heraus, den Bundesbankgewinn mit über 10 Milliarden DM einsetzen. Das ist j a nicht eine dauerhafte sichere Finanzierung.
Ich will auch hier bei aller Befriedigung über das in diesen wenigen Wochen Erreichte noch einmal sehr deutlich sagen: Es gibt für niemanden von uns, in allen Parteien, Grund zur Selbstzufriedenheit. Die Aufgabe, durch einen Doppelansatz — durch eine stärkere und weitergehende Belebung der Wachstums- und Wirtschaftskräfte in unserem Land und durch weitere Sparmaßnahmen — das Defizit drastisch zurückzuführen, bleibt die wichtigste innenpolitische Aufgabe auch der kommenden zwei Jahre für alle im Deutschen Bundestag. Das ist nicht ein Spezialthema für einige Kollegen im Haushaltsausschuß oder einen Bundesfinanzminister; es ist die Verpflichtung, vor der wir alle stehen.
Es wird, Herr Kollege Matthöfer, auch von Ihnen über das Thema der Verschuldung und der gewaltigen Zukunftsbelastung immer noch etwas zu sehr mit leichter Hand geredet. Ich will das nur in aller Kürze sagen.
Denn dies gilt nicht nur in der Perspektive der sozialethischen Verantwortung für die nächsten Generationen, es gilt auch aus konkreten ökonomischen Gründen. Ich will hier nicht auf Kreislauftheorien eigehen, sondern etwas ganz anderes sagen. Wenn die Wirtschaft wieder Wachstum erreicht, was wir alle dringend wünschen und erhoffen — die Stimmen des Nullwachstums sind, wie ich hoffe, auf Dauer verstummt, zumindest in der SPD —, wenn der Kapitalmarkt dann wieder stärker durch Investitionspläne der Wirtschaft, durch Anschaffungspläne für langlebige Wirtschaftsgüter von Privaten und anderen beansprucht wird, darf das staatliche Defizit, darf die öffentliche Kreditaufnahme nicht zu hoch sein, also das, was wir wie der Sachverständigenrat als „strukturelles Defizit" bezeichnen.
Insofern müssen wir schon Vorsorge für jene Situation treffen, die wir alle erhoffen und die wir fördern wollen. Wir müssen die Bundesbank untersützen, statt sie nach Art mancher Sozialdemokraten zu beschimpfen.
Niedrigere Zinsen müssen verdient werden; auch das ist eine Begründung für die Sparpolitik.
Sie müssen sich übrigens noch abstimmen. Herr Ehmke hat die zweimalige Zinssenkung laut Manuskript als einen letzen Erfolg, sozusagen als späte Frucht der sozialliberalen Ara gepriesen. Einige gute Dinge reichen sozusagen in unsere schlechte Zeit noch hinein. Andere unter Ihren Genossen haben gesagt, das sei ganz unerhört, was die Bundesbank mache; kaum sei die neue Regierung da, würden die Zinsen gesenkt. Sie müssen sich also ein-
mal über die Sprachregelung einigen. Das eine ist aber so aburd wie das andere.
Schlichte Wahrheit, Herr Kollege Matthöfer, ist: Unsere Politik ist keine Kopie der amerikanischen Politik. Auch das sollten Sie nun endlich einmal in Ihre weiteren Reden einbeziehen. Sie ist keine Kopie der amerikanischen Politik.
Wir haben von Anfang an der Begrenzung der Kreditaufnahme und der Vermeidung eines nicht mehr tragbaren öffentlichen Defizits einen ganz anderen Stellenwert zugewiesen und eingeräumt, als es die jetzige amerikanische Administration in den ersten 18 Monaten ihrer Amtsführung getan hat. Ich warne zwar davor, sich jetzt in jeder Hinsicht auch hier über die Amerikaner zu erheben, was wirtschaftspolitische Debatten angeht, aber hier gehen wir bewußt einen anderen Weg. Ich würde sogar etwas überspitzt sagen: In der Frage der Unbedenklichkeit der Neuverschuldung sind Sie der gegenwärtigen amerikanischen Administration näher als die Koalition aus CDU/CSU und FDP. Sonst legen Sie j a Wert auf Distanz.
Weil hier immer so beredt über die sozialen Belastungen durch die Kürzung von Transferleistungen geklagt wird: Herr Kollege Ehmke, Sie müssen einfach zur Kenntnis nehmen, daß eine zweiprozentige Diskontsenkung, wenn sie von den Hypothekenbanken jetzt im wesentlichen weitergegeben wird, für Millionen von Mitbürgern aus allen Berufsgruppen, die in den letzten Jahren Häuser gebaut haben, eine Entlastung, eine Verbesserung ihrer Realeinkommenssituation von 200 bis 300 DM im Monat darstellt. Das ist für diese Millionen Familien sicher genauso bedeutsam wie viele Punkte, die wir auf der Seite der Transferleistungen hier hervorgehoben haben. Das bedeutet für manche sogar eine spürbare Verbesserung in der Saldorechnung. Wir dürfen nicht immer nur auf die Transferleistungen starren, wir müssen die Zukunftsprobleme in den Vordergrund unseres Handelns stellen.
Meine Damen und Herren, bezüglich der Zukunft der Wirtschaft hat gestern eine große Zeitung ihre Konjunkturprognose unter das Leitwort „Ein schmaler Korridor der Hoffnung" gestellt. In der Tat, neben den vielen bedrückenden und bestürzenden Meldungen dieser Wochen über Konkurse, Vergleichsverfahren, Entlassungen und Arbeitslosigkeit gibt es auch einige sichtbare Zeichen, die Hoffnung begründen. Ich sage das ohne Überbewertung dieser Faktoren. Aber namhafte Wirtschaftswissenschaftler und Präsidenten großer Organisationen, wie etwa der Vorsitzende des Deutschen Sparkassenverbandes sprechen deutlicher die Erwartungen aus, daß es im Laufe des Jahres 1983 zu einer Trendwende kommen kann. Wir müssen dafür sorgen, daß es nicht ein kurzfristiges schwaches Zwischenhoch bleibt, dem ein neuer Rückschlag folgt. Wir müssen unsere politischen Kräfte im Rahmen
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Bundesminister Dr. Stoltenberg
unserer Handlungsmöglichkeiten einsetzen, einen dauerhaften Aufschwung zu ermöglichen und zu unterstützen, auch als Grundlage für eine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt und zur Gesundung der Finanzen des Staates und der sozialen Sicherung.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind in diesen Wochen Zeugen einer Legendenbildung.
Von der Bundesrepublik Deutschland wird eine Zustandsbeschreibung gegeben, die der tatsächlichen Lage unseres Landes nicht entspricht. Das fehlende Wirtschaftswachstum, die sehr hohe Arbeitslosigkeit und die hohe Staatsverschuldung werden als Beweis für ein angeblich bestehendes Chaos und einen angeblichen Trümmerhaufen angeführt. Immer wieder wird von einer katastrophalen Erblast gesprochen.
Der Herr Abgeordnete Dregger hat dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Roth, am 14. Oktober zugerufen: „Ihr habt den Staat bankrott gemacht."
— Sie klatschen. Ich würde vorsichtig sein. Denn der Herr Bundesfinanzminister will ja im nächsten Jahr für diesen Staat 41 Milliarden DM Nettokredit aufnehmen. Es wird für Gläubiger, für Darlehensgeber schwierig sein, diese Summe zu günstigen Zinskonditionen einem Staat zu geben, von dem nicht ein x-beliebiger Abgeordneter, sondern der Vorsitzende der größten Bundestagsfraktion sagt, er sei bankrott. Ich würde es sehr überlegen, ob das die Position des Bundeswirtschaftsministers stützt.
Wer nicht ganz verbohrt ist, wird trotz unserer unbestreitbar schwierigen wirtschaftlichen Lage zweierlei nicht übersehen können:
Erstens. Alle Industriestaaten der Welt, gleichgültig wer sie regiert, befinden sich in großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in einer Situation, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat.
Zweitens. Neben den ungünstigen Tatsachen in unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt es auch beachtliche Pluspunkte, die eine wichtige Grundlage für eine bessere Entwicklung sein können. Ich erinnere an die Verbraucherpreisentwicklung, in der wir hinter Japan weltweit den zweiten Platz einnehmen. Ich erinnere daran, daß wir mit einem Diskontsatz der Notenbank von 5,0 % gemeinsam mit der Schweiz — noch vor Japan — eine Spitzenposition einnehmen. Ich erinnere an die Leistungsbilanz unserer Wirtschaft, die 1980 mit einem Defizit von nahezu 30 Milliarden DM abgeschlossen hat und 1981 auch noch ein Minus von 16,6 Milliarden DM aufwies. In diesem Jahr dürfte es, wenn nicht noch ganz unerwartete Ereignisse eintreten, eine ausgeglichene Leistungsbilanz geben. Warum wird denn das nicht auch gesagt? Tun Sie doch nicht so, als wäre das alles geschehen, seitdem Sie die Regierung übernommen haben!
Ich habe auf der Fahrt im Auto hierher gehört, daß Herr Dr. Waigel gesagt hat: „Als wir die Regierung übernommen haben, hat die Bundesbank sofort zweimal den Diskontsatz gesenkt." — Der Diskontsatz ist seit dem vergangenen Jahr sechsmal gesenkt worden. Das hat doch mit Ihrer Regierungsübernahme nichts zu tun, sondern geht auf eine weltwirtschaftliche Entwicklung zurück, nämlich auf die parallele Entwicklung der Senkung der Zinsen in Amerika. Das ist doch klar nachweisbar.
Ein weiteres Positivum, das Sie nicht verschweigen dürfen, ist z. B. die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland mit weitem Abstand die höchsten Währungsreserven der ganzen Welt hat.
Was die Verschuldung angeht, so hat der Bundesfinanzminister mit Recht darauf hingewiesen, daß wir zwar, was die absolute Höhe angeht, noch einen mittleren Platz belegen, daß aber das Tempo der Verschuldung durchaus besorgniserregend ist. Das sage ich nicht zum erstenmal. Das sage ich, wie in den Protokollen des Bundesrates nachzulesen ist, seit 1978, also seit vier Jahren. Ich werde das auch begründen.
— Aber sicher, Herr Abgeordneter Dregger, ich werde das genau begründen.
Nun sollen natürlich nicht nur für die hohe Verschuldung des Bundes, sondern auch für die nicht minder hohe Verschuldung der Länder und Gemeinden die frühere Bundesregierung und die frühere Koalition verantwortlich sein.
Ich greife noch einmal den total unangemessenen Begriff der katastrophalen Erblast und das von dem Herrn Bundesfinanzminister gerade gebrauchte Bild von dem „Schutt", den Sie angeblich wegräumen müßten, auf. Meine Damen und Herren, es handelt sich um eine gemeinsame Erblast, weil nämlich während der letzten 13 Jahre keine wesentliche Ausgabenerhöhung und keine Einnahmenminderung in den öffentlichen Haushalten ohne Mitwirkung des Bundesrates beschlossen worden ist.
Dies ist der entscheidende Unterschied zu allen
Partnerstaaten der Europäischen Gemeinschaft.
8724 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Minister Dr. Posser
Dies ist viel zu wenig in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gekommen.
Viele hier im Hause wissen es nicht oder wollen es nicht wahrhaben: Während der ganzen 13 Jahre sozialliberaler Regierungsverantworung hat es eine parteipolitisch anders zusammengesetzte Mehrheit des Bundesrates gegeben. Von 1949 bis 1969 gab es übereinstimmende Mehrheiten im Deutschen Bundestag und im Bundesrat. Dies ist in der letzten Zeit anders gewesen. Es gab nicht nur eine andere Mehrheit im Bundesrat, sondern seit 1976 auch ein Patt im Vermittlungsausschuß und später sogar eine Mehrheit für Sie im Vermittlungsausschuß. Das erwähnen Sie überhaupt nicht. Über die Hälfte aller Bundesgesetze sind zustimmungsbedürftig. Bei diesen Gesetzen hat der Bundesrat also eine echte Vetoposition gehabt, nicht nur ein überstimmbares Einspruchsrecht.
Wenn ich von den Bereichen Außenpolitik und Rechtspolitik absehe, gibt es kein einziges wichtiges finanzwirksames Gesetz, das nicht ausdrücklich der Zustimmung des Bundesrats bedurft hätte.
Dann sind diese Gesetze, teils nach langwierigen Vermittlungsverfahren, zustande gekommen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich bei der Aussprache über die Regierungserklärung am 13. Oktober 1982 zu diesem Hinweis geäußert und gesagt, er müsse daran erinnern, daß immerhin der Bundesrat bei drei ausgabewirksamen Gesetzen die Zustimmung verweigert habe, und zwar im Juni 1980 beim Verkehrslärmschutzgesetz — dem übrigens die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zugestimmt hat —,
beim Strafvollzugsfortentwicklungsgesetz und beim Jugendhilfegesetz.
Nur, Herr Bundesfinanzminister, langjähriger verehrter Kollege im Bundesrat: Sie dürfen eines nicht übersehen: Die von Ihnen genannten Beispiele sagen über die Situation des öffentlichen Haushalts überhaupt nichts aus.
Denn sie sind j a gar nicht zustande gekommen und können sich also finanziell auch im Hinblick auf die Verschuldung des Bundes gar nicht ausgewirkt haben.
Aber jetzt will ich doch mal — wegen der fortgeschrittenen Zeit kann ich es leider nur sehr kurz machen — erwähnen, was alles im Bundesrat an Mehrforderungen gestellt worden ist.
Sie haben beispielsweise am 30. November 1979 einen Gesetzentwurf über Familiengeld für Nichterwerbstätige — angegebene Mehrkosten: 750 Millionen — beschlossen. Es hat einen Entwurf zum Abbau steuerlicher Hemmnisse für die Vermögensbildung der Arbeitnehmer gegeben. Das ist alles vom Ziel her durchaus begrüßenswert; es war nur nicht zu finanzieren. 2 Milliarden DM!
Oder nehmen Sie den Antrag zur Umgestaltung der Kilometerpauschale in eine Entfernungspauschale. Steuerausfälle: 800 Millionen!
Ich könnte Ihnen — ich habe das am 26. Juni 1981 im Bundesrat aufgelistet — eine ganze Liste von Gesetzen vorlegen, die am Verantwortungsbewußtsein der damaligen Mehrheit des Deutschen Bundestages für die Finanzsituation des Bundes gescheitert sind.
Sonst wäre die wirtschaftliche Situation noch sehr viel schwieriger, als sie sich jetzt darstellt.
— Aber, Herr Kollege Hüsch, lenken Sie doch nicht vom Thema ab! Ich rede jetzt über die Mitverantwortung des Bundesrates.
— Ich werde, wenn die Zeit es erlaubt, noch auf Ihren Hinweis eingehen.
Die Tatsache, daß Sie für den Bundeshaushalt 1983 eine sehr viel höhere Nettokreditermächtigung benötigen, als Sie — davon gehe ich aus — selber gehofft haben,
sollte Sie doch nachdenklich machen.
Sie nennen ja auch die Gründe.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8725
Minister Dr. Posser
Sie sagen: Das Wirtschaftswachstum ist sehr viel schlechter verlaufen, als man noch im Sommer angenommen hat, und die Ausgaben durch die gestiegene Arbeitslosigkeit sind sehr viel höher als die, die ursprünglich angenommen worden sind.
Und gerade die Tatsache, daß Sie jetzt beginnen,
zur Rechtfertigung der Nettokreditermächtigung auch auf objektive Entwicklungen hinzuweisen, weckt in mir die Hoffnung, daß wir nun langsam aufhören mit diesen Verunglimpfungen
in die Richtung der alten Bundesregierung und daß dieses Thema versachlicht wird.
Denn die alte Bundesregierung hat auch nicht eine einzige Mark ohne eine Ermächtigung durch Bundestag und Bundesrat ausgeben können.
Das ist das, was übersehen wird.
Was wir gemeinsam brauchen, ist nicht eine polemisch verzerrte Zustandsbeschreibung mit verunglimpfenden Vorwürfen an die frühere Bundesregierung und die frühere Regierungskoalition, sondern eine Analyse der Haushaltslage von Bund, Ländern und Gemeinden.
— Das ist das, was Sie immer verwechseln: eine Analyse, die sorgfältig erstellt wird, und eine Zustandsbeschreibung, bei der Sie wichtige Punkte einfach unterschlagen.
Diese Haushaltsanalyse zeigt, daß die Bundesrepublik Deutschland nach der ersten Ölpreisexplosion eine verhältnismäßig starke Neuverschuldung eingehen mußte, der aber eine Konsolidierungsphase gefolgt ist, denn es gelang von 1975 bis 1977, die Finanzierungsdefizite aller Gebietskörperschaften zu halbieren, von 64 Milliarden auf 32 Milliarden DM zurückzuführen. Dann wurde — das ist im
Rückblick sehr genau festzustellen — die Weiche falsch gestellt.
— Jawohl, gut, wenn Sie das auch einsehen. Denn die Sachverständigen und alle Sachkundigen haben damals die politisch Verantwortlichen gemahnt. Ihr Rat hieß, der Konsolidierungskurs, nämlich die Halbierung der Haushaltsdefizite bei Bund, Ländern und Gemeinden von 64 auf 32 Milliarden DM, sei zu früh eingeschlagen und zu nachhaltig fortgeführt worden.
Dazu kam die Empfehlung des Weltwirtschaftsgipfels im Sommer 1978 — das kommt in Ihrer Zustandsbeschreibung überhaupt nicht vor —, in der unter anderem der Bundesrepublik Deutschland als einem starken Industriestaat eine Lokomotivfunktion für die Weltwirtschaft zugemessen wurde: ein Prozent des Bruttosozialprodukts. Dann erfolgte eine Stützung und Absicherung der Konjunktur durch verstärkte Staatsausgaben, durch Kredite.
Übrigens ist das Defizit des Bundes, ist die Nettoneuverschuldung des Bundes in den Jahren nach 1975 bis einschließlich 1980 trotz eines wesentlich gestiegenen Haushaltsvolumens nie mehr so hoch gewesen wie 1975, während das bei den Ländern aus vielerlei Gründen anders ausgesehen hat.
Nachdem diese Stützung der Konjunktur durch verstärkte kreditfinanzierte Staatsausgaben gestartet war, und zwar unter allgemeiner Zustimmung, wie man den Protokollen entnehmen kann, wurde freilich nicht gewartet, bis sich die öffentlichen Kassen wieder gefüllt hatten. Es war ja die Philosophie, man müsse zur Ankurbelung Geld in den Wirtschaftskreislauf pumpen, dann werde es zu Wirtschaftswachstum, zu Investitionen kommen und damit auch zu Steuermehreinnahmen.
Der Fehler war, daß gleichzeitig die Konjunkturförderung auch durch massive Steuerverzichte auf der Einnahmeseite vorgenommen wurde. Es geschah beides. Allein die von 1977 bis Ende 1980 von Bundestag und Bundesrat gemeinsam beschlossenen Steueränderungsgesetze
haben im Bundesgebiet zu einem jährlichen Entlastungsvolumen von 42 Milliarden DM geführt.
Diese Scherenentwicklung von verstärkten kreditfinanzierten Mehrausgaben und starken Steuermindereinnahmen hat zu den bedrückenden Haus-
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Minister Dr. Posser haltsschwierigkeiten geführt, mit denen Bund, Länder und Gemeinden jetzt zu kämpfen haben.
— Ich komme darauf.
Die Haushaltsprobleme des Bundes wären noch größer, wenn es dem Bund nicht gelungen wäre, durch Anhebung einiger Verbrauchsteuern mehr Einnahmen zu erzielen. Dies gelang bei den Verbrauchsteuern, deren Aufkommen zu 100% dem Bund zufließt, so daß in diesem kleinen Bereich der Bundesrat keine Vetoposition besaß, sondern nur ein überstimmbares Einspruchsrecht hatte.
Die Bundesratsmehrheit hat dem Bund in allen Fällen die Möglichkeit nehmen wollen, Steuermehreinnahmen zu erzielen und seine Haushaltsposition zu verbessern. Zugleich wurde eine von allen Parteien geforderte Änderung der Steuerstruktur verhindert, die ein Gleichgewicht von direkten und indirekten Steuern herstellen sollte.
Das war z. B. das 9. Gesetz zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes: Ablehnung durch den Bundesrat am 23. Juni 1978, Anrufung des Vermittlungsausschusses; schließlich wurde der nach Zustandekommen des Vermittlungsergebnisses eingelegte Einspruch des Bundesrates von der Mehrheit des Bundestages überstimmt.
Oder nehmen wir das Mineralöl — und Branntweinsteueränderungsgesetz 1981. Es sollte zu Mehreinnahmen beim Bund führen und hat diesen Effekt auch erzielt.
— So billig, als wäre es um das Schnäpschen der kleinen Leute gegangen, können Sie es machen, Herr Hüsch!
Dieses Gesetz wurde vom Bundesrat am 20. Februar 1981 abgelehnt. Es folgte wiederum die Anrufung des Vermittlungsausschusses, und dann mußte wieder der vom Bundesrat eingelegte Einspruch vom Bundestag überstimmt werden.
Nächstes Beispiel: das Verbrauchsteueränderungsgesetz 1982 mit der Erhöhung von Verbrauchsteuern.
Das Gesetz wurde am 27. November 1981 vom Bundesrat abgelehnt; der Vermittlungsausschuß wurde angerufen.
Mit anderen Worten: Wenn Sie die schwierige Finanzsituation des Bundes so beklagen, müssen Sie in Ihrer Analyse einfach berücksichtigen, daß die
Bundesratsmehrheit der unionsregierten Länder es gewesen ist, die jede Möglichkeit verhindert hat, die Einnahmeposition des Bundes zu verbessern!
Sie hat vielmehr immer dann, wenn der Bund allein die Steuereinnahmen bekommen sollte, versucht, die Gesetze im Vermittlungsverfahren zu verändern.
— Nein, das nicht, aber Sie haben j a here Grundsätze aufgestellt. Sie haben — so zuletzt noch der Herr Abgeordnete von Wartenberg — erklärt, man müsse dafür sorgen, daß die Struktur des Steueraufkommens verändert werde; die Belastung mit direkten Steuern solle zugunsten der Anhebung der indirekten Steuern gesenkt werden; dies werde seit langem gefordert. Als im Bundesrat die Probe aufs Exempel gemacht werden konnte, haben Sie gerade diese Steuerstrukturverbesserung abgelehnt!
Jetzt sagen Sie: Wir brauchen einen neuen Anfang, wir müssen jetzt alles in Richtung solidarischer Gesellschaft entwickeln. Da kann ich nur sagen: Richtig, dem stimmen wir voll zu; auch die Länder machen da sicher mit. Aber ich will Ihnen gern auch sagen, wo in dieser Hinsicht die großen Unterschiede liegen, und ich bleibe einmal bei der Steuerpolitik.
Sie erklären, die Abgabenlast sei zu hoch oder dürfe nicht weiter erhöht werden. Da stimme ich Ihnen zu. Aber die Abgabenlast besteht aus der Steuerlast und der Sozialabgabenlast.
Die Steuerlastquote ist heute niedriger als in den 50er und den 60er Jahren; das bestreiten Sie ja wohl nicht ernsthaft. Wenn Sie berücksichtigen, daß 1974 bei der Änderung des Familienlastenausgleichs das Kindergeld — übrigens gegen eine Übertragung erheblicher Anteile an der Umsatzsteuer durch die Länder auf den Bund — bar vom Bund übernommen wurde, und wenn Sie einmal annehmen, das wäre über steuerliche Kinderfreibeträge gegangen, was Sie ja am liebsten hätten und wohin Sie das System jetzt auch wieder ändern wollen, wäre heute die Steuerlastquote noch niedriger — und zwar um 0,9 % niedriger —, als sie jetzt schon ist, und sie ist jetzt bereits niedriger als zu Zeiten der Kanzlerschaft von Adenauer und Erhard.
Hier wird immer der Eindruck zu erwecken versucht, als würden Überlegungen zur Einführung einer Ergänzungsabgabe schon die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen treffen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8727
Minister Dr. Posser
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat den niedrigsten Höchstsatz der Einkommensteuer in der ganzen Europäischen Gemeinschaft. Er beträgt 56 %.
Es wird der Eindruck erweckt, als müßte schon der geringer Verdienende 56 % oder zumindest 50 % an Steuern zahlen.
In Wirklichkeit ist es ganz anders. Wissen Sie, wann jemand 55% seines Einkommens an Steuern zahlen muß`? Sie operieren immer mit Grenzsteuersätzen, aber Sie müssen mit dem Durchschnittssatz rechnen. Wann muß ein Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschland 55% entrichten? Das muß er dann, wenn er als Lediger ein Jahreseinkommen von 1,5 Millionen DM hat. Dann muß er 55% Einkommensteuer zahlen.
Wenn er verheiratet ist, erreicht er den Steuersatz von 55% seines Einkommens erst bei 3 Millionen DM im Jahr.
— Herr Hüsch, reden Sie doch nicht immer dazwischen, es stimme nicht. Selbstverständlich stimmt das. Oder kommen Sie hierher und beweisen Sie das Gegenteil.
Richtig ist, daß die Kombination von Steuerlast und Sozialabgabenquote das Problem ist. Aber wie sind Sie ihm denn begegnet? Und wie ist das bei der Mehrheit des Bundesrates gewesen? Sie haben immer gesagt, diese Abgabenlastquote dürfe nicht erhöht werden. Dem stimme ich ausdrücklich zu. Sie haben dann Steuersenkungen vorgenommen, die zu einem großen Teil in die Taschen derjenigen kamen, die überhaupt keine Sozialabgaben zu entrichten haben,
bei denen es also gar nicht um eine Überbelastung ging, denn die zahlen weniger Steuern als unter Adenauer und Erhard. Bei den anderen wurde dann das, was an Steuerentlastung erreicht wurde, durch Erhöhung von Beiträgen für Sozialversicherungsabgaben usw. weggenommen.
Herr Waigel hat heute morgen gesagt, der nordrhein-westfälische Finanzminister sei überhaupt gegen jede Steuersenkung. Nein, ich sage seit Jahren, daß man sie jetzt nicht machen kann, solange wir diese Haushaltssituation haben. Das habe ich auch schon gesagt, als die alte Bundesregierung im Amte war. Das werden hier viele bestätigen, daß ich das gesagt habe.
Wenn wir Steuersenkungen machen, dann — das
kann ich sagen — nur, wenn in erster Linie die
Steuersenkungen denen zugute kommen, die auch Sozialabgaben zu entrichten haben, denn die sind belastet.
Alle Nichtarbeitnehmer und alle diejenigen Arbeitnehmer sind es nicht, die mit ihrem Einkommen über den Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherung liegen; mit dem Teil werden sie auch nicht für Sozialabgaben erfaßt. Es gibt einige geschickte Leute in unserem Land, die können in der Steuerpolitik diejenigen, die nicht gemeint sind, verrückt machen und verunsichern, damit diejenigen, die gemeint sind, ungeschoren davonkommen.
Die nordrhein-westfälische Finanz- und Steuerverwaltung hat eine Fallsammlung vorgelegt, die bisher von niemandem bestritten werden konnte. In dieser Fallsammlung haben wir nachgewiesen, daß es in unserem Land Bürger gibt, die 400 000, 500 000 DM und mehr im Jahr verdienen und überhaupt keine Mark Steuern zahlen.
Wir haben das nachgewiesen. Wir haben das veröffentlicht. Ich habe es an meine sämtlichen Finanzministerkollegen in den Ländern geschickt.
— Ich komme darauf. — Und das geschieht dadurch, daß Möglichkeiten, Gestaltungsmöglichkeiten des Steuerrechts, die für diese Zwecke nicht gedacht sind, und Lücken der Steuergesetzgebung benutzt werden, um solche gewaltigen Steuerersparnisse zu erreichen.
— Aber sicher, Herr Hüsch, haben wir einen Antrag gestellt. Im Bundesrat hat das Land NordrheinWestfalen sofort, als wir diese Erkenntnisse hatten, einen Antrag gestellt, um Einschränkungen bei Verlustzuweisungen und bei Bauherrenmodellen zu erreichen. Leider ist dieser Antrag, ohne daß in den Ausschüssen des Bundesrates auch nur über Alternativen geredet wurde, am 26. November 1982 abgewiesen worden. Das heißt, er kommt erst gar nicht in den Deutschen Bundestag.
Wir werden hier nicht locker lassen. Dies gehört zu einer solidarischen Gesellschaft, daß die unbestreitbar notwendigen Einschränkungen und Lasten gerechter getragen werden, als es jetzt nach Ihrem Konzept der Fall ist.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, bitte sehr.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, daß der Vorschlag von Nordrhein-West-
8728 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Milz
falen im Bundesrat durchaus auch von der SPD-Bundestagsfraktion hätte aufgenommen werden können, und wie erklären Sie mir, daß dies nicht geschehen ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, da kann ich Sie gleich über den neuesten Stand unterrichten. Wenn Sie in den letzten Wochen etwas genauer, Herr Abgeordneter, gelesen hätten, hätten , Sie festgestellt, daß die SPD-Bundestagsfraktion dies genau übernommen hat in ihren Anträgen
und daß selbstverständlich dieses Thema jetzt nicht zu Ende ist, sondern in dem Beschäftigungsprogramm weiterverfolgt wird, das sie vorgelegt hat. Es wurde ja immer gesagt, es sei keine Alternative gekommen. Doch, die ist von der SPD-Bundestagsfraktion gekommen, und sie ist auch, was ihre Finanzierung angeht, genau konkretisiert worden. Das unterscheidet dieses Programm von vielen anderen.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Herr Minister, können Sie uns sagen, wann das Land Nordrhein-Westfalen diesen Antrag im Bundesrat eingebracht hat und wann die SPD-Bundestagsfraktion nun diesen Gesetzentwurf bringt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, dieser Antrag ist in der ersten Sitzung des Bundesrates nach der Sommerpause eingebracht worden. Ich habe das Datum nicht präsent. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe am 8. Oktober 1982 im Bundesrat dazu geredet, dann erfolgte die Überweisung an die zuständigen Auschüsse — da waren die Mehrheiten eindeutig —, und am 26. November 1982, also im vorigen Monat, ist dieser Antrag, zu dem, obwohl wir das angeboten hatten, keinerlei Alternative vorgetragen worden ist, abgelehnt worden. Er ist also gar nicht in den Bundesrat gekommen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß das Bauherrenmodell als wichtig für den Wohnungsbau genannt wird. Das wollen wir übrigens nicht in vollem Umfang, sondern nur bei den Mißbräuchen treffen.
— Herr Hüsch, wir haben immer wieder darüber debattiert, daß es Fehlentwicklungen und Mißbräuche im Sozialsystem gibt. Ich sage, daß es solche Fehlentwicklungen und Mißbräuche im Sozialsystem gibt; aber es wird Zeit, daß wir auch über Fehlentwicklungen und Mißbräuche im Steuersystem reden. Das ist wichtig, wenn man Lasten auferlegen
will, und das ist für mich der entscheidende Gesichtspunkt.
— Herr Hüsch, das haben wir nicht über 13 Jahre versäumt. Ich habe Ihnen erklärt, daß sich diese Modelle nicht auf der Grundlage geschriebenen geltenden Rechtes entwickelt haben, sondern daß sie nichts anderes als die Kombination der Ausnutzung von für diesen Zweck nicht gedachten steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und von Lücken im Gesetz sind, die wir schließen wollen.
Die Rechtsgemeinschaft unseres Volkes hat durch die Steuergesetze festgelegt, wie der Beitrag des einzelnen Bürgers für die Aufgaben der Gemeinschaft aufzubringen ist: Wer wenig verdient, zahlt kaum etwas, wer mittelmäßig verdient, zahlt einen stärkeren Beitrag, und dann ist das bis oben, bis zum niedrigsten Höchstsatz der Einkommensteuer in der Europäischen Gemeinschaft, begrenzt.
Es gibt die Steuervergünstigung nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes. Wenn ein Lediger einmal im Leben ein Haus baut, kann er dies stuerlich verstärkt geltend machen. Bei Verheirateten kann das zweimal im Leben geschehen, und das wird dann von den Finanzämtern überwacht. Man kann über das Berlinhilfegesetz Steuerersparnisse haben, das hier durch demokratischen Konsens verabschiedet worden ist. Aber nirgendwo gibt es außer in einigen dieser Modelle eine Möglichkeit, daß man nahezu jegliche Steuerzahlung vermeiden kann.
Da wird gesagt: Die bauen doch, die regen doch die Konjunktur an. Das andere regt die Konjunktur genauso an, und viele Bauherrenmodelle haben den herkömmlichen Baumarkt in den Ballungsgebieten verdrängt, weil der normale Wohnungsbau gegenüber dem gar nicht mehr konkurrenzfähig war, was sich da abgespielt hat.
In einer rheinischen Großstadt hat ein mittelständisches Bauunternehmen Eigentumswohnungen gebaut und diese komfortablen Wohnungen für 2 800 DM je Quadratmeter angeboten. Sie waren nicht abzusetzen. Dann wurde die Sache durch einen Träger ins Bauherrenmodell übernommen. Innerhalb kürzester Frist waren alle Eigentumswohnungen verkauft, allerdings nicht zu einem Quadratmeterpreis von 2 800 DM, sondern zu 5 000 DM je Quadratmeter. Was da geschieht, ist zugleich auch volkswirtschaftlich sinnlos.
Am meisten empören mich die großen Anzeigen, allein in der letzten Woche. Und das soll eine Bevölkerung nicht aufs tiefste erbittern, bei der wir nun — ich fürchte, daß wir mit vielen Maßnahmen nicht daran vorbeikommen — überall bei den sozialen
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8729
Minister Dr. Posser
Leistungen einschneiden müssen! Die Anzeigen lauten: „Retten Sie Ihr Geld vor dem Finanzamt!", eine große Schlagzeile, „Entscheiden Sie die Höhe Ihrer Steuern!", „Steuern Sie Ihre Steuern", „Beim richtig konzipierten Bauherrenmodell wird bei Vorliegen gewisser Einkommen" — diese kennen wir — „das erforderliche Eigenkapitel vom Finanzamt bezahlt". Dieses Finanzamt ist doch keine Behörde, die über den Wolken schwebt; das ist die Behörde, die wir beauftragt haben, nach Maßgabe der Steuergesetze für Steuergerechtigkeit zu sorgen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rentrop.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte. Vizepräsident Frau Renger: Bitte, Herr Rentrop.
Herr Minister Posser, da Ihr Beispiel mit den 2 800 DM vor dem Bauherrenmodell und den 5 000 DM je Quadratmeter nach dem Bauherrenmodell es jetzt gerade verdeutlicht hat, frage ich Sie: Kann es nicht dem Finanzminister und der Bundesrepublik gleichgültig sein, ob sich der Freiberufler oder welcher Hochverdiener auch immer so schröpfen läßt und dafür der Bauträger, Veranstalter die Steuern aus dem erzielten Gewinn zahlt? Das Ergebnis dieser Veranstaltung ist doch im Grunde, daß hier im Inland gezahlt wird. Wenn Sie darauf abzielen, daß solche Steuermittel auch ins Ausland fließen, so kann ich Ihnen sagen, daß wir durch unsere Bundesgesetzgebung diese Möglichkeit beseitigt haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Rentrop, ich bin nicht dieser Meinung, daß wir ruhig hinnehmen sollten, daß ein Gutverdienender geschröpft werde. Denn er wird ja nicht geschröpft bei dem Nettoverdienst, sondern er wird bei dem Teil geschröpft, der der Gemeinschaft gehört. Das ist doch der Punkt.
Wir legen in den Steuergesetzen fest, wieviel der einzelne als Beitrag für die Gemeinschaft zu entrichten hat. Das nennen wir Steuer. Der Lohnsteuerzahler kriegt das gleich bei der Gehaltszahlung abgezogen. Er sieht es gar nicht. Und andere sollen das Recht haben, darüber zu entscheiden, ob sie einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten oder nicht und wie hoch der ist? Das dürfen diese Bürger nicht entscheiden. Das entscheidet im demokratischen Konsens der Gesetzgeber — der Bundestag und der Bundesrat.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, gerne.
Herr Minister, darf ich Sie fragen, welche Maßnahmen, um dem von Ihnen angegebenen Übelstand abzuhelfen, Sie als Finanzminister über den Bundesrat oder Ihre Partei in den letzten Jahren ergriffen haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich Ihnen sagen, Herr Abgeordneter. Wir haben einen sehr eingehend formulierten Gesetzentwurf gemacht. Es wird aus Zeitgründen sehr schwierig sein, auf Einzelheiten einzugehen. Ich schicke ihn Ihnen gerne zu, auch die Protokolle der Bundesratssitzungen dazu. Denn ich bräuchte eine halbe Stunde, um Ihnen die Einzelheiten darzulegen:
die zweimalige Berücksichtigung von sogenannten Werbungskosten in der Vorauszahlungsphase und der endgültigen Steuerphase, die Verlängerung von Spekulationsfristen und vieles andere mehr. Das ist ein ganzes Paket. Dem ist eine Fallsammlung beigefügt. Wir haben das alles gemacht.
— Ich habe doch gesagt: nachdem wir diese Fallsammlung erstellt haben. Mir ist doch immer geantwortet worden: So etwas gibt es doch überhaupt nicht, daß Leute — den Fall habe ich hier — mit 518 000 DM echtem Jahreseinkommen überhaupt keine Mark Steuern bezahlen.
— Ich habe ihnen schon mehrfach gesagt, daß das nicht ein In-Anspruch-Nehmen einer gesetzlichen Vergünstigung ist, sondern daß das ein Ausnützen von Steuergesetzlücken ist. Jetzt legen wir das vor, und jetzt sagen Sie mit der Mehrheit des Bundesrats nein.
Nun möchte ich Ihnen noch sagen: Der Fehler scheint mir darin zu liegen, daß das, was bar gezahlt wird, immer sehr kritisch gesehen wird. Aber das, was dem Staat durch Steuermindereinnahmen verlorengeht, wird nicht so kritisch gesehen. Es ist aber unter dem Strich gleich, ob der Staat bar mehr leistet oder weniger einnimmt. Unter dem Strich bleibt dann für ihn ein Minus.
Ein Beispiel: Anzeige im Mai dieses Jahres:
Jürgen S., 50 800 DM steuerpflichtiges Einkommen p. a. schenkt seiner Tochter Christiane Reitunterricht für 1 200 DM im Jahr. Das Finanzamt beteiligt sich an den Kosten mit 765 DM. Wie das gelingt, steht im neuen „Capital".
Meine Damen und Herren, wenn jemand auf die Idee käme, einem Mitbürger bar 765 DM für den Reitunterricht seiner 17jährigen Tochter zu bezahlen, würde man sagen: Das ist verrückt. Aber genau dies geschieht — nicht bar, aber durch den Verzicht auf Steuereinnahmen.
8730 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Minister Dr. Posser
Wir haben — und das gehört zur solidarischen Gesellschaft und zur Steuergerechtigkeit — Vorschriften, daß man Spenden absetzen kann, z. B.
— auch für alle Parteien, bis zu 3 600 DM, das wissen Sie ja ganz genau — für Misereor, für Brot für die Welt,
für Leprahilfe und für Blindenmission. Für das alles darf man 5% seines Einkommens steuermindernd geltend machen, in besonderen Fällen maximal 10 %, wenn es um wissenschaftliche Forschung geht.
Es ist der demokratische Konsens, daß Spenden für solche unbestreitbar wertvollen, gemeinnützigen Ziele nur bis zu 5, maximal 10% vom Einkommen steuermindernd geltend gemacht werden können. Es kann aber nicht richtig sein, daß es Bürger — und zwar eine ganze Anzahl — in unserem Lande gibt, die auf Kosten der Allgemeinheit durch ersparte Steuern privates Vermögen bilden, und zwar in erheblichem Umfange. Das geht nicht. Auch das Bauen ist nicht der letzte, höchste Wert.
Wir brauchen also auch hier eine neue Gesinnung, damit das einmal aufhört.
Ich will hier auch sagen, daß wir beim öffentlichen Dienst leider sparen müssen. Aber wir sehen immer nur den öffentlichen Dienst, bei dem nun an das 13. Monatsgehalt herangegangen werden soll. Wir haben übrigens im Sommer einen Antrag dahin gehend gestellt. Der wurde abgelehnt. Jetzt wird das verstärkt aufgegriffen.
— Selbstverständlich. Ich sage doch: Es ist schlimm genug, daß das notwendig ist. Da werden Sie von mir keine Kritik hören.
Das Problem ist doch ein anderes, es liegt darin, daß sich dort, wo noch mehr Monatsgehälter gezahlt werden, z. B. ein 14. und noch mehr, nichts tut. Wir bezahlen alles. „Wir", das heißt die Gemeinschaft unseres Volkes, bezahlen alles, ob das nun bar in Form von Beamtengehältern gezahlt wird oder dadurch, daß hohe und höchste Gehälter in der Industrie, der Wirtschaft allgemein, Betriebskosten sind, die steuermindernd geltend gemacht werden können. Durch diese Steuermindereinnahmen ist die Allgemeinheit an den hohen Gehältern dort genauso beteiligt wie an den Gehältern der Bundesminister. Das muß man doch einmal im Zusammenhang sehen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hellwig?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr.
Herr Minister Posser, Sie sprechen jetzt seit einer halben Stunde über Steuergesetze, die Ihrer Meinung nach untragbar sind. 13 Jahre lang war Ihre Partei an der Regierung.
Bitte keine Reden!
13 Jahre lang hat sie diese Steuergesetze nicht geändert. Können Sie dazu bitte Stellung nehmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber selbstverständlich kann ich dazu Stellung nehmen. Ich hoffe, Frau Kollegin, daß ich dazu überzeugend Stellung nehmen kann.
Erstens. Ich sage zum viertenmal, daß es nicht die Steuergesetze sind, die bei den Modellen, die ich erwähnt habe, angewendet werden, sondern daß es das Ausnutzen steuerrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten ist, für die die Steuergesetze nicht vorgesehen sind, und das Ausnutzen von Lücken.
Zweitens. Wir haben immer dann, wenn wir solche Mißstände gesehen haben, über den Bundesrat Vorstöße gemacht. Auf die Länder — Bundesrat — ist das zurückzuführen.
Nun sage ich mal dazu: Die sozialdemokratisch regierten Länder waren es. Wir haben doch das negative Kapitalkonto so lange in die öffentliche Diskussion gebracht, bis es dann endlich abgeschafft wurde. Wir haben doch, vom Bundesrat her, den § 15 a des Einkommensteuergesetzes gebracht, bis das dann endlich gelungen war, und wir werden auch hier nicht locker lassen.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr, Herr Gattermann.
Herr Minister Posser, bei allem Verständnis für das, was Sie gerade vorgetragen haben: Als Finanzminister haben Sie doch auch einen gewissen Nerv für das Steuersystem. Halten Sie es in der Tat für richtig, daß der Staat anfangen sollte, zu definieren, was bei den betriebswirtschaftlichen Vorgängen Verluste sind, die anständig sind und was Verluste sind, die unanständig sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Gattermann, selbstverständlich greifen wir solche Punkte auf. Das haben wir doch bei der Beseitigung des negativen Kapitalkontos ge-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8731
Minister Dr. Posser
macht. Das ist, wenn ich richtig unterrichtet bin, nachdem der Bundesrat es beschlossen hatte, hier sogar einmütig verabschiedet worden. Natürlich greifen wir auf, daß man Verluste im Ausland nicht gegen positive Einkünfte im Inland verrechnen können soll. Das sind doch alles Anstöße, die nun umgesetzt werden. Aber hier geschieht leider nichts.
Weil die Zeit sehr fortgeschritten ist, eine letzte Bemerkung: Zur solidarischen Gesellschaft gehört auch, daß die verfügbaren öffentlichen Mittel nach objektiv meßbaren Kriterien zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften verteilt werden. Ich kann nur sagen: Wir Nordrhein-Westfalen sind bitter enttäuscht. Obwohl wir alle Unterlagen geliefert haben und obwohl auch Herr Abgeordneter Rentrop — das habe ich gehört; ich habe dazu am 3. Dezember hier vor dem Hohen Hause sprechen können — diesen Punkt aufgegriffen hat, daß wir, die wir die größten Sonderlasten im Interesse des Gesamtstaates Bundesrepublik Deutschland zu tragen haben — dasselbe gilt für Bremen, und dasselbe gilt für das Saarland, das nur unwesentlich besser gestellt wurde, viel weniger, als es unserem Vorschlag entspricht —, daß Nordrhein-Westfalen und auch Bremen keine DM Bundesergänzungszuweisungen erhalten, obwohl das Grundgesetz im Unterschied zum Länderfinanzausgleich
— ja, das ist aber seit 1980 vorbei, gnädige Frau —,
wo unterschiedliche Finanzkraft oder, in der Staatspraxis verkürzt, Steuereinnahmekraft ausgeglichen wird, bei den Bundesergänzungszuweisungen von „Finanzbedarf" spricht. Und der ist objektiv meßbar. Da haben Sie uns im Stich gelassen, obwohl wir Ihnen alle Unterlagen gegeben haben und obwohl in einem Hearing, das die SPD-Bundestagsfraktion in der vorigen Woche veranstaltet hat,
die befragten vier Sachverständigen, von denen nur einer ein Gutachter des Landes Nordrhein-Westfalen war — die anderen waren Gutachter für das Saarland, für Baden-Württemberg und Hessen — übereinstimmend bestätigt haben, daß dieses System der Aufteilung der Bundesergänzungszuweisung keinen Bestand bei einer verfassungsrechtlichen Überprüfung haben wird.
Sie zwingen uns zur Klage. Alle unsere Bemühungen, das auf dem Wege des Einvernehmens zu regeln, haben Sie zurückgewiesen; Sie haben überhaupt nichts verändert. Abgesehen von diesen Beispielen — ich habe aus Zeitgründen nur zwei nennen können — für diese skandalöse Lastenverteilung, die vorgenommen wird, nenne ich nur dieses Stichwort „Bundesstaatlicher Finanzausgleich", das
auch zeigt, daß von diesem Gedanken der Erneuerung und der Lastenverteilung und der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit — das sind ja alles Vokabeln, die hier genannt worden sind — keine Rede sein kann.
Deshalb bin ich sehr skeptisch, wie es weitergehen würde, wenn Sie weiter die Verantwortung trügen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr; wir fahren dann in den Beratungen dieser Tagungsordnungspunkte fort.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren fort in der Aussprache zu den Einzelplänen 08, 32, 60, 20, 09, den Art. 1 bis 7 a und 8 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 sowie zum Finanzplan des Bundes von 1982 bis 1986.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Haushaltsdebatte ist Anlaß, eine grundsätzliche Diskussion und Aussprache über wirtschaftspolitische Vorstellungen, wie sie auf den verschiedenen Seiten des Hauses gegeben sind, miteinander zu führen. Bevor ich das tue, möchte ich mich aber beim Haushaltsausschuß und bei den Berichterstattern des Einzelplans 09 für die sehr gründliche, sehr sachverständige und, soweit das den Haushältern möglich war, auch entgegenkommende Haltung hinsichtlich der Wünsche und der Erörterungen unserer Haushaltsposition bedanken.
Diese Haushaltsberatung findet vor einem schwierigen wirtschaftspolitischen und konjunkturpolitischen Hintergrunde statt. Fast drei Jahre befindet sich die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland in der Stagnation. Derzeit gibt es kaum oder wenige Anzeichen, daß es sehr bald, daß es sehr rasch aufwärts gehen könnte. Die meisten Nachfrageindikatoren sind abwärts gerichtet. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nehmen zu.
Es kommt hinzu, daß vor uns die Wintermonate liegen, daß wir damit rechnen müssen, daß die Arbeitslosenzahlen in den kommenden Monaten stark ansteigen. So bedrückend es auch ist, ich glaube, daß der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit recht hatte, als er gestern sagte, daß im schwierigsten Wintermonat — das ist normalerweise der Februar — eine Arbeitslosenziffer in der Spitze von 2,5 Millionen durchaus möglich ist.
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
In dieser Lage hilft uns allen Gesundbeterei nicht. Sie wäre eher schädlich, weil darauf gegründete Hoffnungen und Erwartungen enttäuscht werden. Wir dürfen aber trotz der schwierigen Ausgangslage nicht in Pessimismus verfallen; denn Pessismismus ist der Feind jeder Belebung der wirtschaftlichen Aktivität.
Wie sehr Optimismus und Zuversicht anfeuernde Wirkung haben können, haben wir am Ende der vergangenen Woche auf der Wirtschaftskonferenz in Berlin erlebt.
Ich wünschte mir, daß die dort versammelt gewesenen Unternehmensleiter aus der Bundesrepublik einen Teil des Optimismus, einen Teil der Zuversicht und der Tatkraft, die sie dort zur Schau gestellt haben, aus Berlin, angereichert mit Berliner Luft und Berliner Geist, mit in die Bundesrepublik herübernehmen, um auch hier den Problemen zu Leibe zu rücken.
Wir wissen alle, daß ohne Investitionen, ohne Innovationen, die zu mehr Wachstum führen, die Bewältigung unserer Probleme nicht möglich ist. Ich füge auch gleich hinzu: Ich nehme das Wort Wiederherstellung der Vollbeschäftigung unter den gegenwärtigen Umständen nicht in den Mund, weil ich das beim Anlegen der Maßstäbe der Möglichkeiten ebenfalls eher für Gesundbeterei halte und weil anschließend Hoffnungen enttäuscht würden.
Aber wenn es ohne Wachstum nicht geht, dann müssen wir, so meine ich jedenfalls, mit aller Deutlichkeit und aller Klarheit den politischen Gruppierungen im Lande, die für eine wachstumslose Wirtschaft und Gesellschaft eintreten, sagen, daß sie damit arbeitnehmerfeindliche und beschäftigungsfeindliche Politik betreiben.
Wenn die Kollegen — —
— Es ist ein sehr interessantes Phänomen, meine Damen und Herren, daß auf den Vorwurf hin, man wolle kein Wachstum, eine aufgeregte Reaktion von der Sozialdemokratischen Partei kommt, ohne daß ich einen Adressaten beim Namen genannt habe!
— Ich habe Sie gar nicht gemeint, sondern ich meine die grünen und alternativen Gruppierungen, deren Denken aber bei Ihnen schon so weit in die Köpfe geraten ist, daß Sie sich mit angesprochen fühlen.
Wer Wachstum ablehnt, wer Nullwachstum propagiert, betreibt eine beschäftigungsfeindliche und arbeitnehmerfeindliche Politik.
Wenn Sie nicht glauben, daß das richtig ist, Herr Hoffmann und Herr Roth und Herr Wolfram, dann erkundigen Sie sich doch bei den Gewerkschaften, die in dieser Frage völlig eindeutig der von mir vertretenen Meinung sind.
So behaupte ich überhaupt nicht, daß Sie Wachstumsfeinde seien; einige bei Ihnen sind es. Ich höre j a nichts mehr von den Epplerschen Sprüchen, mit denen das Nullwachstum vor einigen Jahren propagiert wurde.
Da liegt heute mancher wie ein Hase in der Ackerfurche und legt die Löffel an und läßt den Wind der Probleme über sich hinwegblasen und will nichts mehr von dem wissen, was er vor einigen Jahren verkündet hat.
— Das kann sehr wohl sein.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch gute Gründe — dies sollte man nun auch nicht verschweigen —, mit vorsichtiger Zuversicht nach vorn zu schauen. Unsere Leistungsbilanz ist wieder ausgeglichen, nachdem sie vor zwei Jahren das höchste Defizit aufwies, das je ein Industrieland nach dem Krieg vorzeigen mußte. Dieser Tatbestand — ich bitte, das nicht zu übersehen — ist ein Grundelement für unsere Spielräume in der Zinspolitik, in der Geldpolitik und für den Außenwert der Deutschen Mark.
Ich erinnere daran, daß der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt am Anfang das Defizit der Leistungsbilanz immer für einen vernachlässigenswerten Posten gehalten hat. Wir haben gelernt, und wir wissen heute, daß mit dieser Entwicklung vieles bei uns im Lande im Zusammenhang steht, daß die Beschäftigung ganz gewiß auch von der Leistungsbilanzsituation abhängt.
— Herr Spöri, ich komme auf diese sehr kurzfristige Argumentationsweise, die von vielen Seiten gepflogen wird, gleich noch zurück.
Es ist ein Zeichen für die wiedergewonnene Stabilität und die wiedergewonnene geldpolitische und wirtschaftspolitische Sicherheit, daß trotz einer
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff Leitzinsensenkung der Wechselkurs gegenüber dem Dollar nach der jüngsten Entscheidung des Zentralbankrats gestiegen ist.
Er stiege nicht und hätte nicht steigen können, wenn nicht die Grundtatsachen der Außenbeziehungen, wie sie sich in der Leistungsbilanz niederschlagen, wieder positiv zum Vorschein kämen.
Weil das so ist, sind auch die Zinsen zurückgegangen. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht zu übersehen, daß durch den Zinsrückgang eine ganz erhebliche Vergrößerung unseres Spielraums gegenüber der amerikanischen Zinspolitik in den letzten Wochen und Monaten in Erscheinung getreten ist.
— Habe ich das gesagt?
— Ich weiß schon, was ich sage, verehrte Frau Kollegin, und warum ich es so formuliere.
Die Bundesbank hat ihren Spielraum genutzt. Ich habe mit Bedenken gesehen, wie man sofort nach dem Regierungswechsel, auch von Helmut Schmidt, mit scharfer öffentlicher Kritik auf die Bundesbank losgegangen ist, mit der man die Zusammenarbeit bis dahin immer gerühmt hatte.
Ich tue Ihnen sicherlich nicht Unrecht, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, wenn ich Sie frage, ob denn eigentlich die Idee, die Autonomie der Bundesbank einzuschränken, bei Ihnen wirklich aufgegeben ist oder ob das stimmt, was der Kollege Ehrenberg in seinen Büchern früher ganz offen vorgetragen und was Herr Roth immer wieder gesagt hat, nämlich die ZweiSchlüssel-Theorie einzuführen.
Mit uns, meine Damen und Herren, wird eine solche Einschränkung der Autonomie der Bundesbank nicht stattfinden können,
weder mit der Bundesregierung noch mit der FDP-Fraktion.
— Meine Damen und Herren, Sie brauchen hier nur heraufzukommen und zu sagen, das sei nicht so. Ich habe eine Frage gestellt; die können Sie doch beantworten.
Meine Damen und Herren, Kosten und Preise stabilisieren sich. Die Konsolidierung des Staatshaushalts ist eingeleitet. Durch die Maßnahmen der Bundesregierung sind die Rahmenbedingungen für private Investitionen verbessert. Das ist eine Reihe positiver Grundtatsachen, die zu dem, was ich gesagt habe, nämlich zu vorsichtiger Zuversicht, Anlaß geben und die wir nicht unter den Teppich kehren wollen.
Ich habe mich darum — die Frage ist an mich gerade von Ihnen häufig genug gestellt worden — seit Jahren bemüht, die Verbesserung der Rahmenbedingungen zu erreichen, zum Teil auch zu Zeiten unserer gemeinsamen Regierung, durchaus mit Ergebnissen, die ich von dieser Stelle begrüßt und für richtig gehalten habe und heute nicht für falsch halte.
Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Es ist mit großen Teilen des damaligen Koalitionspartners, mit Ihnen, immer schwerer geworden.
Aber ich möchte mir die Fähigkeit zur objektiven Beurteilung dessen — ich gebe allerdings zu, daß man nie ganz objektiv urteilen kann —, was wir versucht haben, dessen, was wir erreicht haben, und dessen, was wir nicht erreicht haben, gern bewahren.
Die Welt ist seit 75 Tagen ganz gewiß nicht auf den Kopf gestellt, es sei denn, man stellt sich selber auf den Kopf oder man hat plötzlich die Brillen ausgewechselt.
Ich habe immer wieder gesagt: Auch wenn wir einen Koalitionswechsel haben, von dem Sie wissen, daß ich ihn für nötig gehalten habe, und den ich mit herbeigeführt habe — ich bekenne mich zu dieser Verantwortung ganz uneingeschränkt, das wissen Sie —
— ich bekenne mich aber dazu —, liegen die Probleme noch auf dem Tisch und müssen gelöst werden. Sie können nicht von heute auf morgen in Ordnung gebracht werden. Dazu sind sie zu schwergewichtig. Aber wenn die Weichenstellung stimmt und besser wird und wenn die Lösung des Problems, die wir suchen, vertretbar und erfolgversprechender ist, dann allerdings meine ich, daß wir diesen Weg gehen müssen, und wir mußten ihn gehen.
Ich habe meine Brille nicht zu wechseln brauchen. Das gilt auch für meine politischen Freunde. Es ist dieselbe Brille, mit der ich dieselben Probleme betrachte. Aber es war notwendig, die erforderliche Unterstützung für eine gleiche oder ähnliche, mindestens für eine gleichgerichtete Betrach-
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tungs- und dann Handlungsweise zu finden und herzustellen.
Wir haben uns immer — jetzt spreche ich nicht nur für mich selber, sondern auch für meine Partei — als einen Garanten einer marktwirtschaftlichen Politik in der Bundesrepublik Deutschland verstanden, wo und mit wem wir auch immer in den vergangenen 35 Jahren Bundesrepublik zusammengearbeitet haben. Daran wird sich gar nichts ändern.
Die ordnungspolitische Grundsatzentscheidung in der Bundesrepublik zugunsten der Ordnung der Sozialen Marktwirtschaft wäre ohne die Beteiligung der Freien Demokraten, der Liberalen im Jahr 1949 nicht zustande gekommen. Bei der Verteidigung dieser Wirtschaftsordnung in Zeiten, als sie von den Sozialdemokraten noch aufs heftigste bekämpft wurde — ich erinnere an die Auseinandersetzungen, die großen Diskussionen zwischen Ludwig Erhard und Professor Nölting —, hat man uns immer an der Seite von Ludwig Erhard gefunden. Ludwig Erhard hat uns an seiner Seite auch gefunden, als es darum ging, seine Positionen gegen den Bundeskanzler Konrad Adenauer und den Präsidenten des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Fritz Berg, zu verteidigen,
als es darum ging, ein Wettbewerbsgesetz durchzusetzen, das den Mindestanforderungen an eine marktwirtschaftliche Ordnung entspricht.
Aber wir haben, meine Damen und Herren, auch in der sozialliberalen Koalition unsere marktwirtschaftliche Grundhaltung und Ausrichtung sowohl in der täglichen praktischen Arbeit wie in unserer Programmatik immer wieder unter Beweis gestellt, vom Freiburger Parteitag 1971 über die Kieler Thesen, die ich immer noch für das marktwirtschaftlichste Programm aller Parteien in der Bundesrepublik halte, bis hin zum Wahlprogramm 1980. Wir haben — lassen Sie mich das sagen — in den 13 Jahren Koalition mit der Sozialdemokratischen Partei verhindert, daß sozialistische Wirtschaftspolitik eine Chance bekam.
Herr Kollege Matthöfer, Sie haben vorhin die Freundlichkeit besessen, unter Benutzung einer Frage, die der bayerische Ministerpräsident formuliert hat, eine Frage an mich zu richten. Ich gebe zu, daß die Frage witzig formuliert war und daß man sie deswegen ruhig einmal aufgreifen kann, zumal dann, wenn einem selber nichts Besseres einfällt. Die Frage hätten Sie sich auch selbst beantworten können, denn ich habe lange neben Ihnen im Kabinett gesessen, Herr Matthöfer. Ich habe manches mit Ihnen zusammen verhindert. Erinnern Sie sich noch daran, wie wir bei den Haushaltsberatungen im Sommer 1981 drüben im Bungalow gemeinsam gegen die Einführung der Ergänzungsabgabe gestritten haben? Damals waren wir auf einer Seite.
Ich habe natürlich auch manches gegen Sie verhindert. Die Mineralölsteuererhöhung, die Sie uns 1982 aufs Auge drücken wollten und die mit Nachfrageabschöpfung ja wohl auch einiges zu tun gehabt hätte, war mit uns nicht durchzusetzen. Sie sehen, ich war nicht in einer Taucherglocke in der Südsee. Ich habe neben Ihnen gesessen und immer aufmerksam verfolgt, was Sie veranstalten wollten, Herr Kollege Matthöfer.
Herr Minister, der Abgeordnete Dr. Spöri möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Herr Spöri, ich möchte mich im Augenblick mit den Ausführungen des Kollegen Matthöfer beschäftigen.
Herr Matthöfer, in zwei Punkten habe ich, so wie Sie gesprochen haben, einen gravierenden Mangel an Fairneß empfunden, besonders angesichts dessen, wie wir in vielen Jahren miteinander umgegangen sind. Wenn Sie von Wortbruch und Drückebergerei reden, so muß ich Ihnen sagen: Darüber läßt sich
— ich weiß, warum das so gekommen ist — vom Stuhl des Postministers leichter reden, als das aus der Perspektive Ihres Nachfolgers und aus der Perspektive des Wirtschaftsministers zu betrachten war. Wenn Sie mich der Drückebergerei zeihen, so kann ich nur entgegnen: Sie selber wissen sehr genau, daß ich zu allem möglichem neige, aber nicht ausgerechnet dazu.
Was den „Wortbruch" anlangt, der ja auch in der gestrigen Rede des Kollegen Ehmke wieder eine Rolle gespielt hat — ich bin Herrn Stoltenberg für das dankbar, was er dazu gesagt hat —: Ich werde in diesem Wahlkampf in meinen Wahlkreis gehen und meinen Wählern meinen Kandidatenbrief vom Sommer 1980 unverändert vorlegen, um Ihnen damit zu sagen: Keine einzige Position hat sich geändert. — Aber Ihre Positionen haben sich im Laufe dieser zwei Jahre zum Teil sehr grundlegend geändert.
Schließlich ein zweiter Punkt, Herr Matthöfer, den ich für nicht in Ordnung befunden habe. Wenn ein ehemaliger Finanzminister, der die Belastungen dieses Amtes und die Arbeit, die mit der Aufstellung eines Haushalts verbunden ist, kennt, seinem Nachfolger, der erst 75 Tage im Amt ist, den Vorwurf macht, er hätte schneller, besser und gründlicher arbeiten sollen, so meine ich, daß Sie es sich zweimal überlegen sollten, bevor Sie so etwas von diesem Pult herunter sagen.
Es ist eine Mordsleistung, die auch überall anerkannt wird, in dieser kurzen Zeit den Haushalt und
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
die Begleitgesetze so auf die Beine zu bringen. Wobei wir uns dafür bedanken, daß das Parlament unter Aufgabe von vielen Fristen, die es hätte in Anspruch nehmen können, mitgespielt hat. Das war schon rein zeitlich, physisch und arbeitsmäßig eine beachtliche Leistung. Sie sollten den persönlichen Anteil, den einige von uns und insbesondere der Bundesfinanzminister als Ihr Nachfolger daran haben, nicht öffentlich herabsetzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es sind immer zwei Gründe gewesen, die meine Freunde und mich veranlaßt haben und weiter veranlassen werden, so kompromißlos, wie wir es tun, für die marktwirtschaftliche Ordnung einzutreten.
Erstens. Marktwirtschaft ist die effizienteste Wirtschaftsordnung überhaupt. Sie hat ihre Überlegenheit immer wieder unter Beweis gestellt, und sie allein ist in der Lage, die ungeheure Koordinierungsaufgabe zu lösen, Millionen von Einzelentscheidungen aufeinander abzustimmen. Kein anderes Wirtschaftssystem kann das. Im übrigen war ja diese hohe Effizienz der marktwirtschaftlichen Ordnung auch immer der Grund dafür, daß der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt und Teile Ihrer Partei die Marktwirtschaft akzeptiert haben und sich auf ihren Boden gestellt haben.
Aber es kommt ein zweiter Punkt hinzu, den ich persönlich für noch wichtiger halte. Die marktwirtschaftliche Ordnung ist essentieller Bestandteil einer freiheitlichen Ordnung überhaupt. Sie ist für uns unabdingbarer Teil einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie ist auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik das Gegenstück zum freiheitlichen Rechtsstaat auf dem Gebiet der Staatspolitik.
Diese Wertekongruenz ist für Liberale entscheidend. Dafür haben Sozialdemokraten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, niemals eine Antenne gehabt, und sie haben niemals ihre Zustimmung zu dieser Auffassung gegeben.
Falsch ist die Behauptung, die ich immer wieder höre, die FDP, die Bundesregierung, ich selber vertrauten allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. So einfältig ist niemand von uns. Und es gibt auch kein solches Zitat.
Wir sehen sehr wohl eine Verantwortung der Wirtschaftspolitik. Aber wir vertrauen erst recht nicht auf die Heilungskräfte von Bürokraten oder planwirtschaftlichen Entscheidungen.
Wirtschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen, das heißt in erster Linie, die Rahmenbedingungen für privates Wirtschaften zu gestalten. Wir setzen auf die freiheitliche Entscheidung der Verbraucher und der Unternehmen.
Nun ist aber in der heutigen Situation sicher die Frage notwendig, wohin denn der Weg geht. Und Ihr Weg, meine Damen und Herren von der Sozial-
demokratischen Partei, geht doch — oder tritt man Ihnen da zu nahe? — zunehmend einen mehr interventionistischen, einen mehr dirigistischen Weg.
Die Schublade sozialistischer Wirtschaftspolitik war über die Jahre verschlossen; nicht nur, weil der Koalitionspartner den Schlüssel in die Tasche gesteckt hatte — das will ich gar nicht als einzigen Grund angeben —, sondern auch, weil es in Ihren Reihen Kollegen wie die Herren Deist, Schiller, Claus-Dieter Arndt gegeben hat, von denen ich genau weiß, daß sie Marktwirtschaft nicht nur als Veranstaltung der Effizienz, sondern auch auch als Werteordnung gesehen haben.
Aber wenn ich im Bild von der Schublade und dem Schlüssel bleiben darf: Auf dem Münchener Parteitag haben Sie entweder uns den Schlüssel aus der Tasche geholt,
oder Sie haben die Schublade aufgebrochen. In der Tat kommen Sie mir vor wie jemand, dem man vor langem sein Spielzeug weggenommen hat, an das er plötzlich wieder herankommt und das nun in allen Variationen benutzt werden muß. Ein Vorschlag nach dem anderen wird herausgeholt.
Erst kam der Beschäftigungshaushalt und die Kieler Erklärung; die Steuerschraube soll weiter angezogen werden; der Staatsanteil soll noch weiter ausgedehnt werden; und Abstriche an dem aus den Fugen geratenen sozialen System werden schlichtweg als soziale Demontage, als Umverteilung von unten nach oben bezeichnet und denunziert.
Dann kam hier Ihr Antrag zur Einschränkung von Überstunden. Das ist natürlich zunächst eine ganz eingängige Darstellung: Wir haben zuwenig Arbeit; also dürfen keine Überstunden mehr gefahren werden; die dort beanspruchte Arbeitszeit soll Arbeitslosen zur Verfügung gestellt werden.
Das klingt zunächst einleuchtend und mag den einen oder anderen überzeugen. Nur, Sie alle wissen sehr genau, daß es solche Dispositionsmöglichkeiten in unseren Betrieben gar nicht gibt. Sie wissen sehr genau, daß damit die Flexibilität unserer Unternehmen und ihre Fähigkeit zur Reaktion auf Stoßarbeit, auf Reparaturaufträge herabgesetzt werden. Und Sie wissen ebenso, daß Sie ein unerhörtes Maß an zusätzlicher Bürokratisierung über die Unternehmen stülpen.
Das kann ja alles z. B. einem Unternehmen wie der Firma Siemens zugemutet werden. Das verfügt über die notwendigen Stabsabteilungen, über die notwendigen Mitarbeiter, über die notwendige Geschicklichkeit im Umgang mit den Behörden, deren
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Genehmigung eingeholt werden muß, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen wollten.
Herr Minister!
Augenblick bitte, Herr Präsident! — Aber der Elektromeister, der bei Siemens um die Ecke sein Geschäft mit zwei oder drei Mitarbeitern unterhält, kann sich diesem Bürokratenwirrwar und diesem Behördenkrieg nicht stellen. Er leidet darunter. Und dessen Beweglichkeit und dessen Leistungsfähigkeit werden eingeschränkt. Im Interesse dieser Unternehmen, aus denen die deutsche Wirtschaft doch besteht — die besteht doch nicht nur aus Siemens und anderen Großunternehmen —, muß man hier nein sagen.
Herr Minister, sind Sie jetzt mit einer Frage des Abgeordneten Dr. Spöri einverstanden? — Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Spöri.
Herr Minister Lambsdorff, wenn Sie jetzt zum wiederholten Male Ihre alte Münchner Platte auflegen, um den Absprung aus der Koalition zu begründen, möchte ich Sie fragen: Wie bringen Sie es eigentlich mit Ihrer Selbstachtung als Person in Einklang, daß Sie heute und jetzt mit einem Koalitionspartner zusammenarbeiten, der in jeder Rede Ihre wirtschaftspolitische Leistung als Trümmerfeld bezeichnet? In jeder Rede!
Verehrter Herr Spöri, was zunächst einmal das Abspielen der Münchner Schallplatte angeht, so lege ich ja nur eine Schallplatte auf, die Sie besprochen oder besungen haben, und das kann Ihnen doch eigentlich nur recht sein.
— Ein paar Kratzer sind von Anfang an auf der Platte gewesen.
Im übrigen habe ich gar keinen Nachholbedarf. Ich habe Ihnen 14 Tage nach dem Münchner Parteitag gesagt, was das ist: ein Gruselkatalog sozialistischer Marterwerkzeuge. Das mochten Sie gar nicht gerne hören, aber es ist so.
Was Ihre Frage anlangt, Herr Spöri: Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir und auch ich persönlich Verantwortung mittragen für die Entwicklung und auch für die Fehlentwicklungen, die eingetreten sind. Ich hätte es begrüßt, wenn unser früherer Koalitionspartner die Kraft aufgebracht hätte, die Fehlentwicklung einzusehen und die Korrekturen mit uns vorzunehmen. Da Sie die Kraft nicht
hatten, mußte die Koalition gewechselt werden, um die Fehltentwicklungen zu bereinigen.
Meine Damen und Herren, nun kommt gewissermaßen oben drauf — in dieser Haushaltsdebatte wird uns ja alles Mögliche an Papier auf die Pulte geschüttet — Ihr Antrag zur Mitbestimmung. Hier wird es in der Tat außerordentlich interessant, wenn ich daran denke, was für Diskussionen wir noch im Jahre 1976 gehabt haben, wie wir nahezu einstimmig ein Mitbestimmungsgesetz verabschiedet haben, wie wir gemeinsam — und ich ziemlich vornan — die Klage der Arbeitgeberverbände gegen dieses Mitbestimmungsgesetz kritisiert und für politisch töricht gehalten haben und wie Sie immer wieder versichert haben, mit dem Mittelstand habe diese Form von Mitbestimmung natürlich überhaupt nichts zu tun. Mit Ihrem heutigen Antrag — Herr Roth, Sie gucken mich so interessiert an; ich freue mich, daß Sie so aufmerksam zuhören — gehen Sie mitten in den Bereich des Mittelstandes hinein. Die von Ihnen vorgeschlagene Mitbestimmung soll sich nicht mehr auf Unternehmen mit mehr als 2 000 Mitarbeitern beschränken — wie im Mitbestimmungsgesetz 1976 —, sondern es soll nunmehr die Mitbestimmung, und zwar die MontanMitbestimmung für Unternehmen ab 1 000 Arbeitnehmer eingeführt werden.
— Das ist ein mittlerer Mittelstand. Mittelstand heißt nämlich Mitte, verehrter Herr Hoffmann, wenn Sie sich daran vielleicht erinnern möchten.
Mit Sicherheit wären über 1 000 Unternehmen betroffen. Mit dieser Funktionärsmitbestimmung greifen Sie weit in den mittelständischen Bereich ein. Allein im produzierenden Gewerbe würden rund 900 Unternehmen und davon 250 Personengesellschaften von dieser Regelung betroffen sein.
Zu Sprecherausschüssen erklären Sie schlicht, das sei für Sie nicht kompromißfähig, das sei Spaltung der Arbeitnehmerschaft, das sei ein Nebenbetriebsrat. Das ist es nicht. Die leitenden Angestellten — das wissen Sie — sind die einzigen, die durch den Betriebsrat nicht vertreten werden und die keine Vertretung gegenüber der Unternehmensleitung, gegenüber dem Management haben. Sehen Sie sich die 330 Sprecherausschüsse an, die zur Zeit auf freiwilliger Basis gut funktionieren, und seien Sie überzeugt davon, daß diese Regierung und diese Koalition sich diesem Thema nach dem 6. März in sehr viel wohlwollenderer Weise, auch der Frage der Sprecherausschüsse, zuwenden wird, als Sie das bisher getan haben, die Sie es zu verhindern gewußt haben.
Für mich und für meine politischen Freunde ist Mitbestimmung ein Individualrecht der Arbeitneh-
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mer in der Betriebs- wie in der Unternehmensverfassung. Diese Position haben wir mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 ebenfalls gemeinsam beschlossen und mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 durchgesetzt. Diese geltende Mitbestimmung, zu der wir uns auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bekennen — die damalige Opposition hat ja seinerzeit in wesentlichen Teilen zugestimmt —, erweitert die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers und seine Selbstbestimmung. Sie aber wollen mit Ihren Vorschlägen wieder mehr Fremdbestimmung und weniger Selbstbestimmung sowie die Abschaffung des wenigstens ein wenig demokratischer gemachten Wahlverfahrens zugunsten eines undemokratischen Wahlverfahrens. Das wird mit uns nicht zu machen sein!
Wir denken nicht daran, den erreichten Fortschritt zurückzudrehen. Die organisationsbezogene Montan-Mitbestimmung und damit die Entmündigung des einzelnen Arbeitnehmers ist für uns keine Alternative.
Die Mitbestimmungswende nach rückwärts findet mit uns nicht statt!
Meine Damen und Herren, ich füge gleich hinzu: Niemand von uns denkt daran — Sie haben das auch in der Regierungserklärung gehört —,
an den bestehenden Vorschriften der Montan-Mitbestimmung etwas zu ändern oder etwas einzuschränken. Diese Erklärung bleibt.
— Natürlich lobe ich Adolf Schmidt, insbesondere dann, Herr Wolfram, wenn er in der Frage der Kohlepolitik anderer Meinung ist als Sie. Dann tue ich das besonders gerne!
Meine Damen und Herren, ich habe hier im Parlament schon bei der letzten Gelegenheit dargelegt,
daß die Vorschläge der SPD-Fraktion nicht geeignet sind, die Beschäftigungsprobleme zu lösen; im Gegenteil, sie verschärfen unsere Probleme. Sie haben nicht nur mit Ihren letzten Initiativen in unseren Augen Ihr Unvermögen, eine wirksame Beschäftigungspolitik zu betreiben, unter Beweis gestellt. Ich darf noch einmal an all diejenigen Vorstellungen erinnern, die in den vergangenen Jahren nicht zum Zuge kamen, weil Sie dafür mit uns keine Mehrheit hatten: Sie wollten einen Strukturentwicklungsplan — Sie wollen ihn ja heute noch —,
Sie wollen Wirtschafts-, Sozial- und Strukturräte, Sie wollen Investitionsmeldestellen, Sie wollen gezielte Forschungspolitik und gezielte Branchenpolitik. Ihre Vorschläge brächten weniger Markt, mehr Staat, mehr Planung, mehr Bürokratie und in deren Folge natürlich auch mehr Kosten.
Ihre Forderung nach immer mehr Staatseingriffen gefährdet die Tarifautonomie und damit ein fundamentales Recht der Gewerkschaften, das im übrigen ein fundamentaler Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Niemand denkt daran, die Tarifautonomie einzuschränken oder gar abzuschaffen. Sie gehört zu unserer Wirtschaftsordnung und ist gänzlich unverzichtbar. Aber — ich wiederhole das, was ich hier schon vor ein oder zwei Wochen gesagt habe — sie gedeiht wirklich nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, nicht in der Ordnung der Staatseingriffe, nicht in der Ordnung des staatlichen Dirigismus.
Meine Damen und Herren, Sie wollen eine Ergänzungsabgabe, eine Anhebung der Spitzensteuersätze, Sie wollen die Maschinensteuer, Sie wollen die Arbeitsmarktabgabe für Freiberufler und Beamte, und sie ignorieren die ohnehin schon viel zu hohe Abgabenbelastung, die den Leistungswillen beeinträchtigt und die Schwarzarbeit fördert. Sie demotivieren doch durch solche Vorstellungen und Forderungen gerade diejenigen, die durch ihre Leistung unsere Wirtschaft in Gang halten.
Dort, wo Sie keine Möglichkeit sehen, diese Vorstellungen mit neuen Steuern zu finanzieren, soll dies mit höheren Schulden des Staates geschehen. Meine Damen und Herren, wenn ich zusätzlich zu dem, was heute morgen schon gesagt worden ist, feststelle, daß die Finanzierung der zusätzlichen Ausgabenvorschläge der SPD im Bereich der Energiepolitik durch Einsparungen bei den fortgeschrittenen Reaktorlinien erreicht werden soll, und wenn ich mich daran erinnere, in welch — ich kann es wirklich nicht anders nennen — geradezu verbotener Form in der vorigen Regierung, ohne daß jemand am Kabinettstisch das überhaupt ahnte, die Finanzierung der Reaktorlinien über die Beleihung von Bewilligungsbescheiden für zukünftige Jahre erreicht worden ist, dann muß ich schon sagen: Das ist ein starkes Stück von Finanzierungsvorschlägen.
— Herr Conradi, ich habe nicht gesagt, daß in diesen Größenordnungen marktwirtschaftliche Vorstellungen mit Untätigkeit des Staates realisierbar wären. Darüber hat es doch nie Streit gegeben! Aber Sie werden doch wohl zugeben, daß die Art, in der hier finanziert worden ist, das Urteil — ich sage: vielleicht das Vorurteil — vieler Zeitgenossen rechtfertigt, daß Sie mit Geld jedenfalls nicht umgehen können.
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Ich kann doch nicht im Ernst annehmen, daß Sie noch verteidigen wollen, wie das hinter dem Rükken anderer Kabinettsmitglieder geschehen ist, in welch unverantwortlicher Weise hier mit öffentlichen Geldern umgegangen worden ist!
Ich hätte mich j a mit vorsichtigen Andeutungen begnügt, wenn Sie das nicht so heraufgespielt hätten.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der Sozialdemokraten — —
— Wir können auch darauf antworten. Soll ich darauf antworten? Herr Conradi, ich will darauf antworten, damit Sie klar sehen. Ich weiß, worauf Sie anspielen. Herr Kollege Matthöfer, Sie wissen auch, worauf er anspielt. Damit wir das hier alle wissen: Wir alle vier — der Kollege Friderichs, mein Amtsvorgänger, der frühere Bundesfinanzminister Matthöfer und der frühere Bundesfinanzminister Lahnstein ebenso wie ich — sind der Auffassung, daß die Vorwürfe, die erhoben und untersucht werden, unbegründet sind. Alle vier! Ich bin der festen Überzeugung, daß das Ermittlungsverfahren, das geführt wird, und die Objektivität der Behörden, die sich damit beschäftigen, zu einem eindeutigen Ergebnis führen werden. Wenn Sie, wie ich aus diesem Zuruf entnehmen muß, der Auffassung sind, daß die aufgefundenen Aufzeichnungen richtig sind, bitte ich Sie, zu addieren, wer nach diesen Aufzeichnungen den größten Betrag an finanziellen Zuwendungen erhalten hat. Das ist die Sozialdemokratische Partei.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen — —
Ich sage Ihnen, wenn diese Zwischenrufe kommen — ich habe sie beim vorigen Mal und beim vorvorigen Mal alle überhört; auch mit Rücksicht auf die Kollegen, die mit in der Geschichte hängen —: Ich lasse mir das nicht jedes Mal gefallen.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei bedeuten nicht nur eine Abkehr von der Marktwirtschaft, mehr Staat, mehr Bürokratie und weniger Arbeitsplätze, sie bedeuten auch Bevormundung des Bürgers. Sie bedeuten weniger Freiheit und weniger Selbständigkeit.
Wenn ich Ihnen sage, meine Damen und Herren, daß ich dies eben — ich weiß, daß Sie sofort wieder protestieren werden — für einen Marsch in eine sozialistische Wirtschaftsordnung halte,
dann entgegnen Sie mir bitte nicht, daß der Sozialismus daherzukommen habe in Form von Verstaatlichung, Vergesellschaftung und ähnlichem. Der demokratische Sozialismus, den Sie vertreten und den Sie wollen, kommt in der Form von Bürokratisierung, von immer mehr Eingriffen, von immer mehr Unbeweglichkeit. Hier liegt das nicht Gewollte — ich unterstelle Ihnen das mit keinem Satz —, nämlich die unvermeidliche freiheitseinschränkende Wirkung einer solchen Politik.
Das ist die Problematik. Darüber muß bei uns im Lande gesprochen werden. Niemand wird hierher kommen und sagen, Sie wollten uns enteignen oder ähnlichen Unsinn. Aber in dem anderen Bereich sollten wir eine ernsthafte Diskussion miteinander führen. Wir sind dazu bereit.
Gestern, meine Damen und Herren, hat der Kollege Leber davon gesprochen, daß unsere Probleme ohne die Mithilfe der Gewerkschaften nicht lösbar seien.
Ich stimme dem ausdrücklich zu. Aber die Basis, meine Damen und Herren, solcher Kooperation kann nicht auf ungleicher Partnerschaft fußen.
Die Basis solcher Kooperation kann nicht auf ungleicher Partnerschaft fußen. Die Funktionen dürfen nicht verwischt werden. Wir leben in unserem Lande auch vom Interessengegensatz: zwischen Gewerkschaften, zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Staat. Wir leben von der balance of power, von dem Gleichgewicht. Dieses Prinzip hat sich bewährt.
Aber wie wir alle, meine Damen und Herren, haben auch die Tarifpartner, auch die Gewerkschaften selbstverständliche Pflichten. Nur Rechte gibt es für niemanden — für keinen —, schon gar nicht in dieser Zeit.
Deswegen sage ich auch dem Kollegen Leber: Wir bemühen uns um eine sozial ausgewogene Politik.
— Darüber wird zu reden sein.
Herr Leber hat gestern dargelegt, daß die Eingriffe ins soziale System zu gravierenden Einkommensbegrenzungen führen können. Nun ist Einkommensgrenze ja seit langem ein nicht gelöstes Problem in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Jetzt meine ich nicht die Einkommensbegrenzung, sondern die Einkommensgrenze, von der ab Sprünge nach oben und Verluste nach unten erfolgen. Ich meine Transferlinien, bei denen wir ja wissen, daß mancher, der mit seinem Bruttoeinkommen kurz darunter liegt und Transfereinkommen dazubekommt, sich besser steht als der, der kurz darüber liegt. Das ist keine glückliche Situa-
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Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
tion. Das war häufiger Gegenstand von Diskussionen, auch in der alten Regierung.
Herr Leber hat gestern leider kein Rechenbeispiel gegeben, sondern uns aufgefordert, uns im Laufe der Diskussion bei der Beratung der Einzelpläne und der Einzelgesetze selber die Rechnung aufzumachen. Das ist zu wenig. Wir nehmen seinen Hinweis schon ernst; aber so, wie er es gesagt hat, trifft der Hinweis nicht zu. Es mag in Einzelfällen — den berühmten Eckfall finden Sie in jeder Gesetzgebungsdiskussion — eine Häufung geben, aber im Durchschnitt stimmt sein Beispiel nicht. Wir haben eine Reihe von Abfederungen eingebaut: Einkommensgrenzen beim Kindergeld, Übergangsregelungen beim Schüler-BAföG für einkommensschwache Familien, Reduzierung der Darlehensschuld beim Studenten-BAföG durch Leistungsnachweis.
Meine Damen und Herren, es ist sehr viel leichter, solche unvermeidlichen Einschränkungen, die Sie schon Ihrem Bundeskanzler im Juni bei seiner Rede vor der Fraktion verweigert haben, einer anderen Regierung gegenüber zu kritisieren, als Ersatzvorschläge zu machen, die zu den gleichen Einsparungen führen.
Ich füge hinzu, auch wenn das bei Ihnen Widerspruch auslösen mag: In der Diskussion über die Belastungen darf man nicht nur auf diejenigen sehen, denen Leistungen beschnitten werden, denen man Kürzungen zumutet. Man muß und man darf auch auf diejenigen sehen, die diese Leistungen zu erbringen haben, die durch ihre Steuerzahlungen dazu beitragen, daß wir das überhaupt leisten können.
Bei 60% und mehr Grenzbelastung ist es sehr wohl richtig, an diejenigen zu denken, die zur Finanzierung beitragen. Diejenigen, die Steuern hinterziehen, tragen gerade nicht zur Finanzierung bei. Ihr Zwischenruf ist deshalb ziemlich töricht.
Wer diese Belastungen weiter hochschraubt, der blockiert Leistungsbereitschaft, er blockiert Dynamik und Flexibilität gerade derjenigen, die unserer Wirtschaft ihre Effizienz verleihen. Das gilt ganz besonders auch für Arbeitnehmer. Ich habe durchaus Verständnis für die Frage des Kollegen Matthöfer, was die Lohnsteuerbelastung und ihre Korrektur anbelangt. Nur muß man über die Masse verfügen, Herr Matthöfer, bevor man dies tun kann. Mir wäre es ganz lieb gewesen, wenn Sie sich auch hier noch einmal zu dem Grundsatz bekannt hätten, den schon Ihr Amtsvorgänger im alten Kabinett und Sie vertreten haben,
daß wir unvermeidlich die indirekten Steuern erhöhen müssen, um bei den direkten Steuern langsam
zu Erleichterungen zu kommen. Ich halte das für vernünftig.
Wenn Steuerprogression und Abgabenbelastung und die Nivellierung als Ergebnis einer über lange Jahre so betriebenen Tarifpolitik dazu führen, daß es sich bei uns für einen Facharbeiter überhaupt nicht mehr lohnt, sich einer zusätzlichen Ausbildung, einer zusätzlichen Anstrengung zu unterziehen, weil ihm der Mehrverdienst gegenüber einem, der nichts gelernt und diese Anstrengung nicht auf sich genommen hat, weggesteuert wird, dann sind wir auf dem Holzweg, auf dem falschen Weg, dann zerstören wir Leistungsbereitschaft und Leistungsmöglichkeit in unserem Lande.
Ich möchte hier ein wörtliches Zitat bringen: „Hier liegt auch ein entscheidender Grund dafür, daß eine weitere Erhöhung des Anteils der direkten Lohn- und Einkommenbesteuerung und der Sozialabgaben wirtschaftlich nicht sinnvoll, sondern eher schädlich wäre." Ich glaube, nach Herrn Ehmkes Definition, Herr Matthöfer — von Ihnen stammt das Zitat, nämlich aus Ihrer Einbringungsrede zum Haushalt 1982 —, müssen Sie wohl als Sozialdarwinist gelten.
Das sind Sie aber nicht.
Es gilt, Leistungen freizusetzen, und es gilt, Leistungen nicht zu begrenzen. Wesentlicher Träger dieser Leistungen ist bei uns der Mittelstand, und zwar nicht nur der gewerbliche Mittelstand. Natürlich ist es in erster Linie der gewerbliche Mittelstand, aber auch das, was man den soziologischen Mittelstand nennt, gehört selbstverständlich dazu. Wer, wenn nicht gerade diese Bereiche unseres Volkes, hat denn nach 1949 ganz entscheidend dazu beigetragen, daß wir den Weg nach vorn gewonnen haben?
Herr Matthöfer, ich finde, es ist eine einseitige Betrachtungsweise, wenn Sie heute morgen formulierten, Herr Grundig sei eines der wenigen Beispiele erfolgreichen deutschen Unternehmertums nach dem Kriege. Es hat Tausende erfolgreiche Unternehmer gegeben, die unserem Lande weitergeholfen haben!
Es ist schon ganz unerhört, zu glauben, das seien nur einige Wenige gewesen. Wo, glauben Sie, wären die Arbeitsplätze hergekommen, die wir doch in den 50er Jahren auch nicht gehabt haben, wenn es nicht viele Tausende von erfolgreichen Unternehmern gegeben hätte, die sie zur Verfügung gestellt haben?
Der Mittelstand ist nicht nur wesentlicher Teil einer effizienten marktwirtschaftlichen Ordnung, er ist auch ein wichtiger Teil einer wirklich freien Gesellschaft. Unsere Gesellschaft braucht einen breiten Mittelstand von Selbständigen, Freiberufli-
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chen, Handwerkern, mittleren und kleinen Unternehmern, die Eigenverantwortung und Initiative entfalten, die Risikobereitschaft zeigen, die etwas unternehmen und die wegen dieser Gesinnung ein ganz essentieller Bestandteil einer freiheitlichen Gesellschaft sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich ein paar Worte den Problemen und den Aussichten, aber auch den Schwierigkeiten meiner eigenen Partei, der Freien Demokratischen Partei, widmen. Wir wissen sehr wohl, daß wir im kommenden Wahlkampf einen schweren Stand haben werden. Wir müssen das tun, was die Amerikaner „einen Wahlkampf bergauf führen" nennen. Darüber gibt es keine Zweifel. Aber wir lassen uns nicht entmutigen, weder durch Drohgebärden, noch durch abfällige Bemerkungen. Wir werden abzuwarten haben, Herr Kollege Waigel. Ich weiß nicht, ob er hier ist — nein; man wird es ihm sagen. Wir werden schon sehen, ob die Uhr tickt oder — wie Ihr Parteivorsitzender in seinem Landesausschuß gemeint hat — der Sand rinnt.
— Vielleicht gesellen Sie sich in einen Kreis solcher, die wie Rudolf Augstein schon 1972 das Totenglöcklein bimmeln hörten. Wir sind immer noch lebendig. Wir haben schon manches überstanden. Wir werden auch dies überstehen. Und wir werden durchhalten.
Deswegen sage ich Ihnen: Von Abschiedsreden hier im Parlament kann überhaupt keine Rede sein. Ich denke gar nicht daran.
Wir müssen und wir werden dem Wähler die Leistungen und die Bedeutung der liberalen Partei im parlamentarischen System der Bundesrepublik deutlich machen. Alle wesentlichen, wegweisenden Entscheidungen der Nachkriegszeit sind durch uns, die FDP, trotz aller Fehler, Irrtümer, mancher Phantastereien, denen wir nachgelaufen sind, Enttäuschungen, die wir erlebt haben — natürlich ist das so geschehen —, maßgeblich mitgetragen worden.
Es hätte nicht die Mehrheiten im Deutschen Bundestag gegeben, die nötig waren für die Einbettung in das westliche Bündnis, für die Entscheidung zugunsten der marktwirtschaftlichen Ordnung, für die Weichenstellung in der Deutschlandpolitik, für eine Politik des Ausgleichs mit dem Osten. Ich sage noch einmal: natürlich nicht alleine mit uns und durch uns; aber es hätte die Mehrheiten nicht gegeben.
Meine Damen und Herren, wir sorgen uns nicht nur in der Wirtschaftspolitik, wo wir für Wende, Neubeginn und Neuanfang eingetreten sind und eintreten. Wir sorgen uns auch um Kontinuität in der Deutschland-, der Außen- und der Sicherheitspolitik.
Der Bundeskanzler hat kürzlich sinngemäß gesagt: Kontinuität in diesen Bereichen der Politik gibt es für die jetzige Regierung nicht nur seit Willy Brandt und Helmut Schmidt, sondern seit Konrad Adenauer. Es ist für die FDP überhaupt kein Problem, Ihnen hier zuzustimmen, Herr Bundeskanzler. Im übrigen hat auch Konrad Adenauer gegen Ende seiner Amtszeit die Bedeutung und die Notwendigkeit einer Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West erkannt und mit aller Deutlichkeit damals angesprochen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben gestern gesagt: Wir wollen die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit mit dem Osten fortführen. Ich lese heute in der Zeitung, daß der bayerische Ministerpräsident sagte: Ich habe nicht dreizehn Jahre gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition gekämpft, um im vierzehnten Jahr ihre Kontinuität zu verkünden. Das, meine Damen und Herren, müssen unsere Koalitionspartner untereinander ausmachen.
Wir stehen für die Kontinuität einer auf Vernunft, auf Ausgleich gegründeten Politik.
Meine Damen und Herren, wir sind ganz davon überzeugt, daß wir nach den Anfängen, wie sie in diesen 75 Tagen auf diesem Gebiet gezeigt worden sind,
voller Zuversicht an die weitere Arbeit gehen können.
Tragendes Element der Sicherheitspolitik dieser Regierung — wie auch der vorigen Regierung, wenn Sie sich darin freundlichst erinnern würden, meine Damen und Herren von der SPD —
ist der von Helmut Schmidt maßgeblich eingeleitete und zustande gebrachte NATO-Doppelbeschluß
— der von Helmut Schmidt maßgeblich zustande gebrachte. Die FDP steht zu dem Doppelbeschluß, und zwar zu seinen beiden Teilen. Ich beobachte mit dem allergrößten Unbehagen, wie bei Ihnen reihenweise die Kandidaten, die sich um ein neues Mandat für den Bundestag in den Wahlkreisen bewerben, weggesäbelt werden, nur weil sie sich zum NATO-Doppelbeschluß bekennen.
Wo ist denn der frühere Wohnungsbauminister Haack geblieben? Was ist denn Herrn Peter Männing in Berlin widerfahren? Warum wird denn Herrn Stobbe die Kandidatur zum Bundestag, die
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ihm von Willy Brandt und Helmut Schmidt in Aussicht gestellt worden war, verweigert? Nein, meine Damen und Herren, machen wir uns darauf gefaßt und sagen wir es der Öffentlichkeit: Da erscheint eine andere sozialdemokratische Fraktion nach dem 6. März.
Wir, meine Freunde und ich, werden eine Politik der Mitte, der Vernunft und des Ausgleichs weiter betreiben. Sie hat in der Bundesrepublik Deutschland politische Stabilität mit herbeigeführt. Und sie hat manches Ausfransen an den Rändern der großen politischen Parteien verhindert.
Ich sagte es: Auch wir haben Fehler begangen, auch uns sind Irrtümer unterlaufen. Aber das kann das Bild der liberalen Partei im ganzen nicht entstellen. Und es wird sich mancher wundern: Trotz aller Probleme und trotz aller Schwierigkeiten, die mein Freund Hans-Günther Hoppe hier gestern in aller Offenheit dargelegt und angesprochen hat, gehen die Liberalen mit vollem Selbstbewußtsein in diesen Wahlkampf.
Wir haben den Wechsel aus staatspolitischer Verantwortung herbeigeführt. Wir wußten um die Risiken, und wir wußten ganz genau, daß, wie uns damals das Herauskatapultieren angedroht wurde, uns diesmal das Wegharken angedroht werden würde — kein Deut besser; alles war vorauszusehen.
Wir, meine Parteifreunde und ich, können mit Stolz auf 30 Jahre liberalen Beitrag zu deutscher Politik sehen.
Ich habe unseren Beitrag zu den Grundsatzentscheidungen dieser Republik erwähnt. Aber es war nicht nur die Funktion, eine Funktion zwischen den beiden großen Parteien, die in unserer Republik für Stabilität und Ausgewogenheit gesorgt hat. Es war nach unserer festen Überzeugung der Inhalt liberaler Politik, die wir vertreten und für die wir uns eingesetzt haben: Freiheit für den einzelnen, Stärkung der Bürgerrechte, Freiheit vom Staat, Berechenbarkeit deutscher Politik, Frieden nach innen und außen und eine Wirtschafts- und Sozialpolitik der Sozialen Marktwirtschaft.
Die ersten 75 Tage der Regierung Kohl/Genscher haben bewiesen: Wir haben recht gehabt mit unserer Entscheidung.
Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler, und ich sage das auch unserem Koalitionspartner: Sie werden nach dem 6. März in uns einen kritischen, aber einen zuverlässigen Koalitionspartner haben,
der die Politik, für die wir gemeinsam angetreten sind, zu einem guten Ende führen will.
Und ich sage meiner eigenen Partei und — wenn Sie das einmal erlauben — ich sage es hier im Hause, aber auch meinen Parteifreunden draußen: Wir haben um unsere Existenz zu kämpfen, wir werden um unsere Existenz kämpfen, und wenn wir kämpfen, dann schaffen wir es auch. — Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eins muß man dem Grafen Lambsdorff lassen: er hat überhaupt nicht kaschiert, daß er hier eine Wahlrede hält. Ein paar andere von Ihnen haben das wenigstens versucht.
Aber was mich am meisten in der Rede bewegt hat, war der Vorwurf, Hans Matthöfer sei nicht ausreichend fair gewesen. Graf Lambsdorff, ich hatte gestern abend zum Glück ein paar Stunden frei und habe mir „Dallas" angeguckt. Wenn Sie von Fairneß reden, dann ist das so wie wenn J. R. Ewing ein ehrliches Geschäft anbietet.
Die Art und Weise, wie Sie Entscheidungen, die im Kabinett gefallen sind — ich nenne jetzt nur ein Beispiel, nämlich das von Herrn von Bülow, vom früheren Forschungs- und Technologieminister —, nun umdeuten bzw. frühere Kollegen verleumden, ist wirklich erstaunlich.
Damals war folgendes vorgekommen bei dem Schnellen Brüter. Herr von Bülow hatte erreicht, daß die Industrie eine Milliarde zur Finanzierung des Schnellen Brüters beiträgt. Ich rede jetzt nicht über den Sinn und die Notwendigkeit des Projekts, sondern über die Tatsache der Beiträge der Industrie. Dies war bei der hartnäckigen Weigerung der Industrie am Anfang nur erreichbar, indem man eine Milliarde für diesen Industriebeitrag als Verpflichtungsermächtigung in den Etat einsetzte. Das heißt, Herr von Bülow hat damit wenigstens Kasse erreicht. Er mußte aber durch die Verpflichtungsermächtigung riskieren, daß diejenigen, die dieses Geld bekommen würden, das auch beleihen würden. Jeder weiß, daß der Sinn von Verpflichtungsermächtigungen gerade der ist, daß der Auftragnehmer zu einem früheren Zeitpunkt, als es im Etat festgelegt ist, aktiv werden darf. Aktivität heißt natürlich auch, er kann mit der Verpflichtungsermächtigung zur Bank gehen. Das ist die Wahrheit.
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Roth
Wenn ein derartiger Vorgang nachträglich als Täuschung des Kabinetts bezeichnet wird, dann gibt es nur zwei Erklärungsmöglichkeiten. Erstens, Sie haben die Kabinettsvorlage nicht gelesen — was schlimmer gewesen wäre — oder zweitens, Sie wollen jetzt hier die Leute im Parlament betrügen.
Das ist kein leichter Vorwurf, den Sie da gemacht haben.
Mir fiel nun ein Satz in Ihrer Rede auf, Graf Lambsdorff, den ich auch erstaunlich fand. Sie sagten, Sie hätten Ihre Position seit 1980 nicht geändert, Sie könnten sogar Ihr Wahlkampfmaterial von 1980 verwenden. 1980 hatten wir in diesem Land 850 000 Arbeitslose. Jetzt sind es 2 Millionen. Ein Wirtschaftsminister, der bei einer derartig dramatischen Auswucherung von Arbeitslosigkeit sagt, er müsse sich nicht korrigieren, der tut mir nur noch leid.
Die ganze Rede war geprägt von einer bösartigen Polemik gegen die Sozialdemokratie, Verfälschung von Beschlüssen wie beispielsweise dem Münchner Parteitagsbeschluß. Es wäre möglich, nun auf diese Rede Punkt für Punkt einzugehen. Ich will das aus zwei Gründen nicht tun. Der erste Grund ist, daß es die letzte Rede war; und das war das Beste dieser Rede.
Der zweite Grund ist, daß ich ohnehin den Eindruck habe, daß unsere Mitbürger, vor allem die jungen Leute, die Arbeitsplätze und Beschäftigung suchen, derartige Gespensterschlachten im Parlament nicht mehr ertragen können.
Wir müssen nach meiner Überzeugung doch Alternativen zeigen.
Genau bei diesem Aufzeigen von Alternativen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, rächt sich, daß Sie eine Oppositionsstrategie betrieben haben, die eben nicht auf Rezepte und Antworten ausgerichtet war, sondern nur polemisch war. Die größere der beiden Regierungsfraktionen, die CDU/ CSU, und ihr Bundeskanzler müssen sich nämlich in dieser Debatte zum Haushalt 1983 an zwei Thesen und Tatsachen messen lassen. Erstens. Sie wußten lange, monatelang vor der tatsächlichen Regierungsübernahme, daß Sie an die Macht kommen würden; denn Sie hatten ja im Geheimen gekungelt.
Sie hätten also kurzfristig vorbereitet sein müssen.
Zweitens. 13 Jahre, wahrhaftig eine lange Zeit, waren Sie in der Opposition, um eigene Konzepte zu entwickeln. Aber wie sind Sie ins Amt gekommen? Mit leeren Händen. Sie haben unseren Etat übernehmen müssen und nur ein paar kräftige Ungerechtigkeiten der Marke Lambsdorff eingebaut. Das war es dann auch.
Das heißt, das war keine eigene Position. Es ist doch beschämend, wenn ein neuer Finanzminister faktisch den alten Etat übernehmen muß, allerdings mit drastischen Einschnitten im Sozialbereich.
Schon jetzt werden Sie erkennen, daß Sie vor allem an Ihrer Staatsschuldthese und Ihrer Kampagne in diesem Zusammenhang scheitern werden. Schon jetzt sind Sie ja auf dem Wege, eine Staatsschuld zu produzieren, die weit höher sein wird als alles das, was in der sozialliberalen Koalition je beschlossen wurde. Das ist unstreitig. Ich wage eine Prognose:
Auf Grund Ihrer Art von Politik werden Sie im Verlaufe des Jahres 1983 eine Staatsschuld von über 50 Milliarden DM produzieren. Das ist eine Prognose, die ein Stück Mut erfordert. Aber ich sehe das auf Grund der Wirtschaftsdaten voraus. Ich glaube, viele Experten neigen auch immer mehr zu dieser Auffassung.
Warum? Die ohnehin vorhandenen Abschwungkräfte des Exports — das werden wir Ihnen nicht vorwerfen, so wie Sie es früher versucht haben — werden durch die Schwächung der Massenkaufkraft nachdrücklich verstärkt.
Ihr Etat kürzt die wirksame Nachfrage der breiten Schichten der Bevölkerung um etwa 16 Milliarden DM. 125 000 Arbeitslose mehr ergeben sich genau aus diesem Etatentscheid. Das aber müssen wir Ihnen nun vorwerfen: Sie schaffen nicht nur mehr Arbeitslosigkeit, Sie schaffen damit wegen des geringeren Steuereinganges und der höheren Arbeitslosigkeit weit mehr Schulden als bei einer aktiveren, als bei einer expansiveren Politik.
Nichts ist für die Wirtschaft, für die Gesellschaft, für das Budget so teuer wie Arbeitslosigkeit. Ein Arbeitsloser kostet 25 000 DM, und er darf nichts zur Leistung der Volkswirtschaft beitragen. Er kostet also doppelt. Denn das haben Sie nach meiner Auffassung mit Ihrer These von der Anspruchsgesellschaft nicht wirklich verstanden: Der Reichtum einer Gesellschaft ist die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit ihrer Bürger. Wer die Arbeitsfähigkeit vergeudet, schafft nicht Konsolidierung, sondern er schafft weit mehr Staatsverschuldung.
Das Bespiel USA ist ja drastisch. Damals wollte man mit ähnlichen Rezepten einen Haushaltsaus-
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Roth
gleich im Jahr 1984 erreichen. Damals wurde der damalige Präsident Carter von dem damaligen Kandidaten Reagan als Schuldenmacher kritisiert. Präsident Reagan produziert jetzt über mehr Arbeitslosigkeit 150 Milliarden Dollar Staatsschulden innerhalb von zwei Jahren.
Ich wage die These: Sie werden mit Ihrer Politik in der Bundesrepublik Deutschland dasselbe erreichen. Das zeigt sich schon jetzt. Schon am Wahltag wird klar sein, daß diese Explosion der Schulden auf Ihre falsche Konsolidierungspolitik ohne aktive Beschäftigungsmaßnahmen zurückzuführen ist. Sie muten in diesem Zusammenhang dem Markt nach meiner Überzeugung weit mehr Aufgaben zu, als man ihm zu Recht zumuten darf. Das ist kein Wort gegen Marktwirtschaft. Niemand in der Sozialdemokratischen Partei wird seit der Arbeit von Heinrich Deist oder Karl Schiller bezweifeln, wie vielfältig positiv die Leistungsfähigkeit einer Marktwirtschaft ist. Aber zu dieser Logik der Marktwirtschaft gehört auch, daß man ihr nicht Aufgaben überträgt, an denen sie scheitern muß. Wenn das geschieht, dann ist nicht nur die Marktwirtschaft schnell kaputt, wie wir in den 30er Jahren gesehen haben, sondern auch der Staat und die freiheitliche Demokratie.
Nach meiner Überzeugung ist dieser Zusammenhang derjenige, den alle Neokonservativen versperren.
Ich möchte allerdings an dieser Stelle ein Wort zu dem Begriff „neokonservativ" sagen. Ich finde den Begriff eigentlich nicht gut.
Erstens ist diese Art von Politik, die Reagan, Thatcher und diese Regierung betreiben, nicht konservativ, sondern schlicht frühkapitalistisch, und zweitens ist die Sache nicht neu.
Es ist genau die Politik, mit der man in den 30er Jahren in einem erheblichen Umfang zur Verschärfung der Wirtschaftskrise im privaten Sektor beigetragen hat.
Aber die Konzeptionslosigkeit Ihrer Regierung im wirtschaftspolitischen Raum wird gleichzeitig durch eine sehr taktiererische Prinzipienlosigkeit begleitet. Ich nenne nur ein paar Beispiele; es sind Beispiele, Graf Lambsdorff, bei denen Sie sich selber fragen müssen: Wo stehe ich eigentlich wirklich, der ich immer von mir behaupte, ich hätte Prinzipien?
Gestern noch lehnten Sie jede Steuererhöhung strikt ab; heute erhöht die CDU die Mehrwertsteuer ohne Ausgleich bei der Einkommensteuer. Das war gestern.
Ich erinnere mich genau an die Debatten.
Im Juni lehnten Sie jede weitere Abgabe im sozialen Bereich ab. Heute erhöhen Sie die Arbeitslosenbeiträge von 4 % auf 4,6 %.
Gestern wandten Sie sich scharf gegen jede Erhöhung der Nettokreditaufnahme; nun sind Sie bei 41 Milliarden DM und werden bald bei über 50 Milliarden DM sein.
Gestern haben Sie — gerade Herr Häfele — dramatische Erklärungen gegen die Ablieferung des Bundesbankgewinns an den Etat abgegeben; heute wird natürlich — heute früh hat sich der Finanzminister dazu bekannt — dieser Bundesbankgewinn auf der Einnahmeseite verbucht.
Gestern waren Sie gegen die Postabgabe; heute wird sie im neuen Etat unverändert beibehalten.
Gestern wurde verlangt, daß keine Kürzungen beim Kindergeld vorgenommen werden; heute kürzen Sie.
Gestern haben Sie unser Programm der Bausparzwischenfinanzierung und des sozialen Wohnungsbaus abgelehnt; heute übernehmen Sie es.
Gestern haben Sie die Verschiebung der Beamtenbesoldung um drei Monate als schlimmen Eingriff in die Tarifautonomie und die Besoldung kritisiert; heute wird eine sechsmonatige Verschiebung beschlossen.
Gestern sprach man von „Rentenbetrug"; heute werden die Renten real um 2,8 % gesenkt.
Dies ist nicht nur eine Übergangsregierung, meine Damen und Herren, dies ist eine Regierung ohne jede Wahrhaftigkeit!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gattermann?
Ja bitte.
Herr Abgeordneter Gattermann.
Herr Kollege Roth, Sie haben an Graf Lambsdorff verschiedene Fragen gerichtet. Ich will nur zwei herausgreifen.
Würden Sie mir zustimmen, daß die Mehrwertsteuererhöhung, die jetzt beschlossen ist, von uns gemeinsam im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative im Februar 1982 beschlossen wurde, so daß hier eine Kontinuität des Handelns der Freien Demokraten vorliegt?
Würden Sie mir zustimmen, daß wir in dem Paket vom 30. Juni gemeinsam eine Erhöhung der Abgaben für die Arbeitslosenversicherung auf 4,5% beschlossen haben?
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Seien Sie mir nicht böse, auch wenn es Ihnen schwerfällt, es einzusehen: Ich befasse mich vorwiegend mit der CDU/CSU, weil ich glaube, daß sie unser Hauptgegner in den nächsten Monaten sein wird.
— Ich glaube, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, im nächsten Parlament vertreten sein werden. Ich muß mich mit denen beschäftigen, die für die künftige Politik Verantwortung tragen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Gattermann möchte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen.
Ja, bitte.
Herr Abgeordneter Gattermann.
Wenn dies Ihre Auffassung ist, Herr Kollege Roth, warum adressieren Sie die Fragen dann an Graf Lambsdorff und nicht an Herrn Stoltenberg?
Ach, wissen Sie, die Überschrift war Graf Lambsdorff. Die Einzelpunkte will ich gar nicht durchdividieren. Da wird es ja sehr eigenartig für Sie. Einerseits lehnen Sie die Ergänzungsabgabe ab und sagen, sie sei ein sozialistisches Monstrum — das ist heute wieder geschehen —, auf der anderen Seite wollen Sie eine Zwangsabgabe mit großem bürokratischen Aufwand machen. Das zeigt Prinzipienlosigkeit.
Da bin ich wirklich erstaunt, daß man sich hier hinstellt und dafür Verteidigungsreden hält. Wenn ich im Frühjahr den Vorschlag gemacht hätte, eine Zwangsabgabe einzuführen, dann kann sich jeder Kollege hier im Raum vorstellen, wie darauf reagiert worden wäre. Ich finde, das zeigt doch die ganze Persönlichkeit.
Nun verstehe ich sehr gut: Wer in der politischen Auseinandersetzung am Überleben hängt, hat spezielle Freiheiten. Deshalb wollte ich Ihre Frage an sich nicht beantworten. Aber es war wohl erzwungen.
Meine Damen und Herren, es hilft uns aber nicht, wenn wir uns ständig nur gegenseitig kritisieren. Wir müssen auch Maßnahmen nach vorn beschließen. Ich will hier Vorschläge an diejenigen machen, die wirtschafts- und gesellschaftspolitisch mit dieser Arbeitslosigkeit nicht weiter leben wollen.
Ein Satz vorweg: Wir brauchen jetzt keinen Klassenkampf von oben, der nur einen Klassenkampf
von unten provozieren würde. Worauf es jetzt ankommt, ist eine Politik, in der man aufeinander zugeht, gesprächsbereit bleibt und versucht, einen solidarischen Interessenausgleich anzustreben. Das heißt, es müssen Kompromisse geschlossen werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß der Grundgedanke von Hans-Jochen Vogel zu einem nationalen Solidarpakt in der Reaktion beispielsweise von der CDU/CSU mehr erfordern und mehr verdienen würde als das bloße Zurückweisen und Ablehnen. Niemand kann nach meiner Überzeugung die Gesellschafts- und die Wirtschaftspolitik so beeinflussen, daß sie wirklich zur Abschaffung oder auch nur zur Eindämmung von Arbeitslosigkeit führt, der nicht diese Idee des runden Tisches aufnimmt.
Sie, Graf Lambsdorff — ich will Sie da wirklich noch einmal ansprechen —, haben allerdings durch Ihre Art von Politik — dazu bekamen wir in der Auseinandersetzung über die Montanmitbestimmung heute ein weiteres Beispiel geboten — den runden Tisch umgestürzt. Daß die Konzertierte Aktion seit Jahren nicht mehr funktioniert, ist das Ergebnis der sinnlosen Aktion gegen die Montanmitbestimmung aus dem Hause Lambsdorff.
Herr Bundeskanzler — er ist zur Zeit nicht da —,
ich habe im Zusammenhang mit dem runden Tisch und der Idee des Solidarpakts eine Frage. Graf Lambsdorff hat sich hier entschieden gegen Montanmitbestimmung als Prinzip ausgesprochen. Meine Frage: Kündigt die Union diese gemeinsam von CDU, CSU und SPD weitgehend — bei Minderheiten — durchgesetzte Montanmitbestimmung für die Zukunft auf? Falls sie das bejahen, können Sie jeden Solidarpakt oder jeden runden Tisch oder alles Aufeinander-Zugehen der sozialen Gruppen in der Bundesrepublik vergessen. Denn die Montanmitbestimmung ist ein unveräußerliches Recht der Arbeiterbewegung der Bundesrepublik Deutschland. Wir brauchen dazu eine Antwort in dieser Debatte.
Es gibt keine Patentrezepte zur Überwindung der Krise, schon aus dem internationalen Zusammenhang heraus nicht. Deshalb brauchen wir zusätzlich zur nationalen Politik expansivere internationale Maßnahmen. Mein Kollege Peter Mitzscherling wird dazu etwas sagen.
Was muß nun eine Wirtschaftspolitik in den nächsten Jahren anpacken! Lassen Sie mich noch einmal kurz unseren Beschäftigungshaushalt für 1983 bis 1985 in fünf Punkten zusammenfassen.
Übrigens, hier wurde Alex Möller als Zeuge gegen die Sozialdemokratie zitiert. Wenn Sie interessiert, was Alex Möller zum Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 sagt und wie er ihn beurteilt, dann sollten Sie ihn fragen. Da das im Moment nicht möglich ist, will ich wiederholen, was er gesagt hat. Er hat zu mir in diesen Tagen gesagt — er wird es diese Woche auch noch öffentlich sagen —, er glau-
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be, dies sei das einzige Element der nationalen Wirtschaftspolitik, das jetzt helfen könnte, wenigstens die weitere Wucherung der Arbeitslosigkeit einzudämmen.
Das ist das Votum von Alex Möller, dem der eine oder andere j a mehr zutrauen mag als mir.
Erstens. In einer Gesellschaft, in der die Mehrheit der Investitionsentscheidungen von privaten Kapitaleignern getroffen wird, muß jede Politik zur Verbesserung der Beschäftigungslage auch den privaten Unternehmensbereich einsetzen. Unser Prinzip ist allerdings nicht, im Feuerwehrstil — wie Sie es tun — Bränden in der privaten Wirtschaft nachzufahren, so wie jetzt bei AEG oder bei Arbed, sondern unser Prinzip ist, vorausschauend arbeitsplatzorientiert zu arbeiten. Subventionen sollen an die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht an die Vernichtung von Arbeitsplätzen gebunden werden.
Zweitens. In Konjunktur- und Anpassungskrisen wie der jetzigen, in denen wertvolle produktive Kapazitäten nicht genutzt werden und in denen auch Leistungswillige und Leistungsfähige keinen Arbeitsplatz finden, muß der Staat durch öffentliche Investitionen entstandene Lücken ausgleichen. Herr Bundesfinanzminister, das ist auch der Auftrag des Stabilitätsgesetzes. Dort steht, daß der Staat Konjunkturpolitik aktiv betreiben muß. Wer Parallelpolitik betreibt, verstößt gegen dieses Gesetz.
Wir schlagen vor, Investitionen zu tätigen, die zur Strukturverbeserung und Modernisierung unserer Gesellschaft beitragen. Meine Damen und Herren, es ist möglich, Umweltinvestitionen zur Arbeitsplatzschaffung zu nutzen. Es ist möglich, durch Energiesparinvestitionen Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist möglich, durch den Ausbau des Nahverkehrs Arbeitsplätze zu schaffen. Unser Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985, der Bankenkapital durch Zinszuschüsse für Strukturinvestitionen mobilisiert, ist also kein einfaches Ankurbelungsprogramm, sondern ein Umweltprogramm und ein Energiesparprogramm. Ein solches Programm paßt strukturell genau in die Landschaft.
Es ist auch kein Strohfeuer, sondern es ist mittelfristig angelegt und genau die Antwort auf entstandene Investitionslücken in der privaten Wirtschaft. Ich sage es noch einmal: Kläranlagen, Energiespar-einrichtungen, die Maßnahmen zur Fernwärme werden nicht von der Bürokratie gemacht, sondern von Bauarbeitern. Es sind Bauunternehmer, die Investitionen vornehmen.
Was soll das Gerede, dies sei ein bürokratisches Programm? Wenn man dieses Programm durchführt, bekommen Leute Arbeit, die zur Zeit keinen Arbeitsplatz haben. Kleinen und mittleren Unternehmen würden damit Investitionschancen eröffnet. Natürlich braucht der Staat die Anstoßmöglichkeit, und er sollte sie nutzen.
Drittens. Wenn der Einsatz arbeitsplatzsparender Technik zu immer neuen Produktivitätsschüben führt, wenn ganze Bereiche der Wirtschaft Arbeitsplätze wegrationalisieren und wenn das auf Grund von Wettbewerbszusammenhängen internationaler Art unvermeidlich ist, dann kann man eine Grundsatzdebatte im Parlament über Wirtschaftsfragen nicht führen, ohne daß man ein klares Ja zur Arbeitszeitverkürzung sagt.
Ich habe von dem Wirtschaftsminister in den letzten zwei Jahren zu diesem Thema stets nur ein stures Nein gehört. Inzwischen scheint er die CDU/ CSU selbst bei einem Vorruhestandsmodell, d. h. einem Modell, das ein früheres Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglicht, angesteckt zu haben. Konkret ist ja in den letzten drei Monaten zu diesem brennenden Problem nichts gekommen. Meine Damen und Herren, wer Arbeitszeitverkürzung ablehnt, macht sich an Hunderttausenden von jungen Leuten schuldig, die jetzt aus dem Bildungsbereich in den Arbeitsbereich kommen.
Viertens. Wir brauchen Qualifizierung der Arbeit. Wir haben dazu in unserem Beschäftigungshaushalt sehr konkrete Vorschläge gemacht.
Fünftens. Wir müssen vor allem für länger Arbeitslose auch eigenständige und vernünftige Beschäftigungsmaßnahmen im Arbeitsbereich ergreifen. Das heißt, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden immer mehr, wie Klaus von Dohnanyi sagt, zum zweiten Arbeitsmarkt in dieser Krisenphase werden. Keiner kann sicher sein, ob man das auf Dauer braucht. Aber ich bin sicher, daß man die geburtenstarken Jahrgänge, die nun aus dem Bildungswesen auf den Arbeitsmarkt kommen, problemlos nur dann eingliedern kann, wenn wir bereit sind, im sozialen Bereich und im Umweltbereich vernünftige öffentliche Arbeitsbeschaffung zu betreiben.
Auch das hat nichts mit Bürokratie zu tun, sondern damit, daß man nicht so zynisch sein darf, Hunderttausende junge Leute einfach nichts tun zu lassen.
Ich bin sicher — das sehe ich schon aus der Reaktion auf den von Hans-Jochen Vogel vorgeschlagenen Solidarpakt —,
daß die Bürger zur Solidarität mit den Arbeitslosen bereit sind.
Aber — und hier stimmt bei Ihnen von der Koalition das Prinzip nicht — Solidarität braucht Gerechtigkeit. Der kleine Mann gibt tatsächlich mit rein in den Korb; aber er gibt nur, wenn er sieht, daß auch der Betuchte nach seiner Leistungsfähigkeit beiträgt.
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Roth
Das hat nichts mit sozialistischem Neid zu tun, sondern das ist Anstand.
Denn wer dem Kleinen auf die Dauer nimmt und den Großen ihre Zwangsabgabe zurückzahlt, der muß Solidarität zerstören. Sich aus der Verantwortung zurückziehen, wie es gerade mit dem Wort „Der Markt wird es schon lenken" geschehen ist, ist kein Beitrag zum Strukturwandel unseres Landes. Wer so handelt, verschärft die Probleme. Wir Sozialdemokraten sind für einen Solidarpakt von Arbeitnehmern, Unternehmern und Staat. Das heißt, wir sind der Meinung, alle sozialen Gruppen müssen für aktive Beschäftigungspolitik eintreten.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Glos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Niveau der Rede des Herrn Kollegen Roth lag zumindest im ersten Teil, der den Wirtschaftsminister berührte, auf der Ebene von „Dallas", das er selbst zitierte. Da es ihm vorbehalten war, hier mit Äußerungen über Fernsehserien zu beginnen, habe ich in die heutige Zeitung geschaut und festgestellt: Da ist um 16.04 Uhr im 2. Programm die „Rappelkiste". Dazu heißt es: „Für Kinder im Vorschulalter".
Ähnlich, Herr Kollege Roth: Ihre wirtschaftspolitische Märchenstunde ist wirklich nur für Kinder im Vorschulalter tauglich. Sie hätten auch noch das Märchen vom Rotkäppchen bringen können. Das würde ganz gut passen.
Sie haben vorhin vom kleinen Mann gesprochen. Wissen Sie, es ist doch so: Wenn der kleine Mann sein Geld schon an die Steuer hingeben muß, dann geht es ihm weniger darum, daß auch andere, sogenannte Besserverdienende, ähnlich stark oder stärker gerupft werden, sondern es geht ihm darum, daß das Geld des Staates richtig und ordentlich und zukunftsorientiert ausgegeben wird.
Und genau das haben Sie in den letzten 13 Jahren nicht getan.
Und wenn jemand noch nach einer Begründung gesucht hat, daß die FDP die Koalition verlassen hat: Herr Roth, Sie haben diese Begründungen heute hier alle geliefert. Die Wirtschaftspolitik war die Soll-Bruchstelle, und diese Koalition ist deswegen zerbrochen.
Und wenn man der FDP überhaupt einen Vorwurf machen kann, dann den, daß sie an dieser Koalition so lange festgehalten hat.
Es ist mit diesem Koalitionswechsel zumindest ein Bremsklotz weggeräumt worden. Es kann jetzt wieder aufwärts gehen, und mit unserer Hilfe kann der Bundeswirtschaftsminister auch Dinge verwirklichen, die er in der alten Koalition nicht verwirklichen konnte. So wäre es z. B. in der alten Koalition nicht möglich gewesen, bei Arbed eine Lösung zu erreichen, wie sie jetzt erreicht worden ist, nämlich daß sich auch die Arbeitnehmer mit für das Schicksal ihres Arbeitsplatzes engagieren und daß sie Mitverantwortung übernehmen. Ich darf mich hier für die CDU/CSU-Fraktion für diese mutige Haltung bedanken, die der Bundeswirtschaftsminister trotz aller Anfeindungen an den Tag gelegt hat.
Diese Fehlentwicklungen auch bei AEG sind doch gekommen, obwohl diese Unternehmen mitbestimmt waren. Arbed ist sogar montanmitbestimmt, und das hätte sie am Schluß auch nicht vor dem Gang zum Konkursrichter bewahrt, sondern nur die Hilfe des Staates.
Es erscheint auf den ersten Blick logisch, daß der Staat einem Unternehmen hilft, bei dem 20 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, ganz besonders bei der schwierigen Lage des Saarlandes, aber es ist schwer, eine Hilfsaktion, bei der inzwischen 2 200 Millionen DM an Steuergeldern im Feuer stehen, den Arbeitnehmern und Inhabern der rund 13 000 Betriebe zu erklären, die in diesem Jahr schon beim Konkursrichter waren oder noch zum Konkursrichter gehen müssen.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Hoffmann möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Bitte, wenn sie kurz ist, Herr Kollege Hoffmann.
Herr Abgeordneter Hoffmann .
Ich versuche, es ganz kurz zu machen. Herr Kollege Glos, wenn Sie schon diese Frage ansprechen, dann sind Sie doch, so frage ich Sie, mit mir einer Auffassung, daß das Verschulden für das, was dort unternehmerisch passiert ist, zuerst bei den verschiedenen Unternehmergruppen liegt. Ich frage Sie deshalb, wie Sie die Anmaßungen des Herrn Otto Wolff von Amerongen bewerten, der gesagt hat, die Bundesregierung habe falsch gehandelt, als sie diese Subventionen gab. Ist es nicht so, daß hier unternehmerisches Versagen auf die Politik abgewälzt wird, und sollten wir nicht allesamt darauf achten, daß wir nicht der Versuchung erliegen, uns gegenseitig das vorzuwerfen, was Unternehmer zu verantworten haben?
Ich bedanke mich für die „kurze" Frage, Herr Kollege Hoffmann. Ich habe Aussagen des Herrn Wolff von Amerongen nicht zu
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bewerten. Ich weiß, daß er unter der Kanzlerschaft Helmut Schmidts der Bundesregierung nicht so kritisch gegenübergestanden hat. Wir hätten manchmal mehr Kritik erwartet. Die Entscheidungen, die dort getroffen worden sind und die zu dieser miesen Lage des Unternehmens geführt haben, sind vom montanmitbestimmten Aufsichtsrat mitbeschlossen worden.
Wenn ich es richtig weiß, ging es ja ums Weihnachtsgeld. Da habe ich eine interessante Umfrage gelesen, Herr Kollege Hoffmann. Die sollten Sie auch zur Kenntnis nehmen. Die Umfrage hat eine große deutsche Sonntagszeitung gemacht. Sie hat festgestellt: 86 % der Deutschen würden lieber auf das Weihnachtsgeld als auf die Sicherheit des Arbeitsplatzes verzichten. So sind doch die Prioritäten bei uns im Land.
Hier sind — lassen Sie mich das sagen, Herr Hoffmann — die Arbeitnehmer offenbar vernünftiger als die Funktionäre. Sie sind bereit, in Absatzkrisen die Kosten für ein Produkt zu senken, weil das letztlich in ihrem Interesse liegt: lieber einen billigeren Arbeitsplatz als überhaupt keinen Arbeitsplatz.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, noch eine weitere Zusatzfrage zuzulassen?
Nicht mehr. Er hat die letzte Frage so lang gemacht, Herr Präsident.
— Regen Sie sich doch nicht auf, meine Damen und Herren. Bei der Sanierung der gewerkschaftseigenen Neue Heimat Städtebau war man viel weniger zimperlich. Hier sind Personalabbau und Kürzungen betrieblicher Sozialleistungen ganz flott und schnell und widerstandslos über die Bühne gegangen.
Lassen Sich mich an dieser Stelle ein Wort zum DGB sagen. Dem neuen DGB-Chef Ernst Breit blieb es vorbehalten, ausgerechnet das Forum des SPD-Parteitages in Kiel zu wählen, um über die neue Bundesregierung herzuziehen. Dabei sind die Schwierigkeiten, unter denen wir jetzt zu leiden haben, dadurch entstanden, daß der DGB der alten Bundesregierung viel zu unkritisch gegenüber gestanden hat, daß er die Verschuldungspolitik kritiklos mitgemacht hat, im Gegenteil immer noch neue staatlich finanzierte Ausgabenprogramme gefordert hat.
Klaus Besser schrieb in der letzten Ausgabe der letzten „Bild am Sonntag" — —
— Aber hören Sie doch einmal, das ist im allgemeinen Ihre Klientel, die die „Bild-Zeitung" liest. Das sind doch die Leute, für die Sie vorgeben sich einsetzen zu wollen. Da stand drin:
Werden die Funktionäre die richtige Schlußfolgerung aus der Haltung der Mehrheit der Arbeitnehmer ziehen, oder werden sie weiter jenes Anspruchsdenken fördern, das in die Krise geführt hat? Ein großer Teil des Volkes fühlt sich durch seine angeblichen Interessenvertreter nicht mehr repräsentiert. Geht das Zeitalter der Funktionäre zu Ende?
Unser Volk spürt doch: Das Eingemachte ist aufgebraucht, die Gefriertruhe ist leer, und der Kaufmann läßt nicht mehr anschreiben. Das ist doch die Situation!
Damit komme ich zu den abenteuerlichen Thesen des Herrn Roth. Er hat wieder vom Nachfrageausfall gesprochen. Lieber Herr Roth, das geht doch ins Leere. Alle Experten für Wirtschaftspolitik sind sich darüber einig, daß wir hauptsächlich einen Ausfall bei der Nachfrage nach Investitionsgütern — nicht bei der Nachfrage nach Konsumgütern — haben. Beim Konsum fehlt es ja noch gar nicht, aber wir brauchen Nachfrage bei den Investitionen, und das geht nur über eine Verbesserung der Unternehmenserträge und vor allen Dingen dadurch, daß wieder mehr Vertrauen in die Zukunft herrscht.
— Es bleibt Ihnen vorbehalten, „So ein Quatsch!" zu rufen; jedenfalls gab es bisher noch keine realen Einkommensverluste, die zu Konsumausfall geführt hätten. Im Gegenteil, die Sparneigung gerade des sogenannten kleinen Mannes ist sogar wieder gestiegen. Und warum? Weil man Angst vor der Zukunft hat, weil durch Ihre Politik, meine Damen und Herren von der SPD, die Zukunft verbaut worden ist!
Meine Damen und Herren, wer im Haushaltsausschuß dabei war und den Wirtschaftsetat mit beraten hat, hat gemerkt, in welch schwieriger struktureller und konjunktureller Lage die deutsche Wirtschaft ist. Von Herrn Matthöfer ist die etwas hämische Frage nach dem Subventionsabbau gestellt worden. Wir hätten sehr gerne Subventionen abgebaut, aber in den Bereichen, die Subventionen beziehen, haben wir im Moment die allergrößten Krisen. Ich erinnere nur an die Krise beim Stahl und erinnere an deren verhängnisvolle Rückwirkung auf die Lage der Kohle.
Es ist doch einfach in dieser Zeit nicht möglich, hier die Subventionen abzubauen, die Zuschüsse zu kürzen. Außerdem möchten Sie — wenn ich den Entschließungsantrag, den Sie vorgelegt haben, richtig gelesen habe — gerade auf diesem Gebiet noch mehr Subventionen.
In einer Wirtschaftsflaute zeigt sich in aller Deutlichkeit, daß wir es mit jahrelangen Fehlentwick-
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Glos
Lungen, die nicht über Nacht zu beseitigen sind, zu tun haben. Wir stehen zu den Schlüsselindustrien unseres Landes, wenn dabei auch nicht alle Wünsche erfüllt werden können.
— Ich bedanke mich für Ihren Zwischenruf! So sind die Kohlenhalden inzwischen auf über 30 Millionen t angewachsen.
Um die Situation der deutschen Steinkohleindustrie zu erleichtern, haben sich alle Beteiligten — die Bundesregierung, die betroffenen Landesregierungen, die Bergbauunternehmungen und die IG Bergbau — nach intensiven Gesprächen auf folgende Maßnahmen verständigt: erstens Verlängerung des Anpassungsgeldes, zweitens Verschiebung des Rückkaufs der nationalen Kohlereserve, drittens Fortsetzung des Schutzes der deutschen Kohle gegen Importkohle. Insofern ist, so kann ich noch einmal sagen, Ihr Entschließungsantrag überflüssig; er scheint mir ein billiger Wahlkampftrick zu sein.
— Herr Kollege Wolfram, wenn Sie von der Opposition behaupten, wir würden die bisherigen Grundsätze nationaler Kohlepolitik aufgeben, so trifft dies nicht zu.
Im Gegenteil, die neue Bundesregierung hat sogar neue, zusätzliche Erleichterungen beschlossen. So erhielten die Kokskohle liefernden Unternehmungen auf Grund der Kabinettsentscheidungen von Mitte November eine höhere Beihilfe als im Jahr 1981. Der Selbstbehalt des Bergbaus bei der Kokskohlebeihilfe wurde dadurch um rund zwei Drittel gesenkt. Das wirkt sich unmittelbar auf die Ertragslage und damit auf die Arbeitsplätze der Bergbauunternehmen aus.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Schreiner möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja, wenn sie ganz kurz ist!
Wie beurteilen Sie denn die Tatsache, daß die neue Bundesregierung gegenüber dem alten Entwurf des Haushalts 1983 im Bereich der Kohleforschung 66 Millionen DM gekürzt hat, und sind Sie mit mir der Auffassung, daß dies die Lage der Bergarbeiter im Ruhrgebiet und an der Saar zusätzlich gefährdet?
Ich bin davon überzeugt, daß solche Kürzungen die Lage der einzelnen Arbeitnehmer überhaupt nicht gefährden.
Das hat damit überhaupt nichts zu tun.
Wir stehen jetzt vor den Trümmern einer viele Jahre lang verkehrt angelegten Politik, und diese Trümmer sind nicht auf einmal, auch nicht in einem Haushalt, zu beseitigen. — Bitte, Herr Kollege Schmitz, jetzt keine Zwischenfragen mehr; ich möchte, wenn es geht, in meinem Redetext fortfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Kohle und Stahl sind ja, wenn ich den Wirtschaftsetat betrachte, nicht unsere einzigen Sorgenkinder. Sie sind sicher für das Saarland und für das Ruhrgebiet von existentieller Bedeutung, aber wenn ich auf die Küstenregionen schaue, so haben wir auch da Verpflichtungen zu übernehmen, und wir haben sie im Haushalt übernommen. Ich denke an die Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung in den deutschen Werften und an die Förderung des zivilen Flugzeugbaus; auch da befinden sich ja die Herstellerwerke hauptsächlich im Norden unseres Vaterlandes. Deswegen freue ich mich, daß die Ansätze für die Airbus-Förderung und damit für die Sicherung von Arbeitsplätzen in der zivilen Flugzeugindustrie erneut in einer großen Höhe eingesetzt worden sind. So sind neue Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von über 1 Milliarde DM dazu vorgesehen, hier eine neue Flugzeuggeneration zu finanzieren. Außerdem haben wir zur weiteren Energiesicherung 400 Millionen DM für die Deminex freigegeben — auch hier eine sehr sinnvolle, in die Zukunft gerichtete Maßnahme.
Meine Damen und Herren, von jeher galt die besondere Sorge der CDU/CSU auch dem Grenzland und den strukturschwachen Gebieten.
Zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und damit zur Sicherung vorhandener und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten wird die Bundesregierung im kommenden Jahr zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen. Die Mittel für den Zonenrand wurden um 15 Millionen DM, die Mittel für die Frachthilfe um 6 Millionen DM erhöht. Auch die Aufstockung der Investitionsmittel für die Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur" und „Verbesserung der Agrarstruktur" um insgesamt 180 Millionen DM kommt zum großen Teil diesen strukturschwachen Gebieten zugute.
Aber wir wissen auch, meine Damen und Herren, daß unsere Wirtschaft mit Subventionen und Investitionszuschüssen allein nicht geheilt werden kann. Wir müssen wieder zu Wirtschaftswachstum zurück,
und wir müssen unsere ehemals führende Stellung bei Erfindungen und Innovationen wiederfinden. Ich denke zum Beispiel an mein Heimatgebiet Schweinfurt. Dort haben tüchtige Erfinder einmal
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die Kugelschleifmaschine erfunden. Deswegen sind dort jetzt 20 000 Arbeitnehmer in der Wälzlagerindustrie beschäftigt. Wäre diese Erfindung nicht getätigt worden, wäre dies immer noch ein kleines Provinznest, von dem niemand Notiz nehmen würde.
Ich möchte damit ein Wort zu Grundig sagen: Wenn die Gründerunternehmer — d. h. diejenigen, die mit neuen Produktionen neue Arbeitsplätze und damit Wohlstand gebracht haben — heute das Handtuch werfen und sich unter das Dach ausländischer Staatskonzerne flüchten wollen, sind das meiner Ansicht nach auch die Folgen sozialistischer Politik.
Das soll nicht heißen, daß ich das begrüße oder gutheiße. Mir wäre eine nationale Lösung hier lieber. Aber wenn man einmal die Töne, die aus Ihrer Partei immer wieder gegen die Unternehmer und gegen den Mittelstand und gegen die Selbständigen kommen, berücksichtigt, muß man sich nicht wundern, daß viele von denen verunsichert sind, nicht mehr wollen und vor Ihnen flüchten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr viel Sorgen macht auch die Einstellung unserer Jugend zur Technik. Die Technikfeindlichkeit ist ebenso wie die Unternehmerfeindlichkeit von Ihnen mit geprägt worden. — Sie lachen, Herr Kollege Wolfram. Schauen Sie doch einmal in die Schulbücher in Nordrhein-Westfalen, und lesen Sie, was darinsteht über die Unternehmer,
wie die Leistung wegkommt, wie die Unternehmer wegkommen und welche Tendenzen hier offenkundig werden.
Der Herr Abgeordnete Dr. von Bülow möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Herr Präsident, wenn ich einmal in der Bundesregierung bin, lasse ich die Fragestunde zu. Jetzt kann ich es aber leider nicht.
Meine Damen und Herren, wer Erfolg hat, dem wird dieser Erfolg doch geneidet. Besserverdiener ist doch heute ein Schimpfwort geworden. Der Besserverdiener — der sogenannte — wird ständig zur Kasse gebeten und vom sozialen Glück ausgeschlossen. Wenn der Unternehmer erfolgreich ist, bietet er auch sichere und gutbezahlte Arbeitsplätze. Wenn er Pech hat, wenn er ein risikoreiches Wagnis eingeht, wenn er Verluste macht, wird ihm das als Mißmanagement angekreidet, und er wird beschimpft.
Meine verehrten Damen und Herren, der Mittelstand in unserem Land, die Handwerker, die kleinen und mittleren Unternehmer, die Freiberufler stellen heute sechs von zehn Arbeitsplätzen. Sie tätigen die Hälfte der privaten Investitionen. Der Mittelstand ist heute auf Grund seiner Anpassungsfähigkeit wichtigster Wachstumsträger in unserem Land.
Ich möchte mich an dieser Stelle einmal für ein Meisterstück im wahrsten Sinne des Wortes des deutschen Handwerks bedanken, nämlich für die nochmalige Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze um 7,5% trotz der Rezession.
Es ist deswegen auch ganz besonders zu begrüßen, daß die neue Bundesregierung in der Koalitionsvereinbarung ein Programm zur Förderung von Existenzgründungen deutlich verstärkt hat. So sind die Mittel dafür verdoppelt worden. Wenn man diesen Betrag allerdings mit den gewaltigen Milliardenbeträgen vergleicht, die in notleidende Branchen gepumpt werden, dann ist es immer noch zu wenig.
Lassen Sie mich zusammenfassen.
— Das werden Sie gleich hören.
Lassen Sie mich unser Land mit einer Firma vergleichen, nämlich mit der Firma Bundesrepublik Deutschland. Diese Firma hat in den letzten Jahren ein miserables Management gehabt.
Dieses Management hat seinen Konkurs anmelden müssen und ist vom Deutschen Bundestag aus der Geschäftsführung entfernt worden. Insbesondere die Vorstandsvorsitzenden Brandt und Schmidt tragen mit ihren Vorstandskollegen für Finanzen, Herrn Matthöfer, sowie für Arbeit und Sozialordnung, die besondere Verantwortung.
Der Aufsichtsrat ist am 1. Oktober 1982 endlich zusammengetreten, um ein neues, besseres Management einzusetzen, das sofort mit dem Sanieren begonnen hat.
Die Arbeit und die Weichenstellungen der neuen Unternehmensleitung werden allgemein gut beurteilt. Die Notierungen der Aktie Bundesrepublik Deutschland steigen.
Die Hausbank, sprich Bundesbank, hat so viel Vertrauen in die neue Unternehmensführung, daß sie sich in der Lage sah, die Zinsen zu senken, weil wir wieder erste Adresse sind.
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Wir, die Mitglieder des Haushaltsausschusses — da bedanke ich mich bei unserem langjährigen Vorsitzenden, der uns angeleitet hat —, fühlen uns als die sogenannten Controller in dieser Firma. Wir wissen, daß das nicht immer beliebt macht und daß das — da muß ich einmal zu meiner eigenen Fraktion schauen — auch nicht immer nur Freunde bringt. Es gibt aber bei uns im Ausschuß über die parteipolitischen Gegensätze hinweg viele Gemeinsamkeiten. Die Kontrollpflicht des Parlaments gegenüber der Regierungspartei muß unabhängig davon wahrgenommen werden, wer die Regierung gerade stellt. Deswegen bedanke ich mich bei meinen beiden Mitberichterstattern für die faire Zusammenarbeit. Wir beraten den Wirtschaftsetat zum fünften Mal miteinander. Hier möchte ich mich ganz besonders beim Kollegen Gärtner bedanken, weil er, wenn ich das richtig sehe, nicht mehr für den Deutschen Bundestag kandidiert und er das nächste Mal ganz sicher nicht mehr dabei sein wird.
Lassen Sie mich mit dem allerletzten Satz zum Bild von der Firma zurückkommen: Wenn sich die Hauptversammlung, die für den 6. März 1983 einberufen ist, entschließt, das neue Management, die neue Führung und das Sanierungskonzept zu bestätigen, dann bin ich ganz sicher, daß es dann auch wieder aufwärts geht. — Vielen Dank.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommentatoren dieses Tages werden sich sicher einig sein: Der Wahlkampf hat auch hier im Deutschen Bundestag längst begonnen, und zum Glück ist die Arbeitslosigkeit das Thema 1 auf allen Seiten. Meines Erachtens ist dies wichtig und richtig. Man kann nur hoffen, daß wir uns hier zwischen den demokratischen Parteien nicht über das Ziel, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zerstreiten, sondern daß wir uns auf ein Ringen um die richtigen Wege beschränken, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Denn da hat die evangelische Kirche recht: Beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit geht es um nichts Geringeres als um den inneren Frieden unserer Gesellschaft. Gestern wurde dazu von allen drei Parteien meines Erachtens Wesentliches gesagt.
Georg Leber hat in seiner großen Rede die gemeinsame Verantwortung aller Bundestagsparteien herausgearbeitet, die auch darin liegt, daß wir alle in guten Zeiten viele gutgemeinte soziale und staatliche Aufgaben mit hoher Haushaltsbelastung gemeinsam verabschiedet haben, ohne daß wir die fetten Jahre zur Haushaltssanierung genutzt hätten. Dies muß auch den Kollegen der Union ins Stammbuch geschrieben werden. Auch Sie waren daran durch aktive Teilnahme, durch Anträge und durch Zustimmung beteiligt und können sich nun
keinesfalls aus der Mitverantwortung für diese hohe Verschuldung herausstehlen.
Auch in der Opposition hat man über die Ausschüsse und über den Bundesrat eine Mitverantwortung, Herr Kollege.
Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff haben zu Recht darauf hingewiesen, was eigentlich die Marktwirtschaft zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit leisten könnte, wenn sie nicht durch immer stärkere Subventionitis, durch Verbandsegoismen und Besitzstandsdenken in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt würde. Nicht zuletzt hat Norbert Blüm dargetan, daß langfristig soziale Sicherheit in dieser Lage nur durch eine Umstrukturierung unseres Sozialsystems erreichbar ist. Es ist nicht mehr so sehr die Frage der sozialen Gleichheit im Vordergrund, sondern es geht jetzt um die Frage der sozialen Sicherung im Kernbestand.
In dieser Lage — erlauben Sie mir diese persönliche Bemerkung — finde ich es absurd, und es ist für mich als jüngeren Politiker eigentlich unbegreiflich, daß sich trotz der nicht mehr auszuschließenden Katastrophe von 2,5 Millionen Arbeitslosen im Februar 1983 — ein Schandmal für eine Wohlstandsgesellschaft — dieser Bundestag diese Woche auflöst, ohne daß wir die Verantwortlichen in Regierung, Opposition, Tarifparteien, Bundesbank und Wissenschaft auf einen Beschäftigungspakt eingeschworen hätten.
Ich möchte daher von dieser Stelle in meiner letzten Rede im alten Bundestag — Herr Kollege, es ist eine liberale Tugend, Optimist zu sein — nochmals den Bundeskanzler, aber auch den Wirtschaftsminister und die Tarifparteien dazu auffordern, im Januar 1983 eine Serie von Konferenzen zum Thema Abbau von Arbeitslosigkeit einzuberufen, die abseits der bisher unverbindlichen Formen des Meinungsaustausches: den Abschluß eines Beschäftigungspakts zum Ziele haben. Ich weiß, trotz der in einer Marktwirtschaft verschiedenen Rollen — Tarifautonomie — muß endlich zwischen Regierung und Tarifparteien präzisiert werden, wer welche konkreten Maßnahmen trifft und wer welche Verantwortlichkeit für Arbeitslosigkeit hat.
Für diese Konferenz darf es, Herr Roth, auch keine Vorbedingungen und Tabus geben, so wichtig Mitbestimmungsfragen oder andere Fragen sind. Die waren beim Wirtschaftsminister letztlich nicht umstritten. Sie wissen aus der Geschichte ganz genau, daß Arbeitgeberverbände zu diesem Thema anderer Meinung waren und daß dies der letzte Grund war, warum die Gespräche am runden Tisch damals beendet wurden.
Lassen Sie mich abseits von diesem Haushalt kurz drei Herausforderungen nennen, die aus libe-
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Dr. Haussmann
raler Sicht in den nächsten Jahren für den Abbau von Arbeitslosigkeit entscheidend sind.
Herausforderung Nummer 1: schleichender Protektionismus. Der schleichende Protektionismus schafft weitere Massenarbeitslosigkeit. Daher reicht es meines Erachtens nicht mehr, diese Frage nur auf speziellen Handelskonferenzen zu behandeln. Die Frage der Handelsschranken muß zum Europathema Nummer 1 gemacht werden. Andere europapolitische Ziele müssen wir zukünftig von konkreten Garantien für eine Freihandelspolitik in Europa und gegenüber Drittländern abhängig machen. Das heißt aber auch für die nationale Wirtschaftspolitik aller europäischen Länder: Die Wiederherstellung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit ist das vorrangige Thema. Bei uns ist daher eine Haushaltspolitik notwendig, die weitere Zinssenkungen ermöglicht. Zu Recht hat Herr Stoltenberg darauf hingewiesen, daß Zinssenkungen durch nationale Haushaltspolitik erspart werden müssen, durch eine Steuerpolitik, die Innovationen begünstigt, und eine Tarifpolitik, die beschäftigungsfreundlich ist.
Herausforderung Nummer 2: Hier möchte ich auch etwas zur Frage „Grundig" sagen. Ich wundere mich eigentlich, daß hier ein Antrag der SPD vorliegt, ohne daß er beim Haushalt des Bundeswirtschaftsministers bisher eine Rolle gespielt hat. Wo eigentlich soll dieser Antrag behandelt werden? Ist er jetzt vergessen, oder bleibt er in der Versenkung?
Ich meine dazu: Konzentration und Gigantomanie kann nicht mit Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt werden. In manchen Unternehmensführungen, aber auch in manchen Landesregierungen und Gewerkschaften zu glauben, man könne Arbeitsplätze gegenüber besseren und kostengünstigeren Produkten aus Fernost oder aus USA nur durch das Zusammenlegen von Produktionskapazitäten und durch die Abschottung des Europamarktes sichern, ist eine unverantwortliche Illusion.
Nur ein überlegenes Forschungskonzept, intelligentere Produkte und günstigere Produktionsformen sichern letztlich Arbeitsplätze dauerhaft. Der Zusammenschluß zu europäischen Branchenmonopolisten mit Hilfe von einzelstaatlichen Subventionen sichert auf Dauer weder bei uns noch in unseren europäischen Nachbarländern Arbeitsplätze.
Daß es auch anders geht, meine Damen und Herren, zeigt im Moment die deutsche Automobilindustrie. Sie hat die europäische und vor allem die japanische Herausforderung ohne weitere nationale Konzentration und ohne Außenschutz gegenüber Drittländern angenommen. Das aktuelle Beispiel zeigt, daß marktwirtschaftlicher Wettbewerb zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Zwei neue PkwModelle treffen zur Zeit im gleichen Marktsegment der kompakten, technisch hochwertigen und teuren Automobilklasse aufeinander und werben um die Verbraucher. Und trotzdem, meine Damen und Herren, führt dies in beiden Automobilwerken zur Schaffung von Tausenden von neuen Arbeitsplätzen, gerade in Problemgebieten wie Bremen und Regensburg. Beiden Unternehmen und ihren Arbeitskräften sei von dieser Stelle aus für dieses in unserer Zeit leider viel zu seltene positive marktwirtschaftliche Beispiel gedankt.
Dritte und letzte Herausforderung: die Parallelwirtschaft. Ich verstehe darunter Schwarzarbeit genauso wie neue, alternative Produktionsformen. Meine Damen und Herren, wer glaubt, daß wir dieses Problem, das für viele Arbeitslose in unserem offiziellen Wirtschaftssystem mitverantwortlich ist, nur durch schärfere Gesetze ausmerzen könnten, der täuscht sich hinsichtlich der nächsten Jahre gewaltig. Nur wenn beide Systeme, das offizielle Wirtschaftssystem und die Parallelwirtschaft, voneinander lernen, werden wir Fortschritte erzielen. Das heißt, daß das offizielle Wirtschaftssystem inzwischen zu starr, zu bürokratisch, mit Sozialaufgaben überlastet und daher zu teuer geworden ist und daß Millionen in der Parallelwirtschaft Tätiger — ich sage im Anklang an Dahrendorf bewußt nicht „Arbeitender", sondern „Tätiger" — einen starken Wunsch nach freier, ganzheitlicher, billigerer und zeitlich individuell gestalteter Arbeit zum Ausdruck bringen.
Wenn das offizielle Arbeitssystem daraus nicht lernt und sich nicht verändert, indem es auch wieder beweglicher, billiger, unbürokratischer wird, wird diese Kluft unschließbar und führt zu weiterer Massenarbeitslosigkeit in unserem Land.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, dies sind abseits von Haushaltszahlen ganz wenige liberale Perspektiven für die zukünftige Gesellschaft, die dringend einen neuen Pakt benötigt über Löhne, Produktivitätsfortschritt, individuellere Arbeitszeitvereinbarungen — nicht generell verordnete, sondern individuellere Arbeitszeitvereinbarungen —, Vermögensbildung und neue Arbeitsformen.
Zum Schluß: Wer wie manche SPD-Kollegen glaubt, das Problem reduziere sich auf die Aufrechterhaltung der alten sozialen Besitzstände, der täuscht sich. Aber auch mancher Kollege in der Union greift zu kurz, wenn er meint, die alten Rezepte der Wirtschaftswunderzeit allein könnten uns über die Runden helfen. — Vielen Dank.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Haussmann, Sie haben einen Solidarpakt empfohlen, einen Pakt, der sich mit beschäftigungspolitischen Problemen befaßt, und damit ein Angebot aufgegriffen, das Hans-Jochen Vogel der Öffentlichkeit unterbreitet hat. Ich finde es sehr interessant, daß hier Berührungspunkte für eine künftig gemeinsamere Behandlung bestimmter Probleme deutlich werden.
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Dr. Mitzscherling
Sie haben — und, Herr Kollege Glos, vielleicht darf ich auf Ihre Anmerkungen eingehen — einen gewissen Optimismus sichtbar werden lassen über die künftige Entwicklung der Wirtschaft, die von einem Aufschwung nach diesem Haushalt gekennzeichnet sein werde, einen Optimismus, den ich nicht teilen kann. Einen solchen Aufschwung sehen wir nach dem, was uns an Papieren, an Antworten der Bundesregierung, an Antworten des Kanzlers und der Minister vorliegt, eigentlich mehr denn je in einer weiten, weiten Ferne. Sie werden mit diesen Antworten der Politik die Investitionsschwäche sicherlich nicht beenden. Sie werden sicherlich die Binnennachfrage weiter schwächen, und die Arbeitslosigkeit wird dadurch mit Sicherheit nicht verringert werden. Ob Sie das nun wollen oder nicht, meine Damen und Herren von der Union: eine Politik, die in groben Zügen als die eines wirtschaftspolitischen Attentismus bezeichnet werden kann, der sich nur auf eine Stärkung des Angebots richtet, paßt nicht in die Landschaft. Sie wird den strukturellen und den konjunkturellen Erfordernissen nicht gerecht. Sie konsolidieren, Sie kürzen die verfügbaren Einkommen der meisten Verbraucher und warten darauf, daß die Unternehmen irgendwie etwas veranlassen werden, warten darauf, daß sie investieren und eines Tages irgendwann Arbeitsplätze entstehen könnten.
Ich fürchte, meine Herren Vorredner, daß Ihre Erwartungen bitter enttäuscht werden. Sie kennen doch die Probleme, die weltweit sind. Sie müssen doch wissen, daß in den westlichen Industrieländern die Zahl der Arbeitslosen auf 35 Millionen zugeht. Sie müssen doch wissen, daß in den Vereinigten Staaten und daß in den EG-Ländern jeweils nunmehr fast 11 Millionen arbeitslos sind. Daran wird doch deutlich, daß wir uns offensichtlich in einer Weltwirtschaftskrise befinden. In fast allen Industrieländern ist ein wirtschaftlicher Aufschwung in weiter Ferne.
Der Welthandel, meine Damen und Herren von der Union, stagniert. Das verschärft die Konkurrenz und führt zu größerer Bereitschaft der Regierungen, wie das heute ja auch schon mehrfach angeklungen ist, protektionistische Restriktionen zu veranlassen. Wenn aber der Welthandel stagniert, wenn er — wie in diesem Jahr — sogar schrumpft, dann kann sich kein Land Hoffnungen auf einen durch Exportsteigerung ausgelösten Konjunkturaufschwung machen, schon gar nicht die Bundesrepublik als zweitgrößtes Welthandelsland. Denn das, was wir heute mehr exportieren würden, ginge doch zu Lasten anderer Länder, und eine beggar-myneighbour-policy, eine Außenhandelspolitik, die einseitig Außenhandelsüberschüsse erzielen will, läßt sich heute niemand mehr so leicht gefallen. Das gilt auch für den EG-internen Handel, und das gilt, wie schon gesagt wurde, vor allem im Handel mit Frankreich.
Lassen Sie mich hier ein Wort, Herr Kollege Haussmann, aufgreifen, das Sie eben im Zusammenhang mit dem Fall Thomson-Brandt erwähnten. Der vorliegende Antrag begründet sich selbst. Wir haben böse Erfahrungen machen müssen. Ich
erinnere nur an Videocolor. Wir sind der Auffassung, daß eine derartige Zusammenführung, wenn sie zustande kommen sollte, einer dringenden Partnerschaft bedarf, daß wir ein Mitspracherecht haben, wenn es um den Bestand und den Erhalt von Arbeitsplätzen geht.
Ich muß an dieser Stelle sagen, daß angesichts der Brisanz dieses Themas das Verständnis dafür, daß der Bundeskanzler in Paris war und dieses Problem dort nicht einmal angesprochen hat, relativ gering ist.
Nun, meine Damen und Herren, wenn wir eine Exportpolitik, wie dargestellt, nicht mehr haben werden, wenn das heute nicht mehr so funktionieren kann, wie es früher funktioniert hat, dann muß man sich doch vor Augen führen, woran das liegt. Ich vermisse in all den Beiträgen, die von seiten der Regierungsfraktionen, auch von seiten der Minister und des Bundeskanzlers kamen, eine Antwort darauf.
Früher — daran haben wir uns offenbar gewöhnt — ging es irgendwo in der Welt immer aufwärts. Regelmäßig hat unser Export immer irgendwo Tritt gefaßt und wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung eingeleitet, weil der Konjunkturzyklus der Bundesrepublik nicht mit dem in anderen Ländern übereinstimmte. Jetzt aber verläuft dieser Konjunkturzyklus synchron. Das bedeutet doch, daß zum selben Zeitpunkt alle Industrieländer in der gleichen Misere sind. Deshalb können wir auch nicht länger auf den Export als einen Konjunkturmotor setzen; wir nicht, aber andere Länder ebensowenig.
Was bleibt als Resultat dieser Überlegungen eines weltweit gedachten Konjunkturstimulans übrig, wenn der Export ausfällt, wenn auch, nicht zuletzt durch die vorliegenden Haushaltsbeschlüsse, der private Verbrauch real nicht mehr wächst und als Wachstumsmotor nicht mehr zur Verfügung steht? In der Tat bleiben ausschließlich die Investitionen. Das ist richtig. Der internationale Zinsrückgang in den letzten zwölf Monaten läßt da zwar hoffen. Zumindest in gewissen Teilen gilt das für den Wohnungsbau. Aber für die Anlageinvestitionen der Unternehmen gilt das doch kaum; denn überall, in allen Industrieländern sind die Kapazitäten unterausgelastet. Überall, in allen Industrieländern sind die Absatzerwartungen pessimistisch.
Warum aber — frage ich Sie — sollte es zu einem weltweiten Aufschwung privater Investitionen kommen, zumal die Zinsen immer noch hoch genug sind? Wir haben größte Zweifel, ob es zu dieser von Ihnen erhofften, von Ihnen erwarteten Entwicklung überhaupt kommen wird. Deshalb sagen wir ja auch, wir brauchen einen gemeinsamen, international abgestimmten Beschäftigungspakt der wirtschaftlich starken Länder. Ich bitte, das nicht als einen billigen Wahlkampfgag zu werten, sondern als das Resultat von Überlegungen, die angesichts der gegenwärtigen schwierigen internationalen Situation andere Wege kaum noch sichtbar werden
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Dr. Mitzscherling
lassen. Im übrigen stehen wir mit dieser Forderung ja nicht allein, auch der Sachverständigenrat hat eine parallele Aktion der wirtschaftlich starken Länder gefordert.
Wenn wir uns dabei vor allem auf öffentliche Investitionen stützen, so deshalb, weil wir der Meinung sind, daß sie schneller wirken. Wenn ich an die Hoffnung denke, die Sie haben, daß durch eine Umschichtung von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben Mittel freigesetzt werden, muß ich sagen, daß das allenfalls ein Angebot ist. Wer gibt Ihnen die Zuversicht, daß dieses Angebot angenommen wird? Wer erklärt Ihnen, daß letztlich durch den entstehenden time-lag — Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff hat das in seiner letzten Rede ja zum Ausdruck bringen müssen — nicht eine Bewegung entsteht, die wirtschaftlich eher nach unten gerichtet ist?
Sie weisen unsere beschäftigungspolitischen Vorschläge zurück. Sie können das offenbar auch nicht anders; denn Sie haben ja Beschäftigungsprogramme jahrelang als Strohfeuer bezeichnet. Sie haben das als eine Entwicklung bezeichnet, die zum Staatsbankrott führe, zu einer Währungsreform. Sie haben die Leute verunsichert. Daß Sie in dieser Situation heute den Vorschlag eines derartigen Beschäftigungshaushalts natürlich nicht begrüßen, liegt bei Ihrem Selbstverständnis auf der Hand.
— Sie werden mir abnehmen, daß ich dazu eine andere Meinung habe als Sie. — Ich stelle dazu nur fest, daß eine weitere Untätigkeit der Regierung, wie auch immer motiviert, aus meiner Sicht zusätzliche Arbeitslosigkeit schafft.
Ich kann nur vor dieser weiteren Untätigkeit warnen. Wir alle wissen nicht — auch Sie nicht, meine Damen und Herren von der Union —, wie sich Erwartungen, wie sich Verhaltensweisen bei langanhaltenden wirtschaftlichen Schwächeperioden verändern. Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß das Angstsparen, das heute schon feststellbar ist, um sich greifen kann. Wir alle müssen uns darauf einrichten, daß die Banken größere Sicherheiten für ausgeliehene und auszuleihende Kredite verlangen, daß Unternehmen um jeden Preis konsolidieren und daß sie Investitionen hinausschieben. Diese Gefahr liegt doch auf der Hand.
Das bedeutet, daß die Übervorsichtigen zunehmend Oberwasser bekommen. Wenn dies so ist, bleibt der kräftige wirtschaftliche Aufschwung, den wir brauchen, den wir dringend brauchen, aus. Er rückt immer weiter in die Ferne; denn die von Ihnen zitierten Gründerjahre brauchen nicht die Übervorsichtigen, sondern sie brauchen die innovativen Elemente: die Techniker, die Ingenieure, die Kaufleute, die wagemutig sind, die früher gezeigt haben, daß man es machen kann. Eine Wirtschafts- und Finanzpolitik muß aber dementsprechend ausgerichtet sein.
Wir dürfen nicht riskieren — da stimme ich mit dem Wirtschaftsminister überein —, daß sich pessimistische Grundhaltungen immer stärker ausbreiten und künftig der risikoscheue Buchhalter bestimmt, was im Unternehmen investiert wird.
Meine Damen und Herren, die Wirtschaftspolitik wird handeln müssen. Sie wird anders, nämlich stärker und entschlossener handeln müssen, als es in dem vorliegenden Haushalt zum Ausdruck kommt. Wir können es uns schließlich auch eher leisten. Wir sind, ob Sie das nun hören wollen oder nicht, stärker als die meisten anderen Industrieländer. Der Bundeswirtschaftsminister hat es ja als einen Erfolg seiner Politik herausgestellt. Wenn aber andere Länder gegenwärtig nicht oder noch nicht zu einem gemeinsamen Beschäftigungspakt bereit sind, dann müssen wir eben zunächst allein beginnen, auch wenn die Wirkung dann zugegebenermaßen geringer sein wird.
Wir brauchen da nicht auf die Erfahrungen der Jahre 1978 bis 1980 zurückzugreifen oder gar zu erschrecken. Ich darf nämlich daran erinnern — auch das gerät häufig in Vergessenheit —, daß wir 1978 gemeinsam mit den Japanern auf einen Weltwirtschaftsgipfel gedrängt wurden, um dort gleichsam als eine Lokomotive zu wirken, um eine Rolle zu übernehmen, die angesichts der Kraft, die man uns damals zugetraut hat, sicherlich auch eine Zumutung darstellte und nicht etwa eine Vermessenheit von Helmut Schmidt war.
Wären die Ölpreise 1978/79 nicht zum zweitenmal explodiert, was, wie vielleicht noch in Erinnerung, unsere Leistungsbilanz damals ins Defizit brachte, so wären wir auch nicht zu Gefangenen der amerikanischen Hochzinspolitik geworden.
Aber diese Situation, meine Damen und Herren, ist heute anders. Eine neue Ölpreisexplosion steht nicht vor der Tür. Wir brauchen auch nicht zu befürchten, daß wir wieder in eine stärkere Abhängigkeit von den amerikanischen Zinsen geraten; denn gerade in den letzten Monaten ist deutlich geworden, daß der Dollar fundamental schwächer geworden ist. Experten rechnen für 1983 mit einem amerikanischen Außenhandelsdefizit von 75 bis 100 Milliarden Dollar und mit einem Leistungsbilanzdefizit von 40 Milliarden Dollar. Das dürfte inzwischen allen bekanntgeworden sein.
Diese Defizite, meine Damen und Herren, werden auch diesmal wieder einen starken Druck auf den Dollar ausüben. Das gilt allerdings nur dann, diese Einschränkung muß man an dieser Stelle machen, wenn es nicht — und davor ist heute keiner sicher; ich habe auch kein Wort dazu gehört — zu einem unerwarteten und krisenhaft sich zuspitzenden Entwicklungsprozeß kommt, der einen internationalen und schwerwiegenden Bankenkrach auslösen könnte. Wenn dies eintritt, stehen wir vor einer neuen Situation. Bleibt uns das erspart, kann man heute schon feststellen, daß die D-Mark, die jetzt schon zweifellos zu den gesuchten Währungen gehört, diese positive Bewertung beibehalten wird. Das müssen wir ausnutzen. Das muß die Bundesbank bei ihrer Politik berücksichtigen. Sie muß jeden Spielraum, der sich ergibt, nutzen — das wird durch die ausgeglichene Leistungsbilanz erleichtert —, um die Zinsen bei uns noch weiter nach
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Dr. Mitzscherling
unten zu drücken. Dabei sind wir natürlich auch der Auffassung, daß eine völlige Abkoppelung von den amerikanischen Zinsen angesichts des freien Kapitalverkehrs nicht möglich ist.
Zwar rechnet augenblicklich jedermann in dieser Welt mit weiter sinkenden Dollarzinsen. Wir können deshalb auch mit weiter sinkenden D-Mark-Zinsen rechnen. Aber — diese Frage muß man einfach stellen — worauf gründet sich eigentlich diese Hoffnung? Doch nicht auf eine vertrauenerweckende amerikanische Wirtschaftspolitik! Dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Die Hoffnung gründet sich doch allein auf ein weiteres Sinken der amerikanischen Zinsen, weil man damit rechnet, daß die Rezession in Amerika anhält und die private Kapitalnachfrage deshalb so schwach bleibt, daß die Zinsen sinken können, obwohl das gigantische amerikanische Haushaltsdefizit finanziert werden muß.
Das muß man sich einmal vor Augen halten, meine Damen und Herren: Alle Welt hofft auf Zinssenkungen in den USA. Die kann und wird es aber nur geben, weil eine wirtschaftliche Besserung in den USA in weiter Ferne liegt. Kommt es in den Vereinigten Staaten jedoch früher zu einer konjunkturellen Erholung, dann werden dort die Zinsen wieder steigen, wenn es bei der gegenwärtig betriebenen amerikanischen Politik bleibt. Dann wird eine beginnende konjunkturelle Erholung bei uns im Keim erstickt werden.
Bei dieser Konstellation kann Zuschauen wohl kaum die geeignete Strategie für eine mittelfristig ausgerichtete Wirtschaftspolitik sein. Ich muß deshalb an die Bundesregierung appellieren: Tun Sie alles, um einer weiteren Abschwächung der Binnennachfrage entgegenzuwirken! Tun Sie alles, um sich dem wachsenden Pessimismus entgegenzustellen, bevor die Lage unkontrollierbar wird! Ihr Haushalt reicht dazu nicht aus. Drängen Sie die amerikanische Regierung zu mehr Solidarität, zu einer Wirtschaftspolitik, die auf die Belange der anderen Länder Rücksicht nimmt! Machen Sie sich für diesen internationalen Beschäftigungspakt, wie ihn Hans-Jochen Vogel vorgeschlagen hat, stark!
Es ist nicht die Zeit für nationale Nabelschau und gegenseitige Schuldzuweisung, meine Damen und Herren.
Es ist die Zeit für ein gemeinsames und entschlossenes Handeln, national und international. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreile.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der sehr umfangreichen Debatte zum Haushalt 1983 ist es jetzt an der Zeit, zum Haushaltsbegleitgesetz 1983 zurückzukehren, dessen Titel lautet — man sollte sich das wieder vergegenwärtigen —: „Gesetz zur Wiederbelebung der
Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts".
Bei diesem Gesetz, wie wir es vorgesehen haben, wirken viele Maßnahmen zusammen: sozialpolitische, wohnungspolitische, arbeitsmarktpolitische. Ich greife hier die steuerpolitischen auf, und zwar besonders im Bereich der Einkommensteuer, der Mehrwertsteuer/Umsatzsteuer, der Gewerbesteuer und der Investitionshilfe. All diese Maßnahmen, die in dem Gesetz vereinigt sind, stehen unter dem Diktat, die große Haushalts- und Finanzkrise bewältigen zu müssen, die die Hinterlassenschaft der abgelösten Regierung ist.
Angesichts von 300 Milliarden DM öffentlicher Schulden allein beim Bund und angesichts von Zinslasten, die den Großteil der jährlichen Neuverschuldung beanspruchen — landläufig gesagt: auffressen —, müssen wir erkennen, wie beklemmend und zutreffend der Sachverständigenrat unsere Lage beschrieben hat. Er sagte — ich zitiere —:
Nahezu überall ist inzwischen der Spielraum der Wirtschaftspolitik ausgeschöpft, auf herkömmlichem Weg zu mehr Dynamik beizutragen.
Angesichts dieses finanziellen Desasters sind auch der Steuerpolitik die Hände gebunden. Das Ergebnis von 13 Jahren falscher Politik ist, daß wir uns nun nur um die vordringlichsten Sanierungsmaßnahmen bemühen können. Der Weg zu der notwendigen Senkung der gesamten Abgabenlast ist uns derzeit versperrt. Die einst so klug ausgedachten Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erweisen sich als stumpf und unzureichend.
Durch Steuererhöhungen am laufenden Band und eine explosive Steigerung der Sozialabgaben wurde die Belastung der Arbeitseinkommen in den letzten 13 Jahren immer höher getrieben. Dazu kamen die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen. Arbeit und Leistung wurden nicht belohnt, sondern durch zu hohe Abgaben bestraft. Uns allen ist bekannt — das Ifo-Institut hat dies kürzlich in seiner Analyse dokumentiert —, daß in der Zwischenzeit einem Arbeitnehmer von jeder zusätzlich verdienten Mark lediglich 39 Pfennig verbleiben. 61 Pfennig gehen für Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ab.
Wer von dieser Abgabenbelastung am stärksten betroffen ist, hat der frühere Bundeskanzler Schmidt vor der SPD-Fraktion am 22. Juli dieses Jahres deutlich gemacht. Der SPD-Bundeskanzler Schmidt sagte: „Wir", die SPD, „haben also den Arbeitnehmer immer wieder zur Kasse gebeten und haben daraus alles mögliche finanziert, vielerlei wünschenswerte soziale Maßnahmen und Reformen, die Geld kosteten; aber geholt haben wir das Geld von den Arbeitnehmern." —
Wir, die CDU/CSU mit der FDP, ziehen aus dieser durchaus richtigen Feststellung nunmehr endlich die richtigen Konsequenzen.
Wir werden schrittweise durch Begrenzung der unproduktiven Staatsausgaben und durch Abbau der staatlichen Defizite den Spielraum schaffen, um
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Dr. Kreile
die leistungsfeindliche direkte Steuerbelastung, von der besonders die Arbeitnehmer betroffen sind, wieder auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Wir kommen aber nicht umhin, zunächst deutliche Fortschritte bei der Sanierung der Staatsfinanzen zu erzielen.
Doch nicht nur die Arbeitnehmerseite haben die sozialdemokratischen Finanzminister zu stark in ihrem fiskalischen Griff gehabt. Die deutschen Unternehmen waren nicht besser dran. Die Unternehmensbesteuerung hat entscheidend zu dem rapiden Verfall der Ertrags- und Investitionskraft unserer Wirtschaft beigetragen. Die SPD wollte — das Wort ist ja zu bekannt — die Belastbarkeit unserer Wirtschaft prüfen. Es ist ihr in Gestalt von Verlusten von Arbeitsplätzen in einem erschreckenden Maß gelungen.
Die rund 12 700 Konkurs- und Vergleichsverfahren in diesem Jahr — das ist ein Anstieg von 50% gegenüber dem vergangenen Jahr — spiegeln eine Entwicklung wider, deren Wurzeln weit in das vergangene Jahrzehnt zurückweisen. Der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Herr Dr. Schlesinger, hat dies sehr trefflich gesagt, als er erklärte:
Die hohe Anfälligkeit der Unternehmen im gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch meist nicht das Ergebnis einer kurzfristig eingetretenen Fehlentwicklung, sondern das Endresultat eines mehrjährigen, teilweise sogar langjährigen Auszehrungsprozesses.
Ursächlich für diese Entwicklung waren nicht primär weltwirtschaftliche Einflüsse, auch wenn diese gar nicht bestritten werden sollen. Ursächlich waren vorrangig binnenwirtschaftliche Entwicklungen, und zwar — um auf dem Gebiet zu bleiben, über das ich hier zu reden habe — nicht zuletzt eine substanzverzehrende Besteuerung.
Die Erosion der Eigenkapitalbasis, die zunehmende Unterkapitalisierung, die teure Fremdfinanzierung haben die Unternehmen in eine tiefgreifende Krise gebracht und den Einfluß des Staates zwangsläufig in vielen Wirtschaftsbereichen noch erhöht. Die Beispiele, die wir heute aus dem Bereich von Stahl, Kohle, Werften, Textil, Fototechnik und Unterhaltungselektronik gehört haben, sind uns allen deutlich.
Zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit benötigen wir daher vorrangig eine Verbesserung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen. Man kann dem Vizepräsidenten der Bundesbank, Dr. Schlesinger, nur zustimmen, wenn er sagt: Die Wirtschaft dieses Landes kann auf die Dauer nicht besser sein als die finanzielle Lage ihrer Unternehmen. Um die Ertrags- und Investitionskraft der Unternehmen zu stärken, braucht es vor allem zweierlei.
Erstens. Die Fähigkeit zur Eigenkapitalbildung muß gestärkt werden.
Zweitens. Die Bereitstellung von Risikokapital muß attraktiver gemacht werden.
Bei dieser Ausgangslage fällt der Steuerpolitik im Rahmen der Beschlüsse der neuen Bundesregierung eine wichtige Rolle zu. Ohne Bewegungsspielraum ist auch die Steuerpolitik zunächst eine Politik der leeren Kassen. Ohne Reserven und ausgereizt bis an die Grenzen des Zumutbaren für Arbeitnehmer und Unternehmen und ohne weiteren Verschuldungsspielraum, stehen wir vor der Aufgabe, erst etwas in die Kasse zu bringen, um es zur Anregung privater Investitionen und für rasche Beschäftigungsimpulse ausgeben zu können. Mit anderen Worten: Was wir noch tun können und tun müssen, ist, unser Steuersystem umzustrukturieren. Wir müssen die produktive und vor allem die investive und innovative Verwendung des Sozialprodukts entlasten und somit zwangsläufig die konsumtive Verwendung entsprechend belasten.
Nun ist es ja gar nicht so, daß einsichtige Politiker in den Reihen der SPD dies nicht wiederholt gesagt und erkannt und zum Teil auch gefordert haben. Doch ohne Erfolg. Der seinerzeitige Bundesfinanzminister Matthöfer führte in seiner Abschiedsrede vor der Belegschaft des Bundesfinanzministeriums am 28. April 1982 die Erkenntnis aus — ich darf Herrn Matthöfer zitieren —:
daß in einer Zeit, in der alles vom Vorrang der Zukunftsvorsorge und der Schaffung neuer Arbeitsplätze spricht, die direkten Steuern und die Sozialabgaben den aktiv Beschäftigten und der Wirtschaft immer mehr Geld entziehen, um es in immer höherem Maße in unproduktive Verwendungen zu lenken. Hier liegt die Wurzel der Forderung nach einer Umstrukturierung des Sozialprodukts zugunsten produktiver, innovativer und investiver Verwendungen.
Dieses Zitat ist die geradezu klassische Begründung dafür, daß in dieser Situation die von der SPD geforderte Ergänzungsabgabe falsch ist.
Wir haben für die erforderliche Umstrukturierung des Steuersystems kaum noch Spielraum. Wir hätten noch weniger Spielraum, wenn die Union in den vergangenen Jahren nicht die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindert hätte. Ich habe von dieser Stelle aus in den vergangenen Jahren mehrmals gesagt: Die Umsatzsteuererhöhung darf nicht wie die letzten Tabak- und Mineralölsteuererhöhungen zum Stopfen der Haushaltslücke verwendet werden. Wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöhen, so ist das Bestandteil eines soliden Sanierungskonzepts, und zwar mit den folgenden zwei Maßgaben:
Erstens. Die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1983 werden in vollem Umfang zur Umstrukturierung eingesetzt und damit dem Steuerzahler zurückgegeben.
Eine Erhöhung der Steuerbelastung insgesamt findet nicht statt. — Ich sage es sofort, Herr Dr. Spöri. Und wenn Sie zuhören, ersparen Sie sich eine Frage und mir die Antwort.
Zweitens. Die Mehrwertsteuererhöhung geht mit echten Einsparungen einher, so daß gewährleistet
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Dr. Kreile
ist, daß die Mehreinnahmen nicht in einem bodenlosen Topf verschwinden, sondern tatsächlich zur Umstrukturierung des Steuersystems zur Verfügung stehen. Denn parallel zur Mehrwertsteuererhöhung in 1983 werden wir einen ersten Schritt zur Umstrukturierung, nämlich zum Abbau der ertragsunabhängigen Besteuerung tun, die an der Substanz der deutschen Unternehmen und damit der Arbeitsplätze zehrt, ein beträchtliches Investitionshemmnis darstellt und im internationalen Vergleich — wir haben dies hier schon oft miteinander besprochen — ganz ohne Beispiel ist.
Gleichzeitig werden wir aus dem Mehrwertsteueraufkommen Maßnahmen ergreifen, um Arbeitsplätze bei insolvenzbedrohten Unternehmen zu sichern, durch einen begrenzten Schuldzinsenabzug bei Ein- und Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen den Wohnungsbau stärker anzukurbeln sowie die Gründung mittelständischer Existenzen verstärkt zu fördern.
Die Hinzurechnung der Dauerschulden beim Gewerbekapital und der Dauerschuldzinsen beim Gewerbeertrag hat sich bei nachlassenden Erträgen und hohen Zinsen in den letzten Jahren doch besonders nachteilig auf die Investitionskraft der Unternehmen ausgewirkt. Es wurden Fremdkapitalzinsen nicht mehr aus dem laufenden Ertrag, sondern zu Lasten der Substanz bezahlt.
Mit der teilweisen Streichung dieser Hinzurechnungen, die uns nur gelungen ist durch die Finanzierung über die Mehrwertsteuer, erreichen wir nach der Senkung der Leitzinsen durch die Bundesbank eine Absenkung der Fremdkosten um einen weiteren Prozentpunkt. Auch diese Absenkung ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Bundesbank Signale, die ihr von der Haushaltspolitik einer auf Solidität ausgerichteten Regierung gegeben werden, sehr wohl zu schätzen weiß.
— Das geht in der Tat so schnell, und alles andere ist Erblast. Das Positive, die Senkung des Zinssatzes durch die Bundesbank, ist in der Tat ein Verdienst dieser neuen Bundesregierung.
Die Bundesbank hat begriffen, daß mit dieser Regierung eine solide Haushaltspolitik gemacht werden wird.
Herr Abgeordneter Dr. Kreile, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Spöri?
Herr Dr. Kreile, ist Ihnen bekannt, daß der Bundesbankpräsident die erweiterten Zinssenkungsspielräume mit der Umkehr, mit der Verbesserung der Leistungsbilanz begründet hat, und ist Ihnen bekannt, daß diese Verbesserung schon vor Monaten unter der alten Regierung eingetreten ist?
Dies ist mir durchaus bekannt. Genauso ist mir bekannt, daß, obwohl schon seit Monaten der Trend in diese Richtung gegangen ist, die Bundesbank trotz dieses Trends keine Senkung der Zinsen vorgenommen hat. Sie hat die Zinssenkung erst dann vorgenommen, als die Begleitmaßnahme in Form einer soliden Haushaltspolitik gegeben war.
Herr Kollege Dr. Kreile, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Wenn Herr Dr. Ehrenberg und Herr Dr. Spöri sich aufteilen können, ist es mir recht. Herr Westphal wollte auch noch fragen.
Es geht der Reihe nach. Es fragt immer nur einer. — Herr Dr. Ehrenberg, bitte.
Verehrter Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß Diskontsenkungen in mehreren Schritten schon zu Beginn dieses Jahres stattgefunden haben und daß die, die Sie jetzt anführen, die letzte von vieren war?
Herr Dr. Ehrenberg, ich könnte es mir jetzt leicht machen und könnte darauf antworten, daß es natürlich schon seit Mitte Frühjahr bekannt war — der desolate Zustand Ihrer Politik war so offensichtlich —, daß in diesem Herbst eine neue Regierung kommen würde. Insofern war die Zinssenkung natürlich eine vorweggenommene Maßnahme.
— Ich sage das nicht so ohne weiteres. Lesen Sie bitte die Verlautbarungen der Bundesbank gerade zu diesem Teil nach. Dort werden Sie feststellen, daß die Bundesbank eine Zinssenkung für den Fall angekündigt hat, daß zwei Maßnahmen kommen, nämlich erstens wenn eine Änderung in der Leistungsbilanz im Sinne einer Senkung des Defizits vorliegt — sehr richtig, Herr Dr. Spöri — und wenn zweitens hier endlich eine solide Haushaltspolitik Eingang gefunden hat, und das ist der Fall.
Herr Abgeordneter Kreile, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Westphal?
Ich würde gerne auf mein steuerliches Thema kommen.
Sie möchten keine Fragen mehr beantworten?
Könnten wir jetzt im Moment einmal das Thema beenden!
Ich darf auf die steuerlichen Maßnahmen, die im vorliegenden Gesetz enthalten sind, zurückkommen. Wir haben steuerliche Erleichterungen bei der Übernahme insolventer und insolvenzbedrohter Unternehmen vorgesehen. Warum? Das soll ein Beitrag dazu sein, gefährdete Arbeitsplätze zu erhalten. Diese Maßnahme, die im Finanzausschuß zum Teil heftig kritisiert worden ist, hat bereits erste Früchte gezeitigt. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat gerade diese Bestimmung wegen ihres frühen Inkrafttretens schon anwenden können. Wir haben schon einige, ich möchte sagen, Hunderte, wenn nicht Tausende Arbeitsplätze durch exakt diese Maßnahme erhalten.
Die zweite Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen ist die Ankurbelung der Baukonjunktur. Dies versuchen wir durch die Einführung des dreijährigen Schuldzinsenabzugs bei eigengenutzten Wohnungsneubauten. Hier gilt natürlich auch das, was ich durchaus kritisch zur Insolvenzrücklage sehe und sage. Das kann nur eine Notmaßnahme sein, denn natürlich gibt es dagegen manche steuersystematischen Bedenken. Aber all diese Bedenken müssen wir zurückstellen, um den jetzt im Vordergrund stehenden Effekt, die Sicherung, Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, zu erreichen.
Die weiteren Hilfen für den Wohnungsbau sollen aus dem Aufkommen der Investitionshilfeabgabe geleistet werden.
Ich weiß, auch hier gibt es Bedenken. Der Rechtsausschuß hat sich mit verfassungsrechtlichen Bedenken intensiv beschäftigt, aber er hat — und das soll doch an dieser Stelle festgehalten werden — nach Prüfung und nach Durchführung einer Anhörung von Sachverständigen erklärt, er sei zu dem Ergebnis gekommen, daß gegen diese Abgabe keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.
— Herr Dr. Spöri, Sie haben völlig recht, dieses Monster hätten wir nie gemacht,
wenn wir nicht durch eine Politik wie die Ihre dazu gezwungen worden wären.
Herr Dr. Spöri, ich muß Ihnen leider sagen, daß wir gezwungen gewesen sind, einiges von dem, was Sie in Ihrem Entwurf zum Einkommensteueränderungsgesetz 1983 vorgeschlagen hatten, allein aus
Haushaltsgründen zu übernehmen, so schwer es uns auch gefallen ist.
Übernommen haben wir — allerdings nicht allein aus Haushaltsgründen, sondern weil wir dies auch für eine richtige Maßnahme gehalten haben — den Ausschluß bestimmter ausländischer Verluste vom Ausgleich mit inländischen Einkünften. Dies habe ich hier bereits in der Rede zur ersten Lesung angedeutet. Aber wir werden nicht darum herumkommen, im Laufe der nächsten Jahre — das darf ich dem Herrn Bundesfinanzminister ganz besonders ans Herz legen — endlich einmal sauberere, systematischere, einfachere und trotzdem wirkungsvollere Maßnahmen als diese zu treffen.
Eine Lösung des Problems wollen wir dadurch erreichen, daß volkswirtschaftlich unverantwortbare Verlustzuweisungsgesellschaften nicht mehr Platz greifen dürfen. Aber das muß in ordentlicher Weise gemacht werden.
Ich muß schon sagen, ich war bei der Rede des Herrn Finanzministers Posser ungeheuer erstaunt, denn er hat hier behauptet, der § 15 a sei überhaupt nur auf sein Betreiben ins Einkommensteuergesetz hineingekommen. Ich erinnere mich ganz genau daran, daß ich an dieser Stelle im Jahre 1970 — oder war es 1971? — dem seinerzeitigen Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesfinanzminister, Porzner, angeboten habe, an einer sauberen Lösung, mit der ein Ausschluß von volkswirtschaftlich unverantwortbaren Verlustzuweisungsgesellschaften erreicht wird, mitzuwirken. Ich kann nur sagen, der Bundesfinanzminister — es war nicht Herr Matthöfer allein; seine Vorgänger haben in dieser Sache nämlich auch nichts getan — hat sich sehr lange Zeit gelassen, bis er versucht hat, das Thema einigermaßen in den Griff zu bekommen.
Die Beispiele, die Herr Posser hier mit großer Emphase vorgetragen hat, sind durchweg Beispiele gewesen, die in der Zeit vor der Einführung des § 15 a, vor dem Ausschluß dieser Verlustzuweisungen, entstanden sind.
Herr Abgeordneter Kreile, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Köhler?
Herr Präsident, wenn ich dann meine Zeit um zwei Minuten überziehen darf, beantworte ich die Frage gern.
Das kann ich Ihnen nicht erlauben.
Herr Kollege, weil Sie den Namen des Landesfinanzministers Posser noch einmal in die Diskussion eingeführt haben, möchte ich mir gern die Frage erlauben, ob Sie imstande wären, die unglaubliche Unkenntnis des Ministers, die er heute vormittag nachgewiesen
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Dr. Köhler
hat, wenigstens über das Protokoll richtigzustellen. Er hat nämlich behauptet und dieses Hohe Haus davon unterrichten wollen, der Höchstsatz der Einkommensteuer fange bei einem Ledigen erst bei einem Einkommen von 1,5 Millionen DM im Jahr und bei einem Verheirateten erst bei 3 Millionen DM an.
Ich würde von Ihnen gern die beiden tatsächlichen Sätze hören, damit der Minister über das Protokoll die Wahrheit erfährt.
Herr Dr. Köhler, in solchen Fällen ist immer — so hat es mich mein verehrter Rechtsprofessor seinerzeit gelehrt — ein Blick ins Gesetz nützlich.
Wenn ich den § 32 a des Einkommensteuergesetzes richtig im Kopf habe, steht darin, daß der Satz von 56 %, also der Höchststeuersatz, ab einem Einkommen von 130 000 DM angewandt wird. Nun weiß ich nicht genau, was ein nordrhein-westfälischer Finanzminister verdient. Ich weiß auch nicht, ob Herr Dr. Posser im Höchstsatz ist oder ob er verheiratet ist und deswegen etwas darunterliegt. Aber ich muß schon sagen, ich finde es erstaunlich — zumindest hat es in meinen Ohren so geklungen —, wenn eine solche mißverständliche Formulierung hier in dem Hohen Hause gebracht wird.
Herr Kollege Kreile, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spöri?
Ich darf nur sagen: ich muß noch zu dem Splittingverfahren etwas sagen.
Herr Dr. Kreile, es ist Ihre freie Entscheidung, ob Sie Fragen zulassen oder nicht.
Dann lassen Sie mich lieber, Herr Dr. Spöri, zum Splittingverfahren kommen. Denn hier haben wir — —
Sie wollen keine Fragen mehr beantworten?
Nein.
Hier haben wir nicht die von Ihnen vorgesehene Kappung übernommen, mit gutem Grunde, denn die Kappung des Einkommensteuersplittings, wie Sie sie vorgehabt haben, war ein absolut phantasieloser und außerdem — ich bitte den Herrn Professor des öffentlichen Rechts, Dr. Ehmke, den ich sehr verehre in seiner Eigenschaft als Professor, mir zuzuhören — ein absolut verfassungswidriger Eingriff, den Sie hier vorgenommen haben. Der Bundesfinanzminister hat Ihnen heute schon vorgetragen — und ich darf das mit dem genauen Zitat wiederholen —, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 3. November 1982 in den Leitsätzen erklärt hat:
Das Splittingverfahren entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Diese Ehegattenbesteuerung
— sagt das Bundesverfassungsgericht —
steht auch im Einklang mit den Grundwertungen des Familienrechts, wie sie im Zugewinnausgleich und im Versorgungsausgleich zum Ausdruck kommen.
Das bedeutet also,
— wenn ich meinen Satz noch fertigmachen darf — das Splittingprinzip bleibt als verfassungsrechtliches Gebot bei der notwendigen Neuordnung der Familienbesteuerung das tragende Element. Dieses tragende Element werden wir, wenn wir jetzt darangehen — nach der gewonnenen Bundestagswahl vom 6. März —, ein Familiensplitting einzuführen, zur Grundlage unserer Steuerpolitik im Bereich der Familienpolitik machen.
Herr Professor!
Herr Abgeordneter Kreile, erlauben Sie eine Frage des Herrn Professor Ehmke?
Mit Vergnügen.
Verehrter Herr Kollege Kreile, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß darüber der Streit gar nicht geht? Der Herr Bundesfinanzminister hat heute behauptet, daß die Beschränkung des Splittingvorteils, wie sie von der sozialliberalen Koalition vereinbart war, verfassungswidrig sei, und davon steht im Urteil kein Wort. Das Verfassungsgericht — das würden Sie mir doch sicher zugeben, Herr Kollege — würde auch gar nicht daran denken, in dieser Weise in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers einzugreifen.
Herr Professor Ehmke, natürlich greift das Verfassungsgericht nicht in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ein. Aber es gibt die verfassungsrechtlichen Schranken für das, was der Gesetzgeber tun darf.
Ich darf nur noch einmal ganz kurz wiederholen, warum die Kappung, die Sie vornehmen wollten, verfassungswidrig ist. Es ist ganz offensichtlich. Bei einem Einkommen von 130 000 DM ist eine Kürzung, wie Sie sie vorgesehen haben, dann möglich oder erforderlich, wenn Sie allein, Herr Professor, 130 000 DM verdienen. Wenn Sie aber 125 000 DM verdienen und Ihre verehrte Frau Gemahlin 5 000 DM Einkommen hat, Sie zusammen also 130 000 DM Einkommen haben, dann greift Ihre Kappung nicht. Die Ehepaare sind also bei völlig gleichgelagerten Einkommen ungleich behandelt. Das ist der verfassungsrechtliche Grund. Das wis-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8759
Dr. Kreile
sen Sie in der Zwischenzeit auch ganz genau. Denn im obiter dictum des Bundesverfassungsgerichtsurteils — Sie haben es ja sicherlich nachgelesen — ist dies auch dargelegt.
Herr Kollege Ehmke, ich kann jetzt nicht fragen, ob Herr Dr. Kreile noch eine Frage zuläßt, denn seine Redezeit ist schon überzogen. Er ist über dem Limit.
Ich darf noch einen Schlußsatz sagen. Wir erkennen durchaus, daß die in dem vorgelegten Gesetzentwurf enthaltenen steuerlichen Regelungen nur erste Dringlichkeitsmaßnahmen sind. Aber in der Not der Zeit und unter dem Diktat der leeren Kassen hat die Bundesregierung getan, was innerhalb von zwei Monaten möglich und unerläßlich war, um erstens möglichst schnell die Bautätigkeit wieder anzukurbeln, was auch auf viele andere Bereiche ausstrahlen dürfte, und zweitens die Investitionsfähigkeit der Wirtschaft zu verbessern; denn Arbeitsplätze gibt es nur über Investitionen. Wir werden deswegen auf diesem Weg, der eingeschlagen worden ist, nach dem 6. März fortfahren, und auf diesem Weg werden wir unseren Bundeskanzler Kohl begleiten und die Finanzpolitik des Bundesministers Stoltenberg unterstützen.
Es ist der richtige Weg zur Sanierung der Wirtschaft und damit der richtige Weg zur Gesundung unseres Staates. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gobrecht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kreile, da ich Sie und Ihre Argumentationsfähigkeit aus dem Ausschuß kenne, muß ich Sie fragen: Meinen Sie wirklich im Ernst, daß Abgaben- und Steuererhöhungen, wenn sie von der CDU/CSU oder von einer von ihr geführten Koalition vorgenommen werden, gute Abgaben- und Steuererhöhungen sind, während es ein halbes Jahr zuvor, als dieselben Steuererhöhungen zur Förderung der Investitionen, zur Förderung der Beschäftigungspolitik von der sozialliberalen Koalition vorgeschlagen wurden, schlechte Erhöhungen waren?
Wenn Sie das alle bejahen — der Kollege Kreile ist da etwas differenzierter als seine Fraktionskollegen —, dann ist das schon eine komische Moral, um es ganz, ganz höflich auszudrücken.
Nun haben Sie und der Kollege Köhler, der auch im Finanzausschuß sitzt, das Beispiel des Finanzministers Posser zur Steuerbelastung und die Frage angesprochen, wann eine durchschnittliche Einkommensteuerbelastung von 55 % eintritt. Das ist nicht der Grenzsteuersatz, was er ausdrücklich gesagt hat, sondern der Durchschnittssteuersatz.
Dann wurden die von ihm vorhin genannten Beträge, die soeben zitiert worden sind, aufgeführt. Wenn ein Kollege aus dem Finanzausschuß darauf eine Frage gründet, hätte ich erwartet, daß er keinen Buhmann aufbaut, sondern unmittelbar an die präzise Formulierung des Beispiels von Herrn Posser anknüpft.
Das heißt also, das war nicht ganz sauber.
Lieber Kollege Kreile, ein bißchen enttäuscht es mich schon, wenn Sie hier wie allerdings auch viele andere, insbesondere CSU-Kollegen, die sich sonst nicht so differenziert äußern, sagen, die SPD habe beschlossen, man müsse die „Belastbarkeit der Wirtschaft" ausprobieren. Das hat einmal ein Debattenredner — ich möchte sagen: ein Kabarettist — auf einem Parteitag der SPD gesagt. Dies ist nie und nimmer ein Beschluß der Sozialdemokraten gewesen. Es ist wirklich auch Unsinn, um kein härteres Wort zu gebrauchen. Deswegen sollten Sie, da Sie das wissen — ich war damals selbst dabei und habe das selbst gehört — nicht immer wieder hier hervorholen und so tun, als ob diese hübsche kabarettistische Formulierung, die wirklich jedes sachlich-politischen Inhalts entbehrt, ein Beschluß der Sozialdemokraten sei.
Meine Damen und Herren, in der Zirkuskuppel geschehen so manche Dinge, die flott und schnell gehen.
Da meistens mit Netz geturnt wird, passiert auch nicht so viel. Wenn man das allerdings auf das überträgt, was in den letzten Wochen seit dem 1. Oktober 1982 finanz- und steuerpolitisch geschehen ist, so staune ich schon sehr darüber, wie schnell man einen Salto rückwärts vollführen kann. Das haben Sie wirklich außerordentlich schnell geschafft.
Ich habe jetzt zwar eine Person angeguckt, lieber Herr Kollege von Wartenberg, aber keine Person genannt, und ich will auch das Stichwort Vorsorgepauschale hier nicht weiter vertiefen. Das meine ich gar nicht so konkret.
Sehr viel konkreter meine ich die Schnelligkeit, mit der Sie die Rückfahrt in die 60er Jahre im Bereich der Finanz- und Steuerpolitik angetreten haben, mit der Sie das Parlament hier dazu gebracht haben, Steuergesetze zu verabschieden, die
8760 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Gobrecht
wir nicht ausreichend intensiv haben beraten können. Wenn die Sozialdemokraten nicht dringend und schnell zu einer Neuwahl hätten kommen wollen, dann hätten wir sicherlich ein ganz großes Stopplicht aufstellen müssen; denn in dieser Schnelligkeit kann man nun wirklich keine Steuergesetze machen. Ich spreche da nicht wie ein Blinder von der Farbe, sondern ich weiß um die Schwierigkeiten und um die Vorwürfe, die es in der Vergangenheit gegeben hat, wenn wir im Finanzausschuß schnell arbeiten mußten. Allerdings: Die absolute Prämie für Schnelligkeit, für Hektik, die haben Sie in diesen Wochen verdient. Denn heute, eine Woche vor dem vierten Advent, sollen ganz immense steuergesetzliche Änderungen hier verabschiedet werden. In der Woche vor Heiligabend, in der nächsten, sollen die noch den Bundesrat passieren. Am 1. Januar 1983 sollen sie in Kraft treten. Dieses D-Zug-Tempo hat es hier nun wirklich noch nicht gegeben. Das bekommt der Steuerpolitik nicht gut.
Sie sollten sich da wirklich einmal etwas an Ihre eigene Kritik erinnern und daraus Folgerungen ziehen, auch wenn Sie ab 6. März nicht so viele Chancen haben werden, konkrete Terminbestimmungen vorzunehmen, weil dann hier wieder eine andere Mehrheit Politik machen wird.
Bei diesem schnellen Salto rückwärts ist die Steuergerechtigkeit in vielen, vielen Punkten abhanden gekommen. Während Sie von der CDU/ CSU-Fraktion immer wieder Sozialdemokraten bei bestimmten Bereichen Ideologie vorgeworfen haben, muß man hier in aller Sachlichkeit sagen: die schwarze Steuerideologie zieht sich, einem schwarzen Faden entsprechend, durch die wesentlichen steuergesetzlichen Änderungen. Zum Beispiel: Wir müssen jetzt offensichtlich zurück — wenn auch, hoffe ich, nur für kurze Zeit — zu dem alten ungerechten steuerlichen Kinderfreibetrag, dessen unsoziale Wirkung jeder kennt, weil damit praktisch das Kind des Arbeiters dem Staat nur ein Drittel von dem „wert" ist, was das Kind eines Millionärs dem Staat an Steuerentlastungen „wert" ist.
Das ist mit Sicherheit keine soziale Steuerpolitik.
Hier ist mehrfach schon diskutiert worden — man muß ja leider das eine oder andere wiederholen — über die Zwangsanleihe. Als wir hier in der ersten Lesung über die sogenannte Zwangsanleihe die Investitionsanleihe sprachen, haben wir gesagt, wir würden mit allem Engagement prüfen, wie es denn mit der Verfassungsrechtlichkeit dieser Zwangsanleihe bestellt sei. Dies ist inzwischen sehr intensiv geprüft worden. Jeder, der die Unterlagen hat lesen können, die sich aus dem Anhörungsverfahren im Rechtsausschuß ergeben haben, jeder, der nur die Berichterstattung darüber in der Presse hat lesen können, konnte feststellen, daß die Verfassungsrechtler, die einvernehmlich bestellt worden waren, zu dem Ergebnis kamen, daß diese Zwangsanleihe in zweifacher Hinsicht verfassungsrechtlich zumindest nicht einwandfrei sei. Gleichwohl haben Sie daran festgehalten. Gleichwohl muten Sie dem Deutschen Bundestag zu, hier mit Mehrheit eine solche Zwangsanleihe zu verabschieden.
Dies ist an sich schon ein Vorgang, den man wirklich ganz entschieden kritisieren muß. Als Sozialdemokrat füge ich über diesen gewichtigen Punkt hinzu, daß es natürlich völlig unverständlich ist, daß hier so eine Art Feigenblatt gemacht wird, mit dem scheinbar die Besserverdienenden zu etwas herangezogen werden, was sie nachher auch noch wiederkriegen. Wenn es überhaupt Tatsache wird, wenn sie sich nicht entziehen wollen, haben sie bestenfalls einen Zinsverlust — und das noch mit einem Instrument, das eindeutig nicht verfassungskonform ist.
— Dagegen, verehrter Herr Kollege Zwischenrufer, gibt es ein sauberes Instrument,
mit dem man eindeutig und klar und ohne Rückzahlung die Besserverdienenden im Lande heranziehen kann, das im Grundgesetz verankert ist, das also wirklich sauber ist —
sowohl rechtlich als auch sozial. Das ist die Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer,
mit der man genügend Mittel hereinbekommen könnte, um beschäftigungswirksame Maßnahmen zu finanzieren. Damit könnte man die Besserverdienenden auch wirklich einmal heranziehen, ohne daß sie sich mit Leichtigkeit davonstehlen könnten.
Sie werden doch wohl auch gefragt werden, wenn Sie mit den Bürgern sprechen, was ich von Abgeordneten annehme: Wie ist es denn eigentlich überhaupt vertretbar, daß hier etwas erhoben wird, was vielleicht gar nicht kommt — nämlich diese Zwangsanleihe —, und später zurückgezahlt wird, während Sie auf der anderen Seite das SchülerBAföG definitiv kürzen — keiner von Ihnen denkt daran, das jemals zurückzugeben —, das Wohngeld definitiv kürzen — keiner denkt daran, das einmal zu erstatten —, die Renten weniger erhöhen als vorgesehen ist — keiner denkt daran, das einmal nachzuzahlen? Das muß man auch einmal im Kontext sehen. Das heißt, diese Zwangsanleihe ist verfas-
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sungsrechtlich wirklich nicht sauber, nicht in Ordnung und absolut unsozial.
Wenn Sie wenigstens — und das hat gerade in einem Frage-und-Antwort-Spiel eine gewisse Rolle gespielt — aus dem Entwurf eines Einkommensteueränderungsgesetzes von SPD und FDP die Kappung des Ehegattensplittings übernommen hätten, wären die Besserverdienenden wenigstens in einem einzigen Punkt herangezogen worden.
Eines ist doch klar: Wenn man das Urteil liest — und der Herr Finanzminister hat es, so, wie er heute morgen gesprochen hat, zumindest nicht präzise im Kopf gehabt; er sollte das noch einmal nachprüfen —,
stellt man fest, daß es eindeutig sagt, daß dies ein Bestandteil sei, der durchaus der politischen Disposition des Gesetzgebers zur Verfügung stehe, daß nur keine beliebigen Änderungen vorgenommen werden dürften. Das heißt also, die Kappung des Ehegattensplittings ist in einem Kontext ohne weiteres möglich. Ich kann angesichts des Beitrages, den auch Besserverdienende in einer so schwierigen Lage leisten müssen, überhaupt nicht einsehen, daß nun ausgerechnet die 150 000 am besten verdienenden Ehepaare sozusagen in einem Naturschutzpark von leistungslosen Steuervergünstigungen bleiben sollen.
— Das Wort Klassenkampf höre ich ganz besonders gern. Dazu bin ich besonders geeignet.
Wenn ich dann von Familiensplitting höre, als ob das eine Wunderwaffe sei, mit der nun wirklich alles gemacht werden könnte — zudem sei es aufkommensneutral —, muß ich sagen: In meinen Augen ist das wirklich eine Art ideologisches Phantom, das niemals konkret in die Tat umgesetzt werden kann, schon gar nicht ohne immense finanzielle Belastungen für die Haushalte von Bund und Ländern. Denn, meine Damen und Herren, bisher gibt es kein Modell — und da sollten sich die Kolleginnen und Kollegen doch einmal bei den sachkundigen Leuten im Bundesfinanzministerium oder, wenn sie denen nicht glauben, in einem Landesfinanzministerium erkundigen —, wo sich das Kind durchschlagend positiv und entlastend auswirkte, sondern es ist immer das Einkommen, das die entscheidende steuerliche Entlastung auslöst. Der Faktor Einkommen — wenn ich das einmal so technisch sagen darf — wird bei jeder Form von Familiensplitting sehr viel stärker gewichtet, unsozialer gewichtet, als der Faktor Kind.
Das kann also überhaupt nichts werden, schon gar nicht, ohne daß das die Haushalte stark belastete.
Wenn ich dann wieder diese schönen Worte höre, es müsse endlich weniger Bürokratie geben, es gäbe viel zu viele Gesetze, und dann konkret an dem vorliegenden Haushaltsbegleitgesetz prüfe, was darin an Bürokratieabbaumaßnahmen enthalten ist, muß ich Ihnen sagen: Ich sehe da überhaupt keine Entlastungsmaßnahmen, was Bürokratie, was Papierflut anlangt, sondern das sind lauter neue Instrumente, die einen immensen bürokratischen Aufwand bewirken. Die Zwangsanleihe, die ich unter einem anderen Gesichtspunkt schon behandelt habe, erfordert doch nun Auflistungen, Vorbereitungen, damit das Geld irgendwann wieder erstattet werden kann. Das ist mit unheimlich viel Papieraufwand für alle Beteiligten verbunden. Die sogenannte Insolvenzrücklage, die mit einem Bescheinigungsverfahren eingeführt werden soll, das zwar bei obersten Landesbehörden angesiedelt werden soll, das aber natürlich bis zu den gemeindlichen Ordnungsämtern hinunterreichen wird, damit solche Bescheinigungen überhaupt erstattet werden können, taugt einfach nichts, um kein härteres Wort zu sagen.
Es löst nicht das Problem, das dahintersteckt — das ist wirklich ein Problem —, und es bringt auch noch einen unheimlichen Papieraufwand mit sich. Das kann man weiß Gott nicht positiv bewerten.
Meine Fraktion, die sozialdemokratische Fraktion, meine Damen und Herren, lehnt mit Entschiedenheit den neuen Eingriff in die Gewerbesteuer ab;
denn dies ist der Weg in die Aushöhlung der kommunalen Finanzautonomie. Dies führt dahin, daß die Gemeinden schließlich nur noch von Subsidien des Landes oder möglicherweise des Bundes abhängig wären.
Das hat nichts mehr mit der Autonomie der Gemeinden zu tun. Ich muß mich da wirklich wundern: Warum hören Sie denn nicht wenigstens, wenn Sie schon nicht auf vernünftige Argumente, wenn Sozialdemokraten sie vorbringen, eingehen, auf die eigenen Oberbürgermeister — es gibt ja noch einige bei der CDU und CSU?
Fragen Sie doch z. B. einmal Herrn Rommel, den Oberbürgermeister von Stuttgart, der dazu sehr klar und sehr deutlich etwas gesagt hat.
Sie fahren auch da so eine Art Doppelweg, wenn nicht sogar so eine Art eine doppelte Moral, indem Sie auf der einen Seite abräumen und sich auf der anderen Seite zu Hause, in den Gemeinden, als ganz besonders kommunalfreundliche Partei darstellen.
Meine Damen und Herren, Sie sind da ein bißchen der gemeindefeindlichen Steuerideologie der
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FDP aufgesessen, die in den Gemeinden j a überhaupt keine Rolle spielt. Sie spielt in den Gemeinden im Grunde genommen, um es anders zu sagen, heute schon die Rolle, die die FDP im Bund nach dem 6. März spielen wird. Sie sollten gleichwohl der Steuerideologie der FDP da nicht aufsitzen.
Ein letzter Punkt noch, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir haben hier neulich ausführlich über den Finanzausgleich debattiert. Hier hat der Finanzausschuß auch eine Anhörung von Sachverständigen quer durch die Farben gemacht. Eines ist dabei auf jeden Fall klipp und klar herausgekommen, daß das, was jetzt mit Mehrheit in das Haushaltsbegleitgesetz zum vertikalen und horizontalen Finanzausgleich hineingeschrieben werden soll, nicht verfassungskonform ist.
Da ich sicher bin, daß hier mindestens ein Land klagen wird, werden Sie das alsbald auch noch bestätigt bekommen. Wenn Ihnen so viel Sachverstand dies sagt, dann verstehe ich nicht, wie man sehenden Auges sozusagen gegen die Verfassung einen solchen Punkt mit Mehrheit verabschieden kann, der automatisch negativ ausgehen muß, und zwar dann leider negativ für alle, die hier gesessen haben.
Wir weisen Sie noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß das nicht geschehen sollte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie zum Schluß: auch aus diesem Grunde der Finanz- und Steuerpolitik stimmen Sie am Freitag bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers mit Nein oder enthalten Sie sich wenigstens; denn damit fällen Sie auch ein Urteil über diese falsche Politik der Übergangsregierung der Rechtskoalition. Sie sorgen damit dafür, daß am 6. März eine neue, eine fortschrittliche Regierung gewählt werden kann. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hackel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, was wir am Freitag machen, welche Art von Enthaltung und warum wir das machen, werden wir am Freitag begründen. Das wird der Bundeskanzler hier vortragen. Sie brauchen keine Angst zu haben, daß wir uns Ihre Begründung zu eigen machen. Wir haben eine andere und werden aus guten Überlegungen heraus so handeln, wie das die Fraktion beschlossen hat.
Zum Abschluß dieser verbundenen Debatte hier ist es vielleicht einmal angebracht, einige Worte der Zusammenfassung zu sagen. Es ist von SPD-Seite in diesen Tagen einiges Erstaunliches bis Merkwürdiges genannt worden. Ich will nur einen Punkt herausgreifen, den Herr Kollege Roth heute am frühen
Nachmittag angesprochen hat. Er hat davon geredet, daß die Nettoneuverschuldung im Jahre 1983 wahrscheinlich die 50-Milliarden-Grenze übersteigen wird. Herr Kollege Roth, wie wäre es denn gewesen, wenn diese Bundesregierung im Amt geblieben wäre?
28,5 Milliarden Mark, Herr Kollege Walther, hat die alte Bundesregierung in den Haushalt als Nettoneuverschuldung eingestellt. Damit hat sie uns — das wissen Sie ganz genau — im Grunde genommen Potemkinsche Dörfer aufgebaut.
Sie hat sowohl bei der Steuerschätzung wie auch bei der Beurteilung der voraussichtlichen Zahl der Arbeitslosen weit danebengegriffen.
Wir haben beim Kassensturz festgestellt, daß wir etwa eine Größenordnung von 20 Milliarden haben, die nicht gedeckt ist.
Als wir diese Größenordnung klarlegten, als klar war, daß es sich um fast 20 Milliarden handelt, haben Sie sich hier hergestellt und gesagt: Wir wollen wählen, meine Damen und Herren, und zwar jetzt sofort. Offensichtlich wollten Sie damit verhindern, daß diese Zahl in ihrem ganzen Ausmaß dem Bürger bekannt wird.
28,5 Milliarden Nettoneuverschuldung im alten Haushalt plus fehlerhafte Zahlenangabe plus die Nichtverabschiedung der Begleitgesetze, die von Ihnen noch eingebracht werden sollten, in Höhe von 8,5 Milliarden DM, hätten eine Gesamtverschuldung für das Jahr 1983 von 55 Milliarden DM ausgemacht. Von dieser Neuverschuldung von über 55 Milliarden DM mußte diese neue Regierung ausgehen. Sie hat diese Zahlen offengelegt. Meine Damen und Herren, das ist etwas Neues. Zum erstenmal seit Jahren hat eine Regierung wieder klargemacht, wie die Zahlen in einem Haushalt wirklich aussehen.
Ich finde, dies war ein sehr wichtiger Schritt für den Neubeginn einer Politik im Sinne von Glaubwürdigkeit,
im Sinne von Haushaltswahrheit und im Sinne von Haushaltsklarheit — das, was Sie in den letzten fahren bewußt nicht praktiziert haben.
Meine Damen und Herren, die übernommenen Begleitgesetze der alten Regierung und die Begleitgesetze der neuen Bundesregierung zusammen und das, was der Haushaltsausschuß bei den Etatberatungen noch aus den einzelnen Etats herausgequetscht hat, nämlich einen Betrag in der Größenordnung von 580 Millionen DM, haben dieser Regierung die Möglichkeit gegeben, etwa 15 Milliarden
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Dr. Hackel
DM einzusparen. Das ist eine wirklich bemerkenswerte Größenordnung.
Bei diesen 580 Millionen DM ist dem Haushaltsausschuß durchaus zugute gekommen, daß z. B. eine Senkung der Verzinsung bei Bundesschatzbriefen und bei Schulddarlehen möglich war.
Wir haben aber auch etwas durchgesetzt, was die alte Regierung durchzusetzen sich nicht gewagt hat. Wir haben nämlich eine Herabsetzung der Verzinsung der Ausgleichforderung der Bundesbank von 3 % auf 1 % durchgesetzt. Wir wissen, daß der Bundesfinanzminister über diese Maßnahme des Haushaltsausschusses nicht glücklich gewesen ist; aber das Parlament ist souverän. Ich gehe davon aus, daß das gesamte Haus bei der Abstimmung über die Einzeletats entsprechend verfahren wird.
Wesentlich ist, daß dieser neue Haushaltsentwurf der Wirtschaft neue Impulse gegeben hat. Wir haben ein wohnungspolitisches Sofortprogramm eingeleitet; wir haben steuerliche Erleichterungen für den Mittelstand konzipiert; wir haben eine verstärkte Förderung von Existenzgründungen vorgesehen; die Beendigung des Verkabelungsstopps ist abzusehen. Daneben sind gerade die Offenlegung der Haushaltslage und die Einleitung der Haushaltssanierung erste Schritte in Richtung auf eine wirtschaftspolitische Klimaveränderung in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir können feststellen, daß sich diese ersten Schritte und Maßnahmen gerade in einer so sensiblen Region wie Berlin ausgewirkt haben. Am letzten Wochenende hat in Berlin eine für diese Stadt sehr bedeutende Wirtschaftskonferenz stattgefunden. Diese Konferenz hatte einen unerwartet großen Erfolg. Voraufgegangen war — das war für die Entscheidungen der Wirtschaftsfachleute wesentlich — eine Aufstockung der Berlin-Hilfe um 50 Millionen Mark, die der Haushaltsausschuß einstimmig beschlossen hat, eine von der neuen Regierung wieder in den Etat eingesetzte Flugpreissubvention sowie die gemeinsame Verabschiedung des Berlinförderungsgesetzes durch das gesamte Haus. Ich möchte von dieser Stelle aus gerade als Berliner Abgeordneter dem Bundesfinanzminister, dem Haushaltsausschuß, allen anderen Ausschüssen, die sich damit beschäftigt haben, und dem gesamten Haus dafür danken, daß Berlin auf diese Art und Weise noch einmal geholfen wurde.
Dies wurde ganz offensichtlich auch von der Wirtschaft so verstanden, wie es gemeint war: als Versuch, die Talfahrt in Berlin nun endlich zu stoppen und wieder nach oben weisende Entwicklungen in Gang zu setzen. Die Zusagen, die in Berlin gemacht worden sind — etwa: zukunftsträchtige Produktionen nach Berlin zu bringen, ca. 3 000 Arbeitsplätze zu schaffen, mehrere hundert Millionen DM in vorwiegend intelligente Produkte zu investieren und Teile des Managements und der Forschung nach Berlin zu verlegen, um damit die Bedeutung Berlins für ganz Deutschland deutlich zu machen —, sind
im Grunde genommen Ausdruck des Zutrauens der Wirtschaft und vieler Teile der Bevölkerung zur neuen Regierung und zum Berliner Senat.
Dabei sind aus meiner Sicht zwei Aspekte besonders festzustellen:
Erstens. Sowohl Vorbereitung als auch Einsatz und Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung einerseits und dem Berliner Senat andererseits haben gezeigt, daß etwas erreicht werden kann, wenn man sich ordnungsgemäß um die Belange einer bestimmten Region — in diesem Falle: um die Belange Berlins — kümmert.
Zweitens. Sowohl die Ausführungen des Bundeskanzlers wie die des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, die Leitung der Konferenz durch Helmut Kohl und die Bildung von vertrauensvoller Atmosphäre während dieser Wirtschaftskonferenz haben gezeigt, daß auch in einem freien und einem der sozialen Marktwirtschaft verpflichteten Gemeinwesen ein Gesamtbild von Führung gezeigt werden kann, wie es in den letzten Jahren in dieser Form von einer Bundesregierung oder von früheren Berliner Senaten nicht gezeigt worden ist.
Auch das ist eine Bemerkung, die deswegen zutreffend und von besonderer Bedeutung ist, weil sich selbst der Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, Herr Vogel, und die Gewerkschaftsführer in Berlin und im DGB einer solchen Beurteilung nicht entziehen konnten.
So möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich der gesamten Bundesregierung, aber insbesondere dem Bundeskanzler, und dem Berlin-Bevollmächtigten im Bundeskanzleramt für die Ergebnisse, die diese Konferenz gezeitigt hat, danken. Ich bin fest davon überzeugt, daß über den Tag hinaus diese Konferenz für die Berliner Wirtschaft von entscheidender und nachhaltiger Bedeutung sein wird.
Ich fasse zusammen. Was wir in Berlin greifbar erlebt haben, ist im Grunde genommen auch für das übrige Bundesgebiet bereits sichtbar geworden. In weniger als 80 Tagen schließt die Bundesregierung eine vorläufige Bilanz, die sich sehen lassen kann. Die Sanierung der Staatsfinanzen ist in Angriff genommen worden. Der Haushalt 1983 steht kurz vor der Verabschiebung. Das begleitende Gesetz zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung steht vor seiner Verabschiedung. Die Zinsen sinken, und auch die Preissteigerungskurve, Herr Kollege Walther, ist rückläufig.
Dennoch werden wir eine schwere Erblast in diesem Winter haben. Wahrscheinlich 2,5 Millionen Arbeitslose, die wir Ihnen zu verdanken haben, sind eine Erblast, die so schnell, in wenigen Wochen, nicht zu beseitigen ist.
Aber die Weichen sind gestellt, meine Damen und Herren. Wirtschaft und Kapitalmarkt fassen wieder
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Dr. Hackel
Vertrauen. Die Arbeitnehmer sehen erste Leuchtfeuer am Horizont. Ich bin ganz fest davon überzeugt, daß der größte Teil der deutschen Bevölkerung dieser neuen Regierung, dieser Koalition der Mitte, bei den Wahlen im März nächsten Jahres eine entsprechende Bestätigung geben wird, so daß diese Politik auch im Jahre 1983 und in den folgenden Jahren erfolgreich fortgesetzt werden kann.
Weitere Redner zur Aussprache über diese Tagesordnungspunkte sind mir nicht gemeldet. Ich schließe die allgemeine Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 08, Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen, auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2306 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 08 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke sehr. Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Der Einzelplan 08 ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 32, Bundesschuld, auf. Wer dem Einzelplan 32 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, auf. Wer dem Einzelplan 60 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, auf. Wer dem Einzelplan 20 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit allen Stimmen angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 09, Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, auf. Hierzu liegt auf Drucksache 9/2307 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer lehnt ihn ab? — Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 09 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Einzelplan 09 ist in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 1 bis 7 a und 8 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, verzeichnet auf der Drucksache 9/2283, zur Abstimmung in zweiter Beratung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Vorschriften sind angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 9/2287 — Finanzplan des Bundes 1982 bis 1986. Der Ausschuß empfiehlt, von der Unterrichtung durch die Bundesregierung auf Drucksache 9/1921 Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Ich stelle fest, das ist nicht der Fall. Der Bundestag hat davon Kenntnis genommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt auf: Einzelplan 31
Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft
— Drucksachen 9/2162, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Rose Zander
Dazu kommt die zweite Beratung des Art. 15 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist verbundene Debatte mit einer Runde für den Einzelplan 31 und den Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch.
— Eine Stunde? Dann bin ich in meiner Vorlage falsch unterrichtet. Also eine Stunde? — Das Haus ist auch mit einer Stunde, nicht nur mit einer Runde einverstanden.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Rose das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Während im letzten Jahr der Einzelplan des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft das Schlußlicht in den Haushaltsberatungen bildete, ist er dieses Jahr — nicht zuletzt durch die verbundene Debatte wegen des Artikels 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 — in den Mittelpunkt des Interesses gelangt.
Hört man die plötzlichen Wehklagen der jetzigen Opposition, dann könnte man meinen, weil jetzt das Bundesausbildungsförderungsgesetz einer Änderung unterworfen wird, käme es zum Stillstand der Bildungspolitik in diesem Land. Doch auch wenn das Getöse von Ihnen oder von anderer interessierter Seite noch so laut wird, meine Damen und Herren, so bleibt doch folgendes festzuhalten:
Erstens. Der Bildungsetat des Bundes nimmt nicht ab, wie man angesichts leerer Kassen vermuten müßte, sondern er nimmt zu. Während das Gesamtvolumen 1982 bei 4,494 Milliarden Mark lag, haben wir jetzt nach den Abschlußberatungen des Haushaltsausschusses für das Jahr 1983 eine
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Dr. Rose
Summe von 4,602 Milliarden Mark aufzuweisen. Das heißt, die Steigerung liegt bei 2,4 %.
Zweitens. Auch die jetzt so laut lamentierende SPD hatte sich in den letzten Jahren auf Kürzungen im Bildungsetat eingestellt. Kollege Glombig blieb es vorbehalten, im Sommer dieses Jahres von sozialpolitischen Abstrichen, die gemacht werden müssen, zu reden. Und auch Bundeskanzler Helmut Schmidt hat in seiner letzten Rede vor dem Deutschen Bundestag ausdrücklich von notwendigen Eingriffen in die Leistungsgesetze gesprochen.
Drittens. Meine Damen und Herren, das sollte man laut und deutlich sagen: In der kurzen Zeit der jetzigen Regierung ist es der Frau Minister — gestellt von der CDU — gelungen, eine deutliche Umschichtung ihres Etats im Hinblick auf eine zukunftsträchtige Bildungspolitik durchzusetzen, und zwar ganz im allseits geforderten Sinn der Beschränkung von konsumtiven Ausgaben zugunsten von investiven Ausgaben.
Meine Damen und Herren, diese Grundlinie, die in kürzester Zeit gefunden und durchgesetzt wurde, verdient unser aller Achtung.
Ich möchte deshalb zunächst den letzten Punkt kurz erläutern.
Während es in den letzten Jahren bei den Sozialliberalen, sagen wir lieber, bei den Sozialdemokraten schick wurde, laufend neue Problemgruppen zu entdecken und für sie Modellversuche zu starten, zuletzt noch für sogenannte alternative Lebensformen, verfahren wir jetzt endlich wieder nach einer Devise, die in die Zukunft führt: Mittel für den Hochschulbau, Mittel für den studentischen Wohnraumbau und auch für überbetriebliche Ausbildungsstätten, und zwar nicht wahllos, sondern gezielt dort, wo sie benötigt werden.
Beim Hochschulbau ist der vorgesehene Ansatz für 1983 um 230 Millionen DM auf insgesamt 1230 Millionen DM erhöht worden. Aber auch der schon zum Tode verurteilte Wohnraumbau für Studenten wird fortgesetzt, weil man unbedingt für die kommenden geburtenstarken Jahrgänge der Studenten eine Wohnungsnot soweit als möglich vermeiden will.
Meine Damen und Herren, die Bildungspolitik der CDU/CSU-Fraktion geht davon aus, daß trotz enger gewordener wirtschaftlicher und finanzieller Rahmenbedingungen die Zukunftschancen der jungen Generation nicht verschüttet werden dürfen. Sie will ferner, daß die Hochschulen und die anderen Einrichtungen der Fort- und Weiterbildung nicht sinnlos mit Hunderttausenden überfrachtet werden, sondern im Interesse einer fortbestehenden Wettbewerbsfähigkeit unseres Volkes auf allen Gebieten der Wissenschaft und Forschung gezielt genutzt werden.
In diesem Licht muß man auch die erneute Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses nach dem Graduiertenförderungsgesetz sehen. Und so ist die Erhöhung der Forschungsmittel an den Hochschulen um 4 % zu verstehen.
Ich habe hier als Haushaltspolitiker zu reden, der sich dafür verantwortlich fühlt, daß mit dem Geld der Steuerzahler vernünftige Politik gemacht wird. Ich blicke in diesem Zusammenhang auf die vergangenen 13 Jahre der sozialdemokratisch geführten Regierung zurück. Von den vielen bekannten, inzwischen natürlich aber schon vergessenen Namen will ich nur einen nennen, weil sich der Betreffende in Hamburg anschickt, weiterhin Karriere zu machen. Ich meine Herrn von Dohnanyi. Diese Leute sind mit ihrer Politik auf dem Bildungssektor längst gescheitert und werden auch in Zukunft nichts erreichen.
Von den sozialdemokratischen Bildungspolitikern wurde der Auftrag des Grundgesetzes, allen Bürgern gleiche Chancen zu bieten, gründlich mißverstanden, und zwar im Sinne der Aufforderung, ein Volk von Voll- oder zumindest Teilakademikern zu schaffen. Die Bildungspolitik bestand darin, eine bisher unbekannte Aufblähung des Apparats vorzunehmen und immer mehr Leute in diese Bildungspolitik hineinzuziehen. Am Schluß stand man dann vor einem Chaos, nämlich vor einer Kostenexplosion, die einfach nicht mehr zu bezahlen war.
— Nein, Gott sei Dank nicht! Ich bin selber dankbar, daß ich in Bayern zur Schule gehen konnte*).
Ich bin auch sehr dankbar, Herr Kollege Ehrenberg, daß ich meinen Sohn auf ein bayerisches Gymnasium schicken kann, weil ich mit Sicherheit weiß, daß er dort Besseres lernt.
Wenn Sie es hören wollen, sage ich es auch an dieser Stelle, obwohl ich das später noch einmal sagen werde: Ich bin auch ohne jene von Ihnen so sehr geforderten Einrichtungen etwas geworden. Ich will damit nur beweisen, daß man nicht auf der Linie fortfahren muß, für die sie hier eintreten.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch etwas anderes festhalten. Ich beziehe mich wieder auf die Kostenexplosion im Bildungswesen. 1970 wurden von Bund, Ländern und Gemeinden noch 27,6 Milliarden DM ausgegeben. Im Jahre 1980 betrugen die Ausgaben bereits 77 Milliarden DM. Man kann sich doch leicht vorstellen, daß es mit diesem rapiden Tempo nicht weitergehen konnte. Ich möchte Ihnen diese 77 Milliarden DM noch einmal erläutern; wir müssen sie im Vergleich zu den Aus-
*) Abg. Dr. Rose hatte nach eigener Angabe den Zuruf des Abg. Dr. Ehrenberg wie folgt verstanden: „Lernen Ihre Kinder in Hamburg?"
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Dr. Rose
gaben sehen, die z. B. für die Landesverteidigung anfallen. Den jungen Freunden, die dies hören können, möchte ich in diesem Zusammenhang gleich sagen, daß das Schlagwort „BAföG statt Raketen" doch überhaupt nicht stimmt. Es wird viel, viel mehr für die Bildung als z. B. für die Landesverteidigung ausgegeben.
Meine Damen und Herren, damit bin ich bereits beim Stichwort BAföG. Man muß dieses Thema heute hier natürlich ansprechen. Auch ich will, wenn ich hier vorne stehe und spreche, nicht kneifen, sondern ganz klar unsere Meinung zu diesem Thema sagen. Was wurde denn zu diesem Punkt nicht schon alles verbreitet — erst gestern wieder von den Kollegen Ehmke und Leber und heute von anderen! Man kann es deshalb nicht oft genug wiederholen: Natürlich bedauern auch wir, daß die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes nicht Schritt hält mit liebgewordenen politischen Vorstellungen. Natürlich würden auch wir jedem Jugendlichen und jedem Studierenden seinen ihm angemessen erscheinenden Lebensstandard bezahlen, an den er sich in den letzten Jahren so gewöhnt hat: seine Studentenbude, sein kleines, bescheidenes Auto, vielleicht sogar seinen Bausparvertrag, den er sich ja auch leisten konnte, seine Ausbildung bis zum 30. oder 35. Lebensjahr — auch das ist ja nicht mehr selten gewesen.
Natürlich könnten wir im gehabten Stil das BAföG weiter bezahlen. Wir bräuchten bloß eines zu machen, was Sie uns immer vorexerziert haben: Wir bräuchten bloß zusätzliche Milliardenschulden zu machen, nur damit wir von den Betroffenen nicht öffentlich gesteinigt werden.
Nun, die neue Regierung ist nicht dazu angetreten, das Finanzchaos der verflossenen Regierung zu vertiefen.
Wir wollen eine andere Politik, die uns langfristig wieder auf grüne Zweige bringt. Dazu gehören halt nun einmal verschiedene Sparmaßnahmen, die eigentlich längst fällig gewesen wären, hätte man sich nicht mit Täuschungen und Irreführungen über die Zeit retten wollen. Dazu gehört auch die Neuregelung beim Bundesausbildungsförderungsrecht.
Nun wissen wir, daß mit Ausnahme der unmittelbar Betroffenen, also der Studenten selber — dafür habe ich Verständnis —
— und mancher Eltern; selbstverständlich; wir wissen es —,
viele in der Bevölkerung uns recht geben, daß auch
der Studiensektor nicht ausgenommen werden
kann, wenn der Bevölkerung allgemein Sparmaßnahmen abverlangt werden.
Und weil hier einige Kollegen von der SPD heute so laute und zum Teil sogar nette Zwischenrufe machen, füge ich hinzu: In der Tat, auch Sie kämen doch nicht an Einsparungen und Einschränkungen beim BAföG vorbei.
Denn sonst würden unabhängig vom sowieso vorhandenen Sparzwang die Zahlen davongaloppieren. 1970 hatten wir 298 Millionen DM im Rahmen des BAföG ausgegeben. 1975 waren es schon 1,7 Milliarden. Und dann stieg das ständig an auf die Höhe von 2,4 Milliarden im Jahr 1982, so daß sogar die alte Regierung, gestellt von SPD und FDP, sich gezwungen sah, diese Summe einzufrieren, weil es so einfach nicht mehr weitergegangen wäre. Wenn Sie ehrlich sind, müssen auch Sie das sagen.
Brächte man jetzt keine Änderungen an, so gäbe es 1989 bei gleicher Gefördertenquote und einer geringen dem Lebensstandard angemessenen Anhebung der Bedarfssätze schon 4,5 Milliarden DM Ausgaben. Auch das sollte man immer wieder sagen.
Lassen Sie mich vielleicht einige Minuten noch auf die Angriffe verwenden, die hier ständig gegen die Kürzungen oder Änderungen beim BAföG gestartet werden.
Da wird gesagt, Bildung sei in Zukunft nur noch für Reiche, nur noch für die Besserverdienenden möglich. Das haben wir heute schon gehört. Als wäre „besserverdienend" inzwischen zum Schimpfwort geworden! Da muß ich Sie alle, die Sie hier als Abgeordnete der Opposition sitzen, auch angesichts der vielen Nebengeschäfte, die manche von Ihnen sicher haben, fragen, warum Sie ständig die Besserverdienenden beschimpfen. Seien Sie doch ehrlich und beschimpfen Sie sich gleich selber! Dann sind Sie in der Bevölkerung glaubwürdig.
Und dann wird dieses seltsame Beispiel gebracht, daß man, wenn es ganz, ganz dumm kommt, mit 80 000 DM Schulden in die Ehe startet, weil beide zuvor studiert haben und beide das Höchstmaß an Darlehen nehmen mußten, um studieren zu können. Nun, wenn man 80 000 DM erreicht, heißt das nicht, daß man schnell und gut studiert hat,
sondern daß man sich, um diese Höchstsumme zu erreichen, lange Zeit auf der Hochschule herumgetrieben hat. Und das wollen wir nicht. Deshalb wird das mit den 80 000 DM sowieso kaum kommen.
Da gibt es bei uns eine Juso-Hochschulgruppe —
ich habe das aus der Zeitung entnommen —, die bei
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Dr. Rose
einer der in der letzten Zeit so häufigen Demonstrationen
sich in der Öffentlichkeit sogar dazu verstiegen hat, sich über die Regelung zu beklagen, daß man einen Rückzahlrabatt bekommt, wenn man das Examen gut und rechtzeitig besteht. Da haben die gesagt, das sei ein unerhörter Leistungsdruck, der da auf die Studenten ausgeübt werde.
Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Genau das wollen wir. Wir wollen, daß gut studiert wird und daß damit auch die Hochschulen wieder einigermaßen entlastet werden.
Herr Abgeordneter Rose, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schmidt?
Gerne, natürlich.
Herr Kollege Rose, ist Ihnen bekannt, daß es im BAföG eine sogenannte Höchstförderungsdauer gibt und daß diese langen Studienzeiten nur für die möglich sind, die kein BAföG beziehen?
Erstens ist es mir bekannt, zweitens können Sie sich die Frage anschließend, auch weil meine Zeit gleich zu Ende ist, noch von der Regierung beantworten lassen, und drittens bringen Sie bei der Höchstförderungsdauer immer nur das letzte, schlimmste Beispiel. Das spricht sowieso für Sie; Sie sollten einmal die große Zahl der Studenten nehmen.
Meine Damen und Herren, beim jetzigen Sparzwang müßte an die SPD die Frage gestellt werden — und ich stelle sie Ihnen jetzt —: Warum treten Sie nicht endlich öffentlich auf, um jene als unsoziale Ausbeuter anzuprangern, die die Verschuldung des Bundes auf über 300 Milliarden DM getrieben haben?
Wann endlich, liebe Kollegen von der SPD, greifen Sie sich selbst an, daß Sie es zu verantworten haben, daß wir allein in diesem Jahr mehr als 25 Milliarden DM an Schuldzinsen bezahlen müssen?
Hätte es nicht Ihre unsoziale Umverteilungspolitik zugunsten der neuen Gläubiger des Bundes gegeben, wären wir heute in der Lage, statt sparen zu müssen, den BAföG-Empfängern mehr zu geben. Das ist aber leider nicht mehr möglich.
Meine Damen und Herren, für die Studierenden — auch das soll gesagt werden — bringt der Steuerzahler Milliardenbeträge auf, damit jene später nicht nur ihr Wissen weitergeben, sondern damit sie auch ein höheres Einkommen erzielen und eine bessere Lebensqualität genießen können als jene, die nicht studieren können. Bezahlt wird dies unter anderem auch von jenen 80 % einer Altersstufe, die nicht studieren und deshalb später ein geringeres, ein niedrigeres Einkommen haben. Sollte man das von der Gerechtigkeit her nicht erwähnen, daß 80 % für jene bezahlen, denen es später besser geht, und sollte es nicht möglich sein, das beim Darlehen zu berücksichtigen?
Deshalb ist unsere Maxime: Wir werden in Zukunft wieder mehr Selbstverantwortung fordern. Wir wollen die Benachteiligten fördern, aber wir wollen die Begabten fordern.
Deshalb gibt es bei behinderten und benachteiligten Jugendlichen keine Kürzung, bei Jugendlichen, die Hilfe brauchen — das ist z. B. im Benachteiligtenprogramm festgelegt — sogar eine Steigerung der Mittel. Bei jenen aber, die sich selbst über die Runden bringen können — dazu gehören hoffentlich viele in diesem Hause, die das im Laufe ihres Lebens gemacht haben und die heute stolz sind, daß sie etwas erreicht haben, weil sie sich selbst durchgeboxt haben —, bei denen wollen wir Entsprechendes fordern.
Meine Damen und Herren, weil wir der Meinung sind, daß wir damit auf dem richtigen Wege sind, und weil wir als CDU/CSU-Fraktion fest davon überzeugt sind, daß wir sowohl den kärgeren Finanzmitteln als auch den berechtigten Wünschen der Jugend für eine gesicherte Zukunft gerecht werden, haben wir überhaupt keine Probleme und stimmen dem Einzelplan des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Zander.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man durfte gespannt darauf sein, wie der Kollege Rose in der sicher schwierigen Begründung der empfindlichen Streichungen im Einzelplan 31 bei der Ausbildungsförderung hier argumentieren würde. Daß er uns aber in dieser schonungslosen Offenheit die konservative Bildungsphilosophie der Union dargeboten hat, dafür muß man ihm eigentlich dankbar sein.
Kollege Rose hat damit begonnen, daß er uns an die Beratungen des Bundeshaushalts 1982 erinnerte. Damals lag uns ein Haushaltsentwurf vor, der trotz der damals auch für uns als unumgänglich angesehenen empfindlichen Kürzungen immerhin noch eine angemessene Ausstattung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes enthielt. Heute, nachdem der Kahlschlag beim BAföG — so jedenfalls bezeichnet die Berliner Schulsenatorin Frau
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Laurien diesen Vorgang — geplant ist, darf man gespannt sein, wie sich insbesondere die Sprecher der Freien Demokratischen Partei hier einlassen.
Meine Damen und Herren, neben der drastischen Kürzung der Haushaltsmittel für die Schülerförderung um 200 Millionen kennzeichnen den Ergänzungshaushalt der neuen Regierungskoalition die Kürzung der Mittel für die Modellversuche — auch hier hat der Kollege Rose deutlich gemacht, welch tiefen Widerwillen Konservative gegen Innovationen in der Gesellschaft haben —,
die Erhöhung der Mittel für den Hochschulbau um 230 Millionen sowie schließlich eine Erhöhung der Förderung im Rahmen des Benachteiligtenprogramms um 27 Millionen zu Lasten des Investitionstitels.
In diesem letzten Punkt — Förderung benachteiligter Jugendlicher — kann sich Frau Minister Wilms der Unterstützung der SPD-Fraktion sicher sein.
Auch die Aufstockung der Hochschulbaumittel findet grundsätzlich unsere Zustimmung,
wenngleich wir, Herr Kollege Gerster, erhebliche Zweifel haben, ob diese Mittel tatsächlich mehr Studienplätze schaffen helfen oder lediglich bei der Vorfinanzierung die Bundesländer entlasten sollen.
Im Mittelpunkt der öffentlichen Kritik und im Mittelpunkt meiner Ausführungen werden die Kürzungen und Umstellungen bei der Ausbildungsförderung stehen. Ich kann mich an keinen vergleichbaren Vorgang erinnern, bei dem sich eine Regierung so einhelliger Kritik ausgesetzt sah wie diese Bundesregierung bei der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft Ende November.
Alle eingeladenen Verbände, vom Bundeselternrat bis zum Beamtenbund, von den Jungsozialisten und dem RCDS bis zur Schüler-Union, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft bis zu den Jungdemokraten, vom Bundesinstitut für berufliche Bildung bis zur Arbeitsgemeinschaft freier Schulen und zur Westdeutschen Rektorenkonferenz, alle lehnen die Veränderungen des Schüler-BAföG ab.
Herr Abgeordneter Zander, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, vielleicht im späteren Verlauf der Rede; im Moment möchte ich erst einmal etwas Substantielles sagen, wozu dann vielleicht Fragen gestellt werden können.
Meine Damen und Herren, die neue Koalition mutet den einkommensschwachen Gruppen unserer Bevölkerung viel zu. Der Kahlschlag bei der Ausbildungsförderung für Schüler und die Einführung des Volldarlehens für das Studium aber sind eine Kampfansage an die junge Generation!
Den Bundeskanzler und seine Minister, die so gerne das Wort „Erblast" im Munde führen, möchte ich daran erinnern, daß nach dieser Entscheidung, die sie heute planen, die junge Generation unseres Landes künftig mit der Erbsünde geringerer Ausbildungschancen leben muß,
wenn die Betreffenden das Pech haben, daß ihre Eltern Facharbeiter, kleine Angestellte, kleine Gewerbetreibende, kleine Bauern oder Aussiedler sind. Rund 3 Millionen Menschen leben heute in den Familien, die hierdurch ohne zwingende finanzpolitische Gründe, vielmehr — das ist durch die Rede des Kollegen Rose noch einmal deutlich geworden — aus gesellschafts- und ordnungspolitischen Gründen erheblich belastet werden sollen.
Viele Millionen junge Menschen der kommenden Generationen werden um ihre Bildungschancen geprellt.
— Herr Kollege Gerster, das sage ich in voller Überzeugung der Richtigkeit!
Die Koalition handelt auch hier nach ihrem zynischen Prinzip
der Umverteilung von unten nach oben; nur sind es diesmal keine Einkommen, sondern Bildungschancen.
Ich sage Ihnen, Herr Dr. Probst: Wer Chancengleichheit abbaut, der baut Privilegien auf, und darum geht es hier.
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Die sozialdemokratische Fraktion lehnt die hier geplante Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ab.
Wir beantragen, den zur Streichung vorgesehenen Betrag von 200 Millionen DM für die weitere Förderung der Schüler wieder in den Haushalt aufzunehmen.
Für die Umstellung der Studienförderung auf Volldarlehen gibt es keinen zwingenden finanzpolitischen Grund. Einsparungen sind frühestens Ende der 80er Jahre zu erwarten, wenn Darlehen zurückgezahlt werden.
Meine Damen und Herren, auch für uns ist die heutige Studienförderung nicht für alle Zeiten tabu. Wir haben im Zusammenhang mit der Diskussion über die Höhe von Freibeträgen und Bedarfssätzen auch die Darlehenskomponente nicht für eine unveränderliche Größe gehalten.
Ein Volldarlehen aber müssen wir aus folgenden Gründen ablehnen:
Erstens. Die bildungs- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen, die hinter diesen Änderungsabsichten stehen, werden von uns nicht geteilt.
— Nein, das ist keine Unterstellung. Das ist eine Wertung, wenn ich feststelle, daß ich bestimmte Auffassungen, die Sie haben, nicht teilen kann.
Zweitens. Die finanzpolitische Begründung, die hierfür vorgetragen wird, stimmt nicht.
Drittens. Das Gesetz ist unausgegoren und hinsichtlich seiner Folgen nicht durchdacht.
Die Bundesregierung führt zwingende finanzpolitische Gründe für die BAföG-Kürzungen an. Es ist zu fragen: Stimmt diese Begründung, oder ist es nur ein fadenscheiniger Vorwand? Ich glaube, auch hier hat der Kollege Rose deutlich gemacht, daß es gar nicht so sehr um finanzpolitische als vielmehr um grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragen geht.
Der neue Bundesminister der Finanzen hat bei Gelegenheit der Grundsatzaussprache im Haushaltsausschuß den Bundesländern einen Betrag von 1 Milliarde DM, die sogenannte Kindergeldmilliarde, in Aussicht gestellt. Der eigentlich nur fällige Betrag von 850 Millionen DM wurde von Herrn Stoltenberg dabei großzügig auf 1 Milliarde aufgerundet. Eine zwingende Verpflichtung dazu liegt nicht vor, wie ja auch aus dem Protokoll des Haushaltsausschusses ersichtlich ist. Da heißt es als Begründung, hier sei eine politische Entscheidung getroffen worden, um die bei den Kommunen und den Ländern drastisch zurückgegangenen Investitionen zu stützen. Wer so großzügig im Haushaltsjahr 1983
mit 150 Millionen umgehen kann, kann doch nicht ernsthaft sagen, daß es aus finanzpolitischen Gründen notwendig sei, den Kahlschlag beim BAföG zu praktizieren.
Der Hinweis von Frau Minister Wilms — ich zitiere —, die katastrophale Lage der Staatsfinanzen zwinge zur Umstellung auf das Volldarlehen bei der Studentenförderung, ist doch ganz und gar unglaubwürdig und falsch.
Davon kann hier überhaupt keine Rede sein. Weder 1983 noch 1984 noch in den nächsten Jahren tritt durch die Umstellung überhaupt eine Entlastung ein. Aber Ende der 80er Jahre, wenn die Entlastungen kommen sollten, haben wir es nicht mehr mit starken Jahrgängen in den Hochschulen zu tun, sondern aller Voraussicht nach mit ungenutzten Kapazitäten. Ich kann Ihnen daher die Frage nicht ersparen: Warum bestrafen Sie die jungen Menschen, die jetzt eine akademische Ausbildung wollen und brauchen?
Der Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz hat Sie sehr nachdrücklich vor diesem unbedachten und übereilten Schritt gewarnt. Der Bundesrechnungshof hat sich zur Umstellung auf Darlehen bei der Studentenförderung 1979 geäußert. Er meinte, Studiendarlehen seien letztlich unwirtschaftlich, weil es wegen der Verwaltungskosten und der Geldentwertung tatsächlich nur einen Rücklauf von 20 bis 30 % geben werde.
Die Ablehnung dieser Ihrer Vorhaben möchte ich in folgenden vier Punkten zusammenfassen:
Erstens. Die Maßnahme ist ungerecht, weil sie zwei verschiedene Gruppen von Studierenden schafft, solche, die auf Grund der finanziellen Unterstützung durch die Eltern frei und unbelastet studieren können, und solche, die auf einen von Tag zu Tag größer werdenden Schuldenberg hin studieren.
Zweitens: eine Kreditbelastung in dieser Höhe wird künftig ein Hochschulstudium nahezu unkalkulierbar machen — und das angesichts radikal veränderter Einkommens- und Beschäftigungschancen für Hochschulabsolventen.
Drittens: Wegen der erwarteten „Rendite" wird ein „run" auf einige wenige Studienfächer einsetzen. Als Folge kommt es hier zu abrupter Verschärfung des Numerus clausus in solchen Fächern.
Viertens: Der Generationenvertrag wird praktisch aufgekündigt, weil die heute im Berufsleben stehende Generation, die selbst gute Berufs- und Einkommensaussichten hatte, zwar ihre eigenen Ausbildungskosten erhalten hat, aber nicht bereit ist, die der nachwachsenden Generation heute unter den gleichen Bedingungen zu tragen.
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Warum fordern diejenigen, die kostenlos studiert haben — wenn der Bundeskanzler da wäre, würde ich sagen: manchmal sogar 18 Semester —,
daß nun die, die heute studieren wollen und müssen, für die bezahlen, die künftig studieren wollen? Die Ausbildungsförderung verliert ihren bisherigen Charakter als soziale Ausgleichsmaßnahme. Sie sinkt zu einer Kredithilfe zur Überbrückung einer einkommenslosen Berufsaufbauphase ab.
Mit welchem Recht will eigentlich unsere Generation, die alle Chancen hatte und die heute die Posten und Ämter besetzt, anderen von Solidarität der Generationen predigen? Der Staat erklärt, wenn Sie so entscheiden, wie Sie es vorhaben, die Ausbildungsfinanzierung künftig allein zur eigenen Aufgabe der jungen Bürger, und damit kehren Sie zum Zustand der 50er Jahre zurück.
Wir Sozialdemokraten wollen bessere Ausbildung für alle. Wir wollen Zugang zu Bildung und Wissenschaft für alle qualifizierten jungen Bürger und nicht nur für die mit reichen Eltern.
Bei näherer Betrachtung wird auch deutlich, wie unausgegoren und undurchdacht der Gesetzentwurf ist. Wir vermissen jeden Hinweis auf die praktische Durchführung der Minderung bei der Rückzahlung. Wie kann angesichts knapper Prüfungstermine z. B. gesichert werden, daß jeder Student sein Studium vier Monate vor Ablauf der Höchstförderdauer beenden kann? Wie sollen in der föderalistischen Praxis die 30 % Begabten ermittelt werden? Wo bleibt der Entwurf einer Rechtsverordnung, die das alles regeln müßte, damit wir die Einzelheiten der geplanten Regelungen voll erkennen können?
Meine Damen und Herren, der in Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes vorgesehene Abbau der Schülerförderung markiert in unseren Augen einen radikalen Kurswechsel in der Bildungspolitik.
Der Abbau der Schülerförderung stellt in meinen Augen die folgenreichste und schwerwiegendste von allen vorgesehenen Einsparungen des Begleitgesetzes dar. Es ist eine einseitige und unsoziale Belastung der unteren Einkommensgruppen. Davon werden rund drei Millionen Menschen betroffen, die überwiegende Mehrheit davon mit Nettoeinkommen von unter 2 000 DM.
Meine Kritik zum Wegfall der Schülerförderung möchte ich in den folgenden Punkten zusammenfassen.
Erstens: Wer weiterführende, allgemeinbildende oder berufliche Schulen besucht, braucht ab dem 16. Lebensjahr materielle Förderung, wenn die Eltern die Ausbildungskosten nicht aufbringen können.
Dies gilt ganz besonders für die von mir eingangs genannten sozialen Gruppen der Bezieher kleinerer Einkommen.
Zweitens: Die Ausbildungsförderung hat die soziale Öffnung der Bildungswege erst möglich gemacht. Die Hälfte aller geförderten Schüler kommt aus Arbeiterfamilien.
Drittens: Unvergleichlich hart sind die verheerenden familienpolitischen Auswirkungen. Eine Familie mit zwei Kindern, die die Klassen 12 oder 13 besuchen, bei der der Vater mit einem angenommenen Bruttoeinkommen von 2 100 DM Alleinverdiener ist, also netto um die 1 500 DM erhält, verliert künftig 515 DM. Das sind 26 % des Familieneinkommens.
Viertens: Es ist völlig unverständlich, warum nicht im Rahmen eines verringerten Plafonds des BAföG wenigstens die Förderung an den berufsbildenden Schulen erhalten bleibt.
Die Streichung, die Sie hier vorsehen, bewirkt, daß zusätzliche Ausbildungsplätze in der beruflichen Bildung nachgefragt werden, obwohl bis Mitte der 80er Jahre Ausbildungsplätze fehlen und schon in diesem Jahr 36 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz geblieben sind.
Fünftens: Die Ausbildungsförderung hat bereits 1981 schmerzliche Eingriffe hinnehmen müssen und einen Sparbeitrag von einer Milliarde DM erbracht. Jetzt soll das Schüler-BAföG praktisch ganz beseitigt werden. Die Regierung hat deutlich gemacht, daß es hier um Gesellschafts- und Ordnungspolitik geht.
Der Besuch weiterführender Schulen und Hochschulen soll auf diesem Wege sozial eingeschränkt werden: der soziale Numerus clausus als Morgengabe der neuen Rechtskoalition.
Sechstens. Die angebliche Härteregelung, d. h. die sehr beschränkt auslaufende Weiterförderung, ist eine schlichte Verdummung.
Denn die Betroffenen sind dadurch schlechter gestellt, als wenn sie Sozialhilfe in Anspruch nähmen; durch die Härteregelung wird nämlich Sozialhilfe ausgeschlossen. Dies aber wird den Betroffenen nicht gesagt, weil man mit dieser angeblichen Härteregelung glaubt den Kahlschlag verschleiern zu können.
Meine Damen und Herren, ich dachte immer, es gehörte zu den Aufgaben des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, gelegentlich vorhandene Vorurteile in der Bevölkerung gegen die Ausgaben
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für unseren Wissenschafts- und Bildungsbetrieb abbauen zu helfen.
Im Umgang mit der Schülerförderung hat meines Erachtens Frau Minister Wilms das Gegenteil für richtig gehalten.
Sie baut erst Vorurteile auf und läßt sie dann durch zwar teure, aber unseriöse Befragungen dokumentieren.
Das, meine Damen und Herren, ist das Gegenteil der Aufgaben eines Bundesministers, der sich wenigstens in Ansätzen mit der Aufgabe seines Amtes identifizieren und nicht Ressentiments schüren sollte.
Meine Damen und Herren, wir haben wie auf vielen anderen Gebieten auch beim BAföG in den letzten Jahren viel getan, um Mißbräuche abzubauen — und zwar mit Erfolg, wie mir gerade in Berichterstattergesprächen zum Einzelplan 31 noch einmal bestätigt worden ist. Weil wir die Mißbräuche weitgehend beseitigt haben, darf ich hier sagen: Diese Übergangsregierung fände sehr viel Gelegenheit, gegen Mißbräuche zu Felde zu ziehen, wenn sie sich einmal dem Feld zuwendet, das Minister Posser hier heute so eindrucksvoll behandelt hat: Subventionsschwindel und Steuerhinterziehung.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, argumentiert damit — laut Bulletin der Bundesregierung vom 4. November —, das Kabinett habe sich die Entscheidung „nicht leicht gemacht". Damit soll wohl der Eindruck hervorgerufen werden, diese Entscheidung sei dem Kabinett Kohl schwergefallen. Es handele sich um eine Entscheidung, die gewissermaßen schweren Herzens getroffen wurde. Angesichts der Vorgeschichte ist das eindeutig falsch. Der Kahlschlag beim Schüler-BAföG entspricht grundsätzlichen bildungspolitischen und gesellschaftspolitischen Zielen der CDU/CSU. Er ist von langer Hand vorbereitet und nicht etwa das Ergebnis aktueller Finanznöte.
Es entspricht eben der Unionsphilosophie, Chancengleichheit ab- und Privilegien aufzubauen.
Meine Damen und Herren, es gibt aus den letzten Jahren eine Fülle von Zitaten des damaligen Oppositionsführers Kohl, der Ministerpräsidenten Strauß, Stoltenberg, Späth und vieler anderer Bildungspolitiker, die sich in den letzten Jahren immer wieder auf das Schüler-BAföG aus grundsätzlichen Überlegungen eingeschossen haben. Darum sage ich — und das ließe sich belegen, wenn die Zeit reichen würde —: Dieser Anschlag ist von langer Hand vorbereitet worden.
Sie wollen eine ganz andere Bildungspolitik. Kollege Rose hat das ja hier deutlich ausgesprochen.
— Ja, ehrlich. — Wir haben in den Haushaltsberatungen der letzten Wochen erfahren müssen, daß die neue Rechtskoalition entschlossen ist, ihren unsozialen Weg konsequent zu Ende zu gehen. Dabei bleiben auch viele frühere Grundsätze und Reden auf der Strecke. Die FDP hat in dieser Frage durch ihr Verhalten erneut ihren Ruf als Umfallerpartei gefestigt.
Die „Süddeutsche Zeitung" hat das am 3. Dezember sehr treffend zusammengefaßt. Ich darf einmal zitieren:
Wie das in der Bonner FDP so läuft:
Zuerst meint Graf Lambsdorff in seinem umstrittenen „Papier", das Schüler-BAföG solle man vollständig abschaffen, womit rund eine Milliarde mehr in den Kassen bliebe.
Dann beschließt die Koalition von CDU, CSU und FDP in ihrer Geschäftsgrundlage, immerhin ein bißchen vom Schüler-BAföG zu erhalten, verbunden mit sehr viel bescheideneren Sparerwartungen.
Sodann steht die Bonner FDP-Fraktion wie ein Mann auf, um die Koalitionsvereinbarung wieder zu kippen. Und schließlich blitzt sie, ebenfalls geschlossen, beim Bundeskanzler ab.
So weit die „Süddeutsche Zeitung", der Sie mit Ihren Zwischenrufen Ahnungslosigkeit bescheinigen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie schon nicht die „Süddeutsche Zeitung" für eine gute Quelle über die FDP ansehen, wie wäre es denn mit den Freiburger Thesen?
Dort haben Sie den Wählern dargestellt, daß es nicht nur um formale Chancengleichheit, um formale Garantien geht, sondern daß es auf die sozialen Chancen in der alltäglichen Wirklichkeit ankommt. Wenn Sie heute der Aufrechterhaltung des Art. 15 zustimmen, sind das leere Worte.
Die Kollegen der FDP möchte ich daran erinnern, was hier — ich will den Namen der Kollegin gar nicht nennen — in der ersten Beratung gesagt wurde — ich zitiere —:
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Ich erkläre deshalb an dieser Stelle für die Bildungspolitiker der FDP-Fraktion, daß wir uns gemeinsam mit den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion darum bemühen, eine Deckungsmöglichkeit für die in der Koalitionsvereinbarung vorgesehene Sparsumme von 200 Millionen DM zu finden, um zu verhindern, daß ein Kahlschlag bei BAföG eintritt. Wir befinden uns hier in konkreten Verhandlungen und werden unsere Überlegungen nach Abschluß der Beratungen mitteilen.
Diese Ankündigung blieb bis heute folgenlos.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten beantragen, den Art. 15 aus dem Haushaltsbegleitgesetz zu streichen. Wir haben dementsprechend einen Antrag zum Einzelplan 31 eingebracht, der die Wiederaufnahme der gestrichenen 200 Millionen DM für die Schülerförderung vorsieht und dafür auch Deckung beibringt.
Mit diesen Anträgen haben die Kolleginnen und Kollegen von der FDP Gelegenheit, ihr Verhalten mit ihren oft verkündeten Grundsätzen in Übereinstimmung zu bringen.
Herr Präsident, über diesen Antrag zur Streichung des Art. 15 beantragt meine Fraktion namentliche Abstimmung.
Ohne Korrektur beim BAföG werden wir den Einzelplan 31 ablehnen müssen. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Engel.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Das Bildungssystem ist Ausdruck und Ergebnis gesellschaftlicher Strukturen. Es erlaubt Rückschlüsse auf das Maß funktionierender Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Es hat entscheidenden Einfluß auf die Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen, und es ist ausschlaggebend für das gesamtgesellschaftliche Bildungs- und Ausbildungsniveau. Dies wiederum wird wirksam im weltweiten, internationalen Wettbewerb auf unserem immer enger werdenden Globus. Die Mittel, die für Bildung und Ausbildung aufgebracht werden, sind also, sowohl in bezug auf den einzelnen als auch in bezug auf Staat und Gesellschaft, Investitionen — Herr Rose —, Zukunftsinvestitionen,
auch wenn die meisten Ausgabeposten im haushaltstechnischen Sinn keine Investitionen sind. Unterlassene Investitionen auf diesem Gebiet können sehr schnell irreparable Folgen haben.
Da die Kosten hoch sind, ist es jedoch legitim, genau zu prüfen, ob die Mittel richtig und effizient
eingesetzt werden, richtig im Sinne eines freien, gerechten und wirkungsvollen Bildungssystems.
Der Kulturföderalismus läßt dem Bund nur einen begrenzten Handlungsspielraum im Bereich der Bildungs- und Wissenschaftspolitik. Sein Einfluß beschränkt sich auf den äußeren Bedingungsrahmen. Den Ländern bleibt die inhaltliche und organisatorische Ausfüllung. Aber für das Funktionieren des Ganzen bleibt auf Bundesebene doch Verantwortung genug.
Im Einzelplan 31 des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft stehen für das Jahr 1983 knapp 4,5 Milliarden DM zur Verfügung.
— 4,6 Milliarden DM. Danke schön, Herr Rose. Ich nehme das mit Zufriedenheit zur Kenntnis.
Die Verantwortung des Bundes für das Bildungssystem ist jedoch weit größer, als dies die Größe des Einzelplans 31 mit 4,6 Milliarden DM im Vergleich zu den Gesamtausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden für die Bildungs- und Wissenschaftspolitik mit 82 Milliarden DM vermuten läßt. In der Tat können wir — der Herr Bundeskanzler hat gestern darauf hingewiesen — im internationalen Vergleich gut bestehen, sowohl was die Aufwendungen betrifft, die zu einer beachtlichen Infrastruktur unseres Bildungs- und Ausbildungswesens geführt haben, als auch was seine Offenheit und Freiheitlichkeit anbelangt.
Wie ist es dennoch zu erklären, meine Herren und Damen, daß trotz der unbestreitbaren Erfolge auf diesem Gebiet im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion der letzten Wochen und auch hier in diesem Hause nur ein einziges Thema steht: die Kürzung bzw. die Umstrukturierung der Ausbildungsförderung, genannt BAföG? Die Meinung der FDP dazu ist bekannt und ist unverändert weiterhin so, Herr Zander.
Wir haben volles Verständnis dafür, wenn von den Kritikern in der im November durchgeführten Anhörung ein sozialer Rückschritt befürchtet wird, daß nämlich die Entscheidung über den künftigen Bildungsweg der betroffenen Kinder eben nicht mehr unabhängig vom Einkommen der Eltern getroffen werden kann, daß die Aussicht, mit einer Schuldenlast von 40 000 DM ins Berufsleben einzutreten, eben doch gerade Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Elternhäusern davon abhalten wird, ein Hochschulstudium aufzunehmen, mit anderen Worten: daß der im Jahre 1971 bei der Verabschiedung des Gesetzes von allen drei Fraktionen gefeierte sozial- und bildungspolitische Fortschritt wieder zurückgedreht würde. Dies allerdings wäre eine Wende, die wir nicht wollen können.
Erschwerend käme hinzu, daß diese entmutigten Jugendlichen dann auf einen ohnhin überlasteten Ausbildungsstellen- und Arbeitsmarkt drängen würden.
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Frau Dr. Engel
Es ist nicht so, Herr Kollege Professor Ehmke, daß die FDP nur Scheinkämpfe geführt hat; vielmehr haben wir — die Bildungspolitiker — im engen Rahmen der Bewegungsfreiheit, der durch das Koalitionsabkommen vorgegeben war — und Sie wissen, daß solch ein Rahmen eng ist —, nicht nur ein Zeichen gesetzt, sondern auch Handlungsmöglichkeiten eröffnet mit dem Entschließungsantrag, der vom Bildungsausschuß einstimmig angenommen wurde.
Herr Dr. Dregger hat gestern morgen in seinen Ausführungen ausdrücklich auf diesen Antrag hingewiesen.
Frau Kollegin Dr. Engel, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen.
Meine Damen und Herren, ich würde es schicklich finden, wenn die vielen Einzelgespräche im Hause etwas eingestellt und wir der Rednerin etwas zuhören würden.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Bei dem Entschließungsantrag geht es darum, im nächsten Jahr die Beschlüsse zu Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes kritisch im Licht der bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Entwicklung zu überprüfen. Dabei soll sichergestellt werden, daß — ich zitiere aus der Resolution — „Familien mit nicht ausreichendem Einkommen bundeseinheitlich die notwendige Förderung erhalten, damit ihre Kinder den ihrer Begabung entsprechenden Schulabschluß erreichen können". Es geht ferner darum, die Ausbildungsförderung im Rahmen des Gesamtkonzepts für den Familienlastenausgleich zu verbessern. Und schließlich wird die Bundesregierung aufgefordert, „dem Deutschen Bundestag alsbald einen Bericht darüber vorzulegen, wie bei der Ausbildungsförderung für Studenten eine einseitige Belastung der Studenten aus Familien mit geringem Einkommen durch Volldarlehen verhindert werden kann".
Frau Abgeordnete Dr. Engel, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Frau Schmidt?
Kurz, bitte, Frau Schmidt.
Frau Kollegin Dr. Engel, warum müssen wir dann erst dieses Gesetz beschließen, warum können wir diese Prüfung nicht vor dem Hintergrund des bestehenden Gesetzes machen?
Das ist zwischen den Koalitionsfraktionen beschlossen worden, Frau Schmidt. Das war das Beste, was wir in dieser Situation herausholen konnten.
Die Solidarität der Bildungspolitiker — Frau Schmidt, das gilt besonders für Sie und auch für meine Kollegen aus dem Bildungsausschuß — sollten wir uns trotz einiger psychologisch sicherlich verständlicher Ausfälle einiger Kollegen der SPD gegen uns nicht kaputtmachen lassen. Der von uns allen getragene Entschließungsantrag ist ein Signal dafür, daß sich die Bildungspolitiker mit dieser Regelung noch nicht abgefunden haben. Sie werden weiterhin Wege suchen, bei der gebotenen Einhaltung des Sparziels bessere Lösungen zu finden. So heißt es in dem Antrag:
Dabei sollen Modelle geprüft werden, nach denen eine gerechte Belastung aller, die Hochschuleinrichtungen besuchen, erreicht wird ...
Es erscheint nach unserer Auffassung legitim, über die Wiedereinführung von Studiengebühren nachzudenken. Auf diese Weise könnten bildungspolitisch sinnvollere und finanzwirtschaftlich effektivere Wirkungen erzielt werden als durch die Umstellung auf Volldarlehen. Wir würden darin übrigens eine Rückkehr zur Normalität sehen. Es ist nicht einzusehen, daß die Nutzer der teuersten Bildungseinrichtungen nicht einen, wenn auch im Verhältnis zu den tatsächlichen Kosten geringen, direkten Beitrag leisten sollen. Das ist in allen vergleichbaren Ländern so.
Trotz aller finanzwirtschaftlichen Probleme muß die erreichte Öffnung des Bildungswesens beibehalten werden, weil ein Rückschritt nicht nur bildungs- und sozialpolitisch unerträglich wäre, sondern zugleich den Ausbildungsmarkt zusätzlich belasten würde.
Herr Kollege Dregger — er ist jetzt nicht da — hat gestern die, wie er sagte, falsche These Georg Pichts zum Bildungsnotstand in den 60er Jahren angesprochen und die Behauptung aufgestellt, nicht in den 60er Jahren, sondern heute sei der Bildungsnotstand ausgebrochen, weil man durch die Öffnung des Bildungssystems zu viele Akademiker produziert habe. Ähnliches konnten wir eben auch von Herrn Kollegen Rose hören.
Ich stimme darin überein, daß unsere gesamte Schul- und Ausbildungreform an der Überbewertung der theoretischen Bildung krankt; eine typisch deutsche Erscheinung, die auf die Tradition des deutschen Idealismus zurückgeht. Etwas ganz anderes aber ist es, wie die Öffnung der weiterführenden Schulen und der Universitäten für Kinder aller Schichten zu bewerten ist.
Niemand kann doch wohl im Ernst bezweifeln, daß eine demokratische Gesellschaft stolz darauf sein muß, wenn jeder nach Neigung und Leistung seinen Weg gehen kann.
Das gilt unter anderem besonders für die Mädchen. Allein fünf große neue Universitäten hätten wir gebraucht, um den Einzug der Frauen in die
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Frau Dr. Engel
Bastion der höheren Bildung auffangen zu können. Es wird hoffentlich niemanden geben, der die Erschließung der Begabungsreserven, die nun endlich auch bei der weiblichen Bevölkerung stattfindet, bedauert.
Das Wort von der Akademikerschwemme ist ebenso falsch wie inhuman; denn auch heute ist Arbeitslosigkeit bei Akademikern immer noch relativ gering;
ausgenommen die Lehrer, aber das ist ein Kapitel für sich.
Ich muß leider zum Ende kommen und möchte deswegen nur noch — in gekürzter Form — die Graduiertenförderung ansprechen. Gerade im Hinblick auf die so gut wie hoffnungslose Lage des akademischen Nachwuchses an den Universitäten ist es sehr zu begrüßen, daß für die Fortsetzung der Graduiertenförderung die finanziellen Voraussetzungen für 1983 mit 7 Millionen DM und für 1984 mit 26 Millionen DM geschaffen sind. Denn so notwendig es für eine Gesellschaft ist, eine möglichst große Zahl möglichst gut ausgebildeter Menschen bereitzustellen, so notwendig ist es auch, den Spitzenbegabungen die Möglichkeit zu geben, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Das liegt im Interesse des einzelnen, und es kommt dem Staat zugute.
Meine Herren und Damen, lassen Sie uns gemeinsam alle Anstrengungen darauf richten, auch in dieser Zeit des knappen Geldes der jungen Generation die Chance zu geben, aus eigener Kraft den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Frau Minister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch die Bildungspolitik muß sich an den wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen und an der gesellschaftlichen Gesamtsituation orientieren. Eine Bildungspolitik, die sich autonom fühlt, geht an den Realitäten vorbei.
Manche bildungspolitische Planung ist gescheitert an zwar gutgemeinten, aber finanzpolitisch wenig realistischen Zielsetzungen.
Es ist daher die erklärte Absicht der Bundesregierung, die Bildungspolitik in den Gesamtzusammenhang der einzelnen Politikbereiche zu stellen, um von der Bildung her auch wieder Einfluß auf
andere Bereiche der politischen Gestaltung zu gewinnen.
Der Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft setzt einige deutlich erkennbare Schwerpunkte, die Spiegelbild unserer Politik sind.
Angesichts der noch wachsenden Zahl von Hochschulberechtigten ist es erforderlich, die Hochschulen offenzuhalten, solange es eben mit Lehre und Forschung zu vereinbaren ist. Deshalb haben wir die Mittel für den Hochschulbau um 230 Millionen DM auf 1,23 Milliarden DM erhöht.
Die alte Bundesregierung war hier seit längerem gegenüber den Ländern in Verpflichtungsverzug geraten, was sich auf den Hochschulbau hemmend auswirkte.
Um der Wohnungsnot der Studenten zu begegnen, stehen 100 Millionen DM im „Programm zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus" für den Studentenwohnraumbau der Länder zur Verfügung.
Die alte Bundesregierung hatte 1980 durch ihren Rückzug aus dem Wohnraumbau verschärfend zur Wohnungsnot der Studenten beigetragen.
Die Förderung qualifizierter junger Wissenschaftler, die unter der alten Bundesregierung auf Null zurückging, soll jetzt wiederaufgenommen werden.
Im nächsten Jahr soll ein Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Gang gesetzt werden, das 1984 von Bund und Ländern gemeinsam die Summe von 50 Millionen DM erreichen soll. Wir wollen jungen Wissenschaftlern wieder Chance und Hoffnung geben.
Um die Forschung zu stärken, haben wir die Mittel für die Deutsche Forschungsgemeinschaft um 4 % für das Jahr 1983 angehoben.
Wir brauchen wieder Erfolge in der Forschung, um jungen Menschen Berufschancen und der Wirtschaft Impulse zu geben.
Die wichtigste politische Aufgabe ist die Sicherung der Ausbildungschancen junger Menschen
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8775
Bundesminister Frau Dr. Wilms
und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit der Jugendlichen.
Die Ausbildungssituation hat sich dank der hervorragenden Leistung der Wirtschaft viel positiver entwickelt, als im Sommer von der alten Bundesregierung vorhergesagt wurde.
Verzeihen Sie, Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weisskirchen?
Nein, keine Zwischenfragen.
— Sie müssen jetzt auch einmal der Bundesregierung zuhören können.
Bei den Ausbildungsplätzen verzeichnen wir per 30. September 1982 ein Plus von 25 420 Ausbildungsverträgen.
Das ist eine Steigerung um 4,2 % gegenüber dem Vorjahr. Ich finde, das ist eine hervorragende Leistung.
Ohne Zweifel gibt es auf dem Ausbildungsmarkt noch Probleme. Wir werden im nächsten Jahr auf allen Seiten noch große Kraftanstrengungen vollbringen müssen. Die Signale müssen weiter auf Ausbildungsbereitschaft stehen.
Aber, meine Damen und Herren, die Ausbildungsplatzsituation und die Probleme der Jugendarbeitslosigkeit sind nicht nur Probleme des Ausbildungssystems, sondern auch der allgemeinen Wirtschafts- und Beschäftigungslage. Man muß den Betrieben danken, daß sie trotz der schlechten Wirtschaftslage noch so viel und so gut ausbilden.
Entscheidend ist deshalb die Förderung der Ausbildungsbereitschaft durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Frau Minister, ich bitte, Sie einmal für einen Augenblick unterbrechen zu dürfen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, doch Platz zu nehmen, und zwar auf beiden Seiten des Hauses. Sonst ist es nicht möglich, die Rednerin zu verstehen.
Ich lasse mich davon nicht stören. Damit das klar ist!
Wirksame Maßnahmen auf dem Ausbildungssektor müssen verstärkt regional und sektoral getroffen werden. Zentrale, global gesteuerte, dirigistische Maßnahmen im Ausbildungsbereich führen nicht zum erstrebten Ziel. Das gilt auch für die Forderung nach einer gesetzlich verordneten Umlage- oder Fondsfinanzierung, die wir ablehnen, da sie weder effektiv noch ordnungspolitisch wünschenswert wäre. Wir werden weiter überbetriebliche Ausbildungsstätten als Ergänzung der betrieblichen Ausbildung im Rahmen der festgelegten Planungen fördern.
Besondere Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden, haben ausländische Jugendliche, Jugendliche ohne Schulabschluß, einseitig begabte oder noch nicht berufsreife Jugendliche. Hinzu kommen die Probleme der Mädchen und jungen Frauen. Wir werden deshalb die Modellversuche auf diesem Gebiet weiter und verstärkt fortführen.
Frau Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Die Mittel für das Benachteiligtenprogramm haben wir für 1983 gegenüber dem bisherigen Ansatz um 25 % aufgestockt. Wir streben auch weiter nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Verbesserungen an, um die benachteiligten Jugendlichen so schnell wie möglich in die Betriebe zu integrieren.
Nun einige Bemerkungen zum BAföG. Darauf haben Sie offensichtlich nur gewartet. Die Ausbildungssituation junger Arbeitnehmer interessiert Sie ja wohl nicht.
— Schreien Sie ruhig weiter! Das stört mich nicht.
Bei knappen Finanzen geht heute kein Weg an der Entscheidung vorbei, ob man einerseits gezieltere Hilfen für mehr Ausbildungsstellen, mehr Studienplätze, bessere Berufschancen für Jugendliche geben oder andererseits die BAföG-Leistungen für zu Hause wohnende Schüler unverändert beibehalten will.
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Bundesminister Frau Dr. Wilms
Die Bundesregierung hat sich nach sorgfältiger Abwägung für gezielte Hilfen entschieden.
Die Schülerförderung soll auf die mit besonders hohen Kosten belasteten Schüler konzentriert werden. Das sind die notwendigerweise auswärts untergebrachten Schüler und die Studierenden an Abendschulen und Kollegs, also die im zweiten Bildungsweg.
Durch eine Härteregelung werden die Auswirkungen des Wegfalls der Förderung für Schüler aus Familien mit niedrigem Einkommen, die sich bereits im Förderungsbereich des BAföG befinden, für die Übergangszeit bis zum Abschluß der betreffenden Schule gemildert. Es gibt also keinen Kahlschlag.
Ich finde es unerträglich, wenn hier in der Debatte und in der Öffentlichkeit zum Teil mit Halbwahrheiten und mit falschen Schlußfolgerungen argumentiert wird
oder wenn man mit Klassenkampfparolen wie „Dreiklassenschulrecht"
eine Ideologie verbreiten will, die an der Wirklichkeit vorbeiläuft. Hier wird bewußt Desinformationspolitik betrieben.
Wie sehr das grundsätzlich positive Bildungsverhalten der Bürger von der SPD verkannt wird, zeigen auch die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts für Demoskopie, Allensbach.
Danach erklären 87 % der BAföG-geförderten Schüler, daß sie ihre Ausbildung unabhängig von der BAföG-Förderung zu Ende führen, bei den Gymnasiasten sind es sogar 93 %. Darin zeigt sich, meine Damen und Herren, daß das Bildungsbewußtsein in der deutschen Bevölkerung in den letzten Jahren erheblich gestiegen ist.
Im übrigen erlaube ich mir hier noch eine Anmerkung. Meine Damen und Herren, die meisten wissen es nicht mehr: Die starke Expansion des Bildungswesens lag bereits vor Einführung des BAföG zwischen 1960 und 1970.
Der Anteil der 11jährigen Schüler, die ein Gymnasium besuchen, betrug 1960 ca. 13%, 1970 fast 22% und — dann flacht die Kurve ab — 1980 fast 24%.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, daß die Schüler und ihre Familien trotz der zum Teil empfindlichen Einbußen auch künftig alle Anstrengungen unternehmen werden, um eine möglichst gute Schul- und Berufsausbildung zu erhalten. Daß im übrigen die Kürzungsmaßnahmen generell bei den Betroffenen meist nicht auf Beifall stoßen, ist verständlich.
Die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage — der Herr Kollege Zander hat das gerade gesagt — werden von der SPD angegriffen und — ich zitiere — als „unseriöse Gefälligkeitsforschung" abgetan.
— Hören Sie gut zu, klatschen Sie nicht zu früh, meine Damen und Herren, denn wenn ich mir die Ergebnisse der von der SPD initiierten InfratestUmfrage genau anschaue, dann stelle ich folgendes fest: Zwischen den Ergebnissen von Allensbach und Infratest gibt es keine nennenswerten Unterschiede
bei der Beurteilung der BAföG-Änderungen durch die Gesamtbevölkerung.
Ich darf Ihnen zwei besonders bedeutsame Ergebnisse von Infratest — von der SPD initiiert — vortragen.
Nach der Infratest-Umfrage finden 57 % der Gesamtbevölkerung die geplanten Maßnahmen beim Schüler-BAföG gut bzw. billigen sie zumindest.
Bei der Änderung des Studenten-BAföG sind nach dieser Umfrage der SPD 78% der Bevölkerung der Meinung, diese Maßnahme sei gut oder könne zumindest gebilligt werden. Dies entspricht tendenziell den Allensbach-Ergebnissen.
Ich stelle also fest, daß nach beiden UmfrageErgebnissen unsere Maßnahmen auf Verständnis in der Mehrheit der Bevölkerung stoßen angesichts der schwierigen Wirtschafts- und Finanzlage.
Ich stelle weiter fest, daß es auch nach Infratest keine Anhaltspunkte für die von der SPD behauptete Veränderung im Bildungsverhalten gibt.
Die beschlossenen Kürzungen im SchülerBAföG-Bereich müssen auch im Zusammenhang mit der neuen Kindergeldregelung gesehen werden. Kindergeldkürzung und BAföG-Kürzung kumulieren bei einer Familie eben nicht.
Ferner muß ich hinweisen auf die geplante Einführung des Familien-Splittings und weitere künftige Verbesserungen im Familienlastenausgleich.
Wir wollen wieder den Kontext zwischen Familienpolitik und Bildungsförderung herstellen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8777
Bundesminister Frau Dr. Wilms
Die Bundesregierung hat außerdem bereits erste Gespräche mit den Ländern darüber geführt, wie begabte und leistungsfähige Jugendliche aus sozial schwachen Familien in beruflichen und allgemeinbildenden Schulen gezielt gefördert werden können.
Das Präsidium der CDU hat bereits einen entsprechenden Beschluß gefaßt.
Ich hoffe sehr, meine Damen und Herren, daß sich auch die von der SPD geführten Länder diesen Vorstellungen nicht entziehen werden,
insbesondere da diese Länder zum Teil erhebliche Einschränkungen in der Lernmittelfreiheit und in den Schülerfahrtkosten einführen oder, wie in Nordrhein-Westfalen, die Kindergartenbeiträge erhöhen und sie nicht, wie versprochen, abschaffen können, weil die Kassen auch dort leer sind.
Noch ein Wort zu den finanziellen Größenordnungen beim BAföG, die häufig auch hier wieder falsch dargestellt worden sind. Es geht ab 1984 um Einsparungen von 600 Millionen DM beim Bund
und 300 Millionen DM bei den Ländern. Die Zahl von 200 Millionen DM beim Bund im Jahre 1983 ist nur ein Teilbetrag.
Erlauben Sie mir noch einige kurze Anmerkungen zur Umstellung des Studenten-BAföG auf zinsloses Darlehen. Von Teilen der Öffentlichkeit und in einigen Untersuchungen wird so getan, als ob eine BAföG-Förderung für Studenten künftig überhaupt nicht mehr gewährt werden soll. Dies ist irreführend und falsch; denn durch die Umstellung auf Darlehen erhält auch künftig jeder Student bei entsprechenden Einkommensverhältnissen seine Ausbildungsbeihilfe. Es bleibt bei der alten Förderungssumme.
Schon jetzt wird ein Teil der Förderung als Darlehen gewährt. Es handelt sich also künftig nicht um eine Umstellung von Vollstipendium auf Volldarlehen. Auch der frühere Bundeskanzler Schmidt, meine verehrten Kollegen von der SPD, hat doch die Umstellung auf Darlehen gefordert.
Die Umstellung ist auch zumutbar. Die Rückzahlungsbedingungen für das Darlehen sind sozial gestaffelt, d. h. vom künftigen Einkommen und von der Lebenssituation abhängig.
Soll nicht ein gut verdienender Akademiker das Geld des Steuerzahlers zurückgeben?
Ich würde mir wünschen, daß in gleich emotionaler Weise wie hier über die Förderung der Bildung von Facharbeitern und Meistern diskutiert wird.
— Keine Frage. —
Offensichtlich wird der Bildungswille von Facharbeitern und Meister von vielen als nebensächlich angesehen.
Wer vor angeblich hohen künftigen Studienabbrecherquoten warnt, scheint auch das Verhalten der Studenten nicht richtig einzuschätzen.
Nach den Untersuchungen von Allensbach haben lediglich 6% der geförderten Studenten, das sind weniger als 2% der gesamten Studenten, erklärt, daß sie ihr Studium wahrscheinlich oder eventuell abbrechen müßten, wenn BAföG-Leistungen auf Darlehen umgestellt werden.
In der Diskussion wird auch völlig verschwiegen, daß durch die von der Bundesregierung beschlossenen Erlaßmöglichkeiten für besondere Leistungen bei der Rückzahlung des Darlehens indirekt wieder ein Stipendium eingeführt wird; denn 30% der Geförderten eines Examensjahrgangs erhalten 25 des Darlehens erlassen, wenn sie ihr Studium mit einem guten Erfolg abschließen.
Weitere 5 000 DM sollen den Studenten erlassen werden, die vier Monate vor Förderungshöchstdauer ihr Studium abschließen. Schließlich wird bis zur Hälfte des Darlehens erlassen, wenn der junge Akademiker den verbleibenden Darlehensrest vorzeitig zurückzahlt.
Um anschaulich zu machen, was das bedeutet, möchte ich noch ein Zahlenbeispiel bringen, weil hier j a so viele Zahlenbeispiele gebracht worden sind. Wenn alle diese Erlaßtatbestände vorliegen, muß der Hochschulabsolvent bei einem Darlehen von 40 000 DM nur ca. 13 400 DM zurückzahlen. Alles andere trägt der Staat. Das bedeutet: Knapp 70% der Förderungsleistungen sind Stipendien. Ist der Hochschulabsolvent zur vorzeitigen Rückzahlung nicht in der Lage, bleibt immer noch ein Stipendium von knapp 40%, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
Meine Damen und Herren, wer die Einführung von Leistungskomponenten in der Studienförderung erwachsener Menschen als Sozialdarwinismus bezeichnet, entlarvt sich selbst.
Dem stelle ich gegenüber: Leistung ist auch Sozialverpflichtung. Für jeden Menschen bedeutet
8778 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Frau Dr. Wilms
Leistung, materielle und ideelle, auch ein Stück Selbstverwirklichung.
Unsere Gesellschaft ist zudem auch auf die Leistung ihrer Bürger angewiesen. Denn nur wenn die Leistungsfähigen und die Leistungsstarken auch zur Leistung bereit sind, können die nicht mehr Leistungsfähigen und die Schwachen von ihnen und von der Gesellschaft unterstützt werden.
Dies ist ein Erfordernis der Solidarität und gilt für alle Lebensbereiche. Ich hoffe, daß wir wenigstens über dieses ordnungspolitische Prinzip noch Einigkeit finden. — Vielen Dank.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Schmidt .
Frau Schmidt (SPD) (von der SPD mit Beifall begrüßt): Sehr geehrte Frau Dr. Wilms! Es dürfte hier im Hause wohl das erste und einzige Mal sein, daß ein Minister in seiner gesamten Amtszeit kein einziges Mal eine Zwischenfrage zugelassen hat.
Ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie! Ich kann nur vermuten, warum das so ist. Wenn ich mir Ihre Rede anhöre, kann ich nur vermuten, daß das deshalb so ist, weil Sie keine Ahnung haben, weil Sie die Zusammenhänge nicht erkennen.
Frau Minister, warum sehen Sie denn nicht den Zusammenhang zwischen der Ausbildungsplatzsituation der Jugendlichen und der Streichung des BAföG, den es sehr wohl gibt? Warum sehen Sie den nicht? Warum geben Sie nicht zu, daß Sie mit dieser Änderung die Ausbildungsplatzsituation gerade der jungen Arbeitnehmer und der Lehrlinge verschärfen und nichts anderes?
Warum sehen Sie hier nicht, daß es in der Finanzpolitik überhaupt keinen Grund gibt, die Gemeinden mit zusätzlichen Belastungen zu belegen durch diese Maßnahmen, durch die die Sozialhilfeleistungen der Gemeinden steigen werden?
Warum, Frau Minister, lassen Sie zu, daß ein Gesetz so verändert wird, das von uns allen gemeinsam — und da kommt es mich schon sehr schlimm an — geschaffen worden ist und das wir zehn Jahre lang gemeinsam vertreten haben,
ein Gesetz, von dem der Herr Daweke noch bei der 7. Novelle gesagt hat, wir müßten mehr tun, wir dürften uns nicht auf das Erreichte beschränken?
Ich möchte einmal wissen, was sich in diesem einen Jahr geändert hat, außer daß Sie jetzt an der Regierung sind, daß Sie die Mehrheit haben und Ihre ordnungspolitischen Vorstellungen durchsetzen können.
Sie, verehrter Herr Kollege Daweke, werden in meinen Reden immer wieder erwähnt. Aus dem „Engholmschen Steckrübenwinter", wie Sie ihn unpassenderweise genannt haben, wird jetzt offensichtlich eine Wilmssche Wassersuppe.
Frau Minister, warum verhindern Sie die rechtzeitige Bekanntgabe der Zahlen des Deutschen Studentenwerkes, die nicht irgendwo, sondern bei Betroffenen ermittelt worden sind und die unsere Auffassung zum BAföG vollinhaltlich bestätigen?
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau von Braun-Stützer?
Ja, selbstverständlich, liebe Frau von Braun-Stützer!
Liebe Kollegin Renate Schmidt, in Ihren Ausführungen und auch in Ausführungen Ihrer Kollegen aus der SPD-Fraktion wird versucht,
hier im Bundestag die Situation so darzustellen, als sei die SPD schon seit 13 Jahren die Hüterin — —
Ich habe nicht sehr viel Zeit; kommen Sie bitte zu Ihrer Frage.
Es sind drei Fragen.
— Es wird so dargestellt, als sei die SPD die Hüterin des sozialen Friedens und des Fortschritts. Glauben Sie, daß es in diesem Zusammenhang besonders seriös ist, wenn Sie beispielsweise beim NATO-Doppelbeschluß
— ich komme gleich darauf; ich spreche von der Seriosität der Argumentation —, wenn Sie beispielsweise beim NATO-Doppelbeschluß verheimlichen wollen, daß dem früheren Bundeskanzler Schmidt der Verhandlungsteil mit Mühe abgerungen werden mußte; wenn Sie zweitens verheimlichen wollen, daß die KDV-Reform
— zwei Fragen noch!
Nein, nein!
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8779
Gut, dann sage ich nur: wenn Sie verheimlichen wollen, daß beim BAföG schon im vorigen Jahr — —
— Abschlußfrage: Betrachten Sie es als besonders seriös, wenn Sie es heute so darstellen wollen, als ob die Einsparmaßnahmen beim BAföG vom vorigen Jahr — —
Frau Abgeordnete, ich möchte Sie bitten, eine Frage zu stellen.
Den Zusammenhang zwischen der Diskussion über den Nato-Doppelbeschluß und dem BAföG kann ich jetzt nicht erkennen. Erlauben Sie mir daher, daß ich diese Frage nicht beantworte.
Lassen Sie mich bitte fortfahren: Frau Minister, Sie stellen junge Erwachsene an beruflichen Schulen vor beinahe ausweglose Situationen. Man möge sich bitte einmal vorstellen, daß junge Menschen im Alter von 25 oder 26 Jahren nach zehnjähriger Berufstätigkeit auf Berufsaufbauschulen, Fachoberschulen und ähnlichen Schulen versuchen, ihre Ausbildung zu vervollkommnen, und daß wir ihnen mit diesem Gesetz jegliche Existenzgrundlage entziehen.
Bis vor kurzer Zeit haben Schulleiter in Bayern, die Ihrer Partei sehr viel näher stehen als meiner, es noch nicht glauben wollen, daß dieses Gesetz so etwas beinhaltet. Sie glauben es jetzt, und ich hoffe, daß sich das in ihrem Wahlverhalten irgendwie niederschlagen wird.
Frau Minister, warum lassen Sie für 80 000 DM im Schnellschußverfahren in fünf Tagen obskure Umfragen durchführen, wenn Sie seriöse Zahlen haben? — Auf keine dieser Fragen bekommen wir von Ihnen irgendeine Antwort!
Warum lassen Sie den Irrsinn — den Irrsinn! — zu, daß Sie Steuermindereinnahmen von ca. 100 bis 200 Millionen DM durch dieses Gesetz überhaupt erst hervorgerufen, indem Sie das Studenten-BAföG auf Darlehen umstellen und Einnahmen erst 1992 haben werden? Sagen Sie mir, was das finanzpolitisch soll. Aber Frau Wilms hat heute ja dankenswerterweise gesagt, daß es diese Hintergründe offensichtlich nicht hat.
Frau Dr. Wilms, Sie wissen offensichtlich auch nicht, daß Ihre Rückzahlungsbedingungen, auf die Sie so großen Wert legen, nicht durchführbar sind. Es ist nicht etwa nur meine persönliche Meinung, sondern auch die Meinung der Westdeutschen Rektorenkonferenz,
daß diese Bedingungen, die Sie in diesem Gesetz verankert haben, nicht durchführbar sind, daß Sie damit eine Flut von Prozessen verursachen werden.
Alles in allem bleibt unsere Beurteilung dieser Maßnahme erhalten: finanzpolitisch verfehlt, gesellschaftspolitisch rückwärts in die 50er Jahre, bildungspolitisch Chancenungleichheit bis zur übernächsten Generation.
Wir beantragen deshalb namentliche Abstimmung über Art. 15 in der Ausschußfassung. Meine Fraktion wird dabei mit Nein stimmen.
Dieses Nein bedeutet ein Ja der SPD zur bisherigen Ausbildungsförderung des Bundes für die Kinder unseres Volkes.
Danke schön.
Es lieben keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung rufe ich jetzt den Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksache 9/2283, zur Abstimmung in zweiter Beratung auf. Die Fraktion der SPD hat gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung verlangt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Ich schließe die Abstimmung und unterbreche die Sitzung für zehn Minuten bis zum Ende der Auszählung.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich bitte, Platz zu nehmen.
Ich gebe das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes — Drucksache 9/2283 — bekannt: Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 469 ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 256 gestimmt, mit Nein haben 207 gestimmt, Enthaltungen gab es 6. — 19 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon ungültige Stimmen: Keine. Mit Ja haben 10 gestimmt, mit Nein haben 9 gestimmt, Enthaltungen gab es keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 468 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 255 und 11 Berliner Abgeordnete
nein: 207 und 9 Berliner Abgeordnete
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Dr. Arnold Austermann
Dr. Barzel
Bayha
Dr. Becker Frau Benedix-Engler Berger (Lahnstein) Biehle
Böhm
8780 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Vizepräsident Wurbs
Dr. Bötsch Bohl
Borchert Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler
Dr. Bugl
Carstens
Clemens
Conrad
Dr. Czaja Dallmeyer Daweke Deres
Dörflinger Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Eigen
Engelsberger
Erhard Eymer (Lübeck)
Dr. Faltlhauser Feinendegen
Fellner
Frau Fischer
Fischer
Francke
Franke
Dr. Friedmann
Funk
Ganz
Frau Geier
Frau Geiger
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach
Gerstein Gerster
Glos
Dr. Götz Günther Haase
Dr. Häfele Handlos
Hanz
Hauser
Frau Dr. Hellwig
Helmrich Dr. Hennig
Herkenrath
von der Heydt
Freiherr von Massenbach Hinsken
Höffkes Höpfinger
Frau Hoffmann Dr. Hornhues
Horstmeier
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka
Graf Huyn
Jäger
Jagoda
Dr. Jahn
Dr. Jenninger
Dr. Jobst
Jung
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Klein
Dr. Köhler
Dr. Köhler Köster
Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Dr. Kreile Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kunz
Lamers
Dr. Lammert
Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lemmrich Dr. Lenz
Link
Linsmeier Lintner
Löher
Louven
Lowack
Maaß
Magin
Dr. Marx
Dr. Mertes Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller Dr. Müller
Müller Müller (Wadern)
Müller
Nelle
Neuhaus
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Frau Pack Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Picard
Dr. Pinger Pohlmann
Dr. Pohlmeier Prangenberg
Dr. Probst Rainer
Rawe
Regenspurger
Repnik
Dr. Riedl
Dr. Riesenhuber
Frau Roitzsch
Dr. Rose Rossmanith Rühe
Ruf
Sauer
Sauer
Sauter
Sauter
Dr. Schäuble
Schartz
Schmitz
Dr. Schneider
Freiherr von Schorlemer Dr. Schroeder Schröder (Lüneburg) Schröder (Wilhelminenhof) Dr. Schulte (Schwäbisch
Gmünd) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer
Seehofer Seiters
Sick
Dr. Freiherr Spies von Büllesheim
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark
Graf Stauffenberg
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel
Vogt Voigt (Sonthofen)
Volmer
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warnke
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann
Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer
Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger Boroffka
Buschbom Dolata
Dr. Hackel Kalisch
Kittelmann Lorenz
Schulze
Straßmeir
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Beckmann Bergerowski
Frau von Braun-Stützer Bredehorn
Cronenberg Eimer Engelhard Ertl
Dr. Feldmann Frau Fromm Funke
Gärtner
Gallus
Gattermann Genscher
Grüner
Holsteg
Jung Kleinert
Dr. Graf Lambsdorff Merker
Möllemann
Neuhausen
Frau Noth Paintner
Popp
Rentrop
Riebensahm Dr. Riemer Ronneburger Dr. Rumpf Dr. Solms Timm
Dr. Wendig
Wolfgramm Wurbs
Dr. Zumpfort
Berliner Abgeordneter Hoppe
fraktionslos
Hofmann
Nein
SPD
Dr. Ahrens Amling
Antretter Dr. Apel
Auch
Baack
Bamberg Dr. Bardens
Becker Berschkeit Biermann
Bindig
Frau Blunck Börnsen
Brück
Büchler
Büchner
Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet
Conradi
Dr. Corterier Curdt
Frau Dr. Däubler-
Gmelin Daubertshäuser Dreßler
Duve
Dr. Ehmke Dr. Ehrenberg Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Engholm Frau Erler Esters
Ewen
Feile
Fiebig
Fischer Fischer (Osthofen) Frau Fuchs Gansel
Gerstl
Dr. Geßner Gilges
Ginnuttis Glombig
Gnädinger Gobrecht Grobecker Grunenberg Dr. Haack Haar
Haase
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8781
Vizepräsident Wurbs
Haehser
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herberholz
Herterich Heyenn
Hoffmann Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker Ibrügger
Immer Jahn (Marburg)
Jansen
Jaunich Dr. Jens Jungmann Kiehm
Kirschner
Klein
Dr. Klejdzinski
Kolbow Kretkowski
Dr. Kreutzmann
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Dr. h. c. Leber
Lennartz Leonhart
Frau Dr. Lepsius Leuschner
Dr. Linde Lutz
Mahne
Marschall
Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer
Meinike Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens Möhring
Müller
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann Neumann (Stelle)
Dr. Nöbel Offergeld Oostergetelo
Dr. Osswald
Paterna Pauli
Dr. Penner Pensky
Peter
Polkehn Poß
Purps
Rapp
Rappe Reschke
Reuschenbach
Reuter
Rohde
Rosenthal Roth
Sander
Dr. Schachtschabel Schäfer Schätz
Dr. Scheer Schirmer Schlaga
Schlatter
Schluckebier
Dr. Schmidt Schmidt (München)
Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmidt (Würgendorf) Schmitt (Wiesbaden)
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger
Schreiber Schreiner
Schröder Schröer (Mülheim) Schulte (Unna)
Dr. Schwenk Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Sperling Dr. Spöri
Stahl
Dr. Steger Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler
Stockleben Stöckl
Dr. Struck Frau Terborg
Thüsing
Tietjen
Frau Dr. Timm
Topmann Frau Traupe
Dr. Ueberschär
Urbaniak Vogelsang Voigt
Vosen
Wallow
Waltemathe Walther
Wehner
Weinhofer
Weisskirchen Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek Wiefel
von der Wiesche
Wimmer Wimmer (Neuötting) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram Wrede
Würtz
Wuttke
Zander
Zeitler
Frau Zutt
Berliner Abgeordnete
Bühling
Dr. Diederich
Dr. Dübber Egert
Hitzigrath Frau Luuk Männing
Dr. Mitzscherling Wartenberg
fraktionslos
Coppik
Hansen
Hölscher
Frau Schuchardt
Enthalten
FDP
Frau Dr. Engel Ginsberg
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Schäfer
Schmidt
Damit ist Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 31, Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2315 ist in der Sache erledigt. Wer dem Einzelplan in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit; der Einzelplan ist angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf: Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
— Drucksachen 9/2146, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Gerster
Dr. Riedl
Kühbacher
Gärtner Walther Hoppe
Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
— Drucksachen 9/2166, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Kühbacher
Dr. Riedl Walther
Hoppe
Einzelplan 33
Versorgung
— Drucksache 9/2164 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Borchert Kühbacher
Dazu rufe ich die zweite Beratung der Art. 9 und 16 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 und 9/2290, auf.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist verbundene Debatte von einer Stunde für die Einzelpläne 06, 36, 33 sowie die Art. 9 und 16 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Beachtung: die Einzelpläne 07 — Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz — und 19 — Bundesverfassungsgericht — werden nach einer interfraktionellen Vereinbarung erst morgen aufgerufen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
8782 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Vizepräsident Wurbs
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Riedl .
Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Platz zu nehmen.
Meine Damen und Herren, darf ich noch einmal bitten, Platz zu nehmen.
Danke schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die jüngsten Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus haben die Aufmerksamkeit unserer Bürger erneut auf das Thema innere Sicherheit gelenkt. Wir alle haben Grund, uns über die Verhaftungen der Topterroristen Klar, Schulz und Mohnhaupt zu freuen.
Mit diesen Namen war eine tiefe Verunsicherung unserer Bevölkerung, ja des gesamten Staates bis hin in die Gestaltung der Rechts- und Innenpolitik verbunden. Wir danken den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern für den vorbildlichen Einsatz und den damit verbundenen Erfolg.
Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Problem des Terrorismus ist leider nicht erledigt. Zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge mit zunehmender Tendenz führen uns nahezu täglich die Gefahrenlage drastisch vor Augen. Ihren vorläufigen Höhepunkt haben sie in dem heimtükkischen Bombenanschlag am gestrigen Dienstag auf ein Privatkraftfahrzeug eines amerikanischen Soldaten in Butzbach gefunden. Dieser Soldat hat schwere, j a leider lebensgefährliche Verletzungen erlitten. Ich darf wohl im Namen des ganzen Hauses hier sprechen, wenn ich diesen Anschlag gegen unsere amerikanischen Verbündeten auf das schärfste verurteile.
Den amerikanischen Freunden versichern wir, daß die Sicherheitsorgane von Bund und Ländern mit Entschlossenheit alles unternehmen werden, diesem verbrecherischen Tun ein Ende zu bereiten.
Die derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwingen dazu, sich auch im Sicherheitsbereich auf das zur Zeit Notwendigste zu beschränken. Abstriche sind deshalb nicht nur beim BAföG, sondern auch im Bereich der inneren Sicherheit unumgänglich. Sie sind aber vom Haushaltsausschuß — das darf ich sagen — in dem Bewußtsein vorgenommen worden, in keinem Fall die Substanz und damit die Schlagfertigkeit der Sicherheitsorgane zu gefährden. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat sich diese Entscheidungen — das werden die Kollegen der SPD bestätigen können — sicherlich nicht leichtgemacht.
Wegen der Kürze der Zeit werde ich mich auf den Bereich der inneren Sicherheit beschränken. Mein Kollege Gerster wird nach mir zu einigen anderen Schwerpunkten des Einzelplans 06 Stellung nehmen.
Ich darf deshalb aus dem Einzelplan 06 einmal die Summe nennen, die im Haushalt 1983 für Zwecke der inneren Sicherheit vorgesehen ist. Es sind rund 1,6 Milliarden DM. Diese Haushaltsansätze sind damit im Jahr 1983 gegenüber den Ansätzen von 1982 um 3,1% erhöht worden. Wenn man berücksichtigt, daß zwei Drittel der Mittel für Personalausgaben benötigt werden, so wird klar, daß dabei die Sachausstattung unserer Sicherheitsbehörden relativ knapp bemessen ist.
Ein besonderes Problem war bei den Haushaltsberatungen die einprozentige Stellenkürzung zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung.
Ursprünglich wollte der Bundesminister des Innern diese einprozentige Stellenkürzung für den gesamten Bereich der inneren Sicherheit verhindern. Die Mehrheit des Haushaltsausschusses konnte sich diesem Willen des Bundesinnenministers aber leider nicht anschließen. Ausgenommen wurden nach langem, zähem Ringen — ich darf dem Bundesinnenminister bestätigen, daß er bis hinein in unsere Fraktion um jeden Mann gekämpft hat;
sein Kampf war letztlich doch nicht ganz ohne Erfolg — die Polizeivollzugsbeamten des Bundesgrenzschutzes, und das — ich will es mit einigen Sätzen sagen — mit gutem Grund.
Nachdem der Bundesgrenzschutz in den beiden letzten Haushaltsjahren durch Etatkürzungen insgesamt 568 Planstellen im Polizeivollzugsdienst verloren und damit mehr als eine Grenzschutzabteilung eingebüßt hatte, hätte diese einprozentige Stellenkürzung zu substantiellen Eingriffen bis hin zur Auflösung von Standorten führen müssen. Seit 1976 wurde der Bundesgrenzschutz in bisher nicht gekanntem Maße zur Unterstützung der Polizeien der Länder einschließlich der vielfältigen Bewachungsaufgaben im In- und Ausland eingesetzt. Stellenkürzungen hätten die Möglichkeit der Bereitstellung von Kräften für die Länder, wie sie das Programm für die innere Sicherheit vorsieht, in nicht vertretbarem Maße reduziert und damit eine Sicherheitslücke geschaffen. Das hat der Haushaltsausschuß so gewürdigt.
Leider konnten für das Bundeskriminalamt und für das Bundesamt für Verfassungsschutz Ausnahmen nicht gemacht werden. Ich darf sagen: Wenn man im Haushaltsausschuß ganz generell einprozentige Kürzungen jedweder Art oder eine fünfprozentige Kürzung wie bei den Subventionen beschließt und dann mit Ausnahmen anfängt, kommt man zu keinem Ende. Das war auch ein Entscheidungszwang, unter dem der Haushaltsaussschuß stand. Ich will das auch in aller Offenheit so sagen. Herr Kollege Kühbacher, wir wissen inzwischen alle, wie man bei einer pauschalen Forderung nach,
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8783
Dr. Riedl
sagen wir einmal, einer fünfprozentigen Subventionskürzung verfahren kann.
Dennoch gilt: Haushaltspolitiker dürfen es trotz enormer Sparzwänge doch nicht als ein Naturgesetz hinnehmen, daß die Kriminalität in unserem Land von Jahr zu Jahr steigt. Mehr als 4 Millionen registrierte Delikte im Jahre 1981 und damit eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 6,7 % stellen einen traurigen Rekord dar. Das wird um so deutlicher, wenn man weiß, daß gerade im Bereich der Gewaltkriminalität überdurchschnittliche Steigerungsraten zu verzeichnen sind.
Insbesondere Raub- und Diebstahlskriminalität haben eine Bedrohlichkeit erreicht, die unseren Bürgern ohne Gefahr für die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates nicht länger zugemutet werden kann. Bei rund 2,6 Millionen Diebstählen im Jahre 1981 in der Bundesrepublik Deutschland haben wir also alle 12 Sekunden einen Diebstahl festzustellen. Bei fast 300 000 Einbrüchen geschieht in der Bundesrepublik Deutschland alle 100 Sekunden ein Einbruch. Bei 171 373 Wohnungseinbrüchen, von denen Rentner, kleine Leute, aber auch Reiche betroffen werden können, also jeder, geschieht alle drei Minuten ein Wohnungseinbruch, wobei die Aufklärungsquote sage und schreibe nur 26% beträgt.
— In München, Herr Kollege, und in den Großstädten sind diese Zahlen noch größer. Dies sind Zahlen für die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Sie haben recht mit Ihrem Zwischenruf. In den Ballungsräumen sind die Prozentzahlen leider Gottes noch größer, auf dem flachen Land etwas kleiner.
Der Anstiegstrend bei der Kriminalität setzte sich leider auch im ersten Halbjahr 1982 fort, und dies kann nicht geduldet werden.
Dem Kampf gegen das Rauschgift — meine Damen und Herren, ich will das in ganz wenigen Sätzen sagen — müssen ein ebenso hoher Stellenwert und eine ebenso hohe Bekämpfungsleidenschaft beigemessen werden wie dem Kampf gegen den Terrorismus.
Die Zahl der Opfer durch Rauschgift betrug 1982 bis zum Ende des Monats November 304 Tote.
Verglichen mit denjenigen, die Opfer des Terrorismus sind, könnte sogar der Schluß naheliegen, daß diese Kriminalität noch gefährlicher als der Terrorismus ist.
Ich möchte auch den Bereich der Wirtschaftskriminalität erwähnen, der sich gerade bei schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausweitet. Der volkswirtschaftliche Schaden — dies sollte in einer Haushaltsdebatte auch einmal gesagt werden — ist kaum vorstellbar.
Nach Aussagen von Fachleuten des Bundeskriminalamts und des Bundesinnenministeriums beträgt die Summe pro Jahr einschließlich der Steuerhinterziehungen 15 bis 20 Milliarden DM.
Das sind die Schäden durch die Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man dem die Ausgaben im Einzelplan 06 für die innere Sicherheit, die nur 1,6 Milliarden DM betragen, gegenüberstellt, Herr Kollege Lambinus, dann weiß man, welche Aufgaben hier auf unsere Polizei zukommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe leider nur zehn Minuten Redezeit. Ich will mich auch im Interesse der Kollegen, die nicht unbedingt bis in die späte Nacht hier sitzen wollen, darauf einstellen. Deshalb gestatten Sie mir zum Schluß noch ein kurzes Wort zum Bundesgrenzschutz. Wir waren vor einigen Jahren bei der einstimmigen Verabschiedung des Personalstrukturgesetzes der Meinung, eine dauerhaft befriedigende Lösung gefunden zu haben. Mir scheint, daß sich der Gesetzgeber hier doch ein wenig geirrt hat; denn die Erwartung, daß die Länder kontinuierlich einen Teil der ausgebildeten BGS-Beamten übernehmen, hat sich leider nicht erfüllt, so daß der Bundesgrenzschutz heute vor der Gefahr einer Überalterung steht. Es ist sicherlich auch eine der wichtigen Aufgaben des Herrn Bundesinnenministers, in den nächsten Monaten einmal darüber nachzudenken, inwieweit man das Bundesgrenzschutz-Personalstrukturgesetz in dieser Hinsicht nicht doch novellieren sollte.
Lassen Sie mich eine Schlußbemerkung machen. Eine noch so erfolgreiche Tätigkeit unserer Sicherheitsbehörden kann nicht allein mit einer noch so gut gemeinten finanziellen Ausstattung ausgeübt werden. Sicherheitspolitik muß auch auf einer entschlossenen politischen Grundhaltung beruhen, bei der jede Art von Verunsicherungstendenzen für unsere Polizei und für unsere Beamten draußen vor Ort vermieden werden.
• Ich möchte den Bundesinnenminister ermuntern, an die gute Tradition der Bundesinnenminister der Jahre 1949 bis 1969 anzuknüpfen. Ich möchte aber auch den Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher erwähnen, der in seiner Amtszeit der Polizei ein Gefühl der politischen Rückendeckung gegeben hat.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat volles Vertrauen zur Politik der inneren Sicherheit, wie sie mit großer Behutsamkeit, mit
8784 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Dr. Riedl
großem Bedacht — manche in den Reihen der SPD haben ihm dies gar nicht zugetraut — von Dr. Friedrich Zimmermann, seit er dieses Amt übernommen hat, betrieben worden ist.
An ihn gewandt möchte ich zum Schluß sagen: Lieber Herr Dr. Zimmermann, verstehen Sie diese Haushaltsbeschlüsse als einen Beweis unseres Vertrauens und unserer Bereitschaft zur Unterstützung. Wir stimmen deshalb Ihrem Einzelplan gern zu.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühbacher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die letzte Bemerkung des Kollegen Riedl aufgreifen. Herr Bundesinnenminister, Sie brauchen es mit der Koalitionsunterstützung nicht so zu treiben, daß Sie die BKA-Beamten beim Bundesaußenminister zum Zuhören verurteilen, damit er wenigstens ein bißchen Publikum hat; denn anschließend werden vielleicht die Waffen geklaut. Ich denke, diese Beamten sollten lieber bei ihren Waffen bleiben.
— Ganz hervorragend! — Aber dies ist eine Debatte im intimen Kreise. Wir sollten sie in ruhigem Ton weiterführen.
Ich möchte das, was Kollege Riedl zum Bundesgrenzschutz gesagt hat, Ihnen, Herr Minister, ganz nahebringen, weil die Frage der Überleitung der Beamten wirklich ein Problem ist. Nur, was die Stellenkürzung angeht, Herr Kollege Riedl, so muß ich einen Ihrer Kollegen zitieren, der mir gesagt hat: „Wenn der Zimmermann Innenminister wird, dann brauchen wir keine Stelleneinsparungen mehr; durch stramme Haltung werden 2 000 Beamte ersetzt." — Dies hat sich nun nicht erfüllt. Aber wir werden ja sehen.
Herr Bundesinnenminister, man hat ja eine Reihe von Vorurteilen Ihnen gegenüber gehabt. Sie haben bislang — das sage ich einmal — keinen Anlaß zu größerer Kritik gegeben. Nur habe ich das Gefühl, daß Ihre Rolle im Kabinett als RZ, als reaktionäre Zelle, von der Frau Bundesbildungsministerin übernommen worden ist. Ich finde diesen Rollentausch nicht ganz gut, daß die Frauen in diesem Schritt nach rückwärts so an der Spitze stehen.
— Das sollte noch ein kleiner Hieb sein, Herr Miltner.
Ich will ganz kurz drei Punkte ansprechen, von denen ich meine, daß sie zum Innenbereich gehören.
Ich fange beim öffentlichen Dienst an. Ich glaube, Herr Minister, Sie müssen aufpassen, daß Ihnen die Gesamtkompetenz und die Gesamtverantwortung für den öffentlichen Dienst nicht abhanden kommen.
Mit der Vorgabe, im nächsten Jahr nur 2 % Gehaltserhöhung zuzulassen, kommen Sie spätestens im Sommer, wenn die Tarifverhandlungen im übrigen Wirtschaftsbereich andere Daten setzen, in eine Klemme. Sie werden — das ist meine Prophezeiung — diese 2%-Vorgabe nicht halten können. Sie ist geradezu eine Herausforderung an die Tarifpartner, zu einem höheren Abschluß zu kommen. Über eines müssen wir uns in diesem Hause klar sein: Wenn höher abgeschlossen wird, dann ist das Haushaltsbegleitgesetz bezüglich der 2%-Vorgabe zu ändern.
In diesem Zusammenhang, Herr Minister, finde ich die Aktion der Deutschen Postgewerkschaft bemerkenswert, die uns Abgeordnete j a über die Besoldungsverhältnisse im einfachen Dienst aufgeklärt hat. Wenn ein Oberschaffner von 30 Jahren monatlich 1 928 DM verdient und im nächsten Jahr nach Ihrer Vorlage 38 DM mehr bekommen soll, gleichzeitig aber etwa 120 DM verliert, dann kann er nicht mehr an die Fürsorgepflicht des Bundesinnenministers glauben.
Wir dürfen mit der Kritik auch bei uns selber nicht sparen. Daher sage ich Ihnen, daß im Bereich des Verteidigungsministeriums weit über 1 000 Beförderungen von A 14 nach A 15, von A 13 nach A 14 möglich sind. Hierbei geht es immer um persönliche Einkommenszuwächse von 300 bis 500 DM. Da muß man nachdenklich werden, wie das verkraftet werden soll.
Ich will auch beim Bundestag nicht Schluß machen, Herr Präsident. Unter der fürsorglichen Hand von Herrn Präsident Stücklen sind hier im Hause Stellenhebungen für Beamte von A 16 nach B 3, von A 15 nach A 16 — das sind Einkommenszuwächse von 600 DM — gemacht worden. Auch das ist eine Beförderungskette.
Ich finde das nicht gut.
An zwei Stellen im Bundesbereich gibt es Zuwächse. Das muß Druck seitens der übrigen Minister hervorrufen. Jeder wird hier nacheifern. Ich finde, an der Ecke hätten Sie aufpassen sollen, Herr Minister. Es gleitet Ihnen aus den Händen. Ich fürchte, Sie müssen es korrigieren.
Wo ich gerade bei den Spitzeneinkommen bin, möchte ich dem Hause einen Punkt erläutern, der in diese Debatte gehört, weil er denjenigen öffentlichen Dienst betrifft, der nun leider abgeschaltet hat, nämlich die Rundfunkanstalten. Wir haben uns mit dem Thema Rundfunkanstalten intensiv beschäftigt. Dieser Bereich des öffentlichen Dienstes, Herr Minister — wir alle drei Berichterstatter, Herr Gärtner, Herr Gerster und ich, haben dem Bundeskanzler einen Brief geschrieben —, ist offensichtlich noch immer eine Insel der Glückseligkeit.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8785
Kühbacher
Hier werden Verdienste erzielt — wir haben dazu ein intimes Gutachten des Rechnungshofs bekommen —, bei denen einem die Luft wegbleibt.
Besonders ärgert mich dabei folgendes. Ich lese hier so, daß ein gehobener Redakteur nicht schlecht verdient.
Tatsächlich verlangte Arbeitsleistung je regelmäßige Arbeitswoche: 30 Stunden. — Da bleibt einem nun wirklich die Spucke weg.
— Ja, wahrscheinlich.
Herr Minister, meine herzliche Bitte ist es — Sie haben ja als jemand, der, wie ich glaube, dem Aufsichtsgremium im ZDF angehörte, spezielle Erfahrungen im Sparen —, daß Sie sich dieses Themas annehmen. Es kann nicht angehen, daß die Journalisten in den Rundfunkanstalten, im Sessel sitzend, über den öffentlichen Dienst herziehen und sich selber so bedienen. Dieses muß einmal angesprochen werden.
Ich will diese Kritik deshalb noch ein wenig ausdehnen, weil hier auch der Datenschutz eine Rolle spielt.
— Die sind nicht unerheblich. Es gibt einen Intendanten, der 231 000 DM im Jahr verdient.
— Das ist der eine Intendant. Es gibt noch andere Intendanten. Der beim ZDF kriegt mehr als der Bundeskanzler. Ich habe das schon einmal zum Ausdruck gebracht.
Beim ZDF will ich jetzt einmal bleiben, Herr Kollege Haase, weil das ZDF beispielsweise dem Landesrechnungshof in Rheinland-Pfalz verbietet, den Landtag in die Unterlagen hineinschauen zu lassen. Zur Begründung wird dabei auf den Datenschutz verwiesen.
Man könne, wenn man in den Unterlagen nachschaut — so schreibt das ZDF an den Landesrechnungshof —, bei dem einzelnen Journalisten ins Portemonnai blicken. Wir verabschieden gerade das Haushaltsbegleitgesetz. In dem Haushaltsbegleitgesetz ist die Besoldung im öffentlichen Dienst klar ablesbar. Jeder Polizeibeamte, wenn man nur sein Alter kennt, wird sich somit nachkontrollieren lassen. Das gleiche gilt für jeden Obermeister, für jeden Regierungsdirektor. Das ist frei ablesbar. Die Herren Journalisten aber sagen — und die Spitze des Hauses deckt das noch ab —, man dürfe dies bei ihnen aus Datenschutzgründen nicht wissen.
Dies ist nachzukarten. Herr Minister, ich bitte Sie, zusammen mit dem Bundeskanzler und mit den Ministerpräsidenten der Länder dafür zu sorgen, daß dieser Bereich durchschaubar wird, transparent wird. Die Journalisten sind für Offenheit, wir sind auch für Offenheit von deren Gehältern.
— Daß Sie einen neuen Datenschutzbeauftragten bringen werden — darauf wird der Kollege Schäfer noch eingehen —, befürchten wir schon lange.
Ich will einen letzten Punkt ansprechen, Herr Minister. Hier spreche ich nicht für meine Fraktion, sondern ganz für mich allein. Sie haben in Zirndorf zum Thema „Ausländer" einige Sätze gesagt, von denen ich meine, sie sollten hier gewürdigt werden. Sie sprechen von Integrationsbemühungen und davon, daß diese Integrationsbemühungen insbesondere im Hinblick auf türkische Mitbürger dann zum Scheitern verurteilt seien, wenn die Kinder der Türken zum Besuch von Koranschulen gezwungen werden. Ich kann Ihnen nur recht geben. Ich kann nur unterstreichen, daß jeder türkische Mitbürger, der hier leben will, wissen muß, daß hier in der Bundesrepublik das Grundgesetz und nicht der Koran gilt.
Wer diese Auffassung nicht teilt, muß sich solche Kritik von hier gefallen lassen.
Ich will einen anderen Punkt ansprechen. Ich spreche hier wirklich nur für mich allein.
Ich halte Ihre Position im Hinblick auf das sechste Lebensjahr, was den Zuzug im Rahmen der Familienzusammenführung angeht, für richtig, weil entweder Familie oder aber Broterwerb im Mittelpunkt steht. Von daher kann ich das nur unterstützen. Bleiben Sie auf diesem Wege! Wenn Sie dabei vermeiden, zu kantig, zu hart zu werden, und in Richtung Integration arbeiten, werden Sie jedenfalls meine Unterstützung bekommen.
Herr Minister, der Sie ja nun wirklich nur ein Übergangsminister sind
— nach dem 6. März werden wir Ihre wohlmeinenden Worte wohl hoffentlich in eigener Verantwortung durchsetzen können —, ich kann Ihnen nur bestätigen: Bleiben Sie bis zum 6. März so zurückhaltend, dann waren Sie ein guter Innenminister.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerster.
8786 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst dem Kollegen Kühbacher wie auch dem Kollegen Gärtner für die kooperative Zusammenarbeit bei den Haushaltsberatungen danken. Sie sind meine beiden Mitberichterstatter. Ich möchte dem Kollegen Kühbacher aber auch für seine sehr besonnene Rede, die er heute abend hier gehalten hat, sehr herzlich danken.
Ich will ihm nur in einem einzigen Punkt etwas widersprechen: Warum soll man einen so erfolgreichen Minister wie Dr. Zimmermann am 6. März wieder abwählen?
So wie Sie ihn hier gelobt haben, können Sie doch nur Ihre bayerischen Parteifreunde ermuntern, am 6. März CSU und Herrn Dr. Zimmermann zu wählen. Das wäre eine konsequente Fortfühung Ihrer heutigen Rede.
Mir scheint es auch bemerkenswert zu sein, daß der Kollege Kühbacher hier sagt, es habe Vorurteile gegen diesen Innenminister gegeben, er habe aber bisher keinen Anlaß zu einer größeren Kritik geboten. Ich darf die Kollegen der SPD bitten: Fahren Sie so fort! Das ist hervorragend. Sie werden Anlaß haben, dies nicht nur diesem Innenminister gegenüber zu bestätigen, sondern dieser gesamten Bundesregierung. Das heißt, auch bei Ihnen setzt sich ganz offensichtlich langsam durch, daß wieder regiert wird, daß mit Maßen regiert wird. Und ich würde nur bitten, daß Sie der Kollegin Frau Schmidt, die das noch nicht so ganz begriffen und vorhin zum BAföG eine Rede gehalten hat,
diese Erkenntnis übermitteln.
Lassen Sie mich in aller Kürze zu vier Punkten Stellung nehmen.
Erstens. Mit der Besoldungsanpassung von zwei Prozent zum 1. Juli 1983 werden die Beamten einen wichtigen Beitrag zur Sanierung des Bundeshaushalts leisten. Ihr Verzicht trägt dazu bei, daß die Lasten der öffentlichen Hand in Grenzen gehalten und daß zugleich Mittel zur Belebung der Wirtschaft und zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit freigesetzt werden.
Dieser Solidarbeitrag unkündbarer Arbeitnehmer zugunsten der Arbeitslosen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er darf — und das sage ich mit allem Nachdruck — aber nicht zur Ungleichbehandlung im öffentlichen Dienst führen.
Ich bitte von dieser Stelle alle, die einen unkündbaren Arbeitsplatz haben, und alle, die sich zu Vertretern von Arbeitnehmern, die unkündbar sind, machen, hier nicht zunächst an das eigene Portemonnaie, sondern an das Schicksal von zwei Millionen Arbeitslosen zu denken und maßzuhalten.
Wenn Sozialdemokraten — nicht der Kollege Kühbacher heute und hier — draußen wegen der angeblichen schlechten Behandlung der Beamten Krokodilstränen vergießen, sollten sie sich erinnern, daß die von ihnen geforderte Arbeitsmarktabgabe bedeutend größere Einschränkungen gebracht und zu Ungerechtigkeiten geführt hätte. Sie sollten auch bedenken, daß es ja ihre Bundesregierung war, die im letzten Jahr per Gesetz sogar eine EinProzent-Kürzung bei den Beamten durchführen wollte, daß die Sozialdemokraten dann während der Tarifverhandlung umgekippt sind und nicht das an Kontur und Richtung halten konnten, was sie selbst eingebracht hatten.
Meine Damen, meine Herren von den Sozialdemokraten, bei allem Verständnis für all den Ärger, den Sie in Ihrer Oppositionsrolle haben, macht mir Sorge, daß Sie in diesen Tagen und Wochen über Land laufen und versuchen, einzelne Berufsgruppen aufzuhetzen. Ich sage Ihnen: Sie sind als Interessenwahrer und Interessenvertreter der Beamten mit Sicherheit nicht geeignet und wenig glaubwürdig. Wer hat denn seit Jahren versucht, öffentliche Stimmung, verbunden mit Neidkomplexen, gerade gegen die Beamten zu wecken?
Ich will statt vieler Beispiele nur ein Zitat aus der „Wilhelmshavener Zeitung" vom 24. Juni 1977 bringen, dem nie widersprochen wurde. Demnach sagte der damalige Bundesarbeitsminister Ehrenberg — ich zitiere wörtlich —:
Im übrigen vertrete auch er die Meinung seines Freundes Heinz Kluncker, die Väter des Grundgesetzes müßten bei der Einführung des Berufsbeamtentums geistig umnachtet gewesen sein.
Das hat Herr Ehrenberg nie widerrufen.
Ich glaube, daß derartige Äußerungen, wo die Beamten — die natürlich auch ihre Fehler haben —
als eine Art Buhmann in die Ecke gestellt werden, die gebotene Fairneß gegenüber diesem Berufsstand vermissen lassen. Beamte und — ich füge hinzu — Richter und Soldaten leisten ihren Beitrag zum Ganzen. Und ich glaube insgesamt, daß sich diese Einrichtung des Beamtentums und der verwandten Gruppen bei uns bewährt hat. Ich meine, man sollte der Masse dieses Personenkreises, den allermeisten, auch an dieser Stelle gerade dann, wenn wir nicht so viel verteilen können, wie wir es gern möchten, ein herzliches und öffentliches Dankeschön für ihre Leistung sagen.
Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen: den Umweltschutz, der mit Sicherheit nachher auch Thema meines Kollegen Schäfer sein wird. Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, daß der Umweltschutz von jeher für die Union einen hohen Stellenwert hatte. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine der wichtigsten Aufgaben der Gegenwart und Zukunft. Ich füge hinzu, Umweltschutz ist weder eine Erfindung der soziallibe-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8787
Gerster
ralen Koalition noch anderer Gruppen, mögen sie noch so bunt und schillernd sein, wenn sie auftreten. Wir sollten uns hüten, hier einen künstlichen Gegensatz aufzubauen, der im wesentlichen nicht vorhanden ist.
So hat der Haushaltsausschuß auf Vorschlag der Regierung für das nächste Jahr auch die Umweltschutzmittel um insgesamt 5,9 % erhöht. Das ist bedeutend mehr als der Prozentsatz, um den der Gesamthaushalt steigt, und bedeutend mehr als die Steigerung in den meisten Einzelbereichen, wo wir ja zum Teil sogar kürzen. So hat diese Regierung die Novelle zur Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft in kürzester Zeit verabschiedet. Wie Sie wissen, ist die Großfeuerungsanlagenverordnung mit den Kreisen und Ländern erörtert und wird auf den Weg gebracht. Eine Reihe weiterer Maßnahmen wurde dem Innenausschuß erläutert und ist bereits in Arbeit.
Ich glaube, man kann sagen, daß es mit dem Umweltschutz nicht nur weitergeht, allerdings werden in der Zukunft weniger Luftblasen produziert. Es wird vielmehr an die Arbeit herangegangen, und es wird wieder gehandelt, wobei wir allerdings den Umweltschutz nicht nur als ein Gebot ökologischer, sondern auch als ein Gebot ökonomischer Vernunft ansehen.
Der dritte Bereich, den ich in Kürze ansprechen will, betrifft die Förderung des Sports. Immerhin steigen im nächsten Jahr trotz der bekannten Finanznot die Ansätze für den Sport um 8,2 %. Allerdings liegt dabei der Schwerpunkt auf Baumaßnahmen, die natürlich auch der Schaffung von Arbeit und Aufträgen und damit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit dienen sollen. Wir bitten allerdings in aller Deutlichkeit die Spitzen der Sportverbände, sich auch in ihrem Bereich um ein Höchstmaß an Sparsamkeit zu bemühen.
Wir lehnen Sonderopfer für den Sport ab, und wir wollen auch dem Breiten- und Leistungssport nichts wegnehmen. Nur meine ich, mancher teure Auslandslehrgang und manche großzügige Funktionärsreise sollte zumindest nicht von der öffentlichen Hand finanziert werden.
Ich komme zu einem vierten Punkt, zur Kultur. Es ist natürlich ohne Zweifel richtig, daß in einem Kulturstaat auch bei knappen Kassen Steuermittel für die Kulturförderung vorhanden sein müssen. Kultur, Sprache, Dichtung, Musik, Bildende Kunst, Theater, Film sind Grundlage und einigendes Band unserer Nation. Das Wirken der Künstler, die Begegnung des Bürgers mit der Kunst waren in guten wie in schlechten Zeiten ein entscheidender und unverzichtbarer Faktor für das geistige Leben unseres Volkes.
Der Bund stellt im nächsten Jahr mit 195 Millionen DM mehr Mittel zur Verfügung als im Jahre 1982. Der Ansatz betrug damals 191,3 Millionen DM. Ich füge hier allerdings hinzu, daß es mit diesen Mitteln nicht allein getan ist, daß dies nicht ausreichend ist, sondern daß hier natürlich die Länder und Gemeinden dem Bund zur Seite treten, wenn es um die Kulturförderung geht. Hier haben wir die herzliche Bitte an die Bundesregierung, den Kompetenzwirrwarr, der zum Teil zwischen Bund und Ländern besteht, auf Dauer aufzulösen und zu klaren Abgrenzungen zu kommen.
Ich möchte einen einzigen Gesichtspunkt noch in diesem Zusammenhang ansprechen. Wir glauben, daß der Bewahrung und Erhaltung des kulturellen Erbes des deutschen Ostens dabei eine ganz besondere Priorität zukommen muß.
Wir bitten die Bundesregierung, in diesem Bereich einen Schwerpunkt zu sehen und ihm ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Wir stimmen diesem Haushalt zu. — Ich darf mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Lieber Herr Kollege Kühbacher, Sie machen es mir leicht oder schwer, je nachdem wie man es sehen will: Ich sehe keinen Ansatz zur Kritik. Nach bayerischer Mundart würden Sie heute auch nicht auf den Titel Anspruch erheben können, wenigstens ein „Waderlbeißer" bei der Diskussion des Innenbereichs gewesen zu sein.
Ich möchte aber doch die Ausführungen des Kollegen Riedl vervollständigen. Er hat vorhin die früheren Innenminister genannt, und dann hat er den früheren Bundesinnenminister Genscher gelobt. Ich möchte das auf den Bundesinnenminister Baum ausdehnen,
unter dessen Ägide wir wichtige Gesetze im Bereich des Umweltschutzes verabschiedet, wichtige Bereiche der Freiheitsrechte für den einzelnen erweitert haben.
Ich halte das für angemessen und richtig.
Ich will mich aber jetzt mit dem beschäftigen, was wir in der kurzen Zeit der Koalition der Mitte geleistet haben. Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit lag ja im Bereich des Haushalts, der Finanzen, der Wirtschaft. Trotzdem waren auch in der Innenpolitik wichtige Punkte zu behandeln und durchzusetzen.
Ich möchte hier nicht anstehen, dem Bundesinnenminister sehr dafür zu danken, daß die Technische Anleitung Luft ohne Abstriche auf den Weg gebracht worden ist.
Ich möchte an die Länder, die ja am 20./21. dieses
Monats im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz in Bonn tagen werden, appellieren,
8788 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Wolfgramm
keine Veränderungen an den Werten vorzunehmen. Das Hearing dürfte diesen Appell unterstreichen.
Ich gehe weiter davon aus, daß die Großfeuerungsanlagen-Verordnung zügig ihren Weg nimmt. Ich appelliere an die Industrie, ihre Altanlagen stillzulegen und eines der drei wichtigen Prinzipien im Umweltschutz, nämlich das Kooperationsprinzip, zum Anlaß zu nehmen, um nun auf Grund dieses Gesetzes zusammen mit dem Staat das zu tun, was für die Reinhaltung der Luft und für die Bekämpfung des sauren Regens wichtig und nötig ist.
Zu dem Erfolg bei der Terroristenfahndung kann ich das BKA und die Landesbehörden nur beglückwünschen. Ich meine, uns sind zwar noch nicht alle Sorgen genommen, aber das ist ein deutlicher Erfolg für die genannten Behörden.
Das Kontaktsperregesetz ist auf einem guten Weg. Ich hoffe sehr, daß wir bald — und damit dann auch endgültig — zum Ziel kommen. Ich möchte dabei aber auch betonen, daß Sie bei einer weiteren Einschränkung von Demonstrationsrechten, von Freiheitsrechten — wie es hier und da j a einmal vorgetragen worden ist — auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen werden. Dies ist eine wichtige Position der Freien Demokraten. Wir werden sie auch nicht unter veränderten Koalitionsbedingungen aufweichen lassen oder gar aufgeben.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zum Stellenplan des Einzelplans 06 machen. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß wir hier keine Stellenvermehrung haben. Es gibt Umsetzungen — im Umweltbundesamt wurden mehr Stellen geschaffen, was notwendig und geboten ist; in anderen Bereichen gibt es dafür einige Stellen weniger —, aber es ist keine Stellenvermehrung vorgesehen. Damit sind wir in einem großen Bereich — das Bundesinnenministerium hat die meisten Mitarbeiter im Ministerium und im nachgeordneten Bereich — einer wichtigen Voraussetzung unserer haushaltspolitischen Vorstellungen gefolgt.
Zur Besoldungsanhebung um 2 % möchte ich für meine Fraktion sagen, daß wir das in dieser schwierigen Zeit für notwendig halten. Wir werden jedoch sorgfältig darauf achten, daß sich zwischen dem Tarifbereich im öffentlichen Dienst und den Beamten die Schere nicht zu weit öffnet. Wir werden dann auch Überlegungen darüber anstellen, wie man helfen kann.
Die Freien Demokraten wollen den freiheitlichen Bereich unserer Rechtsordnung weiterentwickeln. Wir werden die Minderheiten dabei nicht allein lassen, wir werden sie einbeziehen. Wir wollen, daß die Staatsbürger ihre Rechte wie bisher ohne Furcht ausüben können.
Staatliche Machtanwendung muß zurückhaltend sein. Unsere politische Aufgabe wird es auch in Zukunft sein, Ursachen von innenpolitischen Spannungen zu erkennen und die Lösungsmöglichkeiten zu finden, auch in der Diskussion in diesem Haus, hier im Plenum. Das Gewaltmonopol sollte dabei
nicht von vornherein eingesetzt werden, wobei unbestritten ist, daß das Gewaltmonopol nur dem Staat zusteht.
Ich begrüße noch einmal ausdrücklich, daß der Kollege Erhard in einer früheren Debatte gesagt hat, daß auch für ihn Freiheit den absoluten Vorrang habe.
Übrigens, Walter Rathenau hat einmal gesagt, es handele sich darum, an die Stelle einer blinden und unüberwindlichen Institution die Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu setzen, dem Menschen die Freiheit nicht aufzuzwingen, sondern ihm den Weg zur Freiheit zu öffnen. Ich glaube, er hat das damals richtig gesehen; es ist auch heute gültig.
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen machen zu dem, was wir in der Zukunft tun wollen und wofür wir uns einsetzen. Im Umweltbereich wollen wir einen Bericht zur Abwassersituation haben, darüber, ob sich unser Abwasserabgabengesetz durchgesetzt hat, ob die bestellten Kläranlagen ausreichend vorhanden sind. Wir werden auf die Abfallbeseitigung dringen. Wir werden auf die Verbesserung des Lärmschutzes unser Augenmerk richten. Wir werden bei der Ressourcenschonung auch das Recycling-Verfahren unterstützen und entsprechend voranbringen.
Der Bereich des Auslands, der bei der Luft- und Gewässerreinhaltung eine wichtige Rolle spielt, wird uns intensiv beschäftigen müssen. Ich habe das bei der letzten Debatte zu „Global 2000" gesagt: Wir werden uns engagieren. Ich sehe mich in der Unterstützung des Hauses und des Ministers, daß die Präsidentschaft in der EG genutzt wird, um unsere Positionen deutlich zu machen.
Lassen Sie mich eine Anmerkung zum Datenschutzgesetz machen. Wir werden nach Beginn der neuen Legislaturperiode darauf dringen, daß es novelliert wird. Herr Kollege Schäfer macht eine zweifelnde Miene.
— Lieber Herr Kollege, ich habe vorhin von der kurzen Zeit gesprochen. Sie wissen so gut wie ich, daß wir uns nicht alles auf einmal vornehmen müssen und können; wir haben schon eine Menge erreicht.
Dazu gehören dann auch die Verbesserung der Schadensersatzansprüche der Bürger, Einführung des Rechts auf unentgeltliche Auskunft. Auch darf der Datenschutzbeauftragte in seiner Amtsführung nicht behindert werden, und auch nicht darin, im Sicherheitsbereich Kontrollmaßnahmen durchzuführen und Kontrollaufgaben wahrzunehmen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8789
Wolfgramm
Ich stelle mit außerordentlichem Mißmut fest, daß die niedersächsische Landesregierung in diesem Bereich eine Punker-Kartei aufgebaut hat. Ich möchte hier festhalten, daß es auch in Zukunft ausgeschlossen bleiben muß, daß jemand mit auffälligem oder gesellschaftsunkonformem Verhalten in einen Polizeicomputer eingespeist werden kann, ohne daß er auch nur in die Nähe des Verdachts einer strafbaren Handlung gekommen ist.
Zur Ausländerpolitik: Wir möchten die Reintegration von ausländischen Arbeitnehmern in ihre Heimatländer fördern. Ich brauche nicht aufzuzählen, welche Überlegungen und Anstrengungen da unternommen werden. Dasselbe gilt für die Integration der Ausländer bei uns. Ich möchte davor warnen, daß wir den Prüfungsauftrag, den wir vereinbart haben in Form von Beschränkungen vorwegnehmen. Familienzusammenführung auf eine Zeit zu begrenzen — wenn es sein muß —, sollte diesem Prüfungsauftrag vorbehalten sein. Ich darf festhalten, daß unsere Verfassung nicht nur die deutsche Familie, sondern die Familie überhaupt schützt; sie macht da keine Ausnahme.
Ich möchte etwas zum § 218 StGB sagen. Wir werden uns dagegen wenden, daß der § 218 aufgeweicht wird.
Es muß bei der Beihilferegelung für soziale Indikation bleiben. Das ist auch ein wichtiger Punkt in den Bereichen gewesen, die wir in früheren Zeiten mit Ihnen von der linken Seite zusammen betrieben haben und auf die wir stolz sind.
Kulturpolitik ist bei den Kommunen ein Stiefkind. Bei dem Bund ist es nicht so. Ich darf den Bundesinnenminister hier motivieren und unterstützen. Ich darf ihn dabei unterstützen, daß wir uns — obwohl wir in diesen Bereichen keine unmittelbare Kompetenz haben — für die Kulturfonds und die freie Verwaltung derselben einsetzen, aber auch in der Übernahme von wichtigen Kulturgegenständen aus privaten Sammlungen. Auch das bitte ich fortzuführen. Ich bitte auch, das in der Kostenrelation nicht gegen die eine oder andere Maßnahme, die man sonst durchführen könnte, aufzurechnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch die heutige Debatte war bislang im wesentlichen von dem bestimmt, was in den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP zur Innenpolitik vereinbart worden ist: das Wesentliche ausklammern, die wahren Absichten verschleiern, sich in Unverbindlichkeiten flüchten, den Wähler bis zum 6. März im Unklaren lassen. Dies ist der Kern der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP in der Innenpolitik.
Herr Minister, in erfreulicher Offenheit haben Sie dies am 2. November 1982 in einem „Report-Interview" im Deutschen Fernsehen — dafür danken wir Ihnen — bestätigt. Ich zitiere daraus:
Es gibt eine Koalitionsvereinbarung, es gibt eine Regierungserklärung. Nach der habe ich mich zu richten. Aus diesem Grunde habe ich bis jetzt sorgsam vermieden, abrupte Wechsel anzudeuten oder gar einzuleiten. Das ist für die vor uns liegende Zeit nicht meine Aufgabe und nicht vereinbart.
Mit anderen Worten: Bis zum 6. März sollte für die Herren Zimmermann und Spranger, und damit für die Innenpolitik dieser Regierung, die „Kreidezeit" gelten. Man hat — wie aus dem Märchen übernommen — Kreide gefressen. Man will bis zum 6. März nicht anecken. Mit den Worten des Innenministers: Bis dahin vermeiden, abrupte Wechsel anzudeuten oder gar einzuleiten, dann aber zupacken.
Bleiben wir für einen Moment beim Märchen! Der Wolf beibt Wolf, auch wenn er Kreide frißt. Zimmermann und sein Helfer Spranger bleiben Zimmermann und Spranger.
Sie stehen mit ihren Personen und ihrer Politik für die Wende in der Innenpolitik, für die Wende zum rechtskonservativen Ordnungsstaat. Sie nehmen zumindest in Kauf, falls sie es nicht ganz bewußt wollen, daß das Sozialstaatsgebot und die Liberalität dabei unter die Räder kommen.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung sein Staatsverständnis erklärt: Ziel seiner Politik sei es, den Staat „auf seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben zurückzuführen". Das bedeutet für die Rechtskoalition, wie auf eine parlamentarische Anfrage am 24. November 1982 erklärt wird, der Staat solle sich vor allem „auf seine Ordnungs- und Sicherheitsfunktion" konzentrieren.
— Sie stimmen dem zu. Die Politik der neuen Bundesregierung orientiert sich an diesem Staatsverständnis.
Wir Sozialdemokraten setzen gegen diese konservative Staatsidee den sozialen und liberalen Rechtsstaat. Die Freiheit des einzelnen muß nach unserer Auffassung immer die Freiheit des sozial Schwachen sein. Ohne soziale Sicherheit ist persönliche Freiheit nicht möglich. Wer den Sozialstaat zurückschraubt, schränkt die Freiheit der vielen zugunsten der Freiheit der wenigen ein. Dieser Grundsatz bleibt Richtschnur unserer Innenpolitik.
Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir Sozialdemokraten in unserer Regierungs-
8790 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Schäfer
verantwortung den liberalen Rechtsstaat ausgebaut.
Wir haben mit dem Datenschutzgesetz gesetzliche Grundlagen zum Schutz der personenbezogenen Daten geschaffen. Wir haben auf dem Gebiete des Umweltschutzes in vielen Bereichen Verbesserungen der Umweltsituation erreicht. Wir haben schließlich — gemeinsam mit unserem früheren Koalitionspartner — Kriminalität und Terrorismus erfolgreich bekämpft. Wir haben dabei unter Beweis gestellt, daß unser demokratischer Rechtsstaat auch den schwierigsten terroristischen Herausforderungen effektiv mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnen kann.
Die Politik der neuen Regierung, Herr Minister, gefährdet die innere Liberalität. Wir wollen dies an einigen wenigen Politikfeldern aus dem Bereich der Innenpolitik unter Beweis stellen.
Beispiel 1: Datenschutz. Nach außen hält sich die neue Regierung bedeckt. Da wird in der Presse spekuliert, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sollte — ausgerechnet — durch den Leiter der Polizeiabteilung im Bundesinnenministerium abgelöst werden. Aus dem Hause Zimmermann kommt nichts als eine vage Mitteilung, es sei noch nichts entschieden, man werde sich zu gegebener Zeit entscheiden. Da reden die Parlamentarischen Staatssekretäre in allgemeinen Wendungen davon, der Datenschutz dürfte keinen absoluten Vorrang beanspruchen —
was niemand will — und dementieren nicht, wenn dies in der Öffentlichkeit als Wende im Datenschutz verstanden wird.
Das Bundesamt für den Verfassungsschutz versuchte in den letzten Tagen, die Kontrollbefugnisse des Datenschutzbeauftragten einzuschränken. Ihr Ministerium, Herr Minister, verschanzt sich zunächst hinter den Ländern und kündigt eine langwierige Untersuchung an. Erst als auf unsere Fragen im Innenausschuß, unterstützt vom Kollegen Hirsch von der FDP, deutlich wird, daß der Vorstoß keineswegs von den Ländern ausgeht, lenkt man halbwegs ein,
nach dem Motto: nur keine Aufregung im Sicherheitsbereich vor dem 6. März.
Wir haben im Innenausschuß viele Stunden lang über die Beanstandungen des Datenbeauftragten gegenüber den Sicherheitsbehörden gesprochen. Wir haben sie Punkt für Punkt diskutiert und haben festgestellt, daß die tatsächlichen Feststellungen zutrafen.
Die Vertreter der alten Bundesregierung haben dies auch vollständig eingeräumt.
Über einige wenige Rechtsfragen gab es unterschiedliche Meinungen zwischen Datenschutzbeauftragtem und Regierung.
Statt zu bemerken, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß gerade eine strenge Kontrolle einer unabhängigen Instanz das Vertrauen der Bürger in die korrekte polizeiliche Arbeit stärkt, statt zu betonen, daß auch und gerade die geheimen Dienste in einer Demokratie unbestechlich kontrolliert werden müssen, versuchen Sie, dem Kontrolleur am Zeug zu flicken.
Ein Wort des Dankes für die Arbeit des Datenschutzbeauftragten lehnen Sie ab.
Die CDU/CSU hat im baden-württembergischen Landtag mit ihrer Mehrheit
ein hastig durchgepeitschtes Änderungsgesetz zum Datenschutz durchgesetzt.
Die Landesdatenschutzbeauftragte, die couragierte und unbequeme Frau Leuze, wird in ihren Kontrollkompetenzen eingeschränkt. Der Bürger hat damit einen Vorgeschmack auf das, was uns nach dem 6. März erwartet.
Herr Minister, wir erwarten von Ihnen heute, was den Datenschutzbeauftragten angeht, eine Klarstellung. In der Öffentlichkeit wird diskutiert, daß Sie beabsichtigen, den Personalreferenten des Deutschen Bundestages, Zentralverwaltung ZV 1,
der vorher im Petitionsausschuß gearbeitet hat, zum neuen Datenschutzbeauftragten zu ernennen.
Der berufliche Werdegang dieses Beamten, an dessen Qualifikation wir nicht zweifeln, weist keine
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8791
Schäfer
Nähe zum Datenschutz auf. Herr Bundesminister des Innern, das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, Klarheit über Ihre Entscheidung zur Position der Ernennung des Datenschutzbeauftragten zu erfahren.
Sie können sicher sein, daß wir und die Öffentlichkeit sorgsam darauf achten werden, ob Sie einen Datenschutzbeauftragten ernennen, der von seiner beruflichen Qualifikation her die Gewähr bietet,
daß diese wichtige Kontrolle auch tatsächlich ausgeübt werden kann. Wir wollen Ihnen für diese Entscheidung mitgeben, was Ihr Spitzenbeamter Ordemann im Kommentar zum Datenschutzgesetz festgehalten hat:
Nach Ablauf von fünf Jahren läßt sich übersehen, ob er
— nämlich der Datenschutzbeauftragte —
seiner Aufgabe gewachsen ist und eine erneute Bestellung in Betracht kommt.
An der Qualifikation des Bundesdatenschutzbeauftragten, fügen wir hinzu, kann es keinen Zweifel geben.
Im Kommentar heißt es dann weiter, Herr Bundesinnenminister:
Die Bundesregierung wird bei dieser Entscheidung nicht völlig frei sein. Sie kann einem Bundesbeauftragten, der sein Amt gewissenhaft im Interesse des Bürgers ausgeübt hat und der durch begründete Kritik Mißstände der Bundesverwaltung aufgedeckt hat, kurz: einem unbequemen Kontrolleur, nach fünf Jahren nicht die Wiederbestellung verweigern, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sich eines Kritikers entledigen zu wollen.
Herr Bundesminister, wir fordern Sie auf, diese Feststellung Ihres Spitzenbeamten im Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz bei der Ernennung eines neuen oder des alten Datenschutzbeauftragten zu berücksichtigen.
Ich habe leider nur noch zwei Minuten Zeit. Ich will stichwortartig drei weitere Beispiele nennen,
die für uns deutlich machen, wie Sie die innere Liberalität gefährden: Da führt die baden-württembergische Landesregierung Gebühren ein, um Demonstranten abzuschrecken.
Natürlich spendet der „Bayernkurier" dafür Beifall. Die neue Regierung schweigt zu dieser Maßnahme.
Schweigen, meine Damen und Herren, bedeutet in einem solchen Fall Zustimmung. — Wir lehnen diesen Anschlag auf das grundgesetzlich geschützte Demonstrationsrecht ab.
Wir wissen uns hier mit dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg, Ihrem Parteifreund Heinrich Meyer, Herr Kollege Miltner, einig, der diese Aushöhlung des Demonstrationsrechts aus verfassungsrechtlichen und Praktikabilitätsgründen ablehnt.
— Meine Damen und Herren, ich werde gefragt, wann ich zum Haushalt käme. Herr Kollege Miltner,
der Haushalt des Innenministers ist das Buch, das die Politik des Bundesinnenministers, die Politik der Bundesregierung in diesem Bereich deutlich macht. Wir Sozialdemokraten haben kein Vertrauen zu diesem Bundesinnenminister.
Wir haben kein Vertrauen zu Ihrer Politik. Wir sehen, daß Sie mit Ihrer Politik, zwar verdeckt, aber dort, wo es erkennbar wird, klar, die innere Liberalität unseres Staates zurückschrauben wollen.
Wir Sozialdemokraten setzen gegen Ihre konservative Ordnungsidee des Staates den sozialen, liberalen Rechtsstaat.
Wir lehnen Ihre Politik und damit Ihren Haushalt, Herr Bundesinnenminister, ab.
Das Wort hat der Herr Bundesminister des Innern.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
8792 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Zimmermann
Herren! Ich war schon etwas erschrocken, daß die Kollegen Riedl und Gerster — von denen hatte ich es allerdings angenommen —, aber dann auch der Kollege Kühbacher — darüber war ich freudig überrascht —
und der Kollege Wolfgramm — da war ich angenehm berührt — mich gelobt haben. Wenn jetzt auch noch Sie, Herr Kollege Schäfer, mich gelobt hätten, wäre ich wirklich mit mir zu Rate gegangen, ob ich nicht etwas falsch gemacht hätte.
Meine Damen und Herren, es ist nicht die Stunde für eine Grundsatzrede des Bundesinnenministers mit seinem großen Tätigkeitsbereich. Ich schaue auf die Uhr. Ich habe mich selbstverständlich nach den Vorgaben der Kollegen zu richten, um die Debatte nicht erneut zu eröffnen. Ich werde eine nicht längere Redezeit als die Kollegen, die vorher gesprochen haben, in Anspruch nehmen. Deswegen entschuldigen Sie auch die Kürze, die ich natürlich dabei walten lassen muß.
Die Tarifvorgabe für die Beamten ist eine Absichtserklärung der Bundesregierung, die als kein Eingriff irgendwelcher Art in die Tarifautonomie verstanden werden darf. Das habe ich mehrfach betont. Wie die Tarifpartner im Frühjahr — sie sind einig darüber, daß das erst nach dem 6. März geschehen soll — abkommen wollen, muß man ihren Verhandlungen überlassen. Hier gibt es keine Präjudizierung. Aber die Zahl der Arbeitslosen in diesem Frühjahr, wie wir alle voraussehen können, wird hier Zeichen setzen, die niemand wird übersehen können.
Ich halte deshalb auch wenig davon, daß meine zukünftige Verhandlungspartnerin Frau Wulf-Mathies dieser Tage von Kampfmaßnahmen gesprochen hat. Das sollte sich gerade die Gewerkschaft ÖTV innerhalb der DGB-Gewerkschaften und auch, was die allgemeine Lage anbetrifft, doch dann, wenn die Zeit dazu gekommen ist — nicht jetzt — sehr genau überlegen und jetzt auch nicht einmal in Erwägung ziehen, so etwas zu sagen.
Ich bin, Herr Kollege Kühbacher, mit dem einig, was Sie über die Rundfunkanstalten gesagt haben. Sie wissen, daß ich in dieser Beziehung immer zu Kritikern der Rundfunkanstalten, nicht nur einer, sondern aller gehört habe, auch der, bei der ich seit vielen Jahren im Fernsehrat bin.
Was ich in Zirndorf über die Ausländer und Koranschulen und 6. Lebensjahr gesagt habe: ich kann hier als Zwischenbilanz und als Einbringung in die Kommission zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden nach meiner wochenlangen Befassung mit dieser Materie nur sagen: ich habe bis jetzt weder von türkischer Seite noch von denen, die unsere Ausländerpolitik als Fachleute seit vielen Jahren begleiten, eine wirklich fundierte Kritik an diesem meinem Vorschlag gehört. Ich habe nur ideologische, manchmal auch humanitär überzogene, nicht einsichtige, nicht vertretbare Kritik — auch von den Kirchen — gehört, aber keine sachlich fundierte. Niemand hat bis jetzt bestreiten können, daß nur der junge Türke, der im Volksschulalter hier herkommt, eine faire Chance hat, den Hauptschulabschluß zu erreichen, eine faire Chance hat, ausreichend Deutsch zu lernen, eine faire Chance hat, einen Ausbildungsplatz und dann einen Arbeitsplatz zu erhalten, sonst keiner.
Herr Schäfer, Sie sagten, wir wollten nicht haben, daß die Dienste kontrolliert würden. Der Datenschutzbeauftrage ist nicht dazu da, die Dienste zu kontrollieren. Dazu ist die parlamentarische Kontrollkommission für die Nachrichtendienste da, der ich — genauso wie Herr Kollege Wehner — lange genug angehört habe.
Schauen Sie, was die Auseinandersetzung zwischen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und dem Bundesamt für Verfassungsschutz anbetrifft, so gibt es die natürlich. Warum sollten nicht zwei Bundesbehörden unterschiedliche Auffassungen in einer solchen Frage vertreten können!
— Das ist normal. Seit Oktober wird das erörtert.
Sie haben auch nicht recht, daß wir hier irgend etwas auf die Länder abdrehen wollten. Aber die Landesbehörden für Verfassungsschutz haben übereinstimmend erklärt — das heißt alle —, sie würden — wieder in Übereinstimmung mit den jeweiligen Datenschutzbeauftragten der Länder — ein so weitgehendes Akteneinsichtsrecht nicht gewähren, wie es der Bundesbeauftragte für den Datenschutz gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz verlangt hat. Deswegen ist diese Sache streitig.
Das Akteneinsichtsrecht ist natürlich nur e i n Instrument der Kontrolltätigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Es muß berücksichtigt werden, daß die Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz auch Vorgänge enthalten können, die in keinerlei Zusammenhang mit der Datenverarbeitung stehen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, gleich. — Das Bundesinnenministerium hält daher eine Abstimmung mit den anderen Bundesressorts und den Ländern in dieser Frage für erforderlich. Das hat mit Hinausschieben gar nichts zu tun. Die Beamten des Bundesinnenministeriums haben ja während der Verhandlungen im Innenausschuß eine, wie ich glaube, allseits als vernünftig akzeptierte Zwischenregelung dargestellt.
Bitte sehr.
Herr Bundesinnenminister, würden Sie bestätigen können, daß der Datenschutzbeauftragte noch im August dieses Jahres
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8793
Schäfer
keinerlei Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung seiner datenschutzrechtlichen Kontrolle — und nur darum kann es gehen — beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorgefunden hat, daß noch im Oktober dieses Jahres beim BND und noch im November dieses Jahres beim MAD der Datenschutzbeauftragte ohne Beanstandung dieser Behörden nach den gleichen Verfahren seiner Kontrollfunktion nachkommen konnte, wie sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz im November in Frage gestellt worden ist?
Es kann sein, daß das, was Sie sagen, so war, was sich natürlich meiner eigenen Kenntnisse entzieht. Zum Teil war ich ja noch gar nicht in diesem Haus.
Aber eines ist sicher — und das habe ich gerade dargestellt —: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat hinsichtlich des Verlangens des Bundesbeauftragten erst Bedenken bekommen, nachdem ihm bekanntgeworden war, daß sämtliche Landesämter in Übereinstimmung mit sämtlichen Länderdatenschutzbeauftragten ein so weitgehendes Akteneinsichtsrecht nicht gewähren.
Das ist der Punkt, auf den es ankommt.
— Ich habe leider keine Zeit mehr, um weitere Zwischenfragen zuzulassen. Wir sollten uns bei diesem Thema auch nicht ewig aufhalten.
— Also das verbitte ich mir aber energisch, daß Sie das, was ich gerade dargestellt habe, als nicht wahr bezeichnen wollen.
Jetzt will ich noch etwas anderes sagen. Wann der Vertrag des Datenschutzbeauftragten abläuft, wissen Sie.
Vorher werde ich Ihnen im Parlament über eine rein exekutive Maßnahme keine Auskunft geben. Das ist das erste.
Das zweite: Wenn der Leiter der Polizeiabteilung des Bundesinnenministeriums einen so hervorragenden Kommentar geschrieben hat — den Sie gerade zitiert haben —, dann frage ich mich, warum Sie ihn nicht für geeignet halten, z. B. auch Datenschutzbeauftragter zu sein.
Jetzt möchte ich noch dem Kollegen Matthöfer eine Antwort geben, der heute morgen gegen die Bundesregierung eine Attacke geritten hat. Die Bundesregierung habe bisher nichts getan, die angebliche Blockade beim Zubau von kerntechnischen Anlagen und den Investitionsstau zu beseitigen. Hier muß ich ein paar Minuten in Anspruch nehmen; ich mache es ganz kurz.
Die Investitionsbereitschaft der Industrie hat sich schon sichtbar gesteigert, weil die Industrie gemerkt hat, daß schon in diesen wenigen Wochen eine ganze Reihe von vertrauensbildenden Maßnahmen der Bundesregierung erfolgt ist. So haben wir z. B. mit den Ländern, der Reaktorsicherheitskommission, der Strahlenschutzkommission und der TÜV-Leitstelle Kerntechnik in diesem Monat einen grundsätzlichen Konsens erzielt über den Erlaß einer Störfall-Leitlinie, was erheblich zur Rechtssicherheit der laufenden Genehmigungsverfahren ohne Einbuße an Rechtsschutz und Sicherheit für den Bürger beitragen wird.
Ebenfalls in diesem Monat haben wir mit allen Beteiligten Konsens erzielt über Maßnahmen zur Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Anlagen des Kernbrennstoffkreislaufes, also für die Brennelementherstellung. Wir werden im Januar 1983 einen Bericht vorlegen, dem Sie entnehmen können, daß auch diese Maßnahmen zur „Entrümpelung" der Verfahren keineswegs durch Einbußen an Sicherheit und Rechtsschutz erkauft werden.
— Stoßen Sie sich nicht an der Wortwahl.
Es geht um die Tatsachen, die wir in diesen Wochen schon gesetzt haben, und zwar entgegen der Auffassung des Kollegen Matthöfer.
Aber das hören Sie natürlich nicht gerne.
Der Länderausschuß für Atomkernenergie ist in den letzten Wochen völlig neu strukturiert worden. Wir haben eine ganze Reihe von schlichten Dingen gemacht, wo wir keine Gesetze brauchten, die aber wichtige vertrauensbildende Maßnahmen darstellen, die allein schon Investitionshemmnisse abbauen.
Aber wenn Sie es noch genauer hören wollen — Sie wissen es ja —: In Hessen z. B., wo es einen SPD-Ministerpräsidenten gibt, hätte eine CDU/ FDP-Koalition längst die erste Teilerrichtungsgenehmigung für Biblis C erteilt. Dort liegt die atomrechtliche Freigabeerklärung seit Februar dieses Jahres, also seit zehn Monaten vor.
Das heißt, meine Damen und Herren von der SPD: Die Verhinderung dieser wichtigen Entscheidung ist ein Muster-Beispiel dafür, wie man Investitionshemmnisse beibehält.
8794 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Zimmermann
Dafür hat ein SPD-Ministerpräsident die Verantwortung und nicht wir. Wir beseitigen die Investitionshemmnisse.
Jetzt ein Letztes. Wir hatten leider nicht nur gestern einen amerikanischen Soldaten als Verletzten bei einem Sprengstoffanschlag, als ein unkonventioneller Sprengkörper in seinem Wagen explodierte. Es gab gestern einen zweiten Sprengsatz, den ein anderer amerikanischer Bürger gerade noch rechtzeitig gefunden hat, so daß er nicht explodierte. Wir hatten gestern den Brand in einer Siedlung der Air Force mit 13 Leichtverletzten durch Rauchgasentwicklung und ähnliches, also ebenfalls in einer amerikanischen Siedlung. Wir hatten heute den vierten Vorfall innerhalb von 36 Stunden, bei dem erneut im Auto eines amerikanischen Bürgers ein Sprengsatz detonierte, nachdem der Fahrer auf dem Sitz Platz genommen hatte. Es war also ein gleichartiger Tatvorgang, wie er gestern schon zu verzeichnen war.
Es sind sofort eine ganze Reihe von Maßnahmen durchgeführt worden: Sonderkommission des Landeskriminalamts Hessen; Sicherung des Tatorts, Vernehmung des Verletzten und der Zeugen, Sprengstoffsachverständige am Tatort, Überprüfung sämtlicher Fahrzeuge, die in den betreffenden US-Wohnsiedlungen abgestellt waren, hinsichtlich möglicher weiterer Sprengkörper, verstärkte Fahr-und Fußstreifen in den Wohngebieten.
Wir haben am kommenden Freitag um 15 Uhr eine Besprechung mit dem Gesandten Woessner von der amerikanischen Botschaft, dem Leiter der Polizeiabteilung des hessischen Innenministeriums, dem Präsidenten des BKA, einem Vertreter des Auswärtigen Amts und unserer Polizeiabteilung, in der wir die amerikanische Seite über unsere Beurteilung der polizeilichen Lage sowie über weitere Maßnahmen informieren werden.
Das Land Hessen und die Bundesregierung haben gemeinsam eine Belohnung von 50 000 DM ausgesetzt. Wir haben bereits mit dem Land Hessen zusammen eine Sonderkommission gebildet, der auch Beamte des Bundeskriminalamts angehören.
Ich möchte hier im Namen der Bundesregierung unseren Abscheu gegen diese gemeinen, feigen und heimtückischen Verbrechen zum Ausdruck bringen.
Wir sind überzeugt, daß die Gewalttäter ihr verbrecherisches Ziel, unsere amerikanischen Mitbürger nachhaltig zu verunsichern, nicht erreichen. Wir wissen, was wir unseren amerikanischen Freunden verdanken.
Wir bitten die Bevölkerung, Deutsche wie Amerikaner, alle verdächtigen Wahrnehmungen den Sicherheitsbehörden mitzuteilen. Es kann sein, daß wir es hier mit einer neuen Qualifikation von Gewalttätern zu tun haben, und es kann sein, daß hier weitere Steigerungen der Gewalttaten versucht werden.
Wir werden alles tun, was in den Kräften der Länder und des Bundes — in enger Zusammenarbeit mit den amerikanischen Dienststellen — steht, um in Zukunft solche Anschläge nach unseren Möglichkeiten zu verhindern. — Ich danke Ihnen.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Zimmermann, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich glaube, daß das, was Sie zur Ausländerpolitik gesagt haben, einiger Anmerkungen bedarf.
Lassen Sie mich hinzufügen: Ich glaube, daß das, was Sie gesagt haben, trotz der freundlichen und verbindlichen Art, wie Sie es hier vorgetragen haben, einseitig ist. Ich habe den Eindruck: Es muß ergänzt werden. Ihre Pläne werden sich unmenschlich auswirken, und sie würden, wenn sie Gesetz würden, die politische Landschaft nicht nur in unserem Lande verändern, sondern auch außenpolitisch die Bundesrepublik in große Schwierigkeiten führen.
Lassen Sie mich sagen, warum ich der Meinung bin, daß gerade die Frage der Ausländerpolitik hier in diesem Haus zu einem anderen Zeitpunkt sehr ausführlich und sehr offen besprochen werden muß. Wir Sozialdemokraten — das wissen Sie — gehen von drei Punkten aus, die heute wichtig sind. Erstens davon, daß wir den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien, die zurückgehen wollen, dabei Hilfe leisten. Allerdings haben wir den von der rechten Seite des Hauses vorgetragenen Vorstößen für Rückkehrprämien widersprochen, weil wir das nicht für bezahlbar halten. Wir wollen Rückkehrhilfen.
Zweitens. Wir sagen: Denjenigen Arbeitnehmern und ihren Familien, die hierbleiben wollen, muß dazu die Möglichkeit gegeben werden. Sie werden mir zustimmen: die weitaus größte Zahl der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien sind heute länger als acht oder neun Jahre hier.
Drittens. Wir sind der Auffassung, daß man über die Familienzusammenführung nicht so reden darf, wie Sie es tun,
auch nicht so, wie Sie es gestern in Zirndorf getan haben. Sie reden über Seiteneinsteiger und deren schulische Probleme und deren Probleme bei der Integration hier. Wenn wir uns alle — auch Sie sich — darauf beschränkten, dann wären unsere Standpunkte, glaube ich, gar nicht so weit auseinander. Sicherlich weiß jeder von uns, daß die Integration erleichtert wird, wenn Kinder bei uns aufwachsen. Darum geht der Streit nicht.
Was Sie wollen und was Sie in Ihrer Rede in Zirndorf auch erklärt haben, war, daß Sie das mit einem Nachzugverbot für über sechsjährige Kinder verbinden wollen. Hier wird es problematisch.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8795
Frau Dr. Däubler-Gmelin
Herr Minister Zimmermann, ich will jetzt gar nicht erwähnen, daß ich im Bereich der Ausländerpolitik solche Formulierungen für falsch halte, bei uns würden sich „unter dem Deckmantel der Familienzusammenführung" junge Ausländer „einschleichen", um hier in den Genuß unserer Arbeitswelt zu kommen. Ich bin mir nicht sicher, ob man so reden darf, wenn man acht- oder neunjährige Kinder ausländischer Arbeitnehmer im Auge hat und gegen Ausländerfeindlichkeit vorzugehen vorgibt.
Weiter finde ich es sehr erstaunlich, daß Sie es nicht deutlicher sagen, daß Sie gerade mit einem Nachzugverbot eine ganze Reihe von Problemen erst erzeugen. Wir wissen doch alle, daß wir zunächst langfristige Lebensplanung ermöglichen müssen, um ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien überhaupt vor die Wahl: Integration oder Rückkehrentscheidungen zu stellen. Zur langfristigen Lebensplanung gehört aber, daß wir zunächst von Bundesseite an das Ausländergesetz herangehen. Wenn wir das verbessert haben und Lebensplanbarkeit ermöglicht haben werden, dann können wir zu einem Zeitpunkt, der in der Zukunft liegen wird, auch — und zwar von den ausländischen Arbeitnehmern selbst — Integrationsobliegenheiten verlangen, und zwar dann, wenn wir, Herr Minister, zu dem Ergebnis kommen sollten, daß die ausländischen Eltern für ihre Kinder nicht das Beste wollten. Ich glaube heute, daß wir den Eltern in der Frage, was für ihre Kinder das Beste ist, nicht vertrauen können. Wir haben den Eindruck, daß man das kann, wenn man die Voraussetzungen schafft.
Wenn Sie jetzt ein Nachzugverbot für Kinder ab sechs Jahren anstreben, so fällt — Sie wissen ja, wie der Altersaufbau der in Betracht kommenden Kinder ist, deren beide Eltern sich legal hier aufhalten — für die weitaus größte Zahl der Kinder, die ja schon über sechs Jahre alt sind, das Fallbeil, d. h. sie müssen im Ausland bleiben, dürfen nicht zu ihren Eltern.
Dann findet das statt, was Sie, Herr Minister, draußen ständig vertreten: Zusammenführung von Familien eben nicht in der Bundesrepublik, sondern im Ausland. Das wäre mit der Verfassung — ich glaube, auch darüber gibt es keinen Zweifel — nicht vereinbar.
Nun ist es natürlich folgendermaßen, meine Damen und Herren. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie da noch kurz zuhören würden.
Wenn man in ein solches Nachzugverbot Übergangsregelungen und Härteklauseln einbaute, könnte man vielleicht ein bestimmtes verfassungsrechtliches Minimum erreichen. Nur: Moralisch und innen- und außenpolitisch wünschbar kann das nicht sein, und zwar deshalb nicht, weil Sie sich mit den Übergangsregelungen und Härteklauseln einen Wust an Bürokratie und mit einem Vollaufen der Gerichtsbarkeit erkaufen und weil diese Regelung
unser Land zudem innen- und außenpolitisch in Verruf bringen würde.
Über die Probleme einer Sogwirkung, die mit der Übergangsfrist zwangsläufig verbunden sein muß, habe ich noch gar nichts gesagt. Darauf will ich jetzt nicht mehr eingehen.
Jetzt gestatten Sie mir noch eine Anmerkung, die sich auf den Satz des Herrn Ministers Zimmermann bezieht, er habe qualifizierte Gegenargumente gegen seinen Standpunkt nicht gehört. Mich verwundert das. Der Herr Minister Zimmermann hat sich selber eine Kommission zusammengerufen. Das sagt er auch. Diese Kommission hat am 30. November getagt. An dieser Tagung haben eine ganze Reihe von Verbänden — keine Ausländer übrigens — teilgenommen. Die Sitzungsniederschrift, die in Ihrem Hause angefertigt wurde, Herr Minister, weist aus, daß sich so seriöse Verbände wie Caritas, Diakonie, Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Gewerkschaftsbund, Deutsche Angestelltengewerkschaft — also nicht nur Kirchen, und alles Verbände, die wissen, wovon sie reden — alle außer BDA ganz entschieden mit wesentlichen Gründen gegen Ihr gesetzliches Nachzugverbot ausgesprochen haben.
Und jetzt komme ich zu meinem letzten Satz: Wenn ich an Ihrer heutigen und gestrigen Rede, Herr Minister, sonst nichts mißbilligen würde, dann auf jeden Fall eines: daß Sie sich diese Kommission zusammensuchen, sie tagen lassen und wenige Tage, nachdem sie getagt hat, in Zirndorf Feststellungen treffen, die die Meinung der Kommission nicht nur in ihr Gegenteil verkehren, sondern ihr Ergebnis absolut präjudizieren. — Danke schön, meine Damen und Herren.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Einzelpläne.
Ich rufe zuerst den Einzelplan 06 — Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern — auf. Wer dem Einzelplan 06 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 06 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 36 — Zivile Verteidigung — auf. Wer dem Einzelplan 36 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! —
Stimmenthaltungen? — Einzelplan 36 ist mit großer Mehrheit bei einigen Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung aus der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 33 — Versorgung — auf. Wer dem Einzelplan 33 in der Ausschußfassung
8796 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Vizepräsident Windelen
zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Einzelplan 33 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe jetzt die Art. 9 und 16 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 — Drucksache 9/2283 — zur Einzelberatung und zur Abstimmung in zweiter Beratung auf. — Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Ehe ich zum Einzelplan 10 übergehe, gebe ich dem Abgeordneten Dr. von Bülow zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung das Wort. Herr Dr. von Bülow hatte sich zu einer solchen Erklärung zum Einzelplan 30 gemeldet. Da über den Einzelplan 30 ohne Aussprache abgestimmt wird, erteile ich ihm jetzt das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Graf Lambsdorff hat in seiner Rede zum Einzelplan 09 der vorherigen Regierung den Vorwurf gemacht, sie habe in geradezu verbotener Form, ohne daß jemand am Kabinettstisch das überhaupt ahnte, die Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorlinien über die Beleihung von Bewilligungsbescheiden für zukünftige Jahre erreicht. Hierzu möchte ich als früherer Bundesminister für Forschung und Technologie eine persönliche Erklärung abgeben.
Die Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorlinien ist sowohl dem Kabinett als auch den Bundestagsausschüssen offen und mehrfach dargelegt worden. Die von der derzeitigen Regierung behauptete Bugwelle von 600 Millionen DM unbezahlter Rechnungen, die nicht durch Haushaltsmittel abgedeckt seien, ist eine noch bis zum September 1982 weder dem zuständigen Fachreferenten noch dem Haushaltsreferenten des Ministeriums bekanntgewordene Wundererscheinung. Nach dem Regierungswechsel scheinen diese Rechnungen wie Pilze nach einem warmen Sommerregen erschienen zu sein.
Was nun die beliehenen Verpflichtungsermächtigungen angeht, ist folgendes zu bemerken. Verpflichtungsermächtigungen ermächtigen dazu, heute Verpflichtungen für Leistungen einzugehen, die in künftigen Jahren erbracht werden und zu bezahlen sind. Bei der Finanzierung der fortgeschrittenen Reaktorlinien des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors ist dreierlei auseinanderzuhalten.
Erstens. Bei Verträgen über Leistungen, die in künftigen Jahren erbracht und abgerechnet werden, ist es das Natürlichste von der Welt, daß die beauftragten Firmen die notwendige Zwischenfinanzierung für Materialbeschaffung, Personal und anderes auf der Grundlage der erteilten Zusagen durchführen. Dies kommt mit Sicherheit auch bei zahlreichen Projekten im Hause des Grafen Lambsdorff vor.
Zweitens. Die Unberechenbarkeit des Ablaufs des Genehmigungsverfahrens, die dadurch zustandegekommen ist, daß der seinerzeitige Bundesinnenminister die Sicherheitsanforderungen an beide Reaktoren ständig verändert hat, hat über die Jahre hinweg zu einer entsprechenden Unberechenbarkeit beim Mittelabfluß geführt. Deshalb hat es spätestens seit dem Jahr 1975 Vereinbarungen mit der Industrie gegeben, daß Spitzenbeträge von einem Jahr auf das andere von der Industrie vorzufinanzieren und im darauf folgenden Jahr abzudecken seien.
Drittens. Ich hatte es seinerzeit als für die Forschung verantwortlicher Minister abgelehnt, die Kostenexplosion beim Schnellen Brüter zu Lasten wichtiger anderer Forschungsbereiche zu finanzieren. Ich bin also den umgekehrten Weg gegangen wie die heutige Regierung. Ich habe in mühsamen Verhandlungen die dankenswerterweise erklärte Bereitschaft der Elektrizitätswirtschaft erreicht, rund eine Milliarde DM zu dem Projekt beizusteuern. Diese Milliarde wurde in die Haushalte und die mittelfristige Finanzplanung eingebaut. Ihre Auszahlung stand unter dem verständlichen Vorbehalt der Industrie, daß der Deutsche Bundestag seinen Vorbehalt gegen die Inbetriebnahme des SNR 300 zurücknimmt.
Da ich den Deutschen Bundestag nicht unter einen unziemlichen Termindruck setzen wollte, andererseits einen Stillstand der Baustelle — ich glaube, auch im Interesse des Deutschen Bundestages — verhindern wollte, habe ich in Abstimmung mit dem Finanzministerium, dem Bundeskabinett und den zuständigen Ausschüssen Verpflichtungsermächtigungen freigegeben. Damit konnten Verträge über Leistungen für künftige Jahre abgeschlossen werden. Die Verpflichtungen wurden damit bürgschaftsähnlich abgesichert. Die Bezahlung sollte in den künftigen Jahren aus den Mitteln der eingeworbenen Industriebeträge vorgenommen werden.
Ich gebe zu, daß der gewählte Weg kompliziert und für einen Nichthaushälter schwer zu durchschauen ist. Aber er ist durchaus korrekt. An Informationen hat es weder im Kabinett noch in den zuständigen Ausschüssen gefehlt. Wenn Graf Lambsdorff ihn nicht verstanden hat, ist es seine Sache. Nur sollte er sich dann nicht dazu hinreißen lassen, einen ehemaligen Kollegen in so — wie ich sagen muß — schäbiger Form anzugreifen.
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8797
Ich rufe nun auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
— Drucksachen 9/2150, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz Frau Zutt
Dr. Zumpfort
Dazu rufe ich die zweite Beratung der Art. 25, 26 und 28 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 — Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283, 9/2290 — auf.
Interfraktionell ist verbundene Debatte mit einem Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion für den Einzelplan 10 und die Art. 25, 26 und 28 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß Sie damit einverstanden sind? — Ich stelle Ihr Einvernehmen fest.
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Dies ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Schmitz .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Grundsätzlich ist es auf agrarpolitischem Sektor das Bestreben der neuen Bundesregierung, aktiv daran zu arbeiten, die Lage der Landwirtschaft nach dem Landwirtschaftsgesetz 1955 und gleichzeitig nach den Römischen Verträgen und ihren Zielen auszurichten, um eine leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten.
Dies bedeutet insbesondere, daß die Bestrebungen verstärkt werden müssen, daß auch die landwirtschaftlichen Einkommen an die Einkommen der übrigen Gesellschaftsgruppen herangeführt werden können. Denn gerade die Einkommen unserer Landwirte sind in den beiden Vorjahren deutlich abgesackt, mit der Folge, daß auch die Investitionstätigkeit in der Landwirtschaft fast zum Erliegen gekommen ist. Ausschlaggebend dafür sind das schlechte Ergebnis der letzten Jahre und vor allen Dingen die unverhältnismäßig gestiegenen Betriebsmittelpreise. Die Preis-Kosten-Schere hat sich in erheblichem Maß wieder geöffnet. Die Situation hat sich zwar in diesem Jahr etwas gebessert. Aber grundlegend hat sich hier nichts geändert.
Dies können wir nur dann erwarten, wenn an dem agrarpolitischen Kurs der früheren Bundesregierung Korrekturen vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere auch für die Agrarsozialpolitik und für die Agrarstrukturpolitik.
Aber auch in der gemeinsamen Agrarpolitik auf EG-Ebene ist noch eine Menge zu tun, um den Anforderungen einer bäuerlichen Landwirtschaft gerecht zu werden.
Es soll hier nicht verhehlt werden, daß die neue Bundesregierung dies nicht über Nacht machen kann. Das, was über ein Jahrzehnt nach unserer Auffassung nicht so ganz gut gelaufen ist, kann
natürlich nicht von heute auf morgen geändert werden. Ich habe den Eindruck, meine Damen und Herren, wenn das Verhältnis zur Landwirtschaft in der vergangenen Koalition nicht in Ordnung gewesen ist, dann hat es daran gelegen, daß gerade die Sozialdemokraten offensichtlich wenig Verständnis dafür gehabt haben.
— Herr Kollege Hoffmann, ich bin gerne bereit, auch die Namen zu nennen. Wenn die Agrarpolitik vom Finanzminister bestimmt wird oder in gleichem Maße von der Auffassung des Bundeskanzlers oder Ihrer Fraktion, dann wird sie letzten Endes nur dazu benutzt, um eventuell auf dem Rücken der Bauern eine Preispolitik zu betreiben, die nicht gerecht ist. Das ist dann eine Klimafrage.
— Herr Kollege Wehner, ich neige dazu, mich in der Regel immer zusammenzunehmen. Ich habe Sie persönlich deswegen noch nie angesprochen.
Meine Damen und Herren, gerade im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages wurde sehr deutlich bemerkt, daß die Kollegen der SPD den Fragen der Landwirtschaft nicht gerade sehr freundlich und aufgeschlossen gegenüberstanden.
Meine Damen und Herren, zur Agrarsozialpolitik müssen wir festhalten, daß wir im Haushaltsausschuß den Etatentwurf auf Antrag der Koalitionsfraktionen verbessert haben. Wir haben die Bundesmittel zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung um 29 Millionen DM aufgestockt. Durch diesen Beschluß wurden übermäßige Beitragssteigerungen vermieden.
Ich gebe zu — ich sage dies auch, Herr Kollege Wehner —, auch die SPD hat im Haushaltsausschuß beantragt, den Bundeszuschuß zu erhöhen. Aber es fehlten die Deckungsvorschläge. Ob das mit Ihrer Fraktion abgestimmt war, weiß ich gar nicht. Entscheidender ist allerdings, daß sich die CDU/ CSU im Zusammenhang mit der Aufstockung der Bundesmittel für die landwirtschaftliche Unfallversicherung immer nachdrücklich dafür ausgesprochen hat, daß der freiwillige Bundeszuschuß auch in Zukunft sichergestellt wird, um die alte Last, die wir sowohl in der Knappschaft wie auch bei der Landwirtschaft haben, mitzufinanzieren.
Meine Damen und Herren, dies ist eine deutlich andere Weichenstellung. Man muß noch hinzufügen, daß Sie in der alten Koalition diesen Bundeszuschuß eigentlich ganz abschaffen wollten. Sie wollten ihn bis zum Jahre 1985 auf Null herunterfahren. Sie hatten das auch schon eingeleitet, indem Sie zwar nominal 280 Millionen DM eingesetzt hatten, aber 100 Millionen DM mit einer Sperre versehen hatten.
Wenn in der Altershilfe davon gesprochen wird, daß auch gewisse Abstriche erfolgen müssen, dann ist dies jedoch keineswegs ein Eingriff in das bestehende Leistungsgefüge, sondern lediglich das Ver-
8798 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Schmitz
schieben einer Leistungsverbesserung um ein halbes Jahr, und zwar dadurch, daß die Anpassung der landwirtschaftlichen Altersgelder analog zur allgemeinen Rentenanpassung auf den 1. Juli nächsten Jahres verschoben wird. Trotzdem läßt sich nicht ausschließen — dies müssen wir deutlich sagen —, daß angesichts der Kostendynamik der Agrarsozialpolitik und gleichermaßen der Verschlechterung des Verhältnisses von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern auch 1983 sicherlich nicht auszuschließen ist, daß höhere Beiträge zur Altershilfe geleistet werden müssen.
In diesem Zusammenhang muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß die Beiträge zur sozialen Sicherung für viele, gerade für kleine und mittlere Betriebe, eine erhebliche und sogar steigende zusätzliche Belastung darstellen. Die Landwirte wissen allerdings auch, daß die neue Bundesregierung alles versuchen wird, um letzten Endes die agrarsoziale Sicherheit gewährleisten zu können. Angesichts der leeren Kassen ist dies schon eine Tatsache, die wir, meine ich, zu würdigen wissen.
Lassen Sie mich zur Agrarstrukturpolitik folgendes sagen. Die hohe Arbeitslosigkeit — das wissen wir — hat den Strukturwandel, den wir notwendigerweise in der Landwirtschaft brauchen, nahezu zum Erliegen gebracht.
Der Prozeß der äußeren Aufstockung ist nahezu zum Erliegen gekommen. Die innere Aufstockung, d. h. die Ausdehnung der tierischen Veredelungsproduktion, stößt jedoch wegen sicherlich höherer Überschüsse auf gewisse Grenzen.
Vor dem Hintergrund dieser Situation ist eine merkliche Aufstockung bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für 1983, nämlich eine Aufstockung um 130 Millionen, eine vernünftige Maßnahme.
— Frau Kollegin, vielleicht können wir damit auch für Helgoland etwas regeln. — Vielleicht ist dies eine Möglichkeit, auch in ländlichen Regionen die Arbeitslosigkeit etwas zu mildern, denn diese zusätzlichen 130 Millionen üben ja eine Anstoßwirkung aus; und wir wissen, daß die ländlichen Regionen von der Arbeitslosigkeit wirklich härter betroffen sind als andere.
Über den Rahmenplan 1983 werden damit der Landwirtschaft und dem ländlichen Raum insgesamt — hören Sie zu, Frau Kollegin — 1,92 Milliarden vorwiegend für Investitionen zufließen, und alle Untersuchungen haben ergeben, daß wir daran gut tun.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich allerdings hinzufügen, daß wir uns im Verlauf der Diskussionen des kommenden Jahres noch über die Frage des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms unterhalten müssen. Grundsätzlich muß die einzelbetriebliche Förderung angesichts des in den letzten Jahren entstandenen Anpassungsbedarfs weitergehen. Die Landwirtschaft braucht
diese Hilfen, und wir müssen einen Weg finden, um die teilweise zu selektive Förderung wegen der veränderten Rahmenbedingungen etwas zu öffnen. Lassen Sie mich hier einige Forderungen nennen.
Erstens. Der bürokratische Aufwand bei kleinen Investitionen muß reduziert werden. Wir wollen deshalb für kleinere Investitionen, für Rationalisierungs- und Erweiterungsvorhaben, ein Agrarkreditprogramm auflegen, das mit vereinfachten Förderungsvoraussetzungen und ohne umfangreiche Genehmigungsverfahren eine schnelle und ausreichende Förderung möglich macht.
Zweitens. Angesichts der Tatsache, daß wegen der relativ geringen Subventionswerte des vorgesehenen Agrarkreditprogramms tragbare Finanzierungen für umfassende Investitionen, z. B. Aussiedlungen, mehr als 250 000 DM nicht erreichen, muß das einzelbetriebliche Förderungsprogramm grundsätzlich weitergeführt werden. Die zur Zeit praktizierte Förderschwelle ist allerdings nicht das richtige Auswahlkriterium für die Förderung entwicklungsfähiger Betriebe. Ich glaube, meine Damen und Herren, darüber sind wir uns angesichts der Vergangenheit einig. Bessere Kriterien wären z. B. eine Eigenkapitalbildung und eine Vorwegbuchführung, um die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten eines Betriebes zu beurteilen.
Die Förderung landwirtschaftlicher Investitionen darf grundsätzlich nicht an irgendwelche Regionen gebunden werden. Dies ist auch im Zusammenhang mit der Diskussion im Hinblick auf den 31. Dezember 1983 — dann läuft die Richtlinie der EG aus — wichtig. Wir sind der Auffassung, daß die Notwendigkeit von umfassenden Investitionen unabhängig von Gebietskategorien ist. Sie muß sich statt dessen an der Situation der Einzelbetriebe orientieren.
Zwei Grundsätze sollten bei der einzelbetrieblichen Förderung in jedem Falle gewahrt bleiben: erstens daß die Prosperitätsklausel streng und konsequent angewandt wird, zweitens daß durch die investive Förderung die Marktprobleme nicht zusätzlich verschärft werden. Dies halten wir für wichtig.
Erste Ansätze zu einer Kurskorrektur bei der landwirtschaftlichen Investitionsförderung zeigen bereits Entscheidungen, die vom gemeinsamen Planungsausschuß von Bund und Ländern in der letzten Sitzung getroffen worden sind. Ich erinnere nur daran, daß beschlossen wurde, daß der Zugang zur Überbrückungshilfe erleichtert wird, daß die Konditionen in benachteiligten Gebieten verbessert werden, daß das förderungsfähige Investitionsvolumen von 60 000 auf 80 000 DM erweitert wird, daß die Förderung der Nebenerwerbsbetriebe reaktiviert wird,
daß der Zugang erleichtert und die Konditionen verbessert werden
und daß das förderungsfähige Investitionsvolumen
in diesem Bereich von 25 000 auf 50 000 DM erhöht
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8799
Schmitz
wird. Das meine ich, wenn es — auch in Sachen Planungsausschuß — um Klimaverbesserung geht. Hier konnte man sich auf vernünftige Maßstäbe einigen, und das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg der neuen Koalition.
Ich meine, dies sollte auch draußen im Lande zur Kenntnis genommen werden.
Erfreulich ist, wie ich finde, daß die neue Bundesregierung gleichzeitig mit ihrem Beschluß, die Mehrwertsteuer Mitte kommenden Jahres — so schwer dies uns auch fällt — anzuheben, die Vorsteuerpauschale für die landwirtschaftliche Produktion erhöht. Dies ist konsequent und logisch; wir begrüßen dies.
Wir können feststellen, die neuen Akzente, die diese neue Bundesregierung gesetzt hat, haben in den wenigen Wochen bereits eine Klimaverbesserung auch in den Fragen der Agrarpolitik beschert.
Lassen Sie mich abschließend ein Wort zur EG sagen. Wir wissen, daß es über weite Strecken eine heftige Diskussion über die Finanzierung der Maßnahmen gerade auf dem Agrarsektor innerhalb der EG gibt. Lassen Sie mich auf den Umstand hinweisen, daß wir dies nicht allein unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten sehen dürfen. Wenn die EG als wirtschaftliche Einheit überleben soll, müssen wir die politische Begründung hinzufügen, die da heißt: Wenn Europa wichtig ist, dürfen wir uns nicht allein unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten daran festhalten, daß letzten Endes der Agrarmarkt Geld kostet. Dies wird zuwenig gesehen. Deshalb wollte ich dies hier noch einmal sagen.
— Wir wissen um die Problematik, Herr Kollege Hoffmann. Wir wissen auch, daß wir hier die Bremsen nicht ohne weiteres preisgeben können. Unter den Voraussetzungen sollten wir, meine ich, an dem bewährten System der Agrarmarktordnung festhalten.
Herr Kollege, können wir auch an dem bewährten System festhalten, die Redezeit einzuhalten?
Herr Präsident, ich komme zum Ende.
Ich darf für die CDU/CSU-Fraktion sagen, daß wir dem Einzelplan 10 diesmal zustimmen werden.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Zutt.
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Trotz der zeitweise angespannten Atmosphäre hier im Plenum möchte ich mit einem Dank beginnen: an die Kollegen im Haushaltsausschuß — an alle — und an die Mitarbeiter aus dem Landwirtschaftsministerium für die faire und sachliche Zusammenarbeit, ohne die die gedrängten Beratungen in den letzten Wochen nicht hätten abgeschlossen werden können.
Grundlage der heutigen Beratungen bildet der Etatentwurf der sozialliberalen Regierung für den Einzelplan 10, der von der konservativ-liberalen Regierung nur durch ein Deckblatt verändert wurde. Die Gesamtsumme_ des Ansatzes hat sich dadurch nur um 10 Millionen DM erhöht. Sie bleibt dennoch um 154 Millionen niedriger als 1982.
Neu ist, daß trotz dieses niedrigen Ansatzes die Begleitmusik in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen leise geblieben ist. Während der jeweils herabgesetzte Soll-Ansatz in den vergangenen Jahren die damalige Opposition dazu veranlaßt hat, lautstark zu tönen, daß allein schon darin die Mißachtung der sozialliberalen Regierung gegenüber der gesamten Landwirtschaft zum Ausdruck komme, hatten wir damals nie gehört, daß das notwendige Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen sind.
Was sonst noch neu ist oder sein wird, wissen wir nicht. Darum möchte ich eingangs einige Fragen an die Regierung stellen, auch nach den Ausführungen von Herrn Schmitz.
Da die Landwirtschaftspolitik weder in den Koalitionsvereinbarungen noch kaum in der Regierungserklärung erwähnt wird, frage ich Sie: Werden Sie die bisherige Landwirtschaftpolitik fortsetzen, oder wo werden Sie Kurskorrekturen ansetzen? Ist das Weglassen von — früher als notwendig erachteten — Vorhaben heute schon „Programm"? Staatssekretär Gallus hat in diesem Hause die Verbandsklage, die damals gerade Einzug in das Umweltschutzprogramm der Liberalen gefunden hatte, temperamentvoll gegen Angriffe der früheren Opposition verteidigt. Von ihr ist nicht mehr die Rede.
— Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gern auf alle antworten, aber so geht es nicht.
Wie stehen Sie jetzt zur Landwirtschaftsklausel?
Es findet sich weder ein Wort zur ewig bekrittelten Strukturpolitik noch über Tier-, Pflanzen- oder Umweltschutz.
Was sagt die Bundesregierung, geistig-moralisch erneuert, wie sie ist,
z. B. zum alljährlichen blutigen Massaker an Tausenden von acht bis zehn Tage alten Robbenbabys? Wird sie dazu übermorgen in Brüssel ein klares Wort in Richtung Importverbot sagen?
8800 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Frau Zutt
— Wenn ich auch nicht im Hearing war, so habe ich doch das Protokoll gelesen. Vielleicht genügt Ihnen das.
Neben dem Haushaltsausschuß kann man nicht noch in anderen Ausschüssen sitzen. Was soll das eigentlich? Dafür waren Sie nicht im Haushaltsausschuß.
Jetzt zu den Umschichtungen im Einzelplan 10:
Unter der Überschrift „Abbau von konsumtiven Staatsausgaben und Erhöhung der investiven" werden die Sozialausgaben um insgesamt 120 Millonen DM gekürzt und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" um 130 Millionen DM erhöht.
Die Kürzung der neuen Regierung — darauf hat Herr Schmitz freundlicherweise hingewiesen — war gerade bei der freiwilligen Leistung der Unfallversicherung viel höher, als es die alte sozialliberale Regierung vorgeschlagen hatte, die dafür aber ewig beschimpft wurde, sie hätte etwas gegen die Bauern. Wir haben daher die Erhöhung um 29 Millionen auf 279 Millionen DM mitgemacht. Nur hatten wir, Herr Schmitz, auch eine Deckung. Wir haben gesagt: 15 Millionen DM aus der Getreidevorratshaltung und 14 Millionen DM aus der Gemeinschaftsaufgabe. Nur, Sie wollten uns dazu veranlassen, von einer gesetzlichen Versicherung, die Sie zu hoch angesetzt haben, der Krankenversicherung, zu einer freiwilligen Versicherung umzuschichten, und das fanden wir unsolide. Sie mit Ihrer neuen Haushaltswahrheit und -klarheit!
Mit der Kürzung um 105 Millionen DM bei der Altershilfe für Landwirte beträgt der Zuschuß aus öffentlichen Mitteln jetzt 2 Milliarden DM. Einen Zuschuß in dieser Höhe hatte die sozialliberale Regierung und Koalition bereits vergangenes Jahr im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes schon für die Jahre 1982 und 1983 vorgesehen. Dies nur zu der Behauptung, daß diese Regierung die Konsolidierung und das Sparen entdeckt habe. Nur hatten wir allerdings letztes Jahr den Vorschlag dabei, daß ab 1983 je nach Leistungsfähigkeit der Betriebe sozial gestaffelte Beiträge einzuführen sind. Dies hielten wir für unabdingbar, weil die gekürzten Zuschüsse notwendigerweise höhere Beiträge für den einzelnen mit sich bringen müssen. Da drei Viertel aller landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in der Bundesrepublik mittlere und kleinere Betriebe sind, die ein jährliches Einkommen pro Arbeitskraft zwischen 7 200 und 30 000 DM haben, hielten wir es für notwendig, sie mit geringeren Kosten als die großen Betriebe für ihre Alterssicherung zu belasten, die ein Einkommen pro Arbeitskraft von 56000 DM oder darüber haben.
Die damalige Opposition hat die vorgesehene Kürzung über den Bundesrat halbiert und die Sozialstaffel herausgeworfen.
Sie haben es als Sieg gegen die Regierung und für den Bauern verkauft und als Triumph gegen die „sozialistische Umverteilung" gefeiert.
Heute, als Regierung, vollziehen Sie die damals verhinderte Kürzung nach, allerdings ohne eine Kostenstaffel einzuführen. Durch die damit verbundene stärkere Kostenbelastung wird sich die Wettbewerbssituation der mittleren und kleineren Betriebe gegenüber den großen Betrieben weiter verschlechtern.
Die Nichteinführung dieser Staffel ist nicht nur unsozial, sondern auch wirtschaftlich falsch, wenn man den bäuerlichen Familienbetrieb erhalten will.
Selbst der Bauernverband unter Herrn von Heere-mann hat inzwischen die Nichteinführung kritisiert und als Investitionshemmnis für kleinere Betriebe hingestellt. Das ist insgesamt ein eher trauriges Kapitel landwirtschaftlicher Sozialpolitik, das noch verschärft wird durch die erst für Juli 1983 vorgesehene Anhebung der Altersgelder für Landwirte, während sie schon ab Januar einen Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssen. Alle Anträge der SPD-Fraktion, dies zu ändern, wurden abgelehnt.
Als Beispiel dafür, daß es auch innerhalb der Landwirtschaft anders gehen kann, zeigt die trotz aller Belastungen zügige Beratung der dritten Anderung des Bundesvertriebenengesetzes im Haushaltsausschuß, mit dem ein Vorschlag des Präsidenten des Bauernverbandes der Vertriebenen, Steves, als vernünftig aufgegriffen und schnell verwirklicht wurde, der einen Solidaritätsbeitrag der Altvertriebenen gegenüber den später hinzugekommenen Vertriebenen aus der Landwirtschaft darstellt, ohne daß zusätzliche Mittel nötig sind.
Wie steht es nun mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine Erhöhung der investiven Ausgaben? Wie gesagt, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wurde um 130 Millionen DM erhöht. Auf unsere Frage, welche Maßnahmen damit finanziert werden sollen, kam vom Landwirtschaftsminister in der Sitzung eine ausweichende Antwort. Er sagte, er müsse dies erst im Planungsrat mit den Ländern besprechen.
— Lassen Sie mich doch ausreden.
Inzwischen ist bekannt geworden, daß die Mittel vor allem zu Überbrückungskrediten im Rahmen der einzelbetrieblichen Förderung eingesetzt werden sollen. Ich will nicht bestreiten, daß es einzelne Betriebe gibt, die dieses Geld wohl brauchen können, doch halte ich die Maßnahme insgesamt für
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8801
Frau Zutt
falsch; sie entspricht allerdings der wirtschaftspolitischen Ideologie der neuen Regierung, nämlich einzelne Betriebe — sei es durch Steuererleichterungen im gewerblichen Bereich oder durch Fördermaßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich — zu unterstützen. Wir hatten dagegen gefordert, die Dorferneuerung in die Gemeinschaftsaufgabe aufzunehmen
— der Matthöfer ist doch nicht mehr dran —, weil durch sie, wie das Zip-Programm gezeigt hat, arbeitsplatzintensive Investitionen angeregt werden können.
Die einzelbetriebliche Förderung halten wir gegenwärtig für besonders widersinnig. Schon 1978 hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Einstellung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung verlangt,
weil z. B. durch den Bau neuer Kuhplätze noch mehr Kühe gehalten werden, die immer mehr Milch geben und so den Milchsee vergrößern, der aber auf der anderen Seite wieder durch die Milchmitverantwortungsabgabe reduziert werden soll.
— Der Wahnsinn hat Methode, Herr Gallus.
Fördert der Staat mit der einen Hand die Ausdehnung der Produktion, so greift er mit der anderen Hand in die Tasche des Geförderten.
Da die Zeit zu knapp ist, kann ich auf manche Fragen nicht eingehen.
Doch erlauben Sie mir zum Schluß, noch auf ein Vorhaben aufmerksam zu machen, das aus dem Forschungsprogramm des BML gefördert wird. Ich meine das Bioäthanol-Programm des Landwirtschaftsministeriums
und hier insbesondere die Bioäthanolanlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg.
— Mein Gott, haben Sie als neue Regierungsfraktion eine Disziplin!
— Sie sind doch die sie tragende Fraktion. Sie stellen die Mehrheit, aber ziemlich undiszipliniert. Sie halten sich alle für so blitzgescheit. Wenn Sie nur einmal ruhig sein könnten.
Herr Landwirtschaftsminister Ertl — und, wie ich höre, Sie auch — sind von der Wichtigkeit des Projekts überzeugt, weil — seiner Ansicht nach — damit — ich zitiere wörtlich — „eine fundamentale Aufgabe für die Technologie nach Substitutions-möglichkeiten für herkömmliche Energiearten erfüllt werden kann".
Ich habe schon im letzten Jahr meine Skepsis hierzu geäußert; sie hat sich durch weitere Informationen in diesem Jahr verstärkt, die ich wiederum nicht im einzelnen vortragen kann. Doch bei der Beratung eines auf Sparen und Konsolidierung eingestellten Haushaltes
halte ich es für meine Pflicht, auf die Stellungnahme von Professor Wolffram von der Bonner Universität — im neuesten „agrar-europ" nachzulesen — aufmerksam zu machen, ...
Frau Kollegin, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit um drei Minuten überschritten ist.
Danke. — ... der in dem neuen Bioäthanol-Programm des Bundeslandwirtschaftsministeriums den Auftakt zur Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe sieht.
— Lesen Sie es nach im neuesten „agrar-europ". Ich zitiere doch nur.
— Was wollen Sie denn? Sie sind doch so fürs Sparen. Hören Sie sich dann doch einmal ein paar Sparvorschläge an!
Leider ist es uns nicht gelungen, das Ganze zu stoppen oder wenigstens im Haushaltsausschuß eine qualifizierte Sperre durchzusetzen.
Frau Kollegin, leider ist es mir bisher auch nicht gelungen, Sie zu stoppen, aber ich muß Sie jetzt herzlich bitten, zum Schuß zu kommen.
Ich komme gleich zum Schluß.
Nein, Sie müssen jetzt zum Schluß kommen. Sie haben zehn Minuten angemeldet, reden aber schon 14 Minuten; ich bitte um Entschuldigung.
Ich finde, bei einer Sperre von 6 Millionen DM ist noch ein halber Satz erlaubt.
Die Begründung war, daß die Vorarbeiten schon so weit gediehen seien, daß es nicht möglich sei, bis April oder Mai zu warten. Ich fürchte, wir lassen uns hier auf ein Kalkar der Agrarwirtschaft ein.
8802 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Frau Zutt
Aus vorgenannten Gründen lehnen wir den Einzelplan 10 ab.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Verständnis dafür, daß der Präsident sich verpflichtet fühlt, die Vereinbarungen, die die Fraktionen freiwillig getroffen haben, nach Möglichkeit einzuhalten.
Ich möchte dies keineswegs eng tun, aber ich glaube, wir müssen alle im Rahmen bleiben. — Das Wort hat der Abgeordnete Paintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Übergangs-Landwirtschaftsminister Engholm,
nach Auffassung des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt zumindest ein Fischereifachmann, ist wieder vom Experten auf allen Gebieten der Agrarpolitik, Josef Ertl, abgelöst worden, und schon nach wenigen Wochen Ihrer Regierungszeit legt Ihnen die Koalition der Mitte — CDU/CSU und FDP — einen realistischen Bundeshaushalt 1983 mit den notwendigen Begleitgesetzen vor.
Ich könnte natürlich zunächst auch auf Frau Zutt eingehen, aber ich möchte meine Redezeit einhalten.
Finanzpolitische Vorgabe für die Regierungskoalition war es dabei in erster Linie, deutliche Einsparungen im konsumtiven Bereich zu erzielen
und gleichzeitig trotz verminderter öffentlicher Fördermittel die Kontinuität und soziale Ausgewogenheit in unserer Politik sicherzustellen. Daß dies natürlich auch im Landwirtschaftsetat, von dem rund 60 % für unsere agrarsoziale Sicherung eingesetzt werden, Spuren hinterläßt, ist in dieser Situation, in der wir uns befinden, unvermeidlich. Daß es aber gelungen ist, für das Jahr 1983 untragbare Veränderungen für die Beitragszahler und die Leistungsempfänger in den landwirtschaftlichen Sozialversicherungen trotz der notwendigen Kürzungen der staatlichen Zuschüsse zu vermeiden und daß darüber hinaus sogar die Mittel für die Gemeinschaftsaufgaben deutlich erhöht werden konnten, möchte ich ganz deutlich herausstellen. Ich möchte dafür auch dem Landwirtschaftsminister, dem Finanzminister sowie den Kollegen des Ernährungsausschusses, des Haushaltsausschusses und auch den Beamten recht herzlich danken.
Sicherlich, wir hatten auch im Haushaltsjahr 1983 im Landwirtschaftsetat gegenüber 1982 Einsparungen in Höhe von 2,6 % zu erbringen und eine Absenkung des Etats auf 5,938 Millionen DM zu verzeichnen. Dies ist sowohl für die betroffene Land- und Forstwirtschaft, die Fischerei und das
Ernährungsgewerbe wie auch uns Agrarpolitikern eine schmerzlich empfundene Notwendigkeit. Der Agrarhaushalt hat damit aber seinen Beitrag geleistet wie jeder andere Etat im Gesamthaushaltsplan der Bundesregierung.
Wir stehen deshalb zu den Kürzungen und glauben, daß gerecht vorgegangen und von der Landwirtschaft kein überproportionaler Beitrag gezahlt worden ist.
Ich weiß, wie schwer es in manchen Betrieben sein wird, im nächsten Jahr zusätzlich zu den sonstigen Kostensteigerungen die Beitragserhöhungen zur Alters- und Unfallversicherung zu verkraften. Sicher entspricht auch die Verschiebung der Erhöhung der Altersgelder auf den 1. Juli 1983 nicht dem Grundgedanken der Dynamisierung oder der Wertanpassung dieser landwirtschaftlichen Altersgrundsicherung. Sie darf daher nach meiner Meinung auch keinesfalls zur Regel werden, wenngleich ich auch diesen Kompromiß, die verzögerte Anpassung der Leistungen und dafür reduzierte Erhöhungen für die Beitragszahler für das kommende Jahr, für vertretbar halte, um die zusätzliche finanzielle Beanspruchung der Betriebe in Grenzen zu halten. Aus eben diesem Grunde würden es die Liberalen sehr begrüßen, wenn für die Zukunft alle Agrarpolitiker darüber nachdächten, ob eine neue Situation im Bereich der landwirtschaftlichen Alterskasse nicht auch neue Lösungen erfordert, das heißt, ob es nicht angebracht ist, in Zukunft gestaffelte Zuschüsse zu den Beiträgen der landwirtschaftlichen Alterskasse einzuführen, damit die Sozialbeiträge — gerade auch für die einkommenschwächeren landwirtschaftlichen Betriebe — tragbar bleiben.
Wir wissen aber auch, daß wir in Bonn nicht allein regieren, weil wir immer in einer Koalition sind. Wir haben uns immer bemüht, mit dem Koalitionspartner eine dementsprechende und gangbare Einigung zu finden.
An dieser Stelle möchte ich auch an die Berichterstatter der Koalitionsparteien für den Landwirtschaftsetat im Haushaltsausschuß, Dr. Zumpfort und Herr Schmitz , einen herzlichen Dank aussprechen.
Es ist ihnen nach dem mehrheitlichen Votum des Ernährungsausschusses auch im Haushaltsausschuß gelungen, daß durch zusätzliche Einsparungen bei verschiedenen Haushaltstiteln die Bundeszuschüsse zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung im kommenden Jahr gegenüber dem Haushaltsentwurf wieder um 29 auf 279 Millionen DM aufgestockt werden konnten. Nun kann man sicherlich alles kritisieren. Aber ich meine: Das Ergebnis ist das Entscheidende. Das Ergebnis ist gut, weil die Betriebe nicht zusätzlich belastet werden müssen. Damit konnten erhebliche Beitragssteigerungen bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vermieden werden.
Daß diese Aufstockung bei den Zuschüssen zur Unfallversicherung etwa zur Hälfte die zu erwartenden Auswirkungen der geplanten und eingeleiteten Kostendämpfungsmaßnahmen in der Kranken-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8803
Paintner
versicherung möglich geworden ist, ist für mich als Liberalen die Bestätigung dafür, daß wir uns mit unserer Politik der Einsparungen und der Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung auf dem richtigen Weg befinden.
Diese Koalition aus CDU/CSU und FDP hat nicht nur die notwendigen Haushaltseinsparungen bewerkstelligt und sinnvolle, auf der Grundlage unserer Politik mögliche Umschichtungen von der Kranken- zur Unfallversicherung vorgenommen, sondern darüber hinaus auch die Kraft aufgebracht, eine entscheidende Wende bei der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wie im übrigen auch bei der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" zu vollziehen.
Wir haben den Negativtrend der letzten Jahre — sprich: Abbau — bei diesen Haushaltstiteln durchbrochen und allein die Gemeinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz" im Jahre 1983 um 130 Millionen DM auf 1,155 Milliarden DM aufgestockt. Um diese Entscheidung richtig bewerten zu können, ist darauf hinzuweisen, daß diese Mittel gerade in Verbindung mit den entsprechenden Komplementärmitteln der Länder und dem hohen Eigenanteil der Investoren im ländlichen Bereich eine um ein Vielfaches höhere Beschäftigungswirkung haben. Ich glaube, es ist besonders wichtig, daß das herausgestellt wird.
Wir begrüßen in diesem Zusammenhang daher auch die erwähnte Entschließung des Haushaltsausschusses, in der ausdrücklich eine verstärkte Förderung von neuen Projekten und nicht eine Abfinanzierung bereits begonnener Projekte mit den zusätzlichen Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe gefordert wird.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte an die Opposition richten. Verehrte Agrarpolitiker der SPD, verehrte Frau Zutt, ich glaube, wir alle können doch nicht an den unserem Bundeshaushalt zugrunde liegenden Wirtschaftsdaten vorbeireden.
Wir haben kein Wirtschaftswachstum, und wir müssen daher in den Einzeletats einsparen. Schielen nach Steuerungsraten, nach nominalen oder absoluten Zuwächsen und der Versuch, nur das als politischen Erfolg darzustellen, gehen daher nach meiner Meinung an dem zu bewältigenden Problem vorbei.
Mir scheint daher die Kritik des Kollegen Herberholtz wirklich verfehlt, der sich in einer Presseverlautbarung mit der Überschrift „Herberholz vermißt große Wende in der Landwirtschaftspolitik"
bitter enttäuscht über den Rückgang des Agraretats
insgesamt zeigt und kritisiert, daß die Mittel für die
Aufstockung der Gemeinschaftsaufgabe „AgrarStrukturverbesserung" nur durch Einsparungen in anderen Bereichen erwirtschaftet werden konnten. Im übrigen haben wir als FDP-Fraktion nie von einer großen Wende in der Agrarpolitik geredet. Wir haben uns auf gewisse Korrekturen beschränkt, aber um so mehr Wert legen wir auf Kontinuität der Agrarpolitik. Ich glaube, das ist sehr, sehr wichtig.
Im übrigen haben heute auch andere Herren bzw. die Dame angedeutet
— Damen, jawohl —, daß sie immer noch dem Denken der 70er Jahre verhaftet sind, das die Freien Demokraten ja nicht erst seit heute für nicht mehr angebracht und für unverantwortlich halten. Es liegt mir am Herzen, demgegenüber im Rahmen dieser Haushaltsdebatte auch darauf hinzuweisen, was für unsere Landwirte wie für viele andere Selbständige z. B. auch die Wiedereinführung des unbürokratischen Lohnsteuerpauschalierungsverfahrens oder die von der Regierungskoalition aus FDP und CDU/CSU im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1983 ganz selbstverständliche Vorsteuererhöhung bedeutet. Ich glaube, auch das ist es wert, in eine umfassende Bewertung der Agrarpolitik dieser Koalitionsregierung einbezogen zu werden.
Herr Kollege, ich darf Sie darauf hinweisen, daß auch Ihre Redezeit begrenzt ist.
Jawohl.
Ein letztes. Auch darüber, daß die Landwirtschaft für das Wirtschaftsjahr 1981/82 wieder eine Einkommensverbesserung von durchschnittlich 9 % erreichen konnte, sind wir froh. Das ist ein erfreulicher Tatbestand. Die FDP-Fraktion ist der Meinung, daß es mit der deutschen Landwirtschaft nach wie vor aufwärts geht. Wir sind voller Hoffnung, daß wir diesen Trend in einer neuen Regierung fortsetzen können.
Die FDP-Fraktion stimmt diesem Haushaltstitel zu.
Zu einer kurzen Erklärung außerhalb der Fraktionsvereinbarung erteile ich dem Abgeordneten Schröder das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bemerkungen der Kollegin Zutt über die geplante Bioäthanolanlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg veranlassen mich, Herr Kollege Linde, zwei Sätze zu sagen.
Erstens. Es handelt sich bei diesem Vorhaben um eine ausdrückliche und auch schriftlich festgehaltene Zusage des ehemaligen Bundeskanzlers Hel-
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Schröder
mut Schmidt an den Landkreis Lüchow-Dannenberg.
Zweitens. Im Agrarhaushalt, im Einzelplan 10, Frau Kollegin Zutt, sind für das nächste Jahr für dieses Vorhaben 6 Millionen DM an Barmitteln vorgesehen.
In diesem Zusammenhang von einem „Kalkar des Agrarhaushalts" zu sprechen, halte ich nun schlicht für abwegig.
Das Wort hat der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident!
— Nein, Freunde, nicht immer ein Witz. Ein anderes Mal vielleicht. Es gab Leute, die haben sich beschwert, die haben gesagt, das hätte die Ehre des Hohen Hauses verletzt, daß jemand einen Witz erzählt. Seitdem gebe ich es auf. Ich weiß: Humor stirbt in unserer Zeit sowieso aus. Die meisten gehen bei uns zum Lachen in den Keller und bekommen dann den „Orden wider den tierischen Ernst".
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe auch bloß zehn Minuten. Hoffentlich sieht man das hier genau. Ich werde mich streng daran halten.
Frau Zutt, mein tüchtiger Haushaltsreferent hat mir gesagt: Es sind nicht 10 000 DM, sondern 10 Millionen DM mehr. Vielleicht habe ich es akustisch nicht richtig mitbekommen.
Aber, mein Gott, auch 10 Millionen bewegen noch nicht die Welt. Seid umschlungen, Millionen!
Zu meinen Vorrednern kann ich nur sagen: Ich bedaure zutiefst, daß nur der Parlamentarische Staatssekretär des Finanzministers da ist. Auf Grund dieser großartigen Sympathiekundgebung, die mein Haushalt bekommen hat — ob das dem Minister gilt, weiß ich gar nicht; aber ein klein bißchen gehört er auch dazu —, gehe ich davon aus, daß die Haushaltsberatungen im nächsten Jahr weder beim Finanzminister noch im Ausschuß mit Problemen behaftet sein werden. Ich sehe dann den weiteren umschlungenen Millionen gern entgegen.
Herr Linde, es tut mir leid, daß Herr Wehner nicht da ist
— jetzt kommt er —; denn ich möchte hier ausdrücklich sagen: Herr Wehner hat mich in der schwierigen Zeit, in meiner schwierigen Phase nie im Stich gelassen.
Ich möchte hier großen Dank und Anerkennung sagen. Für mich gilt über die Zeiten hinweg: was anzuerkennen ist, muß man dankbar anerkennen.
Ich glaube, Leute, die sich gegenseitig respektieren, brauchen eine solche Frage nicht zu diskutieren, sondern das erledigt sich durch gegenseitiges respektvolles Verhalten.
Meine Freunde, ich will noch einige Bemerkungen aufgreifen. Es wurde der soziale Bereich angesprochen. Ich will jetzt nicht mit Zahlen operieren; es gibt ja auch noch einen Agrarbericht.
Wie gesagt, die Uhr läuft trotzdem nicht. Jetzt muß ich meine Uhr holen.
Herr Minister, die Uhr läuft bei Ihnen nie, aber nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß alles stenographiert wird, was Sie hier sagen.
Herr Präsident, da tue ich mich gar nicht so schwer. Ich würde dem Präsidium wirklich empfehlen, hier eine Uhr einzubauen. Das wäre eine investive Ausgabe.
Es wurde der wichtige Bereich des Sozialen angeschnitten. Ich glaube, es gibt hier nur einen Nenner. Das war in all den Jahren, als es um das Sparen und um Einsparungen ging, nicht sehr leicht. Ich meine, wir sollten einen Konsens finden. Darum würde ich dieses Hohe Haus bitten.
Unsere Landwirtschaft ist wohl jener Zweig unserer Volkswirtschaft, der dem Strukturwandel in höchstem Maße ausgesetzt war. Das heißt, daß es zwangsläufig bei den Selbstverwaltungseinrichtungen, die den sozialen Bereich zu finanzieren und abzuwickeln haben, eine beträchtliche „alte Last" gibt. In diesem Zusammenhang habe ich eigentlich nur eine einzige Bitte — Frau Zutt, das gilt für alle —: Wir sollten dabei die Landwirtschaft mindestens in derselben Perspektive, also genauso betrachten wie die Knappschaft.
Wenn das die Richtschnur ist, können wir uns alle weiteren Diskussionen ersparen. Denn das gilt für die „alte Last" bezüglich der Altershilfe, und es gilt für die „alte Last" in der Unfallversicherung. Es gab Vereinbarungen in der alten Regierung und es gibt sie in der neuen Regierung, daß über ein Gutachten des Ifo-Instituts die entsprechenden Fakten gelie-
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Bundesminister Ertl
fert werden sollen. Mehr will ich zu diesem Bereich hier und heute nicht sagen.
Ich komme zu einem anderen Kapitel, zur Aufstockung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. Ich will gar nicht die Prinzipien der Gemeinschaftsaufgabe anrühren. Die gibt es nun einmal, und das hat auch sein Gutes. Es hat zumindest das gute, daß es die Länder zu einem nützlichen Wettbewerb zwingt und den Bund dabei finanziell einbindet.
Aber ich bin in dem Fall ganz anderer Auffassung als Sie. Ich bin sehr froh, daß die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe wieder aufgestockt wurden. Denn in der Tat ist das eine für mich ganz wichtige Möglichkeit, auf dem Lande Arbeitsplätze zu fördern und zu sichern.
Nach den Feststellungen meiner Mitarbeiter sind bei Bauinvestitionen in der einzelbetrieblichen Investitionsförderung 5 200 bis 5 740 Mannarbeitsjahre bei einem Umfang von 100 Millionen DM an öffentlichen Förderungsmitteln gesichert. Mit Abstand ist die einzelbetriebliche Förderung jene Förderung, die am meisten Arbeitsplätze sichert. Deshalb haben wir, wie ich Ihnen sagen muß, auch die logische Konsequenz gezogen und additiv zu den herkömmlichen investiven Förderungsmaßnahmen im Rahmen des einzelbetrieblichen Förderungsprogramms den Überbrückungskredit und den Nebenerwerbskredit ausgebaut, um in der jetzigen Zeit die Arbeitsplätze für eine Vielzahl von Beschäftigten zu sichern.
Insoweit ist das eine Hilfe nicht allein für die Landwirtschaft, sondern noch mehr eine Hilfe für das gesamte ländliche Handwerk und für die Verbesserung der Arbeits- und Kaufkraftsituation in den ländlichen Räumen.
Ich wurde gefragt, wie es mit der Verbandsklage ist. Bekanntlich gibt es Parteitagsbeschlüsse meiner Partei, der CDU und der SPD.
— Von der CDU nicht. Ich habe gesagt: Es gibt Beschlüsse. Aber die CDU sagt nicht ja oder nein. Ich habe nur gesagt, daß es Beschlüsse gibt.
Nun muß ich Ihnen sagen, ohne aus der Schule zu plaudern: So einfach ist es mit dieser Materie außer mit Lippenbekenntnissen nicht. Denn auch in der alten Regierung gab es eine Menge Ressorts, die grundsätzliche und prinzipielle Einwendungen hatten. Ich muß offen sagen: Auch ich habe erhebliche Bedenken. Ich kenne zwar die Nützlichkeit, die die Verbandsklage in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten hatte. Aber es kommt sehr auf den Umfang an, in dem die Verbandsklage überhaupt wahrgenommen werden darf. Ich will das hier jetzt nicht vertiefen.
Dasselbe gilt für die Landwirtschaftsklausel. Daß das, was zuvor in fünf Jahren nicht geschafft werden konnte, nicht unbedingt in drei Monaten zu schaffen ist, brauche ich nicht zu betonen.
Ich komme zum letzten Punkt. Ich glaube, dann ist meine Zeit wirklich abgelaufen. — Ich wurde gefragt, was ich zur Situation des Robbenfangs zu sagen hätte. Ich möchte gern etwas dazu sagen.
Erstens. Seit einer Woche liegt ein Aide-mémoire der kanadischen Regierung vor. Ich lese hier einmal seine drei wichtigsten Punkte vor. Die kanadische Regierung hat die derzeitige Sachlage im Zusammenhang mit der Robbenfrage geprüft und schlägt im Hinblick auf eine konstruktive Lösung folgendes vor: a) Einsetzung eines aus qualifizierten Sachverständigen bestehenden internationalen Gremiums, das die angewandten Tötungsmethoden prüft und objektiv darüber berichtet; b) Aufstellung und Finanzierung eines neuen Forschungsprogramms zur Verbesserung des wissenschaftlichen Informationsstandes in bezug auf die Klappmützenbestände; c) Annahme des kanadischen Vorschlages zur Veranstaltung einer internationalen Tagung, auf der die Reduzierung des Fangs von Klappmützen im Nordwestatlantik geprüft werden soll, damit diese Reduzierung bereits für die Jagd 1983 wirksam werden kann. — Dies sind Vorschläge der kanadischen Regierung, die nicht zuletzt auf Grund der intensiven Verhandlungen, die ich mit der kanadischen Regierung geführt habe, zustande kamen
und die inzwischen auch der EG-Kommission vorliegen.
Ich halte es aus vielerlei Gründen — ich will auch nicht bestreiten: auch aus den Interessen heraus, die wir in Kanada haben; ich komme auf sie noch zu sprechen — für notwendig, daß man in einer solchen Phase auf Grund eines Aide-mémoires mit einer befreundeten Regierung zumindest ernsthaft spricht und ihr nicht ultimativ eine Forderung auf den Tisch legt.
So verstehe ich internationale Zusammenarbeit. Deshalb lautet der Beschluß der Bundesregierung auch, daß wir beim Umweltministerrat vorschlagen wollen, diese Verhandlungen auf der Basis des Aide-mémoires, das ich nur in den wesentlichen Teilen verlesen habe, zu führen. Dieses Aide-mémoire bietet aber auch die Einsetzung einer permanenten Kommission mit der Gemeinschaft an, und zwar unter Einbeziehung von Tierschützern. Erst wenn diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, ist — auch rechtzeitig vor der Jagd — zu entscheiden, ob man generell einen Verbotsweg beschreiten soll oder nicht.
Frau Zutt, ich habe sehr böse und auch Unterstellungen enthaltende Briefe auch von SPD-Verantwortlichen an der Küste bezüglich der angeblichen Vernachlässigung der Fischereiinteressen Deutschlands vor Kanada bekommen. Es geht nicht an zu sagen, hier müsse konsequent gegen Kanada gehandelt werden, und gleichzeitig zu sagen, dieser Minister kümmere sich nicht um die deutsche Fischerei und ihre Arbeitsplätze.
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Bundesminister Ertl
Wir müssen vielmehr unter Güterabwägung der Wichtigkeit der einzelnen Interessen vernünftige Verhandlungen führen.
Lassen Sie mich zusammenfassend folgendes feststellen. Der Agraretat 1983 ist in meinen Augen eine Anerkennung der Leistungen unserer Landwirtschaft in einer nicht einfachen und sicherlich manchmal auch schweren Zeit. Viele Bauern sind trotz unzureichender Einkommen und auch unter Verzicht auf manche Annehmlichkeiten ihrem Beruf treu geblieben und haben dadurch die Zahl der Arbeitslosen nicht erhöht. Unsere Landwirtschaft hat einen beachtlichen Beitrag zur Stabilität geleistet. Ich füge hier nur hinzu: Bei Nahrungsmitteln beträgt die Preissteigerungsrate 3 %, im allgemeinen beträgt sie 4,7 %. Die Menschen, die die Besiedlung der ländlichen Räume sicherstellen, wirken einer unheilvollen Ausweitung der Ballungszentren mit allen damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Kosten entgegen.
So ist für mich Agrarpolitik unverändert eine Politik für Erzeuger und Verbraucher, aber auch für die Erhaltung eines funktionsfähigen ländlichen Raums, der den Menschen nicht nur den Arbeitsplatz sichert, sondern auch für viele Menschen Freude am Leben durch Freizeit und Erholung schafft.
Die Bundesregierung wird sich weiterhin für eine Politik des vernünftigen Ausgleichs aller notwendigen Interessen — sei es für die Menschen auf dem Lande, sei es für die Erhaltung einer vielfältigen Kreatur, sei es für eine uns und auch unseren Kindern nützliche Natur — einsetzen. Darum geht es. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung und bedanke mich bei allen Mitgliedern des Haushaltsausschusses.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Die Abstimmung über den Einzelplan 10 ist nach einer interfraktionellen Vereinbarung nach der Aussprache über den Einzelplan 12 vorgesehen.
Ich rufe deswegen jetzt den Einzelplan 12 auf: Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
— Drucksachen 9/2152, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann Dr. Zumpfort
Schröder
Dazu rufe ich die zweite Beratung der Art. 25, 26 und 28 des Entwurfs eines Haushaltsbegleitgesetzes 1983 — Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 und 9/2290 — auf.
Interfraktionell ist auch hier für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Darf ich davon ausgehen, daß Sie damit einverstanden sind? — Ich stelle Ihr Einvernehmen fest.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schröder .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt ist über viele Jahre hin die Reservekasse des Haushalts der alten Bundesregierung gewesen. Die Verkehrspolitik hat im Grunde genommen jeden eigenen Stellenwert in der Gesamtpolitik der alten Regierung verloren gehabt. Dies ist die Ausgangsbasis, die die neue Bundesregierung vorgefunden hat. Das Volumen des Einzelplans 12 ist von 26,4 Milliarden DM im Jahr 1979 auf nunmehr 24,8 Milliarden DM für 1983 zurückgegangen. Wäre es nur in der gleichen Größenordnung wie die Gesamthaushalte gestiegen, so hätte es in diesem Jahr 32 Milliarden DM betragen müssen. Ich glaube, schon durch diese Zahlen wird deutlich, in welchem Ausmaß in den zurückliegenden Jahren Verkehrswirtschaft und Verkehrspolitik vernachlässigt worden sind.
— Wir haben in der Tat die Absicht, dies zu ändern, Herr Kollege Mahne. Ich will aber hinzufügen, daß die Wende in der Verkehrspolitik auf Grund der vorgegebenen Daten im Haushalt 1983 noch nicht vollzogen werden konnte. Aber Sie werden sogleich aus dem Mund des Ministers selber hören, welche Vorstellungen auch im Hinblick auf die mittelfristige Finanzplanung bestehen.
Lassen Sie mich, von diesem haushaltspolitischen Erbe ausgehend, nur zu den beiden großen Brocken, die wir im Verkehrshaushalt seit Jahren vor uns haben, einige Bemerkungen machen.
Da ist zunächst einmal die Bundesbahn, jenes Dauerthema, das uns in der Haushalts- und Finanzpolitik schon seit Jahren beschäftigt und dessen finanzpolitische Dimension leider von Jahr zu Jahr immer größer geworden ist.
Ich meine, hier kommt es im wesentlichen auf zwei Dinge an. Erstens kommt es darauf an, daß die neue Bundesregierung, vor allem Herr Minister Dollinger, die politischen Voraussetzungen dafür schafft, daß die Bundesbahn endlich einmal zu einem Wirtschaftsunternehmen entwickelt werden kann,
zu einem Wirtschaftsunternehmen mit den damit verbundenen auch eigenständigen Entscheidungskompetenzen des Bahnvorstands und des Unternehmens Bahn.
Vordringlich aus meiner Sicht ist, daß eine ganz
klare und unumstößliche Verantwortungstrennung
zwischen dem Bund und der Deutschen Bundes-
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Schröder
bahn vorgenommen wird, daß ein klarer Unternehmensauftrag durch die Verkehrspolitik vorgegeben wird und daß eine ganz klare Trennung zwischen den gemeinwirtschaftlichen, den unternehmerischen und den staatlichen Aufgaben vorgenommen wird, die die Bundesbahn zu erfüllen hat.
Daß dies auch im Zusammenhang mit den Überlegungen, die der neue Bundesverkehrsminister angesichts des anderen großen Themenbereichs, nämlich der notwendigen Weiterentwicklung des Straßenbaus,
anstellt, nicht zu einer wirtschaftlichen Abtötung der Bundesbahn führen muß, wie es jetzt von vereinzelten sozialdemokratischen Verkehrspolitikern und Eisenbahnergewerkschaftern behauptet wird, möchte ich mit einem Zitat aus einer beachtenswerten Rede belegen, die der neue Präsident der Bundesbahn erst vor wenigen Tagen gehalten hat. Dort hat er erklärt, daß die Überführung der Deutschen Bundesbahn in ein echtes Wirtschaftsunternehmen bedeutet, daß — ich zitiere jetzt wörtlich —
die Deutsche Bundesbahn ihre Leistungen anbieten muß, wie auch andere Unternehmen ihre Leistungen anbieten, daß sie also im Wettbewerb mit anderen Unternehmen durch nachfragekonforme Leistungen um Kunden werben muß und diese ihr nicht zugeteilt werden können. Das heißt zweitens, daß die Preise als Konsequenz des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage auf bestimmten Märkten fixiert werden müssen. Und das heißt drittens, daß über den Umfang der Nachfrage die Kunden und nur die Kunden entscheiden, und daß schließlich
— ich finde das aus dem Mund eines Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bundesbahn beachtlich —
keine ordnungspolitischen Reglementierungen bestehen dürfen, die der Deutschen Bundesbahn Verkehrsaufkommen etwa garantieren, ohne daß sie sich dem Wettbewerb stellen müßte.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß durch diese eindrucksvollen Ausführungen des neuen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bundesbahn sichergestellt ist, daß wir Ihre Tendenzen, die Deutsche Bundesbahn in einen reglementierten ordnungspolitischen Gartenzaun einzubinden, abwehren können, daß Gott sei Dank die Deutsche Bundesbahn selber willens ist, ihren wirtschaftlichen Unternehmensauftrag in Zukunft zu erfüllen, wenn sie den notwendigen politischen Freiraum bekommt, den ihr diese Bundesregierung einräumen wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mahne?
Herr Präsident, Sie waren gestern sehr großzügig, aber ich habe bei der Gelegenheit gelernt, daß Zwischenfragen angerechnet werden. Deshalb möchte ich sie heute ausnahmsweise einmal nicht zulassen.
— Mir fällt das sehr schwer; denn ich finde, daß eigentlich zum Debattieren Zwischenfragen und Zwischenrufe gehören. Aber wir haben nun einmal eine solche Geschäftsordnung, die leider echtes Debattieren unmöglich macht.
Meine Damen und Herren, ein zweiter und weiterer Schwerpunkt des Haushaltes bezieht sich auf den Straßenbau. Hier habe ich mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen müssen, daß Sie einige Überlegungen, die Bundesminister Dollinger über den weiteren Ausbau unseres Straßennetzes angestellt hat, attackiert haben. Meine Damen und Herren, ich bin in mehrfacher Hinsicht darüber verwundert,
denn erstens hat gerade der Straßenbau in den zurückliegenden Jahren immer und immer wieder herhalten müssen zum Ausgleich für andere verkehrswirtschaftliche und darüber hinaus allgemeinpolitische Aufgaben aus dem Haushalt. Nichts ist in den letzten Jahren an realen Leistungen — und das ist immerhin ein investiver Sektor — sosehr zurückgegangen wie der Straßenbau. Den Straßenbau haben Sie, meine Damen und Herren, geradezu stiefmütterlich behandelt, wenn ich das einmal so formulieren darf.
Zweitens. Wir haben in diesem Haus hier gemeinsam und, wenn ich mich richtig erinnere, einstimmig einen Bundesverkehrswegeausbauplan beschlossen, der den Ausbau des Straßennetzes in einer ganz bestimmten Größenordnung vorsieht. Wenn ich Bundesminister Dollinger richtig verstanden habe, dann beinhaltet sein Vorschlag nichts anderes als die Verwirklichung, als die Ausführung dieses gemeinsamen Bundestagsvorschlages. Eigentlich ist es Aufgabe einer Opposition, eine Regierung anzuhalten, daß sie Parlamentsbeschlüsse ausführt, statt einen Minister dafür zu tadeln, wenn er einen Parlamentsbeschluß tatsächlich ausführen will.
Herr Minister Dollinger, Sie haben in dieser Frage die Unterstützung der Koalition, wenn Sie sich daranmachen, einen gemeinsamen Parlamentsbeschluß auszuführen, nicht nur, weil das dem Selbstverständnis des Parlaments entspricht, sondern auch weil Sie hier einen Impuls für die notwendige Entwicklung der darniederliegenden Tiefbauwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland geben.
Meine Damen und Herren, ich will auch nicht vergessen, in diesem Zusammenhang eines in Ihr Gedächtnis zurückzurufen. In der Reformeuphorie
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Schröder
— das war Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre — gab es einmal einen Verkehrsminister namens Georg Leber. Er hat sich übrigens gestern in einer sehr eindrucksvollen Rede auch zu diesem Teil seiner Politik bekannt. Mit dem Namen Georg Leber verbindet sich ein „Leber-Plan". Meine Damen und Herren, dieser Leber-Plan beinhaltete, daß bei uns in der Bundesrepublik Deutschland keine Gemeinde weiter als 15 Kilometer — ich wiederhole: 15 Kilometer — vom nächsten Autobahnanschluß entfernt sein sollte. Heute wollen Sie davon angesichts Ihrer grünen Liebäugeleien nichts mehr hören und nichts mehr wissen, sondern — —
— Ich merke, daß ich ins Rote getroffen habe mit der Assoziation.
— Den Zwischenruf von Herrn Wehner nehme ich gerne auf, daß das unanständig ist, von grün-roter Assoziation zu sprechen.
Ich hoffe, daß das nach dem 6. März auch noch unanständig sein wird.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Der Einzelplan 12 berauscht uns weiß Gott nicht, denn er läßt bisher auf Grund des Zwangs der Umstände nur in sehr geringem Maße die Handschrift der neuen Verkehrspolitik und des neuen Verkehrsministers erkennen. Aber, meine Damen und Herren, dieser Einzelplan und die mit ihm verbundenen Absichten von Minister Dollinger schaffen die Voraussetzungen für eine Konsolidierung und für einen zukünftigen Ausbau der Verkehrsfinanzen und damit auch für eine gesicherte Zukunft der deutschen Verkehrswirtschaft.
Ich gebe dem Abgeordneten Hoffmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein kurzes Wort zu Ihnen, Herr Schröder: Sie haben hier angeführt, was dem neuen Vorstand der Bundesbahn bzw. dessen Vorsitzenden zu tun aufgetragen wurde. Wir stimmen völlig überein, denn dieser ist von der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung durch Minister Hauff eingesetzt worden, wobei gesagt wurde: Er hat nicht den ordnungspolitischen Teil zu erledigen, sondern soll die unternehmerische Aufgabe erfüllen. Die Ordnungspolitik ist Aufgabe der Politiker, und dazu werde ich nachher noch kurz etwas sagen.
Mehr fand ich in Ihrer Rede nicht, auf das einzugehen sich lohnen würde.
Ich möchte eher auf das eingehen — —
— Bitte seien Sie so gut und hören Sie mir zu, wie ich Ihnen die ganze Zeit zugehört habe!
Eingehen möchte ich auf das, was Herr Minister Dollinger in der Öffentlichkeit bereits als politischen Einstand gegeben hat. Am 8. Dezember hat er in der „Tagesschau" angekündigt, er wolle 3 000 km neue Autobahnen bauen. Ich hoffe, nicht persönlich; ich nehme an, er will sie bauen lassen. Bezahlen möchte er sie dadurch, daß nicht genehmigungsreife Baumaßnahmen entsprechend zur Dekkung herangezogen werden. Gegen diese Deckung habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Aber dann sagt er wörtlich:
Das wird dann umdisponiert.
Damit ist dieses Geld für nicht genehmigungsreife Baumaßnahmen gemeint.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, denn wir können es uns gar nicht leisten, Geld irgendwo liegenzulassen.
— Ich habe darauf gewartet, daß irgendeiner klatscht, damit ich Ihnen erklären kann, daß Sie offensichtlich nicht wissen, was man mit dem Etat gemacht hat. Der Minister tut nämlich genau dies: Er nimmt investive Mittel heraus und füllt die Möglichkeit, zu investieren, nicht aus. Deshalb ist die ganze Ideologie, die hier verbraten worden ist, falsch. Das werde ich Ihnen an Zahlen nachweisen.
Man muß die Investitionstätigkeit, die aus dem Haushalt 12 finanziert wird, natürlich mit Arbeitsplatzargumenten untermauern können. Dazu, Herr Minister, ist festzustellen, daß die Investition in den Autobahnbau mit Sicherheit verkehrspolitisch der. falsche Schwerpunkt ist und gleichzeitig arbeitsmarktpolitisch sehr unklug ist.
Denn die Arbeitsplätze, die Sie über Investitionen in den Autobahnbau schaffen, sind an Zahl geringer als das, was durch entsprechende Investitionen beispielsweise im öffentlichen Personennahverkehr erreicht würde.
Wenn wir schon zum Straßenbau noch einige Worte verlieren, sage ich Ihnen: Es wäre, statt in diesem Bereich eine Steigerung anzustreben, sinnvoller, eine Verstetigung auf dem derzeitigen Niveau zu erreichen,
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Hoffmann
allerdings mit anderen Schwerpunkten als den Ihren. Man müßte nämlich Verkehrsunfallschwerpunkte beseitigen, müßte offensichtliche Verkehrsnadelöhre beseitigen, müßte den Radwegebau anpacken und müßte schließlich Lärmschutzmaßnahmen vermehrt durchführen.
Unsere Devise heißt daher — Zwischenfragen kann ich Ihnen jetzt nicht beantworten, weil ich nur noch sieben Minuten Zeit habe —, daß mit den 6,1 Milliarden, die in diesem Teil des Etats sind, davon 5 Milliarden investive Mittel, doch bitte kein neuer Seebohm aufgezäumt wird, sondern eine kluge, modernen Bedürfnissen angepaßte Verkehrspolitik betrieben wird.
Ich denke mir, daß wir stärker in den öffentlichen Personennahverkehr hineingehen müssen. Das ist bei vielen Leuten unbestritten, aber offensichtlich mit dieser Regierung nicht zu machen, denn sie hat beispielsweise im Kapitel „Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden" den Titel 882 02 von 159 Millionen DM auf 100 Millionen DM, also um fast 40 %, gekürzt, obwohl dieser Titel zu 100 investiv wirkt. So etwas kann ich nicht mehr verstehen! Das, was dort gemacht wird, ist einfach dummes Zeug.
Die Schlüsselfrage heißt: Wollen wir ohne Besinnung zulassen, daß der Individualverkehr stets wächst, während gleichzeitig der öffentliche Nahverkehr zusammenbricht? Damit wir uns nicht mißverstehen: Unter öffentlichem Nahverkehr verstehe ich gleichzeitig kommunale Verkehrsgesellschaften, Post und Bahn, private Busunternehmen und Taxigewerbe. Statt also blind Autobahnbau zu betreiben, müssen wir Antworten auf folgende Fragen hören, Herr Minister. Was sind erstens — —
— Bitte, seien Sie doch so gut und brüllen Sie nicht so laut! Benehmen Sie sich doch mal ein bißchen anständig!
Erstens. Was sind die Ursachen der aktuellen dramatischen Fahrgastverluste im Bereich von Bahn, Bus und Taxi? Darauf hätte ich gern eine Antwort. Zweitens — —
— Herr Präsident, wäre es möglich — es ist ja wirklich unmöglich, wie die hier brüllen — —
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir tun uns allen einen Gefallen, wenn wir die Debatte in Ruhe zu Ende führen.
Bitte, fahren Sie fort.
Ich bedanke mich, Herr Präsident. Ich habe selten so viele Zwischenrufe gehört, daß man gar nicht mehr vernünftig argumentieren kann.
Erste Frage: was sind die Ursachen der aktuellen dramatischen Fahrgastverluste im Bereich von Bahn, Bus und Taxi? Zweitens. Wie kann dieser Einbruch gestoppt werden? Drittens. Wie ist die Optimierung eines regionalen Verkehrsverbundes möglich? Viertens. Wie erreicht man Nahverkehrsversorgungen, die den Bedürfnissen der Menschen im ländlichen Raum, im zersiedelten Raum und in den Ballungszentren gerecht werden? Fünftens. Welche Arbeitsteilung zwischen privaten und öffentlichen Verkehrsträgern ist sinnvoll? Sechstens. Welche Schlußfolgerungen ziehen wir aus den regional sehr ungleichgewichtigen Anteilen von Schwerbehinderten an der Summe der Beförderten? Siebtens. Wie kann die Verzahnung mit dem Taxi sinnvoll gestaltet werden?
Ich möchte mit diesen Fragen darauf hingewiesen haben, daß es nicht darauf ankommt, einfach nur zu sagen: Wir bauen 3 000 km Autobahn. Sondern man hat sich den aktuellen politischen Problemen im Verkehrsbereich zu widmen und nicht solche Seebohm-Fetische aufzubauen.
Gleichzeitig gibt es keine Lösungsansätze zu dem, was an akuten Problemen im Lkw-Verkehr besteht. Ich kann das auf Grund der kurzen Zeit nicht alles ausführen, möchte nur auf einen Punkt hinweisen.
— Ich komme noch darauf.
Einer der wenigen Bereiche, die einen Zuwachs erreichen — —
— Mein Gott nochmal, jetzt sind Sie doch mal so nett und hören Sie mal ein bißchen zu. Ich habe das die ganze Zeit geduldig gemacht. Ich finde es unverschämt, in welcher Art und Weise Sie nicht einmal ermöglichen, daß man zehn Minuten hier redet. Es ist unglaublich.
Der einzige Bereich, der in diesem Sektor wächst, den ich gerade anspreche, ist der kombinierte Verkehr mit einem Zuwachs von 12 %. Hier gibt es im Huckepackverkehr eine Möglichkeit investiver Tätigkeit, die für beide Träger, den öffentlichen und den privaten, interessant ist. Das heißt, wir müssen auch die Wachstumschancen bei der Deutschen Bundesbahn entsprechend ausschöpfen, dort wo sie verkehrspolitisch sinnvoll sind.
Damit bin ich bei der Deutschen Bundesbahn. Ich glaube, daß das einer der gravierendsten Punkte
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Hoffmann
überhaupt ist. Herr Minister, ich fordere Sie auf, daß Sie, so wie es die sozialdemokratischen Verkehrsminister gemacht haben, hier im Deutschen Bundestag erklären, daß Sie keine Entlassungen bei der Deutschen Bundesbahn vorhaben. Ich höre nämlich, daß man schon darüber diskutiert, ob die Bundesbahn 10 000 Massenentlassungen vornehmen soll.
Ich halte das für eine unmögliche Politik, wenn das wahr wäre,
und bitte deshalb um Klarstellung.
Zweitens. Wir warnen vor einer blinden Privatisierung. Privatisierung kann sinnvoll diskutiert werden in bestimmten Teilbereichen. Wenn sie aber zur blinden Ideologie wird, glaube ich nicht, daß wir damit verkehrspolitische Probleme lösen können. Deshalb sagen wir nein zu Vorstellungen, die beispielsweise Werkstattkapazitäten und Ausbesserungswerke der Bundesbahn in Frage stellen würden.
Ich fordere hier auf, nicht nur den betriebswirtschaftlichen Sinn dieser Frage zu prüfen, sondern gleichzeitig auch sich der regionalpolitischen Verantwortlichkeit der Frage von Ausbesserungswerken zu widmen.
— Ich denke, daß ich bisher sehr sachlich gewesen bin.
Sie werden das widerlegen müssen. Ich finde nur, daß Sie in der späten Stunde vielleicht einen dicken Hals haben, aber Sie sollten doch intellektuell in der Lage sein, dem zuzuhören, was ich hier sage.
Ich denke mir, daß man darauf dringen muß, daß auch die Bundesbahn weiterhin einen höheren Bestandteil an Investitionen tätigen kann. Das heißt: Ich hätte gern gewußt, welche Vorstellungen da sind im Bereich der Neubau- und Ausbaustrecken, im Bereich des ÖPNV, den ich schon angesprochen habe, und des Huckepackverkehrs.
Wir begrüßen, daß die Bundesbahn jetzt dazu übergeht, eine getrennte Rechnungslegung zu machen, um eindeutig herauszustellen, welche unterschiedlichen Sektoren betroffen sind. Deshalb stimme ich ausdrücklich zu, Herr Schröder, daß es Aufgabe des Bundesbahnvorstandes ist, die betriebswirtschaftliche Seite entsprechend seriös zu bearbeiten. Das war Ziel und Sinn der Geschichte. Das heißt, bei uns bleibt die politische Aufgabe, zu entscheiden, ob wir regionalpolitisch, ob wir sozial-
politisch, ob wir von der Versorgung mit Kommunikationsmöglichkeiten das bereitstellen, was wir politisch für klug halten. Das ist nicht die Aufgabe des Vorstandes, sondern das ist die Aufgabe der Politik.
Im weiteren habe ich eine Bitte an den Herrn Minister zu äußern. Herr Minister, ich bitte sehr darum, daß Sie überprüfen, welche Wohnungsbaupolitik die Bundesbahn zur Zeit mit eigenen Wohnungen betreibt. Ich denke mir, daß man das nicht nur marktwirtschaftlich lösen kann, sondern daß es auch hier eine wohnungspolitische und sozialpolitische Verantwortlichkeit der Bundesbahn gibt.
Die Bundesbahn konkurriert in vielen Bereichen mit anderen Verkehrsträgern. Deshalb meine nächste Bitte: Es wäre sehr wichtig, Herr Bundesminister, daß Sie dazu Stellung nehmen, ob Sie nach wie vor dabei bleiben, daß es eine kontrollierte Wettbewerbsordnung gibt, oder ob Sie nur die freie Wahl der Verkehrsmittel im Auge haben.
Denn — damit bin ich bei meinem letzten Thema — das berührt auch die Wasserstraßen, und das scheint Sie ja besonders zu interessieren. Deshalb sage ich Ihnen das kurz.
Ich komme zunächst zum Saar-Kanal. Wir als SPD halten es für richtig, was die Bundesregierung für den Saar-Kanal in den Haushalt eingestellt hat, weil das unserer Beschlußlage entspricht. Wir stellen weiterhin fest, daß es damit keine Zusage gibt, den Saar-Kanal bis nach Saarbrücken bzw. bis an die französische Grenze finanziell durchzuführen. Wir sind konsequent: Das ist eine qualifizierte Beendigung dieses Projekts.
Dieselben Kriterien gelten auch für den Rhein-Main-Donau-Kanal. Damit Sie hier keinen Mißverständnissen aufsitzen: Herr Minister, Sie haben erklärt, Anfang Januar 1983 wolle das Bundeskabinett eine Sitzung darüber abhalten. Ich sage Ihnen: Der Haushaltsausschuß des Bundestages hat beschlossen, daß die eingestellten Mittel nur für die Altbauten sind. Ich stelle hier fest, daß damit keine, auch keine vorbereitenden, Maßnahmen für Neubauten im Bereich des Rhein-Main-Donau-Kanals möglich sind. Ich würde es als eine Brüskierung des Parlaments betrachten, wenn Sie dies in der parlamentsfreien Zeit durchführen wollten.
Bei den Kanalaltbauten ist es leider folgendermaßen. Solange wir mehr Neubaustrecken entwikkeln, fehlt uns auf der anderen Seite das Geld für die alten Bauten. Hier liegt ein seriöses Problem für alle Parteien in diesem Hause. Wir müssen dafür sorgen, daß die Reinvestition für die Erhaltung der alten Wasserstraßen ermöglicht wird, und deshalb haben wir hier entsprechende Anträge gestellt.
Die Seeschiffahrt kann ich leider Gottes nicht mehr in der Weise behandeln. Deshalb möchte ich Sie darauf ansprechen, daß Sie uns bei dem Antrag, den wir nachher stellen, mithelfen, die entsprechenden Verpflichtungsermächtigungen auch für die
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Hoffmann
Sonderhilfen im Schiffbau zu akzeptieren. Wir entsprechen damit auch einem Votum der Mehrheit des Bundesrats, der das mit 9 : 1 : 1 Stimmen empfohlen hat. Ich möchte Sie bitten, dem nachzukommen, weil das eine sehr wichtige Hilfe für die existenzbedrohte Seeschiffahrt der Bundesrepublik Deutschland ist.
Wir haben einen Sammelantrag gestellt, der sich auf Seeschiffahrt, Wasserstraßen, öffentlichen Personennahverkehr und Bundesbahn bezieht. Alle Anträge, die wir stellen, führen nicht zu einer höheren Ausgabe als der, die die alte Bundesregierung vorgesehen hatte. Ich bitte Sie, den entsprechenden Änderungsanträgen der SPD zuzustimmen.
Sollten Sie dies nicht tun können, werden wir den Einzelplan 12 ablehnen müssen.
Zum Schluß herzlichen Dank an die Beamten, die sehr geholfen haben! Ich bedanke mich auch bei den Wasser- und Schiffahrtsämtern, bei der Deutschen Bundesbahn, bei den Verkehrsverbänden, mit denen ich habe sprechen können, und vor allen Dingen bei den Gewerkschaften für ihre Informationen. Da dies das erste Mal für mich war, diesen Etat besprechen zu können, habe ich dabei eine Menge gelernt und bedanke mich bei allen Beteiligten.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Riemer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt zeigt sehr viel Kontinuität, und das entspricht auch der Zusammenarbeit der Fraktionen im Verkehrsausschuß, die nicht so kontrovers ist, wie das hier erscheint, wenn die Haushaltsexperten über Verkehrspolitik sprechen.
Herr Hoffmann, wir sollten auch nicht allzuviel von einem Bundesverkehrsminister verlangen, der erst acht Wochen im Amt ist, auch wenn er ein alter Hase ist, was das Führen eines Ministeriums betrifft. Selbst wenn er eine grundlegend neue Konzeption hätte, hat er gut daran getan, so möchte ich es einmal überspitzt formulieren, sie zunächst zurückzuhalten; denn in diesen paar Wochen Amtszeit kann man damit eigentlich nur Verwirrung stiften. Auch wenn man in der Politik die Richtung ändern will, darf man nicht mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kurve gehen.
Was der Verkehrsminister tun konnte, hat er getan, nämlich dafür zu sorgen, daß bei den verschiedenen Projekten nichts aus der Fahrbahn gerät oder in unwiderruflich falsche Richtung fährt.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die wir inzwischen kennengelernt haben. In einigen Punkten sind wir an-
derer Meinung. Wir haben das auch immer wieder gesagt. Es gibt ja für den Bereich des Verkehrs keine Koalitionsvereinbarungen. Wir sind gezwungen, uns in jedem Punkte zu einigen. Das muß kein Nachteil sein, hat sogar vielleicht Vorteile. Ich bin sicher, daß wir uns in den Fragen, in denen wir jetzt noch unterschiedlicher Meinung sind, einigen können. Denn wenn man einmal genauer nachdenkt, stellt man fest, daß wir in den Grundpositionen nicht verschiedener Auffassung sind bzw. daß sie miteinander vereinbar sind. Es gibt auch keinen Streit über das Ziel. Eigentlich geht es nur um den Weg oder die Methode.
Haushaltsberatung beim Einzelplan Verkehr — meine Damen und Herren, das bedeutet, Verkehrspolitik unter dem Gesichtspunkt des Geldes zu beurteilen. Nicht alles in der Verkehrspolitik kostet Geld, aber vieles — und dann aber auch sehr viel. Damit ist meiner Meinung nach das Problem auch schon gekennzeichnet.
Die Debatte hat ja gezeigt, daß dies keine Haushaltsberatung wie jede andere ist. Wir haben wirtschafts- und finanzpolitisch schwierigste Zeiten: Auf der einen Seite müssen wir bis zum äußersten sparen, auf der anderen sind Investitionsanreize und -anstöße dringend notwendig — auch vom Staat.
Dieses Dilemma wird, wie ich meine, in keinem anderen Einzelplan so deutlich wie beim Verkehrshaushalt, erstens weil er der größte Investitionshaushalt des Bundeshaushalts ist und zweitens weil der Staat in diesem Wirtschaftssektor praktisch der einzige Auftraggeber ist und somit nicht nur indirekt über Rahmenbedingungen, sondern direkt über Auftragsvergabe darüber entscheidet, wie die Unternehmen ausgelastet sind und wie sich die Beschäftigungslage entwickelt.
Wenn die Arbeitslosigkeit das Problem Nummer 1 ist, müssen dann nicht — diese Frage muß man sich stellen — die Investitionsmittel gerade im Verkehrshaushalt wesentlich aufgestockt werden? Nun, es gibt keinen Zweifel, daß mit einer gewissen Erhöhung der Investitionsmittel der Verkehrshaushalt einen noch größeren Beitrag zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage und des Arbeitsmarktes leisten könnte, aber auch nur begrenzt; auch das muß man hinzufügen. Jedenfalls liegt hier nicht die Lösung aller Probleme unserer schlechten und schwierigen Wirtschaftslage.
Voraussetzung für solche zusätzlichen Verkehrsinvestitionen ist nach unserer Auffassung aber, daß diese Investitionen nicht nur verkehrspolitisch sinnvoll, sondern auch dringend notwendig sind. Wir sind dem Verkehrsminister deswegen dankbar, daß er Pressemeldungen richtiggestellt hat, nach denen er angeblich ein Erweiterungs- und Beschleunigungsprogramm für den Autobahnbau auflegen wollte.
Für uns — das muß ich hier eindeutig feststellen — gilt der Fünfjahrplan, wie wir ihn beschlossen haben, und der Bedarfsplan. Selbstverständlich müssen Mittel, die an der einen Stelle nicht verbaut
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Dr. Riemer
werden können, an anderer Stelle eingesetzt werden. Wir wollen sie nicht verfallen lassen oder zurückgeben. Dafür sind die Investitionen zu wichtig. Aber wir sind gegen den vorgezogenen Bau von zweit- oder drittrangig dringlichen Autobahnen,
dies insbesondere auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit. Wir haben immer wieder festgestellt, daß wir vielleicht nach einigen Jahren doch andere Daten, neue Situationen haben und die eine oder andere geplante Autobahn nicht brauchen. Für Erweiterungs- und Beschleunigungsprogramme für den Autobahnbau gibt es von uns keine Zustimmung, meine Damen und Herren.
Was das Verhältnis von Straßenbau zum öffentlichen Personennahverkehr betrifft, sehen wir beide Bereiche gleichrangig an, d. h. vom Grundsatz her gleichrangig. Konkret bedeutet dies selbstverständlich Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr in den Ballungsgebieten; in den ländlichen Bereichen und in der Fläche haben selbstverständlich der Individualverkehr und der Straßenbau Vorrang. So ergänzen sich vernünftigerweise diese beiden Verkehrsbereiche.
Wenn wir als Voraussetzung für Verkehrsinvestitionen eine dringende Notwendigkeit verlangen, dann macht uns der Weiterbau des Rhein-Main-Donau-Kanals natürlich Sorgen. Wir haben nach wie vor aus verkehrspolitischen, aus verkehrswirtschaftlichen und aus Gründen des Umweltschutzes Bedenken. Wir bedauern, daß es zu keiner Einigung über eine sinnvolle Beendigung des Baus gekommen ist. Wir respektieren aber die Rechtslage und die Rechtsposition Bayerns. Es wird jedoch, falls neue Baumaßnahmen begonnen werden, darüber zu reden sein, welche zusätzlichen Umweltschutzmaßnahmen erforderlich sind.
Vor allem aber muß zunächst sichergestellt werden, daß der Kanal eine nationale und keine internationale Wasserstraße wird. Sonst sehen wir für die deutsche Binnenschiffahrt und für die deutschen Seehäfen Gefahren.
Weiter müssen Verkehrsinvestitionen, insbesondere wenn dafür zusätzliche Mittel aufgewendet werden, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Hinblick auf die Prioritäten in anderen Politikbereichen entsprechen. Grob gesprochen, meine Damen und Herren: Wir können nicht das Kindergeld noch mehr kürzen, um mehr Straßen zu bauen.
So direkt Investitionsmittel auch wirken, wir müssen auf der anderen Seite in Rechnung stellen, daß der Tiefbau, um den es sich hier im wesentlichen handelt, verhältnismäßig wenig arbeitsintensiv ist und jede Investition zu 100% vom Staat bezahlt werden muß. Die Forderung, die für die private Wirtschaft vorgesehenen staatlichen Investitionsanreize zu kürzen oder zu streichen, um damit staatliche Investitionen zu finanzieren, ist meiner
Meinung nach arbeitsmarktpolitisch abwegig, weil das hier angestoßene private Investitionsvolumen über staatliche Investitionen nur zu einem Bruchteil erreicht werden kann, ganz abgesehen davon, daß die Streuwirkung, die für eine allgemeine Wirtschaftsbelebung wichtig ist, in anderen Bereichen, wie z. B. beim Hochbau, wesentlich größer ist.
Die letzte Sperre für eine gewaltige Aufstockung der Investitionsmittel ergibt sich natürlich daraus, daß jede weitere Erhöhung durch zusätzliche Kreditaufnahme finanziert werden müßte. Diese wiederum würde über die Zinspolitik das allgemeine Investitionsklima verschlechtern.
Meine Damen und Herren, alles in allem ist es schon eine erhebliche politische Leistung, den Verkehrshaushalt in diesem Umfang erhalten zu haben.
Wenn man in Betracht zieht, welch hochrangige politische Prioritäten in anderen Bereichen zurückgesetzt wurden, ohne Rücksicht auf Popularität und Wählerstimmen, ist in diesem Konzept des Haushalts ein hohes Maß an Einsicht und Ausgewogenheit erkennbar.
Was manche befürchtet haben und was in der Vergangenheit hin und wieder praktiziert wurde, ist nicht eingetreten, nämlich daß der Verkehrshaushalt als Sparkasse der Nation betrachtet würde, bei der in schlechten Zeiten abgehoben wird.
Sobald sich jedoch die Finanzlage auch nur etwas entspannt — lassen Sie mich auch das hier klar sagen —, werden wir Forderungen stellen müssen. Dies gilt insbesondere für Investitionen bei der Deutschen Bundesbahn.
Diese Forderungen ergeben sich nicht aus einem ressortpolitischen Egoismus, sondern daraus, daß eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur eine ganz wichtige Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum ist. Meine Damen und Herren, wir können die Verkehrsinvestitionen nur kurzfristig auf der allgemeinen Sparflamme halten; sonst wird gerade deswegen selbst diese Sparflamme noch ins Flackern geraten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf den Herren Schröder, Hoffmann und Riemer für Ihre Beiträge danken.
— Das wollte ich noch sagen. Es geht nicht alles auf einmal.
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Bundesminister Dr. Dollinger
Ich danke also allen Herren. Mit einem Teil der Ausführungen stimme ich überein, mit einem Teil nicht. Manches wäre zu diskutieren. Das ist leider heute abend auf Grund der Zeitbegrenzung nicht möglich. Wir hatten aber im Ausschuß Gelegenheit, über meine Vorstellungen zu sprechen, und wir können sicher noch manchen Brief darüber hinaus wechseln.
Meine Damen und Herren, die Bedeutung des Verkehrs möchte ich kurz unterstreichen.
— Wenn Sie so eifrig meine Verkehrspolitik unterstützten, wie ich aus dem Hause Briefe bekomme, wäre das großartig.
Wir haben einen enormen Briefeingang, und ich habe bisher kaum jemanden gefunden, der geschrieben hat, er wolle keine Straße. Das ist das Interessante: Alle wollen sie die Straßen.
Aber kurz zu der Bedeutung — die geht daraus hervor —: 20% des Bruttosozialprodukts werden für das Verkehrswesen aufgewandt. 10 % der Bruttoanlageinvestitionen werden im Verkehrsbereich getätigt. 22 % beträgt der Anteil des Verkehrs am Endenergieverbrauch. Die Verkehrsleistungen haben sich in den letzten 20 Jahren stark entwickelt: im Personenverkehr nahezu eine anderthalbfache Steigerung, im Güterverkehr eine Verdoppelung. Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist nach wie vor wichtig für Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, für schnellere und damit kostengünstigere Transporte, für die wirtschaftliche Entwicklung auch in ländlichen Räumen und in den Randgebieten.
Nun bin ich mir darüber im klaren, daß die Staatsfinanzen das nicht hergeben, was wir eigentlich bräuchten. Auch der Verkehrsminister mußte seinen Beitrag leisten zur Konsolidierung des Haushalts. Deshalb können nicht alle Wünsche, auch nicht alle Vorstellungen erfüllt werden.
Die Anträge der Opposition, die ich gehört habe, betreffen sicher Wünschenswertes; aber wie sollen sie gedeckt werden'? Das ist die Frage. Denn, meine Damen und Herren, eines sollten wir nicht vergessen — bitte, keine neuen Illusionen —, in der Kasse sind keine Geldscheine, sondern Schuldscheine.
Nun, wie soll die Verkehrsinfrastruktur verwirklicht werden? Das Parlament hat bisher sehr klare Aussagen dazu gemacht, seinem Willen Ausdruck gegeben, und ich glaube, daß das auch die Richtlinie sein soll. Wenn ich feststellen muß, daß der Erfüllungsgrad, was diese Vorstellungen angeht, heute bei 75% und nicht bei 100 % liegt, dann kann ich darauf nur eine Antwort geben: mehr Investitionsspielraum und Verstetigung der Investitionen.
Vom Stagnieren des Verkehrshaushalts wurde bereits gesprochen. Die Investitionen sind von 56,9 % im Jahre 1971 auf 47,5 % im Jahre 1982 zurückgegangen.
Allein von 1978 bis 1982 sind im Bundesfernstraßenbau die Investitionen von 5,7 Milliarden DM auf 5 Milliarden DM gesunken und bei den Wasserstraßeninvestitionen von 710 Millionen DM auf 590 Millionen DM.
Meine Damen und Herren, die Konsequenzen sind sichtbar. Wir haben gerade in der Bauwirtschaft eine überproportionale Arbeitslosigkeit, Zusammenbrüche und Konzentration von Unternehmungen. Ich glaube, das kann uns im Hinblick auf die Zukunft nicht gleichgültig sein; denn es ist bei der Vergabe von Aufträgen für den Auftraggeber — Bund oder öffentliche Hand — sicher besser, wenn er mehr Wettbewerber hat, als wenn er weniger hat. Die Zahl der Bewerber wird bei dieser Entwicklung in Zukunft geringer sein.
Ein Problem, das in Zukunft von ganz großer Bedeutung sein wird, ist das der Ersatzinvestitionen. Ich möchte heute vorsorglich auf die Entwicklung hinweisen. Wir haben bei der Deutschen Bundesbahn eine Abschreibung von 2,5 Milliarden DM, die wohl den tatsächlichen Notwendigkeiten entspricht. Bei den Bundesfernstraßen haben wir heute eine Abschreibungssumme von 2,5 Milliarden DM. Wir werden spätestens 1990 einen jährlichen Bedarf von 3 bis 4 Milliarden DM haben. Bei den Bundeswasserstraßen haben wir heute eine Abschreibung von 0,5 Milliarden DM nötig, aber in Wirklichkeit haben wir eine Abschreibung von 0,26. Das heißt, hier wird nur die Hälfte dessen, was erforderlich ist, abgeschrieben.
Nun kurz zu den Hauptproblemen, die hier ja auch angeschnitten worden sind. Das ist zunächst die Deutsche Bundesbahn. Sie ist unverzichtbar für den Bürger und für die Wirtschaft.
Diese Deutsche Bundesbahn muß aus diesem Grunde auch entsprechend gestaltet werden. Daß sie heute viele Sorgen bereitet, wissen wir alle. Das Defizit wird in diesem Jahr mindestens 4,7 Milliarden DM betragen, der Schuldenstand 35 Milliarden DM sein. Bis 1985 schätzt man den Schuldenstand auf 50 Milliarden DM.
Ich freue mich, daß die Verwaltung in Frankfurt — sie wurde ja von meinem Vorgänger bestellt — sehr aktiv ist und daß sie neben Verwaltungsdenken vor allem auch unternehmerische Gedankengänge hineinbringt. Ich habe den Herren gesagt, daß ich damit völlig einverstanden bin, und sie müssen auch durch die Trennungsrechnung, die sie vorhaben, zu einer weiteren Aufklärung der gesamten Materie und dann zur Verteilung der Kosten und Belastungen absolut beitragen.
Die Deutsche Bundesbahn braucht aber, um sich in dieser Lage weiter entwickeln zu können, weiteres Geld für Neu- und Ausbau von Strecken, für Anlagen für den kombinierten Verkehr, für Stell-
8814 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Dollinger
werkprogramme, für die Beseitigung von Bahnübergängen und auch für die Errichtung von modernen Rangierbahnhöfen.
Ich möchte hier feststellen, daß die Deutsche Bundesbahn in diesem Jahr in der Lage ist, 4,8 Milliarden DM zu investieren, im Gegensatz zu 4,2 Milliarden DM im vergangenen Jahr.
Nun noch eine Bemerkung zu dem Thema Arbeitsplatzgarantie. Meine Damen und Herren, für diese Frage ist, rechtlich gesehen, der Vorstand der Deutschen Bundesbahn zuständig. Ich glaube, man sollte Kompetenzen auch entsprechend respektieren. Ich wäre gern bereit zu sagen: Wir erhalten alle Arbeitsplätze. Noch schöner wäre es, wenn man noch Bewerber einstellen könnte. Aber, meine Damen und Herren, bei diesem Defizit der Bahn ist es doch völlig unverantwortlich, heute zu sagen: Wir garantieren jeden Arbeitsplatz. —
Ich glaube, das hat schon einmal in Deutschland viele Enttäuschungen hervorgerufen.
Wir sollten uns darauf konzentrieren, meine Damen und Herren, auch über den Weg einer Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Bahn und einer besseren Ausnutzung der Kapazitäten Arbeitsplätze zu sichern. Das ist dann eine echte Garantie.
Über die Ausbesserungswerke wird im Frühjahr ein Bericht vorliegen. Ich kann dem nicht vorgreifen.
Was den Wohnungsbau angeht, Herr Hoffmann, so habe ich heute einen Brief an Sie unterschrieben, in dem steht, wie sich der Vorstand diese Dinge vorstellt. Wenn Sie dann noch Fragen haben, wäre ich dankbar, wenn Sie sich wieder mit mir in Verbindung setzen würden.
Ich darf damit den Bahnbereich verlassen und gehe kurz auf den Straßenbau ein. Ich glaube, wir müssen die vorhandenen Lücken schließen, und wir haben viele Lücken. Wir müssen die Strecken mit hoher Verkehrsbelastung verbessern. Wir brauchen Chancengleichheit für die verschiedenen Räume; das sagt im übrigen sogar das Grundgesetz. Wir sollten dort, wo starker Ferienverkehr ist, versuchen, die Überbelastung in irgendeiner Form abzubauen.
Wir sollten die Verkehrsbelästigungen in engen Ortschaften durch Ortsumgehungen beseitigen. Wir sollten Engpässe und Unfallschwerpunkte zu beseitigen versuchen.
— Wenn Sie das Geld richtig ausgegeben hätten und wenn Sie nicht so gekürzt hätten, dann wären wir auf dem Gebiet weiter.
Und wir sollten dafür sorgen, daß keine Investitionsruinen entstehen und daß nicht „So-da-Brükken" gebaut werden, die so da stehen, weil keine Straße zu der Brücke hinführt und keine Straße von der Brücke wegführt.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mahne?
Nein, danke, ich komme sonst zeitlich nicht zurecht.
Meine Damen und Herren, ich darf auf das hinweisen, was der Herr Kollege Schröder vorhin schon gesagt hat.
— Seebohm war nach meiner Meinung ein ehrenwerter Verkehrsminister.
Meine Damen und Herren, zum Thema Bundesautobahnen. Das, was — auch im Verkehrsausschuß — am 9. Dezember 1981 verabschiedet worden ist, beinhaltet rund 10 500 km. Am Ende dieses Jahres kann man wohl sagen: Knapp 8 000 km wurden vollendet; das heißt, daß noch 2 500 km zu bauen sind.
Bei den Bundesstraßen haben wir — aufgeteilt in I a und I b — 7 400 km. Wie wir zurückhängen, möge folgendes zeigen: Die Baustufe I a sollte nach der Planung im Jahre 1990 fertiggestellt sein; nach der bisherigen Entwicklung wird das im Jahr 2000 der Fall sein. Baustufe I b sollte nach der Planung im Jahr 2000 fertiggestellt sein; nach dieser Entwicklung wird das erst im Jahre 2010 der Fall sein. Dabei habe ich die Preissteigerungen noch gar nicht einkalkuliert. — Meine Damen und Herren, wenn einem Minister unterstellt wird, er mache weiß Gott was, während er sich in Wirklichkeit bemüht, die Beschlüsse der Ausschüsse zu vollziehen,
dann, muß ich sagen, ist das ein merkwürdiges Verhältnis zu und eine merkwürdige Betrachtung über die gestellten Aufgaben.
Ich möchte noch ein paar wenige Bemerkungen zu dem öffentlichen Personennahverkehr machen, der hier angesprochen worden ist. Die Wichtigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs ist unbestritten. Ich darf darauf hinweisen, daß für den öffentlichen Personennahverkehr und den kommunalen Straßenbau in diesem Jahr 2,5 Milliarden DM zur Verfügung stehen, davon allein 1,3 Milliarden DM für den öffentlichen Personennahverkehr. Sie
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8815
Bundesminister Dr. Dollinger
wissen ganz genau, daß die Zweckbindung der Mineralölsteuer der entscheidende Faktor für diesen Bereich ist.
Zu den Hinweisen auf die Verkehrsmodelle: Hierüber werden wir im Laufe des nächsten Jahres sicher weitere Ergebnisse haben.
Ich möchte noch eine Bemerkung zum Wasserstraßenbau machen. Der Ausbau der Saar läuft wie geplant. Beim Rhein-Main-Donau-Kanal — ich sage: Main-Donau-Kanal — halten wir uns an den Kabinettsbeschluß und an den Beschluß des Haushaltsausschusses. Wir werden, so hoffe ich, im Kabinett Ende Januar den alten Beschluß aufheben. Zu gegebener Zeit wird sich dann der Haushaltsausschuß mit dieser Frage beschäftigen.
Ein paar Bemerkungen noch. Unsere Luftfahrt sollten wir nicht vergessen. Sie steht in einem starken Wettbewerb. Die Lufthansa hat sich bisher durch ihre Leistungsfähigkeit gut behauptet. Bei der Seeschiffahrt hatten wir eine Reihe von Problemen, vor allem die Frage der Ausflaggung. Ich darf feststellen, daß der Deutsche Bundestag sich vor kurzem beim Thema „Führen der Flaggen" geeinigt hat.
Ich darf abschließend all denen danken, die in der Verkehrswirtschaft tätig sind, die zum Teil gerade in der Weihnachtszeit weltweit unterwegs sind, von Familien getrennt. Ich danke aber auch den Mitgliedern des Verkehrsausschusses und des Haushaltsausschusses. Ich bitte um die Zustimmung zu diesem Haushalt.
Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik soll sein Arbeit für den Bürger, Arbeit für die Wirtschaft und soll sein Bemühung um Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist damit geschlossen.
Wir kommen zuerst zur Abstimmung über den Einzelplan 10, Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Wer dem Einzelplan 10 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 10 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzelplan 12, Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, und die entsprechenden Artikel des Haushaltsbegleitgesetzes.
Zum Einzelplan 12 liegt auf Drucksache 9/2309 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß über diesen Änderungsantrag insgesamt abgestimmt wird? — Das ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über den Änderungsantrag insgesamt ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist gegen die
Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 12 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 12 ist gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe die Art. 25, 26 und 28 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksache 9/2283, zur Einzelberatung und Abstimmung in zweiter Beratung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksachen 9/2153, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Walther
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Dies ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 13 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 13 ist gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 25
Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksachen 9/2159, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Meininghaus Hauser
Dazu: Zweite Beratung der Art. 13 und 14 des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksachen 9/2074, 9/2140, 9/2283 und 9/2290.
Das Wort zur Berichterstattung hat der Abgeordnete Meininghaus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen als Berichterstatter zum Einzelplan 25 nur schnell einen Berichtigungshinweis geben, und zwar zur Drucksache 9/2283, S. 57. In der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses in der Drucksache 9/2283 ist bei Art. 13, Wohngeldgesetz, laufende Nr. 5, bei den Beschlüssen des 8. Ausschusses, rechte Spalte, in § 16 Abs. 3 nach dem Wort „pflegebedürftig" einzufügen „im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 des Bundessozialhilfegesetzes".
8816 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Meininghaus
Soweit der Berichtigungshinweis.
Darüber hinaus werden Sie sicher nicht betrübt sein, wenn ich Ihnen mitteile, daß die Redner der Fraktionen vereinbart haben, ihre vorbereiteten Debattenbeiträge heute abend nicht mehr zu halten. — Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Meininghaus, ich schließe mich diesem Dank an.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Die Berichtigung wird Bestandteil der Beschlußfassung.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 25, Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Auf Drucksache 9/2313 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß wir über diesen Änderungsantrag insgesamt abstimmen? — Dies ist nicht der Fall. Dann stimmen wir über den Änderungsantrag insgesamt ab. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Einzelplan 25 in der Ausschußfassung zur Abstimmung auf. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einzelplan 25 ist gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion angenommen.
Ich rufe die Art. 13 und 14 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, Drucksache 9/2283, auf.
Auf Drucksache 9/2318 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Ich frage auch hier, ob insgesamt abgestimmt werden kann. — Dem wird nicht widersprochen. Dann wird so verfahren. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 9/2318 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer den Art. 13 und 14 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind in der Ausschußfassung gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 30
Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie
— Drucksachen 9/2161, 9/2281 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Dübber Dr. Zumpfort
Wieczorek Dr. Stavenhagen
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Dies ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan 30.
Auf Drucksache 9/2314 liegt hierzu ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Können wir auch über diesen Änderungsantrag im Ganzen abstimmen? — Dem wird nicht widersprochen. Wir verfahren so. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 30 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 30 ist in der Ausschußfassung gegen die Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt XV auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung der Wirtschaftspläne des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1983
— Drucksache 9/2097 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft
— Drucksache 9/2239 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Niegel Dr. Mitzscherling
Zur Berichterstattung hat der Angeordnete Niegel das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie nicht lange aufhalten. Als Berichterstatter und Vorsitzender des Unterausschusses und im Namen meiner Kollegen Mitzscherling und Beckmann sowie dessen Vertreter Herrn Funke möchte ich in aller Kürze einige Worte zu diesem Tagesordnungspunkt sagen.
Die ERP-Wirtschaftspläne sollten an und für sich in einer normalen Sitzung des Bundestages behandelt werden. Das heutige Verfahren ist nach Auffassung des Wirtschaftsausschusses als eine Ausnahme zu betrachten, denn der ERP-Wirtschaftsplan ist nicht Teil des Haushaltes. Er ist revolvierend angelegt. Er ist ein Beispiel für Förderungsmöglichkeiten. Wir legen Wert darauf, daß dieses Sondervermögen als Sondervermögen erhalten bleibt. Der Umfang beläuft sich auf 4,4 Milliarden DM, davon entfallen ein Drittel auf Kredite, zwei Drittel auf Rückflüsse. Es ist dies ein echtes Instrument der Mittelstandspolitik, der Zonenrandpolitik und der Berlin-Förderung mit Konditionen, die so aussehen: für Berlin 5 %, für das Zonenrandgebiet 6 %, für das Umweltprogramm 6,5 % und für das übrige Bundesgebiet 7
— Entschuldigung! War das eine Gegenstimme?
— Die aufgerufenen Vorschriften sind gegen eine Stimme angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung.
8818 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Vizepräsident Windelen
Wer dem Gesetz als Ganzen zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist bei zwei Gegenstimmen und einer Stimmenthaltung angenommen.
— Meine Damen und Herren, sobald Sie sich beruhigt haben, können wir fortfahren.
Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2261 unter der Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer wünscht dieser Entschließung zuzustimmen? Den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließung des Ausschusses ist immerhin einstimmig angenommen worden.
Ich rufe den Punkt XVIII der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Personalausweise
— Drucksache 9/1809 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses
— Drucksache 9/2262
Berichterstatter:
Abgeordnete Pensky Dr. Miltner
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen.
Ich rufe den Punkt XIX der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Weiß, Kiechle, Funk , Hartmann, Kolb, Feinendegen, Dr. Olderog, Sauer (Salzgitter) und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Riemer, Merker, Rösch, Funke, Frau Noth, Timm, Gattermann, Kleinert und Genossen und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes
— Drucksache 9/2201 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 9/2264 —
Berichterstatter: Abgeordneter Feinendegen
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren, es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2264 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt XX auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Daubertshäuser, Curdt, Kretkowski, Pauli, Wimmer und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes
— Drucksache 9/2128 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 9/2266 —
Berichterstatter: Abgeordneter Merker
Wünscht der Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind einstimmig an-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8819
Vizepräsident Windelen
genommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? —Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XXI auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Wehrrechts und des Zivildienstrechts
— Drucksache 9/1897 —Beschlußempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses
— Drucksachen 9/2279, 9/2328 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Berger Möhring
Wünschen die Berichterstatter das Wort? — Dies ist nicht der Fall. Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch dies ist nicht der Fall.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe Art. 1 bis 4, Art. 4 a, Art. 5 und 6, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind damit einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Das Gesetz ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XXII auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz
Vierter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes
— Drucksachen 9/1243, 9/2272, 9/2330 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Wernitz Dr. Laufs
Dr. Hirsch
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2272 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Wer enthält sich der Stimme? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XXIII auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zur Situation der Entsorgung der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 8/1281, 9/2280, 9/2232 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schäfer Dr. Laufs
Dr. Wendig
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2280 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Entschließung ist gegen die Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion angenommen.
Ich rufe Punkt XXIV auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über „Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahre 1979"
Bewertung der Strahlenexposition in der Umgebung von Steinkohlekraftwerken und Vergleich mit der Strahlenexposition durch Kernkraftwerke
— Drucksachen 9/644, 9/1247, 9/2263 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Schäfer Dr. Laufs
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2263 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt XXV der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für innerdeutsche
8820 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Vizepräsident Windelen
Beziehungen zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Bundesministers für das Post-und Fernmeldewesen über die Erschließung des Zonenrandgebietes im Bereich des Post-und Fernmeldewesens
— Drucksachen 9/552, 9/2267 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Lintner Wuttke
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2267 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt XXVI der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Erhard (Bad Schwalbach), Dr. Mertes (Gerolstein) und Genossen
Freilassung der letzten deutschen Kriegsverurteilten
— Drucksachen 9/1827, 9/2270 — Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Stercken
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2270 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme'? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt XXVII der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für das Post- und Fernmeldewesen zu dem
Antrag der Abgeordneten Pfeffermann, Lintner, Bühler , Linsmeier, Merker, Dr. Riemer, Rösch, Funke, Frau Noth, Timm und der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Bessere Bedingungen für den CB-Funk Antrag der Fraktion der SPD
Bessere Bedingungen für den CB-Funk
— Drucksachen 9/2125, 9/2195, 9/2274 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Bühler
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2274 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließung ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt XXVIII der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu dem Antrag der Abgeordneten Fischer (Hamburg), Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd), Straßmeir, Sick, Dr. Jobst, Seiters, Feinendegen, Hinsken, Metz, Hanz (Dahlen) und der Fraktion der CDU/CSU, der Abgeordneten Duve, Antretter, Curdt, Daubertshäuser, Kretkowski, Wimmer (Eggenfelden), Grobecker, Paterna und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Riemer, Merker, Rösch, Funke, Dr. Zumpfort, Frau Noth und der Fraktion der FDP
Zum Bericht des Seeverkehrsbeirats „Führen fremder Flaggen" vom 9. März 1981 — Drucksachen 9/1872 , 9/2273 —
Berichterstatter: Abgeordneter Duve Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2273 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zustimmen möchte, den bitte ich, das Handzeichen zu geben. — Die Gegenprobe!
— Herr Kollege, nicht nur Herr Duve fehlt, es fehlen auch noch ein paar andere Kollegen.
Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stirnme? — Die Entschließung ist damit einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XXIX auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft
zu den Unterrichtungen durch die Bundesregierung
Vorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Stärkung des Binnenmarktes
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Vollendung des Binnenmarktes
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu den während der belgischen Präsidentschaft im Funktionieren des europäischen Binnenmarktes erzielten Fortschritten
zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Schwörer, Dr. Schäuble, Dr. Waigel, Frau Dr. Hellwig, Dr. Unland, Dr. van Aerssen und der Fraktion der CDU/CSU
Durchsetzung eines mittelfristigen Programms der Wirtschaftspolitik der Gemein-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8821
Vizepräsident Windelen
schaft für die kommenden Jahre und Schaffung eines freien EG-Binnenmarktes
— Drucksachen 9/1738 , 9/2047, 9/970,
9/1833, 9/1586, 9/2288 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2288 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einer Gegenstimme und einer Enthaltung ist die Entschließung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt XXX auf:
Beratung der Übersicht 11 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 9/2268 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/2268, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in der Drucksache aufgeführten Streitsachen abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Das Haus ist also einverstanden; es ist so beschlossen.
Ich rufe den letzten Tagesordnungspunkt, nämlich Tagesordnungspunkt XXXI, auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 50 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 9/2207 —
b) Beratung der Sammelübersicht 51 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 9/2256 —
c) Beratung der Sammelübersicht 52 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 9/2345 —
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 50 bis 52 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses sind einstimmig angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich danke denen, die bis zum Schluß ausgehalten haben.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 16. Dezember 1982, 9 Uhr ein. Wir fahren dann mit der Haushaltsberatung fort.
Die Sitzung ist geschlossen.