Rede von
Ruth
Zutt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Trotz der zeitweise angespannten Atmosphäre hier im Plenum möchte ich mit einem Dank beginnen: an die Kollegen im Haushaltsausschuß — an alle — und an die Mitarbeiter aus dem Landwirtschaftsministerium für die faire und sachliche Zusammenarbeit, ohne die die gedrängten Beratungen in den letzten Wochen nicht hätten abgeschlossen werden können.
Grundlage der heutigen Beratungen bildet der Etatentwurf der sozialliberalen Regierung für den Einzelplan 10, der von der konservativ-liberalen Regierung nur durch ein Deckblatt verändert wurde. Die Gesamtsumme_ des Ansatzes hat sich dadurch nur um 10 Millionen DM erhöht. Sie bleibt dennoch um 154 Millionen niedriger als 1982.
Neu ist, daß trotz dieses niedrigen Ansatzes die Begleitmusik in diesem Jahr bei den Haushaltsberatungen leise geblieben ist. Während der jeweils herabgesetzte Soll-Ansatz in den vergangenen Jahren die damalige Opposition dazu veranlaßt hat, lautstark zu tönen, daß allein schon darin die Mißachtung der sozialliberalen Regierung gegenüber der gesamten Landwirtschaft zum Ausdruck komme, hatten wir damals nie gehört, daß das notwendige Spar- und Konsolidierungsmaßnahmen sind.
Was sonst noch neu ist oder sein wird, wissen wir nicht. Darum möchte ich eingangs einige Fragen an die Regierung stellen, auch nach den Ausführungen von Herrn Schmitz.
Da die Landwirtschaftspolitik weder in den Koalitionsvereinbarungen noch kaum in der Regierungserklärung erwähnt wird, frage ich Sie: Werden Sie die bisherige Landwirtschaftpolitik fortsetzen, oder wo werden Sie Kurskorrekturen ansetzen? Ist das Weglassen von — früher als notwendig erachteten — Vorhaben heute schon „Programm"? Staatssekretär Gallus hat in diesem Hause die Verbandsklage, die damals gerade Einzug in das Umweltschutzprogramm der Liberalen gefunden hatte, temperamentvoll gegen Angriffe der früheren Opposition verteidigt. Von ihr ist nicht mehr die Rede.
— Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich gern auf alle antworten, aber so geht es nicht.
Wie stehen Sie jetzt zur Landwirtschaftsklausel?
Es findet sich weder ein Wort zur ewig bekrittelten Strukturpolitik noch über Tier-, Pflanzen- oder Umweltschutz.
Was sagt die Bundesregierung, geistig-moralisch erneuert, wie sie ist,
z. B. zum alljährlichen blutigen Massaker an Tausenden von acht bis zehn Tage alten Robbenbabys? Wird sie dazu übermorgen in Brüssel ein klares Wort in Richtung Importverbot sagen?
8800 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Frau Zutt
— Wenn ich auch nicht im Hearing war, so habe ich doch das Protokoll gelesen. Vielleicht genügt Ihnen das.
Neben dem Haushaltsausschuß kann man nicht noch in anderen Ausschüssen sitzen. Was soll das eigentlich? Dafür waren Sie nicht im Haushaltsausschuß.
Jetzt zu den Umschichtungen im Einzelplan 10:
Unter der Überschrift „Abbau von konsumtiven Staatsausgaben und Erhöhung der investiven" werden die Sozialausgaben um insgesamt 120 Millonen DM gekürzt und die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" um 130 Millionen DM erhöht.
Die Kürzung der neuen Regierung — darauf hat Herr Schmitz freundlicherweise hingewiesen — war gerade bei der freiwilligen Leistung der Unfallversicherung viel höher, als es die alte sozialliberale Regierung vorgeschlagen hatte, die dafür aber ewig beschimpft wurde, sie hätte etwas gegen die Bauern. Wir haben daher die Erhöhung um 29 Millionen auf 279 Millionen DM mitgemacht. Nur hatten wir, Herr Schmitz, auch eine Deckung. Wir haben gesagt: 15 Millionen DM aus der Getreidevorratshaltung und 14 Millionen DM aus der Gemeinschaftsaufgabe. Nur, Sie wollten uns dazu veranlassen, von einer gesetzlichen Versicherung, die Sie zu hoch angesetzt haben, der Krankenversicherung, zu einer freiwilligen Versicherung umzuschichten, und das fanden wir unsolide. Sie mit Ihrer neuen Haushaltswahrheit und -klarheit!
Mit der Kürzung um 105 Millionen DM bei der Altershilfe für Landwirte beträgt der Zuschuß aus öffentlichen Mitteln jetzt 2 Milliarden DM. Einen Zuschuß in dieser Höhe hatte die sozialliberale Regierung und Koalition bereits vergangenes Jahr im Rahmen des Haushaltsstrukturgesetzes schon für die Jahre 1982 und 1983 vorgesehen. Dies nur zu der Behauptung, daß diese Regierung die Konsolidierung und das Sparen entdeckt habe. Nur hatten wir allerdings letztes Jahr den Vorschlag dabei, daß ab 1983 je nach Leistungsfähigkeit der Betriebe sozial gestaffelte Beiträge einzuführen sind. Dies hielten wir für unabdingbar, weil die gekürzten Zuschüsse notwendigerweise höhere Beiträge für den einzelnen mit sich bringen müssen. Da drei Viertel aller landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe in der Bundesrepublik mittlere und kleinere Betriebe sind, die ein jährliches Einkommen pro Arbeitskraft zwischen 7 200 und 30 000 DM haben, hielten wir es für notwendig, sie mit geringeren Kosten als die großen Betriebe für ihre Alterssicherung zu belasten, die ein Einkommen pro Arbeitskraft von 56000 DM oder darüber haben.
Die damalige Opposition hat die vorgesehene Kürzung über den Bundesrat halbiert und die Sozialstaffel herausgeworfen.
Sie haben es als Sieg gegen die Regierung und für den Bauern verkauft und als Triumph gegen die „sozialistische Umverteilung" gefeiert.
Heute, als Regierung, vollziehen Sie die damals verhinderte Kürzung nach, allerdings ohne eine Kostenstaffel einzuführen. Durch die damit verbundene stärkere Kostenbelastung wird sich die Wettbewerbssituation der mittleren und kleineren Betriebe gegenüber den großen Betrieben weiter verschlechtern.
Die Nichteinführung dieser Staffel ist nicht nur unsozial, sondern auch wirtschaftlich falsch, wenn man den bäuerlichen Familienbetrieb erhalten will.
Selbst der Bauernverband unter Herrn von Heere-mann hat inzwischen die Nichteinführung kritisiert und als Investitionshemmnis für kleinere Betriebe hingestellt. Das ist insgesamt ein eher trauriges Kapitel landwirtschaftlicher Sozialpolitik, das noch verschärft wird durch die erst für Juli 1983 vorgesehene Anhebung der Altersgelder für Landwirte, während sie schon ab Januar einen Krankenversicherungsbeitrag zahlen müssen. Alle Anträge der SPD-Fraktion, dies zu ändern, wurden abgelehnt.
Als Beispiel dafür, daß es auch innerhalb der Landwirtschaft anders gehen kann, zeigt die trotz aller Belastungen zügige Beratung der dritten Anderung des Bundesvertriebenengesetzes im Haushaltsausschuß, mit dem ein Vorschlag des Präsidenten des Bauernverbandes der Vertriebenen, Steves, als vernünftig aufgegriffen und schnell verwirklicht wurde, der einen Solidaritätsbeitrag der Altvertriebenen gegenüber den später hinzugekommenen Vertriebenen aus der Landwirtschaft darstellt, ohne daß zusätzliche Mittel nötig sind.
Wie steht es nun mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine Erhöhung der investiven Ausgaben? Wie gesagt, die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" wurde um 130 Millionen DM erhöht. Auf unsere Frage, welche Maßnahmen damit finanziert werden sollen, kam vom Landwirtschaftsminister in der Sitzung eine ausweichende Antwort. Er sagte, er müsse dies erst im Planungsrat mit den Ländern besprechen.
— Lassen Sie mich doch ausreden.
Inzwischen ist bekannt geworden, daß die Mittel vor allem zu Überbrückungskrediten im Rahmen der einzelbetrieblichen Förderung eingesetzt werden sollen. Ich will nicht bestreiten, daß es einzelne Betriebe gibt, die dieses Geld wohl brauchen können, doch halte ich die Maßnahme insgesamt für
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8801
Frau Zutt
falsch; sie entspricht allerdings der wirtschaftspolitischen Ideologie der neuen Regierung, nämlich einzelne Betriebe — sei es durch Steuererleichterungen im gewerblichen Bereich oder durch Fördermaßnahmen im landwirtschaftlichen Bereich — zu unterstützen. Wir hatten dagegen gefordert, die Dorferneuerung in die Gemeinschaftsaufgabe aufzunehmen
— der Matthöfer ist doch nicht mehr dran —, weil durch sie, wie das Zip-Programm gezeigt hat, arbeitsplatzintensive Investitionen angeregt werden können.
Die einzelbetriebliche Förderung halten wir gegenwärtig für besonders widersinnig. Schon 1978 hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Einstellung der einzelbetrieblichen Investitionsförderung verlangt,
weil z. B. durch den Bau neuer Kuhplätze noch mehr Kühe gehalten werden, die immer mehr Milch geben und so den Milchsee vergrößern, der aber auf der anderen Seite wieder durch die Milchmitverantwortungsabgabe reduziert werden soll.
— Der Wahnsinn hat Methode, Herr Gallus.
Fördert der Staat mit der einen Hand die Ausdehnung der Produktion, so greift er mit der anderen Hand in die Tasche des Geförderten.
Da die Zeit zu knapp ist, kann ich auf manche Fragen nicht eingehen.
Doch erlauben Sie mir zum Schluß, noch auf ein Vorhaben aufmerksam zu machen, das aus dem Forschungsprogramm des BML gefördert wird. Ich meine das Bioäthanol-Programm des Landwirtschaftsministeriums
und hier insbesondere die Bioäthanolanlage im Landkreis Lüchow-Dannenberg.
— Mein Gott, haben Sie als neue Regierungsfraktion eine Disziplin!
— Sie sind doch die sie tragende Fraktion. Sie stellen die Mehrheit, aber ziemlich undiszipliniert. Sie halten sich alle für so blitzgescheit. Wenn Sie nur einmal ruhig sein könnten.
Herr Landwirtschaftsminister Ertl — und, wie ich höre, Sie auch — sind von der Wichtigkeit des Projekts überzeugt, weil — seiner Ansicht nach — damit — ich zitiere wörtlich — „eine fundamentale Aufgabe für die Technologie nach Substitutions-möglichkeiten für herkömmliche Energiearten erfüllt werden kann".
Ich habe schon im letzten Jahr meine Skepsis hierzu geäußert; sie hat sich durch weitere Informationen in diesem Jahr verstärkt, die ich wiederum nicht im einzelnen vortragen kann. Doch bei der Beratung eines auf Sparen und Konsolidierung eingestellten Haushaltes
halte ich es für meine Pflicht, auf die Stellungnahme von Professor Wolffram von der Bonner Universität — im neuesten „agrar-europ" nachzulesen — aufmerksam zu machen, ...