Rede von
Dr.
Reinhold
Kreile
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der sehr umfangreichen Debatte zum Haushalt 1983 ist es jetzt an der Zeit, zum Haushaltsbegleitgesetz 1983 zurückzukehren, dessen Titel lautet — man sollte sich das wieder vergegenwärtigen —: „Gesetz zur Wiederbelebung der
Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts".
Bei diesem Gesetz, wie wir es vorgesehen haben, wirken viele Maßnahmen zusammen: sozialpolitische, wohnungspolitische, arbeitsmarktpolitische. Ich greife hier die steuerpolitischen auf, und zwar besonders im Bereich der Einkommensteuer, der Mehrwertsteuer/Umsatzsteuer, der Gewerbesteuer und der Investitionshilfe. All diese Maßnahmen, die in dem Gesetz vereinigt sind, stehen unter dem Diktat, die große Haushalts- und Finanzkrise bewältigen zu müssen, die die Hinterlassenschaft der abgelösten Regierung ist.
Angesichts von 300 Milliarden DM öffentlicher Schulden allein beim Bund und angesichts von Zinslasten, die den Großteil der jährlichen Neuverschuldung beanspruchen — landläufig gesagt: auffressen —, müssen wir erkennen, wie beklemmend und zutreffend der Sachverständigenrat unsere Lage beschrieben hat. Er sagte — ich zitiere —:
Nahezu überall ist inzwischen der Spielraum der Wirtschaftspolitik ausgeschöpft, auf herkömmlichem Weg zu mehr Dynamik beizutragen.
Angesichts dieses finanziellen Desasters sind auch der Steuerpolitik die Hände gebunden. Das Ergebnis von 13 Jahren falscher Politik ist, daß wir uns nun nur um die vordringlichsten Sanierungsmaßnahmen bemühen können. Der Weg zu der notwendigen Senkung der gesamten Abgabenlast ist uns derzeit versperrt. Die einst so klug ausgedachten Instrumente des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erweisen sich als stumpf und unzureichend.
Durch Steuererhöhungen am laufenden Band und eine explosive Steigerung der Sozialabgaben wurde die Belastung der Arbeitseinkommen in den letzten 13 Jahren immer höher getrieben. Dazu kamen die inflationsbedingten heimlichen Steuererhöhungen. Arbeit und Leistung wurden nicht belohnt, sondern durch zu hohe Abgaben bestraft. Uns allen ist bekannt — das Ifo-Institut hat dies kürzlich in seiner Analyse dokumentiert —, daß in der Zwischenzeit einem Arbeitnehmer von jeder zusätzlich verdienten Mark lediglich 39 Pfennig verbleiben. 61 Pfennig gehen für Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ab.
Wer von dieser Abgabenbelastung am stärksten betroffen ist, hat der frühere Bundeskanzler Schmidt vor der SPD-Fraktion am 22. Juli dieses Jahres deutlich gemacht. Der SPD-Bundeskanzler Schmidt sagte: „Wir", die SPD, „haben also den Arbeitnehmer immer wieder zur Kasse gebeten und haben daraus alles mögliche finanziert, vielerlei wünschenswerte soziale Maßnahmen und Reformen, die Geld kosteten; aber geholt haben wir das Geld von den Arbeitnehmern." —
Wir, die CDU/CSU mit der FDP, ziehen aus dieser durchaus richtigen Feststellung nunmehr endlich die richtigen Konsequenzen.
Wir werden schrittweise durch Begrenzung der unproduktiven Staatsausgaben und durch Abbau der staatlichen Defizite den Spielraum schaffen, um
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8755
Dr. Kreile
die leistungsfeindliche direkte Steuerbelastung, von der besonders die Arbeitnehmer betroffen sind, wieder auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen. Wir kommen aber nicht umhin, zunächst deutliche Fortschritte bei der Sanierung der Staatsfinanzen zu erzielen.
Doch nicht nur die Arbeitnehmerseite haben die sozialdemokratischen Finanzminister zu stark in ihrem fiskalischen Griff gehabt. Die deutschen Unternehmen waren nicht besser dran. Die Unternehmensbesteuerung hat entscheidend zu dem rapiden Verfall der Ertrags- und Investitionskraft unserer Wirtschaft beigetragen. Die SPD wollte — das Wort ist ja zu bekannt — die Belastbarkeit unserer Wirtschaft prüfen. Es ist ihr in Gestalt von Verlusten von Arbeitsplätzen in einem erschreckenden Maß gelungen.
Die rund 12 700 Konkurs- und Vergleichsverfahren in diesem Jahr — das ist ein Anstieg von 50% gegenüber dem vergangenen Jahr — spiegeln eine Entwicklung wider, deren Wurzeln weit in das vergangene Jahrzehnt zurückweisen. Der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Herr Dr. Schlesinger, hat dies sehr trefflich gesagt, als er erklärte:
Die hohe Anfälligkeit der Unternehmen im gegenwärtigen Zeitpunkt ist jedoch meist nicht das Ergebnis einer kurzfristig eingetretenen Fehlentwicklung, sondern das Endresultat eines mehrjährigen, teilweise sogar langjährigen Auszehrungsprozesses.
Ursächlich für diese Entwicklung waren nicht primär weltwirtschaftliche Einflüsse, auch wenn diese gar nicht bestritten werden sollen. Ursächlich waren vorrangig binnenwirtschaftliche Entwicklungen, und zwar — um auf dem Gebiet zu bleiben, über das ich hier zu reden habe — nicht zuletzt eine substanzverzehrende Besteuerung.
Die Erosion der Eigenkapitalbasis, die zunehmende Unterkapitalisierung, die teure Fremdfinanzierung haben die Unternehmen in eine tiefgreifende Krise gebracht und den Einfluß des Staates zwangsläufig in vielen Wirtschaftsbereichen noch erhöht. Die Beispiele, die wir heute aus dem Bereich von Stahl, Kohle, Werften, Textil, Fototechnik und Unterhaltungselektronik gehört haben, sind uns allen deutlich.
Zur Überwindung der Wirtschaftskrise und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit benötigen wir daher vorrangig eine Verbesserung der Investitionsfähigkeit der Unternehmen. Man kann dem Vizepräsidenten der Bundesbank, Dr. Schlesinger, nur zustimmen, wenn er sagt: Die Wirtschaft dieses Landes kann auf die Dauer nicht besser sein als die finanzielle Lage ihrer Unternehmen. Um die Ertrags- und Investitionskraft der Unternehmen zu stärken, braucht es vor allem zweierlei.
Erstens. Die Fähigkeit zur Eigenkapitalbildung muß gestärkt werden.
Zweitens. Die Bereitstellung von Risikokapital muß attraktiver gemacht werden.
Bei dieser Ausgangslage fällt der Steuerpolitik im Rahmen der Beschlüsse der neuen Bundesregierung eine wichtige Rolle zu. Ohne Bewegungsspielraum ist auch die Steuerpolitik zunächst eine Politik der leeren Kassen. Ohne Reserven und ausgereizt bis an die Grenzen des Zumutbaren für Arbeitnehmer und Unternehmen und ohne weiteren Verschuldungsspielraum, stehen wir vor der Aufgabe, erst etwas in die Kasse zu bringen, um es zur Anregung privater Investitionen und für rasche Beschäftigungsimpulse ausgeben zu können. Mit anderen Worten: Was wir noch tun können und tun müssen, ist, unser Steuersystem umzustrukturieren. Wir müssen die produktive und vor allem die investive und innovative Verwendung des Sozialprodukts entlasten und somit zwangsläufig die konsumtive Verwendung entsprechend belasten.
Nun ist es ja gar nicht so, daß einsichtige Politiker in den Reihen der SPD dies nicht wiederholt gesagt und erkannt und zum Teil auch gefordert haben. Doch ohne Erfolg. Der seinerzeitige Bundesfinanzminister Matthöfer führte in seiner Abschiedsrede vor der Belegschaft des Bundesfinanzministeriums am 28. April 1982 die Erkenntnis aus — ich darf Herrn Matthöfer zitieren —:
daß in einer Zeit, in der alles vom Vorrang der Zukunftsvorsorge und der Schaffung neuer Arbeitsplätze spricht, die direkten Steuern und die Sozialabgaben den aktiv Beschäftigten und der Wirtschaft immer mehr Geld entziehen, um es in immer höherem Maße in unproduktive Verwendungen zu lenken. Hier liegt die Wurzel der Forderung nach einer Umstrukturierung des Sozialprodukts zugunsten produktiver, innovativer und investiver Verwendungen.
Dieses Zitat ist die geradezu klassische Begründung dafür, daß in dieser Situation die von der SPD geforderte Ergänzungsabgabe falsch ist.
Wir haben für die erforderliche Umstrukturierung des Steuersystems kaum noch Spielraum. Wir hätten noch weniger Spielraum, wenn die Union in den vergangenen Jahren nicht die Erhöhung der Mehrwertsteuer verhindert hätte. Ich habe von dieser Stelle aus in den vergangenen Jahren mehrmals gesagt: Die Umsatzsteuererhöhung darf nicht wie die letzten Tabak- und Mineralölsteuererhöhungen zum Stopfen der Haushaltslücke verwendet werden. Wenn wir jetzt die Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt erhöhen, so ist das Bestandteil eines soliden Sanierungskonzepts, und zwar mit den folgenden zwei Maßgaben:
Erstens. Die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Juli 1983 werden in vollem Umfang zur Umstrukturierung eingesetzt und damit dem Steuerzahler zurückgegeben.
Eine Erhöhung der Steuerbelastung insgesamt findet nicht statt. — Ich sage es sofort, Herr Dr. Spöri. Und wenn Sie zuhören, ersparen Sie sich eine Frage und mir die Antwort.
Zweitens. Die Mehrwertsteuererhöhung geht mit echten Einsparungen einher, so daß gewährleistet
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Dr. Kreile
ist, daß die Mehreinnahmen nicht in einem bodenlosen Topf verschwinden, sondern tatsächlich zur Umstrukturierung des Steuersystems zur Verfügung stehen. Denn parallel zur Mehrwertsteuererhöhung in 1983 werden wir einen ersten Schritt zur Umstrukturierung, nämlich zum Abbau der ertragsunabhängigen Besteuerung tun, die an der Substanz der deutschen Unternehmen und damit der Arbeitsplätze zehrt, ein beträchtliches Investitionshemmnis darstellt und im internationalen Vergleich — wir haben dies hier schon oft miteinander besprochen — ganz ohne Beispiel ist.
Gleichzeitig werden wir aus dem Mehrwertsteueraufkommen Maßnahmen ergreifen, um Arbeitsplätze bei insolvenzbedrohten Unternehmen zu sichern, durch einen begrenzten Schuldzinsenabzug bei Ein- und Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen den Wohnungsbau stärker anzukurbeln sowie die Gründung mittelständischer Existenzen verstärkt zu fördern.
Die Hinzurechnung der Dauerschulden beim Gewerbekapital und der Dauerschuldzinsen beim Gewerbeertrag hat sich bei nachlassenden Erträgen und hohen Zinsen in den letzten Jahren doch besonders nachteilig auf die Investitionskraft der Unternehmen ausgewirkt. Es wurden Fremdkapitalzinsen nicht mehr aus dem laufenden Ertrag, sondern zu Lasten der Substanz bezahlt.
Mit der teilweisen Streichung dieser Hinzurechnungen, die uns nur gelungen ist durch die Finanzierung über die Mehrwertsteuer, erreichen wir nach der Senkung der Leitzinsen durch die Bundesbank eine Absenkung der Fremdkosten um einen weiteren Prozentpunkt. Auch diese Absenkung ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Bundesbank Signale, die ihr von der Haushaltspolitik einer auf Solidität ausgerichteten Regierung gegeben werden, sehr wohl zu schätzen weiß.
— Das geht in der Tat so schnell, und alles andere ist Erblast. Das Positive, die Senkung des Zinssatzes durch die Bundesbank, ist in der Tat ein Verdienst dieser neuen Bundesregierung.
Die Bundesbank hat begriffen, daß mit dieser Regierung eine solide Haushaltspolitik gemacht werden wird.