Verehrter Herr Spöri, was zunächst einmal das Abspielen der Münchner Schallplatte angeht, so lege ich ja nur eine Schallplatte auf, die Sie besprochen oder besungen haben, und das kann Ihnen doch eigentlich nur recht sein.
— Ein paar Kratzer sind von Anfang an auf der Platte gewesen.
Im übrigen habe ich gar keinen Nachholbedarf. Ich habe Ihnen 14 Tage nach dem Münchner Parteitag gesagt, was das ist: ein Gruselkatalog sozialistischer Marterwerkzeuge. Das mochten Sie gar nicht gerne hören, aber es ist so.
Was Ihre Frage anlangt, Herr Spöri: Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß wir und auch ich persönlich Verantwortung mittragen für die Entwicklung und auch für die Fehlentwicklungen, die eingetreten sind. Ich hätte es begrüßt, wenn unser früherer Koalitionspartner die Kraft aufgebracht hätte, die Fehlentwicklung einzusehen und die Korrekturen mit uns vorzunehmen. Da Sie die Kraft nicht
hatten, mußte die Koalition gewechselt werden, um die Fehltentwicklungen zu bereinigen.
Meine Damen und Herren, nun kommt gewissermaßen oben drauf — in dieser Haushaltsdebatte wird uns ja alles Mögliche an Papier auf die Pulte geschüttet — Ihr Antrag zur Mitbestimmung. Hier wird es in der Tat außerordentlich interessant, wenn ich daran denke, was für Diskussionen wir noch im Jahre 1976 gehabt haben, wie wir nahezu einstimmig ein Mitbestimmungsgesetz verabschiedet haben, wie wir gemeinsam — und ich ziemlich vornan — die Klage der Arbeitgeberverbände gegen dieses Mitbestimmungsgesetz kritisiert und für politisch töricht gehalten haben und wie Sie immer wieder versichert haben, mit dem Mittelstand habe diese Form von Mitbestimmung natürlich überhaupt nichts zu tun. Mit Ihrem heutigen Antrag — Herr Roth, Sie gucken mich so interessiert an; ich freue mich, daß Sie so aufmerksam zuhören — gehen Sie mitten in den Bereich des Mittelstandes hinein. Die von Ihnen vorgeschlagene Mitbestimmung soll sich nicht mehr auf Unternehmen mit mehr als 2 000 Mitarbeitern beschränken — wie im Mitbestimmungsgesetz 1976 —, sondern es soll nunmehr die Mitbestimmung, und zwar die MontanMitbestimmung für Unternehmen ab 1 000 Arbeitnehmer eingeführt werden.
— Das ist ein mittlerer Mittelstand. Mittelstand heißt nämlich Mitte, verehrter Herr Hoffmann, wenn Sie sich daran vielleicht erinnern möchten.
Mit Sicherheit wären über 1 000 Unternehmen betroffen. Mit dieser Funktionärsmitbestimmung greifen Sie weit in den mittelständischen Bereich ein. Allein im produzierenden Gewerbe würden rund 900 Unternehmen und davon 250 Personengesellschaften von dieser Regelung betroffen sein.
Zu Sprecherausschüssen erklären Sie schlicht, das sei für Sie nicht kompromißfähig, das sei Spaltung der Arbeitnehmerschaft, das sei ein Nebenbetriebsrat. Das ist es nicht. Die leitenden Angestellten — das wissen Sie — sind die einzigen, die durch den Betriebsrat nicht vertreten werden und die keine Vertretung gegenüber der Unternehmensleitung, gegenüber dem Management haben. Sehen Sie sich die 330 Sprecherausschüsse an, die zur Zeit auf freiwilliger Basis gut funktionieren, und seien Sie überzeugt davon, daß diese Regierung und diese Koalition sich diesem Thema nach dem 6. März in sehr viel wohlwollenderer Weise, auch der Frage der Sprecherausschüsse, zuwenden wird, als Sie das bisher getan haben, die Sie es zu verhindern gewußt haben.
Für mich und für meine politischen Freunde ist Mitbestimmung ein Individualrecht der Arbeitneh-
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mer in der Betriebs- wie in der Unternehmensverfassung. Diese Position haben wir mit dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 ebenfalls gemeinsam beschlossen und mit dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 durchgesetzt. Diese geltende Mitbestimmung, zu der wir uns auch an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich bekennen — die damalige Opposition hat ja seinerzeit in wesentlichen Teilen zugestimmt —, erweitert die Rechte des einzelnen Arbeitnehmers und seine Selbstbestimmung. Sie aber wollen mit Ihren Vorschlägen wieder mehr Fremdbestimmung und weniger Selbstbestimmung sowie die Abschaffung des wenigstens ein wenig demokratischer gemachten Wahlverfahrens zugunsten eines undemokratischen Wahlverfahrens. Das wird mit uns nicht zu machen sein!
Wir denken nicht daran, den erreichten Fortschritt zurückzudrehen. Die organisationsbezogene Montan-Mitbestimmung und damit die Entmündigung des einzelnen Arbeitnehmers ist für uns keine Alternative.
Die Mitbestimmungswende nach rückwärts findet mit uns nicht statt!
Meine Damen und Herren, ich füge gleich hinzu: Niemand von uns denkt daran — Sie haben das auch in der Regierungserklärung gehört —,
an den bestehenden Vorschriften der Montan-Mitbestimmung etwas zu ändern oder etwas einzuschränken. Diese Erklärung bleibt.
— Natürlich lobe ich Adolf Schmidt, insbesondere dann, Herr Wolfram, wenn er in der Frage der Kohlepolitik anderer Meinung ist als Sie. Dann tue ich das besonders gerne!
Meine Damen und Herren, ich habe hier im Parlament schon bei der letzten Gelegenheit dargelegt,
daß die Vorschläge der SPD-Fraktion nicht geeignet sind, die Beschäftigungsprobleme zu lösen; im Gegenteil, sie verschärfen unsere Probleme. Sie haben nicht nur mit Ihren letzten Initiativen in unseren Augen Ihr Unvermögen, eine wirksame Beschäftigungspolitik zu betreiben, unter Beweis gestellt. Ich darf noch einmal an all diejenigen Vorstellungen erinnern, die in den vergangenen Jahren nicht zum Zuge kamen, weil Sie dafür mit uns keine Mehrheit hatten: Sie wollten einen Strukturentwicklungsplan — Sie wollen ihn ja heute noch —,
Sie wollen Wirtschafts-, Sozial- und Strukturräte, Sie wollen Investitionsmeldestellen, Sie wollen gezielte Forschungspolitik und gezielte Branchenpolitik. Ihre Vorschläge brächten weniger Markt, mehr Staat, mehr Planung, mehr Bürokratie und in deren Folge natürlich auch mehr Kosten.
Ihre Forderung nach immer mehr Staatseingriffen gefährdet die Tarifautonomie und damit ein fundamentales Recht der Gewerkschaften, das im übrigen ein fundamentaler Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Niemand denkt daran, die Tarifautonomie einzuschränken oder gar abzuschaffen. Sie gehört zu unserer Wirtschaftsordnung und ist gänzlich unverzichtbar. Aber — ich wiederhole das, was ich hier schon vor ein oder zwei Wochen gesagt habe — sie gedeiht wirklich nur in einer marktwirtschaftlichen Ordnung, nicht in der Ordnung der Staatseingriffe, nicht in der Ordnung des staatlichen Dirigismus.
Meine Damen und Herren, Sie wollen eine Ergänzungsabgabe, eine Anhebung der Spitzensteuersätze, Sie wollen die Maschinensteuer, Sie wollen die Arbeitsmarktabgabe für Freiberufler und Beamte, und sie ignorieren die ohnehin schon viel zu hohe Abgabenbelastung, die den Leistungswillen beeinträchtigt und die Schwarzarbeit fördert. Sie demotivieren doch durch solche Vorstellungen und Forderungen gerade diejenigen, die durch ihre Leistung unsere Wirtschaft in Gang halten.
Dort, wo Sie keine Möglichkeit sehen, diese Vorstellungen mit neuen Steuern zu finanzieren, soll dies mit höheren Schulden des Staates geschehen. Meine Damen und Herren, wenn ich zusätzlich zu dem, was heute morgen schon gesagt worden ist, feststelle, daß die Finanzierung der zusätzlichen Ausgabenvorschläge der SPD im Bereich der Energiepolitik durch Einsparungen bei den fortgeschrittenen Reaktorlinien erreicht werden soll, und wenn ich mich daran erinnere, in welch — ich kann es wirklich nicht anders nennen — geradezu verbotener Form in der vorigen Regierung, ohne daß jemand am Kabinettstisch das überhaupt ahnte, die Finanzierung der Reaktorlinien über die Beleihung von Bewilligungsbescheiden für zukünftige Jahre erreicht worden ist, dann muß ich schon sagen: Das ist ein starkes Stück von Finanzierungsvorschlägen.
— Herr Conradi, ich habe nicht gesagt, daß in diesen Größenordnungen marktwirtschaftliche Vorstellungen mit Untätigkeit des Staates realisierbar wären. Darüber hat es doch nie Streit gegeben! Aber Sie werden doch wohl zugeben, daß die Art, in der hier finanziert worden ist, das Urteil — ich sage: vielleicht das Vorurteil — vieler Zeitgenossen rechtfertigt, daß Sie mit Geld jedenfalls nicht umgehen können.
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Ich kann doch nicht im Ernst annehmen, daß Sie noch verteidigen wollen, wie das hinter dem Rükken anderer Kabinettsmitglieder geschehen ist, in welch unverantwortlicher Weise hier mit öffentlichen Geldern umgegangen worden ist!
Ich hätte mich j a mit vorsichtigen Andeutungen begnügt, wenn Sie das nicht so heraufgespielt hätten.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der Sozialdemokraten — —
— Wir können auch darauf antworten. Soll ich darauf antworten? Herr Conradi, ich will darauf antworten, damit Sie klar sehen. Ich weiß, worauf Sie anspielen. Herr Kollege Matthöfer, Sie wissen auch, worauf er anspielt. Damit wir das hier alle wissen: Wir alle vier — der Kollege Friderichs, mein Amtsvorgänger, der frühere Bundesfinanzminister Matthöfer und der frühere Bundesfinanzminister Lahnstein ebenso wie ich — sind der Auffassung, daß die Vorwürfe, die erhoben und untersucht werden, unbegründet sind. Alle vier! Ich bin der festen Überzeugung, daß das Ermittlungsverfahren, das geführt wird, und die Objektivität der Behörden, die sich damit beschäftigen, zu einem eindeutigen Ergebnis führen werden. Wenn Sie, wie ich aus diesem Zuruf entnehmen muß, der Auffassung sind, daß die aufgefundenen Aufzeichnungen richtig sind, bitte ich Sie, zu addieren, wer nach diesen Aufzeichnungen den größten Betrag an finanziellen Zuwendungen erhalten hat. Das ist die Sozialdemokratische Partei.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen — —
Ich sage Ihnen, wenn diese Zwischenrufe kommen — ich habe sie beim vorigen Mal und beim vorvorigen Mal alle überhört; auch mit Rücksicht auf die Kollegen, die mit in der Geschichte hängen —: Ich lasse mir das nicht jedes Mal gefallen.
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei bedeuten nicht nur eine Abkehr von der Marktwirtschaft, mehr Staat, mehr Bürokratie und weniger Arbeitsplätze, sie bedeuten auch Bevormundung des Bürgers. Sie bedeuten weniger Freiheit und weniger Selbständigkeit.
Wenn ich Ihnen sage, meine Damen und Herren, daß ich dies eben — ich weiß, daß Sie sofort wieder protestieren werden — für einen Marsch in eine sozialistische Wirtschaftsordnung halte,
dann entgegnen Sie mir bitte nicht, daß der Sozialismus daherzukommen habe in Form von Verstaatlichung, Vergesellschaftung und ähnlichem. Der demokratische Sozialismus, den Sie vertreten und den Sie wollen, kommt in der Form von Bürokratisierung, von immer mehr Eingriffen, von immer mehr Unbeweglichkeit. Hier liegt das nicht Gewollte — ich unterstelle Ihnen das mit keinem Satz —, nämlich die unvermeidliche freiheitseinschränkende Wirkung einer solchen Politik.
Das ist die Problematik. Darüber muß bei uns im Lande gesprochen werden. Niemand wird hierher kommen und sagen, Sie wollten uns enteignen oder ähnlichen Unsinn. Aber in dem anderen Bereich sollten wir eine ernsthafte Diskussion miteinander führen. Wir sind dazu bereit.
Gestern, meine Damen und Herren, hat der Kollege Leber davon gesprochen, daß unsere Probleme ohne die Mithilfe der Gewerkschaften nicht lösbar seien.
Ich stimme dem ausdrücklich zu. Aber die Basis, meine Damen und Herren, solcher Kooperation kann nicht auf ungleicher Partnerschaft fußen.
Die Basis solcher Kooperation kann nicht auf ungleicher Partnerschaft fußen. Die Funktionen dürfen nicht verwischt werden. Wir leben in unserem Lande auch vom Interessengegensatz: zwischen Gewerkschaften, zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Staat. Wir leben von der balance of power, von dem Gleichgewicht. Dieses Prinzip hat sich bewährt.
Aber wie wir alle, meine Damen und Herren, haben auch die Tarifpartner, auch die Gewerkschaften selbstverständliche Pflichten. Nur Rechte gibt es für niemanden — für keinen —, schon gar nicht in dieser Zeit.
Deswegen sage ich auch dem Kollegen Leber: Wir bemühen uns um eine sozial ausgewogene Politik.
— Darüber wird zu reden sein.
Herr Leber hat gestern dargelegt, daß die Eingriffe ins soziale System zu gravierenden Einkommensbegrenzungen führen können. Nun ist Einkommensgrenze ja seit langem ein nicht gelöstes Problem in unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Jetzt meine ich nicht die Einkommensbegrenzung, sondern die Einkommensgrenze, von der ab Sprünge nach oben und Verluste nach unten erfolgen. Ich meine Transferlinien, bei denen wir ja wissen, daß mancher, der mit seinem Bruttoeinkommen kurz darunter liegt und Transfereinkommen dazubekommt, sich besser steht als der, der kurz darüber liegt. Das ist keine glückliche Situa-
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tion. Das war häufiger Gegenstand von Diskussionen, auch in der alten Regierung.
Herr Leber hat gestern leider kein Rechenbeispiel gegeben, sondern uns aufgefordert, uns im Laufe der Diskussion bei der Beratung der Einzelpläne und der Einzelgesetze selber die Rechnung aufzumachen. Das ist zu wenig. Wir nehmen seinen Hinweis schon ernst; aber so, wie er es gesagt hat, trifft der Hinweis nicht zu. Es mag in Einzelfällen — den berühmten Eckfall finden Sie in jeder Gesetzgebungsdiskussion — eine Häufung geben, aber im Durchschnitt stimmt sein Beispiel nicht. Wir haben eine Reihe von Abfederungen eingebaut: Einkommensgrenzen beim Kindergeld, Übergangsregelungen beim Schüler-BAföG für einkommensschwache Familien, Reduzierung der Darlehensschuld beim Studenten-BAföG durch Leistungsnachweis.
Meine Damen und Herren, es ist sehr viel leichter, solche unvermeidlichen Einschränkungen, die Sie schon Ihrem Bundeskanzler im Juni bei seiner Rede vor der Fraktion verweigert haben, einer anderen Regierung gegenüber zu kritisieren, als Ersatzvorschläge zu machen, die zu den gleichen Einsparungen führen.
Ich füge hinzu, auch wenn das bei Ihnen Widerspruch auslösen mag: In der Diskussion über die Belastungen darf man nicht nur auf diejenigen sehen, denen Leistungen beschnitten werden, denen man Kürzungen zumutet. Man muß und man darf auch auf diejenigen sehen, die diese Leistungen zu erbringen haben, die durch ihre Steuerzahlungen dazu beitragen, daß wir das überhaupt leisten können.
Bei 60% und mehr Grenzbelastung ist es sehr wohl richtig, an diejenigen zu denken, die zur Finanzierung beitragen. Diejenigen, die Steuern hinterziehen, tragen gerade nicht zur Finanzierung bei. Ihr Zwischenruf ist deshalb ziemlich töricht.
Wer diese Belastungen weiter hochschraubt, der blockiert Leistungsbereitschaft, er blockiert Dynamik und Flexibilität gerade derjenigen, die unserer Wirtschaft ihre Effizienz verleihen. Das gilt ganz besonders auch für Arbeitnehmer. Ich habe durchaus Verständnis für die Frage des Kollegen Matthöfer, was die Lohnsteuerbelastung und ihre Korrektur anbelangt. Nur muß man über die Masse verfügen, Herr Matthöfer, bevor man dies tun kann. Mir wäre es ganz lieb gewesen, wenn Sie sich auch hier noch einmal zu dem Grundsatz bekannt hätten, den schon Ihr Amtsvorgänger im alten Kabinett und Sie vertreten haben,
daß wir unvermeidlich die indirekten Steuern erhöhen müssen, um bei den direkten Steuern langsam
zu Erleichterungen zu kommen. Ich halte das für vernünftig.
Wenn Steuerprogression und Abgabenbelastung und die Nivellierung als Ergebnis einer über lange Jahre so betriebenen Tarifpolitik dazu führen, daß es sich bei uns für einen Facharbeiter überhaupt nicht mehr lohnt, sich einer zusätzlichen Ausbildung, einer zusätzlichen Anstrengung zu unterziehen, weil ihm der Mehrverdienst gegenüber einem, der nichts gelernt und diese Anstrengung nicht auf sich genommen hat, weggesteuert wird, dann sind wir auf dem Holzweg, auf dem falschen Weg, dann zerstören wir Leistungsbereitschaft und Leistungsmöglichkeit in unserem Lande.
Ich möchte hier ein wörtliches Zitat bringen: „Hier liegt auch ein entscheidender Grund dafür, daß eine weitere Erhöhung des Anteils der direkten Lohn- und Einkommenbesteuerung und der Sozialabgaben wirtschaftlich nicht sinnvoll, sondern eher schädlich wäre." Ich glaube, nach Herrn Ehmkes Definition, Herr Matthöfer — von Ihnen stammt das Zitat, nämlich aus Ihrer Einbringungsrede zum Haushalt 1982 —, müssen Sie wohl als Sozialdarwinist gelten.
Das sind Sie aber nicht.
Es gilt, Leistungen freizusetzen, und es gilt, Leistungen nicht zu begrenzen. Wesentlicher Träger dieser Leistungen ist bei uns der Mittelstand, und zwar nicht nur der gewerbliche Mittelstand. Natürlich ist es in erster Linie der gewerbliche Mittelstand, aber auch das, was man den soziologischen Mittelstand nennt, gehört selbstverständlich dazu. Wer, wenn nicht gerade diese Bereiche unseres Volkes, hat denn nach 1949 ganz entscheidend dazu beigetragen, daß wir den Weg nach vorn gewonnen haben?
Herr Matthöfer, ich finde, es ist eine einseitige Betrachtungsweise, wenn Sie heute morgen formulierten, Herr Grundig sei eines der wenigen Beispiele erfolgreichen deutschen Unternehmertums nach dem Kriege. Es hat Tausende erfolgreiche Unternehmer gegeben, die unserem Lande weitergeholfen haben!
Es ist schon ganz unerhört, zu glauben, das seien nur einige Wenige gewesen. Wo, glauben Sie, wären die Arbeitsplätze hergekommen, die wir doch in den 50er Jahren auch nicht gehabt haben, wenn es nicht viele Tausende von erfolgreichen Unternehmern gegeben hätte, die sie zur Verfügung gestellt haben?
Der Mittelstand ist nicht nur wesentlicher Teil einer effizienten marktwirtschaftlichen Ordnung, er ist auch ein wichtiger Teil einer wirklich freien Gesellschaft. Unsere Gesellschaft braucht einen breiten Mittelstand von Selbständigen, Freiberufli-
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chen, Handwerkern, mittleren und kleinen Unternehmern, die Eigenverantwortung und Initiative entfalten, die Risikobereitschaft zeigen, die etwas unternehmen und die wegen dieser Gesinnung ein ganz essentieller Bestandteil einer freiheitlichen Gesellschaft sind.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich ein paar Worte den Problemen und den Aussichten, aber auch den Schwierigkeiten meiner eigenen Partei, der Freien Demokratischen Partei, widmen. Wir wissen sehr wohl, daß wir im kommenden Wahlkampf einen schweren Stand haben werden. Wir müssen das tun, was die Amerikaner „einen Wahlkampf bergauf führen" nennen. Darüber gibt es keine Zweifel. Aber wir lassen uns nicht entmutigen, weder durch Drohgebärden, noch durch abfällige Bemerkungen. Wir werden abzuwarten haben, Herr Kollege Waigel. Ich weiß nicht, ob er hier ist — nein; man wird es ihm sagen. Wir werden schon sehen, ob die Uhr tickt oder — wie Ihr Parteivorsitzender in seinem Landesausschuß gemeint hat — der Sand rinnt.
— Vielleicht gesellen Sie sich in einen Kreis solcher, die wie Rudolf Augstein schon 1972 das Totenglöcklein bimmeln hörten. Wir sind immer noch lebendig. Wir haben schon manches überstanden. Wir werden auch dies überstehen. Und wir werden durchhalten.
Deswegen sage ich Ihnen: Von Abschiedsreden hier im Parlament kann überhaupt keine Rede sein. Ich denke gar nicht daran.
Wir müssen und wir werden dem Wähler die Leistungen und die Bedeutung der liberalen Partei im parlamentarischen System der Bundesrepublik deutlich machen. Alle wesentlichen, wegweisenden Entscheidungen der Nachkriegszeit sind durch uns, die FDP, trotz aller Fehler, Irrtümer, mancher Phantastereien, denen wir nachgelaufen sind, Enttäuschungen, die wir erlebt haben — natürlich ist das so geschehen —, maßgeblich mitgetragen worden.
Es hätte nicht die Mehrheiten im Deutschen Bundestag gegeben, die nötig waren für die Einbettung in das westliche Bündnis, für die Entscheidung zugunsten der marktwirtschaftlichen Ordnung, für die Weichenstellung in der Deutschlandpolitik, für eine Politik des Ausgleichs mit dem Osten. Ich sage noch einmal: natürlich nicht alleine mit uns und durch uns; aber es hätte die Mehrheiten nicht gegeben.
Meine Damen und Herren, wir sorgen uns nicht nur in der Wirtschaftspolitik, wo wir für Wende, Neubeginn und Neuanfang eingetreten sind und eintreten. Wir sorgen uns auch um Kontinuität in der Deutschland-, der Außen- und der Sicherheitspolitik.
Der Bundeskanzler hat kürzlich sinngemäß gesagt: Kontinuität in diesen Bereichen der Politik gibt es für die jetzige Regierung nicht nur seit Willy Brandt und Helmut Schmidt, sondern seit Konrad Adenauer. Es ist für die FDP überhaupt kein Problem, Ihnen hier zuzustimmen, Herr Bundeskanzler. Im übrigen hat auch Konrad Adenauer gegen Ende seiner Amtszeit die Bedeutung und die Notwendigkeit einer Politik des Ausgleichs zwischen Ost und West erkannt und mit aller Deutlichkeit damals angesprochen. Sie, Herr Bundeskanzler, haben gestern gesagt: Wir wollen die Politik des Dialogs und der Zusammenarbeit mit dem Osten fortführen. Ich lese heute in der Zeitung, daß der bayerische Ministerpräsident sagte: Ich habe nicht dreizehn Jahre gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition gekämpft, um im vierzehnten Jahr ihre Kontinuität zu verkünden. Das, meine Damen und Herren, müssen unsere Koalitionspartner untereinander ausmachen.
Wir stehen für die Kontinuität einer auf Vernunft, auf Ausgleich gegründeten Politik.
Meine Damen und Herren, wir sind ganz davon überzeugt, daß wir nach den Anfängen, wie sie in diesen 75 Tagen auf diesem Gebiet gezeigt worden sind,
voller Zuversicht an die weitere Arbeit gehen können.
Tragendes Element der Sicherheitspolitik dieser Regierung — wie auch der vorigen Regierung, wenn Sie sich darin freundlichst erinnern würden, meine Damen und Herren von der SPD —
ist der von Helmut Schmidt maßgeblich eingeleitete und zustande gebrachte NATO-Doppelbeschluß
— der von Helmut Schmidt maßgeblich zustande gebrachte. Die FDP steht zu dem Doppelbeschluß, und zwar zu seinen beiden Teilen. Ich beobachte mit dem allergrößten Unbehagen, wie bei Ihnen reihenweise die Kandidaten, die sich um ein neues Mandat für den Bundestag in den Wahlkreisen bewerben, weggesäbelt werden, nur weil sie sich zum NATO-Doppelbeschluß bekennen.
Wo ist denn der frühere Wohnungsbauminister Haack geblieben? Was ist denn Herrn Peter Männing in Berlin widerfahren? Warum wird denn Herrn Stobbe die Kandidatur zum Bundestag, die
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ihm von Willy Brandt und Helmut Schmidt in Aussicht gestellt worden war, verweigert? Nein, meine Damen und Herren, machen wir uns darauf gefaßt und sagen wir es der Öffentlichkeit: Da erscheint eine andere sozialdemokratische Fraktion nach dem 6. März.
Wir, meine Freunde und ich, werden eine Politik der Mitte, der Vernunft und des Ausgleichs weiter betreiben. Sie hat in der Bundesrepublik Deutschland politische Stabilität mit herbeigeführt. Und sie hat manches Ausfransen an den Rändern der großen politischen Parteien verhindert.
Ich sagte es: Auch wir haben Fehler begangen, auch uns sind Irrtümer unterlaufen. Aber das kann das Bild der liberalen Partei im ganzen nicht entstellen. Und es wird sich mancher wundern: Trotz aller Probleme und trotz aller Schwierigkeiten, die mein Freund Hans-Günther Hoppe hier gestern in aller Offenheit dargelegt und angesprochen hat, gehen die Liberalen mit vollem Selbstbewußtsein in diesen Wahlkampf.
Wir haben den Wechsel aus staatspolitischer Verantwortung herbeigeführt. Wir wußten um die Risiken, und wir wußten ganz genau, daß, wie uns damals das Herauskatapultieren angedroht wurde, uns diesmal das Wegharken angedroht werden würde — kein Deut besser; alles war vorauszusehen.
Wir, meine Parteifreunde und ich, können mit Stolz auf 30 Jahre liberalen Beitrag zu deutscher Politik sehen.
Ich habe unseren Beitrag zu den Grundsatzentscheidungen dieser Republik erwähnt. Aber es war nicht nur die Funktion, eine Funktion zwischen den beiden großen Parteien, die in unserer Republik für Stabilität und Ausgewogenheit gesorgt hat. Es war nach unserer festen Überzeugung der Inhalt liberaler Politik, die wir vertreten und für die wir uns eingesetzt haben: Freiheit für den einzelnen, Stärkung der Bürgerrechte, Freiheit vom Staat, Berechenbarkeit deutscher Politik, Frieden nach innen und außen und eine Wirtschafts- und Sozialpolitik der Sozialen Marktwirtschaft.
Die ersten 75 Tage der Regierung Kohl/Genscher haben bewiesen: Wir haben recht gehabt mit unserer Entscheidung.
Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler, und ich sage das auch unserem Koalitionspartner: Sie werden nach dem 6. März in uns einen kritischen, aber einen zuverlässigen Koalitionspartner haben,
der die Politik, für die wir gemeinsam angetreten sind, zu einem guten Ende führen will.
Und ich sage meiner eigenen Partei und — wenn Sie das einmal erlauben — ich sage es hier im Hause, aber auch meinen Parteifreunden draußen: Wir haben um unsere Existenz zu kämpfen, wir werden um unsere Existenz kämpfen, und wenn wir kämpfen, dann schaffen wir es auch. — Ich bedanke mich.