Rede von
Wolfgang
Roth
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ach, wissen Sie, die Überschrift war Graf Lambsdorff. Die Einzelpunkte will ich gar nicht durchdividieren. Da wird es ja sehr eigenartig für Sie. Einerseits lehnen Sie die Ergänzungsabgabe ab und sagen, sie sei ein sozialistisches Monstrum — das ist heute wieder geschehen —, auf der anderen Seite wollen Sie eine Zwangsabgabe mit großem bürokratischen Aufwand machen. Das zeigt Prinzipienlosigkeit.
Da bin ich wirklich erstaunt, daß man sich hier hinstellt und dafür Verteidigungsreden hält. Wenn ich im Frühjahr den Vorschlag gemacht hätte, eine Zwangsabgabe einzuführen, dann kann sich jeder Kollege hier im Raum vorstellen, wie darauf reagiert worden wäre. Ich finde, das zeigt doch die ganze Persönlichkeit.
Nun verstehe ich sehr gut: Wer in der politischen Auseinandersetzung am Überleben hängt, hat spezielle Freiheiten. Deshalb wollte ich Ihre Frage an sich nicht beantworten. Aber es war wohl erzwungen.
Meine Damen und Herren, es hilft uns aber nicht, wenn wir uns ständig nur gegenseitig kritisieren. Wir müssen auch Maßnahmen nach vorn beschließen. Ich will hier Vorschläge an diejenigen machen, die wirtschafts- und gesellschaftspolitisch mit dieser Arbeitslosigkeit nicht weiter leben wollen.
Ein Satz vorweg: Wir brauchen jetzt keinen Klassenkampf von oben, der nur einen Klassenkampf
von unten provozieren würde. Worauf es jetzt ankommt, ist eine Politik, in der man aufeinander zugeht, gesprächsbereit bleibt und versucht, einen solidarischen Interessenausgleich anzustreben. Das heißt, es müssen Kompromisse geschlossen werden. Ich bin der festen Überzeugung, daß der Grundgedanke von Hans-Jochen Vogel zu einem nationalen Solidarpakt in der Reaktion beispielsweise von der CDU/CSU mehr erfordern und mehr verdienen würde als das bloße Zurückweisen und Ablehnen. Niemand kann nach meiner Überzeugung die Gesellschafts- und die Wirtschaftspolitik so beeinflussen, daß sie wirklich zur Abschaffung oder auch nur zur Eindämmung von Arbeitslosigkeit führt, der nicht diese Idee des runden Tisches aufnimmt.
Sie, Graf Lambsdorff — ich will Sie da wirklich noch einmal ansprechen —, haben allerdings durch Ihre Art von Politik — dazu bekamen wir in der Auseinandersetzung über die Montanmitbestimmung heute ein weiteres Beispiel geboten — den runden Tisch umgestürzt. Daß die Konzertierte Aktion seit Jahren nicht mehr funktioniert, ist das Ergebnis der sinnlosen Aktion gegen die Montanmitbestimmung aus dem Hause Lambsdorff.
Herr Bundeskanzler — er ist zur Zeit nicht da —,
ich habe im Zusammenhang mit dem runden Tisch und der Idee des Solidarpakts eine Frage. Graf Lambsdorff hat sich hier entschieden gegen Montanmitbestimmung als Prinzip ausgesprochen. Meine Frage: Kündigt die Union diese gemeinsam von CDU, CSU und SPD weitgehend — bei Minderheiten — durchgesetzte Montanmitbestimmung für die Zukunft auf? Falls sie das bejahen, können Sie jeden Solidarpakt oder jeden runden Tisch oder alles Aufeinander-Zugehen der sozialen Gruppen in der Bundesrepublik vergessen. Denn die Montanmitbestimmung ist ein unveräußerliches Recht der Arbeiterbewegung der Bundesrepublik Deutschland. Wir brauchen dazu eine Antwort in dieser Debatte.
Es gibt keine Patentrezepte zur Überwindung der Krise, schon aus dem internationalen Zusammenhang heraus nicht. Deshalb brauchen wir zusätzlich zur nationalen Politik expansivere internationale Maßnahmen. Mein Kollege Peter Mitzscherling wird dazu etwas sagen.
Was muß nun eine Wirtschaftspolitik in den nächsten Jahren anpacken! Lassen Sie mich noch einmal kurz unseren Beschäftigungshaushalt für 1983 bis 1985 in fünf Punkten zusammenfassen.
Übrigens, hier wurde Alex Möller als Zeuge gegen die Sozialdemokratie zitiert. Wenn Sie interessiert, was Alex Möller zum Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985 sagt und wie er ihn beurteilt, dann sollten Sie ihn fragen. Da das im Moment nicht möglich ist, will ich wiederholen, was er gesagt hat. Er hat zu mir in diesen Tagen gesagt — er wird es diese Woche auch noch öffentlich sagen —, er glau-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8745
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be, dies sei das einzige Element der nationalen Wirtschaftspolitik, das jetzt helfen könnte, wenigstens die weitere Wucherung der Arbeitslosigkeit einzudämmen.
Das ist das Votum von Alex Möller, dem der eine oder andere j a mehr zutrauen mag als mir.
Erstens. In einer Gesellschaft, in der die Mehrheit der Investitionsentscheidungen von privaten Kapitaleignern getroffen wird, muß jede Politik zur Verbesserung der Beschäftigungslage auch den privaten Unternehmensbereich einsetzen. Unser Prinzip ist allerdings nicht, im Feuerwehrstil — wie Sie es tun — Bränden in der privaten Wirtschaft nachzufahren, so wie jetzt bei AEG oder bei Arbed, sondern unser Prinzip ist, vorausschauend arbeitsplatzorientiert zu arbeiten. Subventionen sollen an die Schaffung von Arbeitsplätzen und nicht an die Vernichtung von Arbeitsplätzen gebunden werden.
Zweitens. In Konjunktur- und Anpassungskrisen wie der jetzigen, in denen wertvolle produktive Kapazitäten nicht genutzt werden und in denen auch Leistungswillige und Leistungsfähige keinen Arbeitsplatz finden, muß der Staat durch öffentliche Investitionen entstandene Lücken ausgleichen. Herr Bundesfinanzminister, das ist auch der Auftrag des Stabilitätsgesetzes. Dort steht, daß der Staat Konjunkturpolitik aktiv betreiben muß. Wer Parallelpolitik betreibt, verstößt gegen dieses Gesetz.
Wir schlagen vor, Investitionen zu tätigen, die zur Strukturverbeserung und Modernisierung unserer Gesellschaft beitragen. Meine Damen und Herren, es ist möglich, Umweltinvestitionen zur Arbeitsplatzschaffung zu nutzen. Es ist möglich, durch Energiesparinvestitionen Arbeitsplätze zu schaffen. Es ist möglich, durch den Ausbau des Nahverkehrs Arbeitsplätze zu schaffen. Unser Beschäftigungshaushalt 1983 bis 1985, der Bankenkapital durch Zinszuschüsse für Strukturinvestitionen mobilisiert, ist also kein einfaches Ankurbelungsprogramm, sondern ein Umweltprogramm und ein Energiesparprogramm. Ein solches Programm paßt strukturell genau in die Landschaft.
Es ist auch kein Strohfeuer, sondern es ist mittelfristig angelegt und genau die Antwort auf entstandene Investitionslücken in der privaten Wirtschaft. Ich sage es noch einmal: Kläranlagen, Energiespar-einrichtungen, die Maßnahmen zur Fernwärme werden nicht von der Bürokratie gemacht, sondern von Bauarbeitern. Es sind Bauunternehmer, die Investitionen vornehmen.
Was soll das Gerede, dies sei ein bürokratisches Programm? Wenn man dieses Programm durchführt, bekommen Leute Arbeit, die zur Zeit keinen Arbeitsplatz haben. Kleinen und mittleren Unternehmen würden damit Investitionschancen eröffnet. Natürlich braucht der Staat die Anstoßmöglichkeit, und er sollte sie nutzen.
Drittens. Wenn der Einsatz arbeitsplatzsparender Technik zu immer neuen Produktivitätsschüben führt, wenn ganze Bereiche der Wirtschaft Arbeitsplätze wegrationalisieren und wenn das auf Grund von Wettbewerbszusammenhängen internationaler Art unvermeidlich ist, dann kann man eine Grundsatzdebatte im Parlament über Wirtschaftsfragen nicht führen, ohne daß man ein klares Ja zur Arbeitszeitverkürzung sagt.
Ich habe von dem Wirtschaftsminister in den letzten zwei Jahren zu diesem Thema stets nur ein stures Nein gehört. Inzwischen scheint er die CDU/ CSU selbst bei einem Vorruhestandsmodell, d. h. einem Modell, das ein früheres Ausscheiden aus dem Arbeitsleben ermöglicht, angesteckt zu haben. Konkret ist ja in den letzten drei Monaten zu diesem brennenden Problem nichts gekommen. Meine Damen und Herren, wer Arbeitszeitverkürzung ablehnt, macht sich an Hunderttausenden von jungen Leuten schuldig, die jetzt aus dem Bildungsbereich in den Arbeitsbereich kommen.
Viertens. Wir brauchen Qualifizierung der Arbeit. Wir haben dazu in unserem Beschäftigungshaushalt sehr konkrete Vorschläge gemacht.
Fünftens. Wir müssen vor allem für länger Arbeitslose auch eigenständige und vernünftige Beschäftigungsmaßnahmen im Arbeitsbereich ergreifen. Das heißt, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden immer mehr, wie Klaus von Dohnanyi sagt, zum zweiten Arbeitsmarkt in dieser Krisenphase werden. Keiner kann sicher sein, ob man das auf Dauer braucht. Aber ich bin sicher, daß man die geburtenstarken Jahrgänge, die nun aus dem Bildungswesen auf den Arbeitsmarkt kommen, problemlos nur dann eingliedern kann, wenn wir bereit sind, im sozialen Bereich und im Umweltbereich vernünftige öffentliche Arbeitsbeschaffung zu betreiben.
Auch das hat nichts mit Bürokratie zu tun, sondern damit, daß man nicht so zynisch sein darf, Hunderttausende junge Leute einfach nichts tun zu lassen.
Ich bin sicher — das sehe ich schon aus der Reaktion auf den von Hans-Jochen Vogel vorgeschlagenen Solidarpakt —,
daß die Bürger zur Solidarität mit den Arbeitslosen bereit sind.
Aber — und hier stimmt bei Ihnen von der Koalition das Prinzip nicht — Solidarität braucht Gerechtigkeit. Der kleine Mann gibt tatsächlich mit rein in den Korb; aber er gibt nur, wenn er sieht, daß auch der Betuchte nach seiner Leistungsfähigkeit beiträgt.
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Das hat nichts mit sozialistischem Neid zu tun, sondern das ist Anstand.
Denn wer dem Kleinen auf die Dauer nimmt und den Großen ihre Zwangsabgabe zurückzahlt, der muß Solidarität zerstören. Sich aus der Verantwortung zurückziehen, wie es gerade mit dem Wort „Der Markt wird es schon lenken" geschehen ist, ist kein Beitrag zum Strukturwandel unseres Landes. Wer so handelt, verschärft die Probleme. Wir Sozialdemokraten sind für einen Solidarpakt von Arbeitnehmern, Unternehmern und Staat. Das heißt, wir sind der Meinung, alle sozialen Gruppen müssen für aktive Beschäftigungspolitik eintreten.