Rede von
Dr.
Graf
Otto
Lambsdorff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Spöri, ich möchte mich im Augenblick mit den Ausführungen des Kollegen Matthöfer beschäftigen.
Herr Matthöfer, in zwei Punkten habe ich, so wie Sie gesprochen haben, einen gravierenden Mangel an Fairneß empfunden, besonders angesichts dessen, wie wir in vielen Jahren miteinander umgegangen sind. Wenn Sie von Wortbruch und Drückebergerei reden, so muß ich Ihnen sagen: Darüber läßt sich
— ich weiß, warum das so gekommen ist — vom Stuhl des Postministers leichter reden, als das aus der Perspektive Ihres Nachfolgers und aus der Perspektive des Wirtschaftsministers zu betrachten war. Wenn Sie mich der Drückebergerei zeihen, so kann ich nur entgegnen: Sie selber wissen sehr genau, daß ich zu allem möglichem neige, aber nicht ausgerechnet dazu.
Was den „Wortbruch" anlangt, der ja auch in der gestrigen Rede des Kollegen Ehmke wieder eine Rolle gespielt hat — ich bin Herrn Stoltenberg für das dankbar, was er dazu gesagt hat —: Ich werde in diesem Wahlkampf in meinen Wahlkreis gehen und meinen Wählern meinen Kandidatenbrief vom Sommer 1980 unverändert vorlegen, um Ihnen damit zu sagen: Keine einzige Position hat sich geändert. — Aber Ihre Positionen haben sich im Laufe dieser zwei Jahre zum Teil sehr grundlegend geändert.
Schließlich ein zweiter Punkt, Herr Matthöfer, den ich für nicht in Ordnung befunden habe. Wenn ein ehemaliger Finanzminister, der die Belastungen dieses Amtes und die Arbeit, die mit der Aufstellung eines Haushalts verbunden ist, kennt, seinem Nachfolger, der erst 75 Tage im Amt ist, den Vorwurf macht, er hätte schneller, besser und gründlicher arbeiten sollen, so meine ich, daß Sie es sich zweimal überlegen sollten, bevor Sie so etwas von diesem Pult herunter sagen.
Es ist eine Mordsleistung, die auch überall anerkannt wird, in dieser kurzen Zeit den Haushalt und
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8735
Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff
die Begleitgesetze so auf die Beine zu bringen. Wobei wir uns dafür bedanken, daß das Parlament unter Aufgabe von vielen Fristen, die es hätte in Anspruch nehmen können, mitgespielt hat. Das war schon rein zeitlich, physisch und arbeitsmäßig eine beachtliche Leistung. Sie sollten den persönlichen Anteil, den einige von uns und insbesondere der Bundesfinanzminister als Ihr Nachfolger daran haben, nicht öffentlich herabsetzen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, es sind immer zwei Gründe gewesen, die meine Freunde und mich veranlaßt haben und weiter veranlassen werden, so kompromißlos, wie wir es tun, für die marktwirtschaftliche Ordnung einzutreten.
Erstens. Marktwirtschaft ist die effizienteste Wirtschaftsordnung überhaupt. Sie hat ihre Überlegenheit immer wieder unter Beweis gestellt, und sie allein ist in der Lage, die ungeheure Koordinierungsaufgabe zu lösen, Millionen von Einzelentscheidungen aufeinander abzustimmen. Kein anderes Wirtschaftssystem kann das. Im übrigen war ja diese hohe Effizienz der marktwirtschaftlichen Ordnung auch immer der Grund dafür, daß der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt und Teile Ihrer Partei die Marktwirtschaft akzeptiert haben und sich auf ihren Boden gestellt haben.
Aber es kommt ein zweiter Punkt hinzu, den ich persönlich für noch wichtiger halte. Die marktwirtschaftliche Ordnung ist essentieller Bestandteil einer freiheitlichen Ordnung überhaupt. Sie ist für uns unabdingbarer Teil einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie ist auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik das Gegenstück zum freiheitlichen Rechtsstaat auf dem Gebiet der Staatspolitik.
Diese Wertekongruenz ist für Liberale entscheidend. Dafür haben Sozialdemokraten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, niemals eine Antenne gehabt, und sie haben niemals ihre Zustimmung zu dieser Auffassung gegeben.
Falsch ist die Behauptung, die ich immer wieder höre, die FDP, die Bundesregierung, ich selber vertrauten allein auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. So einfältig ist niemand von uns. Und es gibt auch kein solches Zitat.
Wir sehen sehr wohl eine Verantwortung der Wirtschaftspolitik. Aber wir vertrauen erst recht nicht auf die Heilungskräfte von Bürokraten oder planwirtschaftlichen Entscheidungen.
Wirtschaftspolitische Verantwortung wahrnehmen, das heißt in erster Linie, die Rahmenbedingungen für privates Wirtschaften zu gestalten. Wir setzen auf die freiheitliche Entscheidung der Verbraucher und der Unternehmen.
Nun ist aber in der heutigen Situation sicher die Frage notwendig, wohin denn der Weg geht. Und Ihr Weg, meine Damen und Herren von der Sozial-
demokratischen Partei, geht doch — oder tritt man Ihnen da zu nahe? — zunehmend einen mehr interventionistischen, einen mehr dirigistischen Weg.
Die Schublade sozialistischer Wirtschaftspolitik war über die Jahre verschlossen; nicht nur, weil der Koalitionspartner den Schlüssel in die Tasche gesteckt hatte — das will ich gar nicht als einzigen Grund angeben —, sondern auch, weil es in Ihren Reihen Kollegen wie die Herren Deist, Schiller, Claus-Dieter Arndt gegeben hat, von denen ich genau weiß, daß sie Marktwirtschaft nicht nur als Veranstaltung der Effizienz, sondern auch auch als Werteordnung gesehen haben.
Aber wenn ich im Bild von der Schublade und dem Schlüssel bleiben darf: Auf dem Münchener Parteitag haben Sie entweder uns den Schlüssel aus der Tasche geholt,
oder Sie haben die Schublade aufgebrochen. In der Tat kommen Sie mir vor wie jemand, dem man vor langem sein Spielzeug weggenommen hat, an das er plötzlich wieder herankommt und das nun in allen Variationen benutzt werden muß. Ein Vorschlag nach dem anderen wird herausgeholt.
Erst kam der Beschäftigungshaushalt und die Kieler Erklärung; die Steuerschraube soll weiter angezogen werden; der Staatsanteil soll noch weiter ausgedehnt werden; und Abstriche an dem aus den Fugen geratenen sozialen System werden schlichtweg als soziale Demontage, als Umverteilung von unten nach oben bezeichnet und denunziert.
Dann kam hier Ihr Antrag zur Einschränkung von Überstunden. Das ist natürlich zunächst eine ganz eingängige Darstellung: Wir haben zuwenig Arbeit; also dürfen keine Überstunden mehr gefahren werden; die dort beanspruchte Arbeitszeit soll Arbeitslosen zur Verfügung gestellt werden.
Das klingt zunächst einleuchtend und mag den einen oder anderen überzeugen. Nur, Sie alle wissen sehr genau, daß es solche Dispositionsmöglichkeiten in unseren Betrieben gar nicht gibt. Sie wissen sehr genau, daß damit die Flexibilität unserer Unternehmen und ihre Fähigkeit zur Reaktion auf Stoßarbeit, auf Reparaturaufträge herabgesetzt werden. Und Sie wissen ebenso, daß Sie ein unerhörtes Maß an zusätzlicher Bürokratisierung über die Unternehmen stülpen.
Das kann ja alles z. B. einem Unternehmen wie der Firma Siemens zugemutet werden. Das verfügt über die notwendigen Stabsabteilungen, über die notwendigen Mitarbeiter, über die notwendige Geschicklichkeit im Umgang mit den Behörden, deren
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Genehmigung eingeholt werden muß, wenn wir Ihren Vorschlägen folgen wollten.