Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 10. November, also vor fünf Wochen, haben wir hier in der ersten Lesung ausführlich über den neu gefaßten Bundeshaushalt und die neuen Begleitgesetze diskutiert. In dieser kurzen Zeit bis jetzt, bis zur heutigen zweiten und morgigen dritten Lesung hat sich für alle Mitglieder des Deutschen Bundestages, vor allem aber für die Mitglieder des Haushalts- und Finanzausschusses eine ungewöhnlich große Aufgabe gestellt, nämlich die Aufgabe, in so kurzer Zeit anspruchsvoll in der vollen Weite der Probleme zu verhandeln und zu beraten. Ich möchte — ich habe es gegenüber den Mitgliedern der beiden Ausschüsse schon getan — allen Kolleginnen und Kollegen des Bundestages sehr herzlich dafür danken, daß sie sich dieser Aufgabe gestellt haben und daß es möglich ist, nach der Beratung im federführenden Ausschuß und in den Fachausschüssen heute und morgen fristgerecht, d. h. vor Beginn des neuen Haushaltsjahres und vor der geplanten Auflösung des Bundestages, unserer Finanzwirtschaft für das kommende Jahr die erforderliche gesetzliche Grundlage zu geben.
Zur Debatte muß ich allerdings sagen, daß nach meinem Eindruck gestern und heute insbesondere in den Beiträgen der sozialdemokratischen Sprecher im wesentlichen dieselben Grundformeln, dieselben Grundmuster — auch der Polemik — erkennbar wurden wie schon in der ersten Lesung oder auch in der Diskussion nach der Regierungserklärung im Oktober.
Es war dasselbe Muster, es waren dieselben Klischees und, wenn ich Herrn Ehmke anspreche, dieselben Leute, die in der Qualität ihrer Aussagen nicht besser geworden sind.
Es gab wenig Variationen zum selben Thema.
— Seien Sie doch zurückhaltend. Ich verwende noch gar nicht Reizworte wie „brutal", die Herr Ehmke, wenn er uns kennzeichnet, sogar in seine Pressefassung hineinschreiben läßt. Meine Damen und Herren, Sie können aber ganz sicher sein, daß die Art und Weise, wie vor allem der Kollege Ehmke hier mit einer Fülle von Unterstellungen, Verdrehungen und Kränkungen gearbeitet hat, auch diesmal die Antwort bekommt, die in der Sache angemessen ist.
Ich werde Ihre Erwartungen in dieser Hinsicht nicht enttäuschen.
Die Tatsachen müssen, wie ich glaube, demgegenüber zunächst einmal in den Vordergrund gestellt werden. Wir haben seit 1980 unter den Bedingungen der Stagnation und der Rezession alle miteinander in den verschiedenen Funktionen — diese haben gewechselt — eine dramatische Verschlechterung der Haushaltssituation vor allem des Bundes, aber auch der Länder und Gemeinden erlebt. Bei steigender Arbeitslosigkeit sind insbesondere seit 1980 die Ausgaben des Bundes für öffentliche und private Investitionen — bei den öffentlichen Investitionen direkt, bei den privaten Investitionen in den Förderprogrammen — nicht nur relativ, sondern in wichtigen Bereichen auch absolut zurückgegangen.
Seit 1980 kann man sagen, daß der Einzelplan Bundesschuld, also im wesentlichen die Zinslasten, stärker als der gesamte Bundeshaushalt steigt. Ich beziehe mich hier — auch gegenüber einigen erstaunlichen und abwegigen Bemerkungen des Kollegen Matthöfer, mit denen ich mich noch auseinandersetzen möchte — auf die j a noch vorliegenden Zahlen und Eckwerte des letzten Haushaltsentwurfs der Regierung Schmidt, der im September von meinem Vorgänger, Herrn Lahnstein, noch hier im Hause begründet und als solide gekennzeichnet wurde.
In diesem letzten Haushaltsentwurf, Herr Kollege Matthöfer, den Sie noch als Kabinettsmitglied voll mitvertreten haben, ist es so, daß die Ausgaben des Bundes allein für Zinsen 1983 stärker als der gesamte Bundeshaushalt stiegen,
daß also mit Ausnahme der Zinsbelastungen der Gesamtbereich des übrigen Haushalts durch Schrumpfung und Rückgang bestimmt war — in derselben Zeit, in der wir in die schwerste Wirtschaftskrise und die höchste Arbeitslosigkeit der Nachkriegszeit hineinliefen.
— Ich bitte, mich jetzt im Zusammenhang sprechen zu lassen. Wir haben so viele Reden gehört, Herr Reuschenbach. Jetzt will auch ich mal im Zusammenhang vortragen. Das werden Sie mir freundlicherweise gestatten.
— Nein.
Vor dem Hintergrund dieses Dokuments muß ich den Herren Matthöfer und Ehmke und vielen anderen sagen: Was Sie hier an Kritik, an Unterstellungen, an Forderungen vortragen,
hat in Ihrer eigenen Finanzpolitik der ständigen
Vernachlässigung der Wirtschaft und des Arbeits-
8714 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Bundesminister Dr. Stoltenberg
marktes und der Zukunftsvorsorge überhaupt kein Fundament, weder intellektuell noch politisch noch in Zahlen.
Wer dieses Dokument noch einmal sieht, der muß sagen: Eine neue Politik der Umschichtung, der Sparsamkeit war überfällig, und zwar einer Umschichtung zugunsten der Stärkung der Wirtschaft, zugunsten der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zugunsten der von Ihnen und Ihren Vorgängern, Herr Matthöfer, sträflich vernachlässigten Zukunftssicherung.
Einzelne interessante Bemerkungen über frühere Auseinandersetzungen über ein Elektronikprogramm und ähnliche Dinge, über die man ja reden kann — ich bin an diesen Kontroversen nicht beteiligt gewesen —, können doch überhaupt nicht den fundamentalen Sachverhalt verwischen, daß sozialdemokratisch geführte Regierungen seit 1970 ständig den Konsum, die laufenden Subventionen, eine neue Leistungsgesetzgebung auf Kosten der Zukunftssicherung und damit der Arbeitsplätze und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit betrieben haben. Das ist Ihre Politik gewesen.
Das muß man auch dem Herrn Kollegen Ehmke hier ins Stammbuch schreiben: viel Kritik, viel Polemik und noch mehr Entstellung und Verfälschung. Ich möchte zum Schluß meiner Ausführungen, weil die Rede von Herrn Ehmke offenbar ein bißchen das Drehbuch für die Bundestagswahl darstellen sollte, mir erlauben, etwas vertiefte Textkritik im Hinblick auf Herrn Ehmke zu betreiben.
Der Vergleich der Zahlen und Tatsachen macht deutlich: Gegenüber dem Entwurf der Regierung Schmidt vom September, hier beraten, mußten wir nach dem Regierungswechsel auf Grund realistischerer neuerer Prognosen für das Jahr 1983 davon ausgehen, daß wir rund 10 Milliarden DM weniger Steuern einnehmen werden, als Sie geplant haben.
— Sie müssen das nur in der richtigen Reihenfolge nehmen, Herr Reuschenbach. Wir kommen Punkt für Punkt auch zu den Schulden. Aber zunächst einmal kommen in einem geordneten Denken — aber Ihres ist eben nicht geordnet — die Einnahmen und Ausgaben, und dann kommen die Schulden.
Wir alle miteinander — denn wir alle stehen ja in der Mitverantwortung — werden im nächsten Jahr rund 10 Milliarden DM weniger Steuern einnehmen, als Sie noch im Sommer und Herbst vermutet hatten. Das ist eine drastische Verschlechterung. Dieser Wert wird von Ihnen heute in der Prognose auch nicht grundsätzlich bestritten. Die sachkundigen Kollegen der SPD — ich meine die, die im Haushaltsausschuß die Arbeit getragen haben; das
sind andere als die, die hier die großen Reden für Sie halten;
auch das kann man merken — haben ja in ihrer Pressekonferenz auf einzelne Risiken hingewiesen, die es auch in der neuen Prognose gibt. Da gibt es Unterschiede in der Bewertung in Nuancen. Wir halten diese Prognose aber im wesentlichen für realistisch. Wir haben auf Grund der erschreckend steigenden Arbeitslosigkeit nach bisherigem Recht Grund, 8 Milliarden DM mehr allein für die soziale Sicherung der Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen. Dennoch haben wir gegenüber dem Entwurf der Regierung Schmidt eine halbe Milliarde Mark mehr für die Investitionsförderung allein für die großen Gemeinschaftsaufgaben eingesetzt.
Herr Matthöfer, es hat mich schon sehr überrascht, daß Sie hier so dahinsagen, vom Hochschulbau — das haben Sie damit ja gemeint — gingen keine Wachstumsimpulse aus. Ich will Ihnen zwei Dinge dazu sagen. In Ihrer Zeit als Finanzminister nach 1980 hat der Bund die nach dem Hochschulbauförderungsgesetz gemeinsam beschlossenen Vorhaben, die mit den Ländern abgestimmt waren, finanziell nicht mehr bedient. Ihre sozialdemokratischen Kollegen aus Nordrhein-Westfalen — nicht Herr Posser, der nachher reden wird, aber Innenminister Schnoor — haben in diesem Zusammenhang von einem „verfassungspolitischen Skandal" gesprochen, was Ihr Verhalten gegenüber den Bundesländern anbetrifft.