Rede von
Dr.
Horst-Ludwig
Riemer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt zeigt sehr viel Kontinuität, und das entspricht auch der Zusammenarbeit der Fraktionen im Verkehrsausschuß, die nicht so kontrovers ist, wie das hier erscheint, wenn die Haushaltsexperten über Verkehrspolitik sprechen.
Herr Hoffmann, wir sollten auch nicht allzuviel von einem Bundesverkehrsminister verlangen, der erst acht Wochen im Amt ist, auch wenn er ein alter Hase ist, was das Führen eines Ministeriums betrifft. Selbst wenn er eine grundlegend neue Konzeption hätte, hat er gut daran getan, so möchte ich es einmal überspitzt formulieren, sie zunächst zurückzuhalten; denn in diesen paar Wochen Amtszeit kann man damit eigentlich nur Verwirrung stiften. Auch wenn man in der Politik die Richtung ändern will, darf man nicht mit zu hoher Geschwindigkeit in die Kurve gehen.
Was der Verkehrsminister tun konnte, hat er getan, nämlich dafür zu sorgen, daß bei den verschiedenen Projekten nichts aus der Fahrbahn gerät oder in unwiderruflich falsche Richtung fährt.
Der Herr Bundesverkehrsminister hat eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die wir inzwischen kennengelernt haben. In einigen Punkten sind wir an-
derer Meinung. Wir haben das auch immer wieder gesagt. Es gibt ja für den Bereich des Verkehrs keine Koalitionsvereinbarungen. Wir sind gezwungen, uns in jedem Punkte zu einigen. Das muß kein Nachteil sein, hat sogar vielleicht Vorteile. Ich bin sicher, daß wir uns in den Fragen, in denen wir jetzt noch unterschiedlicher Meinung sind, einigen können. Denn wenn man einmal genauer nachdenkt, stellt man fest, daß wir in den Grundpositionen nicht verschiedener Auffassung sind bzw. daß sie miteinander vereinbar sind. Es gibt auch keinen Streit über das Ziel. Eigentlich geht es nur um den Weg oder die Methode.
Haushaltsberatung beim Einzelplan Verkehr — meine Damen und Herren, das bedeutet, Verkehrspolitik unter dem Gesichtspunkt des Geldes zu beurteilen. Nicht alles in der Verkehrspolitik kostet Geld, aber vieles — und dann aber auch sehr viel. Damit ist meiner Meinung nach das Problem auch schon gekennzeichnet.
Die Debatte hat ja gezeigt, daß dies keine Haushaltsberatung wie jede andere ist. Wir haben wirtschafts- und finanzpolitisch schwierigste Zeiten: Auf der einen Seite müssen wir bis zum äußersten sparen, auf der anderen sind Investitionsanreize und -anstöße dringend notwendig — auch vom Staat.
Dieses Dilemma wird, wie ich meine, in keinem anderen Einzelplan so deutlich wie beim Verkehrshaushalt, erstens weil er der größte Investitionshaushalt des Bundeshaushalts ist und zweitens weil der Staat in diesem Wirtschaftssektor praktisch der einzige Auftraggeber ist und somit nicht nur indirekt über Rahmenbedingungen, sondern direkt über Auftragsvergabe darüber entscheidet, wie die Unternehmen ausgelastet sind und wie sich die Beschäftigungslage entwickelt.
Wenn die Arbeitslosigkeit das Problem Nummer 1 ist, müssen dann nicht — diese Frage muß man sich stellen — die Investitionsmittel gerade im Verkehrshaushalt wesentlich aufgestockt werden? Nun, es gibt keinen Zweifel, daß mit einer gewissen Erhöhung der Investitionsmittel der Verkehrshaushalt einen noch größeren Beitrag zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage und des Arbeitsmarktes leisten könnte, aber auch nur begrenzt; auch das muß man hinzufügen. Jedenfalls liegt hier nicht die Lösung aller Probleme unserer schlechten und schwierigen Wirtschaftslage.
Voraussetzung für solche zusätzlichen Verkehrsinvestitionen ist nach unserer Auffassung aber, daß diese Investitionen nicht nur verkehrspolitisch sinnvoll, sondern auch dringend notwendig sind. Wir sind dem Verkehrsminister deswegen dankbar, daß er Pressemeldungen richtiggestellt hat, nach denen er angeblich ein Erweiterungs- und Beschleunigungsprogramm für den Autobahnbau auflegen wollte.
Für uns — das muß ich hier eindeutig feststellen — gilt der Fünfjahrplan, wie wir ihn beschlossen haben, und der Bedarfsplan. Selbstverständlich müssen Mittel, die an der einen Stelle nicht verbaut
8812 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Dr. Riemer
werden können, an anderer Stelle eingesetzt werden. Wir wollen sie nicht verfallen lassen oder zurückgeben. Dafür sind die Investitionen zu wichtig. Aber wir sind gegen den vorgezogenen Bau von zweit- oder drittrangig dringlichen Autobahnen,
dies insbesondere auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit. Wir haben immer wieder festgestellt, daß wir vielleicht nach einigen Jahren doch andere Daten, neue Situationen haben und die eine oder andere geplante Autobahn nicht brauchen. Für Erweiterungs- und Beschleunigungsprogramme für den Autobahnbau gibt es von uns keine Zustimmung, meine Damen und Herren.
Was das Verhältnis von Straßenbau zum öffentlichen Personennahverkehr betrifft, sehen wir beide Bereiche gleichrangig an, d. h. vom Grundsatz her gleichrangig. Konkret bedeutet dies selbstverständlich Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr in den Ballungsgebieten; in den ländlichen Bereichen und in der Fläche haben selbstverständlich der Individualverkehr und der Straßenbau Vorrang. So ergänzen sich vernünftigerweise diese beiden Verkehrsbereiche.
Wenn wir als Voraussetzung für Verkehrsinvestitionen eine dringende Notwendigkeit verlangen, dann macht uns der Weiterbau des Rhein-Main-Donau-Kanals natürlich Sorgen. Wir haben nach wie vor aus verkehrspolitischen, aus verkehrswirtschaftlichen und aus Gründen des Umweltschutzes Bedenken. Wir bedauern, daß es zu keiner Einigung über eine sinnvolle Beendigung des Baus gekommen ist. Wir respektieren aber die Rechtslage und die Rechtsposition Bayerns. Es wird jedoch, falls neue Baumaßnahmen begonnen werden, darüber zu reden sein, welche zusätzlichen Umweltschutzmaßnahmen erforderlich sind.
Vor allem aber muß zunächst sichergestellt werden, daß der Kanal eine nationale und keine internationale Wasserstraße wird. Sonst sehen wir für die deutsche Binnenschiffahrt und für die deutschen Seehäfen Gefahren.
Weiter müssen Verkehrsinvestitionen, insbesondere wenn dafür zusätzliche Mittel aufgewendet werden, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Hinblick auf die Prioritäten in anderen Politikbereichen entsprechen. Grob gesprochen, meine Damen und Herren: Wir können nicht das Kindergeld noch mehr kürzen, um mehr Straßen zu bauen.
So direkt Investitionsmittel auch wirken, wir müssen auf der anderen Seite in Rechnung stellen, daß der Tiefbau, um den es sich hier im wesentlichen handelt, verhältnismäßig wenig arbeitsintensiv ist und jede Investition zu 100% vom Staat bezahlt werden muß. Die Forderung, die für die private Wirtschaft vorgesehenen staatlichen Investitionsanreize zu kürzen oder zu streichen, um damit staatliche Investitionen zu finanzieren, ist meiner
Meinung nach arbeitsmarktpolitisch abwegig, weil das hier angestoßene private Investitionsvolumen über staatliche Investitionen nur zu einem Bruchteil erreicht werden kann, ganz abgesehen davon, daß die Streuwirkung, die für eine allgemeine Wirtschaftsbelebung wichtig ist, in anderen Bereichen, wie z. B. beim Hochbau, wesentlich größer ist.
Die letzte Sperre für eine gewaltige Aufstockung der Investitionsmittel ergibt sich natürlich daraus, daß jede weitere Erhöhung durch zusätzliche Kreditaufnahme finanziert werden müßte. Diese wiederum würde über die Zinspolitik das allgemeine Investitionsklima verschlechtern.
Meine Damen und Herren, alles in allem ist es schon eine erhebliche politische Leistung, den Verkehrshaushalt in diesem Umfang erhalten zu haben.
Wenn man in Betracht zieht, welch hochrangige politische Prioritäten in anderen Bereichen zurückgesetzt wurden, ohne Rücksicht auf Popularität und Wählerstimmen, ist in diesem Konzept des Haushalts ein hohes Maß an Einsicht und Ausgewogenheit erkennbar.
Was manche befürchtet haben und was in der Vergangenheit hin und wieder praktiziert wurde, ist nicht eingetreten, nämlich daß der Verkehrshaushalt als Sparkasse der Nation betrachtet würde, bei der in schlechten Zeiten abgehoben wird.
Sobald sich jedoch die Finanzlage auch nur etwas entspannt — lassen Sie mich auch das hier klar sagen —, werden wir Forderungen stellen müssen. Dies gilt insbesondere für Investitionen bei der Deutschen Bundesbahn.
Diese Forderungen ergeben sich nicht aus einem ressortpolitischen Egoismus, sondern daraus, daß eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur eine ganz wichtige Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum ist. Meine Damen und Herren, wir können die Verkehrsinvestitionen nur kurzfristig auf der allgemeinen Sparflamme halten; sonst wird gerade deswegen selbst diese Sparflamme noch ins Flackern geraten.