Rede von
Harald B.
Schäfer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch die heutige Debatte war bislang im wesentlichen von dem bestimmt, was in den Koalitionsvereinbarungen zwischen CDU/CSU und FDP zur Innenpolitik vereinbart worden ist: das Wesentliche ausklammern, die wahren Absichten verschleiern, sich in Unverbindlichkeiten flüchten, den Wähler bis zum 6. März im Unklaren lassen. Dies ist der Kern der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und FDP in der Innenpolitik.
Herr Minister, in erfreulicher Offenheit haben Sie dies am 2. November 1982 in einem „Report-Interview" im Deutschen Fernsehen — dafür danken wir Ihnen — bestätigt. Ich zitiere daraus:
Es gibt eine Koalitionsvereinbarung, es gibt eine Regierungserklärung. Nach der habe ich mich zu richten. Aus diesem Grunde habe ich bis jetzt sorgsam vermieden, abrupte Wechsel anzudeuten oder gar einzuleiten. Das ist für die vor uns liegende Zeit nicht meine Aufgabe und nicht vereinbart.
Mit anderen Worten: Bis zum 6. März sollte für die Herren Zimmermann und Spranger, und damit für die Innenpolitik dieser Regierung, die „Kreidezeit" gelten. Man hat — wie aus dem Märchen übernommen — Kreide gefressen. Man will bis zum 6. März nicht anecken. Mit den Worten des Innenministers: Bis dahin vermeiden, abrupte Wechsel anzudeuten oder gar einzuleiten, dann aber zupacken.
Bleiben wir für einen Moment beim Märchen! Der Wolf beibt Wolf, auch wenn er Kreide frißt. Zimmermann und sein Helfer Spranger bleiben Zimmermann und Spranger.
Sie stehen mit ihren Personen und ihrer Politik für die Wende in der Innenpolitik, für die Wende zum rechtskonservativen Ordnungsstaat. Sie nehmen zumindest in Kauf, falls sie es nicht ganz bewußt wollen, daß das Sozialstaatsgebot und die Liberalität dabei unter die Räder kommen.
Bundeskanzler Helmut Kohl hat in seiner Regierungserklärung sein Staatsverständnis erklärt: Ziel seiner Politik sei es, den Staat „auf seine ursprünglichen und wirklichen Aufgaben zurückzuführen". Das bedeutet für die Rechtskoalition, wie auf eine parlamentarische Anfrage am 24. November 1982 erklärt wird, der Staat solle sich vor allem „auf seine Ordnungs- und Sicherheitsfunktion" konzentrieren.
— Sie stimmen dem zu. Die Politik der neuen Bundesregierung orientiert sich an diesem Staatsverständnis.
Wir Sozialdemokraten setzen gegen diese konservative Staatsidee den sozialen und liberalen Rechtsstaat. Die Freiheit des einzelnen muß nach unserer Auffassung immer die Freiheit des sozial Schwachen sein. Ohne soziale Sicherheit ist persönliche Freiheit nicht möglich. Wer den Sozialstaat zurückschraubt, schränkt die Freiheit der vielen zugunsten der Freiheit der wenigen ein. Dieser Grundsatz bleibt Richtschnur unserer Innenpolitik.
Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner haben wir Sozialdemokraten in unserer Regierungs-
8790 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982
Schäfer
verantwortung den liberalen Rechtsstaat ausgebaut.
Wir haben mit dem Datenschutzgesetz gesetzliche Grundlagen zum Schutz der personenbezogenen Daten geschaffen. Wir haben auf dem Gebiete des Umweltschutzes in vielen Bereichen Verbesserungen der Umweltsituation erreicht. Wir haben schließlich — gemeinsam mit unserem früheren Koalitionspartner — Kriminalität und Terrorismus erfolgreich bekämpft. Wir haben dabei unter Beweis gestellt, daß unser demokratischer Rechtsstaat auch den schwierigsten terroristischen Herausforderungen effektiv mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnen kann.
Die Politik der neuen Regierung, Herr Minister, gefährdet die innere Liberalität. Wir wollen dies an einigen wenigen Politikfeldern aus dem Bereich der Innenpolitik unter Beweis stellen.
Beispiel 1: Datenschutz. Nach außen hält sich die neue Regierung bedeckt. Da wird in der Presse spekuliert, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz sollte — ausgerechnet — durch den Leiter der Polizeiabteilung im Bundesinnenministerium abgelöst werden. Aus dem Hause Zimmermann kommt nichts als eine vage Mitteilung, es sei noch nichts entschieden, man werde sich zu gegebener Zeit entscheiden. Da reden die Parlamentarischen Staatssekretäre in allgemeinen Wendungen davon, der Datenschutz dürfte keinen absoluten Vorrang beanspruchen —
was niemand will — und dementieren nicht, wenn dies in der Öffentlichkeit als Wende im Datenschutz verstanden wird.
Das Bundesamt für den Verfassungsschutz versuchte in den letzten Tagen, die Kontrollbefugnisse des Datenschutzbeauftragten einzuschränken. Ihr Ministerium, Herr Minister, verschanzt sich zunächst hinter den Ländern und kündigt eine langwierige Untersuchung an. Erst als auf unsere Fragen im Innenausschuß, unterstützt vom Kollegen Hirsch von der FDP, deutlich wird, daß der Vorstoß keineswegs von den Ländern ausgeht, lenkt man halbwegs ein,
nach dem Motto: nur keine Aufregung im Sicherheitsbereich vor dem 6. März.
Wir haben im Innenausschuß viele Stunden lang über die Beanstandungen des Datenbeauftragten gegenüber den Sicherheitsbehörden gesprochen. Wir haben sie Punkt für Punkt diskutiert und haben festgestellt, daß die tatsächlichen Feststellungen zutrafen.
Die Vertreter der alten Bundesregierung haben dies auch vollständig eingeräumt.
Über einige wenige Rechtsfragen gab es unterschiedliche Meinungen zwischen Datenschutzbeauftragtem und Regierung.
Statt zu bemerken, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, daß gerade eine strenge Kontrolle einer unabhängigen Instanz das Vertrauen der Bürger in die korrekte polizeiliche Arbeit stärkt, statt zu betonen, daß auch und gerade die geheimen Dienste in einer Demokratie unbestechlich kontrolliert werden müssen, versuchen Sie, dem Kontrolleur am Zeug zu flicken.
Ein Wort des Dankes für die Arbeit des Datenschutzbeauftragten lehnen Sie ab.
Die CDU/CSU hat im baden-württembergischen Landtag mit ihrer Mehrheit
ein hastig durchgepeitschtes Änderungsgesetz zum Datenschutz durchgesetzt.
Die Landesdatenschutzbeauftragte, die couragierte und unbequeme Frau Leuze, wird in ihren Kontrollkompetenzen eingeschränkt. Der Bürger hat damit einen Vorgeschmack auf das, was uns nach dem 6. März erwartet.
Herr Minister, wir erwarten von Ihnen heute, was den Datenschutzbeauftragten angeht, eine Klarstellung. In der Öffentlichkeit wird diskutiert, daß Sie beabsichtigen, den Personalreferenten des Deutschen Bundestages, Zentralverwaltung ZV 1,
der vorher im Petitionsausschuß gearbeitet hat, zum neuen Datenschutzbeauftragten zu ernennen.
Der berufliche Werdegang dieses Beamten, an dessen Qualifikation wir nicht zweifeln, weist keine
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8791
Schäfer
Nähe zum Datenschutz auf. Herr Bundesminister des Innern, das Parlament und die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, Klarheit über Ihre Entscheidung zur Position der Ernennung des Datenschutzbeauftragten zu erfahren.
Sie können sicher sein, daß wir und die Öffentlichkeit sorgsam darauf achten werden, ob Sie einen Datenschutzbeauftragten ernennen, der von seiner beruflichen Qualifikation her die Gewähr bietet,
daß diese wichtige Kontrolle auch tatsächlich ausgeübt werden kann. Wir wollen Ihnen für diese Entscheidung mitgeben, was Ihr Spitzenbeamter Ordemann im Kommentar zum Datenschutzgesetz festgehalten hat:
Nach Ablauf von fünf Jahren läßt sich übersehen, ob er
— nämlich der Datenschutzbeauftragte —
seiner Aufgabe gewachsen ist und eine erneute Bestellung in Betracht kommt.
An der Qualifikation des Bundesdatenschutzbeauftragten, fügen wir hinzu, kann es keinen Zweifel geben.
Im Kommentar heißt es dann weiter, Herr Bundesinnenminister:
Die Bundesregierung wird bei dieser Entscheidung nicht völlig frei sein. Sie kann einem Bundesbeauftragten, der sein Amt gewissenhaft im Interesse des Bürgers ausgeübt hat und der durch begründete Kritik Mißstände der Bundesverwaltung aufgedeckt hat, kurz: einem unbequemen Kontrolleur, nach fünf Jahren nicht die Wiederbestellung verweigern, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, sich eines Kritikers entledigen zu wollen.
Herr Bundesminister, wir fordern Sie auf, diese Feststellung Ihres Spitzenbeamten im Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz bei der Ernennung eines neuen oder des alten Datenschutzbeauftragten zu berücksichtigen.
Ich habe leider nur noch zwei Minuten Zeit. Ich will stichwortartig drei weitere Beispiele nennen,
die für uns deutlich machen, wie Sie die innere Liberalität gefährden: Da führt die baden-württembergische Landesregierung Gebühren ein, um Demonstranten abzuschrecken.
Natürlich spendet der „Bayernkurier" dafür Beifall. Die neue Regierung schweigt zu dieser Maßnahme.
Schweigen, meine Damen und Herren, bedeutet in einem solchen Fall Zustimmung. — Wir lehnen diesen Anschlag auf das grundgesetzlich geschützte Demonstrationsrecht ab.
Wir wissen uns hier mit dem Landesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg, Ihrem Parteifreund Heinrich Meyer, Herr Kollege Miltner, einig, der diese Aushöhlung des Demonstrationsrechts aus verfassungsrechtlichen und Praktikabilitätsgründen ablehnt.
— Meine Damen und Herren, ich werde gefragt, wann ich zum Haushalt käme. Herr Kollege Miltner,
der Haushalt des Innenministers ist das Buch, das die Politik des Bundesinnenministers, die Politik der Bundesregierung in diesem Bereich deutlich macht. Wir Sozialdemokraten haben kein Vertrauen zu diesem Bundesinnenminister.
Wir haben kein Vertrauen zu Ihrer Politik. Wir sehen, daß Sie mit Ihrer Politik, zwar verdeckt, aber dort, wo es erkennbar wird, klar, die innere Liberalität unseres Staates zurückschrauben wollen.
Wir Sozialdemokraten setzen gegen Ihre konservative Ordnungsidee des Staates den sozialen, liberalen Rechtsstaat.
Wir lehnen Ihre Politik und damit Ihren Haushalt, Herr Bundesinnenminister, ab.