Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion darf ich dem Kollegen Esters, dem Vorsitzenden unseres Haushaltsausschusses, auch von dieser Stelle herzliche Glückwünsche aussprechen und gleichzeitig recht herzlich für seine faire und stets der Sache dienende Wahrnehmung der Vorsteherfunktion danken.
Ohne diese Arbeit wären wir, glaube ich, nicht so weit und nicht so problemlos über die Runden gekommen.
Wir reden hier über den Nachtragshaushalt 1982, sprich: über ein Stück Geschichte. Herr Kollege Wieczorek, ich schätze Sie als sachlichen und fairen Kollegen, aber ich bin etwas verwundert, daß Sie diesen Teil der Geschichte nicht akzeptieren wollen, der j a unser gemeinsames Erbe ist, und daß Sie sagen, Sie stimmen dem nicht zu. Es bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen, weil wir das, was jetzt im zweiten Nachtragshaushalt auf uns zukommt, als FDP/SPD-Regierung beschlossen haben und daher gemeinsam verantworten müssen.
Eine Bemerkung zu einem anderen Thema. Sie sagten soeben, daß man bei der Kohleforschung und der Stahlforschung nicht kürzen dürfe. Ich nehme an, Sie haben bei Ihrem Vortrag zu wenig Zeit gehabt, sonst hätten Sie darauf eingehen müssen, daß zur Erwirtschaftung der globalen Minderausgabe der alte Forschungsminister nicht etwa bei Mikroelektronik gekürzt hat — da hat er zugelegt —, sondern gerade bei den Punkten, wo Sie es
jetzt beklagen. Da muß man also bei der Wahrheit bleiben.
Das ist nicht etwas, was man der neuen Regierung anlasten kann.
Ich schließe eine recht persönliche Bemerkung an. Als wir nach den sehr intensiven Verhandlungen und Beratungen über den Haushalt 1982, die ja in ihrer Sprengwirkung und in der Intensität der Arbeit für uns Haushälter so schwierig waren wie die Beratungen über den jetzigen Haushalt 1983, im 25. Stock im Haushaltsausschußsekretariat zusammensaßen, gab der Kollege Claus Grobecker ein kleines Beispiel seiner Schauspielkunst. Er stellt dar, wie eigentlich der wirkliche Haushälter nach solch einer Marathonaufgabe auszusehen hat, nämlich wie ein Buchhalter, der 50 Jahre hintereinander immer Zahlen addieren und subtrahieren mußte und der dann eigentlich nur noch depperte Reflexbewegungen macht.
Und so eilte Grobecker mit schiefer Kinnlade an der Wand vorbei und sagte: Gott sei Dank, der Haushalt ist beraten, aber keine Zahl stimmt.
Keine Zahl stimmt! Dieser Scherz — das müssen wir heute merken, und das verstehen eigentlich nur die Haushälter — ist leider wahr geworden. Er ist viel schneller wahr geworden, als wir uns das haben träumen lassen.
Wir stehen heute vor der Tatsache, daß wir zum zweitenmal einen Haushalt, von dem man normalerweise annimmt, daß er endgültig feststeht und daß er für die Zukunft die Probleme richtig beschreibt und so gefahren werden kann, ergänzen müssen. Wir müssen den Ansatz für 1982 zum zweitenmal korrigieren. Wir ahnten zwar damals, daß wir in irgendeiner Form nachbessern müßten, schon allein deswegen, weil sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht nach oben bewegte, sondern nach unten. Wir hofften aber eigentlich bis zuletzt, daß es nicht so dramatisch zugehen würde, wie es dann eingetreten ist. Wir hatten eigentlich stets gehofft, daß die Zahlenansätze, wie sie geschätzt waren und wie man sie einbringen mußte, korrekt waren. Darin wurden wir jedoch, je länger das Haushaltsjahr lief, getäuscht. Die Verschlechterung trat Mitte des Jahres ein und bedingte den ersten Nachtragshaushalt; jetzt haben wir den zweiten Nachtragshaushalt.
Man kann diese Entwicklung am besten an einer Zahl deutlich machen. Wir begannen im Herbst 81 mit einer Nettoneuverschuldung von 27 Milliarden DM, und wir landen jetzt Ende 82 bei einer Nettoneuverschuldung von über 40 Milliarden DM. Dies ist traurig. Man muß dieses aber erläutern. Man darf das einfach nicht so stehenlassen. Man muß versuchen, aus solchen Erfahrungen zu lernen.
Wir müssen mit diesem Nachtragshaushalt zum zweitenmal die positiven Ansätze einer Regierung an die negative, an die schlechtere reale Entwicklung anpassen. Die Wirtschaftsentwicklung ist, seit-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8693
Dr. Zumpfort
dem wir den ersten Nachtragshaushalt verabschiedet haben, weiterhin rückläufig, so daß wir als Ergebnis im Bereich der Steuern Einnahmeausfälle von über 4,5 Milliarden DM beklagen und bei der Bundesanstalt für Arbeit zusätzliche Ausgaben in einer Größenordnung von 250 Millionen DM finanzieren müssen. Außerdem müssen wir realisieren, daß eine Ausgleichszahlung der Länder, die sogenannte Kindergeldmilliarde, nicht mehr gezahlt wird und daß dadurch ein zusätzliches Loch von 1 Milliarde DM entsteht. Neben diesen allgemein wirtschaftlich bedingten Mehrbelastungen sind Mehrausgaben, die jetzt finanziert werden müssen, in zwei weiteren Fällen unabdingbar, nämlich eine Sonderhilfe für den Eschweiler Bergwerksverein in Höhe von 40 Millionen DM sowie zusätzliche Mittel in Höhe von 600 Millionen DM für die beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien.
Hier kann ich noch einmal aufgreifen, Kollege Wieczorek, was ich einleitend gesagt habe: Diesen Mehrausgaben dürfen Sie sich eigentlich nicht verschließen, wir müssen sie finanzieren. Sie müssen diesem Nachtragshaushalt zutimmen, wie wir das heute als FDP-Fraktion auch tun. Ich möchte auch nicht nachtragend sein, — um mit dem Wort „Nachtrag" zu spielen — gegenüber der alten Regierung, ich möchte nur eigene Worte nachtragen. Es zeigt sich nämlich, daß in diesem Nachtragshaushalt praktisch alle Grundprobleme des Haushalts stekken, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten und mit denen wir es auch in Zukunft noch zu tun haben werden, daß nämlich erstens jede Regierung — die neue wie die alte — mit konjunkturellen Unwägbarkeiten rechnen muß. Um das in einer Zahl deutlich zu machen: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung sich so verändert, daß die Wachstumsraten um 1 % sinken oder steigen, bedeutet dies allein für die Bundeskasse Minder- oder Mehreinnahmen von 4 Milliarden DM und mindestens 150- bis 200 000 Arbeitslose mehr oder weniger. In den letzten Jahren ging die Entwicklung immer nur in den Keller, man mußte die Erwartungen mit negativen Folgen für den Etat immer nach unten korrigieren.
Zum zweiten haben wir es in der Wirtschaft — das hat wiederum Auswirkungen auf den Haushalt — mit strukturellen Problemen zu tun. Strukturen wie Stahl, Bergbau, Schiffbau sind nicht in der Lage, aus eigenen Kräften zu leben. Es gibt in diesen Branchen einen Subventionswettlauf im internationalen Maßstab, aber auch eigene Subventionierung. Wir müssen entweder nachfinanzieren oder, wie z. B. beim Eschweiler Bergwerksverein, Sterbehilfe geben. Hier erhebt sich für uns die Frage, wie wir durch die Gestaltung des Haushalts zukünftig nicht mehr dafür sorgen, daß die konjunkturelle Entwicklung wieder nach oben geht, sondern auch dafür, daß nicht zusätzliche strukturelle Probleme unserer Wirtschaft dadurch entstehen, daß wir zuviel subventionieren. Wir müssen eben weniger subventionieren.
Ein dritter Punkt zeigt sich an der Kindergeldmilliarde. Es ist das eigentliche strukturelle Problem im Haushalt selber: Wir haben, gemessen an
den zukünftigen Einnahmen im Bundeshaushalt, zu großzügig Sozialpolitik betrieben. Dies berührt — das merken wir jetzt — nicht nur den Bürger, sondern auch das Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Die Länder wollen die Kindergeldmilliarde nicht mehr zahlen. Wenn das Wort, daß wir Sozialpolitik auf Pump machen, irgendwo stimmt, dann hier. Wir müssen nämlich die bisher von anderer Stelle gekommene Milliarde, die jetzt fehlt, auf Kredit finanzieren, und dies passiert in zu vielen anderen Bereichen des Haushaltes auch. Das darf nicht sein, denn irgendwann müssen wir die Gelder zurückzahlen, und irgendwann müssen wir zu der Erkenntnis kommen, daß man Sozialpolitik eben nicht auf Pump machen kann. Sie muß durch Einnahmen finanziert werden, und wenn die Einnahmen nicht da sind, muß man alles aneinander anpassen. Um nicht mehr und nicht weniger geht es!
Ein viertes Grundproblem steckt in diesem Nachtragshaushalt, und das ist ein für uns Haushälter, aber auch für das gesamte Parlament und für die Regierung sehr schlimmes: Wir selber haben dort Fehler eingebaut, bzw. sie sind von der Regierung eingebaut worden. Ich denke an die großen Projekte wie Schneller Brüter oder Hochtemperaturreaktor — es gibt noch viele andere mehr, etwa den Rhein-Main-Donau-Kanal —, die ja allesamt vor dem Hintergrund geplant worden sind, daß man sie auch finanzieren könnte.
Jetzt stellen wir fest, daß es da verschiedene Ausgaben-Pipelines gibt, daß wir aber nur eine Einnahmen-Pipeline haben; wir haben nicht die Einnahmen, um alles zugleich zu verwirklichen.
Die Kosten laufen uns — das sehen wir — in diesen Bereichen davon, und es wird die Aufgabe der neuen Regierung nach dem 6. März 1983 sein, die verschiedenen Aufgaben auf ihre Finanzierung hin zu überprüfen und dann auch Entscheidungen in der Frage zu treffen, was gemacht werden kann und was nicht gemacht werden kann.
Aber — und das ist das fünfte Grundproblem — wenn und solange man beschlossen hat, so etwas zu finanzieren, muß man es auch real im Haushalt ausweisen. Wir müssen gerade im zweiten Nachtragshaushalt bezüglich des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors feststellen, daß wir etwas nachfinanzieren müssen, was vorher als Aufgabe im Haushalt nicht richtig ausgewiesen war. Die Prinzipien der Haushaltsklarheit und der Haushaltswahrheit waren hier verletzt; dazu habe ich an anderer Stelle schon einmal gesprochen. Auch dies ist gerade in diesem kleinen Nachtragshaushalt deutlich geworden.
Meine persönliche Schlußfolgerung war, als man dies alles Mitte des Jahres erkannte, die, den Ergebnissen der damaligen Koalitionsvereinbarungen zum Haushalt 1983 nicht zuzustimmen, weil erkennbar war, daß man all diese Grundprobleme nicht etwa gelöst hatte, sondern daß sie weiter be-
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standen. Vor diesem Hintergrund sind ja eigentlich auch die Probleme der alten Koalition zu erklären gewesen.
Welche Schlußfolgerungen muß man daraus nun ziehen? Erstens. Ich glaube, wir alle haben uns etwas vorgemacht, wenn wir davon ausgegangen sind, daß es vernünftig ist, optimistische Obergrenzen in einen Haushalt einzusetzen. So fing man mit 27 Milliarden Nettoneuverschuldung an und landete schließlich bei 40 Milliarden. Das, was die jetzige Regierung tut, indem sie sofort mit pessimistischen Untergrenzen arbeitet, ist das Vernünftige. Zwar bedeutet das, daß man sehr viel Mut aufbringen muß, die volle Wahrheit jetzt schon festzustellen; nur bewirkt es auch, daß man von vornherein härter an das unausweichliche Sparen und dort, wo man nicht mehr sparen kann, an das unausweichliche Nachfinanzieren herangeht.
Zweitens. Wenn man sofort die realistischeren Zahlen eingesetzt hätte, wäre der Druck zum Handeln auch in der alten Koalition größer gewesen. Das ist das Problem, das wir als Haushälter immer gesehen haben, der Punkt, an dem wir gedrägt haben: Bitte, tut doch mehr! Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich hier vom Rednerpult des Deutschen Bundestages gefragt habe: Wie hoch muß das Defizit in einem Haushalt noch werden — ich habe nicht von den Arbeitslosen gesprochen, obwohl das viel pragmatischer gewesen wäre —, bis auch der letzte Abgeordnete merkt, daß wir beim Haushalt mehr tun müssen, daß wir mehr sparen müssen?
Das haben wir unseren Kollegen nicht in ausreichendem Maße deutlich gemacht, und das ist einer der Fehler, die wir uns auch selber zuschreiben müssen.
Einige von uns haben das gesehen; wir Haushälter z. B. Wir haben gedrängt, und es gab ja auch einen Finanzminister, Herrn Matthöfer, der das klar beschrieben hat. Ich denke, es waren auch und nicht zuletzt diese Gründe, die ihn bewogen haben, dieses Amt schließlich nicht mehr auszuüben.
Deswegen finde ich es unredlich, — ich weiß nicht, ob Herr Matthöfer schon im Raum ist; da ist er —, wenn Sie, Herr Matthöfer, sagen, wir, die FDP, wollten mit Ihnen nur 28 Milliarden Neuverschuldung, mit der neuen Regierung machten wir 40 Milliarden. Diese 40 Milliarden oder 55 Milliarden, wenn man nichts getan hätte, hätten wir auch gemeinsam dann machen müssen, wenn es in einer alten Regierung geblieben wäre. Das sind die Dinge, die wir, SPD und FDP, gemeinsam verantworten müssen, die man uns nicht einseitig in Form eines Schwarzen Peters in die Tasche schieben darf.