Rede von
Prof. Dr.
Helmut
Haussmann
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(FDP)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kommentatoren dieses Tages werden sich sicher einig sein: Der Wahlkampf hat auch hier im Deutschen Bundestag längst begonnen, und zum Glück ist die Arbeitslosigkeit das Thema 1 auf allen Seiten. Meines Erachtens ist dies wichtig und richtig. Man kann nur hoffen, daß wir uns hier zwischen den demokratischen Parteien nicht über das Ziel, nämlich die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zerstreiten, sondern daß wir uns auf ein Ringen um die richtigen Wege beschränken, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Denn da hat die evangelische Kirche recht: Beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit geht es um nichts Geringeres als um den inneren Frieden unserer Gesellschaft. Gestern wurde dazu von allen drei Parteien meines Erachtens Wesentliches gesagt.
Georg Leber hat in seiner großen Rede die gemeinsame Verantwortung aller Bundestagsparteien herausgearbeitet, die auch darin liegt, daß wir alle in guten Zeiten viele gutgemeinte soziale und staatliche Aufgaben mit hoher Haushaltsbelastung gemeinsam verabschiedet haben, ohne daß wir die fetten Jahre zur Haushaltssanierung genutzt hätten. Dies muß auch den Kollegen der Union ins Stammbuch geschrieben werden. Auch Sie waren daran durch aktive Teilnahme, durch Anträge und durch Zustimmung beteiligt und können sich nun
keinesfalls aus der Mitverantwortung für diese hohe Verschuldung herausstehlen.
Auch in der Opposition hat man über die Ausschüsse und über den Bundesrat eine Mitverantwortung, Herr Kollege.
Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff haben zu Recht darauf hingewiesen, was eigentlich die Marktwirtschaft zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit leisten könnte, wenn sie nicht durch immer stärkere Subventionitis, durch Verbandsegoismen und Besitzstandsdenken in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt würde. Nicht zuletzt hat Norbert Blüm dargetan, daß langfristig soziale Sicherheit in dieser Lage nur durch eine Umstrukturierung unseres Sozialsystems erreichbar ist. Es ist nicht mehr so sehr die Frage der sozialen Gleichheit im Vordergrund, sondern es geht jetzt um die Frage der sozialen Sicherung im Kernbestand.
In dieser Lage — erlauben Sie mir diese persönliche Bemerkung — finde ich es absurd, und es ist für mich als jüngeren Politiker eigentlich unbegreiflich, daß sich trotz der nicht mehr auszuschließenden Katastrophe von 2,5 Millionen Arbeitslosen im Februar 1983 — ein Schandmal für eine Wohlstandsgesellschaft — dieser Bundestag diese Woche auflöst, ohne daß wir die Verantwortlichen in Regierung, Opposition, Tarifparteien, Bundesbank und Wissenschaft auf einen Beschäftigungspakt eingeschworen hätten.
Ich möchte daher von dieser Stelle in meiner letzten Rede im alten Bundestag — Herr Kollege, es ist eine liberale Tugend, Optimist zu sein — nochmals den Bundeskanzler, aber auch den Wirtschaftsminister und die Tarifparteien dazu auffordern, im Januar 1983 eine Serie von Konferenzen zum Thema Abbau von Arbeitslosigkeit einzuberufen, die abseits der bisher unverbindlichen Formen des Meinungsaustausches: den Abschluß eines Beschäftigungspakts zum Ziele haben. Ich weiß, trotz der in einer Marktwirtschaft verschiedenen Rollen — Tarifautonomie — muß endlich zwischen Regierung und Tarifparteien präzisiert werden, wer welche konkreten Maßnahmen trifft und wer welche Verantwortlichkeit für Arbeitslosigkeit hat.
Für diese Konferenz darf es, Herr Roth, auch keine Vorbedingungen und Tabus geben, so wichtig Mitbestimmungsfragen oder andere Fragen sind. Die waren beim Wirtschaftsminister letztlich nicht umstritten. Sie wissen aus der Geschichte ganz genau, daß Arbeitgeberverbände zu diesem Thema anderer Meinung waren und daß dies der letzte Grund war, warum die Gespräche am runden Tisch damals beendet wurden.
Lassen Sie mich abseits von diesem Haushalt kurz drei Herausforderungen nennen, die aus libe-
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 139. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Dezember 1982 8751
Dr. Haussmann
raler Sicht in den nächsten Jahren für den Abbau von Arbeitslosigkeit entscheidend sind.
Herausforderung Nummer 1: schleichender Protektionismus. Der schleichende Protektionismus schafft weitere Massenarbeitslosigkeit. Daher reicht es meines Erachtens nicht mehr, diese Frage nur auf speziellen Handelskonferenzen zu behandeln. Die Frage der Handelsschranken muß zum Europathema Nummer 1 gemacht werden. Andere europapolitische Ziele müssen wir zukünftig von konkreten Garantien für eine Freihandelspolitik in Europa und gegenüber Drittländern abhängig machen. Das heißt aber auch für die nationale Wirtschaftspolitik aller europäischen Länder: Die Wiederherstellung der nationalen Wettbewerbsfähigkeit ist das vorrangige Thema. Bei uns ist daher eine Haushaltspolitik notwendig, die weitere Zinssenkungen ermöglicht. Zu Recht hat Herr Stoltenberg darauf hingewiesen, daß Zinssenkungen durch nationale Haushaltspolitik erspart werden müssen, durch eine Steuerpolitik, die Innovationen begünstigt, und eine Tarifpolitik, die beschäftigungsfreundlich ist.
Herausforderung Nummer 2: Hier möchte ich auch etwas zur Frage „Grundig" sagen. Ich wundere mich eigentlich, daß hier ein Antrag der SPD vorliegt, ohne daß er beim Haushalt des Bundeswirtschaftsministers bisher eine Rolle gespielt hat. Wo eigentlich soll dieser Antrag behandelt werden? Ist er jetzt vergessen, oder bleibt er in der Versenkung?
Ich meine dazu: Konzentration und Gigantomanie kann nicht mit Wettbewerbsfähigkeit gleichgesetzt werden. In manchen Unternehmensführungen, aber auch in manchen Landesregierungen und Gewerkschaften zu glauben, man könne Arbeitsplätze gegenüber besseren und kostengünstigeren Produkten aus Fernost oder aus USA nur durch das Zusammenlegen von Produktionskapazitäten und durch die Abschottung des Europamarktes sichern, ist eine unverantwortliche Illusion.
Nur ein überlegenes Forschungskonzept, intelligentere Produkte und günstigere Produktionsformen sichern letztlich Arbeitsplätze dauerhaft. Der Zusammenschluß zu europäischen Branchenmonopolisten mit Hilfe von einzelstaatlichen Subventionen sichert auf Dauer weder bei uns noch in unseren europäischen Nachbarländern Arbeitsplätze.
Daß es auch anders geht, meine Damen und Herren, zeigt im Moment die deutsche Automobilindustrie. Sie hat die europäische und vor allem die japanische Herausforderung ohne weitere nationale Konzentration und ohne Außenschutz gegenüber Drittländern angenommen. Das aktuelle Beispiel zeigt, daß marktwirtschaftlicher Wettbewerb zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Zwei neue PkwModelle treffen zur Zeit im gleichen Marktsegment der kompakten, technisch hochwertigen und teuren Automobilklasse aufeinander und werben um die Verbraucher. Und trotzdem, meine Damen und Herren, führt dies in beiden Automobilwerken zur Schaffung von Tausenden von neuen Arbeitsplätzen, gerade in Problemgebieten wie Bremen und Regensburg. Beiden Unternehmen und ihren Arbeitskräften sei von dieser Stelle aus für dieses in unserer Zeit leider viel zu seltene positive marktwirtschaftliche Beispiel gedankt.
Dritte und letzte Herausforderung: die Parallelwirtschaft. Ich verstehe darunter Schwarzarbeit genauso wie neue, alternative Produktionsformen. Meine Damen und Herren, wer glaubt, daß wir dieses Problem, das für viele Arbeitslose in unserem offiziellen Wirtschaftssystem mitverantwortlich ist, nur durch schärfere Gesetze ausmerzen könnten, der täuscht sich hinsichtlich der nächsten Jahre gewaltig. Nur wenn beide Systeme, das offizielle Wirtschaftssystem und die Parallelwirtschaft, voneinander lernen, werden wir Fortschritte erzielen. Das heißt, daß das offizielle Wirtschaftssystem inzwischen zu starr, zu bürokratisch, mit Sozialaufgaben überlastet und daher zu teuer geworden ist und daß Millionen in der Parallelwirtschaft Tätiger — ich sage im Anklang an Dahrendorf bewußt nicht „Arbeitender", sondern „Tätiger" — einen starken Wunsch nach freier, ganzheitlicher, billigerer und zeitlich individuell gestalteter Arbeit zum Ausdruck bringen.
Wenn das offizielle Arbeitssystem daraus nicht lernt und sich nicht verändert, indem es auch wieder beweglicher, billiger, unbürokratischer wird, wird diese Kluft unschließbar und führt zu weiterer Massenarbeitslosigkeit in unserem Land.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, dies sind abseits von Haushaltszahlen ganz wenige liberale Perspektiven für die zukünftige Gesellschaft, die dringend einen neuen Pakt benötigt über Löhne, Produktivitätsfortschritt, individuellere Arbeitszeitvereinbarungen — nicht generell verordnete, sondern individuellere Arbeitszeitvereinbarungen —, Vermögensbildung und neue Arbeitsformen.
Zum Schluß: Wer wie manche SPD-Kollegen glaubt, das Problem reduziere sich auf die Aufrechterhaltung der alten sozialen Besitzstände, der täuscht sich. Aber auch mancher Kollege in der Union greift zu kurz, wenn er meint, die alten Rezepte der Wirtschaftswunderzeit allein könnten uns über die Runden helfen. — Vielen Dank.